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Derzeit ist Deutschland europaweit das einzige Land mit einem Nebeneinander von zwei Systemen der Kranken-Vollversicherung. Die demographische Entwicklung verbunden mit einer fragwürdigen Akquisitionsstrategie, die Finanzkrise sowie die Einführung der Versicherungspflicht hatten vor allem die privaten Versicherungen in Bedrängnis gebracht. Die Autoren plädieren hier für unterschiedliche Wege in Richtung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems in Deutschland.

Die Schaffung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems – eine längst überfällige Reform

Aus ökonomischer Sicht gibt es keine überzeugende Begründung für die international weithin einzigartige Dualität auf dem deutschen Krankenversicherungsmarkt mit einem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung als substitutive Vollversicherungssysteme. Der Sachverständigenrat Wirtschaft weist hierauf in fast jedem seiner Jahresgutachten hin – allerdings mit zunehmend resignativem Ton, denn seiner Empfehlung, einen gemeinsamen Wettbewerbsmarkt für die gesamte Bevölkerung zu schaffen, ist bislang noch keine Bundesregierung auch nur ansatzweise gefolgt, ob sie nun rot-grün, schwarz-rot oder schwarz-gelb zusammengesetzt war.

Möglicherweise könnte sich das jedoch bald ändern, denn ausgerechnet das wegen seiner privatrechtlichen Organisation sowie des Kapitaldeckungsverfahrens lange Zeit als zukunftssicher gehandelte System der privaten Krankenversicherung (PKV) – und nicht etwa das vermeintlich „marode“ öffentlich-rechtliche System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – gerät zunehmend in Schwierigkeiten und bedarf fortgesetzter Unterstützung durch die Politik. So sind zuletzt etwa die Wechselmöglichkeiten einkommensstarker Arbeitnehmer von der GKV zur PKV erweitert, die Privatversicherungen an Maßnahmen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben beteiligt und die Vermittlerprovisionen gesetzlich gedeckelt worden. Damit ist die PKV aber noch längst nicht sorgenfrei: Angesichts einer womöglich noch länger anhaltenden Niedrigzinsphase drohen zusätzliche Prämiensteigerungen, und zudem ist nicht absehbar, wie mit der wachsenden Zahl von Versicherten umgegangen werden soll, die ihre Prämien nicht mehr bezahlen können; der angedachte „Nichtzahler-Tarif“, der nur noch Notfallleistungen vorsieht, entspricht jedenfalls kaum den Intentionen des Gesetzgebers bei der Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht. Damit ist das größte Problem der PKV aber noch gar nicht benannt: die weitgehende Unfähigkeit zur gezielten Leistungs- und Ausgabensteuerung als Folge fehlender direkter Vertragsbeziehungen mit den Leistungserbringern. Die PKV wünscht sich hierfür eine Öffnungsklausel in der Gebührenordnung für Ärzte, doch sind Verhandlungen hierüber mit der Ärzteschaft gerade wieder einmal gescheitert.

Überlegenheit eines einheitlichen Versicherungssystems

Damit könnten die Chancen gar nicht schlecht stehen, dass es in absehbarer Zeit – wie 2006 in den Niederlanden – auch bei uns zu einer grundlegenden Neuordnung des gesamten Versicherungsmarktes kommen könnte. Warum ist – abgesehen von Zweifeln an ihrer längerfristigen Tragfähigkeit – von isolierten Maßnahmen zur Lösung der vielfältigen Probleme der PKV abzuraten? Nicht nur der Sachverständigenrat Wirtschaft sieht „ein Krankenversicherungssystem, in dem alle Bürger versicherungspflichtig sind, dem derzeitigen System mit seinem segmentierten Krankenversicherungsmarkt sowohl aus allokativer als auch aus verteilungspolitischer Sicht als überlegen an. Derzeit wird vor allem aufgrund der Existenz der Versicherungspflichtgrenze (…) der Markt segmentiert, und es kommt zu einer ineffizienten Risikoentmischung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem können sich Personen mit einem Einkommen jenseits der Versicherungspflichtgrenze sowie Beamte und Selbständige der Umverteilung im Krankenversicherungssystem entziehen, weshalb auch aus verteilungspolitischer Sicht eine Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze und die Etablierung eines einheitlichen Krankenversicherungsmarktes notwendig erscheinen.“1

Die jeder gängigen Gerechtigkeitsnorm widersprechenden verteilungspolitischen Wirkungen der Versicherungspflichtgrenze sind schon oft beschrieben worden: Für junge und gesunde Arbeitnehmer ist es nach individuellem Nutzenkalkül lohnend, der GKV den Rücken zu kehren und sich zumeist deutlich günstiger privat zu versichern. Das schwächt unmittelbar die Solidargemeinschaft GKV, die – wie jede Versicherung, eine Sozialversicherung mit einkommensabhängiger Finanzierung zumal – auf eine ausgewogene Risikomischung ihrer Versichertenschaft angewiesen ist. Dass etliche Privatversicherte ihre Entscheidung für die PKV zu einem späteren Zeitpunkt einmal bedauern und selbst – mittlerweile womöglich ernsthaft krank und nicht mehr so einkommensstark wie ehedem – auf solidarische Unterstützung angewiesen sind, ändert an der Fragwürdigkeit der Verteilungswirkungen infolge der bestehenden Marktsegmentierung nichts, sondern fügt ihr bestenfalls eine weitere Facette hinzu.

Allokationsdefizite als Folge der Marktsegmentierung

Dass die bestehende Marktsegmentierung in GKV und PKV aber auch in allokativer Sicht problematisch ist, hat vor allem mit den unterschiedlichen Vergütungs- und Steuerungsstrukturen in GKV und PKV zu tun. Für viele Ärzte ist es ökonomisch weitaus attraktiver, Privatpatienten nach der privatärztlichen Gebührenordnung ohne externe Qualitätsanforderungen und Mengenbegrenzungen zu behandeln als gesetzlich Versicherte. Dadurch werden sie jedoch – um noch einmal den Sachverständigenrat Wirtschaft zu zitieren – „nicht gemäß ihren Fähigkeiten und den medizinischen Erfordernissen eingesetzt, sondern gemäß der Versicherungszugehörigkeit der Patienten“, wodurch es „zu einer Fehlallokation von knappen Ressourcen und zu Qualitätsdefiziten (kommt)“.2 Auch die zunehmenden Versorgungslücken im ländlichen Raum sind keineswegs – bei gleichzeitiger Hoch- und Überversorgung in Mittel- und Großstädten – Ausdruck eines generellen Ärztemangels, sondern Resultat einer eklatanten Ungleichverteilung, bei der die regionale Verteilung der Privatversicherten keine geringe Rolle spielt. Die zur Lösung der ländlichen Versorgungsmängel ergriffenen Maßnahmen führen allerdings nur in der GKV zu Mehrausgaben für die Beitragszahler, obwohl die Privatversicherten in dünn besiedelten Regionen von einer flächendeckend garantierten Gesundheitsversorgung genauso profitieren.

Bemerkenswert bei der Diskussion über die Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland sind zum einen die Hartnäckigkeit, mit der am Erhalt der Segmentierung des Krankenversicherungsmarktes nach nur noch historisch zu erklärenden Zuweisungsregeln und Wahlrechten festgehalten wird, und zum anderen die Fragwürdigkeit der dabei bemühten Begründungen. So heißt es z.B. im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung: „Neben der gesetzlichen Krankenversicherung sind für uns die privaten Krankenversicherungen als Voll- und Zusatzversicherung ein konstitutives Element in einem freiheitlichen Gesundheitswesen.“3 Dieser Satz findet sich überdies in einem Abschnitt, der mit „Wettbewerb im Krankenversicherungswesen“ überschrieben ist.

Dysfunktionaler „Systemwettbewerb“

Freiheit und Wettbewerb sind fürwahr ehrenwerte Ziele. Was aber ist nach allgemein gültigem Verständnis an unserem segmentierten Versicherungsmarkt „freiheitlich“ und „wettbewerblich“, wenn der übergroße Teil der Bevölkerung gar keine rechtlichen oder faktischen Wahlmöglichkeiten hat? Rund drei Viertel der deutschen Wohnbevölkerung sind als Mitglieder oder deren mitversicherte Angehörige in der GKV pflichtversichert. Die Beamten und ihre beihilfeberechtigten Angehörigen sind zwar nicht rechtlich, aber faktisch PKV-pflichtversichert, weil sie im Fall einer freiwilligen GKV-Versicherung den gesamten Versicherungsbeitrag ohne Arbeitgeberbeteiligung selbst entrichten müssten. Viele Kranke und Behinderte werden in der PKV entweder gar nicht erst versichert oder müssten so hohe Risikozuschläge bezahlen, dass sie sich die Prämien kaum leisten könnten. Ein wirkliches Wahlrecht – allerdings in der Regel immer nur in Richtung PKV und nicht etwa auch umgekehrt – haben letztlich nur relativ wenige junge und gesunde Gutverdiener sowie Selbständige. Folglich konzentriert sich der Wettbewerb zwischen GKV und PKV auf diese Personen. Dass es bei einem Wettbewerb um Junge und Gesunde aber kaum vorrangig um Fragen einer qualitativ möglichst hochwertigen und zugleich wirtschaftlichen Gesundheitsversorgung geht, versteht sich fast von selbst.

Sollten Privatversicherte ihre Entscheidung zugunsten der PKV viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später einmal bereuen, wenn sie auf Versorgungsleistungen angewiesen sind, aufgrund massiver Prämiensteigerungen aber gleichzeitig zu Leistungseinschränkungen oder höheren Selbstbehalten gezwungen sind,4 haben sie halt Pech gehabt. Oder wie es die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz, in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag im März 2012 formuliert hat: „Personen, die sich für die PKV entscheiden, treffen grundsätzlich eine Lebensentscheidung. Sie wissen, dass die Versicherungsprämien in der PKV einkommensunabhängig sind und die Rückkehr in die GKV nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen möglich ist. Vielfach entscheiden sich diese Personen in jungen Jahren für das dann beitragsgünstigere private Krankenversicherungssystem.“5 Ist dieser durchaus zutreffend beschriebene Sachverhalt wirklich Ausdruck eines „freiheitlichen“ Systems, das sich im Interesse des Großteils der Bevölkerung zu bewahren lohnte?

Angesichts der hochgradig verzerrten Wettbewerbsbedingungen zwischen GKV und PKV und der in versorgungsinhaltlicher Sicht eher zweifelhaften Wettbewerbsinhalte hat Thorsten Kingreen die Bezeichnung des Verhältnisses zwischen GKV und PKV als „Systemwettbewerb“ auf dem diesjährigen Deutschen Juristentag als eine Camouflage bezeichnet,6 was laut Duden so viel heißt wie Tarnung oder Blendwerk. Ob die Befürworter des vermeintlich im allgemeinen Interesse liegenden Systemwettbewerbs zwischen GKV und PKV damit vor allem andere blenden wollen oder womöglich selbst geblendet sind, mag dahinstehen – fragwürdig erscheint es allemal, wenn Vorschläge zur Einführung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems – wie etwa wiederholt vom Sachverständigenrat Wirtschaft gemacht – mit politischen Kampfbegriffen wie „Neiddebatte“ oder „Einheitskasse“ diskreditiert werden.

Solidarische Finanzierung: von allen, für alle

Der Vorwurf der „Neiddebatte“ richtet sich gegen die Forderung nach Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die solidarische Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes, um den problematischen Verteilungswirkungen der bestehenden Marktsegmentierung zu begegnen. Dabei hat noch niemand behauptet, dass alle Privatversicherten „reich“ seien. Das trifft auf viele kleine Beamte und Solo-Selbständige ganz gewiss nicht zu. Gleichwohl liegt das Durchschnittseinkommen der Privatversicherten insgesamt etwa doppelt so hoch wie bei den gesetzlich Versicherten. Arbeitslose und Kleinrentner gibt es unter den Privatversicherten fast nicht, und auch das Einkommen von „kleinen Beamten“ ist zwar nicht üppig, aber immerhin dauerhaft sicher. Gewiss löst die Einbeziehung aller Einwohner in die solidarische Finanzierung keineswegs alle künftigen Finanzierungsprobleme der Solidargemeinschaft, doch stärkt sie sehr wohl deren Finanzierungsgrundlagen. Außerdem kommt sie gleichzeitig denjenigen Privatversicherten zugute, die zwar zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zugunsten der PKV über ein hohes Einkommen verfügt haben mögen, aber aufgrund ungünstiger Lebensumstände – ob selbst verschuldet oder nicht – im Alter verstärkt unter hohen Prämien leiden.

In diesem Kontext wird häufig argumentiert, dass die höheren Honorare der Privatpatienten eine Art „Quersubventionierung“ der GKV und ihrer Versicherten darstellten, weil die Aufrechterhaltung des deutschen Versorgungssystems darauf angewiesen sei. Dies sei mindestens so viel wert wie eine direkte Beteiligung der Privatversicherten an der solidarischen Finanzierung. Dieses Argument ist jedoch gleich zweifach unzutreffend. Zum einen könnte die „reguläre“ Beteiligung der Privatversicherten an der solidarischen Finanzierung – im Status quo also über einkommensabhängige Krankenversicherungsbeiträge – selbst dann zu einer Beitragssatzminderung führen, wenn die Leistungserbringer insgesamt bei den Honoraren gegenüber heute keine Abstriche hinnehmen müssten. Zum anderen wird die Verteilung der Honorarzahlungen völlig ausgeblendet. Wie das Beispiel der Versorgung im ländlichen Raum zeigt, fließt ein Großteil der privatärztlichen Honorare ja keineswegs dorthin, wo das Geld in erster Linie gebraucht würde. Aus der Sicht eines niedergelassenen Arztes ist die Finanzierung seiner Praxis gewiss vielfach auf die zum Teil deutlich höheren Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit angewiesen, doch ob das in gleicher Weise auch für das Versorgungssystem insgesamt gilt, ist eine ganz andere Frage – nicht nur in regionaler Sicht, sondern etwa auch im Hinblick auf der Verhältnis zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung.

Dezidierte Wettbewerbsorientierung des einheitlichen Versicherungssystems

Der zweite Vorwurf der vermeintlichen „Einheitskasse“ verkennt vollständig, dass es bei einem einheitlichen Krankenversicherungssystem in aller Regel um ein dezidiert wettbewerblich ausgerichtetes System geht, von dem – anders als beim sogenannten Systemwettbewerb – alle Versicherten durch höhere Versorgungsqualität und -effizienz profitieren können. Das entspricht nicht nur den Vorstellungen des Sachverständigenrats Wirtschaft und zahlreicher deutscher Gesundheitsökonomen, sondern war auch erklärtes Ziel der Gesundheitsreform in den Niederlanden. Das niederländische Gesundheitsministerium nennt als drei „Kernelemente“ der Reform zur Schaffung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems, dass die Versicherten das Recht haben, den Versicherer jährlich zu wechseln, dass die Versicherer um die Gunst der Versicherten konkurrieren und dass die Kunden und Versicherer die Anbieter von Versorgungsleistungen zu einer besseren Qualität anhalten.7 Es gibt somit nicht nur einen intensiven Wettbewerb der Krankenversicherungen – von einem jährlichen Wechselrecht können deutsche Privatversicherte nur träumen –, sondern zugleich aufgrund direkter Vertragsbeziehungen einen ebenso intensiven Wettbewerb der Anbieter von Versorgungsleistungen, bei dem die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt stehen.

Diese Kernelemente des niederländischen Gesundheitssystems müsste ein zukünftig einheitlicher Krankenversicherungsmarkt in Deutschland in jedem Fall auch aufweisen. Schon deshalb hätte er von seiner Grundstruktur her sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit der GKV, in der die Krankenkassen eine aktive Rolle als Versorgungsgestalter („Player“) spielen, während die Privatversicherer auf eine Rolle als reine „Payer“ beschränkt sind. Die oft als großer Vorteil der PKV angesehene Kapitaldeckung hilft da nur wenig, denn lediglich ein kleiner Teil der Ausgabenzuwächse in der Gesundheitsversorgung ist tatsächlich rein demografisch bedingt. Die Beantwortung von Fragen nach der medizinischen Notwendigkeit und Angemessenheit von diagnostischen und therapeutischen Leistungen und nach möglichst effizienten Formen der Leistungserstellung überlässt die PKV aber vor allem den Leistungserbringern und zum Teil den – dann allerdings zumeist unmittelbar mit einer Krankheit konfrontierten – Versicherten, deren jeweilige Kalküle aber ganz sicher nicht primär auf die langfristige Tragbarkeit des Versicherungssystems ausgerichtet sind.

Andere Elemente des einheitlichen Krankenversicherungsmarktes können dagegen durchaus unterschiedlich ausgestaltet werden. Das gilt auch für die Frage der Beitrags-(satz-)gestaltung, die hier bewusst ausgeklammert wurde. Von eindeutig nachgeordneter Bedeutung ist die Frage der organisationsrechtlichen Verfasstheit der Krankenversicherungen. In den Niederlanden sind sie privatrechtlich organisiert, aber öffentlich-rechtliche Institutionen waren sie dort auch nie. Wenn es der Schaffung eines einheitlichen Krankenversicherungsmarktes diente, spräche letztlich nichts gegen privatrechtliche Krankenversicherungen – etwa als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Den Reformprozess damit isoliert zu beginnen, wäre allerdings genauso falsch, wie die seit einiger Zeit in etlichen Teilfragen zu beobachtende Konvergenz der Versicherungssysteme GKV und PKV bereits als solche zu begrüßen. Ungezielte Konvergenz führt bestenfalls zufällig zu einer konsistenten Ordnung des Krankenversicherungsmarktes, die an den Interessen der Versicherten und Patienten orientiert ist. Diese Ausrichtung muss das bei weitem wichtigste Kernelement einer Reform sein: den Interessen der Mehrheit der Versicherten und Patienten dienen und nicht Partikularinteressen von einzelnen Branchen und Berufsgruppen. Beides gleichzeitig funktioniert nicht.

  • 1 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2004/05, Bundestags-Drucksache 15/4300 vom 18.11.2004, Ziffer 34.
  • 2 Ebenda, Ziffer 492.
  • 3 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Berlin, 26.10.2009, S. 86.
  • 4 Einer aktuellen Umfrage zufolge haben fast 30% aller Privatversicherten und sogar fast 50% der privatversicherten Rentner im Verlauf der vergangenen zwei Jahre einen Tarifwechsel (Leistungsreduktion oder erhöhte Selbstbeteiligung) mit dem Ziel einer Beitragsminderung vollzogen. Vgl. K. Zok: GKV/PKV im Vergleich – die Wahrnehmung der Versicherten, in: WIdOmonitor, Ausgabe 2/2012, S. 4 f., http://www.wido.de/wido_monitor_2_2012.html.
  • 5 Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Harald Weinberg et al. und der Fraktion DIE LINKE, betreffend „Nichtzahler-Tarif in der privaten Krankenversicherung“, Bundestags-Drucksache 17/8757 vom 15.3.2012, S. 7.
  • 6 69. Deutscher Juristentag München 2012: Thesen der Gutachter und Referenten, S. 28,http://www.djt.de/ -> Thesen69.djt.
  • 7 Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport (der Niederlande): Das neue Gesundheitssystem in den Niederlanden. Tragfähigkeit, Solidarität, Entscheidung, Qualität, Effizienz, Den Haag 2006, S. 7.

Legale und illegale Wege zu einer Bürgerversicherung

Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, das wir in Deutschland praktizieren, ist in der Welt ohne Vorbild und nicht durch irgendein bewusstes Gestaltungsprinzip, sondern nur durch historische Zufälle erklärbar. Besonders skurril ist die Aufteilung der Personenkreise, für die das eine oder das andere System zuständig sind, etwa die Tatsache, dass ausgerechnet die beamteten Staatsdiener der Privaten Krankenversicherung (PKV) angehören müssen, oder die Wahlmöglichkeit für die ohnehin Privilegierten der Gesellschaft, die gut verdienenden Angestellten.

Im Bundestagswahlkampf 2013 wird daher das Thema „Bürgerversicherung“ von den derzeitigen Oppositionsparteien wieder als Trumpfkarte ausgespielt werden. Diese könnte stechen, denn die Mehrheit der Bevölkerung sieht es nicht ein, dass in Deutschland im 21. Jahrhundert immer noch eine Zwei-Klassen-Medizin praktiziert wird. Auch von Ökonomen und sogar aus der Privaten Krankenversicherung selbst wird das Geschäftsmodell der PKV in jüngster Zeit immer häufiger kritisiert.

In diesem Beitrag werden zunächst die Vor- und Nachteile einer Reform der Aufteilung zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und PKV rekapituliert. Anschließend wird die Frage beantwortet: Wenn in der Basisversorgung eine Bürgerversicherung angestrebt wird, wie lässt sich der Übergang auf legale Weise bewerkstelligen? Die Antwort stellt die festgefahrenen politischen Positionen in Deutschland auf den Kopf, denn sie lautet: am besten durch Einführung einer Kopfpauschale in der GKV.

Was spricht für, was gegen eine Bürgerversicherung?

Unter dem Begriff „Bürgerversicherung“ wird im Folgenden verstanden, dass die gesamte Wohnbevölkerung in die Versicherungspflicht in der GKV, deren Leistungskatalog die Basisversorgung abdeckt, einbezogen wird. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, wie die Beiträge zur GKV erhoben werden. In einem solchen System könnte die Aufgabe, Zusatzversicherungen für Leistungen, die über die Basisversorgung hinausgehen, anzubieten, privaten Versicherungsunternehmen übertragen werden, wie es heute schon – nicht nur in Deutschland – der Fall ist.

Argumente pro Bürgerversicherung

Für die Mitgliedschaftspflicht in der GKV der Gesamtbevölkerung spricht zunächst einmal der Grundsatz, dass staatlicher Zwang in einer freiheitlichen Gesellschaft nur durch die damit angestrebten Ziele gerechtfertigt werden kann. Von den in der Literatur diskutierten Zielen einer Krankenversicherungspflicht,

  1. Effizienzgewinne bei asymmetrischer Information auf Versicherungsmärkten,
  2. Schutzbedürftigkeit von Geringverdienern,
  3. Herstellung von Chancengleichheit im Hinblick auf Krankheitslasten,

kann jedoch nur das dritte wirklich überzeugen:

  • Ad 1. Die Relevanz asymmetrischer Information für das Risiko der Krankheitskosten ist gering, da private Versicherungsunternehmen sehr wohl in der Lage sind, durch Gesundheitsprüfungen Risikounterschiede zwischen den potentiellen Kunden festzustellen und dies auch in Prämienzuschlägen zu berücksichtigen.
  • Ad 2. Das Argument der Schutzbedürftigkeit wird in der sozialrechtlichen Debatte in Deutschland verwendet, um die Existenz einer Versicherungspflichtgrenze bezüglich des (Arbeits-)Einkommens zu rechtfertigen. Um verstehen zu können, dass der Staat Mitglieder einer Personengruppe schützt, indem er sie zu einer bestimmten Handlung zwingt, die sie freiwillig nicht vornehmen würden, muss man sich vergegenwärtigen, dass die GKV bei ihrer Gründung vor fast 130 Jahren noch weitgehend dem Äquivalenzprinzip gehorchte und mehr als 50% ihrer Ausgaben auf das Krankengeld entfielen.1 Ihre Hauptfunktion bestand daher darin, abhängig Beschäftigten einen Einkommensausfall durch Krankheit zumindest partiell zu ersetzen. Besser Verdienende wurden vom Zwang ausgenommen, weil ihnen der Staat zutraute, durch Ersparnis für die Wechselfälle des Lebens vorzusorgen.

Heute ist diese Begründung für die Pflichtmitgliedschaft in der GKV obsolet: Da das Krankengeld nur noch ca. 5% der Gesamtausgaben der GKV ausmacht, ist das Äquivalenzprinzip dem Solidarprinzip gewichen, nach dem die niedrigen Risiken und die besser Verdienenden die Krankenbehandlung der hohen Risiken und der Einkommensschwachen mitfinanzieren. Soweit man dies weiterhin als Schutz der zuletzt genannten Gruppen interpretiert, stellt sich sofort die Frage, wie man diesen gewährleisten kann, wenn die vermeintlich Schutzbedürftigen sich nur gegenseitig schützen, weil viele derjenigen, die den Schutz bieten könnten, nicht zur Mitgliedschaft gezwungen werden.

  • Ad 3. Bereits bei der Geburt sind Unterschiede zwischen den Menschen bezüglich des Krankheitsrisikos erkennbar, und mit den Fortschritten der genetischen Diagnostik und der Verbreitung solcher Tests im pränatalen Bereich wird die Messbarkeit individueller Risiken noch weiter präzisiert werden. In der privaten Versicherung schlagen sich diese Unterschiede im Risiko in den Prämien für eine Krankheitskostenversicherung nieder, d.h. diejenigen, die von der Natur ohnehin schon mit dem geringeren „Gesundheitskapital“ ausgestattet worden sind, müssen auch noch einen größeren Geldbetrag für einen ansonsten identischen Versicherungsschutz zahlen.

Zur Nivellierung dieser Ungleichheit in den Startchancen gibt es in einer Welt mit Krankenversicherungswettbewerb im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: zum einen könnten Unterschiede in den Krankenversicherungsprämien, die sich in einem marktwirtschaftlichen Versicherungssystem mit Risikotarifierung ergeben, im Steuer- und Transfersystem ausgeglichen werden.2 Ein Ausgleich der tatsächlichen Prämiendifferenzen wäre allerdings ein sehr unvollkommenes Instrument, da ja Risikounterschiede nur einer von mehreren Gründen für Prämiendifferenzen sind. Andere sind der (quantitative und qualitative) Umfang des Leistungspakets und die Effizienz des Versicherungsanbieters. Zudem bestehen erhebliche Datenschutz- und Kontrollprobleme, will man Gesundheitsinformationen als Grundlage für den Risikoausgleich verwenden.

Die andere Möglichkeit des Risikoausgleichs besteht in der Verpflichtung aller Bürger, eine Krankenversicherung mit einem bestimmten Mindest-Leistungsumfang abzuschließen – verbunden mit einem Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot für die Träger der Versicherung. Der Kontrahierungszwang verhindert, dass hohe Risiken vom Vertragsabschluss ausgeschlossen werden, und das Diskriminierungsverbot verhindert eine Differenzierung der Prämien nach dem individuellen Risiko. Um Risikoselektion unattraktiv zu machen, wird die Regulierung der Versicherungsunternehmen durch einen Risikostrukturausgleich flankiert. Dies entspricht im Wesentlichen der deutschen Lösung – mit dem Unterschied, dass Selbständige und gut verdienende Angestellte die Wahl zwischen der Mitgliedschaft in der GKV und der privaten Absicherung haben. Dadurch verliert aber der bezweckte Solidarausgleich seinen Sinn, wenn gerade die Leistungsfähigsten ihre Entscheidung zur Mitgliedschaft daran knüpfen können, ob sie (als hohe Risiken) vom Solidarausgleich profitieren oder nicht.

Zusammenfassend bleibt von den drei genannten Gründen nur der dritte, der Ex-ante-Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Krankheitsrisiken, als triftige Begründung für die Existenz einer sozialen Krankenversicherung mit Mitgliedschaftspflicht bestehen. Das Umverteilungsziel kann die Pflichtmitgliedschaft jedoch dann nicht legitimieren, wenn diese auf einen Teil der Bevölkerung beschränkt ist, der durch seine Stellung im Berufsleben (unselbständig Beschäftigte) oder durch sein Einkommen definiert ist, da eine solche Begrenzung weder aus Gerechtigkeitsgründen einleuchtet noch die Effizienz fördert: Sie verzerrt die Anreize bei der Wahl der Arbeitsorganisation durch die Ungleichbehandlung von Selbständigen und Angestellten. Vielmehr ist die Umverteilung nur dann legitim, wenn sie durch Ausdehnung der Mitgliedschaftspflicht auf die gesamte Wohnbevölkerung universellen Charakter hat, wie es etwa in der Schweiz der Fall ist.

Auch in der medizinischen Versorgung selbst ist das gegenwärtige Nebeneinander von GKV und PKV defizitär: Wegen der unterschiedlichen Honorierung ambulanter ärztlicher Leistungen kommt es hier zu einer erheblichen Quersubventionierung mit einer Reihe negativer Folgen: Zum einen hängt der wirtschaftliche Erfolg einer Arztpraxis weniger von der Qualität der erbrachten Leistungen ab als vom Anteil Privatversicherter im Einzugsbereich. Zum anderen betreiben viele Ärzte eine ausgeprägte Überversorgung ihrer privat versicherten Patienten, weil es im PKV-System keine Mengenbegrenzung gibt, während die Einnahmen aus der Kassenarztpraxis weitestgehend pauschaliert sind. Schließlich entsteht bei den Patienten der Eindruck einer Zwei-Klassen-Medizin, weil viele Ärzte bei der Terminvergabe Privatversicherte bevorzugen.3 Dies kann durchaus bei manchen Krankheiten auch medizinische Konsequenzen haben.

Ein Argument contra Bürgerversicherung: Nachhaltigkeit

Angesichts der in den nächsten Jahrzehnten bevorstehenden dramatischen demographischen Alterung wird es vielfach nicht für sinnvoll angesehen, durch Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die GKV das Ausmaß der Kapitaldeckung im Gesundheitswesen zu reduzieren.4 Denn immerhin haben die PKV-Unternehmen Alterungsrückstellungen in dreistelliger Milliardenhöhe gebildet, deren Auflösung in der Zukunft einen wesentlichen Beitrag dazu leisten könnten, die demographische Last zu tragen. Allerdings weist auch dieses System Schwächen auf, die mit der Regulierung der Alterungsrückstellungen einhergehen:

1. In die Alterungsrückstellungen dürfen nur diejenigen Ausgabensteigerungen einkalkuliert werden, die mit dem Anstieg der Gesundheitsausgaben mit dem Lebensalter bei konstanter Medizintechnik einhergehen. Der beobachtbare Ausgabenzuwachs auf Grund des medizinischen Fortschritts führt dagegen trotz Kapitalbildung zu laufenden Prämienerhöhungen.

2. Ferner bestimmt § 12 a, Abs. 3 Versicherungsaufsichtsgesetz, dass die PKV-Unternehmen die Tarife der über 65-jährigen Versicherten in erheblichem Umfang aus den Überzinsen auf das Sparkapital aus den Prämienzahlungen der Jüngeren subventionieren müssen. Damit muss auch die PKV einen intergenerativen Transfer organisieren und ist damit – wenn auch in geringerem Maße als die GKV – durch den demographischen Wandel negativ betroffen.

3. Auch nach der Reform von 2009 entspricht die Übertragung der Alterungsrückstellungen an den neuen Versicherer bei Anbieterwechsel nicht dem versicherungsmathematisch richtigen Betrag (nämlich der individuell-prospektiven Höhe), so dass der Wettbewerb um Bestandskunden weiterhin behindert ist.

4. Schließlich ist nicht einmal der Wettbewerb um Neukunden fair, da sich Versicherungsunternehmen nicht zu einer bestimmten Höhe der Alterungsrückstellungen verpflichten und somit die Prämienhöhe ihren Charakter als Signal für Effizienz verliert, denn eine niedrige Prämie kann neben hoher Effizienz auch noch eine knappe Kalkulation der Alterungsrückstellungen und damit hohe Prämiensteigerungen in der Zukunft bedeuten.

Daher lohnt es sich zu fragen, ob die Kapitalbildung innerhalb des Finanzierungssystems für Gesundheitsleistungen wirklich der Nachhaltigkeit dient bzw. ob es gleichwertige Alternativen zu ihr gibt.

Die Ziele, die üblicherweise als Argumente für die Kapitaldeckung angeführt werden (vor allem die Entlastung der zahlenmäßig schwächeren zukünftigen Generationen) können durchaus auch im Umlageverfahren erreicht werden vorausgesetzt, das Ausmaß der intergenerativen Transfers wird nicht über den Status quo hinaus erhöht. Dazu müssten für einen Übergangszeitraum in der GKV altersdifferenzierte Beiträge erhoben werden.5 Wenn jedoch die Beiträge zur Krankenversicherung mit dem Lebensalter zunehmen, so ist es notwendig, dass der einzelne Versicherte in jüngeren Jahren Ersparnisse bildet, um später seinen sonstigen Konsum nicht drastisch absenken zu müssen. Möglicherweise ist es dazu erforderlich, dass der Staat eine Art von Zwangssparen einführt (ein „Riester-Obligatorium“), wobei die daraus resultierenden Leistungen in Folge der Versicherungspflicht teilweise zweckgebunden wären.

Wie erreicht man eine Bürgerversicherung?

Akzeptiert man die Prämisse, dass die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die GKV anzustreben ist, so stellen sich bei einer Realisierung eine Reihe von Fragen: Soll diese Regelung nur für Neuversicherte gelten oder auch für diejenigen, die heute in der PKV versichert sind? Und wie sind die rechtlichen Ansprüche der privaten Versicherungsunternehmen zu bewerten, ihr Geschäft weiterhin betreiben zu dürfen?

Der illegale Weg: Bürgerversicherung qua Gesetz

Würde der Gesetzgeber von einem bestimmten Stichtag an die Mitgliedschaftspflicht in der GKV auf alle Personen ausdehnen, die ins Erwerbsleben eintreten, im Übrigen aber jedem bereits privat Versicherten die lebenslange Befreiung von der Mitgliedschaft in der GKV einräumen, so würde es noch fast ein Menschenleben dauern, bis der angestrebte Zustand der GKV-Mitgliedschaft der gesamten Wohnbevölkerung erreicht wäre. Dies dürfte von vielen Anhängern der Bürgerversicherung nicht als der wünschenswerte Übergangsprozess angesehen werden.

Zudem stellt sich die Frage, ob ein entsprechendes Gesetz überhaupt verfassungskonform wäre. So argumentieren die Unternehmen der PKV, dass eine Einbeziehung weiterer oder sogar aller Bevölkerungsgruppen in die GKV gegen Art. 12 GG (Freiheit der Berufsausübung) verstieße, da sie damit der Möglichkeiten, wirtschaftlich tätig zu sein, beraubt würden. Diesem Einwand könnte der Gesetzgeber im Prinzip dadurch begegnen, dass er umgekehrt den Markt der GKV für privatwirtschaftliche Versicherungsunternehmen öffnete – natürlich zu den Bedingungen der GKV in puncto Leistungskatalog, Beitragserhebung und Risikostrukturausgleich. Es ist allerdings fraglich, ob die PKV-Unternehmen sich auf dieses „Kompensationsgeschäft“ einließen, da sie im Vertragsgeschäft mit den Leistungsanbietern unerfahren sind und daher im Wettbewerb unterzugehen drohen.

Der legale Weg: Bürgerversicherung durch Kopfpauschale

Es gibt jedoch einen zweiten, eleganteren und zweifellos verfassungskonformen Weg, eine Bürgerversicherung in Deutschland zu erreichen, und das wäre – SPD und Grüne hören das ungern – die Umstellung der Arbeitnehmerbeiträge in der GKV auf kassenspezifische Kopfpauschalen. Damit verbunden wäre eine Verlagerung der heute noch praktizierten Umverteilung von (Arbeits-)Einkommen aus der GKV ins Steuer- und Transfersystem, etwa durch die folgende Anpassung des Einkommensteuertarifs, die sicherstellt, dass kein GKV-Versicherter durch den Übergang schlechter gestellt wird:

  • Anhebung der Grundsicherung um den minimalen Kassenbeitrag,6
  • Einführung eines Steuerkredits in Höhe des minimalen Kassenbeitrags pro Erwachsenen (wenn dieser die Steuerpflicht übersteigt, wird die Differenz vom Finanzamt an den Haushalt ausgezahlt),
  • Anhebung des Grenzsteuersatzes bis zur alten Beitragsbemessungsgrenze um den derzeitigen Arbeitnehmerbeitrag (8,2%) abzüglich des Steuervorteils darauf,
  • Glättung des Steuertarifs oberhalb dieses Einkommens.

Über die Vorteile einer solchen, nicht mehr am Arbeitseinkommen anknüpfenden Beitragserhebung ist anderswo genügend gesagt worden.7 In diesem Zusammenhang sind vor allem die Anreize eines Wechsels von Besserverdienenden in die PKV relevant, und die würden nachhaltig geschwächt. Denn sie müssten nun nicht mehr den Beitragssatz auf die Beitragsbemessungsgrenze zahlen, was derzeit ca. 313 Euro im Monat ausmacht, sondern nur noch die kasseneinheitliche Arbeitnehmer-Kopfpauschale von ca. 120 bis 130 Euro. Hinzu kommt – wie bisher schon – die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern.

Mithin würde das Neugeschäft der PKV drastisch einbrechen, ohne dass diese den Gesetzgeber einer Verfassungswidrigkeit beschuldigen könnte. Viele private Versicherungsunternehmen würden daraufhin versuchen, sich aus dem Geschäft der Krankenversicherung zurückzuziehen. Auch ein solcher „leiser“ Übergang zur Bürgerversicherung würde eine Reihe von Fragen aufwerfen, etwa, was mit den Alterungsrückstellungen zu geschehen hat, wenn ein PKV-Unternehmen seine Krankenversicherungssparte schließt oder Versicherte massenhaft in die GKV übertreten. Diese Probleme sollten aber lösbar sein.

  • 1 Vgl. etwa J. Frerich, M. Frey: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 1, München 1996, S. 102.
  • 2 Vgl. M. V. Pauly, P. Danzon, P. Feldstein, J. Hoff: Responsible National Health Insurance, Washington DC 1992.
  • 3 Vgl. K. Roll, T. Stargardt, J. Schreyögg: Effect of type of insurance and income on waiting time for outpatient care, in: The Geneva Papers on Risk and Insurance, im Erscheinen.
  • 4 Vgl. etwa Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2002/03, Tz. 515.
  • 5 Vgl. dazu S. Felder, M. Kifmann: Kurz- und langfristige Folgen einer Bürgerversicherung, in: D. Cassel (Hrsg.): Wettbewerb und Regulierung im Gesundheitswesen, Gesundheitsökonomische Beiträge, Nr. 44, Baden-Baden 2004, S. 9-32.
  • 6 Der Arbeitgeberanteil würde nach wie vor vom Träger der Grundsicherung übernommen.
  • 7 Vgl. F. Breyer, W. Franz, S. Homburg, R. Schnabel, E. Wille: Reform der Sozialen Sicherung, Berlin u.a.O. 2004, Kapitel 5; F. Breyer: Die „Kopfpauschale“ – Bürgerversicherung durch die Hintertür?, in: Die Krankenversicherung, 2010, S. 276-279.

Reformvorschläge für ein einheitliches Versicherungssystem

In diesem Beitrag wird zunächst eine kurze Bestandsaufnahme zum gegenwärtigen Systemwettbewerb zwischen gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV) vorgenommen. Anschließend werden Bewertungskriterien einer Neuordnung des Krankenversicherungsmarktes entwickelt und Reformvorschläge unter dieser Perspektive diskutiert. Der Beitrag schließt mit der Darlegung des eigenen Reformvorschlags.

Ambivalente Befunde zum Systemwettbewerb

Freiwillig gesetzlich Krankenversicherte können zur PKV wechseln. Dadurch ist ein Systemwettbewerb zwischen den beiden Versicherungssystemen entstanden, der kontrovers bewertet wird. Einerseits werden ihm Vorteile zugeschrieben: Jede Versicherungsart könne von der jeweilig anderen lernen, welche Instrumente funktionieren, welche nicht. Außerdem würde der Systemwettbewerb Innovationen sichern. Zudem habe die Politik vor dem Hintergrund des Systemwettbewerbs auf eine stärkere Rationierung in der GKV bislang verzichtet, was den im internationalen Vergleich üppigen GKV-Leistungskatalog teilweise erkläre.

Andererseits sind aus gesellschaftlicher Perspektive die distributiven und fiskalischen Wirkungen des Systemwettbewerbs aufgrund der unterschiedlichen Kalkulationssysteme eher negativ zu bewerten: Tendenziell entscheiden sich diejenigen freiwillig Versicherten für den Wechsel zur PKV, die für die GKV „attraktive Risiken“ wären (nämlich: gesund, jung, nicht familienversichert), während es für diejenigen, die für die GKV weniger attraktiv sind (nämlich: erkrankt, älter, mit Familienversicherten), eine deutlich höhere Verbleibewahrscheinlichkeit in der GKV gibt. Aus der Ausübung der Wahlentscheidungen resultieren daher verteilungspolitische Inkonsistenzen.

Dagegen werden die höheren Leistungsentgelte der PKV-Versicherten ins Feld geführt. So zahlen Privatpatienten beim Arzt mehr als das Doppelte der GKV-Vergütung für die gleichen Leistungen. Bisweilen wird argumentiert, dass die höheren Entgelte der PKV die Leistungen zum Teil überhaupt erst möglich machen, weil nur so Investitionen in Geräte vorgenommen werden können. Dem steht die bevorzugte Behandlung der Privatpatienten entgegen – dass die Terminvergabe der Ärzte zwischen gesetzlich und privat Versicherten differenziert, weiß inzwischen der Volksmund und ist auch experimentell belegt. Andererseits wird festgestellt, dass die PKV von der Steuerung der Gesundheitsversorgung durch die GKV profitiert. Als jüngstes Beispiel können die Regelungen der Arzneimittelmarktreform von 2010 (das sogenannte AMNOG) genannt werden; danach werden Rabatte, die der Krankenkassenspitzenverband gegenüber den Herstellern neuer Arzneimittel heraushandelt, unmittelbar auf die PKV übertragen.

Insgesamt lässt sich somit konstatieren, dass es Argumente sowohl für als auch gegen den Systemwettbewerb gibt. Die Welt ist – mit anderen Worten – nicht schwarz oder weiß. Aus unserer Sicht überwiegen die verteilungspolitischen Defizite des Status quo.

Beurteilungskriterien für eine Reform

Bei einer Beurteilung von Status quo und möglichen Veränderungen sind insbesondere folgende Aspekte relevant:

  • Finanzielle Ergiebigkeit und Nachhaltigkeit: Die GKV leidet unter einer systematischen Einnahmeschwäche. Die Einnahmebasis muss bei einer Reform stabilisiert werden. Es ist zugleich zu fragen, inwieweit die Reform einen Beitrag zur Verbesserung der Generationen-Gerechtigkeit und zur Demographie-Festigkeit leisten könnte.
  • Arbeitsmarktwirkungen: Eine Reform sollte sowohl bei der Arbeitsnachfrage (Lohnnebenkosten) als auch beim Arbeitsangebot (Abgabenbelastung der privaten Haushalte) positive Wirkungen zeitigen, zumindest aber keine zusätzlichen Belastungen bringen. Dabei darf der überhaupt erwartbare Effekt auf den Arbeitsmarkt allerdings nicht überschätzt werden.
  • Verteilungsgerechtigkeit: Das deutsche Krankenversicherungssystem weist bisher durchaus verteilungspolitische Inkonsistenzen auf – und zwar nicht nur (wie oben beschrieben) an der Schnittstelle von GKV und PKV, sondern auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Neben der Ausgestaltung ist die Verlässlichkeit verteilungspolitischer Arrangements zu thematisieren.
  • Verbesserte Allokation von Mitteln durch funktionellen Wettbewerb im Krankenversicherungssystem: Wie oben beschrieben, weist der heutige Systemwettbewerb zwischen GKV und PKV Dysfunktionalitäten auf und entfaltet deshalb nicht seine vollen allokativen Funktionen. Es muss daher bei den vorliegenden Reformvorschlägen betrachtet werden, ob durch die Reform eine größere Funktionalität des Wettbewerbs (auch innerhalb von GKV und PKV) erreicht werden könnte.

Modelle für ein einheitliches Versicherungssystem

In den vergangenen zehn Jahren sind verschiedene Modelle eines einheitlichen Versicherungssystems entwickelt worden. Drei dieser Modelle sollen zunächst jeweils kurz beschrieben und dann ganz knapp hinsichtlich ihrer Effekte untersucht werden.

Bürgerversicherung

Zu den zentralen Elementen der Bürgerversicherung, wie sie unter anderem von der SPD, Bündnis 90/Grüne und DGB favorisiert wird, gehören:1

  • Versicherungspflicht für alle Bürger,
  • wahlweise Versicherung in GKV oder PKV mit Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot für die Versicherer,
  • einkommensabhängige Beiträge,
  • Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlagen,
  • Umlageverfahren,
  • Risikostrukturausgleich,
  • Erhalt eines dynamischen Arbeitgeberbeitrags,
  • Erhalt der Trägervielfalt,
  • Vertragswettbewerb.

Der Einbezug der heutigen PKV-Versicherten und die Verbreiterung der beitragspflichtigen Einnahmen würden der Erosion der Einnahmebasis der GKV entgegenwirken und in begrenztem Umfang einen ceteris paribus dauerhaft niedrigeren Beitragssatz ermöglichen. Es fände nur in geringem Umfang eine Abkopplung von der Konjunktur statt. Der – aufgrund des Auslaufens einer im Kapitaldeckungsverfahren betriebenen PKV-Vollversicherung längerfristig implizit bewirkte – Abbau des Kapitaldeckungselements im deutschen Krankenversicherungssystem kann mit Blick auf Generationengerechtigkeit und Demographie-Resistenz als nachteilig bewertet werden; die in der PKV gegebene Abhängigkeit der Finanzierung von den Kapitalmärkten würde jedoch reduziert.

Die Veränderungen bei der Arbeitsnachfrage der Unternehmen dürften je nach Branche und Betrieb unterschiedlich ausfallen. Durch den Beibehalt der paritätischen Finanzierung kommt es bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern durch den sinkenden Beitragssatz kurzfristig zu einer sinkenden Grenzabgabenbelastung. Da aber Beitragssatzsteigerungen aufgrund der demographischen Entwicklung zu erwarten wären, würden die Kosten der Arbeitgeber und die „disincentives to work“ der Arbeitnehmer mittelfristig in dynamischer Perspektive nicht tatsächlich abnehmen.

Die vertikale und die horizontale Verteilungsgerechtigkeit wird verbessert, weil die PKV-Versicherten einbezogen werden, bei der Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlagen hängt der Effekt von der Detailausgestaltung ab. Vielfach wird in verteilungspolitischer Hinsicht die Erwartung ausgesprochen, durch den Einbezug der PKV-Versicherten könnte eine „Zwei-Klassen-Medizin“ beseitigt werden. Dies erscheint insgesamt etwas verkürzt, da Personen, die bereit sind, sich eine umfangreichere Gesundheitsversorgung zu kaufen, in freiheitlichen Gesellschaften daran nicht gehindert werden können.2 Richtig ist aber, dass die Option für die berechtigten Personenkreise, eine bevorzugte Behandlung bei zugleich häufig im Vergleich zur GKV niedrigeren Beiträgen zu erhalten, wegfiele.

Die Bürgerversicherung muss nicht zwangsläufig eine „Einheitsversicherung“ sein. Wie ausgeführt, gehen die Modelle davon aus, dass auch private Krankenversicherer als Versicherungsträger auftreten dürfen. Bietet eine Mehrzahl der PKV-Unternehmen und zugleich die Krankenkassen Versicherungsschutz in diesem Modell an, könnte ein Wettbewerb also durchaus auch in einem solchen System gelingen und eventuell sogar intensiver, in jedem Falle weniger verzerrt, als heute sein.

Bürgerprivatversicherung

Zu den zentralen Elementen einer Bürgerprivatversicherung, wie sie unter anderem von Johann Eekhoff oder in einem Entschließungsantrag der FDP 2009 beschrieben wurde,3 gehören:

  • Pflicht zur Versicherung für alle Bürger,
  • Versicherung in einer PKV, Umwandlung der bisher bestehenden gesetzlichen Krankenkassen in privatrechtliche Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG),
  • Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot für die Versicherer,
  • einkommensunabhängige Pauschalbeiträge,
  • Kapitaldeckungsverfahren mit Portabilität der Alterungsrückstellungen,
  • Abschaffung des Arbeitgeberbeitrags an die Krankenkassen und (steuerpflichtige) Auszahlung an die Arbeitnehmer,
  • Vertragswettbewerb der PKV-Unternehmen,
  • Sozialausgleich für Geringverdiener über Steuern.

Hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ergiebigkeit der Finanzierung ist festzustellen, dass die Umstellung auf Pauschalprämien der Erosion der Einnahmen in der GKV entgegenwirken würde. Es fände eine Abkopplung von der konjunkturellen Entwicklung statt. Die Ausweitung des Kapitaldeckungselements würde die Demographie-Resistenz der Finanzierung und auch die Gerechtigkeit zwischen den Generationen verbessern, allerdings stärker an Unwägbarkeiten auf den Kapitalmärkten anbinden.

Auf dem Arbeitsmarkt würde die Abschaffung und Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags in dynamischer Hinsicht die Lohn-(zusatz-)kosten entlasten. Bei den privaten Haushalten würde die Umstellung auf eine pauschale Prämie die „disincentives to work“ der heutigen Beitragssätze beseitigen. Allerdings würden bei Empfängern der notwendigen sozialen Ausgleichszahlungen neue „disincentives to work“ entstehen. Die Herausnahme des Arbeitgebers aus der Finanzierungsmitverantwortung für die Gesundheitskosten führt zu einem sinkenden Interesse der Politik an einer Ausgabendämpfung im Gesundheitswesen – ein Umstand, der ambivalent beurteilt werden kann.

Wie der Bürgerversicherungsvorschlag würde auch die Bürgerprivatversicherung die verteilungspolitischen Defizite der heutigen Wahlmöglichkeiten zwischen GKV und PKV für freiwillig Versicherte beseitigen. Auch innerhalb der Gruppe der GKV-Versicherten gälte, dass ein Modell, in dem die Einkommensumverteilung aus der GKV herausgenommen und in das Steuersystem verlagert wird, theoretisch dem GKV-immanenten Sozialausgleich überlegen wäre. Allerdings stellt sich die Frage nach der Stabilität eines Sozialausgleichs über Steuern im Vergleich zum heutigen Modell mit einkommensabhängigen Beiträgen. Je weniger verlässlich der Sozialausgleich wäre, umso mehr blieben Umverteilungen zuungunsten der Geringverdiener gegenüber dem Status quo übrig. Die Ausweitung der Kapitaldeckung würde einen Beitrag zur intergenerativen Gerechtigkeit leisten. Allerdings wäre die „Einführungsgeneration“ unter Umständen doppelt belastet – und die Risiken der Kapitaldeckung, die die Finanzmarktkrise deutlich gemacht hat, müssten in Kauf genommen werden.

Die bei der Bürgerprivatversicherung vorgesehene einheitliche Rechtsform für alle Versicherer würde den Wettbewerb fördern. Auch zwischen den heutigen PKV-Unternehmen würde der Wettbewerb wegen der vorgesehenen portablen Alterungsrückstellungen an Intensität gewinnen. Auch könnte – je nach Ausgestaltung des Reformvorschlags insbesondere bezüglich der Mitgabe der Alterungsrückstellungen – der Anreiz, gute Präventionsarbeit zu leisten, für die Krankenversicherer höher sein als im Status quo.

Einige Modelle der Bürgerprivatversicherung wollen auf einen einperiodigen Risikostrukturausgleich zwischen den Versicherungen verzichten und die portablen Alterungsrückstellungen entsprechend adjustieren. Wir bezweifeln, dass der damit implizite lebenslange Risikostrukturausgleich funktioniert und befürchten, dass in diesen Modellen im Ergebnis erhebliche Anreize zur Risikoselektion für Versicherer verbleiben, was die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beeinträchtigen würde.

Pauschalprämienmodell in GKV und PKV

Unter anderem das Modell des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht ein Krankenversicherungssystem vor, in dem zwar GKV und PKV weiter existieren, aber beide anstelle der heutigen einkommensabhängigen Beiträge künftig Pauschalprämien in einem einheitlichen Krankenversicherungsmodell erheben sollen.4 Zu den wichtigsten Elementen dieses Vorschlags gehören:

  • Pflicht zur Versicherung für alle Bürger,
  • Wahlmöglichkeit zwischen GKV und PKV,
  • Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot für die Versicherer,
  • Einkommens- und risikounabhängige Pauschalbeiträge,
  • Umlageverfahren,
  • ausgabenrisikenbezogener Risikostrukturausgleich,
  • Abschaffung des Arbeitgeberbeitrags an die Krankenkassen und (steuerpflichtige) Auszahlung an die Arbeitnehmer,
  • Vertragswettbewerb der Versicherer,
  • Sozialausgleich über Steuern.

Die Vorteile der Abkopplung der Einnahmen von den Einkommen und von der Konjunktur gelten auch hier bei der Betrachtung der Nachhaltigkeit und Ergiebigkeit der Finanzierung. Im Unterschied zu den Modellen der Bürgerprivatversicherung und in Übereinstimmung mit den Modellen der Bürgerversicherung würde allerdings hier auf einen Übergang zur Kapitaldeckung verzichtet bzw. diese entfiele (nach einer Übergangszeit) für die Vollversicherung auch für den Bereich der heutigen PKV – dies kann (wie oben beschrieben) mit Blick auf die Generationengerechtigkeit und die Demographie-Resistenz negativ und in Bezug auf bestehende Abhängigkeiten der Finanzierung der PKV von den Kapitalmärkten positiv beurteilt werden.

Für die Wirkungen auf Arbeitsangebot und -nachfrage gelten die schon oben für die Bürgerprivatversicherung konstatierten Argumente. Auch zur horizontalen und vertikalen Verteilungsgerechtigkeit gelten die Überlegungen zur Bürgerprivatversicherung analog.

Wenn man die Wirkungen dieses Reformvorschlags auf den Krankenversicherungswettbewerb betrachtet, lässt sich konstatieren, dass die Beseitigung der individuellen Optimierung an der Schnittstelle GKV/PKV die Funktionalität des Wettbewerbs fördern würde. Auch der Wettbewerb zwischen den privaten Krankenversicherern würde im Vergleich zu heute – wo er aufgrund der unzureichenden Ausgestaltung der Portabilität der Alterungsrückstellungen beeinträchtigt ist – verbessert.

Präferenzmodell der Autoren: Niederländisches Modell

In den Niederlanden hat der Gesetzgeber 2006 ein einheitliches Versicherungssystem in der Krankenvollversicherung eingeführt,5 nachdem bis dahin dort ebenfalls ein duales Versicherungssystem bestanden hatte. Es weist nach unserer Auffassung eine Reihe attraktiver Eigenschaften auf: Es besteht eine Pflicht zur Versicherung für alle Bürger und Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot für die Versicherer. Die bisherigen GKVen wurden in Versicherungsvereine umgewandelt und für die Versicherten besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen den bisherigen GKVen und PKVen. Die Finanzierung erfolgt im Umlageverfahren über ein Mischsystem aus einkommensabhängigen Beiträgen und Pauschalbeiträgen – faktisch das deutsche Zusatzbeitragsmodell, wobei die Zusatzbeiträge rund 50% der Ausgaben der Pflichtversicherung finanzieren, der Gesundheitsfonds also nur eine Deckungsquote von 50% aufweist. Für Bezieher niedriger Einkommen gibt es für die Zusatzbeiträge einen Sozialausgleich, wie er auch heute schon in der GKV angelegt ist. Das System ist wettbewerblich ausgestaltet.

Bei einer Übertragung des holländischen Versicherungssystems handelt es sich um eine gut begründbare Weiterentwicklung des gegenwärtigen GKV-Modelles in ein einheitliches Versicherungssystem. Es beseitigt die verteilungspolitischen Defizite der heutigen Dualität und balanciert die Nachteile von einkommensabhängigen Beiträgen und Kopfpauschalen aus. Ausgestaltet ist es als wettbewerbliches System, bei dem die Krankenversicherer über Selektivverträge die Versorgung ihrer Versicherten leisten können. Ein technisch ausgereifter morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich bewirkt, dass die Krankenkassen Versorgungsfragen adressieren, weil chronisch kranke Versicherte nicht per se „schlechte Risiken“ sind.

  • 1 Vgl. Bündnis 90/Die Grünen: Beschluss: Leistungsfähig – solidarisch – modern: Die grüne Bürgerversicherung, 23. ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz, Kiel 2004; DGB: Die solidarische Bürgerversicherung, Berlin 2004; Projektgruppe Bürgerversicherung des SPD-Parteivorstandes: Modell einer solidarischen Bürgerversicherung, Berlin 2004.
  • 2 Davon zu unterscheiden ist, ob es bei einem einheitlichen Versicherungssystem auch zulässig sein sollte, dass der Patient für die gleiche Leistung dem Arzt eine höhere Vergütung zahlt, um damit einen bevorzugten Status zu erhalten.
  • 3 Vgl. J. Eekhoff, V. Bünnagel, S. Kochskämper, K. Menzel: Bürgerprivatversicherung – ein neuer Weg für das Gesundheitswesen, Tübingen 2008; FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag: Antrag: Für ein einfaches, transparentes und leistungsgerechtes Gesundheitswesen, BT-Drucksache 16/11879, Berlin 2009.
  • 4 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland, Wiesbaden 2004.
  • 5 Vgl. S. Greß, M. Manouguian, J. Wasem: Health Insurance Reform in the Netherlands, in: CESifo DICE Report, 5. Jg. (2007), H. 1, S. 63-67.

Auf dem Wege zu Gesundheitsgenossenschaften?

Genossenschaften als neue privatrechtliche Rechtsform sollen an dieser Stelle im Vordergrund stehen und damit die Diskussion über bestimmte Formen der Privatisierung bzw. Entstaatlichung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Zusammenschlüsse von Leistungsanbietern zur Bündelung wirtschaftlicher Interessen auf dem Beschaffungsmarkt (Einkaufsgenossenschaften) gibt es bereits; sie entwickeln sich im Wettbewerb genau wie die Genossenschaften von Leistungsanbietern, z.B. der niedergelassenen Urologen oder Kardiologen.1 Insgesamt gab es 2007 etwa 100 Genossenschaften, die im Gesundheitswesen Deutschlands in der einen oder anderen Form tätig waren.2

Obwohl die eingetragene Genossenschaft und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit in ihrer Tätigkeit kaum Unterschiede aufweisen,3 ist in Deutschland die Genossenschaft als Rechtsform für private und gesetzliche Krankenversicherungen nicht erlaubt (vgl. § 7 I Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG). Die derzeitige Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) kann sich nicht aus sich heraus umgründen, eine Ansicht, die unter Juristen allerdings angesichts des § 1 Abs. 2 VAG umstritten ist. In ersten Ansätzen realisiert ist lediglich, dass eine bestehende GKV mit einer privatrechtlichen Gesellschaft kooperiert, um den zweiten Gesundheitsmarkt zu erschließen. Er umfasst allerdings nur diejenigen gesundheitsbezogenen Leistungen, die in der GKV nicht erstattungsfähig sind und die daher aus den privaten Konsumausgaben aufgebracht werden müssen. Eine Einkaufsgenossenschaft oder eine Genossenschaft als Informationsplattform im zweiten Gesundheitsmarkt ist also grundsätzlich vorstellbar, wenn auch im konkreten Fall die „Gesundheitswelt Direkt“ als GmbH und unabhängig von der Betriebskrankenkasse Deutsche BKK gegründet wurde.4

Auf dem Wege zu Versicherungsgenossenschaften

Wendet man sich der Möglichkeit einer Versicherungsgenossenschaft zu, so sind hier erste Schritte zunächst auf regionaler oder auf kantonaler Ebene vorstellbar und wie z.B. in der Schweiz auch schon umgesetzt.5 Flächendeckend gibt es bisher nur in Japan eine genossenschaftliche Absicherung von Krankheitsrisiken. Das niederländische Gesundheitssystem mit der Privatisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung könnte zum Vorbild für eine Umwandlung der GKV in privatrechtliche Genossenschaften bzw. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit werden mit dem Ziel, die bestehende Dualität von GKV und PKV zu überwinden und durch die Integration beider Märkte den Wettbewerb im Versicherungsmarkt innerhalb eines neues Rahmens zu intensivieren.6

Vor dem Hintergrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wird gelegentlich ein verfassungsrechtlicher Bestandsschutz der GKV angeführt.7 Er sollte im Kontext der Nähe der gesetzlichen Krankenversicherungen zu den genossenschaftlichen Wesenszügen der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung gesehen werden. Ein Bestandschutz würde ein überwiegend aus Pfadabhängigkeiten gewachsenes gesetzliches Krankenversicherungssystem verfestigen, dessen Ursprung in der Bismarck’schen Gesetzgebung aus dem Jahre 1883 liegt und bei dem die Frage gestellt werden kann, ob es in seiner öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung heute noch zweckmäßig ist.

Neben einer juristischen Perspektive ist daher auch ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung der GKV hilfreich. Krankenkassen haben sich aus genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen entwickelt.8 Die ersten Ersatzkassen gab es als freiwillige Hilfskassen bereits vor der Einführung der GKV. Und heute weist die bestehende Knappschaft durchaus genossenschaftliche Züge auf.9

Für die Genossenschaft als neue Form der Krankenversicherung zur Überwindung der Dualität von GKV und PKV spricht, dass die zu Zeiten Bismarcks „zweckrationale Antwort der sozialkonservativen protestantischen Regierung auf die als Bedrohung empfundene zunehmende Politisierung und Organisierung der Arbeiterschaft“10 ein Versuch war, mit der Sozialversicherungsgesetzgebung genossenschaftliche Körperschaften zu konstituieren.

Genossenschaftliche Züge tragen die Körperschaften des öffentlichen Rechts, z.B.

  • durch den gemeinschaftlichen Schutz bei Krankheit der Mitglieder (genossenschaftlicher Förderauftrag),
  • durch das Nicht-Anstreben von Gewinnen (Non-Profit-Organisation) und damit
  • durch Mitgliedsbeiträge als Hilfe zur Selbsthilfe,
  • durch die Eigenverantwortlichkeit bei der Geschäftsführung (Selbstverwaltung),
  • durch das demokratische Element (Sozialwahlen),
  • durch die Identität von Trägern (Mitgliedern) und Leistungsbeziehern,
  • durch das solidarische Element der Einkommensabhängigkeit der Beiträge, der Nicht-Staffelung der Beiträge nach dem individuellen Risiko sowie der kostenlosen Mitversicherung der Angehörigen.11

Die Zwangsmitgliedschaft und das damit verbundene fehlende Freiwilligkeitsprinzip in der GKV hat als (Gegen-)Argument für einen eher genossenschaftsuntypischen Charakter der GKV12 seine Berechtigung verloren. Die heutigen Wechselmöglichkeiten zwischen den einzelnen Krankenkassen und der zunehmende Wettbewerb um bessere Versorgungsformen belegen das eindrucksvoll. Das demokratische Element in der GKV kommt nur noch unzureichend zum Tragen, wenn man bedenkt, dass in der GKV häufig nicht wirklich gewählt wird. Bei den Sozialwahlen ist in der Regel nur eine Vorschlagsliste vorhanden und oft stehen weniger Personen auf den Listen als Mitglieder gewählt werden müssen. Diese sogenannten Friedenswahlen stellen mittlerweile den Normalfall dar.13

Schließlich stehen die gemeinsamen und einheitlichen Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bestimmung des Leistungskataloges, dem alle Versicherten der GKV unterliegen, demokratischen und damit genossenschaftlichen und mithin wettbewerblichen Prinzipien entgegen. Die Versicherten der GKV, die bei Ausschluss einer Therapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht mehr von dieser profitieren können, haben dann keine Wahl mehr, innerhalb der GKV eine Kasse zu suchen, die diese Therapie erstattet, da die Vorgaben gemeinsam und einheitlich für alle Krankenversicherungen der GKV gelten. Sie haben wegen ihrer Zwangsmitgliedschaft keine Möglichkeit, in die PKV zu wechseln.14

Man kann daher annehmen, dass gerade in Bezug auf die Entscheidungen des Gemeinsamem Bundesausschusses und auch des Spitzenverbandes Bund der GKV eine auf privatwirtschaftlicher Basis und damit im wirklichen Wettbewerb stehende genossenschaftliche Krankenversicherung eher an den Präferenzen der Versicherten ausgerichtet würde und die Qualität der Versorgung durch konsequenten Einsatz neuer Versorgungsformen heben könnte. Dem steht nicht entgegen, dass es auch im Falle von Beiträgen an eine Genossenschaft einer Festlegung der Pflichtleistungen in einem weiteren Sinne bedarf, um dem Problem adverser Selektion auf dem Krankenversicherungsmarkt Rechnung zu tragen. Eine staatliche Einrichtung sollte allerdings nicht die Leistungen der Krankenversicherungen deckeln und darüber hinausgehende Leistungen für alle Versicherten ausschließen, sondern nur einen Grundkatalog festlegen, der von allen Krankenversicherungen zu durchaus unterschiedlichen Bedingungen angeboten werden kann und zu dem beliebig Leistungen hinzugefügt werden können, wenn die Nachfrage danach vorhanden ist.15 Allerdings gibt es auch im Status quo (noch) keine detaillierte Liste aller abrechnungsfähigen Einzelleistungen in der human- und zahnmedizinischen Versorgung, wenn man von der Gebührenordnung für Ärzte einmal absieht.

Verknüpfung von Finanzierungs-, Leistungs- und Vergütungsverantwortung in einer Hand

Wenn es um den Ausbau der neuen Formen kooperativer bzw. integrierter Gesundheits- und Krankenversorgung der Bevölkerung geht, ist eine Erweiterung um Versicherungsaufgaben im Status quo einzubeziehen. Zur Absicherung des Krankheitsrisikos gehört auch ein Aufbau von transsektoralen Versorgungsnetzen.

Aus der Abbildung 1 ist für das Beispiel eines Versorgungsnetzes zu erkennen, dass es einer Managementgesellschaft bedarf, die die erkrankten Versicherten besser führt und versorgt als es im Status quo der Fall wäre. Ohne die Einzelheiten dieses Netzwerks mit seinem Nutzen und den Wettbewerbsvorteilen am Markt, die Kompetenz der Netzwerkgründer, des Management-Teams und der Leistungsanbieter zu erörtern wird deutlich, dass unter der Voraussetzung, dass die Ertragsvorschau Überschüsse verspricht, die die Investitionskosten deutlich überschreiten, die zu gründende Managementgesellschaft eine zweckmäßige Rechtsform benötigt, um ihre Ziele zu verwirklichen. Hier konkurrieren dann im Rechtsformvergleich GmbHs, Genossenschaften, Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder Aktiengesellschaften und die Limited miteinander. Es wird sich im Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und den Leistungsanbietern zeigen, welche Rechtsform für welche Verträge zur Integrierten Versorgung von Patientengruppen am zweckmäßigsten ist.

Abbildung 1
Ein Versorgungsnetz der Zukunft
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IV = Integrierte Versorgung.

Quelle: Eigene Darstellung.

Wenn sich eine ganze Region oder auch nur ein großer Stadtteil den Grundgedanken der neuen Versorgungsformen zu eigen macht und den Gedanken einer Pflichtversicherung damit verbindet, ist es vorstellbar, dass eine neu zu gründende Krankenversicherung eine genossenschaftliche Ausrichtung bekommt und damit nicht länger dem Sozialrecht, sondern dem privaten Versicherungs- und Wettbewerbsrecht unterliegt. Ob auch die Umgründung einer schon bestehenden regionalen Krankenkasse in eine Genossenschaft im Rahmen eines Modellversuchs möglich ist, bedarf der juristischen Prüfung. Einfacher dürfte es sein, das Tätigkeitsfeld der bestehenden Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit auszudehnen.

Die Umsetzung dieser Überlegungen ist der Abbildung 2 zu entnehmen. Versicherte, Krankenversicherungen und Leistungsanbieter führen eine regional abgegrenzte Bevölkerung möglicherweise in diesen genossenschaftlichen Strukturen zu einer kostengünstigeren und bedarfsgerechteren Versorgung als es im Status quo der Fall ist. Der zentrale Einkauf und eine Informationsplattform gehören dann sicherlich mit zu den Aufgaben der Genossenschaft, die mehr Gesundheit, eine höhere Lebensqualität sowie eine preisweitere Versorgung auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Die bestehende Knappschaft in der GKV kommt diesem Modell am nächsten, aber auch die ausländischen Erfahrungen mit dem Non-Profit-Unternehmen Kaiser Permanente16 können herangezogen werden und kleinräumiger die Unternehmensgründungen im Zusammenhang mit den neuen Versorgungsformen, z.B. die Integrierte Versorgung in der Qualität und Effizienz eG,17 im Kinzigtal/Schwarzwald18 oder auch das Medizinische Versorgungszentrum Polikum in Berlin.19

Der Abbildung 2 ist die Arbeitsweise einer Gesundheitsgenossenschaft zu entnehmen. Die Erbringung und Abgabe von Krankenversicherungsschutz, Gesundheitsleistungen sowie ihre Vergütung und Finanzierung liegen in einer Hand. Die Leistungsgewähr einer Grundversorgung erfolgt durch staatliche Aufsicht. Die Grundversorgung kann im regulierten Wettbewerb bei unterschiedlicher Leistungserbringung zu unterschiedlichen Preisen erfolgen. Die Gesundheitsgenossenschaften unterliegen dem Privatrecht und dem Wettbewerbsrecht im europäischen Binnenmarkt20 mit seinen regionalen Ausprägungen.

Abbildung 2
Versicherungen als Gesundheitsgenossenschaften
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Quelle: Eigene Darstellung.

Fazit: Gesundheitsgenossenschaften im Gewährleistungsstaat

Durch eine genossenschaftlich organisierte Krankenversicherung könnte die Zukunft des Krankenversicherungsschutzes durch eine Grundsicherung für die gesamte Bevölkerung bei privaten Krankenversicherungsunternehmen gekennzeichnet sein. Dazu gehören neue Versorgungsformen und mehr Wahlmöglichkeiten in einem dauerhaften Ordnungsrahmen mit sozialem Ausgleich und mehr Kapitalbildung. Diese gesetzlich verfügte Grundsicherung wäre dann privatrechtlich organisiert und könnte mit individuellen Zusatzversicherungen eine neue Form von Dualität bilden. Diese Vision umfasst den Staat weder als Leistungserbringer noch als Träger von Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern nur als Gewährleistungsstaat.21 Ob es derzeit bereits zutrifft, dass der Staat im bestehenden Gesundheitswesen mehr Gewährleistungs- als Leistungsstaat ist, bleibt umstritten. Und der Hinweis, dass insoweit mehr Markt im Gewährleistungsprinzip keine Privatisierung der GKV erfordert, zeigt nur, wie stark die Regulierungsdichte im Sozialrecht noch zunehmen muss, um dem Privat- und Wettbewerbsrecht zum Durchbruch zu verhelfen.

Neue Märkte und individuelle Gesundheitsleistungen außerhalb dieser Grundsicherung tragen indirekt zur Finanzierung des ersten Marktes bei. Wellness, Fitness, gesunde Ernährung und Express-Gesundheitspraxen gehören zu den Wachstumsfeldern im zweiten Gesundheitsmarkt, der nicht nur durch sein Wachstum, sondern auch durch das „Mehr“ an Gesundheit zur Finanzierung des ersten Gesundheitsmarktes beiträgt.

Mit einer Gesundheitsgenossenschaft würde der Interventionsspirale der Gesundheitspolitik ein Ende gesetzt und eine Systemhaftigkeit in Form eines gesetzlich verfügten Abschlusses einer privaten Krankenversicherung in der Rechtsform einer Genossenschaft bzw. eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit zurückgewonnen. Eine gesetzlich verfügte und staatlich beaufsichtigte Krankenversicherung in privater Rechtsform könnte die derzeitige Dualität von GKV und PKV überwinden.

Diese Ausführungen zur Qualität und Wirtschaftlichkeit durch genossenschaftliche Kooperationen im Gesundheitswesen gehen zurück auf verschiedene Veröffentlichungen des Verfassers, allein und mit Koautoren, in den Jahren 2002 bis 2008.

  • 1 Siehe K.-D. Henke, W. Friesdorf, I. Marsolek: Genossenschaften als Chance für die Entwicklung der integrierten Versorgung im Gesundheitswesen, 2. Aufl., Neuwied 2005.
  • 2 Vgl. W. George, M. Bonow: Regionales Zukunftsmanagement, Bd. 1: Gesundheitsversorgung, Lengerich 2007; Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV): Genossenschaften – Gesundheitswesen, 2007, http://www.neue-genossenschaften.de/gruendungen/gesundheitswesen/index.html (13.10.2007); K.-D. Henke W. Friesdorf, I. Marsolek, a.a.O.
  • 3 Zum Rechtsformvergleich findet sich in K.-D. Henke: Zur Dualität von GKV und PKV, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 227/5+6, S. 502-528, eine Übersicht, in der drei privatwirtschaftliche Gesellschaftsformen, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Genossenschaft und die Aktiengesellschaft sowie die in der GKV bestehende Körperschaft des öffentlichen Rechts anhand von Kriterien wie z.B. Unternehmenszweck, Gründung, Rechtsfähigkeit, Gesellschafterliste, Kapital oder Gesellschaftsvermögen gegenübergestellt werden.
  • 4 Vgl. http://www-gesundheitswelt-direkt.de; sowie http://www.deutschebkk.de/.
  • 5 Als Beispiel zu nennen ist die genossenschaftliche Krankenversicherung KPT/CPT, die neben der obligatorischen Grundsicherung auch Krankenzusatzversicherungen anbietet (vgl. http://www.kpt.ch/).
  • 6 Vgl. C. Walser: Die Reform der Krankenversicherung in den Niederlanden – ein Modell für Deutschland?, in: Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht, Nr. 9, 2006, S. 333-340.
  • 7 Vgl. ebenda, S. 337.
  • 8 Vgl. T. Klenk: Soziale Selbstverwaltung – ein Modell zur Integration gesellschaftlicher Interessen?, in: Die Ersatzkasse, 86. Jg. (2006), H. 12, S. 464-467, hier S. 464.
  • 9 Vgl. N. Amin: Genossenschaften und genossenschaftsähnliche Selbsthilfeformen im Gesundheitswesen, Regensburg 2001, S. 22.
  • 10 Vgl. ebenda, S. 27.
  • 11 Vgl. ebenda, S. 27-29.
  • 12 Vgl. ebenda, S. 29.
  • 13 Vgl. T. Klenk: Selbstverwaltung – Ein Kernelement demokratischer Sozialstaatlichkeit? Szenarien zur Zukunft der sozialen Selbstverwaltung, in: Zeitschrift für Sozialreform, 52. Jg. (2006), H. 2, S. 274.
  • 14 Die Problematik wird auch am Beispiel der gemeinsamen und für alle Kassen gültigen Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen für innovative Arzneimittel durch den Spitzenverband Bund der GKV deutlich. Vgl. J. Bungenstock: Gesundheitsreform: Mehr Wettbewerb auf dem Markt für Arzneimittel?, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 10, S. 679-686.
  • 15 Siehe hierzu insbesondere P. Zweifel, H. Telser, S. Vaterlaus: Consumer Resistance Against Regulation: The Case of Health Care, Working Paper, Nr. 0505, Universität Zürich, 2005.
  • 16 Vgl. vor allem http://www.kaiserpermanente.org/.
  • 17 Vgl. http://www.que-nuernberg.de.
  • 18 Vgl. http://www.gesundes-kinzigtal.de/.
  • 19 Vgl. http://www.polikum.de/.
  • 20 Die Europäische Union hat die Grundlagen der grenzüberschreitenden Aktivität von Genossenschaften mit der Rechtsform der Europäischen Genossenschaft geschaffen. Vgl. R. Schulze: Europäische Genossenschaft SCE, Baden-Baden 2004.
  • 21 Siehe hierzu im Einzelnen C. F. Gethmann, W. Gerok, H. Helmchen, K.-D. Henke, J. Mittelstraß, E. Schmidt-Aßmann, G. Stock, J. Taupitz, F. Thiele: Gesundheit nach Maß? Eine transdisziplinäre Studie zu den Grundlagen eines dauerhaften Gesundheitssystems, Berlin 2004, S. 244 ff.

Title:Division Between Statutory and Private Health Insurance Obsolete?

Abstract:The present division between statutory and private health insurance in Germany (GKV and PKV) is hard to justify. If it is the goal to include the whole population in the GKV eventually, one author states that the only legal way is to change its financing from wage-based contributions to a per-capita amount, which would generally reduce incentives to join the PKV. Possible reform alternatives for the financing of health insurance are analysed by another article according to the following principal questions: Are they able to raise sufficient funds and allocate them efficiently? How does that affect employment and distributive justice? These questions can be used to benchmark various insurance models, i.e. citizens insurance, citizens private insurance and premium models. Another article focuses on a non-profit private legal framework, e.g. a co-operative or a limited society.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1435-7