Tritt ein Mitgliedsland aus der Europäischen Währungsunion aus, hat das Folgen für die Gemeinschaft. Einige Wissenschaftler fürchten, dass in diesem Fall die Eurozone Schaden nimmt oder sogar zusammenbricht. Wie ein erfolgreicher Austritt organisatorisch und institutionell gestaltet werden kann, schildert der Autor am Beispiel Frankreich.
Im Rahmen der aktuell stark sozialwissenschaftlich geprägten Debatte unter anderem von Wolfgang Streeck und Jürgen Habermas1 über die Zukunft Europas und die Rolle der gemeinsamen Währung hat an gleicher Stelle von Seiten der Ökonomie auch Stephan Schulmeister vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) das Wort ergriffen.2 Er weist die Streeck’sche Aufforderung an die Wirtschaftswissenschaft, sich über eine teilweise Abwicklung des Euro und den Übergang zu einem gestützten System freier Wechselkurse vertieft Gedanken zu machen, strikt zurück. Die hier vertretene These ist dagegen, dass bei richtig institutionalisierter Einbettung ein Austritt einzelner Länder organisatorisch durchaus machbar, aber deshalb nicht schon automatisch auch wünschenswert ist.
Beitrag von Schulmeister
Der Beitrag von Schulmeister liefert ein gutes Beispiel für einige der in den Medien und der Politik gerne genutzten Metaphern und Denkweisen und verdient es deshalb, etwas genauer betrachtet zu werden. Schon die Überschrift schlägt einen alarmistischen Ton an. Sie sieht eine Euroabwicklung als „finalen Schritt in den Wirtschaftskrieg“3. Begründet wird dies durch ein Szenario, in dem sich die gemeinsame europäische Währung vollständig auflöst, was zu einer Vielzahl bilateraler Währungsrelationen führt. Probleme gibt es, weil dadurch „Lösungen auch für alle Bankeinlagen, Unternehmensanleihen und Derivate in 153 bilateralen Länderbeziehungen gefunden werden müssen, dann lautet der schlichte Schluss: Eine geordnete Abwicklung des Euros ist nicht möglich.“4 Dies wiederum hätte nicht nur finanzpolitische, sondern auch massive handelspolitische Folgen: „Die am meisten getroffenen Länder würden – wie in den 1930er Jahren – Zuflucht in weiteren Abwertungswettläufen suchen, der resultierende Wirtschaftskrieg zwischen EU-Staaten triebe ganz Europa in eine mehrjährige Depression.“5 Deshalb kommt folgerichtig die Konklusion: „Ein Zusammenbruch der Währung würde darum Europa unweigerlich in eine ökonomische, politische und soziale Krise stürzen.“6
Demonstriert, warum die avisierte Katastrophe „unweigerlich“ so kommen müsse, wird dies an einem höchst praktischen Exempel. Zwei Länder, Frankreich und Deutschland, treten darin aus der Eurozone aus, Frankreich führt den Franc ein, der nur mit 80% des Euro-Kurses notiert wird, und Deutschland die D-Mark, mit einem Kurs von 1,20 Euro. Und somit ist dieser Franc natürlich nur noch 67% der D-Mark wert. Folgerichtig schließt Schulmeister daraus: „Die Umwertung einer französischen Staatsanleihe auf DM würde die französische Schuldenlast um 50% erhöhen – für Frankreich inakzeptabel. Eine Umwertung in Franc würde dagegen für deutsche Besitzer der Anleihen einen Wertverlust (in DM) von 33% bringen – für Deutschland inakzeptabel.“7
An dem Beispiel ist vieles merkwürdig: Erstens stellt es ein Geheimnis dar, wie diese völlig überschätzte Relation von (maximal) 50%-Währungsdifferenz zwischen Frankreich und Deutschland zustande kommt. Wenn man etwa anhand der Lohnstückkostenentwicklung seit Einführung des Euro ein strukturelles Ungleichgewicht abschätzt, hat Frankreich von einem Basiswert von 100 im Jahr 2000 bis 2013 geschätzt 129 erreicht und Deutschland 111.8 Das macht eine Differenz von 18 Punkten, also etwa 16%, und nicht 50%! Zweitens bleibt offen, warum eine in Euro ausgestellte französische Staatsanleihe ausgerechnet in D-Mark zurückgezahlt werden soll, statt etwa wieder in Euro. Die Differenz zwischen der französischen Lohnstückkostenentwicklung von 129 und der des Euroraums von 125 beträgt nur vier Punkte, damit gut 3%, wirklich ausreichend für eine von Schulmeister befürchtete „massive Vermögensschmelze“9?
Ebenfalls unerklärt bleibt, warum denn gleichzeitig ein „unterbewertetes“ Land wie Deutschland und ein „überbewertetes“, wie Frankreich hier wohl angesehen wird, die Eurozone verlassen möchten? Vorschläge von Ökonomen, über eine Auflösung der Eurozone nachzudenken, gehen doch eher von einer Aufteilung in zwei Blöcke aus, einem Nord-Euro dann mit unter anderem Deutschland und einem Süd-Block, wo häufig auch Frankreich verortet wird.10 Daneben wird bestenfalls noch diskutiert, ob es nicht für einzelne, kleinere Länder in besonders schwieriger Lage, wie vor allem Griechenland, sinnvoll sein könnte, wieder zu einer eigenen Währung zurückzukehren.11
Realistisches Szenario
Im Folgenden wird deshalb ein realistischeres Szenario entworfen, das alle Bankeinlagen, Kredite, Unternehmensanleihen und Derivate, ja sogar noch mehr Zahlungsvorgänge umfassen soll.12 Ausgangspunkt ist das Beispiel von Schulmeister. Frankreich führt den Franc wieder ein und die Währung würde langfristig tatsächlich an Wert verlieren. Deutschland und alle anderen Länder dagegen bleiben (zumindest zunächst) im Euroraum.
Aber, und das ist der Unterschied zu der Ausgangssituation von Schulmeister, es gibt von Anfang an eine allgemeine Vereinbarung über den geordneten Ausstieg eines Mitgliedslandes aus der gemeinsamen Währung.13 Das allgemeine Prinzip wäre „gemeinsam hinein, gemeinsam heraus“. Und so, wie sich auch die Euro-Einführung mit der Erfüllung der vorgängigen Konvergenz-Kriterien über Jahre hinzog, sollte auch die Ausleitung zeitlich gestreckt und nicht abrupt vonstatten gehen. Die Vereinbarung könnte deshalb etwa folgende Hauptpunkte beinhalten:
- Es wird eine Periode des gleitenden Übergangs definiert, z.B. fünf Jahre.
- In dieser Zeitspanne gelten in allen Mitgliedsländern beide Währungen als gesetzliche Zahlungsmittel, wobei größere/elektronische Zahlungen eine festgelegte Kombination beider Währungen vorsehen.
- Die Zusammensetzung des Währungskorbs entspricht anfänglich dem Gewicht des austretenden Landes am Bruttoinlandsprodukt der Eurozone.
- Das Verhältnis von neuer Währung und Euro verändert sich jährlich in festen Schritten, wobei in den verbleibenden Euroländern der Anteil der neuen Währung sukzessive abnimmt, im Land mit der neuen Währung dagegen der Anteil der eigenen Währung am Zahlungsverkehr steigt.
- Der dafür nötige nominale Wechselkurs wird zur Vereinfachung des Procedere mit 1:1 festgelegt, also z.B. ein Franc (oder eine Lira oder eine Drachme oder eine D-Mark oder …) ist gleich ein Euro.
- Bei weiteren Austritten anderer Mitgliedsländer bleibt das Austrittsland so lange noch beteiligt, wie seine Übergangsphase nicht abgeschlossen ist.
- Die neue Währung eines Austrittslandes wird frei gehandelt, aber Unternehmen des Euroraums einschließlich der Banken müssen sie an Börsen erwerben, die sich einer Tobinsteuer mit stark ansteigendem Steuersatz bei größeren Ausschlägen („crawling peg“) unterworfen haben.14
Was würde es konkret bedeuten, wenn Frankreich den Franc zum 1.1.2015 wieder einführen wollte? Frankreich hatte 2011 ein BIP von 1997 Mrd. Euro, die gesamt Eurozone von 9413 Mrd. Euro.15 Sein Anteil ist demzufolge gut 21%. Im ersten Jahr der Umstellung würde in allen Mitgliedsländern der Eurozone ein Doppelkontensystem eingeführt werden, eines in Euro, eines in Franc, mit einem Umrechnungskurs von 1:1.16 Bestehende Summen darauf würden auf allen Konten in der EU entsprechend aufgeteilt. Neue Zahlungen im gesamten Euroraum, ob nun Löhne, Steuern, Kreditzinsen, Rechnungen oder was auch immer würden automatisch im Verhältnis 79% Euro und 21% Franc beglichen. Banken dürften relativ problemlos solche Konten- und automatische Überweisungsverdopplungen organisieren können, auch der Übergang von nationalen Währungen zum Euro wurde technisch ja erstklassig gemanagt (und damals mussten noch Kassen im Einzelhandel mit doppelter Information fertig werden, was hier weitgehend wegfiele).
Der normale Bankkunde würde, außer etwas komplizierterer Kontendarstellungen in seinen Auszügen, von dem Währungskorb zunächst kaum etwas merken. Er erhält z.B. als deutscher Arbeitnehmer seinen Lohn teilweise in Francs und wenn er dann bei einem deutschen (oder österreichischen oder auch französischem) Versand etwas kauft, füllt er wie gewohnt eine Überweisung in Euro aus. Die Bank teilt das automatisch in Euro und in Franc auf und bucht das von seinem Kontenduo entsprechend proportional ab. Die Franc-Bestandteile können seitens der Kontoinhaber einseitig abgehoben bzw. in Euro umgetauscht werden. Es gibt keinen Grund, das zu untersagen. Aber: sind nicht mehr genügend Franc auf diesem Teilkonto für Zahlungsvorgänge wie Daueraufträge oder Überweisungen vorhanden, tauscht die Bank zu Lasten des Kunden automatisch Euro zum Kurs 1:1 ein, bis wieder die jeweilige Marge erfüllt ist. Geldautomaten außerhalb Frankreichs geben weiter nur Euro aus, Rechnungen mit eher bescheidenen Beträgen – z.B. bis 1000 Euro – dürfen in den anderen Ländern außer Frankreich nur mit Euro beglichen werden, das erleichtert das Alltagsleben.17
Eine solche Spezifikation des gleitenden Übergangs mit Beteiligung aller kommt gut ohne die relativ drastischen Maßnahmen aus, die sonst üblicherweise bei einem abrupten Währungsaustritt als notwendig angesehen werden.18 Es bedürfte also weder einer (Euro-)Banknotenstempelung im Land mit der neuen Währung noch Kapitalverkehrskontrollen. Ein verbleibendes, wenn auch vermutlich kleineres, Problem stellen Konten von Personen und Unternehmen des aus der Währungsunion ausscheidenden Landes im verbleibenden Euroraum dar. Es könnte für diese attraktiv scheinen, Depots hierin zu transferieren, besonders bevor sich die Relationen zum Jahresbeginn ändern. Am sinnvollsten wäre deshalb die Einigung auf eine europaweite Vorschrift, dass während der Übergangszeit für Konteninhaber mit (Wohn-)Sitz in Frankreich die jährliche Franc-Euro-Relation wie in Frankreich selbst und nicht wie die in den anderen Eurostaaten angepasst werden müsste.19
Bei einer fünfjährigen Übergangsperiode sollte der Anteil der Währung des austretenden Landes am Gesamtgeldverkehr der verbleibenden Eurozone jedes Jahr um ein Fünftel sinken. Das heißt 2016 beträgt er beim französischen Beispiel für die anderen Eurostaaten nur noch 16,8%, 12,6% (2017), 8,4% (2018), 4,2% (2019), mit Beginn von 2020 ist der Übergang abgeschlossen. In Frankreich dagegen würde der Francanteil ebenso kontinuierlich steigen, von 21% aus dann in gleichen Anteilen erhöht, um 2020 vollständig auf Franc zu beruhen. Französische Geldautomaten würden von Anfang an nur noch Francs ausgeben, und der Franc müsste von Beginn an das einzige gesetzliche Zahlungsmittel für Barausgaben bis 1000 Franc in Frankreich sein (Zahlungen von Touristen in Euro würden sicher gerne weiter freiwillig zum Kurs 1:1 angenommen).
Für bestehende Rechnungen im Verkehr mit anderen Ländern (das ist immer der problematische Fall), darunter auch das Zurückzahlen von Krediten oder das Überweisen von Zinsen an Ausländer, zahlte Frankreich also im ersten Jahr im Verhältnis 79% Euro und 21% Franc, im Jahr darauf aber nur noch 63,2% Euro, dann 47,4% (2017), dann 31,6% (2018), 15,8% (2019) um 2020 nur noch in Franc zu fakturieren. Dann ist der Austritt aus der Eurozone endgültig abgeschlossen. Wenn der Franc mittelfristig an Wert verliert und z.B. Staatsanleihen lange Laufzeiten haben, können natürlich Verluste bei den Gläubigern anfallen. Gemildert wird dies aber einmal durch Teil-Zinszahlungen (beispielsweise bei kürzeren Laufzeiten auch Tilgungen) in Euro während der Übergangsperiode, sowie dadurch, dass französische Anleihen in der Vergangenheit höhere Zinsen als etwa deutsche boten, so dass über die Gesamtlaufzeit betrachtet „beschränkte Verluste“ bei einer Währungsumstellung relativ unproblematisch sein dürften.20 Und selbst der griechische Schuldenschnitt, bei der private Gläubiger einen Wertverlust von rund der Hälfte der Anlagensumme hinnehmen mussten, ist unproblematischer verlaufen als oft befürchtet wurde.21 Aber sind höhere Verluste bei einem hier beispielhaft unterstellten Austritt Frankreichs aus der gemeinsamen Währung überhaupt zu erwarten?
Vermutliche Wirkungen
Ein hier vorgeschlagener gleitender Übergang eines konsensuellen Austritts, an dem sich auch die Bürger, Unternehmen und der Staat22 der anderen Mitgliedstaaten beteiligen würden, zeigt einige interessante Eigenschaften:
- Erstens werden die Kosten der Umstellung – Kosten hier definiert als Differenz zwischen zwei unterstellten Markt-Wechselkursen – fair und auch „akzeptabel“ in dem Sinne verteilt, dass Banken vor zu hohen und schlagartig anfallenden Verlusten bewahrt werden. Die oben angeführten Relationen bei der Lohnstückkostenentwicklung lassen in dem Beispiel Frankreich sogar eher schwache Veränderungen erwarten.
- Zweitens ist gar nicht klar, ob eine solche Wechselkursentwicklung in diesem Umfang eintritt. Während der Übergangsphase besteht in der Eurozone durchaus eine Nachfrage nach Francs, da der gesamte Zahlungsverkehr bis auf die relativ unbedeutende Bargeldabwicklung immer als Kombination von Euro und Franc durchgeführt wird. Natürlich können Personen oder Unternehmen versuchen Francbestände loszuwerden, aber das geht nur mit überschüssigem Geldvermögen, das eben nicht für Lohn-, Miet-, Steuerzahlungen oder andere größere Rechnungen benötigt wird. Ein Absturz des Franc an Devisenbörsen wäre schon mangels frei handelbarer Masse unwahrscheinlich, ein in diese Richtung zielender Spekulationsversuch könnte leicht durch eine Intervention der Banque de France konterkariert und durch eine wehrhafte Tobinsteuer gebremst werden. Allerdings steigt natürlich das Abwertungsrisiko mit jedem Jahr, weil zwar in der Übergangsfrist ein Teil aller Geldströme in Francs abgewickelt werden muss, dieser Teil aber zunehmend kleiner wird und der relativ hohe Anfangsumtausch in den Euroländern nicht mehr vollständig gebraucht wird. Auf der anderen Seite fragt Frankreich aber ebenso zunehmend Francs nach, die ja nicht vollständig durch eigene zusätzliche Geldschöpfung erzeugt werden müssen. Es ist natürlich nicht davon auszugehen, dass der Franc mittelfristig beim nominal geltenden Wechselkurs von 1:1 bleiben wird. Dieser gilt als faktischer Anker nur für Zahlungen während des Übergangszeitraums. Ein Abweichen davon danach ist aber eher als Vorteil zu sehen, denn eine langfristige Abwertung ist beabsichtigt. Der französische Staat würde vermutlich seine neue, gestiegene wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit23 – nicht zuletzt durch Beeinflussung der Politik der Banque de France – durchaus in Richtung eines „deficit spending“ einsetzen, was wieder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf die interne Inflationsrate hätte.
- Drittens, ob es durch eine mäßige Franc-Abwertung zu einem „Währungskrieg“ und „Abwertungswettlauf“ kommt, wie Schulmeister es für zwingend erklärt, ist alles andere als sicher. Zum einen würde der unterstellte Kursverlust eines austretenden Landes vor allem durch eine relativ höhere Inflationsrate zustande kommen. Zum anderen muss auch die Preisentwicklung der Importgüter beachtet werden, um eine Gesamteinschätzung zu erhalten. Abwertungspolitik ist nach der „Marshall-Lerner-Bedingung“ nur dann erfolgreich, wenn die Summe der Preiselastizitäten der Import- und der Exportgüter eines Landes größer als Eins ist. Das bedeutet, nicht für jedes Land ist eine Abwertung sinnvoll. Zudem können sich die Elastizitäten langfristig zwar anpassen, in der Übergangszeit kann sich die Leistungsbilanz aber durch eine Abwertungspolitik sogar verschlechtern, wenn z.B. nötige Importgüter wie Rohöl wegen ihrer schlechten Substituierbarkeit eine ganz niedrige Preiselastizität haben, steigen zunächst die Ausgaben in Devisen dafür, während die jetzt günstigeren eigenen Exporte erst nach einer gewissen Lernperiode des Auslands mengenmäßig anziehen.
- Viertens, und vor allem, geht die Metapher „Wirtschaftskrieg“ durch „Abwertungswettläufe“ davon aus, dass Staaten ihre Wechselkurse dauerhaft manipulieren können. Das ist zwar prinzipiell möglich (dies zeigt das chinesische Beispiel) aber institutionell sehr vorraussetzungsreich. EU-Mitglieder, ob mit eigener oder gemeinschaftlicher Währung, aber immer mit der vertraglichen Pflicht zum freiem Kapitalverkehr, erfüllen diese Bedingungen nicht. Und ein Austritt nicht nur aus dem Euroraum, sondern gleich aus der EU wird, soweit zumindest heute sichtbar, politisch von keiner Partei mit Gewicht in einem der Krisenstaaten gefordert.
Was wäre dann der Vorteil, den Frankreich aus einer eigenen Währung ziehen könnte, wenn die Abwertung wohl erst mit Zeitverzögerung die Leistungsbilanz verbessert? Da ist an zweierlei zu denken.
- Erstens lässt sich mit einer eigenen, stärker die Wirtschaftspolitik unterstützenden Banque de France die Staatsverschuldung für ein „deficit spending“ zinsarm finanzieren, ohne auf die launischen Finanzmärkte angewiesen zu sein. Das machen auch Großbritannien, die USA und andere ganz erfolgreich. Die EZB darf das aber nicht, bzw. sie agiert über den Sekundärmarkt nur mit Vorbehalt, unter viel öffentlicher Kritik und vor allem unzuverlässig und legitimatorisch problematisch, da sie (z.B. als Troikamitglied) als Experteneinrichtung Wohlverhaltensforderungen an gewählte Regierungen stellt.
- Zweitens kann eine eigene Zentralbank das in der Geldversorgung von ihr abhängige Bankensystem dazu bringen, tatsächlich vor allem der Realwirtschaft günstige Kredite zu geben, statt am Finanzmarkt tätig zu sein.24 Das sind Vorteile, die prinzipiell zwar auch bei einer Gemeinschaftswährung möglich wären, hier aber politisch bisher nicht möglich waren.
Politische Überlegungen
Damit kein Missverständnis entsteht: dies ist kein Plädoyer für einen Austritts einzelner Länder aus der Eurozone oder gar für deren generelle Auflösung! Es ist nur der Versuch, einem unnötigen Katastrophismus zu begegnen, der dies nicht nüchtern betrachtet. Nun sind aber politische Bewegungen in mehreren Krisenstaaten aktiv und in der Bedeutung zunehmend, die sich einen solchen Austritt vorstellen können oder ihn gar explizit fordern. Hier wurde deshalb ein Szenario entwickelt, wie dies prinzipiell funktionieren könnte. Mit einem schleichenden Übergang und einer Beteiligung aller würden allerdings auch die ökonomischen wie politischen Kosten deutlich, die damit verbunden wären.
Dass Mitgliedstaaten einer solchen skizzierten gemeinschaftlichen Lösung zustimmen würden, scheint deshalb zunächst unwahrscheinlich. Allerdings haben Austrittswillige ein starkes Drohpotenzial: wenn die anderen sich dem verschlössen, könnten sie auch einseitig versuchen ihre eigene Währung wiederzubeleben und dann tatsächlich ihre Schulden von heute auf morgen nur noch in der eigenen Währung zurückzahlen. Das käme dann der Schulmeister’schen „Finanzschmelze“25 schon näher. Juristische Einwände, so ernst sie zu nehmen sind, haben schon andere Staaten in großen Krisen nicht davon abgehalten, das funktionale Äquivalent eines einseitigen Schuldenschnitts zu wagen. Eine solche Gefahr eines autonomen Weges dürfte die verbleibenden Euromitglieder sehr nachdenklich und damit kompromissbereiter werden lassen.
Es liegt also nahe zu fragen, ob Austrittswillige ihre möglicherweise starke Verhandlungsposition nicht auch nutzen können, um Verbesserungen im Eurosystem einzufordern? Dazu könnte gehören, dass die EZB demokratischer gesteuert wird (etwa mit eigens dafür gewählten Vertretern), auch dass sie direkt Staatsanleihen kaufen kann, dass sie weiter in die Lage versetzt wird, das Bankensystem besser zu steuern, und vor allem auch, dass Leistungsbilanzdefizite symmetrisch abgebaut werden, so dass neben der internen Abwertung eine symmetrische „interne Aufwertung“ bei den Euroländern mit Exportüberschüssen steht.26
- 1 W. Streeck: Auf den Ruinen der Alten Welt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57. Jg. (2012), H. 12, S. 61-72, http://www.gbv.de/dms/bs/toc/739805274.pdf; J. Habermas: Demokratie oder Kapitalismus? Vom Elend der nationalstaatlichen Fragmentierung in einer kapitalistisch integrierten Weltgesellschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57. Jg. (2013), H. 5, S. 59-70; W. Streeck: Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012, Berlin 2013, http://www.gbv.de/dms/bs/toc/739805274.pdf; W. Streeck: Vom DM-Nationalismus zum Euro-Patriotismus?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57. Jg. (2013), H. 9, S. 75-92, http://www.gbv.de/dms/bs/toc/739805274.pdf.
- 2 S. Schulmeister: Euroabwicklung: Der finale Schritt in den Wirtschaftskrieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57. Jg. (2013), H. 10, S. 39-59.
- 3 Ebenda, S. 39.
- 4 Ebenda, S. 44.
- 5 Ebenda, S. 49.
- 6 Ebenda, S. 42.
- 7 Ebenda, S. 44.
- 8 Vgl. http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user/serie/ResultSerie.cfm (8.1.2014).
- 9 Vgl. S. Schulmeister, a.a.O., S. 48 f.
- 10 Vgl. z.B. D. Meyer: Stabilität durch Nord-Süd-Teilung der Währungsunion, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 130. Jg. (2011), H. 4, S. 19-21.
- 11 Vgl. z.B. H. Walther: Einige Gedanken zur Eurokrise aus keynesianischer Sicht, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 38. Jg. (2012), H. 2, S. 212-230; S. Xouridas: Ein differenzierter Blick auf einen Euro-Austritt Griechenlands, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 6, S. 378-383.
- 12 Bisher thematisieren wirtschaftswissenschaftliche Beiträge eher die Probleme eines einseitigen Austritts und suchen weniger nach konsensuellen Verfahren zu ihrer Lösung. Eine Ausnahme ist: S. Kawalec, E. Pytlarczyk: Controlled Dismantlement of the Eurozone: A Strategy to Save the European Union and the Single European Market, in: German Economic Review, 14. Jg. (2013), H. 1, S. 31-49. Dort wird für einen Austritt besonders erfolgreicher Staaten wie Deutschland geworben, bei Beibehaltung einer gemeinsamen EZB und eines koordinierten Währungssystems. In einer neueren, etwas detaillierteren Fassung zur konkreten Umsetzung wird noch ausgeführt, dass, beginnend mit einem Stichtag, nur heimische Zahlungsvorgänge in der neuen Währung abgewickelt, grenzüberschreitende Verpflichtungen dagegen weiter in Euro bestehen bleiben sollen: S. Kawalec, E. Pytlarczyk: Working Paper Nr. 155 (2013), National Bank of Poland. Die propagierte Stichtagslösung, die Aufteilung in interne und externe Zahlungsverpflichtungen sowie die Nichtbeteiligung der verbleibenden Eurostaaten an einer neuen Währung unterscheiden dieses Szenario vom hier vertretenen Ansatz.
- 13 Dies ist eine ökonomische, keine juristische Überlegung. Für die vielfältigen legalen Probleme eines Austritts ohne konsensuelle Vereinbarung siehe z.B. D. Meyer: Währungsdenomination, in: Wirtschaftsrechtliche Blätter, 26. Jg. (2012), H. 11, S. 610-617, http://dx.doi.org/10.1007/s00718-012-0130-1.
- 14 Vgl. G. Grözinger: Die Tobin-Steuer: machbar, wünschenswert, erfolgversprechend?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 45. Jg. (2001), H. 12, S. 1-9.
- 15 Vgl. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php?title=File:GDP_at_current_market_prices,_2001,_2010_and_2011-de.png&filetimestamp=20130722094306 (17.11.2013).
- 16 Das Szenario kann auch für mehrere Länder zugleich oder nacheinander durchgespielt werden. Dann gibt es eben noch ein drittes internes Verrechnungskonto mit der Drachme und wenn man unbedingt will, ein viertes mit der D-Mark. Das hört sich kompliziert an, ist aber für eine moderne Datenbankverwaltung recht problemlos. In den USA z.B. ist einem Checking Account oft ein Savings Account attachiert, die gemeinsam verwaltet werden. Eine andere Frage ist, wie eine vollständige Auflösung der Währungsunion zu einem Stichtag aussehen würde. Dies ist aber nicht Gegenstand des Beitrags.
- 17 Wenn Geschäfte z.B. in Deutschland ihre Euro-Einnahmen bar zur Bank bringen, würden die Einzahlungen wieder nach dem festgelegten Schlüssel als Euro und Francs verbucht werden, so dass die Ausnahme für die Geldautomaten und Kleinzahlungen letztlich wenig Bedeutung hätten.
- 18 Vgl. S. Xouridas, a.a.O.
- 19 Für auf Euro lautende Konten außerhalb Europas von französischen Wohnsitzinhabern bzw. Firmen wäre es Sache der französischen Regierung hier tätig zu werden (wenn sie es für relevant genug erachtete) und z.B. eine Offenlegung solcher Depots gegenüber den Finanzbehörden und ihren nachträglichen Teil-Umtausch in Franc vorzusehen.
- 20 Seit Beginn der Finanzkrise erbringen zehnjährige französische Staatsanleihen etwa ein halbes Prozent mehr Rendite als deutsche. Vgl. http://www.markt-daten.de/charts/zinsen/staatsanleihen-eu.htm (7.1.2014).
- 21 Viele Banken sind global im Anleihengeschäft tätig und haben gelernt bei ihren Kalkulationen Wechselkursschwankungen einzubeziehen. Z.B. hat der Euro seit seiner Einführung in US-Dollar gerechnet einmal unter Pari gelegen, das andere mal bis zu 1,60 US-$ erreicht: http://www.boerse.de/historische-kurse/Euro-Dollar/EU0009652759 (9.1.2011).
- 22 Staaten sind betroffen, wenn sie über Mechanismen der Euro-Rettungsprogramme Kredite vergeben oder wenn sie dafür gehaftet haben sowie über ihre Berechtigung EZB-Gewinne zu erhalten. Zusätzlich bedürfte es generell einer besonderen Vereinbarung darüber, wie mit eventuellen Target2-Salden umgegangen werden soll, da hier keine feste Zeitspanne des Abbaus vorgesehen ist. Ein Franc-Anteil bei einem Abschmelzen eines Defizits und einem unterstellten mittelfristigen Wertverlust brächte weitere Verluste in beschränktem, wenn auch zurzeit schwer zu kalkulierendem Umfang. Vgl. C. Lambert, P. König, E. Wittenberg: Ausgleich der Target-Salden erst nach Ende der Euro-Krise: Sieben Fragen an Claudia Lambert und Philipp König, in: DIW-Wochenbericht, 80. Jg. (2013), H. 44, S. 18.
- 23 Auch hier hat die Finanzkrise zu einem erneuten Nachdenken geführt. Während Joseph Stiglitz vor anderthalb Dekaden noch sehr vorsichtig formulierte: „The most fundamental is a matter of democratic philosophy. Monetary policy is a key determinant of the economy’s macroeconomic performance. Monetary policy is the main instrument for affecting macroeconomic performance … That this key determinant of what happens to society – this key collective action – should be so removed from control of the democratically elected officials should at least raise questions.“ J. Stiglitz: Central banking in a democratic society, in: De Economist, 146. Jg. (1998), H. 2, S. 199-226. Alan Blinder, das frühere Mitglied des Federal Reserve Systems, drückte in einem Beitrag zum prominenten Jackson Hole Symposium 2012 seine Position deutlich so aus: „My conclusion is that, in a crisis, preserving strict central bank independence is neither possible nor desirable.“ A. S. Blinder: Central bank independence and credibility during and after a crisis (Preprint).
- 24 Ein solcher Politikschwenk scheint auch bei der EZB nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Die Süddeutsche Zeitung (27.11.2013) berichtet von Diskussionen im Rat über Notenbankkredite mit „Zweckbindung“ für Darlehen an die „Realwirtschaft“.
- 25 Vgl. S. Schulmeister, a.a.O., S. 41.
- 26 G. Grözinger: Alternative Solutions, in: H. Brunkhorst, C. Gaitanides, G. Grözinger (Hrsg.): Europe at Crossroads: From Currency Union to Political and Economic Governance?, Baden-Baden 2014 (im Erscheinen).