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Mit der öffentlichen Debatte um die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ist der Investorenschutz auf der politischen Agenda weit nach oben gerückt. Strittig ist vor allem, ob solche Abkommen tatsächlich nötig sind, um das Vertrauen multinationaler Unternehmen in Regierungen und Gerichtsbarkeit der Gastländer zu stärken. Vielmehr scheinen Investoren diese Abkommen in zunehmendem Maße zu missbrauchen, indem sie über ein „Treaty Shopping“ sachlich unbegründete Schadensersatzforderungen durchsetzen.

Der internationale Investorenschutz ist zum zentralen Thema der öffentlichen TTIP-Debatte geworden. Viele Beobachter argwöhnen, das ISDS (Investor State Dispute Settlement) etabliere eine Paralleljustiz mit zivilen Schiedsgerichten, die Geheimverhandlungen in verschlossenen Hotelzimmern führen und internationalen Konzernen zu milliardenschweren Schadensersatzzahlungen verhelfen. Dadurch drohe nicht nur die Plünderung öffentlicher Kassen, sondern auch die Einschüchterung nationaler Gesetzgeber, die sich gar nicht mehr trauten, ihre gesetzgeberische Souveränität wahrzunehmen, weil sie fürchteten, vor privaten Schiedsgerichten zu untragbar hohen Entschädigungszahlungen verurteilt zu werden.

In juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fachdiskussionen dagegen wird das ISDS vom Grundsatz her durchaus positiv gesehen, da es die Rechtssicherheit fördere und die internationale Investitionsverflechtung begünstige. Doch auch hier mehren sich die Bedenken, ISDS-Verträge könnten zunehmend durch multinationale Unternehmen missbraucht werden. Im Vordergrund steht dabei das sogenannte Treaty Shopping (auch als Nationality Planning bezeichnet). Es beschreibt die Klageerhebung über Tochtergesellschaften, die eigentlich gar nicht geschädigt sind, die aber in einem Land residieren, das mit dem beklagten Land einen ISDS-Vertrag abgeschlossen hat.1

In Öffentlichkeit und Wissenschaft wird eine Handvoll von Fällen diskutiert, die immer wieder als Beleg für eine missbräuchliche Ausnutzung von ISDS-Abkommen herangezogen werden:

  • Den wohl spektakulärsten Fall stellt die Klage des kanadischen Öl- und Gasförderunternehmens Lone Pine dar. Es klagt auf Grundlage des NAFTA-Vertrags über seine US-Tochter gegen die kanadische Regierung, die in Quebec ein Fracking-Moratorium erlassen hat.2 Da NAFTA sicher nicht dazu gedacht war, kanadische Unternehmen vor der eigenen Regierung zu schützen, liegt hier ein klarer Fall von Treaty Shopping vor.
  • Ein weiterer viel zitierter Fall bezieht sich auf die Klage des Zigarettenherstellers Philip Morris, der sich gegen ein australisches Gesetz zur Wehr setzt, nach dem Verpackungen von Zigaretten keine Herstellerwerbung enthalten dürfen.3 Philip Morris stützt seine Klage auf ein Investitionsschutzabkommen zwischen Hongkong und Australien, wofür das Unternehmen eigens eine Briefkastenfirma in Hongkong gegründet hat, um als Prozesspartei auftreten zu können – ebenfalls ein klarer Fall von Treaty Shopping.4
  • Der hierzulande prominenteste Fall ist die laufende Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Abschaltung seiner Kernkraftwerke in Deutschland.5 Vattenfall argumentiert, diese Zwangsstilllegung käme einer De-facto-Enteignung gleich, und beruft sich dabei auf den 1994 abgeschlossenen „Vertrag über die Energiecharta“, der unter anderem von Schweden und Deutschland unterzeichnet wurde. Obwohl die öffentliche Empörung darüber gerade in Deutschland besonders hoch ist (immerhin geht es um Schadensersatzforderungen von 4,7 Mrd. Euro), liegt hier kein Treaty Shopping vor, denn Vattenfall hat schon seit jeher seinen Hauptsitz in Schweden.

Offen geblieben ist in der Literatur bisher, ob diese viel zitierten Fälle die Spitze des Eisberges darstellen oder bereits den ganzen Eisberg ausmachen. Nur in ersterem Fall wären weitreichende Anpassungen in der Ausgestaltung des internationalen Investorenschutzes angezeigt. Um nähere Aufschlüsse darüber zu erlangen, analysiert dieser Beitrag zahlreiche weitere vor internationalen Schiedsgerichten ausgefochtene Fälle, um zu prüfen, ob es bei ihnen Hinweise auf missbräuchliches Treaty Shopping gibt.

Grundelemente und Trends im ISDS

Weltweit sind derzeit über 3000 Investitionsschutzabkommen in Kraft und die meisten von ihnen enthalten konkrete Regeln zur Streitschlichtung zwischen privaten Investoren und Staaten. Das weltweit erste Abkommen dieser Art wurde am 1. Dezember 1959 zwischen Pakistan und der Bundesrepublik Deutschland geschlossen.6 Die Grund­elemente des damals ausgehandelten Vertrags sind bis heute im Wesentlichen erhalten geblieben:

  • Den Investoren wird das Recht eingeräumt, Schadensersatzansprüche gegen unfaire und unbillige Behandlung (unfair and inequitable treatment) geltend zu machen.
  • Verhandelt werden die Schadensersatzforderungen vor privaten Schiedsgerichten, die nicht mit öffentlich bestellten Richtern, sondern mit Privatpersonen besetzt sind, die in der Regel als Anwälte in internationalen Kanzleien oder als international anerkannte Rechtsgelehrte an Hochschulen tätig sind. Sowohl die Prozessunterlagen und die Verhandlungen selbst als auch die Schiedssprüche unterliegen oftmals der Geheimhaltung.
  • Eine Revisionsinstanz ist nicht vorgesehen. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich außerdem, auf die Einlegung von Rechtsmitteln vor staatlichen Gerichten zu verzichten.
  • Die unterzeichnenden Staaten gehen die Verpflichtung ein, gegen sie verhängte Schadensersatzurteile unmittelbar zu vollstrecken.

Diese Ausgestaltung gibt durchaus Anlass zur Kritik: Der Anspruch auf faire und billige Behandlung bietet weite Ermessensspielräume, die angesichts der recht arbiträren personellen Zusammensetzung der Gerichte und der fehlenden Revisionsinstanz hohe Risiken für die unterzeichnenden Staaten birgt.7

Dennoch ist die Grundidee derartiger Abkommen eindeutig positiv. Im Beispiel Deutschland/Pakistan gibt der Investitionsschutzvertrag nicht nur deutschen Investoren die Möglichkeit, sich gegen eine ungerechtfertigte Behandlung ihrer Tochtergesellschaften in Pakistan zu wehren. Er versetzt auch Pakistan in die Lage, Vertrauen bei Investoren aus Deutschland zu erwerben – ein Vertrauen, das Pakistan mit seiner eigenen Bürokratie und Gerichtsbarkeit des Jahres 1959 nur sehr unzureichend hätte bereitstellen können. Ohne einen solchen Vertrag hätten Siemens et al. vermutlich erst gar nicht in Pakistan investiert. Gerade Staaten mit schwach entwickelten nationalen Rechtssystemen können sich mit Hilfe von ISDS-Verträgen gleichsam das Vertrauen, das die nationale Gerichtsbarkeit nicht zur Verfügung stellen kann, von internationalen Schiedsgerichten leihen.

Tabelle 1
Streitfälle, die von den Schiedsgerichten zur Entscheidung angenommen wurden
Fall Beschreibung
Tokios Tokeles gegen die Ukraine1 Hier klagte ein in Litauen gegründetes Unternehmen auf Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen Litauen und der Ukraine gegen die angeblich ungerechte Behandlung seiner ukrainischen Niederlassung Taky Spravy. Prinzipiell ein klarer Fall für die Zuständigkeit des zivilen Schiedsgerichts, würde Tokios Tokeles nicht zu 99% von ukrainischen Staatsbürgern kontrolliert. Hier hätte eine Klage ohne weiteres über nationale Gerichte stattfinden können, doch die vorteilhafte Definition des Investitionsschutzabkommens, wonach der Ort einer Unternehmensgründung für die Definition der Nationalität ausreicht, ermöglichte die Klage vor einem internationalen Schiedsgericht.
Aguas del Tunari gegen Bolivien2 In diesem Fall ging es um die Privatisierung der Wasserversorgung in der bolivianischen Stadt Cochabamba. Die Regierung vergab eine Konzession über die Versorgung an das Konsortium Aguas del Tunari, an dem das US-Unternehmen Bechtel als größter Anteilseigner beteiligt war. Kurz nach der Vergabe löste ein enormer Preisanstieg heftige Proteste in der Bevölkerung aus, die zu einer Rücknahme der Konzession und einer Renationalisierung der Wasserversorgung führten. Aguas del Tunari klagte daraufhin auf Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen den Niederlanden und Bolivien auf Schadensersatz. Diese Möglichkeit eröffnete sich jedoch erst, nachdem das privatisierte Eigentum des Konsortiums von den Cayman Inseln in die Niederlande kurz vor Beginn der Proteste und Einreichung der Klage transferiert wurde.
Mobil Corporation gegen Venezuela3 und ConocoPhilipps gegen Venezuela4 Hier ging es jeweils um Verträge über die Exploration und Produktion von Öl im sogenannten Orinoco-Gürtel. Als sich das politische Klima in Venezuela wendete, wurden unter anderem diverse Steuern erhöht sowie Öl- und Gasprojekte nationalisiert. Die betroffenen US-Unternehmen klagten daraufhin auf Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen den Niederlanden und Venezuela auf Schadensersatz. Im Falle von Mobil wurde dafür eigens eine niederländische Holding in die Unternehmensstruktur eingebettet, ConocoPhilipps nutzte seine in den Niederlanden gegründeten Zweigstellen für die Klage. Die Gründung eines Unternehmens reichte laut dem bilateralen Abkommen aus, um als Nationalität die Niederlande einzusetzen.
ADC gegen Ungarn5 In diesem Fall gründeten zwei kanadische Investoren Unternehmen in Zypern, durch die in den Ausbau und Betrieb des Budapester Flughafens investiert wurde. Nachdem der Vertrag über den Flughafenbetrieb auf Seiten Ungarns aufgekündigt wurde, klagten die zyprischen Unternehmen auf Schadensersatz im Rahmen des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen Ungarn und Zypern. Das ist durchaus vorteilhafter als das Abkommen zwischen Kanada und Ungarn und ermöglicht ein ICSID-Schiedsverfahren.6
Saluka gegen Tschechien7 Im diesem Fall verklagte das niederländische Unternehmen Saluka Tschechien auf Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen den Niederlanden und Tschechien vor einem internationalen Schiedsgericht. Saluka ist ein Tochterunternehmen der britischen Nomura Europe, die wiederum zur japanischen Finanzholdinggesellschaft Nomura gehört. Nomura Europe hatte Anteile an der tschechischen Bank IPB erworben und an Saluka transferiert. Als die IPB unter Zwangsverwaltung gestellt wurde, konnte Nomura über die niederländische Holding Tschechien vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz verklagen.
Lao Holding gegen Laos8 Hier geht es um eine Klage der auf den niederländischen Antillen gegründeten Lao Holding gegen Laos. Doch dahinter steht Sanum, ein Unternehmen aus Macao, das in den Glücksspielbetrieb in Laos investiert hatte. Die niederländische Holding wurde erst gegründet, kurz bevor die Klage eingereicht worden war. So konnte der Streit auf Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen den Niederlanden und Laos vor einem internationalen Schiedsgericht ausgetragen werden.
Tidewater gegen Venezuela9 Im diesem Fall klagte das US-amerikanische Unternehmen Tidewater Inc., das über das venezolanische Unternehmen SEMARCA Versorgungsschiffe für die Offshore-Ölindustrie bereitstellt. Die Anteile an SEMARCA hält Tidewater Caribe, das dem auf den Cayman Inseln ansässigen Tochterunternehmen Tidewater Marine International gehört. Kurz vor einer bevorstehenden Enteignung wurde ein weiteres Unternehmen auf Barbados gegründet, auf das alle Anteile an SEMARCA übertragen wurden. So konnte Tidewater das Investitionsschutzabkommen zwischen Barbados und Venezuela nutzen.
Pacific Rim gegen El Salvador10 Dies ist ein aktueller, noch offener Fall. Die Pacific Rim Corp. hatte in die Erforschung einer Goldmine investiert. Nach Protesten der Bevölkerung gegen die Folgen des Bergbaus verhängte die Regierung ein Moratorium und vergab keine Genehmigungen für neue Minen mehr. Daraufhin wurde das Land von Pacific Rim auf Schadensersatz verklagt, da diese nun seine geplante Mine nicht eröffnen konnte. Da die Muttergesellschaft ihren Sitz in Kanada hat, übertrug das Unternehmen das Eigentum kurzerhand an seine US-amerikanische Tochtergesellschaft, um auf Grundlage des „Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement“ gegen El Salvador klagen zu können.

1 Tokios Tokeles v. Ukraine, ICSID Case Nr. ARB/02/18 (Award, 26. Juli 2007).

2 Aguas del Tunari, S.A. v. Republic of Bolivia, ICSID Case Nr. ARB/02/3 (Decision on Respondent’s Rejection to Jurisdiction, 21. Oktober 2005).

3 Mobil Corporation, Venezuela Holdings, B.V., Mobil Cerro Negro Holding, Ltd., Mobil Venezolana de Petróleos Holdings, Inc., Mobil Cerro Negro, Ltd., and Mobil Venezolana de Petróleos, Inc. v. Bolivarian Republic of Venezuela, ICSID Case Nr. ARB/07/27 (decision on Jurisdiction, 10. Juni 2010).

4 ConocoPhillips Petrozuata B.V., ConocoPhillips Hamaca B.V. and ConocoPhillips Gulf of Paria B.V. v. Bolivarian Republic of Venezuela, ICSID Case Nr. ARB/07/30 (Decision on Jurisdiction, 3. September 2013).

5 ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v. The Republic of Hungary, ICSID Case Nr. ARB/03/16 (Award, 2. Oktober 2006).

6 Kanada ist erst seit dem 1. Dezember 2013 Mitglied der ICSID-Konvention.

7 Saluka Investments B.V. v. The Czech Republic, UNCITRAL (Partial Award, 17. März 2006).

8 Lao Holdings N.V. v. Lao People’s Democratic Republic, ICSID Case Nr. ARB(AF)/12/6 (Decision on Jurisdiction, 21. Februar 2014).

9 Tidewater Inc., Tidewater Investment SRL, Tidewater Caribe, C.A., Twenty Grand Offshore, L.L.C., Point Marine, L.L.C., Twenty Grand Marine Service, L.L.C., Jackson Marine, L.L.C. and Zapata Gulf Marine Operators, L.L.C. v. The Bolivarian Republic of Venezuela, ICSID Case Nr. ARB/10/5 (Award, 13. März 2015).

10 Pac Rim Cayman LLC v. Republic of El Salvador, ICSID Case Nr. ARB/09/12 (Decision on the Respondent’s Jurisdictional Objections, 1. Juni 2012).

Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl der internationalen Investitionsschutzabkommen (IIAs) rasant gestiegen. Allein 2014 wurden 27 derartige Abkommen geschlossen und die Zahl der von der UNCTAD insgesamt registrierten Abkommen liegt bei 3268.8 Auch die Zahl der Streitfälle vor den privaten Schiedsgerichten hat deutlich zugenommen. Die UNCTAD weist für das Jahr 2000 rund 50 registrierte Fälle aus, für 2014 dagegen schon über 600 Fälle. Allein aus der steigenden Zahl von Streitfällen kann natürlich noch nicht auf zunehmenden Missbrauch geschlossen werden. Doch zumindest zwischen den Zeilen ist bei der UNCTAD herauszulesen, dass sie derartige Befürchtungen durchaus für begründet hält: „Today, a broad consensus is emerging that the regime of IIAs and the related dispute settlement mechanism need to be reformed to make them work better for sustainable development.“9

Fallstudien

Bei den von der UNCTAD registrierten Fällen, von denen mittlerweile 356 entschieden sind, wurden 37% zugunsten der beklagten Staaten, 35% zugunsten der klagenden Unternehmen und 28% mit einem Vergleich abgeschlossen.10 Aus diesen Zahlen lässt sich nicht ablesen, ob und inwieweit Missbrauch vorliegt, da nicht abgeschätzt werden kann, wieviele Fälle von öffentlichen Gerichten anders beurteilt worden wären und ob die Urteile öffentlicher Gerichte tatsächlich in jedem Einzelfall angemessener gewesen wären. Welche Schadensersatzforderungen berechtigt und welche missbräuchlich sind, kann letztlich nur für jeden Fall gesondert entschieden werden – gerade hier liegt ja die Aufgabe der Schiedsgerichte.

Zumindest in Bezug auf das Treaty Shopping, das in seiner reinen Form sicherlich einen Missbrauch darstellt, lässt sich allerdings Evidenz zusammentragen, ob der Schaden, den die klagende Unternehmenseinheit geltend macht, tatsächlich schwerpunktmäßig am Sitz dieser Einheit angefallen ist oder nicht. In den Tabellen 1 und 2 werden dafür ausgewählte Streitfälle dargestellt, die auf einen Missbrauch hindeuten. Für vertiefende Informationen zu den Fällen aus dem UNCTAD-Register stützen wir uns auf die Investment Treaty Arbitration Website11 sowie das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID)12. Wir konnten nur einen Teil der Fälle aus dem UNCTAD-Register auswerten, da längst nicht alle Entscheidungen veröffentlicht werden und oftmals auch bei veröffentlichten Entscheidungen nicht genügend Informationen für eine eindeutige Bewertung zur Verfügung stehen.

Tabelle 2
Streitfälle, in denen die Schiedsgerichte ihre Zuständigkeit verneinten
Fall Beschreibung
Phoenix gegen Tschechien1 Im diesem Fall klagte das israelische Unternehmen Phoenix Action Ltd. auf Basis des Investitionsschutzabkommens zwischen Israel und Tschechien vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz. Phoenix, hinter dem tatsächlich ein tschechischer Investor steht, hatte die zwei tschechischen Unternehmen Benet Praha und Benet Group erworben, die zu dieser Zeit bereits in Streitigkeiten mit dem Staat verwickelt waren. Das israelische Unternehmen wurde hier einzig zu dem Zweck gegründet, Zugang zu einem internationalen Schiedsgericht zu bekommen und den nationalen Rechtsweg zu umgehen.
TSA Spectrum gegen Argentinien2 Hier ging es um die Aufkündigung der Sendekonzession für eine Radiofrequenz. Das argentinische Unternehmen TSA Spectrum versuchte, über eine niederländische Holding Zugang zum Investitionsschutzabkommen zwischen Argentinien und den Niederlanden zu bekommen. Dabei steht hinter TSA Spectrum ein argentinischer Staatsbürger, der den nationalen Rechtsweg gehen müsste.
National Gas gegen Ägypten3 In einem ähnlichen Fall verklagte das ägyptische Unternehmen National Gas Ägypten wegen Enteignung vor einem internationalen Schiedsgericht auf Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Das war möglich geworden, weil das in den VAE gegründete Unternehmen CTIP 90% der Anteile an National Gas übernommen hatte. Hinter CTIP steht jedoch nicht etwa ein Unternehmer aus den VAE, sondern ein Unternehmer mit Kanadisch-Ägyptischer Staatsbürgerschaft. CTIP wurde also einzig zu dem Zweck gegründet, vor einem internationalen Schiedsgericht klagen zu können.

1 Phoenix Action, Ltd. v. The Czech Republic, ICSID Case Nr. ARB/06/5 (Award, 15. April 2009).

2 TSA Spectrum de Argentina S.A. v. Argentine Republic, ICSID Case Nr. ARB/05/5 (Award, 19. Dezember 2008).

3 Gas Natural SDG, S.A. v. The Argentine Republic, ICSID Case Nr. ARB/03/10 (Decision of the Tribunal on Preliminary Questions on Jurisdiction, 17. Juni 2005).

Reformbedarf

Insgesamt erlauben die von uns ausgewerteten Fälle folgende Schlüsse:

  • In der Mehrzahl der Fälle konnten die Unternehmen ihr Treaty Shopping erfolgreich vor Schiedsgerichten durchsetzen. Nur in wenigen Fällen haben sich die Schiedsgerichte die Unternehmensstruktur genauer angeschaut und wegen offenkundigen Missbrauchs ihre Zuständigkeit verneint.
  • Missbräuchliches Treaty Shopping scheint eher ein Problem von bilateralen als von multilateralen Investitionsschutzabkommen zu sein. Im Rahmen der NAFTA beispielsweise konnte neben dem oben zitierten Fall Lone Pine gegen Kanada kein weiterer Fall identifiziert werden.
  • Die Niederlande scheinen mit ihrem weitreichenden Netz an Schutzabkommen und vorteilhaften Regelungen den Investoren besonders günstige Bedingungen für Treaty Shopping zu bieten.13 Insgesamt kamen die klagenden Investoren nach dem UNCTAD-Register in über 60 Fällen aus den Niederlanden. Damit liegt das Land an zweiter Stelle hinter den USA. Von unseren Fallstudien beziehen sich immerhin fünf auf die Niederlande.

Vor dem Hintergrund dieser Befunde spricht manches für die Empfehlung der UNCTAD, das ISDS in internationalen Abkommen grundlegend zu reformieren. Ein vielversprechender Ansatz dafür wäre die Gründung eines Internationalen Investitionsgerichtshofs.14 Ein wesentlicher Vorzug eines solchen Gerichtshofs wäre es, die Richterposten mit international anerkannten und allgemein akzeptierten Persönlichkeiten besetzen zu können. Vor allem aber könnte er im Laufe der Jahre eine Kontinuität in der Rechtsprechung entwickeln, die den jeweils von Fall zu Fall neu zusammengesetzten privaten Schiedsgerichten zwangsläufig fehlt. Damit könnte auch das Treaty Shopping, das zunehmend dazu beiträgt, den internationalen Investorenschutz zu diskreditieren, besser im Zaum gehalten werden.

  • 1 Vgl. C. Schreuer: Nationality Planning, in: A. W. Rovine (Hrsg.): Contemporary Issues in International Arbitration and Mediation, The Fordham Papers 2012, Leiden, Boston 2013, S. 17-27; M. Skinner, C. A. Miles, S. Luttrell: Access and Advantage in Investor-State Arbitration: the Law and Practice of Treaty Shopping, in: Journal of World Energy Law & Business, 3. Jg. (2010), Nr. 3, S. 260-285.
  • 2 Lone Pine Resources Inc. v. The Government of Canada, ICSID Case Nr. UNCT/15/2, http://www.italaw.com/cases/1606.
  • 3 Philip Morris Asia Limited v. The Commonwealth of Australia, UNCITRAL, PCA Case Nr. 2012-12, http://www.italaw.com/cases/851.
  • 4 Ähnlich gelagert ist die Klage von Philip Morris gegenüber Uruguay, wobei sie über die Schweizer Tochter des US-Unternehmens erhoben wird, das seine wirtschaftlichen Schwerpunkte in Europa und nicht in Lateinamerika hat. Vgl. Philip Morris Brands Sàrl, Philip Morris Products S.A. and Abal Hermanos S.A. v. Oriental Republic of Uruguay, ICSID Case No. ARB/10/7, http://www.italaw.com/cases/460.
  • 5 Vattenfall AB and others v. Federal Republic of Germany, ICSID Case Nr. ARB/12/12, http://www.italaw.com/cases/1654.
  • 6 Vgl. N. Piper: Investitionsschutzabkommen – eine deutsche Erfindung, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.5.2014.
  • 7 Das Prozessrisiko ist asymmetrisch verteilt, denn beklagte Staaten gehen entweder mit Verlust oder mit neutralem Ergebnis aus den Verfahren heraus, während klagende Unternehmen entweder einen Gewinn oder ein neutrales Ergebnis erzielen können.
  • 8 UNCTAD: Recent Trends in IIAs and ISDS, IIA Issue Notes, Nr. 1, Februar 2015, Genf.
  • 9 Ebenda, S. 1.
  • 10 Ermittelt aus http://unctad.org/en/Pages/DIAE/ISDS.aspx.
  • 11 Vgl. http://www.italaw.com/.
  • 12 Vgl. https://icsid.worldbank.org/apps/ICSIDWEB/cases/Pages/AdvancedSearch.aspx.
  • 13 Das bestätigt auch eine Studie des Centre for Research on Multinational Corporations, vgl. R. Van Os, R. Knottnerus: Dutch Bilateral Investment Treaties: A Gateway to „Treaty Shopping“ for Investment Protection by Multinational Companies, SOMO report, 2011.
  • 14 Vgl. H. Klodt: Gabriels Schachzug, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.5.2015, S. 18.

Title:Treaty Shopping in Investor State Dispute Settlements

Abstract:On account of the ongoing TTIP negotiations, the investor-state dispute settlement (ISDS) issue has gained high priority in the public debate. Many observers are concerned that private arbitration boards may be abused by multinational firms for pushing through unjustified and excessive compensation for “unfair and inequitable treatment”. We explore a number of case studies which provide evidence on significant ISDS abuse – especially in the form of “treaty shopping”, i.e. relocating foreign subsidiaries to countries with favourable ISDS regimes. Our analysis suggests that private arbitration boards should be replaced by an International Investment Court, which must be established soon.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1851-6

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