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Das Bundesverfassungsgericht hat am 17.12.2014 über die Verfassungsmäßigkeit der erbschaftsteuerlichen Regelungen zur Verschonung des Betriebsvermögens entschieden und den Gesetzgeber erneut vor eine steuerpolitische Herausforderung gestellt. Im Kern haben die Verfassungsrichter die Verschonung bestätigt, die konkrete Ausgestaltung im aktuellen Gesetz aber für verfassungswidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wird bei einer Neuordnung der Regelungen ein weiter Spielraum eingeräumt. Bis zum 30.6.2016 hat der Gesetzgeber nunmehr Zeit, die Regelungen anhand der verfassungsrechtlichen Leitlinien, die in der Entscheidung herausgearbeitet wurden, neu zu fassen.

Mit Spannung war erwartet worden, wie die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Verschonung des Betriebsvermögens in Abgrenzung zu anderen Vermögensarten bewerten. In dieser Hinsicht ist das Urteil1 eindeutig: „Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sowie von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist von Verfassungs wegen im Grundsatz nicht zu beanstanden, erweist sich in Teilen ihrer Ausgestaltung durch die §§ 13a und 13b Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) aber als gleichheitswidrig“ (Rz 118). Der Grundsatz der Verschonung wurde also bestätigt, lediglich in seiner konkreten Ausgestaltung gibt es Nachbesserungsbedarf.

Es gibt sicherlich mehrere grundlegende Feststellungen zum Erbschaftsteuerrecht in der Urteilsbegründung, aber diese Kernaussage kann in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt worden war. Denn damit wird eine Grundsatzdebatte entschieden, die bereits vor der Erbschaftsteuerreform 2009 intensiv geführt wurde. Betriebsvermögen kommt im Vergleich zu anderen Vermögensformen eine besondere Bedeutung zu, die eine Verschonung vor dem steuerlichen Zugriff rechtfertigt. Diese Differenzierung verstößt dann nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3) der Verfassung, wenn sie durch „Sachgründe“ gerechtfertigt werden kann, „die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind“. Und: Je umfassender das Ausmaß der Ungleichbehandlung, desto höher sind die Anforderung an die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung. Grundsätzlich wird ausdrücklich akzeptiert, dass „der Gesetzgeber das Verhalten der Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will“. Dabei darf der Gesetzgeber „Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet“ (Rz 125). Dabei sollen namentlich solche Unternehmen von der Steuerbelastung verschont werden, „die durch einen besonderen personalen Bezug des Schenkers oder Erblassers oder auch des Erwerbers zum Unternehmen geprägt sind“ (Rz 127). Ausdrücklich nennen die Verfassungsrichter den Zusammenhang zwischen Liquiditätsproblemen, die durch die erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung verursacht wurden, und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Auf solche Effekte hatten durchaus zuvor bereits einige Ökonomen hingewiesen, allerdings hatten sie dann zumeist Stundungsmodelle empfohlen, mit denen sich aus deren Sicht diese Probleme ebenfalls lösen ließen. Dieser Auffassung erteilen die Verfassungsrichter nunmehr eine klare Absage (Rz 148).

Die Systematik der Verschonungsregeln ist auch folgerichtig, denn die hohen Freistellungsquoten von 85% bzw. 100% werden ausdrücklich mit der Liquiditätssicherung gerechtfertigt, die langen Behaltefristen von fünf bzw. sieben Jahren mit dem Argument der dadurch erzielten Nachhaltigkeit und das Kriterium der einzuhaltenden Lohnsummen mit dem Argument des Arbeitsplatzerhaltes. Ebenfalls folgerichtig ist die Konzentration auf Betriebe, in denen typischerweise der Erblasser oder Schenker unternehmerische Verantwortung trägt (Rz 137).

Von hoher Aussagekraft ist zudem die Feststellung, dass die Verschonung des Betriebsvermögens nicht nur als Instrument geeignet ist, die Ziele (Fortführung der Unternehmen und Erhalt der Arbeitsplätze) zu erreichen, sondern dass die Verschonung auch erforderlich ist. Es sei „kein Weg erkennbar, auf dem die Schonung der Liquidität ererbter oder unentgeltlich übertragener Unternehmen oder Unternehmensteile und damit der Erhalt der Arbeitsplätze gleich wirksam, zugleich aber unter geringerer Benachteiligung der Erwerber nicht begünstigten Vermögens, erreicht werden könnte“ (Rz 140). Auch an dieser Stelle betonen die Verfassungsrichter den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dabei halten es die Verfassungsrichter für ausreichend, „dass der Gesetzgeber eine ernste Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat“ (Rz 144). Bemerkenswert ist auch, dass die Verfassungsrichter die Argumente der Wirtschaft in Bezug auf die ernsthaften Probleme bei der empirischen Messung der Belastungen durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer aufgegriffen haben.2 Weil es gerade nicht möglich ist, eindeutig kausale Zusammenhänge zwischen der Belastung mit Erbschaftsteuer und Insolvenzfällen herzustellen, gilt auch der Umkehrschluss: Es ist eben auch kaum möglich, einen eindeutigen empirischen Nachweis dafür zu liefern, dass die Belastungen durch die Erbschaftsteuer die jeweiligen Unternehmen nicht in Schwierigkeiten bringen können.

Mittelständische Unternehmen

Für die sogenannten großen Unternehmen hat das BVerfG-Urteil enorme Bedeutung. Eine Verschonungsregelung im Sinne der §§ 13a und 13b ErbStG soll für Erb- und Schenkungsfälle bei diesen Unternehmen nicht unmittelbar zur Anwendung kommen. Vielmehr muss noch über die Behalte- und Lohnsummenregel hinaus eine individuelle Bedürfnisprüfung hinzutreten, die eine Verschonung zu rechtfertigen vermag. Mit 0,7% ist zwar ein verhältnismäßig kleiner Anteil an den gesamten Unternehmen in Deutschland betroffen,3 jedoch hat dieser eine ungleich höhere Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft.

Über den sogenannten Mittelstand sind nur wenige wissenschaftliche Daten, Fakten und Erkenntnisse vorhanden. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und beginnen bereits bei der Definition des Begriffs Mittelstand. In der Folge wird der Begriff Mittelstand und Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) unscharf sowie mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. So wird dieser auf der einen Seite oftmals mit einer Größenklasse eines Unternehmens4 verbunden. Auf der anderen Seite gelten Mittelstand oder KMU zugleich als Synonyme für Familien- und eigentümergeführte Unternehmen vor dem Hintergrund einer persönlichen wirtschaftlichen Haftung bzw. Kapitalbindung im Unternehmen.5

Noch deutlicher wird die Unschärfe des Mittelstandsbegriffs beim vergleichenden Blick über die Grenze. Die Definition der EU-Kommission für mittelständische Unternehmen wird ausschließlich an durchschnittlichen Unternehmensgrößen der EU-Staaten festgemacht. Dass die Einschätzung über die KMU-Grenze eines Unternehmens zwischen Staaten wie Malta, Zypern, Estland, Litauen und Liechtenstein auf der einen Seite und Deutschland als die größte Volkswirtschaft auf der anderen Seite differiert, ist offensichtlich. Insoweit dürfte eine EU-Durchschnittsbetrachtung bei der Festsetzung für Unternehmensgrößen allenfalls ein schwaches Indiz für die Begriffsbestimmung Mittelstand für eine rein nationale steuerrechtliche Regelung wie die Erbschaftsteuer sein. Darüber hinaus scheinen die starren Grenzen wie Mitarbeiterzahl oder Umsätze in der differenzierten Unternehmenswelt keine branchenübergreifende Aussagekraft mehr zu haben und sind insofern als ausschlaggebende Größenkriterien überholt. Ein Blick auf die unterschiedlich hohen Umsatzvolumina in den Branchen und der entsprechenden Umsatzrenditen kann daher für die Größe des Unternehmens keine unmittelbare Aussagekraft entfalten.

Zudem zeigt das Spektrum der Umsatzrenditen in den unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen, dass der Umsatz für sich kein Abgrenzungskriterium sein kann. Unternehmensnahe Dienstleistungen erzielen z.B. rund fünffach so hohe Umsatzrenditen wie der Bereich Verkehr und Logistik.6 Insoweit beeinflussen die Umsatzrenditen das notwendige Umsatzvolumen für die Klassifizierung der Unternehmensgröße innerhalb einer Branche. Gleiches lässt sich auf die Mitarbeiterzahl in den Unternehmen übertragen. Würden die sogenannten großen Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl ab 250 nicht in die erbschaftsteuerliche Verschonungsregelungen einbezogen, würden zwar nur 0,7% der Unternehmen, jedoch rund 40% der Arbeitsplätze im Unternehmensbereich von der Zielsetzung der Arbeitsplatzsicherung beim Generationenwechsel ausgegrenzt.

Im Vergleich zu anderen Ländern sind in Deutschland eine Vielzahl von Unternehmen in Familienhand bzw. eigentümergeführt, die weltweit der üblichen Größe von klassischen kapitalmarktorientierten Unternehmen entsprechen würden. Diese Unternehmen haben eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung. Allein auf die größten 4400 Familienunternehmen – das sind 0,12% der Unternehmen in Deutschland – entfallen rund 20% der gesamten Unternehmensumsätze und rund 15% der Beschäftigten.7

Die herausstechende Eigenschaft „Familienunternehmen“8 der deutschen Wirtschaftsstruktur kann auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden. Im Vordergrund steht jedoch eine gewisse Kapitalbindung der Gesellschafter in den Unternehmen als Kehrseite für eine stärkere Kapitalmarktunabhängigkeit. Bei vielen eigentümergeführten Unternehmen hat der Gesellschafterkreis eine der wichtigsten Funktionen als Kapitalgeber im Rahmen der Innenfinanzierung bzw. ist wirtschaftlicher Ankerpunkt für die nachhaltige Unternehmensfortführung mit der Folge einer gewissen Eigenständigkeit, die aus internationaler Sicht für ein größeres Unternehmen unüblich ist. Zwangsläufig werden an den Gesellschafter als wesentlichen Kapitalgeber hohe Anforderungen gestellt. Als Kehrseite der unmittelbaren Kapitalmarktunabhängigkeit bestehen zumeist gesellschaftsvertraglich Beschränkungen der Gesellschafterrechte. Anders als der auch zum Handel bestimmte und bestimmbare börsennotierte Anteil am Unternehmen ist die Unternehmensbeteiligung im wirtschaftlichen Mittelstand regelmäßig auf die Unternehmenssicherung und Unternehmensfortführung gerichtet, weshalb der freie Handel oftmals ausgeschlossen ist.9

Für die Bedürfnisprüfung im Rahmen der Fortgeltung erbschaftsteuerlicher Verschonungsregelungen sollte deshalb das Merkmal der Kapitalbindung durch die Beschränkung der Gesellschafterrechte (Thesaurierungsvorgaben, Veräußerungsbeschränkungen, Abfindungsklauseln unter dem sogenannten Verkehrswert etc.) eine wesentliche Rolle spielen. Hierdurch sollte der verfassungsrechtlich erforderliche Nachweis der größeren Unternehmen für das Bedürfnis des Erhalts der Liquidität und Investitionsfähigkeit zur nachhaltigen Unternehmenssicherung und -fortführung gelingen.

Verwaltungsvermögen

Als zweite zentrale gesetzgeberische Baustelle ergibt sich aus dem Urteil vom 17.12.2014 die Frage, wie mit dem sogenannten Verwaltungsvermögen umzugehen ist. Die derzeitige Regelung verschont das gesamte betriebliche Vermögen mit einem Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50%. Sie ist unverhältnismäßig ausgestaltet, „soweit sie das Betriebsvermögen (...) insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt“ (Rz 243). Die bisherige Regelung wird zudem mit Blick auf mehrstufige Konzernstrukturen und das dort sehr stark wirkende Alles-oder-Nichts-Prinzip als sehr missbrauchsanfällig (Stichwort: Nutzung von Kaskadeneffekten) beurteilt (Rz 261). Die hierzu ergangenen Änderungen durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.6.201310 (Stichwort Cash-GmbHs) werden zwar gewürdigt, vermögen die Verfassungsmäßigkeit der Gesamtregelung aber nicht herzustellen (Rz 271).

Unverändert gilt aus Sicht der Unternehmen, dass Trittbrettfahrer11 der bestehenden Verschonungsregelung, die eben nicht operative Unternehmen bzw. Unternehmen mit produktivem Vermögen weitergeben, von der Verschonung ausgeschlossen werden sollten. Ferner sind alle Missbräuche abzustellen. Gleichzeitig gilt es darauf zu achten, dass bei einer Reform das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird. Verwaltungsvermögen kann auch notwendigerweise dem Betrieb dienen und ist nicht zwangsläufig verstecktes Privatvermögen. Es kann auch dann, wenn es nicht im engeren Sinne operativ eingesetzt wird, zu einer in die Bilanz integrierten Sicherheitsleistung gegenüber Externen und zur Stabilität des Unternehmens oder der Sicherung der bestehenden Versorgungsverpflichtungen zugunsten der Mitarbeiter beitragen. Verwaltungsvermögen kann sich aus guten Gründen, die keineswegs nur steuergestaltender Natur sind, in einem Unternehmen befinden. Die Abgrenzungsproblematik zwischen gutem und weniger gutem oder gar nicht verschonungswürdigem Betriebsvermögen begleitet die Regelung, seitdem sie etwa 2005 zum ersten Mal näher ausgearbeitet worden ist.

Es gibt für den Gesetzgeber im Wesentlichen drei Reform­ansätze, um auf Dauer Verbesserungen zu erreichen. Zum ersten könnte versucht werden, die Legaldefinition von Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 ErbStG neu, was wohl hieße, sie enger zu fassen als durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz.12 Davon sollte jedoch abgesehen werden, weil der Gesetzgeber hier erneut auf kaum zu bewältigende Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage stoßen wird, was im Einzelnen und in jeder denkbaren Branche operativ ist.

Ein weiterer Ansatz hätte den Charme, für den Gesetzgeber technisch relativ einfach formulierbar zu sein: Er könnte die Quote neu fassen und z.B. statt 50% künftig 40% oder 30% Verwaltungsvermögen für zulässig erklären. Eine solche Lösung muss allerdings skeptisch betrachtet werden, solange niemand weiß, ob das Gesetz mit dieser Neuregelung tatsächlich verfassungsfest werden würde. Insbesondere weist eine starre Vermögensverwaltungsquote (gleichgültig in welcher Höhe) immer einen zu Recht kritisierten Fallbeileffekt auf und führt in ihren Grenzbereichen mit Blick auf den Gesetzeszweck zu Verwerfungen. Unabhängig davon, ob der Gesetzgeber diesen Weg einzuschlagen erwägt, bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass jeder sehr deutlich abgesenkte Wert (30% und weniger) enorme neue Risiken brächte. Unternehmen benötigen einen Puffer an Eigenkapital gegen die Risiken ihrer jeweiligen Märkte und gegenüber ihren Kreditgebern. Das gilt auch unabhängig von der Frage, in welchen Anlageformen das Kapital im Einzelnen investiert ist. Ein vom Gesetzgeber ausgelöster Anreiz oder gar ein Zwang zur Eigenkapitalentnahme wäre schädlich.13

Auf jeden Fall müsste die Neuregelung der Verwaltungsvermögensquote, wie von Anfang an von der Praxis vorgeschlagen, mit einer Verhinderung besagter Kaskadeneffekte verbunden werden, indem die (neue) Quote auf das Verwaltungsvermögen in seiner Gesamtheit im Gesamtunternehmen zu beziehen wäre, also unabhängig davon, auf welcher Stufe des Unternehmens es stünde. Es ist ein konsolidiertes Verwaltungsvermögen anzusetzen, das auch im Zuge einer dritten Lösungsalternative zu berücksichtigen wäre.

Einen solchen dritten Ansatz zur Lösung der Aufgabe formuliert das Gericht selbst: „Das gesetzgeberische Ziel, Verwaltungsvermögen grundsätzlich von der Verschonung auszunehmen und steuerliche Gestaltungen zu unterbinden, wäre mit der Begrenzung der Förderungsausschlusses auf den jeweils festgestellten Anteil am Verwaltungsvermögen ohne (...) Verwerfungen zu erreichen“ (Rz 244). Ein Vorteil einer solchen Lösung läge darin, dass auf diese Weise das übrige Vermögen nicht durch ein zu hohes Verwaltungsvermögen „kontaminiert“ und der Möglichkeit der Verschonung entzogen werden würde.

Gleichzeitig könnte es zu folgenden Schwierigkeiten kommen: Zunächst würde für die Unternehmen wie auch für die Finanzverwaltung die Abgrenzung zwischen dem Verwaltungs- und dem operativen Betriebsvermögen bei der Bestimmung nunmehr der Bemessungsgrundlage selbst deutlich aufwändiger werden. Vor allem aber würde das bedeuten, dass künftig in der Praxis große Anteile des Betriebsvermögens nicht länger (mit-)begünstigt werden würden. Erreichbar wäre nur noch eine Teil- statt einer Vollverschonung. Zur Milderung der Folgen wären auch gemischte Lösungen denkbar, wonach ein Anteil von z.B. bis zu 30% oder 40% Verwaltungsvermögen für die Verschonbarkeit des übrigen Vermögens unschädlich sein könnte, ein solches Verwaltungsvermögen selbst aber immerhin noch hälftig verschont bliebe. Eine solche Abmilderung könnte dadurch gerechtfertigt werden, dass die Abgrenzung zwischen produktivem und mutmaßlich unproduktivem Betriebsvermögen schwierig ist. Bei einem Abzug des Verwaltungsvermögens vom verschonungsfähigen Betriebsvermögen dürften die auf das Verwaltungsvermögen entfallenden Erträge bei der Berechnung der jeweiligen Ertragswerte (einerseits der des Verwaltungs-, andererseits der des übrigen Betriebsvermögens) nicht doppelt angesetzt werden.

Bei einer Begrenzung des Förderungsausschlusses der Art, wie sie durch das Bundesverfassungsgericht in Erwägung gezogen wird, wäre das nun von der Verschonung auszuschließende Verwaltungsvermögen des Weiteren in einem sachgerecht bereinigtem Umfange zu berechnen: Nach einer Ermittlung des konkreten Verwaltungsvermögens auf der Aktivseite müsste dazu auch auf der Passivseite die dem aktivierten Verwaltungsvermögen entsprechende Position berücksichtigt werden. Die einander zuzuordnenden Positionen blieben zunächst zu saldieren, beispielsweise die vermietete Immobilie und die zu ihrem Erwerb einmal aufgenommene Verbindlichkeit. Erst der Saldo würde das nicht verschonungsfähige Vermögen bilden. Dabei käme eine Regelung in Betracht, nach der bei einem Saldo, der einen bestimmten niedrigen Anteil des Gesamtvermögens unterschreitet, pauschal von dem Förderungsausschluss abgesehen wird. Verkürzt: Rein fremdfinanziertes Verwaltungsvermögen hat keinen Vermögenswert.

Kleine Unternehmen

Das Bundesverfassungsgericht stellt weiter eine Unverhältnismäßigkeit der bisherigen, pauschal angenommenen Verschonungswürdigkeit von Betrieben mit bis zu 20 Mitarbeitern fest. Die Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist im Grundsatz verfassungsgemäß (Rz 201). Um zu einer Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG zu gelangen, werden auch diese künftig nachweisen müssen, dass sie über einen längeren Zeitraum Arbeitsplätze (bzw. eine Lohnsumme) sichern. Das ist im Sinne des Gegenleistungsprinzips (Leistung für das Gemeinwohl gegen Steuerverschonung) nachvollziehbar. Es sind auch die damit fraglos verbundenen Bürokratielasten (Dokumentationspflichten etc.) für kleine Unternehmen wohl zu stemmen, wobei der Gesetzgeber schon hier Erleichterungen vorsehen könnte, die sich in das Bemühen der Großen Koalition zugunsten der Gründungskultur einpassen würden.

Gleichzeitig wird der Gesetzgeber weiter zu berücksichtigen wissen, dass gerade kleinere Betriebe für Konjunkturschwankungen oder für technische Umbrüche anfällig sind. Diese müssen auf das Marktgeschehen besonders flexibel reagieren können. Denn sie müssen sich ihre Märkte noch erstreiten, und sie können weniger darauf vertrauen, auf einem Markt schon etabliert zu sein. Zur Wahrung umfassender Flexibilität schließt im Kern auch eine Flexibilität in Bezug auf die jeweils zu garantierende Lohnsumme ein.

Daher könnte der Gesetzgeber hier in Erwägung ziehen, parallel zur Ausweitung des Kreises von Unternehmen, die eine Lohnsumme zu garantieren haben, die jeweils zu garantierende Lohnsumme leicht abzusenken. So könnten Unternehmen mit z.B. fünf bis 20 Arbeitnehmern eine Lohnsumme von 300% der Ausgangslohnsumme (statt von 400%) über fünf Jahre und von 500% (statt 700%) über sieben Jahre nachzuweisen haben. Das Gesetz würde so zwar noch etwas differenzierter werden, aber es bleibt bei der – traurigen – Einsicht, dass Gerechtigkeit kompliziert ist. Raum für eine solche begleitende Änderung der Lohnsummenregelung bestünde. Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich klar, dass der Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung dieser Bedingung groß ist und spricht von einem weiten Gestaltungsspielraum (Rz 211).

Ausblick und Diskussion über Bedürfnisprüfung

Namhafte Ökonomen haben nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 17.12.2014 gefordert, die Erbschaftsteuer grundlegend zu reformieren.14 Sie beziehen sich dabei auf die Aussage des Gerichts, dass der Gesetzgeber auch frei darin ist, „eine grundsätzliche Neukonzeption der Gesamtverschonungsregelung“ herbeizuführen (Rz 282). Warum aber sollte der Gesetzgeber ein neues Konzept einer Verschonung erarbeiten, wenn die aktuelle gerade vom Verfassungsgericht im Kern für verfassungsgemäß erklärt wurde? Die politisch Verantwortlichen würden bei einer Erarbeitung eines komplett neuen Gesetzes sicherlich ein hohes Risiko eingehen, erneut an Verfassungsfragen zu scheitern. Mit dem nun vorliegenden Urteil ist hingegen klar, an welchen Punkten die Politik zur Nachjustierung eines im Kern verfassungsgemäßen Gesetzes aufgefordert ist. Von einer grundlegenden Neufassung des Gesetzes ist dringend abzuraten. Ebenfalls abzuraten ist von Überlegungen, das Erbschaftsteuergesetz aufgrund des Urteils auslaufen zu lassen. Zwar gibt es gute Gründe dafür, auf eine Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen zu verzichten, in der aktuellen Situation ist aber die Frage zu beantworten, wie die Länder für die dann fehlenden Steuereinnahmen in Höhe von derzeit etwa 5 Mrd. Euro kompensiert werden sollten. Wahrscheinlich ist, dass eine solche Kompensation die Unternehmen stärker belasten würde und damit die Ziele der aktuellen Verschonungsregelungen verfehlt würden.

Konzentrieren sollte die Politik sich deshalb auf die Nachjustierungen der Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen. Während die Einbeziehung kleinerer Betriebe in die Lohnsummenklausel im Wesentlichen eine Frage der Dokumentation ist,15 sind die steuerpolitischen Herausforderungen für die großen Unternehmen ungleich höher. In die vom BVerfG geforderte Bedürfnisprüfung muss die Unternehmensperspektive einbezogen werden. Schließlich sollte es für die Sicherung der Arbeitsplätze als wesentliches verfassungsrechtliches Rechtfertigungsziel nicht auf die persönliche Vermögenssituation des jeweiligen Gesellschafters ankommen. Dies umso mehr, wenn es sich um vinkulierte Gesellschaftsanteile handelt. Bei den großen Unternehmen dürfte insbesondere das Abstellen auf die persönlichen Verhältnisse vor dem Hintergrund der Relation des vorhandenen Vermögens zum gebundenen Betriebsvermögen kaum erfolgversprechend sein. Nicht der einzelne Erwerber steht im Fokus einer volkswirtschaftlichen Betrachtung, sondern vielmehr die Fortführung des Unternehmens und die Sicherung der Arbeitsplätze.

Darüber hinaus ist für die nicht-kapitalmarktorientierten großen Familienunternehmen bzw. eigentümergeführten Unternehmen der Gesellschafter in seinen Gesellschaftsrechten deutlich limitiert. Ohne diese Beschränkung könnten weder die Unternehmensfinanzierung, noch die Unternehmensfortbestand sichergestellt werden.16 Solange die bewertungsrechtlichen Nachteile durch § 9 Abs. 2 und 3 Bewertungsgesetz für die Gesellschafter von Familienunternehmen bzw. eigentümergeführten Unternehmen nicht beseitigt sind, bedeutet dies für die Fortentwicklung der Verschonungsregelungen, dass die entsprechende Kapitalbindung der Gesellschafter in den Unternehmen ein deutliches Indiz für die Bedürfnisprüfung sein kann. Damit würden die gewachsenen Wirtschafts- und Unternehmensstrukturen entsprechend berücksichtigt. Andernfalls würde sich die regelmäßige Überbewertung der großen Familienunternehmen bzw. eigentümergeführten Unternehmen doppelt nachteilig auswirken.17

Wenn die Kapitalbindung im Rahmen der Bedürfnisprüfung berücksichtigt wird, lässt sich auch die gesetzgeberische Zielsetzung der langfristigen Unternehmensfortführung und der nachhaltigen Arbeitsplatzfortführung untermauern. Der tatsächlichen Vermögenssituation des Gesellschafters würde zwar nicht schon bei der Bewertung des Vermögens für erbschaftsteuerliche Zwecke, aber zumindest auf der Ebene der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelung Rechnung getragen.

Bis zur gesetzlichen Neuregelung kann nach der geltenden erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelung übertragen werden. Hierdurch entsteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die jedoch verfassungsrechtlichen Übergangsfristen immanent ist. Da das BVerfG die Verschonungsregelung nach §§ 13a und 13b ErbStG für verfassungswidrig erklärt hat, wäre eine Fortgeltung bis zur Neuregelung für das Betriebsvermögen eine positive Entwicklung; erbschaftsteuerliche Gestaltungen auf die Fortgeltung der Verschonungsregelungen nach geltendem Maßstab sind jedoch nicht ohne Risiko.

Fazit

Die Große Koalition hat nunmehr die Aufgabe, die erbschaftsteuerlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen an die Vorgaben des BVerfG nachhaltig anzupassen. Dabei wird es darauf ankommen, dass der deutsche Mittelstand seine spezifische, auf lange Zeiträume hin ausgerichtete Unternehmens- und Finanzierungskultur beibehalten kann. So würde vermieden, dass den deutschen Unternehmen unter den global zunehmend herausfordernden Gesamtumständen zusätzliche Hindernisse in den Weg gestellt werden. Hierbei wird der Gesetzgeber insbesondere die Belange der größeren Familien­unternehmen und eigentümergeführten Unternehmen, die kapitalstark genug sind, um Markt- und Technologieführerschaft im weltweiten Wettbewerb zu behaupten, in den Fokus stellen müssen. Denn der international viel beachtete „German Mittelstand“18 besteht einerseits aus KMU, andererseits aber in einzigartiger Weise auch aus größeren kapitalmarktunabhängigen Unternehmen. Diese komplexe Struktur aus kleinen, mittelgroßen und auch größeren Betrieben in Deutschland bleibt im Interesse des volkswirtschaftlichen Gemeinwohls schutzwürdig, was das BVerfG erneut mit dankenswerter Eindeutigkeit hervorgehoben hat.

  • 1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12.
  • 2 Siehe etwa B. Welling, R. Kambeck: Erbschaftsteuerliche Herausforderungen an mittelständische Unternehmen unabhängig von der möglichen Tenorierung des BVerfG, in: Der Betrieb, 2014, H. 48, S. 2731-2735.
  • 3 Mit Stand 31.5.2014 sind im Unternehmensregister des Statistischen Bundesamtes insgesamt 3 663 432 Unternehmen branchenübergreifend gelistet. Davon zählen 12 880 zu den Großunternehmen (0,7%). Der Rest (99,3%) sind KMU.
  • 4 Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, K(2003) 1422; KMU-Definition des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn), http://www.ifm-bonn.org/mittelstandsdefinition/definition-kmu-des-ifm-bonn (18.11.2014).
  • 5 Die Gründe für die geringen Informationen über den sogenannten Mittelstand und die unterschiedlichen Begrifflichkeiten sind vielfältig und können an dieser Stelle nicht abschließend erörtert werden. Zahlreiche Differenzierungen der Definition Mittelstand erschweren die statistischen und datentechnischen Erhebungen. Darüber hinaus bestehen bzw. bestanden für viele Mittelständler die Publizitätsverpflichtungen für kapitalmarktorientierte Unternehmen nicht. Schließlich liegt der wissenschaftliche Fokus nicht auf Familienunternehmen bzw. mittelständischen Unternehmen. Eines der wenigen Institute, die ihren Schwerpunkt ausschließlich auf Familienunternehmen ausgerichtet haben, ist auf nationaler Ebene das Hamburger Institut für Familienunternehmen (HIF); auf internationaler Ebene gewinnt The International Family Enterprise Research Academy (IFERA) zunehmend an Bedeutung.
  • 6 Deutsche Bundesbank, IW Köln: Deutschland in Zahlen 2014, Köln 2014.
  • 7 C. Lamsfuß: Die größten Familienunternehmen in Deutschland, Daten, Fakten, Potenziale, im Auftrag der Deutschen Bank und des BDI, Berlin/Frankfurt 2014, S. 7 ff.
  • 8 O.V.: Warum der „German Mittelstand“ nicht kopierbar ist, in: Die Welt vom 18.7.2013.
  • 9 B. Welling, R. Kambeck, a.a.O., S. 2731 f.
  • 10 Einfügung des § 13b Abs. 2 Satz Nr. 4a in das ErbStG.
  • 11 Zu „Trittbrettfahrern“ im Erbschaftsteuerrecht: P.-R. Paulus in o.V.: Plan B für die Erbschaftsteuer, in: Handelsblatt vom 2.7.2014.
  • 12 Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) vom 26.6.2013, dort Artikel 30, Änderung des ErbStG.
  • 13 Vgl. P.-R. Paulus in: R. Pichler: Nach dem Erbschaftsteuerurteil – Kommt die Bedürfnisprüfung für Millionäre?, in: Stuttgarter Zeitung vom 18.12.2014.
  • 14 So etwa Christoph M. Schmidt in: o.V.: Wirtschaftsweise fordern große Reform der Erbschaftsteuer, in: Rheinischen Post vom 17.12.2014; oder Clemens Fuest in A. Müller, D. Riedel: Rechnung aus Karlsruhe, in: Handelsblatt vom 18.12.2014.
  • 15 Mit Blick auf die Freibetragsregelung dürften die erbschaftsteuerlichen Folgewirkungen überschaubar bleiben; aus den Unternehmensstatistiken des Statistischen Bundesamtes lässt sich ableiten, dass bei geringen Mitarbeiterzahlen überwiegend ein Betriebsvermögen übertragen wird, das unterhalb des Freibetrags für direkte Verwandtschaftsgrade liegt.
  • 16 So sprechen z.B. R. von Weizsäcker, K. Krempel: Familienunternehmen: Auf lange Sicht erfolgreich, München 2006; von der treuhänderischen Stellung des Familienunternehmers für jeweils eine Generation.
  • 17 Vgl. zur Problematik der mangelnden verkehrswertorientierten Bewertung bei eigentümergeführten Unternehmen D. J. Piltz: Die Unternehmensbesteuerung, 2009, S. 13, S. 20 f.; B. Welling, R. Kambeck, a.a.O., S. 2731 f.
  • 18 O.V.: Warum der „German Mittelstand“ nicht kopierbar ist, in: Die Welt vom 18.7.2013.

Title:The Inheritance Law is Repairable

Abstract:Germany’s Federal Constitutional Court ruled on 17 December 2014 that elements of a law exempting successors of family-owned companies from paying inheritance tax are unconstitutional and ordered the government to revise and tighten the law by mid-2016. The authors discuss three main obstacles resulting from the ruling and offer initial thoughts on how legislators could solve them. Based on the notion that family businesses constitute a main part of the German Mittelstand and display significant entrepreneurial characteristics, the Court’s demand to introduce an additional “needs-based test” for large companies and the difficulties of limiting tax avoidance opportunities with respect to administrative assets are critically examined.


DOI: 10.1007/s10273-015-1775-1

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