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Die Krise der Europäischen Währungsunion ist durch den Konflikt um das Hilfsprogramm für Zypern im März 2013 erneut aufgeflammt. Nach einem gescheiterten Anlauf haben die Finanzminister der Euroländer nunmehr eine ordnungspolitisch vertretbare Lösung gefunden. Ihre Vorgehensweise hat jedoch zu einer großen Verunsicherung auf dem europäischen Finanzmarkt geführt. Der Autor vertritt die Auffassung, dass Erwartungssicherheit nur durch eine rasche Vollendung des Projekts einer Europäischen Bankenunion wieder hergestellt werden kann.

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) unterhält Zypern ein sehr großes Bankensystem, das von zwei Privatbanken im Inlandsbesitz dominiert wird: der Bank of Cyprus und der Laiki Bank, vormals Marfin Popular Bank. Beide Banken haben ihre Bilanzsummen in den vergangenen Jahren stark erhöht, unter anderem durch einen signifikanten Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit in Griechenland.1 Dabei ist offenbar vor allem die Laiki Bank erhebliche Risiken eingegangen. Wie eine gemeinsame Inspektion der zyprischen und griechischen Zentralbank im März 2009 ergab, hat dieses Institut über seine griechische Niederlassung im großen Maße griechische Staatsanleihen erworben sowie Kredite vergeben, die indirekt seinem zyprischen Mehrheitsaktionär zugutekamen.2 Um die Tätigkeiten der Laiki Bank in Griechenland besser kontrollieren zu können, wurde deren griechische Tochtergesellschaft auf Druck des damaligen Gouverneurs der zyprischen Zentralbank, Athanasios Ophranides, am 31. März 2011 in Filialen der zyprischen Mutterbank umgewandelt.3 Durch diesen folgenschweren Entschluss fielen die griechischen Operationen der Laiki Bank nicht nur unter die Aufsicht der zyprischen Zentralbank. Zudem wurde die Laiki Bank der Möglichkeit beraubt, ihre griechische Tochter notfalls fallen zu lassen, wie dies beispielsweise die Bayerische Landesbank mit der Hypo Alpe Adria tat. Nach Integration der griechischen Operationen der Laiki Bank hatten die zyprischen Privatbanken im Juni 2011 insgesamt ein griechisches Exposure von 29 Mrd. Euro bzw. 160% des zyprischen BIP, in Form von Krediten, Staatsanleihen und sonstigen Wertpapieren.4 Die Abhängigkeit Zyperns von der wirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland ist mithin enorm, was auch dazu führte, dass Zypern im Sommer 2011 den Marktzugang verlor: Staat und Geschäftsbanken konnten keine Anleihen mehr begeben. Als dann im Frühjahr 2012 der griechische Staat im Rahmen einer Umschuldung einen Schuldenerlass von 53,5% von den privaten Haltern seiner Staatsanleihen erwirkte, war das Schicksal der zyprischen Privatbanken besiegelt. Während die griechischen Geschäftsbanken derzeit ohne Gläubigerbeteiligung mit einem hohen zweistelligen Milliardenbetrag über die EFSF rekapitalisiert werden, stehen entsprechende Mittel für die zyprischen Banken nicht zur Verfügung.

Russische Finanzmittel haben bei der Entstehung der Finanzkrise in Zypern hingegen keine entscheidende Rolle gespielt. Das Geschäftsmodell Zyperns beruht auch nicht auf der Geldwäsche, sondern auf der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für Holdinggesellschaften bzw. „Briefkastenfirmen“, die aufgrund des günstigen Doppelbesteuerungsabkommens mit Russland auf Zypern ansässig wurden. Zypern spielte angesichts seiner Finanzkrise zunächst auf Zeit: der Staat wurde mit Krediten der russischen VTB Bank, der Emission von Schatzbriefen und diverser Notfinanzierungen über Wasser gehalten, und die Geschäftsbanken nahmen eine wachsende Liquiditätshilfe der zyprischen Zentralbank in Anspruch. Nach Abwahl der kommunistischen Regierung im Februar 2013 war allerdings klar, dass die Kapitallücke der Banken und die Finanzierungsprobleme des Staates umgehend angegangen werden mussten.

Zwei Hilfsprogramme

In kurzer zeitlicher Abfolge wurden der zyprischen Regierung im März 2013 von den Finanzministern der EWU (die sogenannte Eurogruppe), dem IWF und der EZB zwei Hilfsprogramme unterbreitet, die sich stark voneinander unterscheiden.

Am 16. März 2013 einigten sich die Eurogruppe und die zyprische Regierung auf ein Anpassungsprogramm, das eine „einmalige Stabilitätsabgabe auf inländische und ausländische Bankeinlagen“ vorsah,5 in Höhe von 6,75% für Einlagen unter 100 000 Euro und 9,9% für Einlagen über 100 000 Euro.6 De facto sollte also erstmals ein Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Teilenteignung von Kleinsparern vornehmen. Der deutsche Finanzminister billigte diese Entscheidung, obwohl dadurch europäisches und zyprisches Recht gebeugt werden sollte. Sowohl das EU-Recht zur Einlagensicherung (Richtlinie 2009/14/EG) als auch die zyprische Gesetzgebung7 sehen eine Deckungssumme für Einlagen in Höhe von 100 000 Euro vor, um Sparer gegen den Ausfall von Kreditinstituten zu schützen. Diese Einlagensicherungen greifen jedoch nur, wenn eine Bank tatsächlich zahlungsunfähig wird. Geplant war hingegen, die Zahlungsfähigkeit der in Schwierigkeit geratenen Banken durch Rekapitalisierung mit öffentlichen Mitteln wiederherzustellen, die Einleger an den Kosten der Sanierung dennoch über eine erhebliche Zwangsabgabe zu beteiligen. Der gesetzlich garantierte Schutz der Kleinanleger sollte also umgangen werden.

Entsprechend den Vorhersagen klassischer Modelle von Bankenkrisen8 führte die geplante Außerkraftsetzung der gesetzlichen Einlagensicherung in Zypern bereits am Montag, den 18. März 2013, zu erheblichen Verwerfungen an den europäischen Finanzmärkten, da Marktteilnehmer begannen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Bank Runs in Staaten des Mittelmeerraumes einzupreisen. Die Mitgliedstaaten der EWU und die EZB haben über viele Jahre hinweg die Einlagensicherung im gesamten Euroraum mit erheblichem Aufwand verstärkt und mit finanziellem Einsatz im dreistelligen Milliardenbereich verteidigt. Daher erscheint es unverständlich, dass diese Garantie plötzlich über Bord geworfen werden sollte, da die Verantwortlichen einen zusätzlichen Kredit in Höhe von weniger als 2 Mrd. Euro an Zypern scheuten.9 Diese Maßnahme stieß auch in Deutschland auf breite öffentliche Ablehnung und das entsprechende Gesetz wurde vom zyprischen Parlament am 19. März 2013 gestoppt.

Anschließend legte sich die Eurogruppe auf einen diametral entgegengesetzten Ansatz zur Sanierung des zyprischen Bankensystems fest: anstelle einer Verstaatlichung unterkapitalisierter Banken, die teilweise über eine Zwangsabgabe auf Bankeinlagen finanziert werden sollte, bestanden die Finanzminister der EWU und der IWF nun darauf, dass die beiden Institute im Zentrum der Finanzkrise ausschließlich durch das Heranziehen ihrer Fremd- und Eigenkapitalgeber stabilisiert werden sollten. Wie der Präsident der Eurogruppe in einem Pressegespräch angab, hatte man einfach den „Ansatz“ geändert.10

Die am 25. März 2013 erzielte Einigung der Eurogruppe mit der zyprischen Regierung11 sieht die folgenden Eckpunkte vor:

  • Die Laiki Bank wird aufgelöst. Besicherte inländische Spareinlagen unter 100 000 Euro sowie die Liquiditätshilfe der zyprischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. Euro werden zusammen mit einigen Aktiva auf die Bank of Cyprus übertragen; die griechischen Filialen werden an die Piraeus­ Bank verkauft. Die unbesicherten Spareinlagen über 100 000 Euro sowie die vorrangigen und nachrangigen Anleihen der Laiki Bank verbleiben in einer Abwicklungsanstalt und werden wahrscheinlich einen annähernden Totalverlust erleiden.
  • Die Bank of Cyprus bleibt erhalten und Spareinlagen unter 100 000 Euro werden nicht belangt. Bei den Spareinlagen über 100 000 Euro werden zunächst die Nettoforderungen der Kunden durch Abzug gewährter Kredite ermittelt. Von diesen Nettoforderungen werden nach Feststellung des Kapitalbedarfs der Bank mindestens 37,5% und höchstens 60% in Stammaktien umgewandelt. Die verbleibenden 40% der Nettoforderungen werden bis auf weiteres eingefroren. Ausstehende Anleihen der Bank of Cyprus werden vollständig in eine Aktienklasse mit eingeschränkten Stimmrechten und Gewinnzuteilungen umgewandelt.
  • Als flankierende Maßnahmen wurden umfangreiche Kapitalverkehrskontrollen eingeführt.

Die entscheidende Änderung gegenüber dem ursprünglichen Plan besteht darin, dass kaum Mittel des Staatshaushaltes zur Stabilisierung des Finanzsystems verwendet werden. Stattdessen sollen die Aktionäre sowie die Halter unbesicherter Bankanleihen und Bankeinlagen vollständig für die Verluste der beiden betroffenen Institute aufkommen. Halter von Bankguthaben über 100 000 Euro werden in der Zypernkrise wahrscheinlich mehr verlieren als in der Argentinienkrise oder in anderen Bankenkrisen von Entwicklungsländern. Diese sehr hohen Verluste erklären sich dadurch, dass unter Umgehung der gesetzlichen Einlagensicherung die Halter von Bankanleihen und unbesicherten Einlagen dafür zahlen, dass gesicherte Einlagen schadlos gestellt werden (vgl. das Beispiel in Kasten 1). Die Gläubigerbeteiligung wird allerdings auf die beiden insolventen Institute begrenzt. In Zypern ist zudem vorgesehen, dass die nationale Zentralbank an den Verlusten nicht beteiligt wird, obwohl sie aufgrund ihrer Refinanzierung der verlustreichen Geschäfte der Bank ebenfalls zu deren Gläubigern zählte.

Kasten 1
Umgehung der Einlagensicherung bei der Bankensanierung in Zypern

Da geplante Zahlen zur Bilanz der Bank of Cyprus fehlen, soll die Regelung anhand eines einfachen Beispiels erläutert werden. Angenommen die vereinfachte Bankbilanz sieht folgendermaßen aus:

Bankbilanz vor der Intervention (in %)
Kredite 100,0 EZB-Refinanzierung 15,0
    Einlagen < 100 000 Euro 30,0
    Einlagen > 100 000 Euro 30,0
    Vorrangige Anleihen 20,0
    Nachrangige Anleihen 2,0
    Eigenkapital 3,0

Nun muss die Bank 25% ihrer Aktiva abschreiben, beispielsweise weil sie in griechischen Staatsanleihen angelegt waren. Im Fall einer Abwicklung der Bank müssen die Verluste von den Fremd- und Eigenkapitalgebern aufgefangen werden. Zunächst werden die Aktionäre und die Halter von Nachranganleihen einen Totalverlust erleiden. Die verbleibenden Verluste müssen anschließend auf alle vorrangigen Gläubiger gleichermaßen verteilt werden. Im Ergebnis steht ein Kapitalschnitt von 25% auf die Halter von vorrangigen Anleihen sowie auf sämtliche Einlagen. Die zyprische Einlagensicherung sieht vor, dass in diesem Fall Einlagen unter 100 000 Euro den Bankkunden erstattet werden und der Sicherungsfonds an ihrer Stelle in das Konkursverfahren eintritt.

Abwicklung (in %, bei 25% Abschreibung)
Kredite 75,0 EZB-Refinanzierung 15,0
    Einlagen < 100 000 Euro 22,5
    Einlagen > 100 000 Euro 22,5
    Vorrangige Anleihen 15,0
    Nachrangige Anleihen 0,0
    Eigenkapital 0,0

Geplant sind jedoch nicht die Abwicklung der Bank of Cyprus und die Aktivierung der Einlagensicherung. Stattdessen sollen in Zypern die Besitzer von Bankanleihen und die Halter von unbesicherten Bankeinlagen dafür zahlen, dass die Einlagen unter 100 000 Euro keine Verluste erleiden. Im Ergebnis steigt in diesem Beispiel der Verlust für diese Gläubiger von 25% auf 40%.

Umschuldung ohne Einlagensicherung (in %, bei 40% Abschreibung)
Kredite 75,0 EZB-Refinanzierung 15,0
    Einlagen < 100 000 Euro 30,0
    Einlagen > 100 000 Euro 18,0
    Vorrangige Anleihen 12,0
    Nachrangige Anleihen 0,0
    Eigenkapital 0,0

Je höher also die Zentralbankkredite ausfallen und je höher der Anteil der „Kleinsparer“ mit Guthaben unter 100 000 Euro ist, desto höher fällt der Verlust der ungesicherten Gläubiger aus. Im Fall der Bank of Cyprus soll dieser Verlust für die Halter von Einlagen über 100 000 Euro zwischen 37,5% und 60% liegen.

Die Behandlung großer Einlagen im Zuge der Umstrukturierung ist problematisch, da die Halter dieser Einlagen schlechter gestellt werden als die Halter kleiner Einlagen, obwohl diese denselben Zahlungsrang aufweisen. Halter großer Einlagen werden auch schlechter gestellt als dies bei einer Abwicklung der Bank der Fall wäre. Sowohl die Verletzung der Gläubigerhierarchie (indem rechtlich gleichwertige Forderungen ungleich behandelt werden) als auch die Verletzung des sogenannten „No Creditor Worse Off“-Prinzips widersprechen den Maßgaben für die Abwicklung von Kreditinstituten, die das Financial Stability Board unter Mitwirkung der Bundesbank erarbeitet und verabschiedet hat.12

Wie ist das Zypernprogramm ordnungspolitisch einzuschätzen?

Die Teilenteignung von Spareinlagen kam für die zyprische Bevölkerung und den europäischen Finanzmarkt unerwartet, insbesondere angesichts der Tatsache, dass zuvor europäische Hilfsprogramme in dreistelliger Milliardenhöhe verabschiedet wurden, um die Heranziehung unbesicherter Bankanleihen und Spareinlagen an der Sanierung unterkapitalisierter Institute in Irland, Griechenland und Spanien abzuwenden.

Durch die erratische Vorgehensweise der Eurogruppe erhielt die Maßnahme zudem den Charakter eines Glücksspiels. Bis Mitte März 2013 sah es für die meisten zyprischen Bankkunden so aus, als ob ihre Einlagen sicher seien. Am 16. März legten die europäischen Finanzminister dann einen Kapitalschnitt von bis zu 9,9% auf die Guthaben aller zyprischen Banken fest. Am 24. März erhöhten die Finanzminister den Kapitalschnitt für Guthaben über 100 000 Euro bei der Laiki Bank auf ca. 100% und für Einlagen bei der Bank of Cyprus auf ca. 50%, während sie gleichzeitig die Einlagenverluste bei den anderen zyprischen Banken auf 0% senkten. Für Bankkunden bedeutete dies ein „russisches Roulette“, und vielen zyprischen Mittelständlern, die ihr Geschäftskonto unglücklicherweise bei der „falschen Bank“ hatten, droht jetzt der Konkurs.

Als Begründung für die Gläubigerbeteiligung wurde vorgeschoben, dass die multilateralen Kredite an den zyprischen Staat ansonsten ein Volumen erreicht hätten, das die Schuldentragfähigkeit gefährden würde. Diese Argumentation mag nicht überzeugen, da der nun gewählte Weg die Zahlungsfähigkeit des zyprischen Staates noch stärker in Frage stellt. Infolge der hohen Verluste auf ihre Bankguthaben und der großen Unsicherheit werden ausländische Holdinggesellschaften und inländische Firmen im großen Maße ihre Gelder von den zyprischen Banken abziehen, sobald diese wieder öffnen. Die Folge werden wohl eine sehr starke Dezimierung des zyprischen Finanzsektors und der daran angeschlossenen Rechtsanwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfer, Hotels usw. und eine tiefe Wirtschaftskrise in Zypern sein. Diese Wirtschaftskrise wird hier bewusst herbeigeführt, denn erklärtes Ziel des Programms ist es, den zyprischen Bankensektor massiv zu verkleinern. Im Zuge der Wirtschaftskrise wird der Finanzierungsbedarf des zyprischen Staates stark ansteigen und das BIP einbrechen. Im Ergebnis wird die Staatsverschuldung Zyperns gemessen am BIP wahrscheinlich höher ausfallen als bei Gewährung eines größeren multilateralen Kredites, durch den eine Heranziehung von Spareinlagen bei der Bankensanierung hätte vermieden werden können.

Die Beteiligung von Gläubigern an der Sanierung von Kreditinstituten ist vom Grundsatz her jedoch zweifellos richtig. Obwohl das Programm weiterhin technische Mängel aufweist (insbesondere die Verletzung des „No Creditor Worse Off“-Prinzips) und Zypern durch die gewählte Vorgehensweise in eine unnötig tiefe Wirtschaftskrise geworfen wird, erscheint das am 25. März 2013 beschlossene Programm daher vertretbar. Hinzu kommt, dass eine Korrektur des nun eingeschlagenen Weges aufgrund der Pfad­abhängigkeit der Entwicklung kaum mehr möglich ist.

Was sind die Folgen für Europa?

Ergebnis der Entscheidungen in der zweiten Märzhälfte 2013 ist eine Situation der tiefen Verunsicherung im europäischen Finanzsystem. Das Vertrauen darauf, dass Bankeinlagen unter 100 000 Euro im ganzen Euroraum sicher sind, ist dahin – in der EU gibt es zwar eine Einlagensicherung, aber diese kann unter Billigung der Eurogruppe und des deutschen Finanzministers umgangen werden. Von Bankeinlagen über 100 000 Euro können wie in einer Lotterie entweder 10%, 50% oder 100% verlorengehen, je nachdem wer gerade die Oberhand in den Verhandlungen der Finanzminister gewinnt – und das Ergebnis kann sich von Woche zu Woche ändern. Gleiches gilt für zyprische Bankanleihen: am 16. März sollten sie schadfrei gestellt werden, obwohl sie denselben Zahlungsrang wie Bankeinlagen haben, am 24. März werden sie dennoch herangezogen. Auf der einen Seite gibt die EZB deutlich zu verstehen, dass sie Irland durch Einstellung von Notfallkrediten aus dem Euroraum drängen wird, wenn die Politiker dieses Landes unbesicherte Bankanleihen an der Bankensanierung beteiligen – auf der anderen Seite stellt die EZB Zypern ein Ultimatum über den Verbleib im Euroraum, wenn unbesicherte Bankeinlagen nicht an der Bankensanierung beteiligt werden. Am 23. März 2013 bezeichnet der Präsident der Eurogruppe Zypern als Blaupause für die zukünftige Vorgehensweise bei Bankenkrisen, am 25. März widerruft er seine Aussage.

Wenn zudem – wie in Zypern – die Einlagensicherungssysteme umgangen werden, dann können die Verluste auf unbesicherte Bankeinlagen sehr hoch ausfallen, höher als in fast allen Bankenkrisen in Entwicklungsländern. Weiterhin ist die Verlusthöhe in diesem Fall nicht nur von den Problemen auf der Aktivseite der Banken abhängig, sondern auch von der Zusammensetzung der Einlagen auf ihrer Passivseite, die wiederum den Anlegern nicht zugänglich ist.

Die Folge dieser Unwägbarkeiten wird wahrscheinlich ein nachhaltiger Anstieg der Refinanzierungskosten europäischer Geschäftsbanken sein, besonders in Staaten der sogenannten Peripherie.13 Wenn hier nicht gegengesteuert wird, kann es zu einer zunehmenden Fragmentierung des europäischen Finanzsystems kommen. Banken werden sich dann nur noch über Pfandbriefe und Zentralbankkredite refinanzieren können, weil die Verluste von unbesicherten Bankanleihen nicht mehr abzuschätzen sind. Zudem werden es sich Mittelständler zweimal überlegen, ob sie ein Geschäftskonto mit Einlagen bei einer portugiesischen oder spanischen Bank halten wollen. Sie werden ihre Liquidität eher in deutschen Schatzbriefen halten, auch wenn diese negative Renditen aufweisen, denn hier droht keine Enteignung. Die Folge waren eine erneute Zunahme der Kapitalflucht nach Deutschland und über steigende Target2-Forderungen der Bundesbank auch immer höhere Eventualverbindlichkeiten für die deutschen Steuerzahler. Wenn die Einlagen schrumpfen, sind Banken zudem meist geneigt, auch ihre Kreditvergabe an Unternehmen weiter zu reduzieren. Die Folge wird nicht nur eine Verschärfung der Wirtschaftskrise, sondern auch ein Ausweichen auf die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt sein. Wenn die Hausbankbeziehung durch „Investor Relations“ mit Anleihegläubigern ersetzt wird, wird die Geschäftspolitik von Unternehmen in Kontinentaleuropa sich stärker an den kurzfristigen Zielvorgaben eines angelsächsischen Finanzsystems orientieren müssen.

Was bleibt zu tun?

Angesichts dieser Verunsicherung hilft nur ein großer Schritt nach vorne: die Eigentumsrechte im Finanzmarkt müssen verbindlich geklärt werden.

  • Nötig ist eine echte europäische Einlagensicherung für alle Kreditinstitute der EWU. Hierbei bietet sich das von Dirk Schoenmaker und Daniel Gros entwickelte Rückversicherungsmodell an, das eine Koexistenz der Institutssicherung deutscher Sparkassen und anderer sektoraler Einlagensicherungen mit einer wirksamen Absicherung aller anderen Banken im Euroraum ermöglicht.14 Nur so können Sparer in Portugal oder Italien sicher sein, dass der gesetzliche Schutz von Einlagen bis 100 000 Euro auch für sie gilt.
  • Die geplante EU-Richtlinie zur Heranziehung von Fremdkapitalgebern an der Sanierung von Kreditinstituten15 sollte schon ab 2014 angewandt werden und nicht erst wie geplant im Jahr 2018.
  • Die Kompetenz zur Bankensanierung sollte auf eine unabhängige föderale Institution übertragen werden. Es schadet der europäischen Volkswirtschaft, wenn in Nachtsitzungen von begrenzt kompetenten Finanzministern erratische und inkonsistente Entscheidungen getroffen werden, die zudem einseitig die jeweilige nationale Interessenslage dominanter Mitgliedstaaten widerspiegeln. In den USA werden Banken sehr professionell von der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) abgewickelt, in einem regelgebundenen Prozess, der nicht politisch aufgeladen ist. Eine solche Behörde mit Ermächtigung zur Abwicklung von Kreditinstituten ist auch in Europa erforderlich. Demokratische Legitimation kann die Intervention von Banken nur durch die Festlegung des Verfahrens erlangen und nicht durch willkürliche Einzelfallentscheidungen der Eurogruppe.
  • 1 Vgl. C. Stephanou: The Banking System in Cyprus. Time to Rethink the Business Model?, in: Cyprus Economic Policy Review, 5. Jg. (2011), H. 2, S. 123-130.
  • 2 Vgl. S. Grey et al.: How a Greek bank infected Cyprus, Reuters Agenturmeldung vom 13.6.2012, http://www.reuters.com/article/2012/06/13/us-greece-marfin-idUSBRE85C0M920120613 (1.4.2013).
  • 3 Vgl. Marfin Popular Bank Announcement vom 29.3.2011, https://www.cpb.gr/EN/LatestNews/Documents/AnnouncementEn_29032011.pdf (1.4.2013).
  • 4 International Monetary Fund: Cyprus. Staff Report for the 2011 Article IV Consultation, Washington DC, 2. November 2011, S. 14 f.
  • 5 Eurogroup Statement on Cyprus, 16. März 2013, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ecofin/136190.pdf (1.4.2013).
  • 6 Press release by the Ministry of Finance on the agreement for a Financial Assistance to the Republic of Cyprus, 18. März 2013, http://www.moi.gov.cy/moi/pio/pio.nsf/All/C06FC1C90917B8CAC2257B33002331EF (1.4.2013).
  • 7 Establishment and Operation of the Deposit Protection Scheme Regulations of 2000 to 2009, 24. Juli 2009, http://www.centralbank.gov.cy/media/pdf/LSREE_CONSOLIDATION_050809.pdf (1.4.2013).
  • 8 Vgl. D. Diamond, P. Dybvig: Bank Runs, Deposit Insurance, and Liquidity, in: Journal of Political Economy, 91. Jg. (1983), Nr. 3, S. 401-419.
  • 9 Die Bankeinlagen bei zyprischen Kreditinstituten beliefen sich Ende Februar insgesamt auf 67,47 Mrd. Euro. Geplant war, Einlagen zur Sanierung im Umfang von insgesamt 5,8 Mrd. Euro heranzuziehen. Da die geplanten Abgaben bei 6,75% für Einlagen unter 100 000 Euro und bei 9,9% für Einlagen über 100 000 Euro lagen, müssen die Einlagen unter 100 000 Euro insgesamt ca. 27,92 Mrd. Euro betragen und der geplante Beitrag dieser Einlagen bei 1,88 Mrd. Euro gelegen haben.
  • 10 „Last week, we didn’t go down the bail-in track [in Cyprus] but went down the levy track. Now we’re going down the bail-in track. [...] That is a sort of shift in approach. [...] Maybe it’s inevitable that if you push back the risks, risks will be priced. Because if I finance a bank and I know if the bank will get in trouble I will be hit and I will lose my money, I will put a price on that.” (Abschrift eines Gesprächs von Jeroen Dijsselbloem mit der Financial Times am 23.3.2013, http://blogs.ft.com/brusselsblog/2013/03/the-ftreuters-dijsselbloem-interview-transcript/, 1.4.2013).
  • 11 Eurogroup Statement on Cyprus, 25. März 2013, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ecofin/136487.pdf. Weitere Konkretisierungen erfolgten in einer Pressemitteilung der Zentralbank von Zypern vom 30. März 2013, http://www.centralbank.gov.cy/nqcontent.cfm?a_id=12631 (1.4.2013).
  • 12 Financial Stability Board: Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, Oktober 2011, http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_111104cc.pdf (1.4.2013).
  • 13 Der risikoneutrale Mehrertrag s einer Bankanleihe gegenüber einer risikofreien Anlage (soweit es diese noch gibt) entspricht dem erwarteten Verlust aus dem Adressenausfall. Der erwartete Verlust wiederum ist das Produkt aus Ausfallrisiko λ und Schuldenerlass bei Zahlungsausfall (1‐R). Es gilt also s = λ ∙ (1‐R). Wenn wie im oben angeführten Beispiel (1‐R) von 25% auf 40% ansteigt, weil kleinere Einlagen auf Kosten der großen Einlagen schadfrei gestellt werden, dann sollte s ebenfalls um 60% ansteigen, also beispielsweise von 150 Basispunkten auf 240 Basispunkte, auch wenn λ unverändert ist. In Folge der Entscheidungen der Eurogruppe zu Zypern ist die Prämie für das Ausfallrisiko ungesicherter Bankanleihen in Europa gemessen am iTraxx Senior Financials Index von ca. 150 Basispunkten auf ca. 200 Basispunkte angestiegen.
  • 14 D. Schoenmaker, D. Gros: A European Deposit Insurance and Resolution Fund – An Update, CEPS Policy Brief, 11. September 2012, http://www.ceps.eu/book/european-deposit-insurance-and-resolution-fund-update (1.4.2013).
  • 15 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, http://ec.europa.eu/internal_market/bank/docs/crisis-management/2012_eu_framework/COM_2012_280_de.pdf (1.4.2013).

Title:The European Financial System After the Cypriot Assistance Programme

Abstract:This article analyses the background of the Cypriot banking crisis and discusses the parameters of the multilateral assistance programme that was agreed to in March 2013. It argues that the existing deposit insurance scheme in Cyprus has been circumvented in order to force large bank creditors to pay for the bailout of retail depositors. The result is a high level of uncertainty in European financial markets, which can only be overcome by a rapid completion of a banking union.


DOI: 10.1007/s10273-013-1514-4

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