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Nach der Umstellung der geräteabhängigen Rundfunkgebühren zu einem Rundfunkbeitrag pro Wohnung ist die Beitragsbefreiung der Mindestsicherungsempfänger geblieben. Hierdurch entstehen Grenzfälle, die mit negativen Anreizen verbunden sind. Die Autoren fordern daher, dass der Rundfunkbeitrag der Grundsicherung zugeschlagen wird und nicht der ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice die Bedürftigkeit prüfen muss.

Zum 1.1.2013 erfuhr die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland eine grundlegende Veränderung: Das bis dato praktizierte und im Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) kodifizierte geräteabhängige Gebührenmodell wurde durch das im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) geregelte Beitragsmodell ersetzt. Demnach wird das Rundfunkentgelt als Wohnungsbeitrag unabhängig von den tatsächlich vorhandenen Empfangsgeräten und unabhängig von der Zahl der Wohnungsbewohner eingezogen. Geblieben ist jedoch die Beitragsbefreiung von Mindestsicherungsempfängern, also vor allem von Empfängern der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Hartz IV), von Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII und von Empfängern von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§ 4 Abs. 1 Nr. 1-3 RBStV). Unter Vorlage eines entsprechenden Nachweises können sich die genannten Personen beim ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice1 von der Zahlung des Rundfunkbeitrags befreien lassen.

Dass Mindestsicherungsempfänger den Rundfunkbeitrag nicht aus eigener Tasche und damit unter Verzicht auf die Befriedigung anderer Bedürfnisse entrichten müssen, ist unstrittig und folgt aus dem verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Denn ein menschenwürdiges Dasein erfordert nicht nur Mittel zur Sicherung der physischen Existenz (z.B. Nahrung, Kleidung, Unterkunft), sondern bedingt zu einem Mindestmaß auch die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.2 Hierzu zählt der Zugang zum Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, damit auch Mindestsicherungsempfänger ihr Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ausüben können und einen ungehinderten Zugang zur Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben.3 Dieser Anspruch gilt umso mehr, als nach § 2 Abs. 1 RBStV grundsätzlich für jede Wohnung im privaten Bereich eine Rundfunkbeitragspflicht besteht, so dass auch ein Verzicht auf entsprechende Empfangsgeräte anders als in Zeiten des geräteabhängigen Gebührenmodells keine befreiende Wirkung mehr hat.

Wenn es auch keine Zweifel daran gibt, dass die Gesellschaft sozial Bedürftige von der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entbinden hat, so stellt sich dennoch die Frage, ob die gewählte Vorgehensweise der Beitragsbefreiung hierzu das Mittel der Wahl ist oder ob eine entsprechende Aufstockung der staatlichen Mindestsicherungsleistungen vorzuziehen ist. Dieser Frage wird im Folgenden aus finanzwissenschaftlicher Perspektive nachgegangen. Eine rechtliche Bewertung ist dagegen nicht Gegenstand der Ausführungen, auch wenn nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Beitragsbefreiung von juristischer Seite zumindest als nachteilig, wenn nicht sogar als rechtlich bedenklich eingestuft wird.4

Allokative Betrachtung der Beitragsbefreiung: anreizfeindlich und ineffizient

Das Kriterium der Allokationseffizienz fordert den Einsatz von Produktionsfaktoren in einer Volkswirtschaft dergestalt, dass unter Beachtung der Präferenzstrukturen der Wirtschaftssubjekte ein technisches Maximum an Gütern und Dienstleistungen produziert wird. Bezogen auf die Fragestellung ist dieses Kriterium dann verletzt, wenn der rechtliche Rahmen zum einen für Bedürftige Anreize setzt, die eigene Anstrengungen zur Reduzierung oder Vermeidung der Hilfebedürftigkeit untergraben, und zum anderen ein Übermaß an Verwaltungshandeln verursacht.

Die Frage nach der anreizkompatibilen Beitragsbefreiung lässt sich unter Rückgriff auf sogenannte Budgetlinien beantworten. Diese stellen für einen zu spezifizierenden Beispielhaushalt eine funktionale Beziehung zwischen seinen Bruttoeinnahmen und seinem verfügbaren Einkommen her, und zwar zum einen für den Fall eines Verzichts auf Mindestsicherungsleistungen und zum anderen für den Fall einer Leistungsinanspruchnahme. Wie im Folgenden gezeigt wird, lässt sich mithilfe solcher Budgetlinien nicht nur der Auslaufpunkt der Mindestsicherungsleistungen identifizieren, sondern auch die Transferentzugsrate veranschaulichen. Hierbei handelt es sich um diejenige Rate, mit der Mindestsicherungsleistungen bzw. der geldwerte Vorteil der Beitragsbefreiung mit steigenden Bruttoeinnahmen abgebaut werden und die daher den pekuniären Anreiz zur Ausdehnung oder – im ungünstigen Fall – zur Reduzierung der Bruttoeinnahmen bestimmt.

Beispiel: abhängig Beschäftigter

Als Beispielhaushalt wird aus Vereinfachungsgründen ein Einpersonenhaushalt mit nur einer einzigen Einkommensquelle, nämlich Bruttolohn oder -gehalt aus einer abhängigen Beschäftigung, unterstellt. Die den Haushalt bildende Person ist erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II und hat dadurch bei Hilfebedürftigkeit einen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, d.h. auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Jenseits der Minijob-Grenze ist die Person in der gesetzlichen Krankenversicherung (und damit zwangsläufig auch in der sozialen Pflegeversicherung) pflichtversichert. Krankenkassenindividuelle Zusatzbeiträge bleiben ebenso außer Betracht wie ein etwaiger Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung nach § 55 Abs. 3 SGB XI. Über anrechenbares Vermögen im Sinne der Mindestsicherung verfügt die Person nicht. Der Mindestsicherungsbedarf dieser Person setzt sich aus dem Regelbedarf (Bedarfsstufe 1) in Höhe von derzeit 391 Euro sowie den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen, Mehrbedarfe und einmalige Bedarfe bleiben im Beispiel unberücksichtigt. Die angemessenen Unterkunftskosten richten sich annahmegemäß nach den (gerundeten) wohngeldrechtlichen Miethöchstbeträgen, die neben der Haushaltsgröße von der Mietenstufe der Wohnortgemeinde abhängen. Es wird unterstellt, dass der Beispielhaushalt in einer Kommune der Mietenstufe 3 wohnt, so dass eine Miete in Höhe von 325 Euro von der Grundsicherungsstelle als angemessen anerkannt wird. Als angemessen anerkannte Kosten für Warmwasser und Heizung werden 52,80 Euro (10 Euro für Warmwasser und 42,80 Euro für Heizung) angesetzt. Insgesamt beträgt der Mindestsicherungsbedarf der betrachteten Person somit knapp 769 Euro im Monat.

Abbildung 1
Einpersonenhaushalt (abhängig Beschäftigter): Wirkung der Rundfunkbeitragsbefreiung auf das verfügbare monatliche Haushaltseinkommen
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Quelle: eigene Darstellung.

Die schwarze Budgetlinie in Abbildung 1 zeigt das verfügbare Haushaltseinkommen, d.h. das Nettoarbeitseinkommen nach Steuern (ohne Kirchensteuer) und Sozialabgaben, bei Nicht-Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes II. Der Umstand, dass diese Linie zunächst im negativen Bereich verläuft, erklärt sich aus der realitätskonformen Annahme, dass im Fall von Bruttoeinnahmen bis 450 Euro eine sozialabgabenfreie geringfügige Beschäftigung (Minijob) vorliegt und sich die betroffene Person aufgrund der in § 193 Abs. 3 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) gesetzlich verankerten Krankenversicherungspflicht zum Mindestbeitrag von derzeit 137,33 Euro (ohne Krankengeldanspruch) freiwillig gesetzlich krankenversichert. Da noch 18,89 Euro Mindestbeitrag für die soziale Pflegeversicherung hinzukommen, liegt der Ordinatenabschnitt der schwarzen Budgetlinie bei -156,22 Euro.5 Von da an steigt das verfügbare Einkommen mit zunehmendem Bruttoarbeitslohn bzw. -gehalt an. Der sprunghafte Anstieg bei 450 Euro kommt durch den Wechsel von einem sozialabgabenfreien Minijob in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zustande, der zwar mit zusätzlichen Beiträgen für die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung, dafür aber mit einer umso größeren Abnahme der Ausgaben für die Kranken- und Pflegeversicherung einhergeht.6 Der – allerdings kaum wahrnehmbare – Steigungsanstieg bei 850 Euro erklärt sich dagegen mit dem Auslaufen der Gleitzone. Bei Bruttoeinnahmen in Höhe von 934 Euro flacht die zuvor linear angestiegene Budgetlinie schließlich etwas ab, was auf das Einsetzen der Einkommensteuer zurückzuführen ist.7

Die dunkelblaue Budgetlinie stellt das verfügbare Haushaltseinkommen des Beispielhaushalts bei Inanspruchnahme der Grundsicherung für Arbeitsuchende dar. Ohne eigenes Arbeitseinkommen erhält die Person Grundsicherung in Höhe ihres Bedarfs, so dass der Ordinatenabschnitt der Budgetlinie bei knapp 769 Euro liegt. Der nachfolgende Anstieg der Budgetlinie resultiert aus dem Ansatz der sogenannten Erwerbstätigenfreibeträge nach § 11b SGB II.8 Diese verhindern zunächst, dass zusätzliches Erwerbseinkommen die Mindestsicherung im vollen Umfang mindert, allerdings nur bis zu einem Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit und damit Bruttoeinnahmen in Höhe von 1200 Euro. Darüber hinausgehendes Erwerbseinkommen reduziert die Grundsicherung im vollen Umfang – mit der Folge, dass die Budgetlinie waagerecht verläuft und somit pekuniäre Anreize zu einer weiteren Ausdehnung der Erwerbstätigkeit nicht mehr gegeben sind.

Der Schnittpunkt zwischen der schwarzen und der dunkelblauen Budgetlinie markiert den Auslaufpunkt der Grundsicherung und liegt im Beispielfall bei 1440 Euro Bruttoeinnahmen. Bei höherem Bruttoarbeitseinkommen hat der Beispielhaushalt folglich keine Ansprüche mehr auf Grundsicherungsleistungen. Berücksichtigt man den Gegenwert der Rundfunkbeitragsbefreiung in Höhe des derzeitigen monatlichen Rundfunkbeitrags (17,98 Euro), stellt die hellblaue Budgetlinie die Situation beim Bezug von Mindestsicherungsleistungen dar.

Neben den Empfängern von Mindestsicherungs- und vergleichbaren Leistungen können sich nach § 4 Abs. 6 RBStV Personen bzw. Haushalte vom Rundfunkbeitrag befreien lassen, die per Bescheid nachweisen, dass sie mindestsicherungsberechtigt sind, aus persönlichen Gründen aber auf die Leistungsinanspruchnahme verzichten. Eine Befreiung unter Berufung auf § 4 Abs. 6 RBStV ist überdies für Personen bzw. Haushalte möglich, deren zu berücksichtigendes monatliches Einkommen die für sie jeweils maßgebliche Berechtigungsgrenze nachweislich maximal um die Höhe des Rundfunkbeitrags übersteigt. Ohne diese Härtefallregelung lägen die verfügbaren Einkommen der zweitgenannten Personen- bzw. Haushaltsgruppe unter denjenigen von Mindestsicherungsempfängern, was einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge einen Verstoß gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellen würde.9

Die Budgetlinie, die das verfügbare Einkommen einschließlich des Gegenwerts der Beitragsbefreiung ohne gleichzeitigen Mindestsicherungsbezug angibt, ist in Abbildung 1 hellgrau eingezeichnet. Diese Budgetlinie besteht letztlich aus zwei Segmenten, denn sie spiegelt bis zum Auslaufpunkt der Grundsicherung die Situation bei einem freiwilligen Verzicht auf Mindestsicherungsleistungen wider, während sie danach die Auswirkung der Härtefallregelung für gerade nicht mehr Mindestsicherungsberechtigte veranschaulicht. Dass diese Härtefallregelung anreizfeindlich ist, erkennt man am sprunghaften Abfallen der hellgrauen Budgetlinie bei Bruttoeinnahmen in Höhe von 1473 Euro, denn ab dann profitiert der Beispielhaushalt nicht mehr von der Härtefallregelung und der damit einhergehenden vollständigen Beitragsbefreiung und muss folglich einen Teil seines verfügbaren Einkommens zur Begleichung des vollen Rundfunkbeitrags verwenden. Der Beispielhaushalt stellt sich dadurch schlechter als in der Situation mit Bruttoeinnahmen, die die Inanspruchnahme der Härtefallregelung ermöglichen würden, d.h. mit Bruttoeinnahmen oberhalb des Auslaufpunktes der Grundsicherung (hier: 1440 Euro), aber unterhalb der Befreiungsgrenze (hier: 1473 Euro). Erst ab Bruttoeinnahmen von 1507 Euro verfügt der Beispielhaushalt auch nach Entrichten des Rundfunkbeitrags wieder über ein höheres verfügbares Einkommen als Haushalte, die ebenfalls nicht mindestsicherungsberechtigt sind, sich aber unter Berufung auf die Härtefallregelung von der Entrichtung des Rundfunkbeitrags befreien lassen.

Diese anreizfeindliche Situation ließe sich entschärfen, indem der Gesetzgeber von Beitragsbefreiungen der geschilderten Art absieht und stattdessen den Mindestsicherungsbedarf pauschal um die Höhe des Rundfunkbeitrags erhöht, d.h. den Rundfunkbeitrag als Bedarf definiert.10 Dadurch würde die hellblaue Budgetlinie nunmehr das um den Rundfunkbeitrag erhöhte verfügbare Einkommen von Mindestsicherungsempfängern darstellen und um die im vergrößerten Ausschnitt von Abbildung 1 dargestellte gestrichelte Strecke AB verlängert werden. Der Auslaufpunkt der Mindestsicherungsberechtigung wäre nicht mehr wie bisher in Punkt A (bei 1440 Euro Bruttoeinnahmen), sondern in Punkt B, d.h. bei der jetzigen Befreiungsgrenze in Höhe von 1473 Euro, denn dort trifft die hellblaue mit der schwarzen Budgetlinie zusammen. Der Auslaufpunkt der Grundsicherung für Arbeitsuchende würde sich somit etwas nach rechts verschieben. Da die Verlängerung der „Mindestsicherungslinie“ allerdings im waagerechten Abschnitt erfolgen würde, entstünde wegen der bereits bei 1200 Euro einsetzenden Vollanrechnung zusätzlichen Erwerbseinkommens zwar kein Anreiz zur Ausdehnung der Erwerbstätigkeit. Nichtsdestotrotz wäre der gegenwärtige negative Anreizeffekt beseitigt.

Eine Alternative zur Begründung eines zusätzlichen Mindestsicherungsbedarfs in Höhe des Rundfunkbeitrags besteht darin, die gegenwärtige Härtefallregelung für Nicht-Transferleistungsempfänger bzw. -berechtigte dahingehend abzuändern, dass nur noch eine Beitragsbefreiung im notwendigen Umfang vorgenommen wird. Die Beitragsbefreiung wäre dann exakt so bemessen, dass Härtefälle ein verfügbares Haushaltseinkommen in Höhe des verfügbaren Haushaltseinkommens von Mindestsicherungsempfängern am Auslaufpunkt der Mindestsicherung haben. Auch in diesem Fall würde der abrupte Abfall der hellgrauen Budgetlinie in Punkt B verschwinden. Die blau gestrichelte Strecke AB im vergrößerten Ausschnitt von Abbildung 1 wäre dann allerdings nicht mehr eine Verlängerung der „Mindestsicherungslinie“, sondern würde das verfügbare Haushaltseinkommen ohne Mindestsicherung, aber einschließlich des Gegenwerts der (nur noch partiellen) Rundfunkbeitragsbefreiung angeben.

Der für den Beispielhaushalt beschriebene negative Anreizeffekt gilt auch bei anderen Haushalts- und Einkommenskonstellationen. Die entsprechenden Budgetlinien haben dann andere Steigungen und die jeweilige Mindestsicherungsleistung läuft bei anderen Bruttoeinnahmen aus. An der grundlegenden Argumentation ändert sich jedoch nichts.

Beispiel: Rentner

Wird der beschriebene Fall des Einpersonenhaushalts dahingehend geändert, dass die den Haushalt begründende Person aufgrund von Alter oder dauerhaft voller Erwerbsminderung als einzige Einkommensquelle Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und deshalb bei Hilfebedürftigkeit einen Anspruch auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat, gelangt man zu Abbildung 2. Diese unterscheidet sich von Abbildung 1 zum einen dahingehend, dass das verfügbare Haushaltseinkommen ohne Inanspruchnahme der Grundsicherung und ohne Gegenwert der Rundfunkbeitragsbefreiung durch eine Ursprungsgerade dargestellt wird. Ursächlich hierfür ist, dass Beiträge für die gesetzliche Renten- sowie Arbeitslosenversicherung nicht entstehen und im hier betrachteten Bruttorentenbereich einheitliche Beitragssätze für die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung gelten sowie Steuern vom Einkommen nicht anfallen. Zum anderen besteht ein wesentlicher Unterschied zu Abbildung 1 darin, dass die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung keine zu den Erwerbstätigenfreibeträgen des SGB II vergleichbaren Freibeträge für Renten vorsieht. Die entsprechende Budgetlinie (dunkelblau) ist daher eine Waagerechte in Höhe des Mindestsicherungsbedarfs, der annahmegemäß wiederum knapp 769 Euro beträgt. Dadurch läuft die Grundsicherung bereits bei einer Bruttorente und damit bei Bruttoeinnahmen in Höhe von 857 Euro aus. Was die Auswirkungen der Beitragsbefreiung im Falle der Hilfebedürftigkeit bzw. bei Anwendung der Härtefallregelung nach § 4 Abs. 6 RBStV angeht, ergeben sich qualitativ jedoch keine Unterschiede, auch nicht in Bezug auf die negativen Anreizeffekte. Die Anreizeffekte beziehen sich nun aber nicht auf den Umfang der laufenden Erwerbstätigkeit, sondern auf den Aufbau einer Altersvorsorge. Ähnlich wie – im Fall von Abbildung 1 – Bruttolöhne und -gehälter knapp über der Rundfunkbeitragsbefreiungsgrenze im Hinblick auf das verfügbare Haushaltseinkommen nachteilig sind, so sind es in Abbildung 2 Renten bzw. ganz allgemein Alterseinkünfte knapp über dieser Grenze. Was die Reformoptionen angeht, kann ebenfalls auf die entsprechenden Ausführungen zu Abbildung 1 verwiesen werden.

Abbildung 2
Einpersonenhaushalt (Rentner): Wirkung der Rundfunkbeitragsbefreiung auf das verfügbare monatliche Haushaltseinkommen
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Quelle: eigene Darstellung.

Verwaltungsineffizienz der Beitragsbefreiung

Im Hinblick auf die Anreizkompatibilität sind beide dargestellten Reformoptionen – die Bedarfsanerkennung des Rundfunkbeitrags sowie eine Beitragsbefreiung bei Nicht-Transferleistungsempfängern bzw. -berechtigten nur im notwendigen Umfang – als identisch zu bewerten, nicht aber, was den damit einhergehenden Verwaltungsaufwand betrifft. Denn auch die zweitgenannte Reformoption, d.h. die einer Beitragsbefreiung nur im notwendigen Umfang, wäre auf das bisherige Verwaltungsprozedere angewiesen, das die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung beim ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice erfordert, damit dieser nach Prüfung der Bescheinigung die Befreiung vornimmt. Die Einführung eines Mindestsicherungsbedarfs in Höhe des Rundfunkbeitrags würde demgegenüber eine deutliche Verwaltungsvereinfachung darstellen, da eine Einbindung des ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice nur noch im Hinblick auf die Beitragsbefreiung von Mindestsicherungsberechtigten, die freiwillig auf ihre Ansprüche verzichten, notwendig wäre. Und abgesehen davon bestünde ein – je nach Anschauung womöglich entscheidender – positiver Nebeneffekt darin, dass die Privatsphäre der Mindestsicherungsempfänger wie auch derjenigen Personen und Haushalte besser geschützt wäre, die als gerade nicht mehr Mindestsicherungsberechtigte die gegenwärtige Härtefallregelung in Anspruch nehmen.11 Zwar müssten die Arbeitsagenturen bzw. Kommunen mehr Mindestsicherungsbescheide als bisher ausstellen. Im gleichen Umfang würde aber die Ausstellung von Bescheiden über fehlende Anspruchsberechtigungen wegen geringfügigen Überschreitens der Mindestsicherungsgrenze, die bisher zur Rundfunkbeitragsbefreiung angefertigt werden mussten, redundant werden. Was den Umfang der Feststellung der mindestsicherungsrechtlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie die Bedarfsermittlung angeht, hätten Arbeitsagenturen und Kommunen somit keinen Mehraufwand. Lediglich die zusätzliche Zahlungsanweisung von Mindestsicherungsleistungen in Höhe des Rundfunkbeitrags oder darunter würde zusätzlich anfallen.

Distributive Betrachtung der Beitragsbefreiung: die „doppelte Ungerechtigkeit“

Die Regelungen zur Befreiung vom Rundfunkbeitrag sind in zweifacher Hinsicht verteilungspolitisch fragwürdig. Zunächst verstoßen sie gegen das Prinzip der horizontalen Gerechtigkeit, da Personen bzw. Haushalte mit Bruttoeinkommen knapp oberhalb der Befreiungsgrenze am Ende geringere verfügbare Einkommen haben als andere, die gerade noch unter die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 RBStV fallen und dadurch vollständig von der Entrichtung des Rundfunkbeitrags entbunden werden. Verschärft wird diese distributive Ungerechtigkeit dadurch, dass die Beitragsbefreiungen das gesamte Rundfunkbeitragsvolumen reduzieren und dadurch der gerade nicht mehr beitragsbefreite Personenkreis zusammen mit anderen Beitragspflichtigen einen umso höheren Beitrag entrichten muss, um den Finanzbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stillen.12 Der einzelne Beitragszahler entlastet dadurch die Mindestsicherungssysteme und damit auch deren Financier, den Steuerzahler. Da sich die Tarifgestaltung der Einkommensteuer als der quantitativ bedeutsamsten Steuerquelle am Leistungsfähigkeitsprinzip orientiert, wäre es unter verteilungspolitischen Gründen stringenter, für die Finanzierung der Rundfunkbeiträge für Hilfebedürftige das redistributiv wirkende (Einkommen-)Steuersystem heranzuziehen und nicht die Gesamtheit der Rundfunkbeitragszahler – zumal Beitragszahler knapp oberhalb der Befreiungsgrenze bestenfalls geringfügig zu diesem Steueraufkommen beitragen.

Fazit

Die Rundfunkbeitragsbefreiung von Mindestsicherungsberechtigten und von Personen bzw. Haushalten mit Einkommen knapp über der jeweiligen Berechtigungsgrenze ist sowohl in allokativer als auch in distributiver Hinsicht negativ zu bewerten. Je nach zugrundeliegendem Mindestsicherungssystem gehen damit negative Arbeitsanreize bzw. negative Anreize zum Aufbau einer Altersvorsorge einher. Auch das Verwaltungsprozedere zur Beitragsbefreiung ist aufwändig und stellt einen unangemessen hohen Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen dar. Unter distributiven Gesichtspunkten sind die Regelungen als ungerecht zu bewerten, weil gerade nicht mehr Befreite nach Entrichten des Rundfunkbeitrags ein geringeres verfügbares Einkommen haben als gerade noch Befreite. Darüber hinaus zieht die Beitragsbefreiung eine umso stärkere Belastung der Beitragszahler nach sich und entlastet daher den eigentlich für die Finanzierung der Mindestsicherungsleistungen zuständigen (Einkommen-)Steuerzahler, der andernfalls nach Maßgabe seiner individuellen Leistungsfähigkeit belastet werden würde.

Die aufgeführten Schwächen der gegenwärtig praktizierten Form der Beitragsbefreiung ließen sich durch eine Anerkennung des Rundfunkbeitrags als Mindestsicherungsbedarf beseitigen. Alternativ käme auch eine Abkehr von der gegenwärtigen vollständigen Beitragsbefreiung von Härtefällen mit Einkommen knapp über der jeweiligen Einkommensgrenze für die Mindestsicherung dahingehend in Betracht, dass die Beitragsbefreiung nur noch im notwendigen Umfang gewährt wird. Der ineffiziente und in die Privatsphäre eingreifende Verwaltungsablauf würde dadurch allerdings nicht beseitigt werden.

Die allokativen und distributiven Schwächen der Regelungen zur Rundfunkbeitragsbefreiung sind gewiss nicht gravierend. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber sich für diese Regelungen entschieden hat, zumal sie auch von juristischer Seite kritisch gesehen werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Gesetzgeber aus Gründen, die in der Theorie der Neuen Politischen Ökonomie (Public-Choice-Theorie) zu suchen sind, bewusst auf eine Anerkennung des Rundfunkbeitrags als mindestsicherungsrechtlicher Bedarf verzichtet und die Nachteile der bisherigen Befreiungsregeln billigend in Kauf nimmt. Dem Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie zufolge versuchen Politiker, ihre Wählerstimmen zum Zwecke des Machterhalts und der damit verbundenen Vorteile zu maximieren:13 Alles, was aus Wählersicht als Misserfolg der Regierung gewertet werden könnte, ist demnach zu unterbinden. Da davon auszugehen ist, dass die Wählerschaft hohe Zahlen und Anteile Bedürftiger – auch aus Angst vor eigener Armut und der damit einhergehenden Stigmatisierung14 – zuvorderst der Regierung als Misserfolg anlastet, ist es nachvollziehbar, warum eine auf Wiederwahl bedachte Regierung möglichst geringe Empfängerzahlen staatlicher Mindestsicherungsleistungen anstrebt. Eine Anerkennung des Rundfunkbeitrags als Mindestsicherungsbedarf würde die Zahl der Berechtigten und folglich der Empfänger von Mindestsicherungsleistungen verglichen mit dem Status quo der Beitragsbefreiung allerdings erhöhen. Insofern dienen dieser Argumentation zufolge die Regelungen zur Rundfunkbeitragsbefreiung vornehmlich dazu, die wahren Berechtigten- und Empfängerzahlen zu verschleiern.

Das mutmaßliche Bestreben staatlicher Entscheidungsträger, das Abrutschen Hilfebedürftiger in die eigentlich zuständigen, aber vermeintlich stigmatisierten Mindestsicherungssysteme durch das Vorschalten anderer Transfersysteme zu verhindern und so den wahren Umfang der Hilfebedürftigkeit in Deutschland zu verschleiern, äußert sich nicht nur in den Regelungen zur Rundfunkbeitragsbefreiung. Vielmehr gibt es eine Reihe weiterer Beispiele.15 Besonders erwähnenswert ist der Kinderzuschlag nach § 6a BKGG, der unter bestimmten Voraussetzungen Eltern mit Kindern vor einer Inanspruchnahme von SGB-II-Leistungen bewahren soll.16 Ein weiteres Beispiel sind Zuschüsse zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 26 SGB II für Personen, die dem Grunde nach Ansprüche auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende haben und die allein durch das Entrichten von Beiträgen für eine private bzw. freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung hilfebedürftig würden.

Die mutmaßlich mit dem Ziel einer Minimierung der Mindestsicherungsempfängerzahlen ergriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Verhinderung einer Versorgung Bedürftiger durch die eigentlich zuständigen Mindestsicherungssysteme sind auch insofern prekär, als der Gesetzgeber dadurch die gesellschaftliche Stigmatisierung der Mindestsicherungssysteme und der von ihnen versorgten Personen nicht nur billigt, sondern sogar vorantreibt.17 Das Vorhandensein existenzsichernder Transfersysteme ist jedoch kein Makel des Sozialstaats, sondern ganz im Gegenteil eine sozialpolitische Errungenschaft. Dem Gesetzgeber stünde es daher gut zu Gesicht, diese Errungenschaft zu verteidigen und den Mindestsicherungssystemen in Bezug auf ihre Kernaufgabe uneingeschränkt zu vertrauen, nämlich Hilfebedürftigen ein im Einklang mit dem Grundgesetz menschenwürdiges Existenzminimum zu garantieren.

  • 1 Hierbei handelt es sich um die Nachfolgeeinrichtung der Gebühreneinzugszentrale (GEZ).
  • 2 Vgl. P. Kirchhof: Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Baden-Baden 2010, S. 64.
  • 3 Vgl. B. v. Maydell: Zur rechtlichen Problematik der Befreiung von den Rundfunkgebühren, Frankfurt a.M. 1987, S. 41; vgl. W. Hahn et al.: Beck‘scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 4 RBStV, Rn. 4.
  • 4 Vgl. z.B. P. Kirchhoff, a.a.O., S. 66; und B. v. Maydell, a.a.O.
  • 5 Ohne eigenes Einkommen und aufgrund des Verzichts auf das Arbeitslosengeld II müsste die Person diese Ausgaben anderweitig, z.B. durch die Auflösung von Ersparnissen, finanzieren.
  • 6 Bei einem Bruttoarbeitseinkommen von 451 Euro betragen die arbeitnehmerbezogenen Sozialabgaben im Monat nur 48,58 Euro, wovon 22,74 Euro auf die Kranken- und Pflegeversicherung entfallen.
  • 7 Bei der Berechnung der Einkommensteuer wurde zur Ermittlung der Einkünfte aus nicht-selbständiger Arbeit der Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9a S. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in Höhe von monatlich 83,33 Euro (im Jahr 1000 Euro) angesetzt.
  • 8 Demnach sind die ersten 100 Euro Erwerbseinkommen anrechnungsfrei („Grundfreibetrag“). Über 100 Euro monatlich hinausgehende Erwerbseinkommen werden bis 1000 Euro zu 80% und danach bis 1200 Euro (im Fall von bedarfsgemeinschaftsangehörigen minderjährigen Kindern bis 1500 Euro) zu 90% auf die Grundsicherung angerechnet. Übersteigen die Erwerbseinkommen die Grenze von 1200 Euro (bzw. 1500 Euro), kommt es für den übersteigenden Teil zu einer Vollanrechnung auf die Grundsicherung.
  • 9 Vgl. Az. 1 BvR 3269/08.
  • 10 Dies kann durch eine Anhebung des Regelbedarfs, die Einführung eines entsprechenden Mehrbedarfs oder eine Anhebung der angemessenen Kosten der Unterkunft erreicht werden. Für die letztgenannte Variante spricht, dass diese auch dem (Ausnahme-)Fall eines Auseinanderfallens von Bedarfsgemeinschaft und Haushalt gerecht wird, da in solchen Situationen „automatisch“ nur der auf die Bedarfsgemeinschaft entfallende Teil des haushaltsbezogenen Rundfunkbeitrags angesetzt wird.
  • 11 Vgl. P. Kirchhoff, a.a.O., S. 66.
  • 12 Vgl. B. v. Maydell, a.a.O., S. 16, 28 f.
  • 13 Vgl. z.B. M. Erlei, M. Leschke, D. Sauerland: Neue Institutionenökonomik, Stuttgart 1999, S. 326 ff.
  • 14 Zur stigmatisierenden Wirkung von „Hartz IV“ vgl. K. Dörre et al.: Bewährungsproben für die Unterschicht?, Frankfurt, New York 2013, S. 235 ff.
  • 15 Vgl. H. Cischinsky, J. Kirchner: Die Zuschussrente: Eine falsche Therapie bei richtiger Diagnosestellung, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 12, S. 849-854.
  • 16 Ein weiterer Erklärungsansatz für die Persistenz des Kinderzuschlags dürfte in den einschlägigen Bürokratietheorien der Neuen Politischen Ökonomie zu finden sein, wonach Bürokratien – im Fall des Kinderzuschlags das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Familienkasse als durchführende Instanz – danach streben, ihr Verwaltungsbudget zu maximieren und ihre Befugnisse zu erhalten bzw. auszuweiten. Vgl. z.B. D. C. Mueller: Public Choice III, Cambridge u.a.O. 2003, S. 359 ff.
  • 17 Vgl. H. Cischinsky, J. Kirchner, a.a.O., S. 854.

Title:Exemptions from German Public Broadcasting Contributions: Inefficient, Incentive Incompatible, and Unfair

Abstract:In Germany, recipients of social assistance transfers and of long­term unemployment benefits (Arbeitslosengeld II) are exempted from paying contributions to public service broadcasting. But this exemption brings about allocative inefficiencies by creating negative incentives for the recipients to avoid or to reduce the need for help and by causing needless administrative efforts. Furthermore, the exemption from payment of contributions is questionable with regard to distributional goals. It would therefore be better to raise benefits by the amount of the contribution to public service broadcasting and to cancel the exemption.


DOI: 10.1007/s10273-014-1754-y

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