Aktienkurse: Blase oder Frühindikator?
Die Senkung der EZB-Leitzinsen im November 2013 hat die Kritik an den Niedrigzinsen erneut befeuert. Es wird befürchtet, dass die niedrigen Zinsen zu Vermögenspreisblasen führen könnten. So wird beispielsweise von einigen Beobachtern vor einer Immobilienpreisblase in Deutschland gewarnt. Früher wurden auch schon hohe Rohstoffpreise in Verbindung mit zu lockerer Geldpolitik gebracht. Und gegenwärtig schwingen sich die Aktienkurse in Deutschland von einem Höchststand zum nächsten auf. Kann man hier bereits von einer Aktienkursblase reden? Dafür spricht, dass die Aktienkurse in Deutschland in den vergangenen Monaten überdurchschnittlich stark gestiegen sind. Allerdings war deren prozentualer Anstieg vor den Kursstürzen in den Jahren 1987, 2000 und 2008 noch deutlich höher.
Das durchschnittliche Kurs-Dividende-Verhältnis für den deutschen Aktienmarkt liegt unterhalb seines langjährigen Mittelwertes. Dies spricht eher gegen eine Blase. Allerdings gab es vor dem Kurssturz im Jahr 2008 eine ähnliche Konstellation. Es zeigt sich wiederum, dass Kursblasen in Echtzeit nicht klar identifiziert werden können. Neben dem Kurs-Dividende-Verhältnis gibt es grundsätzlich noch weitere mögliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Kursblase. So geht eine Blase üblicherweise mit einer bestimmten Story einher. Bei der Internetblase zur Jahrtausendwende haben beispielsweise Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie die Erwartungen über das zukünftige Wachstum beflügelt und eine regelrechte Aktieneuphorie ausgelöst. Aktuell ist eine solche Story, die geeignet ist, übermäßiges Vertrauen und Herdenverhalten auszulösen, nicht in Sicht. Vielmehr stehen Risiken, etwa die europäische Schuldenkrise, der amerikanische Haushaltsstreit und die Wachstumsabschwächung in den Schwellenländern im Fokus.
Selbst wenn man bereits von einer Blase auf dem deutschen Aktienmarkt sprechen könnte, gäbe es keine überzeugenden Gründe, korrigierende wirtschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen. Die empirische Evidenz zeigt, dass das Platzen von Blasen vor allem dann mit gravierenden negativen Folgen für die Realwirtschaft einhergeht, wenn der vorangegangene Kursanstieg überwiegend kreditfinanziert worden ist. Eine Kreditblase ist in Deutschland aber zurzeit nicht zu beobachten. Die Dynamik auf dem Kreditmarkt ist entsprechend gering und in erster Linie von Immobilienkrediten angetrieben. Die Wirtschaftspolitiker können die aktuelle Kursentwicklung also vergleichsweise gelassen weiter verfolgen. Überhaupt sollte die Wirtschaftspolitik bei platzenden Blasen eher im Blick haben, dass die Volkswirtschaft robust genug ist, Krisen zu überstehen, als zu versuchen, Vermögenspreisblasen zu identifizieren oder zu verhindern.
Vielleicht gibt die aktuelle Aktienkursentwicklung aber sogar mehr Anlass zu Optimismus als zur Sorge vor Übertreibungen? Die steigenden Kurse könnten auch auf eine realwirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr hindeuten, die besser ist als zuvor erwartet. Der Zusammenhang zwischen Aktienkursveränderungen und tatsächlicher zukünftiger realwirtschaftlicher Produktion ist allerdings nur schwach, und die jüngste Kursentwicklung gibt keinen Anlass, die aktuellen Prognosen für das kommende Jahr nach oben zu korrigieren. Insgesamt passen die steigenden Aktienkurse zu dem verbreiteten Konjunkturoptimismus, aber das ist selbstverständlich auch keine Garantie dafür, dass es nicht zu größeren Kurskorrekturen kommen könnte. Eine solche Korrektur wäre jedoch angesichts der fehlenden Kreditausweitung nicht so bedrohlich wie vergangene Kursstürze.
Gesetzliche Krankenversicherung: Rolle rückwärts beim Wettbewerb
Erinnern Sie sich noch an 2007? Damals beschloss eine große Koalition unter Führung von Angela Merkel eine Finanzierungsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ein Ziel war es, die Krankenkassenpreise transparenter und somit verbraucherfreundlicher zu gestalten, um den Kassenwettbewerb anzuregen. Der allgemeine Beitragssatz wurde vereinheitlicht und festgeschrieben. Kassen, die mit den Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen seitdem einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag erheben. Im Gegenzug kann eine gut wirtschaftende GKV eine Prämie ausschütten. Prominentestes Beispiel ist die Techniker Krankenkasse mit 80 Euro Jahresprämie.
In der Bevölkerung sind die Zusatzbeiträge, von der mehr als 7 Mio. Versicherungsnehmer betroffen waren, zutiefst unpopulär. Dies belegt ihre Wirksamkeit, die dazu führte, dass hunderttausende Versicherte ihre Kasse wechselten, weil diese 8 Euro Zusatzbeitrag pro Monat erhob. Die City BKK mit einem Zusatzbeitrag von 15 Euro musste deshalb sogar schließen und wird stets als Negativbeispiel des Gesetzes angeführt. Dabei verlangte die City BKK schon 2008 mit 17,4% den höchsten Beitragssatz. Bei 2500 Euro Monatslohn zahlte ein Beschäftigter somit 50 Euro pro Monat mehr als bei der damals günstigsten Kasse. Doch erst als die City BKK 15 Euro Zusatzbeitrag pro Monat verlangte, realisierten dies die Versicherten und wechselten. Unsere Berechnungen belegen: Früher stieg bei einer einkommensbezogenen Erhöhung des Beitragssatzes von umgerechnet 10 Euro die individuelle Wechselbereitschaft von 5,0% auf 6,5%. Nach Einführung der Zusatzbeiträge verdreifachte sich diese von 5% auf 15%. Das Ergebnis: Kassenmanager unternahmen größte Anstrengungen, um mit dem Geld der Beitragszahler besser zu wirtschaften und Zusatzbeiträge zu verhindern. Das kam allen Versicherten zugute.
2013 soll es erneut eine große Koalition geben. Überraschend schnell einigten sich CDU/CSU und SPD darauf, die unbeliebten Zusatzbeiträge wieder abzuschaffen. Oder zumindest umzubenennen. Zukünftig gibt es zwar weiterhin Zusatzbeiträge, nur werden diese wieder einkommensabhängig erhoben. Allerdings entfällt auch die Möglichkeit für Kassen Prämien rückzuerstatten. Der Arbeitgeberbeitrag bleibt auf Druck der Union bei 7,3% festgeschrieben. Durch die Einkommensabhängigkeit fällt der bürokratische Sozialausgleich weg. Dafür wird ein Einkommensfinanzausgleich zwischen den Gesetzlichen Krankenversicherungen notwendig, weil Kassen mit einkommensstarken Versicherten pro Beitragspunkt mehr Einnahmen generieren als ärmere Kassen. In der Summe dürfte die Einkommensabhängigkeit der Beiträge also nicht zu weniger Bürokratie führen. Dafür finden es die meisten Deutschen gerechter, wenn Gutverdiener mit Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze von 4050 Euro (2014) bei einem Zusatzbeitrag von einem Beitragssatzpunkt 40 Euro mehr zahlen, während Beschäftigte mit 2000 Euro Einkommen nur 20 Euro mehr zahlen. Die Frage ist jedoch, ob beide nicht zuviel zahlen und nicht lieber in eine günstigere Kasse wechseln sollten.
Die (Rück-)Umstellung des Systems auf einkommensabhängige Zusatzbeiträge mag manchem auf den ersten Blick gerechter erscheinen. Wer genau hinsieht, wird aber erkennen, dass es eine Rolle rückwärts ist. Unterschiede zwischen Krankenkassenpreisen werden wieder künstlich intransparent. Das freut die Kassenmanager, denn ihr Job wird einfacher. Den Preis dafür zahlen Millionen Angestellte und Arbeiter, die in Zukunft wieder mehr zahlen als nötig wäre.
WTO: Durchbruch in der Doha-Runde!?
Zwölf Jahre hat es gedauert, bis die Doha-Runde der WTO ein Ergebnis, das zählt, hervorgebracht hat. Das „Bali-Paket“, benannt nach dem Ort der jüngsten WTO-Konferenz, ist zugleich das erste wahrhaft multilaterale Abkommen im Rahmen der WTO seit ihrer Gründung 1995. Gemessen am ursprünglichen Doha-Programm handelt es sich hier allerdings eher um ein Päckchen. Sein Hauptinhalt ist die Handelserleichterung durch Abbau von Bürokratie an den internationalen Grenzen (Trade Facilitation). Der Wachstumsimpuls durch eine derartige Reduktion der Handelskosten wird weltweit auf 1 Billion US-$ und 21 Mio. Arbeitsplätze geschätzt.
Für Entwicklungsländer impliziert dies einen Exportanstieg um bis zu 10% (sowie umfangreiche technische Unterstützung bei der Umsetzung der Reformen). Profitieren könnten nicht zuletzt die am wenigsten entwickelten Länder. Deren Zahl in der WTO steigt mit dem auf Bali ebenfalls vereinbarten Beitritt des Jemen auf 35 Länder (und damit fast ein Fünftel der gesamten WTO-Mitgliedschaft). Die beschlossenen Handelserleichterungen auf der Export- und Importseite sind ein wesentlicher Faktor bei der Diversifizierung der Produktionsstruktur in den am wenigsten entwickelten Ländern und ihrer Eingliederung in globale Wertschöpfungsketten. Hinzu kommen relativ marginale Veränderungen im Agrarsektor. Neben einer Revision des Managements von Importzollkontingenten gehört dazu auch die Ausnahmeregelung für den staatlichen Aufkauf von Grundnahrungsmitteln zu überhöhten Preisen (und ihren Reexport zu Dumpingpreisen), für deren (unbefristete) Ausgestaltung Indien ein erneutes Scheitern der Verhandlungen riskierte. Begrenzt ist ebenfalls die Tragweite der entwicklungspolitischen Bestandteile des Kompromisses von Bali. Der zoll- und quotenfreie Marktzugang für Produkte von den am wenigsten entwickelten Ländern auch in Schwellenländern wird angemahnt, aber nicht durchgesetzt.
Wie kann/soll es weitergehen? „Business as usual“ in der Form des Abarbeitens der restlichen Doha-Entwicklungsagenda ist eine nur bedingt taugliche Strategie. Die zahlreichen verbliebenen Baustellen sollten vielmehr selektiv und jede für sich angegangen und damit auch der Grundsatz des „Single Undertaking“ aufgegeben werden. Priorität verdient ein radikaler multilateraler Zollabbau einschließlich der zum Teil noch prohibitiv hohen Agrarimportzölle. Ein solcher Schritt würde vor allem helfen, die durch bilaterale, plurilaterale und regionale Präferenzhandelsabkommen verursachten Wettbewerbsverzerrungen zu korrigieren bzw. zu verhindern. Darüber hinaus sollte die WTO ihr Augenmerk auf Themen richten, die wegen der Anreizproblematik, etwa in der Form des Freifahrens beim Abbau von Agrarsubventionen, nur multilateral gelöst werden können.
Den Bereich der „tiefen Integration“, insbesondere die Beseitigung regulatorischer Handelsschranken durch wirtschaftspolitische Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards, könnte sie dagegen weitgehend der bilateralen, plurilateralen und regionalen Handelspolitik überlassen, zumal die Gefahr der Handelsumlenkung in diesen Fällen geringer ist als bei „flacher Integration“ durch präferenziellen Zollabbau. Notwendig wäre außerdem eine grundlegende institutionelle Reform des multilateralen Handelssystems durch Erneuerung der Entscheidungsfindung in der WTO – Abkehr vom Konsensprinzip – und Zulassung „variabler Geometrie“ bei Liberalisierung und Regelsetzung. Richtungweisend könnten hier die plurilateralen Verhandlungen über ein neues Dienstleistungsabkommen sein.
Luftfahrtemissionshandel: EU vor Grundsatzentscheidung
Die EU-Kommission will die Reichweite des EU-Emissionshandels für den internationalen Luftverkehr (ETS) einschränken. Dies soll ab 2014 gelten, muss aber noch vom Parlament im April 2014 bestätigt werden. 2008 hatte die EU beschlossen ab 2013 für jeden Flug, der auf EU-Territorium startet oder landet, CO2-Emissionsabgaben zu verlangen. Diese werden für den gesamten Flug berechnet, unabhängig davon wie lang die Strecke über der EU tatsächlich ist. Bei den in der Konzeptionsphase erwarteten CO2-Preisen rechnete die EU für den Zeitraum von 2013 bis 2020 mit Einnahmen von rund 14 Mrd. Euro.
Dagegen entwickelte sich Widerstand. Zunächst waren es nur die Airlines der USA, die den innereuropäischen Rechtsweg beschritten – und den Rechtsstreit mit EuGH-Entscheid vom 21. Dezember 2011 verloren. Dann erst, als die vorbereitenden Maßnahmen für den Start des EU-Systems anliefen, haben die USA zusammen mit China, Russland, Indien und Brasilien Maßnahmen ergriffen. Die USA verabschiedeten ein Gesetz mit dem Titel „European Union Emissions Trading Scheme Prohibition Act“ – er ist deshalb des Zitierens wert, weil in ihm die pure Destruktionsabsicht ausgedrückt ist. China ergriff offensichtlich „Retorsionsmaßnahmen“ – die Kunde von einem (drohenden) Handelskrieg machte die Runde.
Die EU reagierte Anfang 2013, da ihr offenkundig Zusagen gemacht wurden, dass die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) mit dem Startjahr 2020 endlich ein globales ETS in Angriff nehmen wolle, und setzte die globalen Verpflichtungen ihres regionalen ETS für das Jahr 2013 aus. Ihr weiteres Vorgehen wollte die EU von den Verhandlungsergebnissen der ICAO-Vollversammlung in Montreal, die am 4. Oktober 2013 zu Ende ging, abhängig machen. Anders als erwartet bzw. unterstellt sind China, Russland, Indien und Brasilien in Montreal nicht auf die zwischen der EU und den USA abgestimmte Kompromisslinie eingeschwenkt. Sie sollten bis 2020 der EU einen Weiterbetrieb ihres ETS gestatten, allerdings lediglich für Emissionsrechte „über dem eigenen Luftraum“. Würde dieser Anpassungsvorschlag der Kommission angenommen, so würde die EU auf zwei Drittel ihres Anspruchs verzichten – bis 2020 und eventuell noch länger.
Was sich die Kommission gedacht hat, bleibt im Dunkeln. Klar ist: Konsequent und ernstlich heranziehbar sind nur die beiden extremen Handlungsoptionen: Entweder gibt die EU auf ganzer Linie klein bei und unterwirft sich nicht nur den USA, sondern auch den übrigen Kontrahenten, d.h. sie beschränkt sich auf die Erfassung des EU-internen Luftverkehrs. Oder sie erkennt, dass sie den Konflikt, den sie mit den übrigen Staaten nun einmal begonnen hat, auch durchkämpfen muss – und dann mit der uneingeschränkten Ausgangsposition.
Jetzt müssen sich Rat und Parlament im knappen Zeitfenster bis Mitte April 2014 einigen. Tun sie das nicht, greift die urpsrüngliche Rechtslage, da die globalen ETS nur für 2013 ausgesetzt wurden. Das größtmögliche Ausmaß der Erfassung des internationalen Luftverkehrs wird Status quo. Ob aber die Umweltpolitiker des Parlaments sich in diesem Fall des Abstimmungsverhaltens ihrer Kollegen sicher sein können, ist offen. Es sind eben nicht nur die Parlamentarier selbst, die diese Ausnahmechance erkennen und nutzen können, die Lobbyisten der Luftfahrtindustrie werden es ebenfalls erkannt haben und entsprechend agieren. Zur Entscheidung steht aber nicht die Alternative „Blockade bzw. Stornierung von Airbus-Aufträgen“ versus „14 Mrd. Euro für die EU-Mitgliedstaaten“. Auf der Kippe steht der globale Geltungsanspruch der EU am Beispiel ihres Flaggschiffprojekts „Klimapolitik“, einer Politik zum Schutz eines globalen Gemeinguts.