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Der Koalitionsvertrag sieht zwar keine weitreichenden familienpolitischen Maßnahmen vor. Allerdings sollen die Kindertagesbetreuung und das Elterngeld weiter ausgebaut werden. Damit folgt die Große Koalition zumindest teilweise einer Studie mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute, die alle bestehenden familienpolitischen Leistungen einer Effizienzanalyse unterzogen und umfassend bewertet hatte.

Die Familienpolitik der Großen Koalition: Erwartungen und Bewertungen

Im Bereich der Familienpolitik setzt der Vertrag der neuen Großen Koalition einige wichtige Akzente – allerdings bleiben umfassende Reformvorhaben aus. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Ergebnisse der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen und die damit verbundenen Empfehlungen mit den konkreten Vertragsinhalten spiegelt.1 In der Gesamtevaluation wurden zentrale familienpolitische Maßnahmen evaluiert, die mit direkten Ausgaben des Bundes, der Länder und Kommunen verbunden sind. Die Evaluation erfolgte in Hinblick auf zentrale familienpolitische Ziele, wie die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität von Familien, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine frühe Förderung von Kindern, die Erfüllung von Kinderwünschen oder auch den Nachteilsausgleich zwischen den Familien. Gemessen an diesen Zielen hat sich gezeigt, dass einige Maßnahmen mit Zielkonflikten verbunden sind, während es wenige Maßnahmen gibt, mit denen mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden können. Letztere sind das Elterngeld und die öffentliche Finanzierung der Kindertagesbetreuung. Der Koalitionsvertrag verspricht für beide Maßnahmen eine Weiterentwicklung.

Elterngeld

Das Elterngeld soll durch das ElterngeldPlus ergänzt werden. Dies soll die bisherige Schlechterstellung der Familien beseitigen, in denen beide Elternteile während der Elternzeit einer Teilzeitarbeit nachgehen. Wenn beide Elternteile parallel 25 bis 30 Wochenstunden während der Elternzeit arbeiten, sollen sie einen Partnerschaftsbonus in Höhe von 10% des Elterngeldes erhalten.2 Damit soll der Wiedereinstieg erleichtert werden. Die Maßnahme trägt zur mittel- bis langfristigen Einkommenssicherung bei, denn verschiedene Studien belegen, dass lange Erwerbspausen zu Einkommensreduktionen führen. Umgekehrt wird mit dieser Maßnahme auch dem Befund Rechnung getragen, dass viele Eltern insbesondere mit sehr jungen Kindern eine Teilzeittätigkeit präferieren. Diese Weiterentwicklung entspricht den Empfehlungen, die auf der Basis der Ergebnisse der Gesamtevaluation entwickelt wurden.3

Öffentlich finanzierte Kindertagesbetreuung

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung weiter voranschreiten soll. Nachdem in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen vorrangig beim quantitativen Ausbau unternommen wurden, ist hervorzuheben, dass nun explizit der qualitative Ausbau gefördert werden soll. Dies ist umso bedeutender, da in Westdeutschland inzwischen fast jedes vierte Kind unter drei Jahren eine Kindertagesbetreuung besucht und in Ostdeutschland bereits jedes zweite Kind.4

Der anvisierte weitere Ausbau frühkindlicher Bildung und Betreuung wird die Länder und Kommunen sehr fordern. Daher ist es bemerkenswert, dass die Länder in der laufenden Legislaturperiode weiter entlastet werden sollen. Wichtig ist jedoch, dass diese Entlastungen tatsächlich dem Bereich der Kindertagesbetreuung zugutekommen, was grundsätzlich nicht sichergestellt ist. Dies liegt unter anderem in den föderalen Finanzierungsstrukturen begründet. Hier wurde keine umfassende spezifische Reform angestoßen, sondern es wurde auf die Strategie der Vergangenheit gesetzt: Der Bund wird sich mit den Ländern im Rahmen eines weiteren (dritten) Investitionsprogramms an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung beteiligen.5 Zu bemerken ist allerdings, dass dieser Finanzierungsanteil auf die Investitionskosten beschränkt bleibt – neue und innovative Wege, die eine breitere Finanzierungsbasis für die anteilsmäßig sehr viel größeren Personalkosten schaffen, werden nicht beschritten. Hier wäre z.B. daran zu denken, mit Bundesmitteln Eltern einen direkten und zweckgebundenen Transfer zukommen zu lassen, wenn ihr Kind eine Kindertageseinrichtung nutzt – ein Modell wie es in Anlehnung an das BaföG, das auch eine Leistung des Bundes ist, weiterentwickelt werden könnte.6

Auch in Hinblick auf die konkreten Maßnahmen, die den qualitativen Ausbau voranbringen können, wagen die Koalitionspartner keine größere vielversprechende Innovation. Hier gab es Vorarbeiten, die jedoch keinen Eingang in den Vertrag gefunden haben. So ist z.B. in dem „10-Punkte-Programm“ des Familienministeriums für ein bedarfsgerechtes Angebot ein bundesweites Qualitätsgesetz anvisiert.7 Bereits 2012 war es das Ziel, bis 2020 bundesweit wissenschaftlich fundierte qualitative Mindeststandards zu implementieren. Von einer Rahmengesetzgebung für Mindeststandards ist im Koalitionsvertrag allerdings nichts zu finden. Vor dem Hintergrund, das auch aktuelle Studien erneut auf die große regionale Vielfalt der Bildungs- und Betreuungsqualitäten der Tagesbetreuung hinweisen,8 ist dies bemerkenswert. An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf, wenn allen Kindern – unabhängig von ihrem regionalen und darüber hinaus sozioökonomischem Hintergrund – eine qualitativ gute Förderung zukommen soll.9 Auch vor dem Hintergrund, dass die grundsätzlich hohe Rendite frühkindlicher Bildungsinvestitionen, insbesondere für Kinder aus benachteiligten Gruppen, nur dann in vollem Umfang realisiert werden kann, wenn es sich um eine hohe Qualität handelt, gehen die Ansätze der Koalitionspartner nicht weit genug.

Ganztagsschulen

Eine weitere familienpolitische Maßnahme, die – so auch die Ergebnisse der Gesamtevaluation – zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen kann, findet im Koalitionsvertrag allerdings kaum Beachtung: Dies ist der Ausbau der ganztägigen Betreuung von Schulkindern in Deutschland, der – so die Empirie – zu einem erhöhten Erwerbsvolumen von Müttern beitragen kann.10 Insgesamt besuchen heute rund ein Viertel aller Grundschulkinder ganztägige Betreuungsangebote.11 Durch das Investitionsprogramm des Bundes „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) und entsprechende finanzielle Anstrengungen der Länder konnte diese Steigerung erreicht werden. Lediglich in der Präambel des Koalitionsvertrags findet sich jedoch die Ganztagsschule wieder, mit dem unkonkreten Ziel, dass mehr Mittel für Bildung auch für deren Ausbau zugutekommen sollen.12 Aus familien-, bildungs- und auch arbeitsmarktökonomischer Sicht fehlt es hier an konkreten und verbindlichen Abmachungen.13

Kindergeld

In Hinblick auf die fiskalisch betrachtet wichtigste familienpolitische Maßnahme, das Kindergeld und den Kinderfreibetrag, finden sich im Koalitionsvertrag – entgegen der Ankündigungen im Wahlkampf – keine Absichten zu einer Erhöhung. Dies ist positiv zu bewerten, da die Gesamtevaluation gezeigt hat, dass das Kindergeld wenig spezifische Verhaltensimpulse setzt und in erster Linie über allgemeine Einkommenseffekte wirkt. Diese Einkommenssicherung ist wichtig. Bei begrenzten öffentlichen Ressourcen sollte das Kindergeld jedoch nicht weiter pauschal erhöht werden.14

Betreuungsgeld

Im Vorfeld der Einführung und auch im Wahlkampf vielfach diskutiert war das Betreuungsgeld; eine sehr umstrittene Maßnahme, von der aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive nicht unerhebliche „Mitnahmeeffekte“ zu erwarten sind. Ordnungspolitisch macht sie auch keinen Sinn, wie der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten bemerkt, da sie letztlich eine Subvention für die Nichtnutzung einer öffentlich finanzierten Infrastrukturleistung darstellt.15 Von ihr sind Wirkungen zu erwarten, die den Zielen anderer Maßnahmen, wie dem des Ausbaus der Kindertagesbetreuung, entgegenstehen. Diese Leistung wird allerdings dem Koalitionsvertrag zufolge bestehen bleiben. Aus bildungs- und familienökonomischer Perspektive ist dies nicht sinnvoll. Es bleibt abzuwarten, ob angekündigte Evaluationen dieser Leistung zu Veränderungen führen.

Ehegattensplitting

Bei anderen Leistungen, mit denen im Vergleich zum Betreuungsgeld erhebliche fiskalische Mittel verbunden sind, sehen die Koalitionspartner ebenfalls keinen Handlungsbedarf. Hier kommt die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen allerdings zu einem anderen Ergebnis. Sie konnte mit aktuellen Daten bestätigen, dass das Ehegattensplitting die Partizipationsquote verheirateter Mütter mit Kindern deutlich senkt. Darüber hinaus führt es auch zu einer geringeren Nutzung der Kindertagesbetreuung und verursacht so Zielkonflikte.16 Daher ist ein Umstieg auf ein Realsplitting sinnvoll. Dabei handelt es sich um einen Vorschlag, der durchaus mit der sozialpolitischen Vorstellung korrespondiert, die Ehegatten als Teil einer Versorgungsgemeinschaft und nicht als Individuen begreift.17 Dieser Umstieg würde – in Abhängigkeit der konkreten Umsetzung – erhebliche fiskalische Umverteilungspotenziale für Familien freisetzen.

Beitragsfreie Mitversicherung

Eine weitere Maßnahme, die ebenfalls negative Arbeitsanreize für den üblicherweise weiblichen Zweitverdiener auslöst, ist die beitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Auswirkungen des Wegfalls der beitragsfreien Mitversicherung bei gleichzeitiger Senkung des allgemeinen Beitragssatzes zur GKV wären erheblich: Nach Simulationen im Rahmen der Gesamtevaluation würde dadurch das Arbeitsvolumen um knapp 70 000 Vollzeitäquivalente steigen.18 Auch hier zeigt jedoch die neue Koalition keinen Veränderungswillen. Vorliegende konkrete Alternativvorschläge werden nicht angegangen. Damit bleiben die negativen Arbeitsanreize für eine Erwerbstätigkeit von verheirateten Müttern in vollem Umfang bestehen.

Zeit für Familie

Stattdessen nehmen die neuen Koalitionspartner ein Thema auf, das bislang nicht im Fokus der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen stand: Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Familien mehr Zeit miteinander zu ermöglichen. Entsprechende Maßnahmen finden bei Familien – verglichen mit anderen Bereichen – die höchste Zustimmung – und dies quer über alle Gruppen, Väter, Mütter, Paarfamilien oder Alleinerziehende.19 Zum einen soll die Elternzeit, die bis zum achten Lebensjahr eines Kindes in Anspruch genommen werden kann, von zwölf auf 24 Monate ausgedehnt werden.20 Damit wird die Elternzeit flexibilisiert. Hinzu kommt an einer anderen Stelle des Vertrags die Absicht das Teilzeitrecht weiterzuentwickeln, indem ein Anspruch auf eine befristete Teilzeittätigkeit geschaffen werden soll, sofern Arbeitnehmer Aufgaben der Kindererziehung oder Pflege übernehmen. Das heißt, nach einer betreuungsbedingten Teilzeittätigkeit sollen Arbeitnehmer ein Recht haben, auf einen Vollzeitarbeitsplatz zurückzukehren. Umfassende Reformen in Richtung einer Familienzeit, die über den gesamten Lebenszyklus von Familien in Anspruch genommen werden kann, werden allerdings nicht angegangen.21

Aktuell werden darüber hinaus konkrete Ideen diskutiert, die Anreize schaffen sollen, damit mehr Paare sich Erziehungs- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich teilen. Diskutiert wird der Vorschlag, dass Paare eine einkommensabhängige Lohnersatzleistung für bis zu drei Jahre erhalten, wenn die Arbeitszeit beider Partner 80% einer Vollzeitstelle entspricht. Wie Mikrosimulationen von Müller et al.22 zeigen, führt eine solche Lohnsubvention kurzfristig dazu, dass sich 40% mehr Paare für ein solches Modell entscheiden – die damit verbundenen fiskalischen Zusatzkosten sind relativ moderat. Ihnen muss auch jener Nutzen gegenübergestellt werden, der dadurch induziert wird, dass insbesondere Frauen durch ein höheres Arbeitsvolumen ein höheres Lebenseinkommen und damit auch ein höheres Alterseinkommen erzielen. Darüber hinaus entspricht eine partnerschaftliche Arbeitsteilung auch dem Wunsch vieler Eltern.

Fazit

Insgesamt zeigt der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung einige wichtige Ansatzpunkte, die jedoch im Laufe der Legislaturperiode weiterentwickelt werden müssen, wenn Familienpolitik nachhaltig und umfassend wirken will. Andere Reformvorhaben, wie z.B. die Umgestaltung des Ehegattensplittings, werden nicht angegangen, gleichwohl im Rahmen einer Großen Koalition die Aussichten auf eine erfolgreiche Durchsetzung am größten wären. Damit wären die negativen Erwerbsanreize insbesondere für Frauen nicht mehr so groß, was vor allem für eine Volkswirtschaft von Bedeutung ist, die mit einem abnehmenden Erwerbspersonenpotenzial umgehen muss. Darüber hinaus wären Mittel für andere zentrale Reformvorhaben frei.


Dieser Beitrag basiert teilweise auf den familienpolitischen Bewertungen des Koalitionsvertrags bei S. Bach, H. Buslei, K. van Deuverden, T. Duso, F. Fichtner, M. Fratzscher, J. Geyer, M. Gornig, P. Haan, C. Kemfert, H. Lüthen, C. Michelsen, K.-U. Müller, K. Neuhoff, E. Schulz, J. Schupp, C. K. Spieß, G. G. Wagner: Der Koalitionsvertrag nimmt die Gesellschaft in die Pflicht, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 50, S. 31-42; und auf den Ausführungen von C. K. Spieß: Familienpolitik, in: G. Steingart, B. Rürup (Hrsg.): Agenda 2020. Was jetzt zu tun ist, Berlin 2013, S. 93-100.

  • 1 Vgl. zusammenfassend z.B. H. Bonin, A. Fichtl, H. Rainer, C. K. Spieß, H. Stichnoth, K. Wrohlich: Lehren für die Familienpolitik. Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 40, S. 3-13.
  • 2 CDU, CSU und SPD: Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, 2013, S. 98.
  • 3 Vgl. H. Bonin et al., a.a.O.
  • 4 Statistisches Bundesamt: Statistik der Kinder- und Jugendhilfe Teil III. Kinder in Tageseinrichtungen nach Ländern, Altersgruppen und Besuchsquoten am 1.3.2013, Wiesbaden 2013.
  • 5 CDU, CSU und SPD, a.a.O.
  • 6 Vgl. z.B. C. K. Spieß: Sieben Ansatzpunkte für ein effektiveres und effizienteres System der frühkindlichen Bildung in Deutschland, in: T. Apolte, U. Vollmer (Hrsg.): Bildungsökonomik und Soziale Marktwirtschaft, Stuttgart 2010, S. 3-18.
  • 7 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Kindertagesbetreuung 2013. 10-Punkte-Programm für ein bedarfsgerechtes Angebot, Berlin 2012.
  • 8 Vgl. z.B. W. Tietze et al. (Hrsg.): NUBBEK. Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit, Weimar, Berlin 2013.
  • 9 Vgl. dazu auch C. K. Spieß: Sieben Ansatzpunkte für ein effektiveres und effizienteres System …, a.a.O.
  • 10 H. Bonin et al., a.a.O.
  • 11 Z.B. J. Marcus, J. Nemitz, C. K. Spieß: Ausbau der Ganztagsschule: Kinder aus einkommensschwachen Haushalten im Westen nutzen Angebote verstärkt, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 27, S. 11-23.
  • 12 CDU, CSU und SPD, a.a.O., S. 9.
  • 13 C. K. Spieß: Investitionen in Bildung: Frühkindlicher Bereich hat großes Potential, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 26, S. 40-48.
  • 14 Vgl. dazu auch H. Bonin et al., a.a.O.
  • 15 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik, Jahresgutachten 2013/14, Wiesbaden 2013.
  • 16 H. Bonin et al., a.a.O.
  • 17 Zu diesem Ziel vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O.
  • 18 K. U. Müller, C. K. Spieß, C. Tsiasioti, K. Wrohlich et al.: Evaluationsmodul: Förderung und Wohlergehen von Kindern, DIW Berlin Politikberatung kompakt, Nr. 73, 2013.
  • 19 E. C. Muschalik, C. K. Spieß, F. H. Peter: Familienpolitisches Wohlbefinden, in: H. Bertram, C. K. Spieß (Hrsg.): Fragt die Eltern! Ravensburger Elternsurvey. Elterliches Wohlbefinden in Deutschland, Baden- Baden 2011, S. 151-176.
  • 20 CDU, CSU und SPD, a.a.O., S. 98.
  • 21 Vgl. dazu z.B. die Vorschläge bei Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Memorandum. Familie Leben. Impulse für eine familienbewusste Zeitpolitik, Berlin 2009; und dass.: Achter Familienbericht. Zeit für Familie – Familienzeitpolitik, Deutscher Bundestag, Drucksache 17/9000, 17. Wahlperiode, Berlin 2012.
  • 22 K.-U. Müller, M. Neumann, K. Wrohlich: Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine Lohnersatzleistung bei Familienarbeitszeit, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 46, S. 3-11.

Nach der Gesamtevaluation: Mehr Effizienzorientierung in der Familienpolitik?

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD widmet gerade fünf von seinen über 180 Seiten dem Thema, die Familien zu stärken. Anders als etwa in der Energie-, Renten- und Arbeitsmarktpolitik wird zunächst nicht der Eindruck vermittelt, dass die neue Bundesregierung für die kommende Legislaturperiode auf dem Feld der Familienpolitik fundamentale Neuerungen anstrebt. Vielleicht spiegeln sich in dieser Zurückhaltung die gesellschaftlichen Kontroversen um die familienpolitischen Ziele, die sich, wie etwa der erbitterte Streit um das gegen Ende der christlich-liberalen Koalition durchgesetzte Betreuungsgeld gezeigt hat, in Deutschland immer noch sehr leicht entzünden.

Vielleicht nimmt sich die Politik aber auch die Zeit, zunächst einmal die Ergebnisse der gerade erst abgeschlossenen Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen zu verarbeiten. Dieses Projekt, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesministerium der Finanzen über viele Jahre gemeinsam betrieben wurde, hat erstmals systematisch die Wirksamkeit und die Effizienz von zentralen Instrumenten der deutschen Familienpolitik mit empirischen Methoden bewertet. Damit hat sich die Informationsbasis für eine evidenzorientierte Weiterentwicklung der familienpolitischen Instrumente erheblich verbessert.

Zentrale Erkenntnisse aus der Gesamtevaluation

Das Tableau der ehe- und familienbezogenen Leistungen zu evaluieren, ist nicht allein wegen der Vielzahl der in Deutschland eingesetzten Instrumente – nach offizieller Zählung sind es derzeit über 150 – und deren enger Verzahnung eine komplexe Aufgabe. Miteinander kompatible administrative Daten zur individuellen Inanspruchnahme der einzelnen Leistungen fehlen, und Ursache-Wirkung-Diagnosen mittels Kontrollgruppenverfahren sind wegen der selten quasi-experimentellen Zugangsprozesse nur sehr eingeschränkt machbar. Zudem gilt es, die Wirkungen der Instrumente auf eine Reihe verschiedenartiger, politisch vorgegebener Zielgrößen zu erfassen, die sich vollständig erst beim Blick auf den gesamten Lebensverlauf manifestieren. Hierzu zählen insbesondere die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Familien und der sozialen Teilhabe, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die frühe Förderung von Kindern und die Erfüllung von Kinderwünschen.

Wegen dieser Komplexitäten folgte die Gesamtevaluation einem modularen Aufbau, der eine Fülle von Einzelstudien und -ergebnissen hervorgebracht hat. Es ist kaum möglich, die Resultate auf einen kurzen Nenner zu bringen.1 Es zeichnen sich in der Gesamtschau aber vier grundsätzliche Erkenntnisse ab, die, wenn es um eine effizienzorientierte Ausrichtung der Familienpolitik geht, besonders beachtenswert erscheinen.

  1. Es existieren bereits zu allen für die Gesamtevaluation vorgegebenen Zielen familienpolitische Leistungen, die diese Ziele positiv voranbringen. Dies gilt selbst im Hinblick auf die über rein monetäre Anreize eher schwer zu beeinflussenden Geburtenziele.
  2. Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Schlüsselziel, weil sie indirekte positive Nebenwirkungen auf die weiteren familienpolitischen Ziele entfaltet. In der Tendenz schwächt eine zu starke Spezialisierung der Elternteile auf die Erwerbs- bzw. die Familienarbeit die wirtschaftliche Stabilität der Familien im Lebensverlauf. Familiär bedingt längere Erwerbsunterbrechungen oder Phasen der Teilzeitbeschäftigung mit niedrigen Stundenzahlen hinterlassen bleibende Karrierespuren. Der hiermit verbundene Verlust an Einkommenspotenzial kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn das Partnereinkommen etwa durch Arbeitslosigkeit oder Scheidung ausfällt. Staatliche Transferleistungen an die Familien können ein durch familienbedingt unstetige Erwerbsverläufe fehlendes Markteinkommen nur zu einem geringen Teil ausgleichen. Der mit einer ungleichen Arbeitsteilung in der Familie einhergehende Verlust an Einkommen wiederum wirkt sich ungünstig bei den übrigen familienpolitischen Zielgrößen aus, die signifikant von der materiellen Lage der Haushalte abhängen. Die im Rahmen der Gesamtevaluation zusammengetragene Evidenz unterstreicht die Signifikanz entsprechender Einkommenseffekte nicht nur im Hinblick auf die soziale Teilhabe und eine gute frühkindliche Entwicklung, sondern auch – wenngleich in einer moderateren Größenordnung – im Hinblick auf die Realisierung von Geburtenwünschen. Wegen dieser Beziehungen zwischen den familienpolitischen Zielgrößen wurde die öffentliche Förderung der Kindertagesbetreuung, die besonders stark zur Verbesserung der Vereinbarkeit beiträgt, in der Gesamtevaluation auch insgesamt besonders positiv bewertet. Umgekehrt haben die Leistungen, die dem Vereinbarkeitsziel klar zuwiderlaufen, wie die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung und das Ehegattensplitting, auch insgesamt schwach abgeschnitten.
  3. Pauschale Einkommenstransfers, wie etwa das Kindergeld oberhalb der Grundsicherungsschwelle, lassen wegen der weitgehend gleich gerichteten Einkommenseffekte kaum Zielkonflikte entstehen. Lediglich im Hinblick auf das Vereinbarkeitsziel lässt sich eine – der Größenordnung nach aber geringe – negative Wirkung diagnostizieren.2 Allerdings schneiden Leistungen, die über den Einkommenseffekt hinaus noch einen gleich gerichteten Substitutionseffekt auslösen, in der Kosten-Nutzen-Relation systematisch günstiger ab. Dies bedeutet, dass man bei einem unveränderten Einsatz an finanziellen Mitteln den Zielerreichungsgrad erhöhen kann, indem von reinen Einkommensleistungen auf Leistungen mit dieser Eigenschaft umgeschichtet wird.
  4. Bei Kosten-Nutzen-Betrachtungen liegen Leistungen, die speziell auf einzelne Zielgruppen oder Ziele zugeschnitten sind, in der Rangfolge eher vorn. Abbildung 1 illustriert dies am Beispiel der simulierten Wirkungen ausgewählter familienpolitischer Leistungen auf die Zahl der Familien im ALG-II-Bezug. Diese wurden für die Effizienzbetrachtung ins Verhältnis zu den jeweils insgesamt anfallenden fiskalischen Kosten gesetzt. Diese Perspektive zeigt, dass die spezifischen Leistungen für die einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzte Gruppe der Alleinerziehenden (Unterhaltsvorschuss, steuerlicher Entlastungsbetrag), die im Aggregat gesehen nur eine kleine Zahl von Familien aus dem Hartz- IV-Bezug herausbringen, dieses Ziel dennoch kosteneffektiver erreichen, als breit streuende Leistungen wie das Kindergeld oder das Ehegattensplitting. Am besten schneidet in dieser Effizienzrangfolge der Kinderzuschlag ab, weil dieser seiner Konstruktion nach unmittelbar auf das Ziel der Überwindung des Hilfebezugs ausgerichtet ist.

Hieraus folgt für die Gestaltung einer sowohl ziel- als auch ressourcenbewussten Familienpolitik, vorhandene finanzielle Mittel oder vorgesehene Mittelzuwächse auf möglichst spezifische Instrumente zu konzentrieren. Diese Vorgehensweise kann die Effizienzverluste durch reine Mitnahmeeffekte eindämmen. Welche Leistungen bei dieser Strategie konkret in den Vordergrund rücken, hängt dann vom vorgegebenen Ziel ab.

Abbildung 1
Effizienzvergleich staatlicher Leistungen im Bezug auf die Zahl der Familien im ALG-II-Bezug
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Die Veränderung der Zahl der Familien im ALG-II-Bezug ergibt sich durch den Vergleich des Status quo mit einer kontrafaktischen Situation, in der die jeweils betrachtete Leistung nicht existiert. Die Schätzung der Kosten der Leistung berücksichtigt indirekte fiskalische Wirkungen in Folge von Verhaltensänderungen beim Arbeitsangebot. Die mit einem verhaltensbasierten Entscheidungsmodell auf der Ebene individueller Haushalte simulierten Effekte sind auf Basis der im SOEP verfügbaren Hochrechnungsfaktoren auf das Gesamtniveau hochgerechnet.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage des SOEP 2009.

Die Vorhaben der Großen Koalition

Die skizzierten allgemeinen Erkenntnisse aus der Gesamt­evaluation sind ein nützlicher Bezugsrahmen, um die familienpolitischen Vorhaben der Großen Koalition, soweit sie sich derzeit schon abzeichnen, zu beurteilen. Gemäß einer Formulierung aus dem Koalitionsvertrag soll die Politik zur Unterstützung von Familien insgesamt „einem Dreiklang von Zeit für Familien, guter Infrastruktur und materieller Sicherheit folgen“. Auch die neue Bundesregierung fokussiert damit die Ziele der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der frühen Förderung von Kindern und der wirtschaftlichen Stabilität von Familien. Die Resultate der Gesamtevaluation unterstreichen, dass die Familienpolitik diese Ziele durch sorgfältig ausgewählte Instrumente tatsächlich signifikant voranbringen kann.

Unter den vorgesehenen Maßnahmen nennt der Koalitionsvertrag an erster Stelle den weiteren Ausbau der öffentlich geförderten Kindertagesbetreuung. Diese Betonung ist kongruent zu der in der Gesamtevaluation hervorstechenden Wirksamkeit und Effizienz der Leistung.3 Das erklärte Ziel der neuen Bundesregierung ist hierbei insbesondere eine Verbesserung der Qualität der Kindertagesbetreuung. Tatsächlich erscheint nach den Fortschritten bei den quantitativen Ausbauzielen die Arbeit an der qualitativen Dimension der Betreuungsleistungen essenziell, um weitere Wirkungssteigerungen zu erzielen. Qualitativ hochwertigere Angebote fördern nicht nur die Bildung und das Wohlergehen der Kinder, die schon heute den Weg in öffentlich geförderte Betreuung finden. Vielmehr kann auf diesem Weg auch die Nachfrage bei denjenigen Eltern angeregt werden, die auf reine Preisänderungen wegen starker Qualitätsbedürfnisse kaum reagieren.

In diesem Zusammenhang ist auch positiv zu vermerken, dass die Forderung aus dem Wahlprogramm der Sozialdemokraten nach allgemeiner Gebührenfreiheit öffentlicher Betreuungsangebote keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Dies wäre ein Schritt von der zielgruppenspezifischen zu einer pauschalen Form der Förderung – mit den oben aufgezeigten Effizienzverlusten. Profitieren würden in erster Linie Familien mit gutem Einkommen, bei denen aber Betreuungsnachfrage und Arbeitsangebot preis­unelastisch ausgeprägt sind, so dass die Lenkungswirkung einer Leistungsänderung schwach bliebe.

Der Koalitionsvertrag benennt ebenfalls konkrete Pläne für eine Weiterentwicklung des Elterngeldes. Auch hiermit wird eine familienpolitische Leistung angesprochen, die sich in der Gesamtbewertung wegen ihrer klaren Zielgruppen- und Zielorientierung, vor allem in Relation zum begrenzten fiskalischen Aufwand, schon in der heutigen Form durch besonders günstige Wirkungen auszeichnet. Das Elterngeld wirkt unmittelbar auf das Vereinbarkeitsziel und somit auch nachhaltig auf die wirtschaftliche Stabilität der Familien. Kurz- und mittelfristig lässt sich infolge der Elterngeldreform eine substantielle Verbesserung der Erwerbsbeteiligung von Müttern konstatieren. Zugleich sind bei den Vätern – wenn auch meist kurze – Familienphasen häufiger geworden.4

Die von der Großen Koalition ins Auge gefassten Ergänzungen des Elterngelds erscheinen ihrer Konstruktion nach geeignet, die positiven Effekte der Leistung noch zu steigern. Das „ElterngeldPlus“, das bei regulärer Teilzeitbeschäftigung die Möglichkeit eines längeren Leistungsbezugs einräumen soll, stärkt die Anreize für Mütter, sich näher am Arbeitsmarkt zu halten. Positiv ist auch, dass die bisherige finanzielle Benachteiligung von Eltern, die sich die Betreuung ihres Kindes in Teilzeit teilen, gegenüber Eltern, die nacheinander Elternzeit nehmen, beseitigt werden soll. Der im Koalitionsvertrag genannte „Partnerschaftsbonus“ als Zuschlag auf das reguläre Elterngeld würde für dieses Modell der elterlichen Arbeitsteilung sogar zusätzliche finanzielle Anreize geben. Der Ansatz, hierbei nur eine „große“ Teilzeitlösung – Beschäftigung beider Partner von 25 bis 30 Stunden – zu fördern, könnte vor allem den Müttern zugutekommen. Sie dürften es von dieser Position aus leichter haben, in eine Vollzeitposition zurückzufinden. Inwieweit sich aber Väter auf diese partnerschaftliche Teilzeitregel einlassen, die gewisse Risiken für die eigene Karriere birgt, wird nicht allein von ihrem Rollenbild, sondern auch von der bislang noch nicht genau bekannten finanziellen Ausgestaltung des Partnerschaftsbonus abhängen.

Auch im Hinblick auf zielgruppenspezifische Leistungen zeichnet sich in der Familienpolitik der Großen Koalition eine Tendenz ab, schon besonders wirksame Instrumente weiter zu verstärken. Hierzu passt das im Koalitionsvertrag genannte Vorhaben, den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende anzuheben und dabei nach der Kinderzahl zu staffeln. Ebenfalls in diese Richtung ginge eine Anhebung des Kinderzuschlags für Geringverdiener, für die es nach – bislang noch unbestätigten – Medienberichten Planungen des Familienministeriums geben soll. Der Kinderzuschlag hilft einer eng abgegrenzten Gruppe von Familien, in denen mindestens ein Elternteil nicht geringfügig beschäftigt ist, und die bei Erhalt dieser zusätzlichen Geldleistung nicht länger auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind.

Geht es um das Ziel, die Zahl der Familien mit ALG-II-Bezug zu reduzieren, und nimmt man die hierzu in der Gesamtevaluation ermittelten Kosten-Nutzen-Relationen der verfügbaren Instrumente in den Blick (vgl. Abbildung 1), erweist sich eine Konzentration freier Ressourcen gerade auf die beiden genannten spezifischen Leistungen als effizienzorientierte Strategie. Die Fokussierung auf die Vermeidung der Bedürftigkeit bei den zielgruppenorientierten Leistungen wirkt zudem als verteilungsorientiertes Komplement zu den auf das Vereinbarkeitsziel gerichteten Verbesserungen der allgemeinen Maßnahmen.

Offen ist, wie die angekündigten zusätzlichen Leistungen gegenfinanziert werden sollen. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass eine prominente Ankündigung im Wahlprogramm der CDU, die unter dem unpräzisen Begriff des „Familiensplittings“ firmierende Erhöhung des Kindergeldes, keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es wurde also sinnvollerweise auf ein schlecht fokussiertes Instrument verzichtet, das schwache Einkommenseffekte breit streuen würde. Dies bietet eine Chance, die dafür eigentlich vorgesehenen finanziellen Mittel im Sinne einer effizienzorientierten Strategie in Leistungen umzulenken, von denen spezifischere Verhaltensimpulse ausgehen. Es bleibt aber abzuwarten, ob sich ein Verzicht auf eine populäre Kindergelderhöhung völlig durchhalten lässt, zumal eine moderate Anhebung der Kinderfreibeträge wohl verfassungsrechtlich geboten ist, um das Existenzminimum steuerfrei zu halten.

Offene Flanken

Zusammengenommen findet sich also eine Reihe von Indizien, dass die neue Bundesregierung bei ihren Plänen zur Weiterentwicklung der familienbezogenen Instrumente durchaus Erkenntnisse aus der Gesamtevaluation aufnimmt und Leistungen verstärkt, denen im Vergleich der Alternativen ein besonders gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis attestiert wurde. Durch die angedachten Verbesserungen bei einzelnen Leistungen gerät aber bei Weitem nicht alles ins Lot. Vielmehr zeigen sich im Gesamtbild der auf die Familien einwirkenden Instrumente und Regeln noch erhebliche offene Flanken.

Im Rahmen einer konsistenten effizienzorientierten Strategie wäre etwa das Betreuungsgeld zu prüfen. Ganz unabhängig von der Frage, welche Ziele mit der Leistung verbunden werden, legen die dazu vorliegenden Simulationsrechnungen nahe, dass sie nur geringe Lenkungswirkungen entfaltet.5 Angesichts unspezifischer Einkommenseffekte wäre somit – bei knappen finanziellen Ressourcen für die Familienpolitik – eine Verschiebung von durch das Betreuungsgeld gebundenen Mittel in produktivere Verwendungen zu reflektieren.

Dass das Betreuungsgeld dennoch nicht auf dem Prüfstand steht, ist sicher auch ein Ausdruck der politischen Gepflogenheit, Entscheidungen der Vorgänger nach einem Regierungswechsel nicht umgehend wieder zu korrigieren. Mit ihren ersten Beschlüssen zur Rentenpolitik hat die neue Bundesregierung aber gleich wieder erhebliche Mittel für eine familienbezogene Leistung gebunden, von der schon der Konstruktion nach kaum Lenkungswirkungen ausgehen: die verbesserte Anrechnung der Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden. Offensichtlich kann dies nicht mehr viel zu den Zielen der Vereinbarkeit und der frühen Förderung beitragen. Es erscheint aber auch fraglich, ob die intendierte bessere materielle Absicherung von Müttern erreicht wird, denn die neue Leistung schwächt Erwerbsanreize auf individueller Ebene und hat wegen der Gegenfinanzierung über die unterlassene Absenkung der Rentenbeiträge langfristig negative Folgen für das Rentenniveau.

Wenig Bewegung zeigt sich auf Feldern, die außerhalb der originären Zuständigkeit des Familienressorts liegen, aber für das Schlüsselziel Vereinbarkeit ganz wesentlich sind. Nicht erst die Gesamtevaluation hat die Erkenntnis geliefert, dass von der beitragsfreien Mitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung und vom Ehegattensplitting Anreizwirkungen ausgehen, die einer partnerschaftlichen Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit substanziell entgegenwirken. Die Evidenz spricht auch dafür, dass Minijobs Mütter in erheblichem Maß von gewünschter regulärer Beschäftigung fernhalten. Hier wären Fortschritte im Sinne der Familienpolitik allerdings nur mit fundamentalen Reformen im Steuer-, Gesundheits- und Arbeitsmarktsystem zu haben. Angesichts der damit verbundenen Risiken und Widerstände wird die politische Zurückhaltung durchaus verständlich. Wenn die Aussage im Koalitionsvertrag, Familienfreundlichkeit als Leitbild der Gesetzgebung und des exekutiven Handelns zu verankern, jedoch ernst gemeint ist, müsste die neue Bundesregierung trotzdem auch auf diesen Feldern energischer voranschreiten.

  • 1 Einen Überblick über zentrale Resultate vermitteln H. Bonin et al.: Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, in: DIW Wochenbericht, Nr. 40 (2013), S. 3-13. Ein zusammenfassender Abschlussbericht zur Gesamtevaluation der Prognos AG ist derzeit im Erscheinen.
  • 2 Schätzungen von Arbeitsangebotselastizitäten deuten ebenso wie die Anpassungsreaktionen nach der Strukturreform des Kindergelds von 1996 darauf hin, dass Mütter auf einen reinen Einkommenstransfer stärker negativ reagieren als Väter, so dass das Arbeitszeitdifferenzial in der Familie zunimmt. Vgl. H. Bonin et al.: Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland, Mannheim 2013; H. Rainer et al.: Kindergeld und Kinderfreibeträge in Deutschland: Evaluierung der Auswirkungen auf familienpolitische Ziele, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2013), H. 9, S. 28-36.
  • 3 H. Rainer et al.: Öffentlich geförderte Kinderbetreuung in Deutschland: Evaluierung der Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2013), H. 7, S. 31-40.
  • 4 J. Kluve, S. Schmitz: Mittelfristige Effekte der Elterngeldreform in Ost- und Westdeutschland, in: Vierteljahreshefte für Wirtschaftsforschung, 60. Jg. (2014), H. 1, erscheint demnächst. K. Wrohlich et al.: Elterngeld Monitor, Politikberatung kompakt Nr. 61 (2012), DIW Berlin.
  • 5 D. Beninger et al.: Wirkungen eines Betreuungsgeldes bei bedarfsgerechtem Ausbau frühkindlicher Kindertagesbetreuung: Eine Mikrosimulationsstudie, in: Vierteljahreshefte für Wirtschaftsforschung, 79. Jg. (2010), H. 2, S. 147-168.

Öffentlich geförderte Kinderbetreuung ohne Zielkonflikt

Öffentlich geförderte Kinderbetreuung, vor allem für Kinder unter drei Jahren, bietet seit Jahren gesellschaftlichen und politisch mitunter hitzigen Diskussionsstoff. Betrachtet man die internationale Forschung und berücksichtigt die spezifisch deutschen Verhältnisse der letzten Jahrzehnte – traditionell geringe Müttererwerbstätigkeit, keine nennenswerte Verfügbarkeit von staatlich geförderten Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren, sowie kein privater Markt für Kinderbetreuung – lassen sich für Deutschland besonders starke Effekte des Ausbaus von Kindertagesbetreuungsarrangements erwarten. Der folgende Beitrag fokussiert auf die Wirkungen öffentlich geförderter Kinderbetreuung auf unterschiedliche familienpolitische Ziele und ordnet sie in den aktuellen politischen Kontext ein.

Politischer Konsens: weiterer Ausbau der öffentlich geförderten Kinderbetreuung

Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 haben CDU/CSU und SPD in ihren Programmen noch unterschiedliche familienpolitische Positionen vertreten. CDU/CSU kündigten an, das Kindergeld ebenso wie den Kinderzuschlag erhöhen und am Betreuungsgeld festhalten zu wollen.1 Die SPD versprach ihren Wählern ein einkommensabhängiges „sozial gestaffeltes Kindergeld“, das das Kindergeld für Familien mit kleineren bis mittleren Einkommen erhöhen sollte, und die Abschaffung des „bildungsfeindlichen Betreuungsgelds“.2 Bei Kinderbetreuungsangeboten zielten die Pläne der beiden Parteien – mit zwar unterschiedlichen Ausgestaltungsvorschlägen – zumindest in die gleiche Richtung. Mittlerweile haben CDU/CSU und SPD einen Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode 2013-2017 beschlossen, mit dem sie „Deutschlands Zukunft gestalten“ wollen. Während im Abschnitt „Familie stärken“ die Worte „Kindergeld“ und „Betreuungsgeld“ nicht mehr vorkommen, bleibt die Kindertagesbetreuung auf der politischen Agenda. Die Qualität der Kindertagesbetreuung soll laut Koalitionsvertrag verbessert werden, etwa durch Bundesprogramme, die beispielsweise die gezielte Sprachförderung von Kleinkindern durch spezialisierte Fachkräfte beinhalten. Außerdem soll die Ganztagsbetreuung in Kindertageseinrichtungen schrittweise ausgebaut werden. Für den weiteren Ausbau der Kita-Plätze wird konkret ein drittes Investitionsprogramm „zur weiteren Realisierung des Rechtsanspruchs U3“3 angekündigt.

Ziele der deutschen Familienpolitik

Die Politik hat vier Zielkategorien definiert, anhand derer ehe- und familienpolitische Maßnahmen in Deutschland zu bewerten sind: die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Familien, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Erfüllung von Kinderwünschen, das Wohlergehen der Kinder.4 Durch diese klare Vorgabe von Zielen wird es erst möglich, familienpolitische Leistungen auf den Grad ihrer Wirksamkeit hin zu untersuchen und mögliche Zielkonflikte zu identifizieren. Im Rahmen der sogenannten Gesamtevaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen in Deutschland untersuchten Wissenschaftler die wichtigsten familienpolitischen Leistungen und ihre (Wechsel-)Wirkungen. In insgesamt elf Studien, an denen sowohl Juristen, Politologen, Soziologen, Psychologen als auch Ökonomen beteiligt waren, wird ein detailliertes Bild von den Wirkungen zentraler ehe- und familienpolitischer Leistungen – etwa Elterngeld, Kindergeld, öffentlich geförderte Kinderbetreuung – auf die genannten Ziele gezeichnet.5

Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wirtschaftliche Stabilität von Familien

In den letzten Jahren haben viele internationale Studien positive Effekte von öffentlich geförderter Kinderbetreuung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachgewiesen.6 Betrachtet man die Studien genauer, so lässt sich aus ihnen ableiten, dass für Deutschland substanzielle Effekte des Ausbaus öffentlich geförderter Kinderbetreuung zu erwarten sind, da das Ausgangsniveau der Betreuungsquoten für unter Dreijährige im internationalen Vergleich extrem niedrig ist, kaum ein privater Markt für Kinderbetreuung existiert und auch die Erwerbsbeteiligung von Müttern mit kleinen Kindern auf einem niedrigen Ausgangsniveau liegt.

Die Ergebnisse der ifo-Studie zur Kinderbetreuung bestätigen genau diese Vermutung. Sie zeigen, dass die vermehrte Verfügbarkeit von Betreuungsangeboten tatsächlich zu einer höheren Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern führt. Dem Betreuungsangebot für unter dreijährige Kinder kommt dabei eine große Bedeutung zu. Konkret liegt die Wahrscheinlichkeit zu arbeiten bei Müttern mit Krippenplatz für ihr jüngstes Kind um 35,5 Prozentpunkte höher als bei Müttern, die keine externe Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind in Anspruch nehmen (können). Dabei nehmen die Mütter überwiegend eine Teilzeitarbeit auf und verdienen dadurch monatlich durchschnittlich 360 Euro netto mehr als Mütter ohne Krippenplatz, wodurch sich insgesamt auch die wirtschaftliche Situation in ihren Familien verbessert.7

Sehr ähnliche Effekte findet man auch im Kindergartenbereich. Um sicherzustellen, dass externe Kinderbetreuung tatsächlich zu höherer Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter führt und nicht die Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter „nur“ zu erhöhter Inanspruchnahme von Kinderbetreuung, wird in weiterführenden Analysen die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz im Jahr 1996 genauer betrachtet. Stichtagsregeln führten damals dazu, dass manche Kinder nicht unmittelbar nach ihrem dritten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hatten, sondern im Extremfall erst ein knappes Jahr später, also kurz vor ihrem vierten Geburtstag. Auf Basis dieser einem Experiment ähnlichen Situation kann festgestellt werden, dass die kausale Wirkungsrichtung tatsächlich von der Kinderbetreuung zur Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter führt, d.h. dass viele Mütter ohne öffentlich geförderten Betreuungsplatz keiner Erwerbsarbeit nachgehen könnten.8

Im Bereich der Kleinkindbetreuung hat die Politik in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, ein ausreichendes Angebot an Betreuungsplätzen bereitzustellen. Die durchschnittliche bundesweite Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren ist von 12,1% (2006) auf 29,3% (2013) gestiegen.9 Allerdings hinkt das Angebot an Betreuungsplätzen noch immer der Nachfrage hinterher. Das Deutsche Jugendinstitut München ermittelte zuletzt 2012 einen Betreuungsbedarf von bundesdurchschnittlich 39,4%.10 Insgesamt kann das Angebot an Kita-Plätzen oder an Plätzen bei Tagesmüttern/Tagesvätern momentan die Nachfrage nach diesen Plätzen nicht decken, vor allem nicht in Ballungsräumen und großen Städten. Erst wenn der Ausbau soweit fortgeschritten ist, dass sich ein Angebotsmarkt für die öffentlich geförderte Betreuung für Kinder unter drei Jahren entwickelt hat – also jeder gewünschte Betreuungsplatz auch zur Verfügung steht –, kann der Rechtsanspruch überall zufriedenstellend erfüllt werden. Für Kindergartenkinder stehen hingegen bereits ausreichend Plätze zur Verfügung. Über 90% der Drei- bis Sechsjährigen besuchen heute einen Kindergarten und die Eltern können weitgehend frei wählen, wie viele Stunden pro Tag ihre Sprösslinge betreut werden.

Schulkinder nicht vergessen

Schwierigkeiten mit der Betreuungssituation entstehen in Deutschland allerdings erneut, wenn das Kind vom Kindergarten in die Grundschule übertritt. Das deutsche Grundschulsystem kennt zu einem großen Teil Unterrichtszeiten von 8.00 Uhr bis mittags; manchmal enden Schultage bereits um 11.20 Uhr. Im letzten Jahrzehnt sind zwar Ganztagsbetreuungsplätze für Schulkinder systematisch ausgebaut worden – der Bund stellte dafür im Rahmen des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ von 2003 bis 2009 insgesamt 4 Mrd. Euro zur Verfügung.11 Dennoch standen 2011 nur für gut ein Viertel (26,2%) der Grundschulkinder und für etwa 30% aller Schüler Ganztagsplätze in offener oder gebundener Form zur Verfügung.12

Die Ergebnisse der ifo-Kinderbetreuungsstudie zeigen, dass Betreuungsangebote für Schulkinder in Ganztagsschulen oder Horten zu einer Vertiefung der Arbeits­marktintegration von Müttern führen. Mütter, die einen Ganztagsbetreuungsplatz für ihr jüngstes Schulkind haben, weiten ihre Wochenarbeitszeit im Mittel um etwa vier Stunden pro Woche aus, was mit positiven Einkommenseffekten von etwa 150 Euro netto pro Monat verbunden ist.13 Auch im Schulbereich liegt also vermutlich ein hohes Potenzial, um das Familien- und Berufsleben für Mütter zu verbessern. Diese Einschätzung wird auch durch Umfragen bestätigt, in denen sich 70% der Eltern einen Ganztagsschulplatz für ihr Kind wünschen.14

Erfüllung von Kinderwünschen

In der internationalen Forschung gibt es bisher wenige Studien zum Effekt öffentlich geförderter Kinderbetreuung auf die Fertilitätsrate. Existierende Studien aus Skandinavien weisen jedoch darauf hin, dass die öffentliche Förderung von Betreuungsangeboten die Fertilitätsrate durchaus positiv beeinflussen kann.15 Auch die ifo-Studie zur Kinderbetreuung hat sich mit der Frage beschäftigt, ob sich öffentlich geförderte Kinderbetreuung für unter dreijährige Kinder auf die Geburtenrate auswirkt. Die Schätzungen ergaben, dass ein Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige um 10 Prozentpunkte zu einem Anstieg der Fertilitätsrate (Zahl der Geburten pro 1000 Frauen im gebärfähigen Alter) von etwa 2,4% im Folgejahr und von etwa 3,5% zwei Jahre später führt. Ceteris paribus bedeutet das, dass die ursprünglich politisch angestrebte Erhöhung der Betreuungsquote auf 35% die Fertilitätsrate in Deutschland von 1,4 Kindern pro Frau auf circa 1,5 Kinder pro Frau ansteigen lassen würde. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, vergleichen die Autoren nicht einfach Landkreise mit hoher Betreuungsquote mit Landkreisen mit niedriger Betreuungsquote. Da sich die Landkreise auch anhand anderer für den Forscher teils unbeobachteter Charakteristika unterscheiden, könnte man einen Unterschied in der Fertilitätsquote nicht ursächlich auf die Unterschiede in den Krippenquoten zurückführen. Auch eine einfache Betrachtung der Fertilitätsrate über die Zeit ließe keine Rückschlüsse über Effekte des Krippenausbaus zu, da sich neben der Krippenquote auch andere Dinge über die Zeit verändert haben, die die Fertilitätsrate beeinflusst haben könnten. Um diese Probleme zu umgehen, verwenden die Autoren einen Differenz-in-Differenzen-Ansatz, der sowohl generelle Jahreseffekte als auch jegliche zeitkonstanten Unterschiede zwischen Landkreisen herausrechnen kann. Alle Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine verbesserte Kinderbetreuungsinfrastruktur tatsächlich auch die Entscheidungen junger Paare, ihre Kinderwünsche zu realisieren, positiv beeinflussen kann.16

Kein anderes Land in der OECD hat weniger Geburten pro 1000 Einwohner als Deutschland. Die Fertilitätsrate liegt in Deutschland seit Jahrzehnten deutlich unter 1,5 Kindern pro Frau und der Anteil der Frauen, die kinderlos bleiben, ist hoch, vor allem bei den westdeutschen Akademikerinnen. Fast jede dritte Akademikerin (30,9%) in Westdeutschland der Geburtsjahrgänge 1964-1968 ist kinderlos.17 Internationale Vergleiche zeigen zudem, dass im Durchschnitt Länder mit höherer Frauenerwerbsquote zugleich höhere Fertilitätsraten aufweisen. Dies legt zumindest nahe, dass diese beiden Größen nicht zwangsläufig in Konkurrenz zueinander stehen müssen. Weiterhin zeigen Umfragen, dass nur die wenigsten Paare ihre ursprünglich gewünschte Kinderzahl erreichen.18 Der weitere Ausbau der Betreuungseinrichtungen für unter dreijährige Kinder weist ein vielversprechendes Potenzial auf, diese Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Kindern und dessen Erfüllung zumindest etwas abzuschwächen.

Kinder können bei guter Qualität profitieren

Aus der bildungsökonomischen Forschung ist bekannt, dass Bildungsinvestitionen in der frühen Kindheit höhere Renditen im Vergleich zu Bildungsinvestitionen in späteren Lebensjahren aufweisen.19 Viele wissenschaftliche Studien belegen positive Effekte externer Kinderbetreuung nach dem vollendeten ersten Lebensjahr und insbesondere für Kinder aus Familien mit schwächerem sozio-ökonomischen Hintergrund.20 Die Ergebnisse der Gesamtevaluation zeigen, dass Alltagsfertigkeiten von Kleinkindern, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, signifikant stärker ausgeprägt sind als bei Kindern, die erst ein Jahr später eine externe Betreuungseinrichtung besuchen. Untersuchungen von Grundschulkindern lassen auch auf einen mittelfristigen Effekt schließen. Kinder, die in ihren ersten drei Lebensjahren eine externe Betreuung erfahren haben, scheinen ein gefestigteres sozio-emotionales Verhalten an den Tag zu legen als ihre Mitschüler, die keine frühkindliche Einrichtung besucht haben – allerdings nur wenn die Betreuungsqualität pädagogisch gut ist.21 Eine Qualitätsoffensive der öffentlichen Betreuungsangebote fordern auch die Autoren der jüngst veröffentlichten nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK). Sie stellen fest, dass „das Durchschnittsniveau der Qualität pädagogischer Prozesse in Einrichtungen unbefriedigend ist“ und verbessert werden muss.22

Betrachtet man die andere Seite der Medaille, die Betreuung von Kleinkindern zu Hause anstelle von zeitweiser externer Betreuung, zeichnet sich ein komplementäres Bild ab. Das zum 1.8.2013 eingeführte Betreuungsgeld23 setzt Anreize für Eltern, ihr Kind bis zum dritten Geburtstag zu Hause zu erziehen. Unter dem Deckmantel einer neuen Begrifflichkeit ist die neue Leistung nichts anderes als eine Verteuerung der Kinderbetreuungsplätze (oder eine Erhöhung des Kindergelds für das zweite und dritte Lebensjahr). Anhand einer Untersuchung der Einführung des Landes-Betreuungsgelds in Thüringen wurde empirisch sauber nachgewiesen, welche Effekte vom Betreuungsgeld zu erwarten sind: Nach der Einführung des Betreuungsgelds 2005 stieg der Anteil der zweijährigen thüringischen Kinder, die zu Hause betreut werden, im Vergleich zu Kindern in anderen ostdeutschen Bundesländern, um etwa 20% an und ihre Mütter reduzierten ihr Arbeitsangebot. Es findet sich keinerlei Evidenz, dass Kinder von der Einführung des Betreuungsgelds profitiert hätten. Für zweijährige Mädchen hatte die Einführung des Betreuungsgelds sogar messbare negative Effekte auf Sozialkompetenz und alltägliche Fertigkeiten. Das Betreuungsgeld wurde vor allem von bildungsfernen, einkommensschwachen Haushalten sowie von Alleinerziehenden genutzt.24 Damit wurden aber genau die Kinder von externen Betreuungseinrichtungen ferngehalten, die am meisten von deren anregendem Bildungs- und Lernumfeld profitieren würden.25 Auch die Autoren der NUBBEK-Studie warnen vor politischen Maßnahmen, die frühe bildungsrelevante Erfahrungen von Kindern mit Migrationshintergrund oder aus besonderen Lebenslagen behindern. Diese seien kontraindiziert.26

Fazit

Mit der Gesamtevaluation und deren Ergebnissen kann erstmals ein umfassendes Bild der wichtigsten familien- und ehepolitischen Leistungen und ihrer Wirkungen auf politisch festgelegte Ziele gezeichnet werden. Evidenzbasierte Wirkungsforschung, wie sie im Rahmen der Gesamtevaluation angewandt wurde, kann wichtige Grundlagen für politische Entscheidungen liefern. Die Ergebnisse der Gesamtevaluation zur öffentlich geförderten Kinderbetreuung lassen in der Gesamtschau das Statement zu, dass ein Engagement des Staates auf dem Gebiet der Kindertagesbetreuung sowohl den Eltern als auch den Kindern zugutekommt. Die Bereitstellung von Betreuungsangeboten unterstützt die Erfüllung von Erwerbswünschen von Müttern, erleichtert ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wirkt positiv auf die wirtschaftliche Situation von Familien, ermutigt junge Paare, ihre Kinderwünsche zu realisieren und kann bei guter Qualität die (früh-)kindliche Entwicklung positiv beeinflussen. Öffentlich geförderte Kinderbetreuung ist damit die einzige aller untersuchten familienpolitischen Maßnahmen, die keine Zielkonflikte erkennen lässt, sondern substanziell positiv auf alle politisch vorgegebenen Ziele wirkt. Aus diesem Grund ist der weitere quantitative Ausbau von Kita-Plätzen mit Hilfe eines dritten Investitionsprogramms des Bundes zur Umsetzung des Rechtanspruchs auf einen Betreuungsplatz für unter dreijährige Kinder grundsätzlich positiv zu bewerten. Beim quantitativen Ausbau dürfen allerdings Qualitätsstandards nicht auf der Strecke bleiben. Bund und Länder müssen hier verstärkt zusammenarbeiten und neue Initiativen und Bundesprogramme auf den Weg bringen. Bei alledem darf die Betreuungssituation von Kindern im Schulalter nicht vergessen werden. Auch auf diesem Feld sind positive Wirkungen auf die Bildung der Kinder sowie auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Eltern zu erwarten.

  • 1 Vgl. CDU/CSU: Gemeinsam erfolgreich für Deutschland, Regierungsprogramm 2013-2017, S. 38 f.
  • 2 Vgl. SPD: Das WIR entscheidet, Regierungsprogramm 2013-2017, S. 53 f.
  • 3 Vgl. hierzu Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD: Deutschlands Zukunft gestalten, S. 97 f.
  • 4 Weitere Ziele sind der Nachteilsausgleich zwischen den Familien und der Zusammenhalt zwischen den Generationen. Diese werden hier nicht näher betrachtet.
  • 5 Eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Gesamtevaluation und daraus folgender Lehren für die Familienpolitik ist zu finden bei: H. Bonin, A. Fichtl, H. Rainer, K. C. Spieß, H. Stichnoth, K. Wrohlich: Lehren für die Familienpolitik – Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2013), Nr. 18, S. 22-30.
  • 6 Ein Literaturüberblick über Effekte von Kinderbetreuung auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern ist zu finden bei: W. Auer, S. Bauernschuster, N. Danzer, A. Fichtl, T. Hener, C. Holzner, H. Rainer, J. Reinkowski, M. Werding: Öffentlich geförderte Kinderbetreuung in Deutschland: Evaluierung der Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern, in: ifo Schnelldienst, 66. Jg. (2007), Nr. 7, S. 31-40.
  • 7 Vgl. H. Rainer, S. Bauernschuster, S. Auer, N. Danzer, M. Hancioglu, B. Hartmann, T. Hener, C. Holzner, N. Ott, J. Reinkowski, M. Werding: Kinderbetreuung, ifo Forschungsbericht Nr. 59, ifo Institut, München 2013.
  • 8 Vgl. S. Bauernschuster, M. Schlotter: Public Child Care and Mothers’ Labor Supply – Evidence from Two Quasi-Experiments, CESifo Working Paper, 2013, Nr. 4191.
  • 9 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 315 vom 18.9.2013, Stichtag 1.3.2013.
  • 10 Vgl. Deutsches Jugendinstitut München, Erste Befunde der DJI-Länderstudie im Rahmen der KIFÖG-Evaluation, November 2012.
  • 11 Weitere schulpolitische Initiativen des Bundes, wie ein zweites Bundes-Ganztagsschulprogramm, sind durch das 2006 eingeführte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern (Art. 104b Abs. 1 GG) zurzeit nicht möglich.
  • 12 Vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Allgemein bildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland – Statistik 2007 bis 2011, Berlin 2013, Tabelle 3.1.1 und 3.1.2.
  • 13 Vgl. H. Rainer et al., a.a.O.
  • 14 Vgl. R. Valtin: Auf dem Weg zu einer besseren Schule – bildungspolitische Folgerungen aus der 2. JAKO-O-Bildungsstudie, in: D. Killus, K.-J. Tillmann (Hrsg.): Eltern ziehen Bilanz. Ein Trendbericht zu Schule und Bildungspolitik in Deutschland. Die 2. JAKO-O-Bildungsstudie, Münster 2012, S. 169-184.
  • 15 Vgl. R. R. Rindfuss, D. K. Guilkey, S. P. Morgan, O. Kravdal: Child-care availability and fertility in Norway, in: Population and Development Review, 36. Jg. (2010), Nr. 4, S. 725-748; E. Mörk, A. Sjögren, H. Svaleryd: Childcare costs and the demand for children – evidence from a nationwide reform, in: Journal of Population Economics, 26. Jg. (2013), Nr. 1, S. 33-65.
  • 16 Vgl. H. Rainer et al., a.a.O.; S. Bauernschuster, T. Hener, H. Rainer: Can Public Child Care Increase Birth Rates in a Low-Fertility Country?, ifo Working Paper, Nr. 158, 2013.
  • 17 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Geburten und Geburtenverhalten in Deutschland, 2012, http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/Geburten-und-geburtenverhalten-in-D,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf.
  • 18 Vgl. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung: Geburten und Kinderwünsche in Deutschland: Bestandsaufnahme, Einflussfaktoren und Datenquellen, Mannheim 2013; M. R. Testa: Family Sizes in Europe: Evidence from the 2011 Eurobarometer Survey, 2012.
  • 19 Vgl. J. J. Heckman: Skill formation and the economics of investing in disadvantaged children, in: Science, 312. Jg. (2006), Nr. 5782, S. 1900-1902.
  • 20 Vgl. u.a. C. J. Ruhm: Parental Employment and Child Cognitive Development, in: The Journal of Human Resources, 39. Jg. (2004), Nr. 1, S. 155-192; oder C. L. Baum II: Does Early Maternal Employment Harm Child Development? An Analysis of the Potential Benefits of Leave Taking, in: Journal of Labor Economics, 21. Jg. (2003), Nr. 2, S. 409-448.
  • 21 Vgl. K.-U. Müller, C. K. Spieß, C. Tsiasioti, K. Wrohlich, E. Bügelmayer, L. Haywood, F. Peter, M. Ringmann, S. Witzke: Evaluationsmodul Förderung und Wohlergehen von Kindern, DIW Berlin Politikberatung kompakt, 2013, Nr. 73.
  • 22 Vgl. W. Tietze, F. Becker-Stoll, J. Bensel, A. G. Eckhardt, G. Haug-Schnabel, B. Kalicki, H. Keller, B. Leyendecker (Hrsg.): Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK), Weimar, Berlin 2013, S. 152.
  • 23 Zusammenfassender Artikel über das Betreuungsgeld siehe A. Fichtl, T. Hener, H. Rainer: Betreuungsgeld, in: ifo Schnelldienst, 65. Jg. (2012), Nr. 21, S. 38-44.
  • 24 Vgl. C. Gathmann, B. Saß: Taxing Childcare: Effects on Labor Supply and Children, IZA Discussion Paper, 2012, Nr. 6440.
  • 25 Vgl. C. Felfe, R. Lalive: Early Child Care and Child Development: For Whom It Works and Why, SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research 536, DIW Berlin 2013, The German Socio-Economic Panel (SOEP).
  • 26 Vgl. W. Tietze et al., a.a.O.

Die Familienpolitik nimmt sich eine Denkpause, oder?

In den letzten Jahren wurden konsequent die Voraussetzungen dafür geschaffen, die bundesdeutsche Familienpolitik evidenzbasiert weiter zu entwickeln. Begonnen wurde damit noch unter der letzten Großen Koalition. Den ersten Schritt in diese Richtung stellte eine erste offizielle Auflistung aller familienbezogenen Maßnahmen dar, die im Laufe der Zeit über zahlreiche Politikfelder hinweg historisch gewachsen sind und sich bei einer denkbar breiten Abgrenzung im Jahr 2010 auf recht genau 200 Mrd. Euro summieren.1

Weiter ging es mit einer offiziellen Festlegung auf ein konkretes Bündel an Zielen2 – im Einzelnen: „wirtschaftliche Stabilität von Familien“, „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, „Wohlergehen von Kindern“, „Erfüllung von Kinderwünschen“, „Nachteilsausgleich zugunsten bestimmter Familien“ (Mehr-Kind-Familien, Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund) sowie „Zusammenhalt der Generationen“ – und mit einem Einstieg in ein Monitoring des Einsatzes familienpolitischer Instrumente und ihrer Folgen, das allerdings noch nicht den strengen Maßstäben für echte Wirkungsanalysen genügte.

Den vorläufig letzten Schritt bildete die groß angelegte „Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen“, die 2010 bis 2013 im Auftrag des Bundesfamilien- und des Bundesfinanzministeriums unter Beteiligung zahlreicher einschlägig ausgewiesener Forschergruppen durchgeführt wurde.3 Aufgabe dieser Initiative war es, die Effektivität und Effizienz zumindest der wichtigsten finanziellen Instrumente der deutschen Familienpolitik im Hinblick auf ihre Ziele gründlich auszuleuchten.

Ziel: evidenzbasierte Umgestaltung der Familienpolitik

Alle im Rahmen der Gesamtevaluation angestellten Einzelstudien wurden mittlerweile öffentlich zugänglich gemacht, ebenso eine erste politische Stellungnahme des Familienministeriums.4 Eine zusammenfassende, inhaltliche Auswertung der Resultate seitens des Ministeriums wird gerade noch vorbereitet.

Der logisch nächste Schritt wäre, die politischen Implikationen der Forschungsarbeiten zu konkretisieren und gezielte Schritte zur Umgestaltung der derzeitigen Familienpolitik in die Wege zu leiten: einerseits wenig effektive Maßnahmen aufzugeben, andererseits diejenigen Instrumente auszubauen, die sich in der Analyse bewährt haben, und möglicherweise auch eine an den Zielen orientierte, stärkere Bündelung verschiedener Komponenten des bisherigen „Systems“ vorzunehmen.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist zwar an vielen Stellen von einer beabsichtigten Stärkung und Unterstützung von Familien die Rede, aber wenig von konkreten familienpolitischen Vorhaben und gar nichts vom zuvor skizzierten Weg einer evidenzbasierten Umgestaltung. Stattdessen werden einige Themen aus der letzten Legislaturperiode weitergeführt: „Zeit für Familien“ ist wichtig; Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit sind weiterhin ein Thema – immer noch speziell an den Hochschulen und neuerdings auch bei der Bundeswehr. Versprochen wird ferner ein „Demografie-Check“, mit dem alle Gesetzesvorhaben auf ihre Effekte für Generationengerechtigkeit und Familienfreundlichkeit überprüft werden. Dieses langjährige Desiderat der Familienverbände erweist sich angesichts der jetzt diskutierten Rentenreformen allerdings schon wieder weitgehend als Lippenbekenntnis.

Vielleicht steht hinter dem Verzicht auf konkrete Pläne ein Verzagen angesichts der von vielen Seiten geäußerten Zweifel an der bisherigen Familienpolitik. Sie wurde in den letzten Jahren immer wieder pauschal als völlig unwirksam kritisiert, teilweise im Vorgriff auf einige Teilergebnisse der Gesamtevaluation, teilweise aber auch aufgrund verzerrter Wahrnehmungen und tendenziell zu Unrecht.5

Die deutsche Familienpolitik umzugestalten, ist eine große Aufgabe. Es erfordert nicht die energische Führung eines mächtigen Ressorts mit rechnerischem 200-Milliarden-Etat, sondern die geschickte Moderation eines weit verzweigten Reformprozesses unter Beteiligung vieler anderer Ministerien, die den Löwenanteil der darauf entfallenden Ausgaben kontrollieren. Vielleicht braucht es daher zuerst eine genauere Aufarbeitung der nunmehr vorliegenden Evaluationsergebnisse. Vielleicht nimmt sich die Politik also nur eine nötige Denkpause.

Das bisherige „System“ familienpolitischer Instrumente

Was auch immer die Ergebnisse der vorliegenden Evaluationsstudien im Einzelnen besagen, sie sind keine Abrechnung mit der Familienpolitik einer einzelnen Bundesregierung. Das heutige Nebeneinander einer Vielzahl von Instrumenten mit unterschiedlichsten Adressaten, Funktionen und Detailvorschriften zur Ausgestaltung ist über viele Jahrzehnte entstanden. Teilweise wurzelt es in noch älteren Prinzipien der Steuergerechtigkeit, der Absicherung von Standardrisiken einer Erwerbstätigkeit als Alleinverdiener und mit einem „Normalarbeitsverhältnis“ oder gar in den altehrwürdigen Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Kein Wunder, dass es aus heutiger Sicht Inkonsistenzen und offene Widersprüche enthält.

Wer erstaunt ist, wie viel in Deutschland angeblich für Familien getan wird, sollte zunächst das Tableau aller Maßnahmen genauer ansehen, die im weitesten Sinn zur Familienpolitik gezählt werden. Zieht man Maßnahmen ab, die wie das Ehegattensplitting oder die Hinterbliebenenrenten nicht Familien, sondern auch kinderlosen Ehepaaren gewährt werden, verbleiben für 2010 jährliche Ausgaben in Höhe von 125,5 Mrd. Euro. Davon werden 52,9 Mrd. Euro als grundgesetzlich gebotener „Familienlastenausgleich“ und 55,4 Mrd. Euro als gezielt gestaltete „Familienförderung“ eingestuft. Auch an diesen Zahlen könnte man noch herumdeuten: Von den Beiträgen des Bundes an die Rentenversicherung für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten (knapp 12 Mrd. Euro) entfällt z.B. nur gut die Hälfte auf laufende Ausgaben für solche Rentenansprüche; der Rest erweist sich im Grunde als allgemeine Subvention des Rentenbudgets.

Nicht gezählt wird in dieser Aufstellung dagegen, welche öffentlichen Ausgaben Familien bzw. Kinder faktisch einseitig belasten. Dies gilt bei genauerem Hinsehen nämlich für die Ausgaben der umlagefinanzierten Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die sich 2010 auf insgesamt nicht weniger als 441,6 Mrd. Euro addierten.6 Natürlich ist eine solche Gegenüberstellung aktueller Jahresbeträge wenig sachgerecht. Aber auch bei genauerer Bilanzierung der familien- und bildungspolitischen Leistungen, die heutigen Kindern gewährt werden, und ihrer in Zukunft steigenden Netto-Belastungen in den umlagefinanzierten Sozialversicherungen ergibt sich per Saldo ein Transfer an die öffentlichen Haushalte, der – bei unveränderter Fortsetzung der derzeitigen Politik – zumindest in seiner Größenordnung klar absehbar ist.7

Effektiv betreibt der deutsche Staat neben der offiziellen Familienpolitik in großem Maße Familienpolitik mit negativen Vorzeichen. Die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen entfalten sich vor diesem Hintergrund und werden dadurch begrenzt. Das wurde in der Gesamtevaluation mit ihrem klaren Fokus im Übrigen gar nicht beachtet.8

Zur Methodik der Wirkungsanalysen

Die in der Gesamtevaluation angestrebten Wirkungsanalysen basieren im Wesentlichen auf zwei unterschiedlichen methodischen Ansätzen. Zum einen sind dies ökonometrische Analysen empirischer Daten, in denen sich ein quasi-experimenteller Vergleich zwischen Einsatz und Nicht-Einsatz der untersuchten Instrumente rekonstruieren lässt. Wo sich diese Möglichkeit nicht ergibt, werden zum anderen Mikrosimulationen angestellt, die empirisch kalibriert sind – und daher idealerweise empirische Wirkungsanalysen voraussetzen. Sie können verlässlich eingesetzt werden, um Netto-Effekte und aggregierte Folgen des Zusammenwirkens verschiedener Instrumente zu klären, deren Einzelwirkungen bekannt sind. Wo dies nicht gilt, haben sie eher explorativen Charakter.

Beide Ansätze entsprechen gehobenen Standards der heutigen sozio-ökonomischen Forschung, d.h. sie verwenden bewährte Methoden, deren konkrete Anwendung jedoch durchaus komplex ist. Mit diesen Mitteln sollen „kausale Effekte“ identifiziert oder simuliert werden, die nicht nur „nach“ dem Einsatz familienpolitischer Instrumente auftreten, sondern „wegen“ ihres Einsatzes. Untersucht wird die Wirksamkeit dabei im Vergleich zur Nicht­existenz der jeweiligen Maßnahme. Mindestens bei ökonometrischen Analysen von Quasi-Experimenten ist diese Perspektive methodisch zwingend. Sie entspricht jedoch nicht unbedingt den politischen Alternativen. Das muss bei der Frage nach möglichen praktischen Folgerungen jeweils mitbedacht werden.

Beispiel Kindergeld

Ein Beispiel dafür liefern die Evaluationsstudien zum Kindergeld. Bei diesem wohl bekanntesten, so gut wie universell eingesetzten Instrument der deutschen Familienpolitik kommen empirische Analysen9 und Mikrosimulationen10 zu tendenziell übereinstimmenden Resultaten: Das Kindergeld leistet einen gewissen Beitrag zur „wirtschaftlichen Stabilisierung“, weil es die Haushaltseinkommen von Familien erhöht. Dieser Effekt wird aber begrenzt, weil es zugleich die Erwerbsanreize der Eltern durch sogenannte negative Einkommenseffekte mehr oder weniger stark verringert. Vor allem Mütter sind daher mit geringerer Wahrscheinlichkeit oder mit geringerer Stundenzahl erwerbstätig als sie es ohne Kindergeld wären. Im Hinblick auf die „Vereinbarkeit“ ergeben sich somit eher negative Effekte.

Das Kindergeld erfüllt seit 1996 mehrere Funktionen.11 Eine davon besteht in einer verfassungsrechtlich gebotenen Steuerentlastung, eine andere ist die Förderung von Familien. Würde man die auf beide Funktionen entfallenden Effekte trennen, ergäben sich für beide Funktionen positive Effekte für das Familieneinkommen (in verschiedenen Einkommensbereichen, in denen die Funktionen jeweils relevant sind). Gleichzeitig hätte die steuerliche Entlastung aus theoretischer Sicht positive Anreizeffekte für die Erwerbsbeteiligung, die Förderung dagegen (tendenziell stärkere) negative Effekte dieser Art. In der empirischen Wirkungsanalyse kann man die Effekte aber nicht trennen, weil das Kindergeld als einheitlicher Betrag ausbezahlt wird und das Familienbudget insgesamt verändert.12 Politisch umgestalten lässt sich dabei ohne weiteres nur die Förderfunktion.

Zielbündel vervollständigen und überprüfen

Das eingangs genannte Zielbündel der Familienpolitik ist im Grunde noch um weitere Ziele zu ergänzen, die nicht spezifisch für die Familienpolitik sind, ihre Ausgestaltung aber ebenfalls beeinflussen. Beim Kindergeld ist dies das allgemeine Prinzip, dass die Einkommensteuer sich an der individuellen steuerlichen Leistungsfähigkeit der Steuerzahler orientieren soll. Nach der deutschen Steuersystematik und ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss daher das Existenzminimum von Kindern Steuerpflichtiger von der Besteuerung ihres Einkommens freigestellt werden. Sonst werden Familien im Vergleich zu Kinderlosen mit gleicher Leistungsfähigkeit übermäßig belastet. Familienpolitik beginnt erst, wo dieser Gleichheitsgrundsatz allgemein erfüllt ist.

Ähnliches gilt für das Ehegattensplitting, das zwar keine familienpolitische Leistung darstellt, für die Einkommenssituation vieler Familien aber sicherlich faktisch bedeutsam ist. Wollte man es beseitigen, weil es ebenfalls negative Erwerbsanreize für Zweitverdiener erzeugt und somit das Ziel der „Vereinbarkeit“ beeinträchtigt,13 würde man eine intakte Ehe (mit Individualbesteuerung) steuerlich schlechter stellen als eine getrennte oder geschiedene Ehe (mit Realsplitting für die fälligen Unterhaltszahlungen). Das würde gegen verfassungsrechtliche Vorgaben verstoßen, und zwar schon gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 und nicht erst gegen den geforderten Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG. Entsprechend kleiner sind auch hier die faktischen Spielräume für Reformen, soweit diese angestrebt werden.

Um von den Forschungsergebnissen der Gesamtevaluation zu politischen Implikationen und praktischen Gestaltungsfragen zu gelangen, müssen die damit verfolgten Ziele durch solche allgemeinen, zusätzlichen Anforderungen ergänzt werden. Die Auswahl der ansonsten verfolgten Ziele ist im Kern eine politisch-normative Frage, die der Gesetzgeber zu beantworten hat. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages und in vielen Fällen auch des Bundesrates könnten den Zielkatalog der Familienpolitik so gesehen überprüfen und neu aufstellen.

Schritte zur Neuausrichtung und Umgestaltung

Es spricht allerdings manches dafür, dass die Familienpolitik in den vergangenen zehn Jahren unter verschiedenen Koalitionen und Regierungen mehr oder weniger dasselbe Zielbündel verfolgt hat – wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen, soweit einzelne Ziele miteinander in Konflikt treten, und sei es nur um knappe öffentliche Mittel für familienpolitische Zwecke. Die Überprüfung des Zielkataloges kann sich daher wohl auf die genaue Formulierung einzelner Ziele, nötigenfalls auch auf ihre Priorisierung konzentrieren.

Wünschenswert wäre dabei in jedem Fall eine präzisere Formulierung für das Ziel „Zusammenhalt der Generationen“, soweit sie ernsthaft verfolgt und ihre Erreichung überprüfbar gemacht werden soll. Das Gleiche gilt, wenn dahinter eine allgemeine, nicht nur die Familienpolitik betreffende Zielsetzung der „Generationengerechtigkeit“ stehen sollte, die ebenfalls oft zitiert, selten konkretisiert und vielleicht noch seltener eingehalten wird.

Ein alter, aber immer wieder aktueller Grundsatz der volkswirtschaftlichen Theorie öffentlicher Ausgaben besagt, dass mit Zielbündeln und Zielkonflikten am besten umgegangen werden kann, wenn man unterschiedlichen Zielen verschiedene Instrumente zuordnet und diese gemäß den jeweiligen Prioritäten aufeinander abstimmt. Bei gegebenen Zielen kann daher über die Zuordnung von Instrumenten nachgedacht werden. Dabei sollten die Wirksamkeit und, falls diese nachgewiesen ist, auch die Frage nach einer angemessenen Kosten-Nutzen-Relation („Effizienz“) eine zentrale Rolle spielen, die in den Studien der Gesamtevaluation untersucht wurden. Der Rest ist dann Umsetzung, die wie erläutert eine Aufgabe eigenen Ranges darstellt – und deren Schwierigkeit von Außenstehenden des Politikgeschäfts wahrscheinlich notorisch unterschätzt wird.

Aus dem Kontext der Gesamtevaluation stammt neben den Wirkungsanalysen auch eine Studie, die sich zum einen einiger Grundsatzfragen bei der rechtlichen Ausgestaltung der heutigen Familienpolitik annimmt.14 Diese Fragen zu beachten, könnte bei der Umsetzung politischer Zielsetzungen in stimmige Instrumente, die die Bezeichnung als „System“ familienpolitischer Maßnahmen verdienen, hilfreich sein. Darüber hinaus listet die Studie aber auch eine Reihe eher technischer Probleme an den Schnittstellen zwischen dem familienpolitisch relevanten Steuer-, Sozial- und Zivilrecht auf. Sie bieten Ansatzpunkte für gewisse Entrümpelungen der Instrumente der Familienpolitik und den einen oder anderen Schritt zum Bürokratieabbau. Damit könnte man bereits beginnen, wenn ansonsten noch grundlegende normative Fragen zu klären oder die systematische Umsetzung von Reformen zu konzipieren ist. Diese Schritte erfordern nämlich in der Tat eine Denkpause und verdienen sie auch.

  • 1 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Familienbezogene Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2005, Berlin 2007; die jüngste Fassung für 2010 findet sich unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/familienbezogene-leistungen-tableau-2010 (30.1.2014).
  • 2 Vgl. etwa ZEW, ifo, DIW: Machbarkeitsstudie zur stufenweisen Evaluation des Gesamttableaus ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland, Typoskript, Mannheim u.a.O. 2008, S. 9.
  • 3 Für nähere Informationen und Zugang zu allen veröffentlichten Studien und Berichten vgl. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did=195944.html (30.1.2014).
  • 4 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Politischer Bericht zur Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, Berlin 2013.
  • 5 Vgl. etwa M. Werding: Familienpolitik und Geburtenzahl: Missverstandene Zusammenhänge und übereilte Forderungen, in: ifo Schnelldienst, 65. Jg. (2012), Nr. 15, S. 3-6.
  • 6 Vgl. Deutsche Rentenversicherung: Rentenversicherung in Zeitreihen, Berlin 2012, S. 245; Bundesministerium für Gesundheit: Gesetzliche Krankenversicherung – Endgültige Rechnungsergebnisse 2010, Berlin 2011, S. 30; dass.: Die Finanzentwicklung der Sozialen Pflegeversicherung 1995 bis 2012, Berlin 2013, S. 2.
  • 7 Vgl. M. Werding: Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh 2014, insbesondere S. 47.
  • 8 Zum Teil mag dies auch daran liegen, dass das familienpolitische Ziel „Zusammenhalt der Generationen“ für die Zwecke der Gesamtevaluation nicht operationalisiert und nirgends untersucht wurde.
  • 9 H. Rainer et al.: Kindergeld, ifo Forschungsbericht Nr. 60, München 2012, insbesondere S. 56-124.
  • 10 H. Bonin et al.: Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland, Typoskript, Mannheim u.a.O. 2013, S. 55-66.
  • 11 Vgl. N. Ott, H. Schürmann, M. Werding: Schnittstellen im Steuer-, Sozial- und Unterhaltsrecht, Baden-Baden 2012, S. 126-136.
  • 12 In der Mikrosimulation wäre das möglich. Allerdings fallen die Anreizeffekte des gesamten Kindergelds dort eher klein aus, die dahinter stehenden Einzeleffekte würden sich tendenziell, aber nicht ganz kompensieren.
  • 13 Vgl. erneut H. Bonin et al., a.a.O., S. 100-113.
  • 14 Vgl. erneut N. Ott, H. Schürmann, M. Werding, a.a.O., insbesondere S. 262-294.

Title:Expected Family Policies of the Grand Coalition

Abstract:A major evaluation of family policies in Germany came to the primary conclusions that family leave and early childhood education and care policies are effective. Specific German tax regulations, however, are less effective, as they decrease the incentives, especially for mothers, to return to the labour market or increase the number of hours they work. The tax regulations for couples, in particular, should be reformed, as this would offer funding possibilities for other worthwhile policies. However, it should not be forgotten that tax regulations are not just aimed at family policies. Indeed, their primary function is to reduce the burden on families and to keep them out of poverty, as demanded by the Germany Federal Constitutional Court. Given the findings of this evaluation, the new German government plans to implement policies which make sense but which do not go far enough. Public child care has been shown to increase maternal employment, household income and fertility in Germany. There are good reasons to invest further in public child care for young children; however, the focus should not only be on the quantity but also the quality of care.


DOI: 10.1007/s10273-014-1632-7