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Die Liberalisierung der globalen Finanzmärkte hat ihr Ziel verfehlt, für mehr Stabilität und Wirtschaftswachstum zu sorgen. Stattdessen folgt seit 30 Jahren eine Krise auf die andere. Jetzt werden etliche Bankenreformen diskutiert, um die Finanzmärkte krisensicherer zu machen. Dabei verfehlen sowohl Trennbankensysteme als auch die Begrenzung von Banker-Boni nach dem Urteil von Thomas Fricke ihre Wirkung. Er sieht den Kern des Problems in der prozyklischen Dynamik der Märkte. Dagegen würden neben einer Finanztransaktionssteuer vor allem deutlich höhere und sich antizyklisch anpassende Eigenkapitalquoten für Banken helfen.

Knapp sechs Jahre nach Ausbruch der großen Finanzkrise 2007 gibt es kaum ein Land, kaum eine Regierung und kaum eine zuständige internationale Organisation, die nicht an mehr oder weniger grundlegenden Reformen für Banken und Finanzmärkte arbeiten – ob in den USA, Großbritannien oder auch in Deutschland, wo der Bundestag mit diversen Gesetzentwürfen befasst ist.1 Da gibt es große Reformvorschläge von EU-Kommission und EU-Parlament. Da wetteifern die deutschen Parteien im anlaufenden Wahlkampf darum, die Finanzwelt wieder zu regulieren. Und: Gemessen an dem, was noch vor ein paar Jahren als wirtschaftspolitischer Standard galt, kommen die meisten dieser Reformen tatsächlich einem regelrechten Paradigmenwechsel gleich. Das gilt für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Begrenzung von Boni oder die fast allseits befürwortete Trennung der Geschäftsfelder von Banken.

Die Frage ist, ob all das und die schiere Menge an vermeintlich grundlegenden Reformen zielführend sind, ob es langt, um das Ziel zu erreichen und eine derart dramatische Finanzkrise künftig zu verhindern. Zweifel sind berechtigt. Der Verdacht drängt sich bei näherem Hinsehen auf, dass viele der Reformen eher aus populistischen Ad-hoc-Diagnosen abgeleitet werden. Was ändert etwa die Begrenzung von Boni an der Anfälligkeit der Finanzmärkte für Krisen? Selbst den großen Reformplänen scheint es an einer stringenten systemischen Problemdiagnose zu mangeln. Dabei lässt sich nur auf Basis einer solchen Diagnose ermitteln, welche Maßnahmen die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte wirklich reduzieren würden.

Es spricht eine Menge dafür, beim Befund auf die gesamten 30 Jahre Finanzglobalisierung zu blicken, in der die aktuelle Krise wie der (vorläufige) Höhepunkt einer ganzen Reihe von Turbulenzen wirkt. Seit Ronald Reagan 1982 nach ein paar Jahrzehnten starker Finanzmarktregulierung die ersten großen Liberalisierungsschritte einleitete, begann zum einen eine enorme Expansion der Branche. Zwischen 1986 und 2005 stiegen die Umsätze mit Finanzderivaten von weniger als 50 Billionen auf mehr als 1500 Billionen US-$.2 Die Devisenumsätze schnellten seit Ende der 1970er Jahre von 0,1 Billionen auf zeitweise 5 Billionen US-$ hoch.3 Zum anderen nahm mit dieser Entwicklung auch die Instabilität zu. Seit Beginn der 1980er Jahre folgte eine Finanzkrise der anderen: von der US-Sparkassenkrise über die Bankenkrisen in den nordischen Ländern und der großen Finanzkrise in Japan bis zu den Turbulenzen um die Schwellenländer in den 1990er Jahren, den Crash der New Economy und eben die große Bankenkrise seit 2007.4 Ökonomen haben irgendwann aufgegeben, Wechselkurse noch zu prognostizieren; selbst ex post fällt es schwer, die teils enormen Schwankungen fundamental stringent zu begründen. Seit Ende des Festkurssystems fiel der US-Dollar gegenüber der D-Mark erst um knapp 60%, um in der ersten Hälfte der 1980er Jahre wieder um 60% zu steigen und ab Mitte des Jahrzehnts wieder um 50% zu fallen, Ende der 1990er Jahre wieder um gut 60% zu steigen und danach erneut um 45% zu fallen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Wechselkurs D-Mark je US-Dollar1
31172.png

1 Seit 1999 umgerechnet aus Euro; hoher Kurs spiegelt starken US-Dollar wider.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Diese Befunde stehen in Widerspruch zum Versprechen, das mit der Finanzliberalisierung verbunden war. Danach hätte die Freiheit und Expansion der Märkte zu größerer Stabilität führen müssen. Und das schien theoretisch ja auch gut begründet, wie Milton Friedman in den 1950er Jahren ausgeführt hatte.5 Je freier Märkte handeln könnten, so die Annahme, desto schneller könnten bei jeder Abweichung der Kurse vom vermeintlichen Gleichgewicht vorausschauende Spekulanten einsetzen, die darauf wetten, dass die Kurse wieder zu ihrem Gleichgewicht zurückfinden. Mehr noch: diese vorausschauende Spekulation führe dann automatisch zur Kurskorrektur. Schießen etwa Aktienkurse zu stark nach oben, würden weise Spekulanten die Aktie in Antizipation ihres Kursrückgangs verkaufen, was zu fallenden Kursen, also zur gewünschten Korrektur führt.

Genau hier scheint in der Praxis die Crux zu liegen: Die stabilisierende Spekulation, mit der das Gedankengebäude der Finanzglobalisierung steht und fällt, mag im Kleinen immer wieder funktionieren. Bei großen Wellen aus Euphorie und Panik setzt sie fatalerweise aber aus, was zu entsprechenden Blasen und anschließenden Crashs führt – genau dann, wenn man die stabilisierende Spekulation am dringendsten bräuchte. Dann passiert das genaue Gegenteil. In Wirklichkeit tendiert die Spekulation dann dazu, die Wellen zu verstärken, was als Prozyklik mittlerweile hinlänglich erkannt ist. Wenn Kurse stark steigen, ist jeder Händler angetrieben, einzusteigen und die Gewinne mitzunehmen, was wiederum andere animiert einzusteigen und den Reflex im Nachhinein auch als richtig zu bestätigen scheint: wenn alle einsteigen, steigen die Kurse und Gewinne. Kurz: Es fehlt der Stoppmechanismus. Und die Tücke scheint vor allem darin zu liegen, dass – anders als im theoretischen Modell postuliert – niemand so recht weiß, wo eigentlich das Gleichgewicht ist. Die Erfahrung zeigt, dass vermeintliche Gleichgewichtskurse je nach Umständen, Eigendynamik der Märkte und (wirtschaftspolitischen) Reaktionen völlig unterschiedlich ausfallen können („multiple Gleichgewichte“); und dass es für den Einzelnen schwer auszumachen ist, welche Umstände sich gerade entwickeln. Wenn alle Beteiligten daran glauben, dass Immobilien hoch zu bewerten sind, gilt das auch – solange bis der Glaube kippt.

Nur über das fatale Ausbleiben der stabilisierenden Spekulation lässt sich erklären, warum sich Anleger in den 1990er Jahren derart in den Asien-Boom steigerten – oder anschließend in die Illusion einer angeblich neuen Wirtschaft. Nur so lässt sich auch erklären, warum jeder Warnreflex aussetzt, wie es ihn an den Anleihemärkten etwa für Griechenland schon vor Jahren hätte geben müssen (und warum Deutschland umgekehrt in der Eurokrise kaum noch Zinsen zahlen muss, obwohl es auch hierzulande eine Rekordstaatsverschuldung gibt); oder am Neuen Markt Ende der 1990er Jahre; oder am Subprime-Markt in den 2000er Jahren. Die prozyklisch wirkende Illusion steigender (virtueller) Vermögenswerte macht blind. Am Tag vor dem Beginn der größten Finanzkrise seit der Großen Depression lagen die am Markt gehandelten Risikoprämien auf Kreditausfallversicherungen auf Rekordtief, wie Adair Turner betont.6 Krasser könnte das Versagen möglicher Frühwarn- und Stabilisierungsmechanismen kaum ausfallen. In Euphorie und Panik setzen alle Vorsichtsreflexe aus – in etwa das Gegenteil von dem, was Milton Friedman in Aussicht gestellt hatte.7

Natürlich lassen sich gewisse Krisenphänomene auch dadurch erklären, dass Marktmechanismen außer Kraft gesetzt wurden. Die Rettung von Großbanken dürfte tendenziell Moral Hazard befördern, das Risikobewusstsein der Banken also zusätzlich schwächen. Es spricht nur nach 30 Jahren Finanzglobalisierung und etlichen Finanzkrisen viel dafür, dass Märkte selbst bei klarer Zuteilung von Verantwortlichkeit dazu neigen, über- und unterzuschießen. Immerhin müssen die meisten Akteure ja selbst die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns übernehmen. In solchen Phasen wirkt jene kollektive Psychologie, die Robert Shiller beschrieben hat.8 Inmitten einer Euphorie hilft auch der Hinweis wenig, bei einem Crash Geld (und Job) zu verlieren. Warner gelten als Spielverderber, auf die man nicht hören will, wenn gerade das große Geld winkt, indem man nur in die Euphorie einsteigt. Der Mensch neigt einfach zur Illusion.

In solchen Phasen wirken auch eine Menge prozyklischer Verstärker: Bei wachsendem Übermut lässt das Risikobewusstsein der Banken nach, Mathematikmodelle schreiben Trends aus der (Boom-)Erfahrung fort und treiben den Hochgeschwindigkeitshandel an, Ratingagenturen laufen dem Trend nach und verstärken ihn damit. All das ist höchst menschlich, wie Verhaltensökonomen in der Zwischenzeit eindrucksvoll erforscht haben. Kernbotschaft: Weil die Bewertung von Informationen an den hyperschnellen Finanzmärkten so komplex ist, dass der einzelne Händler mit der rationalen Verarbeitung überfordert ist, neigen die Akteure dazu, simplen Faustregeln zu folgen und sich am Trend zu orientieren, also – wie es bereits John Maynard Keynes beschrieb – eher danach zu handeln, was sie glauben, wie die anderen Akteure handeln.

Lehren für die Reformpolitik

Wenn der Kern von Finanz- und Bankenkrisen hier liegt – in jenem regelmäßigen Versagen der stablisierenden Spekulation, wenn sie am meisten gebraucht wird, macht das für die Wahl der richtigen oder falschen Reformen einen enormen Unterschied. Wirkt die Spekulation vor allem prozyklisch, kehrt sich das Grundmotto aus 30 Jahren Finanzglobalisierung um, wonach die Märkte per se umso besser funktionieren, je mehr und je freier und je schneller dort gehandelt wird. Würde es eine verlässliche stabilisierende Spekulation geben, stiegen mit jeder weiteren Billion gehandelter Papiere tatsächlich die Chancen, dass ein Maximum an Informationen einfließt und sich der Markt dem Idealzustand stets ein Stück mehr nähert. Wirkt der Handel jeder zusätzlichen Milliarde dagegen tendenziell wellenverstärkend und folgen die Händler im Zweifel der Herde, gilt das Gegenteil: Dann hat die enorme Expansion der Finanzbranche genau dazu geführt, was seit 1982 zu beobachten ist – zu einer instabileren und zunehmend krisenanfälligen Welt.9

Vor diesem Hintergrund sind viele der seit Ausbruch der aktuellen Krise hoch gehandelten Reformen nur bedingt hilfreich – oder kontraproduktiv. Wenn Bankbilanzen dank der Kurskapriolen prozyklisch (in der Euphorie) besser oder (in der Panik) schlechter aussehen, als sie es eigentlich sind, hilft es wenig, diese Kennzahlen zum Maßstab für Krisenanfälligkeit zu machen, wie es in den Regelwerken von Basel I und II noch der Fall war. Natürlich sieht jede Bilanz in einer Boomphase sehr solide aus, was aber vor allem an den aufgeblähten Vermögenswerten liegt. Wenn die Blase platzt, erweist sich die Bilanz als Schein. Solche Tests verkennen per se das systemische Risiko. Etwas Ähnliches gilt für neuere Versuche, über Stresstests die Solidität von Banken zu prüfen – oder Krisenfolgen durch Banktestamente zu antizipieren. In guten Zeiten werden auch die Tester beziehungsweise Regulatoren dazu neigen, die systemische Eigendynamik möglicher Krisen im Crashfall zu unterschätzen – so wie dies in den Stresstests für die Euroländer 2010 passiert ist, in denen die meisten Banken aus späteren Krisenländern noch als solide eingestuft wurden. Es liegt ja geradezu in der Logik sich selbst verstärkender Finanzkrisen mit all ihren Ansteckungseffekten, dass sich die Folgen schwer vorausplanen lassen. Regulatoren werden sich kollektiver Psychologie da schwer gänzlich entziehen können.

Als ein Kurieren an Symptomen erweist sich die Begrenzung von Bonuszahlungen in den Banken. Solche Limits mögen den Anreiz für die betreffenden Beschäftigten etwas mindern, Wellen prozyklisch nachzulaufen. Es ändert aber überhaupt nichts daran, dass es den Akteuren an den Märkten schwer fällt, ein Gleichgewicht auszumachen und ersatzweise dann groben Daumenregeln und dem Herdentrieb zu folgen. Die Begrenzung von Boni wird überdies wenig daran ändern, dass Banken durch Handel von Finanzwerten enorme virtuelle Vermögen (und Schulden) generieren können (vgl. Abbildung 2), und hier liegt ja das eigentliche Problem. Würde letzteres behoben, hätten Banken auch gar nicht mehr die Mittel, enorme Boni zu zahlen.

Abbildung 2
Gehälter in der Finanzindustrie im Vergleich zum Gehaltsdurchschnitt in der gesamten Wirtschaft
in %
31591.png

Quelle: T. Philippon: Wages and Human Capital in the U.S. Financial Industry: 1909-2006, December 2008, http://pages.stern.nyu.edu/~tphilipp/papers/pr_rev15.pdf.

Gegen die Prozyklik der Finanzmärkte dürfte sich auch die fast überall am höchsten gehandelte Reform nur als bedingt tauglich erweisen: die Trennung von Investment- und Geschäftstätigkeiten der Banken, wie sie auch Bundesregierung und Opposition in Deutschland anstreben. Eine solche Trennung könnte die eine oder andere Querfinanzierung von Investmentgeschäften durch Einlagen verhindern, mehr aber nicht. Das Hauptbestreben der Trennbankbefürworter scheint ja auch eher zu sein, im Krisenfall das Überspringen von Bilanzproblemen auf das Einlagengeschäft zu vermeiden und systemische Risiken zu verringern. Nur setzt das Mittel dann ja erst ein, wenn die Krise schon da ist. Verhindert werden Krisen so nicht. Die (getrennten) Investmentbanken werden nach wie vor prozyklisch agieren, und ihr Gewicht dürfte sogar noch zunehmen, wenn sie in so einem Trennbankensystem das Investmentgeschäft der bisherigen Universalbanken übernähmen.

Auch die Praxis der vergangenen Jahrzehnte lässt an der Wirkung von Trennbankensystemen als Krisenverhinderer zweifeln. In Japan sind die Banken strikt nach Geschäftsfeldern getrennt, was nicht verhindert hat, dass das Land von einer der schwersten und langwierigsten Finanzkrisen der vergangenen Jahrzehnte erfasst wurde. Ähnliches gilt bei näherer Betrachtung für die USA, wo es zwar seit 1999 formell kein Trennbankensystem mehr gab, die Banken de facto aber weiter getrennt arbeiteten. Die Krise kam trotzdem.

Wer die nächste Krise verhindern will, wird mit einem Mix aus Boni-Begrenzungen, Stesstests und Trennbankansätzen nicht viel erreichen. Dazu braucht es Reformen, die das Kernproblem angehen: den gefährlichen Hang, prozyklische Wellen zu entwickeln und Finanzwerte massiv überschießen zu lassen. Dabei ließe sich das Reformprogramm womöglich auf ein paar wenige, aber sehr grundlegende Veränderungen beschränken.

Steuer auf Finanztransaktionen

Die Logik des Herdentriebs spricht dafür, dass das Ausmaß prozyklischer Ausschläge größer wird, je mehr gehandelt wird, je mehr Herdentiere den jeweils aktuellen Trends und Daumenregeln in einer blasenartigen Entwicklung hinterher laufen und sie damit prägen und verstärken. Das heißt, dass allein die Reduzierung der stark spekulativ getriebenen Geschäfte entsprechend dämpfend auf das Über- oder Unterschießen von Kursen wirken müsste. Und: eines der effizientesten Mittel, um dies zu erreichen, dürfte eine vergleichsweise geringe Besteuerung der Finanztransaktionen sein. Würde auf jedes Geschäft nur ein minimaler Steuersatz erhoben, wäre auf Anhieb ein Großteil des Hochfrequenzhandels unrentabel, da dieser ja auf das Ausnutzen kleiner Margen setzt. Der Handel würde stark nachlassen, wobei sich über das genaue Ausmaß mangels hinreichender empirischer Vergleichsfälle streiten lässt. Der Handel würde in jedem Fall stärker auf das beschränkt, was zur Abwicklung realer Investitionen nötig ist.

Dass es wegen der Transaktionssteuer zu Liquiditätsengpässen kommen könnte, erscheint angesichts der vorliegenden Diagnose eher widersinnig. Es geht ja darum, bewusst einen Teil des Finanzhandels zu reduzieren, in der Annahme, dass er weitgehend losgelöst von der realen Welt stattfindet und zu krisenhaften Entwicklungen beiträgt. In einer Welt, in der tagtäglich für mehrere Billionen US-Dollar Devisen gehandelt werden, scheint Liquidität eher im Überfluss da zu sein. Die gängige Finanzierung von Exportgeschäften wird dagegen durch eine minimale Steuer kaum beeinträchtigt.

Um den prozyklischen Kräften entgegen zu wirken, ließe sich so eine Transaktionssteuer auch antizyklisch anlegen. Dann würde der Steuersatz bei Überschreiten vorher festzulegender Risikogrößen automatisch angehoben, sobald es hinreichend Indizien dafür gibt, dass sich Vermögenswerte blasenartig verteuern oder übermäßig auf Kredit finanziert wird. Umgekehrt müsste der Steuersatz dann unter sein Normalniveau sinken, wenn die Gefahr besteht, dass – etwa in einer Post-Bubble-Economy – die Kreditversorgung kollabiert.

Höhere Eigenkapitalquoten

Nach ähnlichem Muster würde die zweite höchst effiziente Maßnahme wirken: der Einsatz von Eigenkapitalvorschriften für die Banken zur Krisenvermeidung. Im festen Glauben an die Effizienz der Finanzmärkte und Banken waren diese Quoten in den vergangenen Jahrzehnten auf extrem niedrigem Niveau belassen worden. Seit Ausbruch der Finanzkrise setzt sich aber zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese niedrigen Quoten über ihre entsprechend hohe Hebelwirkung maßgeblich zum Kredit- und Schuldenboom innerhalb der Finanzbranche beigetragen haben – und dass durch diesen Kreditboom Vermögensblasen entstanden sind und verstärkt wurden. Die Kreditvergabe innerhalb des Finanzsektors ist in den vergangenen Jahrzehnten um ein Vielfaches der Wachstumsraten in der Realwirtschaft expandiert (vgl. Abbildung 3).10

Abbildung 3
Verschuldung bei US-Banken nach Schuldnern
in % des Bruttoinlandsprodukts
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1 Finanzinstitute, Versicherungen, Immobilien.

Quelle: D. Bezemer: Finance and Growth: When Credit Helps and When It Hinders, Paper vorgestellt auf der Jahreskonferenz des Institute for New Economic Thinking (INET) in Berlin, April 2012.

Wenn das stimmt, könnte sich eine deutlich höhere Eigenkapitalforderung an die Banken als probates Mittel erweisen, um die Verselbständigung blasenhafter Entwicklungen finanzierungsseitig zu bremsen. Unter prominenten Kritikern der Banken wie Simon Johnson11 und Martin Hellwig12 gelten Quoten von 20% bis 25% mittlerweile als durchaus angemessen, was der in der deutschen Industrie gängigen Eigenfinanzierung entspricht. Eine solche Erhöhung würde per Definition den Eifer radikal bremsen, Finanzgeschäfte auf Kredit zu finanzieren. Die Frage ist dann eher, wann und in welchen Etappen die Quoten erhöht werden können. Eine allzu abrupte Anhebung, zumal in einer Zeit immer noch labiler Finanzmärkte und latenter Konjunkturschwäche, würde das Risiko eines abrupten Kreditstopps mit Folgen für die Realwirtschaft bergen. Die Frage ist auch, ob die Eigenkapitalforderungen nicht besser nur auf Finanzgeschäfte beschränkt werden sollten, damit die Verschärfung nicht zu einer Verknappung der Kreditvergabe an realwirtschaftliche Unternehmen, an Mittelständler oder Start-ups führt. Eine solche Unterscheidung wäre nach Auskunft von Bankenvertretern und -experten durchaus denkbar und machbar.

Um die prozyklische Eigendynamik der Finanzmärkte zu kontern, ließe sich der Einsatz der Eigenkapitalforderungen ebenfalls antizyklisch variieren, wie es im neuen Regelwerk von Basel III bereits vorgesehen ist. Die Quoten würden bei Überschreiten bestimmter Kreditwachstumsraten automatisch angehoben – und in der Krise gelockert, wenn die Kreditvergabe deutlich unter das längerfristig normale Expansionstempo sinkt. Ein solches System hatten die Ökonomen um Charles Goodhart bereits 2009 in ihrem Geneva Report skizziert.13 Auch die neue Bankregulierung in Großbritannien sieht vor, dass die Behörden Eigenkapitalquoten erhöhen können, um einer blasenartigen Fehlentwicklung entgegenzuwirken.

Das Rezept könnte aufgehen: deutlich höhere Eigenkapitalquoten für Finanzgeschäfte, von denen reale Investitionsprojekte ausgenommen werden und die bei Erreichen kritischer Werte im Kreditzyklus automatisch steigen oder fallen. Auf diesem Weg ließe sich ein guter Teil jener Faktoren begrenzen, die zur Verselbständigung gefährlicher Wellenbewegungen an den Finanzmärkten führen. Gäbe es höhere Anforderungen, hätten die Banken mehr Mittel für schlechtere Zeiten, meint Kenneth Rogoff.14 Und: Das Rezept antizyklischer Anpassung könnte auch auf einzelne Märkte angewandt werden, etwa auf Immobilien. Auch hier ließe sich bei zunehmender Inflation die Anforderung an Immobilienkäufer verschärfen, eigenes Kapital beizusteuern. „So ließe sich jeder Exzess früher oder später stoppen“, sagt Paul de Grauwe von der London School of Economics.15

Neues Weltwährungssystem

Im historischen Vergleich wirkt die Bilanz der Finanzmarktliberalisierung seit den 1980er Jahren ernüchternd. Das Wirtschaftswachstum ist seitdem sowohl in Kontinentaleuropa, als auch in den USA und in Großbritannien geringer als in den Jahrzehnten zuvor, als die Finanzmärkte hoch reguliert waren. Dies belegt noch keine Kausalität. Es zeigt jedoch, dass selbst spektakuläre Entwicklungen wie das deutsche Wirtschaftswunder und der globale deutsche Exportaufstieg auch ohne Derivate, Hedgefonds und täglichen Billionen-Devisenumsatz finanziert werden können. Auch haben die meisten Erfolgsgeschichten zu Zeiten begonnen, in denen Banken und Finanzmärkte in den betreffenden Ländern stark reguliert waren.16 Das gilt für Japan oder Korea, ebenso wie für China noch bis heute.

Allein der Verdacht sollte Anlass sein, der Frage nachzugehen, inwieweit ein stabileres und realwirtschaftlich nützlicheres Finanzsystem nicht viel stärker daran orientiert sein sollte, was in den Nachkriegsjahrzehnten galt. Dazu könnte eine neue Weltwährungsordnung gehören, in der die Fehler des Bretton-Woods-Systems vermieden werden, das aber wieder auf dem Prinzip fester Wechselkurse basiert. Dies könnte in globalisierten Zeiten für Unternehmen stabilisierend wirken, die in den vergangenen Jahrzehnten etliche Auslandsinvestitionen damit begründeten, dass sie sich so vor Turbulenzen an den Devisenmärkten schützen. Das kann ökonomisch nicht effizient sein. Ein neues System müsste nur auch Automatismen haben, nach denen die Wechselkurse anzupassen sind, wenn Zinsen oder Inflationsraten auseinander driften. So ein Automatismus fehlte im Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit, was zu politisch motivierten und meist viel zu späten Anpassungen führte.

Würden vorausschaubar anpassbare Festkurse eingeführt, würde der Devisenhandel rasch wieder hin zu jenem Niveau tendieren, das zur Finanzierung des realen Welthandels und realer internationaler Investitionen nötig ist. Damit wäre die Instabilität am bis dato größten aller Finanzmärkte auf Anhieb behoben.

Ausblick

Über drei Jahrzehnte galt für die Finanzmärkte der Leitsatz, dass mehr stets besser ist. Deshalb konnten Auflagen und Kontrollen nicht gering genug sein, deshalb galt jede Besteuerung von Finanzgeschäften als Unding. Spätestens die Jahrhundertkrise seit 2007 muss an dem Grundsatz zweifeln lassen. Wenn Finanzmärkte zu steten kollektiven Wellenbewegungen tendieren, in denen sich Euphorie und Panik mit wachsendem Volumen zunehmend fatal abwechseln, ist zu prüfen, ob als Grundsatz nicht eher das Gegenteil gelten muss: Je stärker sich die Finanzgeschäfte wieder auf die Finanzierung realer Transaktionen beschränken, desto mehr wirtschaftlichen Nutzen schafft das – desto weniger ökonomischer Schaden entsteht. Zumindest ist die Beweislast umzukehren: Wer mehr Finanzgeschäfte will, sollte im konkreten Einzelfall den ökonomischen wie gesellschaftlichen Nettonutzen belegen können.

Dann dürften eine Finanztransaktionssteuer, deutlich höhere Eigenkapitalquoten und ein neues Weltwährungssystem die geeignetsten Mittel sein, um für stabilere Verhältnisse zu sorgen. Dann sollte die Regulierung künftig möglichst stark antizyklische Mechanismen einsetzen, die mit einfachen Regeln den Überschwang automatisch bremsen können.

All das mag zunächst utopisch erscheinen, wirkt bei näherer Betrachtung aber gar nicht so unrealistisch. Das Prinzip höherer und antizyklisch schwankender Eigenkapitalquoten ist in Basel III bereits angelegt. In der Schweiz steigen die Quoten in Schritten auf knapp 20%. Die Finanztransaktionssteuer wurde jetzt von einer bemerkenswerten Zahl von EU-Ländern eingeführt, was vor ein paar Jahren noch undenkbar schien. Und: De facto steuern etliche Staaten schon jetzt ihre Wechselkurse, um sich vor den Kapriolen der Märkte zu schützen. Die Schweizer haben den Kurs zum Euro festgezurrt, um die Flucht in den Franken zu stoppen. Die Chinesen setzen nach wie vor auf einen festen, langsam anzupassenden Wechselkurs. Und die Europäer haben ihre bilateralen Wechselkurse schon abgeschafft; ein Fortbestehen etlicher nationaler Währungen hätte nach aller Erfahrung in der aktuellen Krise zu gravierenden Turbulenzen geführt, wie in der Krise des Europäischen Währungssystems Anfang der 1990er Jahre, als am Ende die Bundesbank am Markt intervenierte und die Turbulenzen so stoppen half. Es wäre fahrlässig, nach 30 Jahren derart krisenbehafteter Finanzglobalisierung nicht ernsthaft darüber nachzudenken, wie eine ganz neue Finanzwelt aussehen könnte. Dafür sind die Schäden zu groß, die das Experiment hinterlassen hat.

Dieser Aufsatz basiert auf T. Fricke: Wie viel Bank braucht der Mensch? – Raus aus der verrückten Finanzwelt, Frankfurt a.M. 2013.

  • 1 Drei (Teil-)Gesetze, wovon das „Trennbankengesetz“ das wichtigste ist. Hier gab es am 15.3.2013 eine „erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“, Bundestags-Drucksache 17/12601; zum Kabinettsbeschluss vgl. http://www.prmaximus.de/70845; zur ersten Beratung im Bundestag http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/plenarprotokolle/17229.txt.
  • 2 Vgl. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Jahresbericht 1995, S. 139.
  • 3 Vgl. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Triennial Central Bank Surveys und Annual Report, verschiedene Jahrgänge, ältere Daten zitiert nach Bundeszentrale für politische Bildung, 2010.
  • 4 Berechnungen etwa von K. Rogoff, C. M. Reinhart zeigen, dass seit den 1980er Jahren tatsächlich Jahr für Jahr ein deutlich gestiegener Anteil der Weltwirtschaft von Finanzkrisen betroffen ist.
  • 5 Vgl. M. Friedman: Essays in Positive Economics, Chicago 1953.
  • 6 Vgl. A. Turner: Economics After the Crisis, Cambridge 2012.
  • 7 All diese Mechanismen wurden schon in der Krise nach dem Crash von 1929 identifiziert. Es gehört zu den weniger glorreichen Entwicklungen der Ökonomie, diese Erkenntnisse danach wieder verdrängt zu haben.
  • 8 Vgl. R. J. Shiller: The Subprime Solution, Princeton 2009.
  • 9 Die Prozyklik dürfte auch einen nennenswerten Anteil an der gestiegenen Ungleichheit der Vermögensverteilung haben. Vgl. J. E. Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit, München 2012; T. Fricke, a.a.O.
  • 10 Vgl. D. Bezemer: Finance and Growth: When Credit Helps and When It Hinders, Paper vorgestellt auf der Jahreskonferenz des Institute for New Economic Thinking (INET) in Berlin, April 2012.
  • 11 Nach Aussage in einem persönlichen Gespräch.
  • 12 Vgl. A. Admati, M. Hellwig: The Bankers’ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do About It, Princeton 2013.
  • 13 M. Brunnermeier, A. Crockett, C. Goodhart, A. D. Persaud, H. Shin: The Fundamental Principles of Financial Regulation, Geneva Reports on the World Economy 11, 2009.
  • 14 K. Rogoff: Verloren in Tausend Regeln, in: Financial Times Deutschland, 12.9.2012.
  • 15 Nach Aussage in einem persönlichen Gespräch.
  • 16 Vgl. D. Rodrick, A. Subramanian: Why did Financial Globalization Dissapoint?, IMF Staff Papers, 56. Jg. (2009), Nr. 1, S. 112-138.

Title:The Financial Crisis – Reforms Miss the Heart of the Market Problems

Abstract:Financial globalisation since the early 1980s was supposed to stabilise markets, essentially via wise speculators bringing prices back to equilibrium at any time. In reality, this era has been characterised by more instability and financial crises. In fact, speculators driven by herding tend to produce over- or undershooting. The basic assumption then that ever more trading makes markets ever more efficient seems questionable. Banking should be brought back much closer to its former levels. And regulators should stop designing reforms which do not help counteract herding and overshooting – as is the case for regulating bonuses, which are more of a symptom than the origin of instability. A broadening of financial transaction taxes, as well as much higher capital requirements for banks, would be much more helpful. Both could be designed countercyclically and be raised above normal levels in times of exuberance.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1531-3