Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Den gängigen Konjunkturprognosen liegen in der Regel komplexe ökonometrische Modelle mit einer Vielzahl von Input-Variablen zugrunde. Das Institut für Demoskopie Allensbach fragt in seiner „Neujahrsfrage“ die Bevölkerung seit Gründung der Bundesrepublik jedes Jahr nach ihren Erwartungen für das kommende Jahr. Bemerkenswerterweise sind die Ergebnisse bzw. die daraus abgeleiteten Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung ähnlich stark, teilweise sogar noch stärker mit dem tatsächlichen Wirtschaftswachstum korreliert als die Prognosen des Sachverständigenrats und der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.

Jedes Jahr seit Gründung der Bundesrepublik stellt das Institut für Demoskopie Allensbach am Ende des Jahres einem repräsentativ ausgewählten Personenkreis folgende Frage, die sogenannte Allensbacher Neujahrsfrage: „Sehen Sie dem neuen Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegen?“ Als Antwortkategorien sind „Mit Hoffnungen“, „Mit Befürchtungen“, „Mit Skepsis“ sowie „Unentschieden“ vorgesehen. Es werden in der Regel zwischen 1500 und 2000 Personen ab 16 Jahren persönlich-mündlich (face-to-face) befragt. Bis 1989 wurden die Umfragen nur in Westdeutschland durchgeführt, seit 1990 liegen Ergebnisse für Gesamtdeutschland vor. Der Anteil derjenigen, die dem kommenden Jahr „mit Hoffnungen“ entgegensehen, ist dabei – wie der Artikel im Folgenden darstellen wird – ein guter Indikator für das tatsächliche Wirtschaftswachstum.1

Stimmungsbarometer der Bevölkerung

Die Ergebnisse der Neujahrsfrage lesen sich wie die Fieberkurve bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte. Obwohl in der Frage nicht explizit auf die Erwartungen zur wirtschaftlichen Entwicklung abgestellt wird, sind die Ergebnisse in weiten Teilen auch ein Abbild des Konjunkturverlaufs der Bundesrepublik. Der Zusammenhang zwischen dem Anteil derjenigen, die dem jeweiligen Jahr mit Hoffnungen entgegensehen, und der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung bildete sich allerdings erst nach Ende der in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen ersten Phase des Wirtschaftswunders ab Anfang der 1960er Jahre heraus.

Daher beschränkt sich Abbildung 1 auch auf die Zeit ab 1960. Die 1960er Jahre waren – mit Ausnahme der Jahre 1961 (Mauerbau) und 1966/67 (erste Konjunkturabkühlung der Nachkriegszeit) – von einer großen Zuversicht geprägt. In den Jahren 1974 und 1975 ließ dann die erste Ölkrise den Anteil derjenigen, die diesen Jahren mit Zuversicht entgegenblickten, auf 30% bzw. 44% drastisch sinken. Auch während der zweiten Ölkrise zu Beginn der 1980er Jahre blickte die Bevölkerung wenig optimistisch auf das jeweilige neue Jahr. Die positivste Stimmung unter der (west-)deutschen Bevölkerung wurde schließlich zum Jahreswechsel 1989/1990, kurz nach dem Mauerfall, gemessen: 68% der Bevölkerung blickten damals dem neuen Jahr mit Hoffnungen entgegen. Der Euphorie folgte zum Rezessionsjahr 1993 die Ernüchterung: Nur noch 37% der gesamtdeutschen Bevölkerung erwarteten das neue Jahr mit Hoffnungen. Auch das nächste Jahr mit Konjunkturabschwung (2003) wurde nur von einem geringen Anteil der Bevölkerung mit Hoffnungen erwartet, wie überhaupt das erste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts den durchschnittlich geringsten Anteil an „Hoffnungen“ aufwies. Der letzte drastische Stimmungseinbruch war schließlich für das 2009 zu verzeichnen. Nur 34% sahen dem Jahr mit dem bislang stärksten Rückgang der Wirtschaftsleistung in der bundesdeutschen Geschichte mit Hoffnungen entgegen. Bemerkenswerterweise hat sich seitdem die Stimmung trotz weiter schwelender Schuldenkrise im Euroraum und Unsicherheiten auf den internationalen Finanzmärkten deutlich erholt. Dem laufenden Jahr blickte Ende 2012 fast jeder zweite Deutsche mit Hoffnungen entgegen.2

Abbildung 1
Bevölkerungsstimmung und tatsächliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts
in %, Basis: bis 1991 Westdeutschland, ab 1992 Gesamtdeutschland
33032.png

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach, Statistisches Bundesamt.


Korrelation zwischen „Hoffnungen“ und Wirtschaftsentwicklung

Bereits die grafische Betrachtung (vgl. Abbildung 1) zeigt einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen dem Anteil derjenigen, die dem kommenden Jahr mit Zuversicht entgegensehen, und der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung gemessen als Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts. Eine Korrelationsanalyse belegt diesen Befund (vgl. Tabelle 1). Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass die Erwartungen der Bevölkerung für das kommende Jahr mindestens genauso stark wie bzw. stärker mit dem tatsächlichen Wirtschaftswachstum korrelieren als die Prognosen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie die Herbstprognose der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.3 Als Vergleichszeitraum wurden die Jahre 1967 bis 2012 gewählt, für die sowohl vom Sachverständigenrat als auch von der Gemeinschaftsdiagnose Prognosen vorliegen. Bis 1993 beziehen sich die Ergebnisse auf Westdeutschland, ab 1994 werden die Ergebnisse für Gesamtdeutschland ausgewiesen, da die Prognosen in den Zeitreihen von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose erst ab diesem Jahr für Gesamtdeutschland vorlagen.

Tabelle 1
Korrelation zwischen den einzelnen Prognosen und der realen Wirtschaftsentwicklung
Korrelationskoeffizient nach Pearson
  Betrachteter Zeitraum
Indikator 1967-2012 1967-1993 1994-2012
Allensbacher Neujahrsfrage (Anteil „mit Hoffnungen“) 0,68 0,71 0,53
Prognose des Sachverständigenrates 0,68 0,71 0,48
Herbstprognose der Gemeinschaftsdiagnose 0,56 0,56 0,41

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Zeitreihen in Tabelle 2.

Der Korrelationskoeffizient zwischen dem Anteil derjenigen, die dem jeweiligen Jahr mit Hoffnungen entgegenblicken, und der realen Wirtschaftsentwicklung beträgt für die gesamte Zeitspanne (also 1967 bis 2012) 0,68. Die Korrelation mit der wirtschaftlichen Entwicklung ist damit genauso stark wie bei den Prognosen des Sachverständigenrates und deutlich höher als bei der Gemeinschaftsdiagnose, die einen Korrelationskoeffizienten von 0,56 aufweist. Interessanterweise sind die Ergebnisse der Allensbacher Neujahrsfrage für die Zeit seit 1994 sogar stärker mit der wirtschaftlichen Entwicklung korreliert als die beiden professionellen Prognosen. Während der Korrelationskoeffizient für die Allensbacher Neujahrsfrage 0,53 beträgt, liegt er für die Prognose des Sachverständigenrates bei 0,48; für die Prognose der Gemeinschaftsdiagnose bei 0,41 (vgl. Tabelle 1).

Prognosekraft der Neujahrsfrage

Die bisherige Betrachtung beschränkte sich auf einen deskriptiven Vergleich zwischen dem Anteil derjenigen, die dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegenblicken einerseits sowie Prognosewerten für die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts andererseits. Die Prozentwerte der Allensbacher Neujahrsfrage lassen sich mit Hilfe einer einfachen linearen Regressionsgleichung ebenfalls in Prognosewerte für die wirtschaftliche Entwicklung transformieren. Dabei wird die Prognose eines Jahres über folgende Regressionsgleichung ermittelt, die aus den Anteilswerten der Hoffnungen (unabhängige Variable) und der tatsächlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (abhängige Variable) der jeweils vorhergehenden 20 Jahre geschätzt wird:4

wt = α + β * ht + ut ,

wobei wt der Prognosewert für die reale Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ist, ht der Anteil der Hoffnungen am Ende des Vorjahrs und ut der Störterm.

Das gewählte Verfahren einer rollierenden Regression, bei der jeweils nur die letzten 20 Jahre vor dem aktuellen Jahr einbezogen werden, bietet zwei Vorteile. Zum einen werden für die jeweilige Schätzung der Prognosewerte nur Daten verwendet, die zum Zeitpunkt der Prognose auch bekannt waren. Dies bedeutet beispielsweise, dass für die Regressionsgleichung zur Ermittlung des Prognosewertes für 1990 nur Daten aus der Zeit vor 1990 verwendet wurden. Damit ist die Berechnung der Daten als echte Ex-post-Prognose sichergestellt und eine Vergleichbarkeit mit den Prognosen von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose gewährleistet. In früheren Publikationen wurde mitunter für einen kompletten Zeitraum zunächst ein Regressionsmodell geschätzt, auf dessen Basis die „Hoffnungsprozente“ ex post in „Wachstumsprozente“ überführt wurden. Damit wurden aber Informationen für die Erstellung der Allensbach-Prognose genutzt, die damals für die Prognosen von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose noch nicht vorlagen. So hat beispielsweise Helmstädter5 auf Basis aller vorliegenden Daten die Parameter für den Zeitraum 1979 bis 1990 geschätzt, um auf deren Basis die „Hoffnungsprozente“ in diesem Zeitraum in „Wachstumsprozente“ umzurechnen. Damit hat er aber z.B. für 1982 auch Informationen über den Konjunkturverlauf der Jahre 1983 bis 1990 genutzt, die 1982 natürlich noch nicht bekannt waren.

Zum anderen gewährleistet eine rollierende Regression eine ausreichende Dynamisierung des Zusammenhangs zwischen „Hoffnungsanteilen“ und „Wachstumsprozenten“. Die Schätzung der Regressionsgleichung auf Basis aller vorangegangenen Jahre würde de facto einen zunehmend statischen Zusammenhang unterstellen. Veränderungen im Zusammenhang zwischen „Hoffnungsanteilen“ und Wirtschaftswachstum über die Zeit würden keine adäquate Berücksichtigung mehr finden. So haben sich beispielsweise die jährlichen realen Wachstumsraten in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verringert. Geprägt vom Wirtschaftswunder in der frühen Bundesrepublik lag das jährliche Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in den 1950er Jahren bei durchschnittlich 8,2%, in den 1960er Jahren bei 4,4%, während es sich bereits in den 1970er Jahren auf 2,9% und bis hin zu den 2000er Jahren auf 1,0% reduzierte.6 Gleichzeitig oszilliert der Anteil derjenigen, die dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegenblickten, zwischen 27% und 68%, wobei in mehr als zwei Drittel der Jahre der Wert zwischen 40% und 60% lag. Denn auch in schwierigen wirtschaftlichen Phasen wird es Personen geben, die dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegenblicken, während es in wirtschaftlichen Boomphasen Menschen geben wird, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den vor ihnen liegenden zwölf Monaten mit Befürchtungen oder Skepsis gegenüberstehen. Anders als bei den realen Wachstumsraten ist bei den Hoffnungen auch kein eindeutiger Trend zu kontinuierlich sinkenden „Hoffnungsanteilen“ zu beobachten. So blickte in den 1950er, 1970er, 1980er, 1990er Jahren (auf das jeweilige Jahrzehnt bezogen) durchschnittlich rund die Hälfte der Bevölkerung dem kommenden Jahr positiv entgegen. Deutliche Abweichungen von diesem Durchschnitt gab es nur in den 1960er Jahren, als durchschnittlich 58% dem neuen Jahr mit Hoffnungen entgegenblickten und in den 2000er Jahren, als im Durchschnitt nur 44% positiv gestimmt waren. Indem die Regression nur auf Basis der letzten 20 Jahre geschätzt wird, werden die heutigen Ergebnisse nicht mehr durch die hohen Wachstumsraten früherer Jahrzehnte beeinflusst.

Ergebnisse

Die auf Basis der Ergebnisse der Allensbacher Neujahrsfrage mit Hilfe der genannten Regression ermittelten Wachstumsprognosen sind gemeinsam mit den Prognosen von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose sowie den tatsächlichen Wachstumsraten in Tabelle 2 aufgeführt. Auf Basis dieser Daten lässt sich auch die Qualität der jeweiligen Prognosen über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichen (Tabelle 3). Hierzu werden der mittlere absolute Fehler, die Quadratwurzel aus dem mittleren quadratischen Fehler (RMSE) sowie Theils Ungleichheitskoeffizient betrachtet.7 Bei einer perfekten Prognose nimmt Theils Ungleichheitskoeffizient den Wert 0 an. Ein Wert von 1 bedeutet dagegen, dass die Prognose nicht besser als eine sogenannte naive Prognose ist, d.h. eine Prognose, die einfach den Vorjahreswert unverändert übernimmt. Dabei zeigt sich, dass die Prognose auf Basis der Allensbacher Neujahrsfrage für den gesamten Zeitraum 1967 bis 2012 nur wenig schlechter abschneidet als die Prognose des Sachverständigenrates und sogar besser als die der Gemeinschaftsdiagnose. Über alle Jahre hinweg gemittelt weicht die „Allensbach-Prognose“ im Durchschnitt um 1,36 Prozentpunkte vom tatsächlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ab, die Prognose des Sachverständigenrats um 1,32 Prozentpunkte, die der Gemeinschaftsdiagnose um 1,48 Prozentpunkte. Auch bei den anderen Teststatistiken zeigen sich kaum Unterschiede. In der Zeit seit 1994, in der Daten für das wiedervereinigte Deutschland vorliegen, schneidet die „Allensbach-Prognose“ sogar leicht besser ab als die Prognose von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose.

Tabelle 2
Vergleich von Prognosewerten und tatsächlichen Wachstumsraten
in %, Basis: bis 1993 Westdeutschland, ab 1994 Gesamtdeutschland
Jahr Anteil „mit Hoffnungen“ am Vorjahresende Prognostizierte Werte Tatsäch­licher Wert
    Allensbach SVR GD  
1967 52 4,3 2,5 2,5 -0,3
1968 56 4,2 4,0 5,0 5,5
1969 65 6,0 4,5 3,5 7,5
1970 63 5,9 4,5 4,0 5,0
1971 54 4,0 4,0 4,0 3,1
1972 44 1,9 1,0 1,0 4,3
1973 60 5,2 5,5 5,0 4,8
1974 30 0,4 2,5 3,0 0,9
1975 44 2,8 2,0 2,5 -0,9
1976 52 3,7 4,5 4,0 4,9
1977 54 4,1 4,5 5,5 3,3
1978 55 4,2 3,5 3,0 3,0
1979 60 5,0 3,5 4,0 4,2
1980 51 3,4 2,8 2,5 1,4
1981 34 0,7 0,5 0,0 0,5
1982 32 0,3 0,5 1,0 -0,4
1983 34 0,2 1,0 0,0 1,6
1984 45 2,2 2,5 2,0 2,8
1985 55 3,8 3,0 2,0 2,3
1986 61 4,6 3,0 3,0 2,3
1987 59 4,0 2,0 3,0 1,4
1988 57 3,8 1,5 2,0 3,7
1989 59 3,9 2,5 2,0 3,9
1990 68 4,5 3,0 3,0 5,3
1991 55 3,1 3,5 2,5 5,1
1992 52 2,9 2,5 2,0 1,7
1993 34 0,6 0,0 0,5 -2,3
1994 41 1,1 0,5 1,5 2,5
1995 58 3,4 3,0 3,0 1,7
1996 49 2,2 2,0 2,5 0,8
1997 44 1,4 2,5 2,5 1,7
1998 46 1,6 3,0 2,8 1,9
1999 51 2,3 2,0 2,3 1,9
2000 55 2,7 2,7 2,7 3,1
2001 56 2,8 2,8 2,7 1,5
2002 42 1,1 0,7 1,3 0,0
2003 31 -0,3 1,0 1,4 -0,4
2004 38 0,3 1,5 1,7 1,2
2005 38 0,3 1,4 1,5 0,7
2006 45 1,2 1,0 1,2 3,7
2007 49 2,0 1,8 1,4 3,3
2008 50 2,3 1,9 2,2 1,1
2009 34 -0,1 0,0 0,2 -5,1
2010 45 1,1 1,6 1,2 4,2
2011 56 3,3 2,2 2,0 3,0
2012 49 1,8 0,9 0,8 0,7

SVR = Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; GD = Gemeinschaftdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, Herbstprognose.

Quellen: Institut für Demoskopie Allensbach, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ifo Institut, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen; Wert für 2012: erstes amtliches Ergebnis.

Tabelle 3
Qualitätsbewertung der Prognosen auf Basis ausgewählter Teststatistiken
  1967-2012 1967-1993 1994-2012
Teststatistik Allensbach SVR GD Allensbach SVR GD Allensbach SVR GD
Mittlerer absoluter Fehler 1,36 1,32 1,48 1,42 1,32 1,52 1,27 1,32 1,42
Quadratwurzel aus dem mittleren quadratischen Fehler (RMSE) 1,76 1,66 1,85 1,79 1,60 1,87 1,73 1,74 1,83
Theils Ungleichheitskoeffizient 0,64 0,61 0,68 0,72 0,65 0,76 0,56 0,56 0,59

SVR = Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; GD = Gemeinschaftdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, Herbstprognose.

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Zeitreihen in Tabelle 2.

Erklärungsansätze

Angesichts einer inzwischen 46 Jahre langen Zeitreihe kann es sich bei dem dargestellten Zusammenhang zwischen dem Anteil der Bevölkerung, der dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegensieht, und der realen Wirtschaftsentwicklung kaum um ein statistisches Artefakt handeln.8 Dennoch bleibt das Ergebnis bemerkenswert und zugleich erklärungsbedürftig.

Bemerkenswert ist zunächst, dass die Bevölkerung tatsächlich in die Zukunft fokussierte Erwartungen formuliert und sich dabei nicht sonderlich von der Entwicklung des zurückliegenden Jahres beeinflussen lässt. Die Bevölkerung bildet ihre Erwartungen also tatsächlich prospektiv und nicht retrospektiv. Das zeigt sich auch darin, dass der Anteil derjenigen, die dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegensehen, weniger stark mit dem Wirtschaftswachstum des zurückliegenden Jahres als mit dem Wirtschaftswachstum des kommenden Jahres korreliert.9

Die gute Prognosekraft der Neujahrsfrage für die wirtschaftliche Entwicklung ist auch insofern interessant, weil die Bevölkerung bei der Frage nicht explizit nach ihren wirtschaftlichen Erwartungen oder gar ihren Erwartungen hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gefragt wird. Sie wird also nicht in eine Expertenrolle gedrängt; die Fragestellung bezieht sich vielmehr auf die allgemeinen Erwartungen, mithin also auf die unmittelbare eigene Lebenswirklichkeit und das eigene Lebensumfeld.

Umso erstaunlicher ist es also, dass die Prognose ähnlich gut oder sogar besser als die Prognosen ausgewiesener Konjunkturexperten abschneidet. In der Vergangenheit war dies immer wieder Wasser auf die Mühlen der Kritiker von Konjunkturprognosen, die darin einen Beleg für die (systematische) Fehleranfälligkeit und Defizite von Konjunkturprognosen gesehen haben. So formulierte Helmstädter schon vor über zwanzig Jahren in dieser Zeitschrift: „[I]ch erwarte von den offiziellen Prognosen der Experten eigentlich ein besseres Abschneiden“.10

Ein möglicher Grund für die bessere Prognosequalität der Neujahrsfrage wird mitunter in dem späteren Erhebungszeitraum gesehen.11 Die Herbstprognose der Gemeinschaftsdiagnose wird in der Regel Mitte Oktober veröffentlicht, das Jahresgutachten des Sachverständigenrates, das auch die Wachstumsprognose für das kommende Jahr enthält, Mitte November. Das Institut für Demoskopie Allensbach führt seine Befragungen zur Neujahrsfrage in der Regel Ende November/Anfang Dezember durch. Diese zeitliche Verzögerung kann in Einzelfällen durchaus einen zeitlichen Informationsvorsprung bedeuten, kaum aber einen über diesen langen Zeitraum gravierenden systematischen Einfluss haben. Denn auch für die Allensbacher Neujahrsfrage gilt, dass sie vor Beginn des neuen Jahres gestellt wurde. Damit unterscheidet sie sich übrigens von der Frühjahrsprognose der Gemeinschaftsdiagnose. Diese nutzt bereits Daten aus dem aktuellen Jahr, so dass es sich dabei um keine echte Ex-ante-Prognose mehr handelt, weshalb sie auch nicht in den Vergleich aufgenommen wurde.12 Wenig plausibel erscheint auch, dass die Bevölkerung die Prognosen von Sachverständigenrat und der Gemeinschaftsdiagnose in einem gewissermaßen iterativen Prozess verfeinert. Denn Untersuchungen zeigen immer wieder, dass die Bevölkerung kein ausgeprägtes Interesse an Wirtschaftspolitik hat und das Wirtschaftswissen der Bevölkerung teilweise sehr beschränkt ist.13 Zudem unterscheiden sich die „Hoffnungsanteile“ von politisch interessierten (und damit mutmaßlich auch besser über die veröffentlichten Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung informierten) Personen nicht von denjenigen Bürgern, die politisch weniger interessiert sind.

Plausibler als der zeitliche Vorsprung der Bevölkerung gegenüber den professionellen Konjunkturprognosen scheint daher ein möglicherweise vorhandener Informationsvorsprung.14 Denkbar ist, dass die Bevölkerung Informationen und Beobachtungen aus ihrem persönlichen Umfeld nutzt, die den Forschungsinstituten in dieser Form nicht zur Verfügung stehen bzw. in den Prognosen nicht angemessen verarbeitet werden, z.B. die Situation im eigenen Betrieb, soweit sie sich nicht in den offiziellen Statistiken niederschlägt, oder die subjektive Einschätzung der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Auch die persönliche Konsumstimmung dürfte sich auf die Erwartungen für das kommende Jahr auswirken, wenngleich in einer derart exportorientierten Wirtschaftsnation wie der deutschen die Inlandsnachfrage natürlich nur eine Komponente des Wirtschaftswachstums darstellt. Zudem könnte es sein, dass die Formulierung der Neujahrsfrage nach Hoffnungen und Befürchtungen eine psychologische Dimension erfasst, aus der eine besonders hohe Prognosekraft resultiert.

Eine weitere Erklärung für die Qualität der Allensbacher Neujahrsfrage zur Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung könnte schließlich die von Surowiecki beschriebene „Weisheit der Vielen“ (Crowd Wisdom) liefern.15 Anhand zahlreicher Beispiele illustriert Surowiecki, dass unter bestimmten Bedingungen der Durchschnitt von individuellen Schätzungen einer großen Zahl von Personen besser sein kann als die ausgewiesener Experten. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass es Meinungsvielfalt gibt, jeder einzelne also unterschiedliche Informationen zu einem bestimmten Thema besitzt. Zudem müssen die Meinungen unabhängig sein, also nicht durch die Ansicht der Gruppe insgesamt beeinflusst werden. Beides ist im Falle der Allensbacher Umfragen gewährleistet: Die Befragten kennen sich nicht und sind über das gesamte Bundesgebiet in allen Bevölkerungsgruppen repräsentativ verteilt, verfügen also über unterschiedliche (persönliche) Informationen. Die Befragten kennen sich auch nicht untereinander, so dass die eigene Meinung nicht durch die Ansicht der anderen Befragten beeinflusst werden kann.

Fazit

Der Beitrag hat gezeigt, dass die Bevölkerungsstimmung, wie sie im Rahmen der Allensbacher Neujahrsfrage am Ende eines Jahres gemessen wird, über einen Zeitraum von inzwischen 46 Jahren ein guter Indikator für die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik Deutschland im folgenden Jahr ist und ähnliche, teilweise sogar leicht bessere Prognosen liefert als der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Dabei geht es weniger darum, die vorhandenen Prognosen von Sachverständigenrat und Gemeinschaftsdiagnose in Frage zu stellen. Der vorliegende Beitrag macht sich auch die Kritik an professionellen Konjunkturprognosen nicht zu eigen.16 Vielmehr sollte der Mehrwert demoskopischer Befragungen, soweit sie eine über längere Zeit derart hohe Qualität für die Voraussage von Entwicklungen unter Beweis gestellt haben, für die Erstellung quantitativer Konjunkturprognosen illustriert werden.

  • 1 Der Zusammenhang wurde erstmals von Karl Steinbuch, einem Professor für Nachrichtentechnik an der Technischen Hochschule Karlsruhe, entdeckt. Vgl. K. Steinbuch: Über die Tragkraft von Voraussagen, in: ders. (Hrsg.): Diese verdammte Technik – Tatsachen gegen Demagogie, München, Berlin, 1980, S. 245-262. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde dieser Befund von Elisabeth Noelle-Neumann, der Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.12.1980 präsentiert. Für erste tiefergehende wissenschaftliche Abhandlungen vgl. G. Kirchgässner: Sind die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte „rational“? Eine empirische Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 118. Jg. (1982), H. 2, S. 215-240; E. Noelle-Neumann: The Public as Prophet: Findings from Continuous Survey Research and Their Importance for Early Diagnosis of Economic Growth, in: International Journal of Public Opinion Research, 1. Jg. (1989), H. 2, S. 136-150.
  • 2 Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: Optimistisch ins Jahr 2013 – Die Deutschen blicken dem neuen Jahr trotz aller Unsicherheiten zuversichtlich entgegen, Allensbacher Kurzbericht, Nr. 9/2012.
  • 3 Die Datenreihen für die Prognosen des Sachverständigenrates und der Gemeinschaftsdiagnose wurden von der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates bzw. dem ifo Institut zur Verfügung gestellt, wofür sich der Autor an dieser Stelle bedanken möchte. Die Prognosen der Gemeinschaftsdiagnose beziehen sich bis 1992 auf das Bruttosozialprodukt, das sich aber in Deutschland kaum vom Bruttoinlandsprodukt unterscheidet, so dass die unterschiedlichen Messkonzepte nicht ins Gewicht fallen.
  • 4 Vgl. auch G. Kirchgässner, a.a.O.; G. Kirchgässner: On the Rationality of the General Public, in: Applied Economics Quarterly, 51. Jg. (2005), H. 2, S. 121-132. Für die ersten Jahre wurden nur Daten ab 1960 für die Regression berücksichtigt, da sich der Zusammenhang zwischen Neujahrsfrage und Wirtschaftsentwicklung erst Anfang der 1960er Jahre verfestigt hat, seitdem aber sichtbar andauert. Eine andere Wahl des Stützzeitraums für die rollierende Regression (z.B. 15 oder 25 Jahre) würde leicht andere Zahlen liefern, wobei der Befund im Wesentlichen bestehen bleiben würde.
  • 5 Vgl. E. Helmstädter: Die Konjunkturprognosen und die Stimmungsprozente, in: Wirtschaftsdienst, 71. Jg. (1991), H. 7, S. 360-365; und die Kritik dazu bei U. van Suntum: Konjunkturprognosen: Besser als ihr Ruf, in: Wirtschaftsdienst, 71. Jg. (1991), H. 7, S. 365-368.
  • 6 Vgl. Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen: Bruttoinlandsprodukt, Bruttonationaleinkommen, Volkseinkommen – Lange Reihen ab 1950, Erscheinungsdatum 15.1.2013, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen.html, 13.4.2013.
  • 7 Theils Ungleichheitskoeffizient ist als Quadratwurzel des Quotienten aus dem mittleren quadratischen Fehler der prognostizierten Veränderung und dem Durchschnitt der quadratischen tatsächlichen Veränderung definiert.
  • 8 Vgl. auch G. Kirchgässner: On the Rationality ..., a.a.O.; der für seine Analyse einen Zeitraum von 35 Jahren betrachtet hat, und E. Helmstädter, a.a.O.; der seinen Analysen zwölf Jahre zugrunde legte.
  • 9 Vgl. auch E. Noelle-Neumann, a.a.O.
  • 10 E. Helmstädter: Entgegnung auf van Suntum, in: Wirtschaftsdienst, 71. Jg. (1991), H. 7, S. 368-369. Für einen Überblick der Evaluationen von Konjunkturprognosen vgl. B. Antholz: Geschichte der quantitativen Konjunkturprognose-Evaluation in Deutschland, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 75. Jg. (2006), H. 2, S. 12-33.
  • 11 Vgl. U. van Suntum, a.a.O.
  • 12 Tatsächlich liefert die Frühjahrsprognose eine höhere Prognosequalität als die hier verglichenen drei Prognosen, was allerdings angesichts der bereits vorhandenen und in die Prognose einbezogenen Daten aus dem 1. Quartal des Jahres nicht verwundert (vgl. hierzu G. Kirchgässner: On the Rationality ..., a.a.O.); zur steigenden Treffgenauigkeit der Konjunkturprognose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im Verlauf eines Jahres vgl. K. A. Kholodilin, B. Siliverstovs: Geben Konjunkturprognosen eine gute Orientierung?, in: DIW-Wochenbericht, 76. Jg. (2009), H. 13, S. 207-213.
  • 13 Vgl. z.B. Institut für Demoskopie Allensbach: Einstellungen zur sozialen Marktwirtschaft – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, IfD-Umfrage 10029, Allensbach 2008; I. Wobker, M. Lehmann-Waffenschmidt, P. Kenning, G. Gigerenzer: What Do People Know about the Economy? A Test of Minimal Economic Knowledge in Germany, Dresden Discussion Paper in Economics, Nr. 3/12.
  • 14 Vgl. G. Kirchgässner: Sind die Erwartungen ..., a.a.O.
  • 15 Vgl. J. Surowiecki: Die Weisheit der Vielen – Warum Gruppen klüger sind als Einzelne, München 2007, 2. Aufl. (Originaltitel: The Wisdom of Crowds. Why the Many Are Smarter than the Few and How Collective Wisdom Shapes Business, Economics, Societies and Nations), worauf auch G. Kirchgässner, On the Rationality ..., a.a.O. hinweist.
  • 16 Vgl. hierzu B. Antholz, a.a.O.

Title:Public Opinion as an Economic Forecasting Tool

Abstract:Established economic forecasts are generally based on complex econometric models which include a wide array of input variables. The Allensbach Institute, one of Germany’s leading opinion poll institutes, poses a question at the end of each year asking Germans about their expectations for the coming year. Remarkably, the findings obtained in response to this so-called “New Year’s question” or the forecasts derived from the results bear a strong resemblance to the actual economic trends in Germany – and in part correlate even more closely with the actual economic growth rate than the forecasts published by the German Council of Economic Experts and the Joint Economic Forecasts issued by the leading German economic research institutes.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-013-1539-8

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.