Schuldenkrise in Europa: Ende nicht in Sicht
Nach langem Hin und Her haben sich die europäischen Staaten auf einen erneuten Versuch zur Rettung Griechenlands geeinigt. Man hoffte, durch die Einigung die Märkte zu beruhigen, damit ein Übergreifen auf andere Staaten zu vermeiden und Griechenland und den finanzierenden Finanzinstituten etwas zusätzliche Luft verschafft zu haben. Banken und institutionelle Anleger werden weitgehend verschont; sie sollen rund 20% auf ihre Staatspapiere abschreiben, die allerdings am Markt ohnehin schon einen deutlich geringeren Wert haben – eine gute Lösung für die Finanzindustrie, aber die Reaktion der Märkte war dennoch alles andere als euphorisch.
Dies wundert nicht, denn leider werden alle beschlossenen Maßnahmen kaum für eine dauerhafte Lösung des Problems reichen. Mit dann rund 150% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sind die Schulden noch immer zu umfangreich, als dass Griechenland in politisch zumutbarer Zeit herauswachsen könnte. Es ist nicht zu sehen, wie Griechenland wettbewerbsfähig werden kann; das Land hat kaum eine industrielle Basis und exportiert insgesamt nur sehr wenig. Eine reale Abwertung durch niedrigere Preise und Löhne wird deshalb keine Wunder wirken, schon gar nicht in kurzer Zeit. Ebenso wenig ist zu sehen, wie ein nicht funktionierendes Steuersystem kurzfristig erhebliche Einnahmesteigerungen produzieren sollte, selbst wenn die Regierung den politischen Willen dazu hätte. Die Euroländer werden also am Ende um weitere Schuldenstreichungen nicht herumkommen, und das wird vermutlich auch für andere Schuldnerstaaten gelten. Ein Ende der Krise ist weit und breit nicht in Sicht.
Die Maßnahmen sind zaghaft und zu spät. Vor allem wurde versäumt klar zu machen, was Ziel und Ende des Prozesses sind. Will man Eurobonds, will man eine stärkere fiskalische Zentralisierung, oder will man weiter so tun, als seien die Länder fiskalisch unabhängig? Wenn Letzteres der Fall wäre, hätten die großen Länder Frankreich, Deutschland und Italien den Stabilitäts- und Wachstumspakt ernst nehmen müssen. Das hat man versäumt und sich diesen Weg verbaut. Also bleibt nur der Weg hin zu mehr gemeinsamer fiskalischer Verantwortung. Ob das Eurobonds, ein noch größerer Rettungsschirm oder ein offizieller Europäischer Währungsfonds sein werden, ist zweitrangig. Europa wird größere fiskalische Solidarität entwickeln, auch wenn die politisch Verantwortlichen es noch nicht sagen. Die politischen Entscheidungsträger meiden die offene politische Debatte und verneinen stattdessen, was eigentlich schon längst Realität ist.
Das Erschreckende daran ist, dass ohne klare Ansagen keine Gewissheit geschaffen wird und dass Märkte und Bürger nicht wissen, wo genau das Ganze enden soll. Unklare Aussagen und halbherzige Politikmaßnahmen schaffen nun einmal keine Beruhigung. Die Schuldenkrise der 1980er Jahre wurde ähnlich bewältigt; nach langem Hin und Her wurden ein Schuldenschnitt und eine Umschuldung gemacht. Die Verzögerung gab den Banken damals die Zeit, ihre Verluste langsam abzuschreiben und damit die Situation halbwegs gut zu verkraften. Das wird wohl auch hier das nicht erklärte Ziel sein; je länger man mit drastischen Schnitten wartet, umso besser für die Finanzindustrie. In Lateinamerika hat das auf Seiten der Schuldner zum verlorenen Jahrzehnt mit niedrigem Wachstum und politischer Instabilität geführt. Griechenland ist auf ähnlichem Weg, und das Verhalten der europäischen Regierungen schafft nicht gerade Zuversicht, dass Irland, Portugal, Spanien und Italien davon verschont bleiben.
Rösler-Initiative: Exportschlager Ordnungspolitik
Was macht man mit Produkten, die man im eigenen Land nicht los wird? Man exportiert sie ins Ausland. Auf dieses Konzept, mit dem die deutsche Industrie seit langem so erfolgreich ist, hat sich jetzt offenbar auch der Bundeswirtschaftsminister besonnen. Zum Rettungspaket für Griechenland, das auf dem Euro-Sondergipfel im Juli beschlossen wurde, gehören auch Maßnahmen zur Revitalisierung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Anlocken ausländischer Investoren zu, denn sie haben in der Regel nicht nur Investitionskapital, sondern auch moderne Technologien und effiziente Unternehmensstrukturen im Gepäck. Zudem bringen sie den frischen Wind des Wettbewerbs mit, der auch den alteingesessenen Inlandsunternehmen gut tun dürfte.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat dazu jetzt eine „Investitionskonferenz“ einberufen, an der über 20 deutsche Wirtschaftsverbände teilnehmen. Als wichtigen Ansatzpunkt zur Verbesserung der Investitionsbedingungen in Griechenland geben Wirtschaftsminister und Wirtschaftsverbände die „Verbesserung der Verwaltungsstrukturen“ und die „Erhöhung der Rechtssicherheit“ an. Im Klartext geht es dabei auch und gerade um die Bekämpfung von Korruption. Dies ist ohne Zweifel ein wichtiges Anliegen, doch der geneigte Beobachter fragt sich, wie dieses Problem von außen gelöst werden soll. Von fraglichem Nutzen ist auch die Entsendung pensionierter deutscher Gewerbelehrer nach Griechenland, wie auf der Investitionskonferenz vereinbart. Solange die komplementäre Infrastruktur fehlt, werden die Lehrer aus Deutschland wenig ausrichten können, zumal sie meist wohl nicht einmal die dortige Landessprache beherrschen. Ähnlich skeptisch zu bewerten ist die Entsendung pensionierter Treuhand-Mitarbeiter, die bei den geplanten Privatisierungen mithelfen sollen. All diese Maßnahmen werden vermutlich wenig ausrichten, aber sie gehen zumindest in die ordnungspolitisch richtige Richtung.
Aufs Glatteis begibt sich der Bundeswirtschaftsminister dagegen mit dem geplanten Ausloten der konkreten Investitionsmöglichkeiten in den verschiedenen Branchen. Ob die Tatsache, dass in Griechenland die Sonne scheint, tatsächlich ausreicht, um dieses Land zu einem leistungsfähigen Exporteur erneuerbarer Energien zu machen, sollten doch lieber private Investoren entscheiden, die mit ihrem eigenen Geld haften. Insgesamt sollte sich der Bundeswirtschaftsminister aus der Benennung konkreter Investitionsbereiche möglichst heraushalten, zumal sein zentrales Anliegen, den Griechen die Grundlagen deutscher Ordnungspolitik nahezubringen, auf diese Weise eher verwischt würde.
Das vermutlich größte Investitionshemmnis liegt aber wohl darin, dass sich der griechische Staat in der Vergangenheit wiederholt als zahlungsunwillig bis an den Rand des Vertragsbruchs gezeigt hat. Hohe Wellen schlug der Fall Hellenic Shipyards – bis vor kurzem noch eine Tochtergesellschaft von Thyssen-Krupp. Der deutsche Konzern hatte diese Werft erworben, um Auflagen zum „local content“, die an den Liefervertrag über vier Unterseeboote geknüpft waren, erfüllen zu können. Doch dann wollte die griechische Regierung von dem Vertrag offenbar nichts mehr wissen. Sie verweigerte die Abnahme des ersten in Kiel fertiggestellten Schiffs mit Hinweisen auf zahlreiche technische Mängel, die in Branchenkreisen als an den Haaren herbeigezogen galten. Erst als die deutsche Bundesregierung im Zuge der Verhandlungen um den Euro-Rettungsschirm Druck auf Athen ausübte, wurden das fertiggestellte Unterseeboot abgenommen und die seit dem Jahr 2006 ausstehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro beglichen. Thyssen-Krupp hatte daraufhin verständlicherweise die Freude an seiner griechischen Tochter verloren.
Angesichts solcher und ähnlicher Erfahrungen wird Griechenland die Revitalisierung seiner Wirtschaft womöglich ohne nennenswerte Unterstützung durch Auslandsinvestoren hinbekommen müssen. Und Herr Rösler wird sich wohl doch in Deutschland nach Interessenten für seine Ordnungspolitik umschauen müssen.
US-Staatshaushalt: Strukturreformen verschoben
In letzter Minute einigten sich Präsident Barack Obama und der Kongress Anfang August auf einen Kompromiss zur Anhebung der Schuldengrenze und verhinderten damit die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA. Ein gigantisches Sparprogramm soll nun den Staatshaushalt sanieren. Allerdings wird auch mit diesen Sparbemühungen der Schuldenberg der USA weiter wachsen – es sei denn die US-Wirtschaft gewinnt deutlich an Fahrt. Und genau hier liegt der Haken des Kompromisses: Das Sparprogramm kommt möglicherweise zu früh und verpasst der ohnehin schwachen Wirtschaft einen zusätzlichen Dämpfer. Vor allem schränkt es die Handlungsfähigkeit des Präsidenten massiv ein, Strukturreformen vorzunehmen, die zwar teuer, aber dringend notwendig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu sichern. In den nächsten zehn Jahren sollen 2,4 Billionen US-$ eingespart werden. Zunächst sind Kürzungen in Höhe von 917 Mrd. US-$ vorgesehen, davon 350 Mrd. im Verteidigungsetat, der Rest in Bereichen wie Infrastrukturentwicklung, Energiepolitik, Bildung, Forschung und Gesundheit. Bis Ende November soll eine paritätisch besetzte „Superkommission“ des Kongresses Vorschläge über weitere Kürzungen in Höhe von 1,5 Billionen US-$ erarbeiten. Auch Steuererhöhungen sind nicht ausgeschlossen. Sollte der Kongress scheitern, die Vorschläge bis Ende des Jahres zu verabschieden, treten automatisch Pauschalkürzungen in allen Programmen in Kraft.
Dass die Verschuldung der USA in diesem Umfang nicht mehr aufrechterhalten werden kann, unterstreichen die Prognosen des Office of Management and Budget (OMB): Für 2011 wird ein Haushaltsdefizit von 10,9% erwartet; die Nettoverschuldung (Gesamtschulden minus Rückstellungen) wird auf 72% des BIP geschätzt. Bis 2016 wird ein weiterer Anstieg auf 76,1% prognostiziert. Besonders belastet wird der Haushalt durch einen deutlichen Kostenanstieg der Rentenversicherung durch den Renteneinstieg der Baby-Boomer-Generation. Hinzu kommt die steigende Zinslast. Über die Höhe einer tragfähigen Verschuldung gibt es verschiedene Ansichten. Einig ist man sich aber, dass die USA Gefahr laufen, sich zu überschulden. Sowohl die Ratingagenturen als auch der IWF mahnen daher einen Abbau der Schulden an. Dies aber allein durch Ausgabensenkungen zu versuchen, trifft vor allem die unteren Einkommensgruppen. Sie sind besonders abhängig von den Sozialprogrammen, die den Kürzungen geopfert werden, und gleichzeitig überdurchschnittlich betroffen von der hohen Arbeitslosigkeit. Das hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Konsum, sondern öffnet die Schere zwischen arm und reich noch weiter.
Die US-Wirtschaft steht auf wackeligen Beinen; in den ersten beiden Quartalen 2011 wuchs sie gerade einmal um 0,4% bzw. 1,3%. Die Arbeitslosigkeit betrug im Juni 2011 9,2%. Die Impulse aus den Konjunkturmaßnahmen und der expansiven Geldpolitik nehmen langsam ab. Der private Konsum – die wichtigste Säule des Wirtschaftswachstums – ist schwach; die US-Bürger sind angesichts der hohen Arbeitslosigkeit verunsichert, die hohen Benzinpreise drücken die Kauflust und die Verwerfungen auf den Immobilienmärkten sind nach wie vor nicht behoben. Haushaltseinschnitte greifen zwar erst nach den nächsten Präsidentschaftswahlen Ende 2012. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt wieder ordentlich wächst und die Sparmaßnahmen verkraften kann. Allerdings dürften die Märkte dies antizipieren, so dass auch schon jetzt mit einer leicht dämpfenden Wirkung des Kompromisses zu rechnen ist. Zudem haben die USA erhebliche Strukturprobleme. Auch wenn sie als so innovationsfähig wie kein anderes Land gelten, lassen die Infrastruktur oder auch die Schulausbildung zu wünschen übrig. Anfang des Jahres hatte Präsident Obama noch in seiner Rede zur Lage der Nation erklärt: „Dies ist der Sputnik-Moment unserer Generation“. Investitionen in Bildung und Forschung sollten eine „Welle von Innovationen“ und so neue Industriezweige schaffen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA verbessern. Einen solchen „Sputnik-Moment“ wird es wohl jetzt erst einmal nicht geben.
Franken: Massiv überbewertet
Der Schweizer Franken (CHF) zeigt sich stark wie nie. Während im August 2007 ein Euro noch für 1,62 CHF gehandelt wurde, kostet er am 5. August 2011 kurzzeitig 1,07 CHF. Die eigentliche Rallye setzte im Frühjahr 2010 mit dem Akutwerden der Staatsschuldenkrise im Euroraum ein. Der Franken gewann seitdem gegenüber dem Euro real gut 22%. Dennoch wäre es falsch, die Frankenstärke als Euroschwäche zu interpretieren. Auch der US-Dollar und das englische Pfund haben gegenüber der Schweizer Währung erheblich nachgegeben. Im August erreicht die US-Währung ein Rekordtief von unter 75 Rappen. Der reale Außenwert des Franken, der sich als gewichtetes Mittel gegenüber den wichtigsten Handelspartnern ergibt, stieg in den vergangenen 18 Monaten um gut 18%. Selbst der Frankenpreis des Goldes liegt unter dem vom Frühjahr 2010.
Die Gründe für diese Entwicklung sind außerhalb der Schweiz zu suchen. Der Franken ist – übrigens ebenso wie der japanische Yen – zur Fluchtwährung geworden. Zunehmende Konjunktursorgen sowie Unsicherheiten im Zusammenhang mit globalen und fiskalischen Ungleichgewichten machen ihn zum sicheren Hafen. Dabei ist die Schweizer Währung zurzeit massiv überbewertet. Nach Schätzung der OECD würde Kaufkraftparität in Bezug auf den Euro einen Wechselkurs von 1,40 CHF/Euro voraussetzen. Am Times Square kostet ein Big Mac im August sogar nur halb so viel wie auf der Züricher Bahnhofstrasse. Es ist wohl richtig anzunehmen, dass eine solche Situation nicht ewig Bestand hat. Die vergangenen Dekaden machen jedoch deutlich, dass Phasen erheblicher Frankenüber- aber auch -unterbewertung durchaus drei bis vier Jahre anhalten können.
Die Erfolgsaussichten der Schweizer Wirtschaft leiden unter der Frankenhausse, was sich auch im Rückgang des Swiss Market Index spiegelt. Insbesondere auf die Exportwirtschaft hat die Aufwertung eine „brutale Wirkung“. Zwar erholte sich das Exportvolumen im Warenhandel nach dem Einbruch im Krisenjahr 2008. Ursächlich für die Erholung war das starke Wachstum in Deutschland und Asien. Der Anstieg der nominalen Wechselkurse lässt sich aber nur zum Teil auf die ausländischen Nachfrager überwälzen. In heimischer Währung müssen die Schweizer Exporteure erhebliche Preisabschläge hinnehmen. Schrumpfende Margen veranlassen einzelne Unternehmen, Arbeitszeiten zu verlängern bzw. Lohnkürzungen anzukündigen. In Bezug auf die Importseite appelliert der eidgenössische Bundesrat an die Importeure und Großhändler, Wechselkursgewinne an die Endverbraucher weiterzugeben. Tatsächlich zeigen Importpreisindizes seit Anfang 2010 einen nur sehr zaghaften Rückgang. Die Bürger trösten sich mit Einkaufstourismus. Insgesamt – und entgegen theoretischer Annahmen – hat sich der Handelsbilanzsaldo unter den verschiedenen Volumen- und Preiseffekten stetig verbessert. Die Schweizer Parteien und Verbände verlangen trotzdem nach teilweise unorthodoxen Maßnahmen gegen den starken Franken. Ihre Forderungen reichen von der Senkung der Unternehmenssteuern über verbilligte Kredite für Exporteure bis zur Anbindung des Franken an den Euro oder Negativzinsen für ausländische Frankenanleger. Am 3. August 2011 hat die Schweizer Nationalbank geldpolitische Schritte eingeleitet. Diese seien „nicht symbolisch gemeint, sondern als Signal“. Bisherige Aktionen waren von mäßigem Erfolg gekrönt.