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Die Tragikomödie um die Limburger Bischofsresidenz lädt in vielfacher Hinsicht zu ökonomischer Kontemplation ein. In der Betriebswirtschaftslehre könnte man etwa die eskalierenden Baukosten, die dysfunktionalen kirchlichen Aufsichtsmechanismen, die Dissonanz zwischen realem Luxus und erwünschter Armutsanmutung oder die Bewertungsfragen bei Kirchenvermögen gut für Fallstudien in Projektmanagement, Controlling, Corporate Identity und Kameralistik nutzen.

Auch finanzwissenschaftlich Interessierten bietet der Fall Inspiration. Die Wahrnehmung, der Bischofssitz werde zumindest indirekt auch mit Steuergeldern finanziert, hat zu einer Diskussion über die Verflechtungen von Kirche und Staat in Deutschland geführt. Die vermutete Kofinanzierung steht dabei symptomatisch für eine Privilegierung der Kirchen, die in einem weltanschaulich diversifizierten Gemeinwesen zunehmend hinterfragt wird.

Im deutschen Grundgesetz regelt Art. 140 das Verhältnis von Kirchen und Staat durch Verweis auf die Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919. Grundsätzlich herrscht ein Trennungsgebot (Art. 137 (1) WRV). Als Konsequenz „ordnet und verwaltet [jede Religionsgesellschaft] ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" (Art. 137 (3) WRV), also ohne staatliche oder anderweitige Mitwirkung.

Angesichts dieser Autonomie der Kirchen überrascht das Aufflammen der Verflechtungsdebatte zunächst, werden die bischöflichen Bauarbeiten doch alleine aus Kirchensteuern und Mitteln des Bischöflichen Stuhls finanziert. Selbstredend können die Kirchen (wie jeder Verein auch) mit Mitgliedsbeiträgen und eigenem Vermögen frei verfahren – und auch prachtvoll bauen, selbst wenn dies reputationsschädlich und intern umstritten ist. Unzufriedenen Mitgliedern garantiert die negative Religionsfreiheit (Art. 136 WRV, Art. 4 (1) GG) als letzte Konsequenz die Option des Kirchenaustritts – und die in Folge der Skandalisierung der Causa Limburg beobachtbare Zunahme der Austritte belegt, dass dieser Mechanismus greift. Für die von Kirchen angebotenen irdischen Dienstleistungen – soziale Kontakte, Lebensberatung, Spiritualität, Erbauung und Events – scheint es auf dem Markt der Religionen, bei staatlichen Stellen oder im Kultur- und Freizeitsektor der Volkswirtschaft hinreichend Substitute zu geben. Interessenten an außerweltlichen Gütern wägen in einer Pascalschen Wette die bei einem Kirchenaustritt befürchtete Beeinträchtigung ihres postmortalen Wohlbefindens gegen ihr Unbehagen ab, hienieden bischöflichen Luxus mitzufinanzieren. Grund zu wirtschaftspolitischer, außerkirchlicher Sorge besteht bei alledem nicht. Sofern sie dennoch geäußert wird, nimmt sie unterschwellig an, Kirchenaustritte seien „schlimmer“ als Kündigungen anderer Mitgliedschaften, und insinuiert damit eine soziale oder moralische Meritorik der Kirchenzugehörigkeit, für die es keinen Beleg gibt.

Bei näherem Hinsehen gibt der Limburger Bischofssitz aber dennoch Anlass, die Verflechtungen von Kirche und Staat in Deutschland zu überdenken. Das kirchliche Vermögen, aus dem die Baukosten der Residenz finanziert werden, speist sich nämlich keineswegs nur aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und (den Früchten) einer exogenen Anfangsausstattung. Es wurde und wird vielmehr in erheblichem Ausmaß durch staatliche Maßnahmen geschaffen, gemehrt und vor Minderung bewahrt. Als Schöpfungsakt oder Ursünde darf hier Art. 35 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 gelten. Er sollte ursprünglich die Kirchen für den Wegfall ihrer Pfründe im Zuge der Säkularisierung entschädigen, ist aber seither zu einem perpetuellen kirchlichen Rechtsanspruch auf Subsistenzfinanzierung durch den Staat mutiert. Sein Ewigkeits­charakter wird augenfällig in der bald 100-jährigen Missachtung des aus der Weimarer Verfassung (Art. 138 (1) WRV) ins Grundgesetz übernommenen Verfassungsauftrags nach Ablösung eben dieses Systems. Dieser unerledigte Auftrag macht zugleich deutlich, dass – so man die Kirchenfinanzierung ernsthaft reformieren wollte – der Ball im Spielfeld des Staates liegt; dass die Kirchen potenziell selbstschädigend initiativ werden, ist weder individuell rational noch juristisch geboten.

Die direkten Staatsleistungen an die christlichen Kirchen umfassen Gehälter und Pensionen für Amtsträger, Dotationen für Kirchenbehörden, Unterhaltungsleistungen für Bauten sowie Zuschüsse zu Pfarrerbesoldung, Versorgungswerken und Priesterseminaren. Ihr Volumen dürfte bei 460 Mio. Euro p.a. liegen. Komplementiert werden sie durch ein wohl milliardenschweres, letztlich aber nur grob zu schätzendes Bündel geldwerter Vorteile: Vergünstigungen bei Grund-, Kapitalertrag-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, arbeitsrechtliche Sondertatbestände für kirchliche Tendenzbetriebe, staatliche Mitgliederverwaltung und Beitragsinkasso, Missionslizenzen in Schulen, Bundeswehr und Gefängnissen, staatliche Besoldung von Religionslehrern, Teilfinanzierung der Auslandsmission aus der Entwicklungshilfe, kostenlose Sendezeiten in Funk und Fernsehen, überproportionale Repräsentanz in öffentlichen Gremien, Anerkennung der Theologie als Wissenschaft, Finanzierung theologischer Professuren usw.

Unter der Prämisse, Gefälligkeit vor dem christlichen Gott sei Ziel staatlichen Handelns, ist die Begründung kirchlicher Privilegien trivial. Säkular-ökonomische Rechtfertigungen fallen ungleich schwerer. Ihr Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts legt nahe, Kirchen erledigten staatliche Aufgaben – was aber nicht der Fall ist. Für das ökonomische Standardargument zugunsten von Staatseingriffen – dass sie brachliegende Effizienzgewinne oder andere gesellschaftliche Vorteile zu heben helfen – lässt sich bei Kirchenprivilegien kein Ansatzpunkt erkennen. Im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich suggerieren die Kirchen zwar, sie und ihre Wohlfahrtsverbände setzten massiv eigene Mittel ein (sogenannte Caritas-Legende), jedoch werden diese Leistungen ganz überwiegend und wie bei anderen Trägern auch aus Steuern, Beiträgen und Entgelten finanziert. Kulturstaatliche Argumente verfangen ebenso wenig: Für Denkmalschutz, Brauchtumspflege, Kunstförderung etc. gibt es anderweitig staatliche Unterstützung. Nicht einmal das Motiv der Religionsförderung begründet Kirchenprivilegien, sondern bestenfalls die generelle Unterstützung von (allen) Weltanschauungsgemeinschaften.

Paradoxerweise mag es aus religionskritischer Sicht Argumente für Kirchenprivilegien geben, die schon Adam Smith mit Verweis auf David Hume in „The Wealth of Nations“ (Book 5, Ch. 1, Pt. 3, Art. III) anspricht: Staatliche Subventionen sedieren ihre Empfänger, unterwerfen sie einer Aufsicht und erschweren nicht-empfangsberechtigten Neuanbietern den Marktzutritt. All dies kann gesellschaftlich von hohem Wert sein, da dogmatischen Religionen durchaus ein Potenzial zu vernunftwidriger Exzentrik und destruktiver Ereiferung innewohnt. Auch wenn sie einst anders konzipiert waren, so mag man heute in Staatsleistungen und dem Hinken des Trennungsgebots auch Mittel sehen, das vergleichsweise behäbige Kirchenduopol hierzulande zu stabilisieren und religiöse Verkündigungsinhalte und klerikale Verhaltensweisen halbwegs in den Grenzen des „common sense“ zu halten (mit der Causa Limburg als Ausnahme, die die Regel bestätigt). Sympathisch und restlos überzeugend ist diese Lesart nicht – gute Gründe, warum ein aufgeklärter Staat sich die Kirchen ein Heidengeld kosten lassen sollte, gibt es halt nicht.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1591-4