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In letzter Zeit wird wieder verstärkt das bedingungslose Grundeinkommen als Instrument für mehr Verteilungsgerechtigkeit diskutiert. Befürworter halten es für egalitär, liberal, individualistisch und wirtschaftlich sinnvoll. Alle vier Aspekte lassen sich jedoch widerlegen. Auch höhere Löhne bei Geringverdienern und eine Erleichterung des Strukturwandels zu einer stärker digital bestimmten Welt können mithilfe des bedingungslosen Grundeinkommens nicht erreicht werden. Ein individuelles Erwerbskonto oder ein Lebenschancenkredit, der jedem Einzelnen die Freiheit gibt, selbst über die Nutzung staatlicher Leistungen für Bildung, Qualifizierung und Zeitsouveränität zu entscheiden, würde diese Kriterien dagegen erfüllen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist wieder in aller Munde. Nach dem Referendum in der Schweiz unternehmen einige Länder bereits Experimente, um herauszufinden, wie es wirken wird. Es wird als Heilsbringer gehandelt, von einigen um die soziale Ungleichheit zu beschränken und die Sozialsysteme zu modernisieren, von anderen um den Wegfall von Arbeitsplätzen durch den technologischen Wandel zu kompensieren. Das bedingungslose Grundeinkommen wird weder das eine noch das andere tun können. Es würde letztlich bedeuten, dass sich Staat und Gesellschaft vor allem gegenüber seinen schwächsten Mitgliedern aus der Verantwortung stehlen.

Es wird kräftig über die Frage gestritten, ob und wie die Ungleichheit in Deutschland gestiegen ist. Außer Frage steht jedoch, dass eine große Mehrheit die soziale Ungleichheit in unserem Land als zu hoch empfindet. Dies bedeutet, dass die Politik nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Industrieländern daran gescheitert ist, die großen Veränderungen unserer Zeit – den technologischen Wandel, die Globalisierung, die Informationsgesellschaft – zur Zufriedenheit der Mehrheit zu gestalten. Die stärker werdende Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist letztlich die logische Konsequenz des Scheiterns der Politik, die soziale Ungleichheit zu begrenzen und gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität zu gewährleisten. Schlimmer noch, diese Forderung signalisiert das immer tiefer sitzende Misstrauen, dass die Politik in der Lage sein wird, die Ungleichheit zu begrenzen und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Zukunft zu garantieren. Die implizite Botschaft des bedingungslosen Grundeinkommens „Chancengleichheit und das Ideal der sozialen Marktwirtschaft, dass jeder Mensch für sich selber sorgen kann“, ist eine Utopie. Die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche Unterschiede zu beschränken, ist durch mehr Umverteilung über Steuern und Transfers zu verwirklichen.

Vier angebliche Stärken

Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens betonen vier Stärken: dass es egalitär, liberal, individualistisch und wirtschaftlich sinnvoll ist.1 Ein genaues Hinschauen zeigt jedoch, dass das bedingungslose Grundeinkommen keines dieser Charakteristika im weiteren Sinne erfüllt, sondern nur, wenn man diese sehr eng definiert.

  1. Das bedingungslose Grundeinkommen, das beispielsweise jedem Bürger 1000 Euro im Monat gibt, ist sicherlich egalitär, in dem Sinne, dass es alle gleich behandelt. Eine solche Definition von „egalitär“ ist jedoch ungewöhnlich eng, denn es unterscheidet nicht zwischen Chancen-, Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit. Zur Verteilungsgerechtigkeit würde ein solches bedingungsloses Grundeinkommen nicht beitragen, zumindest nach den meisten der bisher gemachten Vorschläge, die zwar die Ärmsten und vor allem Beschäftigte mit geringen Einkommen entlasten, aber es würde auch die Mittelschicht deutlich stärker belasten und die Reichsten weniger besteuern. Mit anderen Worten: Es ist ganz und gar nicht klar, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nach Empfinden der Mehrheit der Gesellschaft mehr Verteilungsgerechtigkeit als die gegenwärtigen Sozialsysteme gewährleisten würde. Zudem ignoriert die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen die Chancengleichheit. Manche Menschen benötigen sehr viel mehr staatliche Hilfe und Unterstützung, um ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln und sich in Wirtschaft und Gesellschaft einbringen zu können. Das bedeutet ganz konkret, dass 1000 Euro an staatlichen Hilfen pro Monat einfach zu wenig sein mögen, um wirkliche Chancengleichheit zu gewährleisten. Das bedingungslose Grundeinkommen ist in diesem Sinne eben nicht egalitär, sondern blind gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen jedes Einzelnen.
  2. Der zweite große Widerspruch ist, dass das bedingungslose Grundeinkommen ganz und gar nicht liberal sein muss. Die Idee, dass Menschen vom Druck befreit werden, sich um Arbeit und Einkommen aktiv kümmern zu müssen, ist eine viel zu enge und einseitige Definition von Freiheit. Wie der britische Philosoph Isiah Berlin unterstrich, benötigen Menschen nicht nur eine positive Freiheit, sondern auch eine negative Freiheit. Es ist Aufgabe von Staat und Gesellschaft den Bürgern nicht nur rechtlich die Freiheit zu geben, individuelle Entscheidungen zu treffen. Staat und Gesellschaft müssen auch Hürden und Hindernisse für den Einzelnen so weit wie möglich aus dem Weg räumen, so dass dieser seine Freiheiten auch wirklich nutzen kann. Die meisten vorgebrachten Konzepte für ein bedingungsloses Grundeinkommen kommen eher einer Verweigerung von Verantwortung durch Staat und Gesellschaft gleich. Jeder einzelne Mensch hat andere Bedürfnisse, um seine Fähigkeiten zu entwickeln und freie Entscheidungen ausüben zu können.
  3. Als drittes ist das bedingungslose Grundeinkommen auch nicht individualistisch in einem weiten Sinne. Die Befürworter unterstreichen, dass das bedingungslose Grundeinkommen die Menschen nicht mehr fordert, sondern nur noch fördert, und somit jeder unabhängig vom jeweiligen Lebensmodell Unterstützung erhält. Ist es aber wirklich richtig und vom Individuum gewünscht, nicht gefordert zu werden? Wir wissen aus der Glücksforschung, dass Zufriedenheit mit dem eigenen Leben nur relativ schwach vom Einkommen und den eigenen wirtschaftlichen Bedingungen abhängt. Genauso wichtig ist es, Teil der Gemeinschaft zu sein, Anerkennung und Respekt zu erhalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Deshalb ist eine Umwandlung des gegenwärtig bedingten Grundeinkommens in ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht zielführend und muss nicht zu mehr Lebenszufriedenheit und Glück führen. Ganz im Gegenteil, es ist nicht nur das Recht, sondern kann auch die Pflicht des Staates sein, seine Bürger zu fordern, und dies nicht nur zum Wohle der Gemeinschaft, sondern auch im Interesse der Betroffenen. Natürlich besteht die Gefahr, dass ein Fordern des Staats schnell paternalistisch werden kann und die Freiheiten des Individuums einschränkt. Das sollte es nicht sein. Aber ein solcher Paternalismus kann meist das kleinere Übel im Vergleich zur staatlichen Ignoranz gegenüber dem Einzelnen sein.
  4. Der vierte Irrglaube ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen wirtschaftlich neutral sei oder gar positive Wirkungen entfalten könnte. Das Argument vieler Befürworter ist, dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen und schlechten Jobs nur noch dann gewillt sind eine solche Arbeit zu tun, wenn sie besser entlohnt werden, wenn also ihre Löhne und Einkommen steigen. Damit, so die Befürworter, verschiebt sich die Macht im Arbeitsmarkt von Arbeitgebern hin zu Arbeitnehmern. Diese Behauptung spiegelt einen blinden und grundlegendend falschen Glauben an das Funktionieren von Märkten wider. Nach Umfragen würden 7% nach Einführen eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt nicht mehr berufstätig sein und 29% würden ihre gearbeiteten Stunden um ein Drittel reduzieren. Nach einer groben, statischen Überschlagsrechnung würde dies bedeuten, dass 17% der Beschäftigung und gearbeiteten Stunden wegfallen. Das würde die Wirtschaftsleistung und damit auch den zu verteilenden Wohlstand in Deutschland massiv reduzieren. Die Erwerbstätigkeit und die Einkommen würden wohl sogar deutlich unter das Niveau sinken, dass Deutschland noch vor 15 Jahren als „kranker Mann Europas“ hatte.

Lohnsteigerung für Geringverdiener unwahrscheinlich

Auch die Behauptung, dass Löhne für unangenehme oder gering bezahlte Arbeit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ansteigen würden, ist höchst unwahrscheinlich. Bereits heute arbeiten viele Menschen für nur geringfügig mehr Geld, als sie als Erwerbslose bekommen würden, vor allem, weil die Arbeit für sie nicht nur einen materiellen, sondern auch einen ideellen Wert hat. Solche Jobs, die hart sind und gering bezahlt werden, haben zudem immer weniger Deutsche und immer häufiger Zuwanderer, z.B. der für die Gesellschaft enorm wichtige Beruf der Altenpflege, der bereits heute vergleichsweise gering entlohnt wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde erst einmal alle Löhne in der Gesellschaft senken, da Wirtschaftsleistung und Kaufkraft sinken. Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen dann aber zu einem Anstieg der relativen Löhne für eine Altenpflegerin führen? Die klare Antwort ist Nein. Denn bereits heute verabschieden sich immer mehr Deutsche aus der Beschäftigung in der Altenpflege. Deren Stellen werden entweder nicht oder von Zuwanderern besetzt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland ist grundlegend inkompatibel mit der EU und dem europäischen Binnenmarkt, und würde auch deshalb scheitern. Ein Absinken der Beschäftigung unter Deutschen würde lediglich zu einem Anstieg der Zuwanderung anderer EU-Bürger führen, die die frei werdenden Jobs ausfüllen würden. Viele Befürworter wollen auch deshalb das bedingungslose Grundeinkommen auf Deutsche beschränken. Das würde jedoch zu einer unhaltbaren Zweiklassengesellschaft in Deutschland führen.

Technologischer Wandel wird nicht erleichtert

Die Logik der Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens zeigt häufig einen großen Technologiepessimismus.2 Durch den technologischen Wandel werden in den kommenden Jahren sicherlich viele auch gut bezahlte Jobs wegfallen. Das ist jedoch der schlechteste aller Gründe für ein bedingungsloses Grundeinkommen, und es wäre lediglich der Versuch einer Ruhigstellung der arbeitslos werdenden Menschen. Technologischen Wandel gibt es seit über zwei Jahrhunderten, seit Beginn der industriellen Revolution. Er hat fast immer dazu geführt, dass bessere, humanere und höher bezahlte neue Jobs entstanden sind. Es gibt überhaupt keinen guten Grund, wieso dies in Zukunft anders sein sollte. Staat und Gesellschaft sollten nicht die arbeitslos werdenden Menschen ruhig stellen, sondern ihnen helfen, sich anzupassen und die Chancen des technologischen Wandels zu nutzen. Denn Digitalisierung und Automatisierung können viele mechanische Tätigkeiten ersetzen, jedoch kaum das, was uns als Mensch ausmacht, nämlich unsere Empathie und Kreativität. Durch den technologischen Wandel werden daher gerade solche Berufe attraktiver werden, die diese Eigenschaften betonen – viele davon solche, die heute im Dienstleistungsbereich noch immer sehr schlecht bezahlt werden – der Pflegeberuf ist nur eines der Beispiele.

Ein bedingtes Erwerbskonto, kein bedingungsloses Grundeinkommen

Eine neue Sozialpolitik sollte sich vielmehr auf einen neuen Ansatz fokussieren, nämlich die Erschaffung von individuell gestaltbaren und flexiblen Ansprüchen auf soziale Leistungen, wie Bildung, Qualifikation, Familie oder Rente – beispielsweise durch die Schaffung individueller Erwerbskonten. Ein solches Modell würde nicht nur individuelle Bedürfnisse besser befriedigen, sondern auch wieder mehr Freiheit und Autonomie für den Einzelnen sicherstellen.3

Es gibt diese Modelle bereits heute in anderen europäischen Ländern. In Frankreich und Großbritannien können Menschen ein solches Erwerbskonto eröffnen, um Weiterbildung und Qualifizierung zu finanzieren. In den Niederlanden, Belgien und Österreich gibt es solche Konten, um einen flexiblen Übergang in den Ruhestand zu gestalten. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales diskutiert dies bereits.4 Solche individuellen Kontenmodelle könnten auch auf Familien- und Pflegezeit erweitert werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, indem Eltern flexiblere Auszeiten für Kinder oder Pflegebedürftige in Anspruch nehmen können. Sie könnten auch für den Weg in die Selbstständigkeit, berufliche Umorientierung oder für einen flexibleren Übergang in den Ruhestand genutzt werden. Ein solches Modell ist der Lebenschancenkredit, der auf einem Konzept meines Kollegen Steffen Mau beruht, der sowohl die individuelle Teilhabe des Einzelnen verbessert, Chancengleichheit schafft und auch mehr Autonomie und Freiheit für den einzelnen Menschen gewährleistet.5

Die Diskussion in Deutschland über die Zukunft der Sozialpolitik sollte sich zu neuen Modellen öffnen, die der veränderten Arbeitswelt und Gesellschaft wieder gerechter werden. Das bedingungslose Grundeinkommen, trotz seiner wichtigen Denkanstöße und Kritik am Status quo, ist nicht das beste Modell für die Zukunftssicherung. Erwerbskonten und Lebenschancenkredite dagegen sind vielversprechendere Modelle, um die Ziele eines modernen Sozialstaats zu erreichen. Sie verbinden Zielgenauigkeit und Effizienz des Sozialstaats mit Freiheit und Autonomie für den individuellen Menschen.

Title:Abberations of Unconditional Basic Income

Abstract:The discussion about the unconditional basic income (UBI) is receiving increased attention as a number of countries are considering or already experimenting with such schemes. Advocates argue that it is egalitarian, liberal, individualistic and economically sensible. However, this article argues that the UBI does not fulfil any of these four criteria. On the contrary, the introduction of a UBI would lead to less freedom and autonomy for many individuals. An employment account or some other flexible benefit account, which would give individuals more autonomy over their use of public services, are much better ways of ensuring a secure income and creating opportunities for individual citizens.


DOI: 10.1007/s10273-017-2170-x

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