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Kraftfahrzeuge: VW braucht eine neue Ethik

Von Ferdinand Dudenhöffer

Es ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Der VW-Konzern hat mit Vorsatz über mehr als fünf Jahre die US-Umweltgesetze gebrochen. Das Verfahren war dreist. Eine Software im Motormanagement von Dieselmotoren des Typs EA 189 hat im Testzyklus den Motor so gesteuert, dass er die strengen US-Umweltanforderungen erfüllt. Sobald das System erkennt, dass kein Testzyklus vorliegt, schaltet es in den Normalbetrieb mit höheren Stickoxidbelastungen. Der VW-Konzern hat bei fast 500 000 Fahrzeugen vorgetäuscht, die Umweltstandards in den USA einzuhalten. Im Gegensatz zum Verbrauch oder zu Kohlendioxid sind Stickoxidemissionen im Fahrbetrieb nur aufwendig zu messen. Daher glaubte man an den perfekten Betrug. Weltweit sind 11 Mio. Fahrzeuge betroffen.

Der Grund scheint bizarr. Es geht um Kosten, die zwischen 200 und 300 Euro pro Fahrzeug liegen dürften. Statt die Abgase des Dieselmotors mit sogenannten SCR-Katalysatoren durch Zugabe von Harnstoff unter die gesetzlichen Grenzwerte zu drücken, hat man falsche Tatsachen vorgespiegelt. Jedes Fahrzeug bei einem Autobauer braucht eine technische Freigabe, um für den Straßenverkehr zugelassen zu werden. Diese technischen Freigaben erfolgen in der zentralen Entwicklung – bei VW in Wolfsburg. Jedes Fahrzeug und seine Spezifikationen werden in Vorstandssitzungen diskutiert. Da der Motor EA 189 ein millionenfach verbautes Aggregat ist, muss der gesamte Konzernvorstand über den Einsatz und das Abgasreinigungssystem des Motors gesprochen haben. Neben dem Entwicklungsvorstand hat sich wahrscheinlich auch der Finanzvorstand – der zukünftige Aufsichtsratsvorsitzende – mit dem Thema befasst. Schließlich geht es um hohe Kostenbeträge. Der Skandal wirft ein schräges Bild auf das Unternehmen. Es ist unwahrscheinlich und schlicht nicht vorstellbar, dass sich Spitzenmanager über den millionenfachen Betrug im Unklaren waren. Welche Kultur und Ethik steuert so einen Konzern? Es ist nicht der erste Skandal. Vor zehn Jahren kam der Sexskandal um den Betriebsrat auf und auch die Porsche-Übernahme war nicht das Fallbeispiel für vorbildliches Verhalten. Man hat – wie heute – vor zehn Jahren beteuert, das härteste Compliance System der Branche umzusetzen.

Wie will man in die Zukunft gehen? VW hat die Aufarbeitung des Skandals der hausinternen Revision übertragen. Beim Zündschloss-Skandal von General Motors hat man keine Sekunde gezögert und die Vorfälle von einer externen Gesellschaft lückenlos aufklären lassen. Bei VW hat der Aufsichtsratsvorsitzende bei der Vorstellung des neuen Vorstandsvorsitzenden Müller mitgeteilt, den heutigen Finanzvorstand Pötsch zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zu küren. Nach den Regeln des „Deutschen Corporate Governance Kodex“ dürfen Vorstandsmitglieder nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende ihrer Bestellung Mitglied des Aufsichtsrats werden. In der größten Krise schert man sich nicht um Corporate Governance. Der VW-Konzern scheint eine eigene Kultur zu leben. Geschützt wird diese Kultur durch das VW-Gesetz, das obsolet ist und gemeinsam mit der Mitbestimmung und dem Land Niedersachsen eine seltsame Machtverteilung impliziert. Man stelle sich vor, die Deutsche Bank sei zu 20% im Besitz der Stadt Frankfurt und es gäbe ein Deutsche-Bank-Gesetz. Wie könnte so ein Gebilde unter dem Frankfurter Kirchturm global agieren, Strukturen aufbauen, die globale Wettbewerbsfähigkeit sichern? Betonierte Systeme können sich nicht anpassen und erzeugen „Überdruck“, der sich die falschen Ventile sucht. Und die anderen? Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass Unternehmen wie BMW oder Daimler mit krimineller Energie Gesetze brechen. Dort regelt man die Dieselabgase mit der richtigen Technik. Das Problem liegt also weder typischerweise in der Autobranche noch bei Dieselmotoren. Die Ethik bei VW hat versagt. Daher braucht es einen Anfang von außen.

Bankenabgabe: Geringes Mittelaufkommen

Von Thomas Hartmann-Wendels

Als Folge der Finanzmarktkrise wird seit 2011 eine Bankenabgabe erhoben, um einen Fonds anzusammeln, der zur Restrukturierung von in Schieflage geratenen Banken eingesetzt werden soll. Damit soll vermieden werden, dass künftig der Steuerzahler für Verluste aufkommen muss. Ordnungspolitisch lässt sich die Bankenabgabe damit rechtfertigen, dass die Schieflage von Banken systemische Gefahren birgt, die volkswirtschaftliche Kosten verursachen, die das Bankmanagement in seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt. Eine Bankenabgabe, die an dem Ausmaß des systemischen Risikos einer Bank anknüpft, ist daher grundsätzlich geeignet, diesen externen Effekt zu internalisieren. Daneben können auch Wettbewerbsverzerrungen korrigiert werden: Herrscht die Erwartung vor, dass ein Institut aufgrund seiner Systemrelevanz staatliche Stützungsmaßnahmen erhält, wird das Ausfallrisiko des Fremdkapitals niedriger eingeschätzt. Dadurch kann sich ein systemrelevantes Institut zu günstigeren Konditionen refinanzieren. Das verstärkt die Anreize, zusätzliche Risiken einzugehen.

Da es kein allgemein akzeptiertes Maß gibt, das die Systemrelevanz einer Bank misst, ist die Frage, nach welchen Kriterien die Höhe der Beiträge zum Restrukturierungsfonds bemessen werden soll, nur mit einer gewissen Willkür lösbar. Von kleinen Banken – so könnte man argumentieren – gehen keine systemischen Risiken aus, so dass es auch keinen Grund gibt, diese an dem Fonds zu beteiligen. Ab welcher Größe ist eine Bank aber systemrelevant? Sparkassen und Kreditgenossenschaften können argumentieren, dass die Institutssicherungssysteme verhindern, dass es zu einer Abwicklung kommt, insofern werden sie niemals Mittel aus dem Fonds beanspruchen. Aber was ist, wenn eine Landesbank oder eine der beiden genossenschaftlichen Zentralbanken in eine Schieflage geraten?

Das Restrukturierungsfondsgesetz von 2010 sah für kleine Banken einen Freibetrag vor, daneben steigt der Beitragssatz mit der Größe einer Bank. Dies führte dazu, dass auf die Sparkassen (ohne Landesbanken) von 2011 bis 2014 meist nicht mehr als 3% des jährlichen Mittelaufkommens entfielen, obwohl der Anteil der Sparkassen am deutschen Markt – an der Bilanzsumme gemessen – ca. 14% beträgt. Die Kreditgenossenschaften (ohne Zentralbanken) trugen bei einem Marktanteil von ca. 10% lediglich mit 1% zum Mittelaufkommen des Fonds bei. Der Löwenanteil entfiel auf die 25 als systemrelevant eingestuften Banken, deren Anteil am jährlichen Mittelaufkommen zwischen 77% und 82% betrug. Dabei profitierten diese Banken von der Zumutbarkeitsgrenze, die die Höhe der Beiträge auf 20% des Jahresergebnisses begrenzt. Ohne diese Kappung hätten die systemrelevanten Banken mehr als das Dreifache in den Fonds einzahlen müssen. Daran ändert auch die Nachzahlung zuvor gekappter Beträge nichts. Hierdurch flossen lediglich 88 Mio. Euro in den Fonds. Die Kappungsgrenze ist auch dafür verantwortlich, dass sich im Fonds bislang statt der geplanten 7 Mrd. Euro nur 2,3 Mrd. Euro angesammelt haben.

Der Vorwurf, die Zumutbarkeitsgrenze sei ein Geschenk an die großen Banken, ist angesichts der enormen Belastungsminderung verständlich, dabei übersieht die Kritik jedoch, dass die Beitragsregeln so konstruiert sind, dass die Beitragslast überwiegend von den systemrelevanten Banken getragen wird. Dieses Ziel ist trotz der Kap-pungsgrenze erreicht worden. Die Frage, ob ein Anteil von 90%, der sich ohne Begrenzung ergeben hätte, gerechter wäre, ist reine Spekulation. Mit Inkrafttreten des einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism) werden die Beiträge zum Restrukturierungsfonds ab 2015 nach geänderten Regeln, die weder Freibeträge noch eine Kappungsgrenze vorsehen, erhoben.

Wohnraum für Flüchtlinge: Nicht vorschnell handeln!

Von Ulrich van Suntum

Die rasch wachsende Zahl von Flüchtlingen in Deutschland schafft zuallererst ein Unterbringungsproblem. Zeltlager, Turnhallen und Container können nur eine erste Notlösung sein. Die Kommunen suchen schnelle Lösungen. Die Vorschläge reichen von einer Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus über eine Absenkung der Baustandards auf Minimalniveau bis hin zur Zwangsbelegung leerstehenden privaten Wohnraums. Generell ist davon abzuraten. Denn Wohnungen sind langlebige Investitionen, bei denen man immer auch an morgen denken muss. Sonst schafft man mit den Lösungen von heute nur umso größere Probleme in der Zukunft. So wäre ein massiver Neubau von Billigwohnraum sicher der falsche Weg. Zum einen würde man damit Gefahr laufen, neue Ghettos zu schaffen, mit all ihren Problemen hinsichtlich sozialer Stigmatisierung und ausbleibender Integration. Zum anderen würde dies allen Bemühungen der letzten Jahre zuwiderlaufen, den Wohnraum energetisch effizienter und generationengerechter zu machen. In wenigen Jahren würde man vor der Wahl stehen, die neuen Wohnungen entweder aufwändig nachzurüsten oder gar wieder abzureißen.

Besser wäre eine Unterbringung der Flüchtlinge im Bestand. Von den knapp 40 Mio. Wohnungen in Deutschland stehen rund 1,75 Mio. leer. Die Leerstandsquote ist mit durchschnittlich rund 4,4% nicht sehr hoch, wird sich aber aktuellen Prognosen zufolge bis 2030 etwa verdoppeln. Auch regional variiert sie sehr stark, leergefegte Wohnungsmärkte in vielen westdeutschen Städten stehen ungenutzten Beständen in ländlichen Gegenden gegenüber. In den Königsteiner Schlüssel, nach dem die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden, geht die Wohnraumsituation jedoch gar nicht ein. Das führt dazu, dass beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Kommunen nicht mehr wissen wohin mit all den Menschen, während in Sachsen zehntausende von Wohnungen leer stehen. Gegen die vermehrte Unterbringung von Flüchtlingen in den neuen Ländern wird eingewandt, dass es dort keine Arbeit für sie gebe. Schließlich sollen sie ja nicht nur wohnen, sondern auch in die Gesellschaft integriert werden. Aber dazu ist ohnehin erst einmal das Erlernen der deutschen Sprache nötig, in vielen Fällen zudem auch eine berufliche Aus- oder Weiterbildung. Das könnte durchaus auch anderswo geschehen als da, wo diese Menschen später arbeiten und leben werden. Wenn man den ostdeutschen Ländern und Kommunen dazu entsprechende finanzielle und personelle Hilfe geben würde, könnte am Ende vielleicht sogar ihre eigene Entwicklung davon profitieren.

Natürlich muss aber auch in Westdeutschland neu gebaut werden. Nur sollten dies nicht Billig- bzw. Niedrigstandardhäuser sein, denn davon gibt es bereits genug. Der größte Teil des Altwohnungsbestands ist weder energetisch noch anderweitig auf dem neuesten Stand. Statt also für die Flüchtlinge noch mehr solcher Wohnungen zu bauen, sollte besser der Wohnungsbau insgesamt wieder in Gang gebracht werden. Denn jeder, der in eine neugebaute Wohnung oder in ein Einfamilienhaus umzieht, macht eine Wohnung im Altbestand frei. So könnten die Flüchtlinge mit preiswertem Wohnraum versorgt werden, und gleichzeitig würde der durchschnittliche Wohnungsstandard sogar steigen. Nicht zuletzt würden solche Filteringprozesse auch der Ghettobildung entgegenwirken. Mietpreisbremsen, immer weiter verschärfte Baustandards und die Verweigerung von Baulandausweisung vertragen sich nicht mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum für eine rasch wachsende Zahl von Zuwanderern zu schaffen. Hier müsste deshalb zumindest ein Moratorium erfolgen, und zwar generell und eben nicht nur für spezielle Flüchtlingswohnungen. Das betrifft z.B. die nächste Stufe der Energieeinsparverordnung ENeV, die 2016 in Kraft treten soll. Auch muss nicht jedes neue Wohngebäude behindertengerecht gebaut oder mit begrünten Fahrradständern ausgestattet werden. Hier sollten wir mehr Vernunft walten lassen.

Arzneimittelausgaben: Dramatischer Anstieg

Von Stefan Greß

Nach Jahren der relativen Stabilität steigen die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel wieder in rasantem Tempo, im Jahr 2014 um etwa 10%. Im ersten Halbjahr 2015 haben die Ausgaben um weitere 5,8% zugenommen. Ein Teil dieses Anstiegs ist durch Sonderfaktoren zu erklären. Zum Jahresende 2013 sind ein erhöhter Zwangsrabatt und ein Preismoratorium ausgelaufen. Beide Maßnahmen hat der Gesetzgeber 2010 eingeführt, um den damaligen Anstieg der Arzneimittelausgaben zu bremsen. Die Arzneimittelhersteller haben durch den Ausgabenanstieg des Jahres 2014 offensichtlich einen Teil der Einnahmenverluste aus den Vorjahren kompensieren können. Die Zuwächse sind dennoch deutlich höher als prognostiziert. Dies wiederum liegt erstens an der Preispolitik der Hersteller für neue Produkte und zweitens an einem Konstruktionsfehler der öffentlichen Preisregulierung für diesen Produktkreis.

Die Preispolitik der Arzneimittelhersteller für neue Präparate hat in letzter Zeit häufiger für Schlagzeilen gesorgt. Am bekanntesten in diesem Zusammenhang sind sicherlich die Therapiekosten eines neuen – offensichtlich hoch wirksamen – Präparats gegen Hepatitis C, das die Krankenkassen pro Behandlung bis zu 62 000 Euro kostet. Alleine für dieses Mittel mussten die Krankenkassen 2014 rund 570 Mio. Euro aufwenden. Mondpreise werden allerdings auch für Präparate aufgerufen, deren Wirksamkeit im Vergleich zu bereits auf dem Markt befindlichen Alternativen deutlich geringer bzw. sogar eher zweifelhaft ist – etwa bei Medikamenten gegen Krebs oder Multiple Sklerose. Der Konstruktionsfehler liegt in dem Verfahren der sogenannten frühen Nutzenbewertung, das der Gesetzgeber im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) 2011 eingeführt hat. Danach müssen die Hersteller ein Jahr nach Markteinführung den Zusatznutzen eines neuen Produktes durch methodisch hochwertige Studien belegen. Das Ergebnis dieser Nutzenbewertung ist dann wiederum Grundlage für Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der GKV. Allerdings können die Hersteller im ersten Jahr nach der Markteinführung den Preis für ihr Produkt frei bestimmen. Offensichtlich sind die Befürchtungen von Kritikern eingetreten, die schon bei der Einführung des AMNOG diese Regelung als Einfallstor für explodierende Preise bezeichnet haben.

Es ist abzusehen, dass die Politik einem weiterhin ungebremsten Anstieg der Arzneimittelausgaben nicht tatenlos zusehen wird. Die Reserven der Krankenkassen schmelzen, steigende Zusatzbeiträge wären die Konsequenz. Diese müssten dann wegen der neuen Finanzarchitektur der GKV ausschließlich von den Versicherten getragen werden. Dieses Szenario werden die Gesundheitspolitiker der Koalition im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 vermeiden wollen. Im Wesentlichen stehen der Politik zwei Handlungsoptionen zur Verfügung. Erstens könnte sie die Daumenschrauben der gesetzlichen Preisregulierung – Preismoratorium und erhöhter Herstellerrabatt – wieder anziehen. Problematisch an diesen Maßnahmen ist, dass sie innovative und weniger innovative Produkte gleichermaßen treffen würden. Zweitens – und dafür plädiere ich – könnte der Gesetzgeber die schon seit der Einführung des AMNOG bekannte Lücke im ersten Jahr nach der Zulassung schließen. Der Hersteller müssten dann den Zusatznutzen ihres Produkts sofort belegen. Zudem würde der in Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband vereinbarte Preis rückwirkend zum Datum der Markteinführung gelten. Eine solche Regelung wäre ein guter Kompromiss aus wirksamen Innovationsanreizen für die Hersteller und dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor finanzieller Überforderung.


DOI: 10.1007/s10273-015-1883-y

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