Solidaritätszuschlag: Bleibt erhalten!
Es herrscht Wahlkampf und die FDP möchte sich wieder einmal als Steuersenkungspartei profilieren. Dieses Mal mit dem Thema Solidaritätszuschlag. Für seine Beibehaltung sprechen sich die CDU und die SPD aus.
In der öffentlichen Diskussion wird zwischen den Begriffen Solidarpakt und Solidaritätszuschlag oft nicht trennscharf unterschieden. Der Solidarpakt umfasst Zahlungen, die die ostdeutschen Länder und Berlin im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs insbesondere als Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich der unterproportionalen Finanzkraft ihrer Kommunen erhalten; diese Regelung läuft zum Jahr 2019 aus. Die teilungsbedingte Infrastrukturlücke dürfte nach über 20 Jahren Wiedervereinigung zwar größtenteils geschlossen sein, allerdings ist die Finanzkraft der ostdeutschen Kommunen im Vergleich mit den westdeutschen Kommunen immer noch deutlich unterproportional. Dennoch gibt es auch im Westen viele Städte und Gemeinden, insbesondere im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, mit angespannter Finanzsituation. Da davon auszugehen ist, dass auch nach 2019 das Gebot, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu schaffen, im Grundgesetz verankert bleibt, wird es keine monokausale Verteilung der Finanzmittel nach Himmelsrichtung geben können. Für die notwendige Neuregelung des gesamten bundesstaatlichen Finanzausgleichs, vielleicht mit Unterstützung einer Föderalismuskommission III, werden daher zusätzlich Kriterien festzulegen sein, anhand derer die Mittel sachgerecht regional verteilt werden, unabhängig von der Mittelherkunft.
Der Solidaritätszuschlag stellt eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen-, Lohn-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer dar, die sich aktuell auf 5,5% des festgesetzten Steuerbetrages beläuft und von allen Steuerzahlern sowohl in den westdeutschen als auch in den ostdeutschen Ländern zu entrichten ist. Richtig ist, dass der Solidaritätszuschlag 1991 mit der Begründung eingeführt wurde, die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in Ostdeutschland an das Niveau der westdeutschen Länder anzupassen. Dennoch ist sein Aufkommen, das sich 2012 auf knapp 13,6 Mrd. Euro belief, nicht an bestimmte Zwecke gebunden. Somit stellt sich der Solidaritätszuschlag, auch wenn der Name es nicht gleich verrät, faktisch als eine allgemeine Steuer dar und steht dem Bund zur Deckung jeglicher Ausgaben zur Verfügung. Ob und wie der Bund mit seinem Steueraufkommen die neuen Länder unterstützt, Banken rettet, Garantien bezahlt, Schulden abbaut oder andere Ausgaben finanziert, obliegt den künftigen Regierungen und Parlamenten. Angesichts der 2009 verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse, die für den Bund ab 2016 und für die Länder ab 2020 gilt, ist in nächster Zeit kein Spielraum für eine Reduzierung des Steueraufkommens vorhanden. Vielmehr muss vorher eine gründliche Aufgabenkritik erfolgen, die Ausgabensenkungen ermöglicht, um auch zukünftig ohne Neuverschuldung ausgeglichene Haushalte zu bewerkstelligen.
Solange jedoch Wahlversprechen, die höhere Ausgaben implizieren, gemacht werden und sich die verschiedenen staatlichen Ebenen mehrheitlich noch weiter ver- statt entschulden, sind jegliche Steuersenkungsdiskussionen als Wahlkampfrhetorik zu qualifizieren. Die steuerliche Belastung in Höhe des Solidaritätszuschlags wird den deutschen Steuerzahlern – vielleicht in einem anderen Gewand – auf absehbare Zeit erhalten bleiben (müssen).
Schattenbankregulierung: Keine neue Behörde
Musste man im Frühling 2013 noch fürchten, dass die EU auf die Gründung einer eigenständigen Schattenbank-Regulierungsbehörde hin arbeitet, so klingen die letzten Äußerungen von EU-Kommissar Michel Barnier bescheidener und sachgerechter. Eine Schattenbankbehörde hätte, wenn man von den Überlegungen im Grünbuch der EU von 2012 ausgeht, über eine große Zahl von Transaktionen und finanziellen Institutionen wachen sollen, die im Finanzintermediationsprozess Funktionen übernehmen. Verbriefungsvehikel und andere Zweckgesellschaften, die als Kreditintermediäre in der Finanzmarktkrise eine zum Teil unrühmliche Rolle gespielt haben, zählen ebenso zu den Schattenbanken wie Geldmarktfonds (insbesondere der Typ mit konstantem Nettoinventarwert) und andere Fonds, die in Kreditprodukte investieren oder mit Kreditmitteln arbeiten. Auch Wertpapierleihgeschäfte und Repos, komplexe Exchange-Traded Funds und Hedgefonds sollten unter das Regime der Behörde fallen. Und möglicherweise auch Finanzierungsgesellschaften, die Kredite oder Kreditgarantien bereitstellen sowie schließlich Versicherer und Rückversicherer, die Kreditprodukte auflegen oder garantieren.
Die Befürchtungen der Finanzaufsicht in der EU, die hinter dem Grünbuch der EU stehen, sind nicht unbegründet: Mit der derzeit strikter werdenden Bankregulierung wächst für die betroffenen Institute der Anreiz, auf weniger oder gar nicht reglementierte Bereiche der Finanzmärkte auszuweichen, um den Handlungsspielraum zu erweitern und die Kosten zu senken. Es steigen also die Anreize für eine Regulierungsarbitrage. Ob den daraus für die Finanzstabilität erwachsenden Gefahren allerdings durch den Aufbau einer neuen Behörde auf effiziente Weise beizukommen ist, kann bezweifelt werden. Probleme ergäben sich nicht nur aus der Etablierung eines neuen europäischen Aufsichtskolosses, der allenfalls für die USA mit seinem riesigen Schattenbanksektor in Betracht gezogen werden könnte, sondern auch aus den Mehrfachregulierungen einzelner Geschäfte und Finanzinstitute und den Überschneidungen mit bereits bestehenden Gesetzen und Verordnungen.
Schattenbanken als Institutionen schalten sich als spezialisierte Finanzinstitute in Verbriefungstransaktionen und andere Aktivitäten der Kreditintermediation ein (z.B. als Zweckgesellschaften, Conduits, Structured Investment Vehicles), betreiben wie Banken eine ausgeprägte Risiken-, Fristen- und Liquiditätstransformation, unterliegen aber nicht den üblichen bankaufsichtlichen Bestimmungen und Beschränkungen und sind auch zumindest formal nicht in die Sicherheitsnetzwerke der Einlagensicherung einbezogen. Sie können aber mit erheblichen Reputationsrisiken für die beteiligten Banken behaftet sein und sowohl als Transaktionsarten wie als Finanzinstitutionen einen „too-big-to-fail-Status“ erlangen, wenn sie groß oder mit dem Bankensystem eng vernetzt sind (z.B. AIG). Schattenbanken können die Stabilität des Finanzsystems gefährden.
Nun scheint nach einer für September 2013 angekündigten Präsentation der EU-Kommission wohl eher ein Ansatz Platz zu greifen, zunächst einmal nicht auf eine direkte Beaufsichtigung (via Schattenbankbehörde), sondern auf eine indirekte Erfassung und Regulierung abzustellen. Geschäfte der Banken mit Schattenbanken bzw. Beteiligungen an solchen Instituten sollen gesondert erfasst, gemeldet und, sofern erforderlich, mit höheren Eigenkapitalanforderungen belegt werden, um die Akkumulation von Risiken in diesem Bereich einzudämmen. Darüber hinaus sollen Geldmarktfonds, die in die Refinanzierung der Banken eingebunden und nach Meinung der Kommission noch nicht hinreichend geregelt sind, einer spezifischen Aufsicht unterworfen werden. Mit diesen Maßnahmen soll dem systemrelevanten Aufbau von Leverage außerhalb des Bankensystems entgegengewirkt werden. Diese neue Schwerpunktsetzung ist zu begrüßen, zumal mit einem solchen Ansatz auch der Warnung der Deutschen Bundesbank entsprochen wird, die für den deutschen Finanzmarkt die größten Risiken für die Stabilität des Finanzsystems in der Vernetzung der Banken mit ausländischen Akteuren des Schattenbanksystems sieht.
EU-Industriepolitik: Kältemittelstreit in Autoindustrie
Es herrscht seltsame Einigkeit zwischen Frankreich und den Brüsseler EU-Beamten. Frankreich hat die EU-Kommission über ein Verkaufsverbot für neue Mercedes-Modelle informiert. Obwohl die neue Mercedes A-Klasse, B-Klasse und CLA-Reihe in Deutschland eine Typgenehmigung vom Kraftfahrt-Bundesamt besitzen und so nach EU-Recht für alle EU-Staaten zugelassen sind, hat Frankreich das Verkaufsverbot verhängt. Die Kommission hat die Bundesregierung aufgefordert, Stellung zu nehmen und droht Deutschland mit der Eröffnung eines Verfahrens wegen der Verletzung europäischen Rechts. Was ist da „unter Freunden“ passiert? Die Ursache des Konflikts trägt den wenig spektakulären Namen R1234yf. Die EU hat sich vor ein paar Jahren auf R1234yf als neues Kältemittel für Autoklimaanlagen festgelegt. R1234yf hat zwei große Vorteile: Erstens schädigt es im Gegensatz zu heute noch üblichen Kältemittel nicht die Ozonschicht, da es sich in der Atmosphäre schnell abbaut; zweitens sind bei den Klimaanlagen nur leichte Anpassungen für die Umrüstung notwendig. Für die Autoindustrie ist das eine schöne Sache, denn Preiserhöhungen bei Neuwagen, die mittlerweile nahezu alle Klimaanlagen haben, lassen sich schlecht durchsetzen. Da Klimaanlagen nicht neu entwickelt werden müssen, wird der Klimaeffekt schnell erzielt.
Leider bleibt es nicht bei den Vorteilen. Wenn R1234yf brennt, bildet sich bei Temperaturen über 600°C Flusssäure, eine Fluorwasserstoffsäure, die Haut und Atemweg schwer verätzt. Nur 1 g Fluorwasserstoff kann für Menschen tödlich sein. Bisher wurde immer wieder betont, dass dies kein Problem sei, denn bei Unfällen würde das Kältemittel nicht nach außen dringen. Dummerweise hat der sprichwörtliche „schwäbische Oberingenieur“ beobachtet, dass R1234yf bei einem Crash-Versuch entweicht und im Kontakt mit heißen Abgaskrümmern die hochgiftige Flusssäure freisetzt. Es wurden mehr als 100 Tests durchgeführt, die die Risiken nachweisen. Daimler hat sich daher entschlossen, gegen die EU-Vorschrift zu verstoßen und auf R1234yf zu verzichten. Der Konzern arbeitet mit Hochdruck an einer neuen Klimaanlage, die ungiftiges CO2 als Kältemittel nutzt. Die neue Technik ist in zwei Jahren einsatzbereit und dürfte gut 100 Euro Zusatzkosten pro Auto verursachen. In der Zwischenzeit will man das bisherige Kältemittel einsetzen.
Da R1234yf die Preise für Neuwagen nicht tangiert, wird verständlich, warum Länder mit Massenherstellern, wie Frankreich, ungern auf R1234yf verzichten. Premiumhersteller wie Mercedes können Preiserhöhungen einfacher im Markt umsetzen. Der EU-Zielkonflikt ist vorgezeichnet. Brüssel pocht, unabhängig von möglichen Gefahren, auf seine Vorschrift. Da werden Assoziationen zu den Energiesparlampen wach, die beim Zerbrechen Quecksilber freisetzen, und ebenfalls von Brüssel durchgedrückt wurden. Zusätzlich trübt ein schaler Beigeschmack. Mit R1234yf besitzen die beiden alleinigen Patentinhaber Honeywell und DuPont eine Gelddruckmaschine, denn R1234yf ist das einzige in der EU zugelassene Kältemittel. Was könnte einem Unternehmen Schöneres passieren als per Gesetz zum Monopolisten gekürt zu werden? Wie groß das Risiko eines „Flusssäure-Crashs“ ist, kann schwer quantifiziert werden. Aber Menschenleben dürfen nicht für 100 Euro Mehrpreis pro gekühltem Neuwagen aufs Spiel gesetzt werden. Auch zwei Jahre Zeitverlust sind kein unlösbares Problem. Heute dürften 60 Mio. Pkw mit dem klimaschädlichen Kältemittel in Europa unterwegs sein. Zwei zusätzliche Jahre steuern die Menschheit nicht in den Klimakollaps. Die Brüsseler Bürokratie bewegt sich auf gefährlichem Terrain. Niemand braucht ein Europa, das Menschenleben ignoriert. Niemand braucht ein Europa, das mit kuriosen Verboten nationale Industriepolitik forciert. Niemand braucht ein Europa, das per Verordnung Monopole schafft und nicht lernfähig ist.
Staatsfinanzen: Doppik einführen!
Wenn im Rahmen der NSA-Affäre diskutiert wird, wie viel ein Staat über seine Bürger weiß, so sei hier gefragt, wie viel ein Staat eigentlich über sich selbst weiß. Blicken wir auf die Staatsverschuldung: Wie hoch ist sie eigentlich genau? Die exakte Höhe wird in Deutschland, aber auch in ganz Europa, viel zu ungenau berechnet. Dass die ausgewiesene Staatsverschuldung invalide ist, berechnet auch der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen. Im Rahmen einer Generationenbilanz spricht er heute schon von einer „Nachhaltigkeitslücke“ bzw. impliziten Staatsverschuldung und diagnostiziert Zahlungsverpflichtungen aus dem öffentlichen Haushalt an die Sozialversicherungsträger sowie Pensionszahlungen an Beamte von fast 226% des BIP. Dies ist ungefähr das Dreifache der ausgewiesenen expliziten Staatsverschuldung. Um die finanzielle Verfasstheit der Staatsfinanzen darzustellen, sind jedoch keine Generationenbilanzen oder Urteile von Ratingagenturen notwendig. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird schnell klar, dass die bestehende kamerale Messung und Darstellung der öffentlichen Finanzen nicht das misst, was Kaufleute als Fremdkapital in ihren Bilanzen und Jahresabschlüssen auszuweisen haben! Wäre doppelte Buchführung in den Finanzministerien kein Fremdwort, würde schnell ein anderes Bild entstehen. Ressourcenverbrauchende Sachverhalte, wie Abschreibungen von Vermögensgegenständen, Zuführungen zu Pensionsrückstellungen, die Gewährung von Bürgschaften oder die Einstandsverpflichtung für gesetzlich mit dem Staatshaushalt verknüpfte Einrichtungen, wie Sozialkassen, Landesbanken oder Landesbetriebe sind bisher in keiner Weise transparent bewertet und nachvollziehbar präsentiert. Die Verbuchung von ausschließlich zahlungswirksamen Ereignissen in der Kameralistik (auf ein einziges Konto, wo schon der Abschluss eines Kredits als „Einnahme“ verbucht wird) lässt verständlicherweise schnell eine virtuelle Sicht auf die Investitionskraft des Staates und dessen öffentliche Einheiten entstehen.
Die Präsentation des Jahresabschlusses der Freien und Hansestadt Hamburg nach dem Handelsgesetzbuch und damit die erste Bilanz eines deutschen Bundeslandes offenbarte kürzlich, dass sich die Verschuldung durch Umstellung von der Kameralistik auf die kaufmännische Betrachtungsweise (Doppik) exakt verdoppelt hatte. Bei einer Bilanzsumme von 50 Mrd. Euro wurden 20 Mrd. Euro Rückstellungen für Pensionslasten der Hamburger Beamten verbucht. Die nun jährlich publizierte Konzernbilanz zeigt außerdem die Risiken der 390 mit dem Hamburger Haushalt in Verbindung stehenden Beteiligungen auf – Risiken, für die der Steuerzahler gegebenenfalls einzustehen hat.
Nicht überraschend ist, dass die Europäische Kommission im Rahmen der Modernisierung der Finanzstatistik und der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Europäischen Mitgliedstaaten zu einer harmonisierten staatlichen Rechnungslegung nach kaufmännischen Grundsätzen verpflichten will (European Public Sector Accounting Standards – EPSAS). Es scheint sich auch in Brüssel die Erkenntnis durchzusetzen: Erst durch Bilanzierung, Jahresabschluss, kaufmännische Bewertung und Konsolidierung von Beteiligungen wird aus einem periodengerechten Rechnungswesen generationengerechtes Staatshandeln ermöglicht und damit ein Ausgang aus der virtuellen Welt aufgezeigt. Wie verschuldet er ist, sollte auch ein Staat wissen.