Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

2016 soll das Abkommen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft abgeschlossen werden. Die Befürworter von TTIP sind der Auffassung, dass gemeinsame Regeln, Industriestandards und Zulassungsverfahren von EU und USA zu Weltstandards werden können und den beteiligten Ländern entscheidende Vorteile bringen. Kritik bezieht sich nicht nur auf die mangelnde Transparenz des Verhandlungsprozesses, sondern vor allem auf die Handhabung von Umweltstandards und öffentlichen Aufträgen sowie auf die Arbeitsmarktregulierung, die Lebensmittelgesetze und die Investitionsschutzabkommen.

Ein differenzierter Blick auf die kontroverse TTIP-Debatte

Die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) haben eine sehr kontroverse Debatte entfacht. Einige kritische Argumente in dieser Diskussion sind durchaus gerechtfertigt. Andere Thesen der Skeptiker erscheinen eher überzogen und können unnötige Ängste in der Bevölkerung schüren. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, hier mit einer nüchternen Analyse zu differenzieren und konstruktive Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Ökonomische und geopolitische Vorteile

Gerade eine offene Volkswirtschaft wie Deutschland dürfte klare Vorteile aus einem umfassenden Freihandelsabkommen mit den USA ziehen. Im Jahr 2015 sind die USA zum größten Abnehmer deutscher Exportwaren aufgestiegen, nachdem sie 2014 den Platz zwei nach Frankreich belegten. Über 600 000 Arbeitsplätze hängen in Deutschland direkt oder indirekt am Warenhandel mit den USA.1

Sowohl aus Unternehmens- als auch aus Verbraucherperspektive dürften aus TTIP wichtige ökonomische Vorteile resultieren, wenn durch das Freihandelsabkommen die Zölle abgebaut und andere Handelshemmnisse im transatlantischen Handel reduziert werden. Zwar sind die Zollsätze im EU-US-Handel bereits heute relativ gering. Doch aufgrund des hohen Handelsvolumens werden durch den Zollabbau Einsparungen im Milliardenbereich erwartet. Zudem gibt es eine Reihe von Produkten, für die Zollsätze im zweistelligen Bereich erhoben werden.

Doch TTIP soll weit über den Zollabbau hinausgehen und auch Fortschritte beim Abbau von unnötigen bürokratischen Hürden im transatlantischen Handel ermöglichen. Schätzungen zeigen, dass die nicht-tarifären Handelshemmnisse (NTH) im transatlantischen Handel einem Zolläquivalent von über 20% entsprechen.2 Die NTH resultieren aus Unterschieden etwa bei den technischen Produktanforderungen, Regulierungen, Kennzeichnungssystemen etc. Durch die gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung von Produktstandards, Kennzeichnungs- und Testverfahren können die Kosten des transatlantischen Handels erheblich gesenkt werden. Diese Kostenentlastung würde nicht nur den exportierenden Unternehmen zugutekommen, sondern auch zu sinkenden Preisen von Endprodukten für die Verbraucher und von Vorleistungen für die deutsche Wirtschaft führen. Auch der zunehmende Wettbewerb durch den erleichterten Marktzugang für Hersteller aus Übersee dürfte einen Druck auf die Preise von Konsumgütern ausüben aber auch zu einer größeren Auswahl an Produkten für die Verbraucher in Deutschland führen.

Die wirtschaftlichen Vorteile von TTIP lassen sich nicht genau quantifizieren. Dafür sind Unsicherheiten über die adäquate Methode und über die Annahmen – also das in TTIP letztlich verhandelte Ausmaß der Liberalisierung (vor allem bei NTH) – hauptverantwortlich. Alle belastbaren Studien weisen jedoch aus qualitativer Sicht positive Effekte für beide Partner aus.

Zudem erstrecken sich die zu erwartenden Vorteile durch TTIP weit über die ökonomischen Aspekte hinaus. Denn TTIP bietet der EU die Möglichkeit, die Regeln des Globalisierungsprozesses in der Zukunft mitzugestalten. Gemeinsam mit den USA kann sich die EU dafür einsetzen, dass die zukünftigen weltweit etablierten Produktstandards ein hohes Niveau an Verbraucher- und Umweltschutz gewährleisten. Somit ist TTIP politisch von strategischer Bedeutung für die EU und Deutschland im Konkreten.

Gerechtfertigte Kritikpunkte

Eine mangelnde Transparenz wurde lange Zeit zu Recht kritisiert. Sie schürt unnötig die Sorge, es gebe bei Verhandlungen in den Hinterzimmern der Politik etwas zu verbergen. Die EU-Kommission legt zwar inzwischen sehr viel mehr offen als bei allen bisherigen Verhandlungen und konsultiert Stakeholder intensiv. Doch hat sie auf die berechtigte Kritik nur sehr verzögert reagiert. Erst zuletzt erhielten auch deutsche Parlamentarier Zugang zu den konsolidierten Texten der bisherigen Verhandlungsergebnisse, wenngleich unter noch recht restriktiven Bedingungen. Da TTIP in Teilen auch von den nationalen Parlamenten beschlossen werden muss, ist es nötig, dass auch Abgeordnete der EU-Staaten die Verhandlungen konstruktiv begleiten. Nur so können sie gegebenenfalls (mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein) solche rote Linien aufzeigen, deren Überschreiten eine Ablehnung verursachen würde.

Ebenso wird richtigerweise kritisiert, dass TTIP Drittländern schaden kann. Denn es ist das Wesen bilateraler Handelsabkommen, sich gegenseitig zunächst exklusive Präferenzen einzuräumen. Diese gegenseitigen Vorteile erhalten ihren Wert auch dadurch, dass andere Länder nicht davon profitieren und somit relative Wettbewerbsnachteile erhalten. Es wird daher darauf ankommen, TTIP mittelfristig offen für den Beitritt anderer Länder zu gestalten und insbesondere Ursprungsregeln nicht zu restriktiv zu gestalten.

Überzogen dargestellte Kritikpunkte

Große Sorge herrscht auch in den Bereichen öffentliche Daseinsvorsorge, Kultur und europäische Arbeitsstandards (vor allem bei Mindestlöhnen). Hier – so die These der Skeptiker – drohten die staatlichen Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt zu werden. Diese Befürchtungen sind jedoch überwiegend zu entkräftigen:

  • So soll die öffentliche Daseinsvorsorge von TTIP nicht nennenswert tangiert werden. Das ist klares Bekenntnis der Verhandlungsführer.3 Auch das Verhandlungsmandat der EU4 legt fest, dass in diesem Bereich keine Regelungen getroffen werden sollen, die über den bisherigen Stand im Rahmen des WTO-Dienstleistungsabkommens GATS hinausgehen. Wie in den bisherigen bilateralen Handelsabkommen der EU wird dafür eine sogenannte Generalausnahme für kommunale Dienstleistungen sorgen. In der Folge wird beispielsweise die kommunale Wasserversorgung nicht unter Privatisierungsdruck kommen, wie immer wieder behauptet wird. Und bei öffentlichen Ausschreibungen wird es auch weiterhin möglich sein, soziale oder ökologische Kriterien verbindlich einzufordern.
  • Im Kulturbereich ist ebenfalls keine über das GATS hinausgehende Öffnung für ausländische Wettbewerber geplant. Die staatliche Förderung deutscher Museen und Theater wird – wie auch bei dem ausverhandelten Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada gewährleistet – ebenfalls bei TTIP gemäß Verhandlungsmandat weiterhin möglich bleiben. Audiovisuelle Dienstleistungen – und damit auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk – sind komplett ausgenommen. Und auch die Buchpreisbindung steht nicht zur Disposition, schon weil sie nicht zwischen in- und ausländischen Anbietern diskriminiert.
  • Mit Blick auf die Arbeitnehmerrechte werden Mindestlöhne (einschließlich deren Erhöhung), Streikrecht und die Tarifautonomie unangetastet bleiben. Das soll wie in CETA durch eine sogenannte Arbeitsmarktklausel gesichert werden.

Investorenschutz und ISDS

Gerechtfertigt war die Kritik dagegen beim Thema Investorenschutz und vor allem bei der Investor-Staat-Streitbeilegung (Investor-state dispute settlement – ISDS). Doch die Schlussfolgerung, ISDS-Verfahren aus TTIP auszuklammern, lässt sich kritisch hinterfragen. Grundsätzlich ist es richtig, die Eigentumsrechte von Investoren gegen ungerechtfertigte Diskriminierung und Willkür durch die Regierung des Ziellandes ihrer Anlagen zu schützen. In Entwicklungsländern sind die Voraussetzungen für ein verlässliches Rechtssystem sicherlich nicht durchweg gegeben. Hier erscheinen ISDS-Verfahren zweifellos sinnvoll. In der EU und den USA mag die nationale Rechtsprechung auf den ersten Blick ausreichend erscheinen, um Investorenschutzrechte durchzusetzen. Daran lassen sich aber Zweifel äußern. So ist nicht durchweg gesichert, dass internationale Vereinbarungen vor nationalen Gerichten durchsetzbar sind. Zudem gilt es mit Blick auf einige EU-Länder und auch die USA zu fragen, ob alle regionalen oder lokalen Gerichte für internationale Investorenschutzfragen ausreichend gerüstet sind. Zudem ist zu bedenken: Würden ISDS-Verfahren gegenüber den USA mit Verweis auf das hochentwickelte Rechtssystem ausgeklammert, fiele es sehr wahrscheinlich schwer, sie gegenüber China zu verankern (im Rahmen des derzeit zwischen der EU und China verhandelten Investitionsabkommens). Die chinesische Regierung würde es vermutlich nicht akzeptieren, dass China nicht als Staat mit ausreichendem Rechtssystem gesehen wird. Dabei wäre ein verlässliches ISDS-Verfahren angesichts der stark staatsgelenkten chinesischen Wirtschaft und der bisherigen Erfahrungen vieler Investoren dringend nötig.

Es steht freilich außer Zweifel, dass das bestehende ISDS-System gravierende Probleme aufweist. Hierauf haben die TTIP-Kritiker zu Recht aufmerksam gemacht und Änderungen angemahnt. Probleme gibt es im bestehenden System vor allem beim Regulierungsrecht der Staaten, unklaren Rechtsbegriffen, möglichen Inte­ressenkonflikten bei privaten Schiedsrichtern, mangelnder Transparenz, Anreizen für ungerechtfertigte Klagen („chilling effect“) sowie dem Fehlen einer Berufungsinstanz. Es wäre aber trotzdem falsch, ISDS-Verfahren aus TTIP herauszuhalten. Im Gegenteil: Gerade aufgrund der Probleme des bestehenden ISDS-Systems liegt in TTIP eine große Chance, die Unzulänglichkeiten zu beseitigen und ein neues Modell zu entwickeln, das auch für andere Länder als Blaupause dienen kann. Tatsächlich verfolgt die EU-Kommission in Reaktion auf die breite Kritik inzwischen einen neuen Ansatz. Bereits mit CETA wurden deutliche Fortschritte mit Blick auf die zuvor formulierten Anforderungen erzielt.

Dies gilt beispielsweise bei

  • der klaren Zusicherung der Regulierungshoheit der Staaten, im öffentlichen Interesse zu agieren, wenn sie dies diskriminierungsfrei und ohne offenkundige Willkür tun;
  • dem Verbot, im gleichen Fall nationale Gerichtsverfahren und ein internationales Schiedsgerichtsverfahren parallel zu verfolgen („ban on forum shopping“);
  • klareren und deutlich enger gefassten Begriffsdefinitionen, vor allem für die „faire und gerechte“ Behandlung sowie für die „indirekte Enteignung“ und die Möglichkeit der Regierungen, den privaten Schiedsrichtern Auslegungsvorschriften zu erteilen;
  • Listen für die Auswahl hinreichend qualifizierter Schiedsrichter und einem strikten Verhaltenskodex, um Interessenkonflikte zu verhindern, die etwa durch eine mögliche Anwaltstätigkeit von Richtern in anderen Fällen entstehen können;
  • neu eingeführten Kostenregeln zulasten des Klägers bei verlorenen Fällen („loser pays principle“) und stark vereinfachten Abweisungsmöglichkeiten für unbegründete Klagen;
  • der deutlich verbesserten Transparenz mit Blick auf Dokumente und sämtliche Hearings sowie der Zulassung von Statements von Nichtregierungsorganisationen (gemäß den UNCITRAL-Regeln).

TTIP soll und muss noch darüber hinausgehen. So sieht es der im November 2015 den USA von der EU-Kommission unterbreitete Textvorschlag für ein Investitionskapitel vor.5 Darin ist ein öffentlicher ständiger Investitionsgerichtshof mit einem permanenten Tribunal vorgesehen:

  • Diese neue Institution soll die für einzelne Fälle ad hoc einberufenen privaten Schiedsgerichtsverfahren ablösen. Im Rahmen des Tribunals sollen für konkrete Fälle Spruchkammern eingerichtet werden.
  • Der hierfür zur Verfügung stehende Pool aus 15 Richtern soll das bisherige letztlich private Ernennungsverfahren von Schiedsrichtern ablösen. Die öffentlich bestellten Richter müssen hohen Qualifikationsanforderungen genügen und dürfen nicht bei anderen Investitionsschutzverfahren als Anwalt/Berater involviert sein.
  • Zudem ist ein Berufungstribunal aus sechs Richtern vorgesehen – ähnlich konzipiert wie bei der Welthandelsorganisation.
  • Weiterhin soll das Regulierungsrecht durch eine direkte Instruktion der Richter noch deutlicher klargestellt werden – besonders auch mit Blick auf Regulierungsänderungen, die möglicherweise die Gewinnerwartungen von Unternehmen beeinträchtigen.
  • Wenn die internationalen Richter heimische Gesetze auslegen, müssen sie der Interpretation heimischer Gerichte folgen. Sollten hier Lücken existieren, müssen nationale Gerichte sich nicht an die Auslegung der internationalen Richter halten.
  • Um internationale Investitionsschutzverfahren für kleine und mittlere Unternehmen leichter finanzierbar zu machen, wird vorgeschlagen, auch „kleine“ Verfahren mit nur einem Richter zu schaffen.
  • Mittelfristig besteht das Ziel, einen internationalen Investitionsgerichtshof zu schaffen.

Auf dieser Basis sollten der Investitionsschutz und ISDS Teil von TTIP werden und es ist zu hoffen, dass die USA diesen neuen Ansatz akzeptieren.

Verbraucherschutz und regulatorische Kooperation

Ein großer Teil der Skepsis gegenüber TTIP bezieht sich auf den Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Sie steht im Zusammenhang mit dem Abbau von NTH und der geplanten regulatorischen Kooperation. Auf den ersten Blick erscheinen diese Sorgen nicht ungerechtfertigt. Denn es existieren unterschiedliche Regulierungsphilosophien. Während in der EU Regulierungen grundsätzlich nach dem Vorsorgeprinzip erlassen werden, richten sich Regulierungsbehörden in den USA eher nach dem Nachsorgeprinzip. Tendenziell werden dort in einigen Bereichen Produkte solange als sicher angesehen und zugelassen, bis konkrete Hinweise auf Gefahren vorliegen. Diese grundlegenden Unterschiede zu vernachlässigen, könnte in Europa tatsächlich zu erheblichen Rückschritten in Sachen Verbraucher- oder Umweltschutz führen.

Doch bei genauerem Hinsehen lassen sich intelligente Wege finden, um NTH abzubauen, ohne europäische Standards zu gefährden. Harmonisierung von Vorschriften kann dabei nur bedeuten, dass man sich auf das jeweils höhere Niveau einigt. Da das nur bedingt gelingen wird, ist eine gegenseitige Anerkennung von Vorschriften ein wahrscheinlicherer und zugleich sehr effektiver Weg zur Kostensenkung im transatlantischen Handel. Dies darf allerdings nur dann geschehen, wenn unterschiedliche technische Anforderungen auf beiden Seiten des Atlantiks zu einem hinreichend ähnlichen Schutzniveau führen.

Beispielsweise im Bereich der Automobilindustrie ist davon auszugehen, dass durch die jeweiligen Produktstandards ähnliche Sicherheitsniveaus im Straßenverkehr in den USA und der EU erreicht werden können.6 Zwar erfolgt die Zulassung von Personenkraftwagen in der EU gemäß dem Vorsichtsprinzip nach Prüfung durch staatlich zertifizierte Stellen, während in den USA die Praxis der Selbstzertifizierung durch den Hersteller üblich ist. Doch selbst hier kann der internationale Handel durch gegenseitige Anerkennung erleichtert werden. So könnten die staatlich zertifizierten Stellen in der EU amerikanische Autos zulassen und dabei aber die in den USA geltenden technischen Anforderungen berücksichtigen, sofern diese als gleichwertig bewertet wurden.

Allerdings ist es sehr aufwendig zu prüfen, ob ein ähnliches Schutzniveau vorliegt, weil dazu letztlich Einzelfallprüfungen für einzelne Produktgruppen nötig sind. Deshalb soll im Rahmen von TTIP auf eine intensive regulatorische Kooperation gesetzt werden, die über den Abschluss des Abkommens hinausreicht („living agreement“). Umgesetzt werden soll dies durch einen zu gründenden Regulierungsrat, an dem vor allem die Experten und Behördenvertreter beider Seiten beteiligt sind. Weitere Aufgaben dieses Gremiums würden im Informationsaustausch liegen sowie darin, bei der Regulierung neuer Produkte wie etwa der Elektromobilität von vornherein gemeinsame Standards auszuarbeiten.

Entgegen der teils geäußerten Kritik soll der Regulierungsrat keine Gesetzgebungshoheit haben und das Regulierungsrecht beider Staaten nicht einschränken.7 Zudem sollen Stakeholder einschließlich zivilgesellschaftlicher Gruppen beteiligt werden. Bei der konkreten Umsetzung muss freilich sichergestellt sein, dass diese Ziele tatsächlich erreicht werden und vor allem die Parlamente umfassend informiert und beteiligt sind.

Fazit

TTIP ist von großer Bedeutung sowohl aus ökonomischer als auch aus strategischer Sicht. Das Freihandelsabkommen bietet eine einmalige Chance, die Regeln des Globalisierungsprozesses im 21. Jahrhundert nach unseren Wertvorstellungen mitzugestalten. Die Kritik an TTIP ist bisher in einigen Fällen zwar berechtigt und hat dazu beigetragen, dass die Transparenz des Verhandlungsprozesses erheblich gesteigert und ein umfassender Reformprozess bei ISDS in Gang gesetzt wurde. Doch in vielerlei Hinsicht ist die Kritik überzogen und schürt unnötige Ängste. Eine sachliche und konstruktive Debatte ist von entscheidender Bedeutung, damit die Anforderungen der Bevölkerung gehört werden können und am Ende ein mehrheitsfähiges Abkommen vorgelegt werden kann.

  • 1 G. Kolev: TTIP – Mehr als Handelsliberalisierung, IW policy papers, Nr. 11/2014.
  • 2 K. G. Berden, J. Francois, S. Tamminen, M. Thelle, P. Wymenga: Non-Tariff Measures in EU-US Trade and Investment – An Economic Analysis, ECORYS Paper, Nr. OJ 2007/S180-219493, Rotterdam 2009.
  • 3 Joint Statement on Public Services, Brüssel, 20. März 2015, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/tradoc_153264.pdf.
  • 4 Council of the European Union: Directives for the negotiation on the Transatlantic Trade and Investment Partnership between the European Union and the United States of America, 2014, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL-1/en/pdf.
  • 5 EU Commission: Transatlantic Trade and Investment Partnership, Trade in Services, Investment and E-commerce, Chapter II – Investment, 2015, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/november/tradoc_153955.pdf.
  • 6 G. Kolev, J. Matthes: TTIP: effects on the automotive industry, in: Inter­economics, 50. Jg. (2015), H. 6, S. 337-343.
  • 7 EU Commission: TTIP – Initial Provisions for Chapter [ ] – Regulatory Cooperation, updated textual proposal of the EU Commission, 2015, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/april/tradoc_153403.pdf.

TTIP – jenseits von Handelsfreiheit

Nachdem die sogenannte Uruguay-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 zum Abschluss kam, scheiterten bisher weitgehend alle weiteren multilateralen Bemühungen hin zu einem noch freieren internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistungen im Rahmen der Doha-Runde. Der Trend zu bilateralen Vorstößen hingegen ist seit den 1990er Jahren ungebrochen. Unter Außenhandelsökonomen herrscht Uneinigkeit darüber, wie die Entwicklung von multilateralen hin zu bilateralen Handelsabkommen zu bewerten ist. Vor allem wird befürchtet, dass präferenzielle Handelsabkommen – also Abkommen, die nur einem auserwählten Kreis von Handelspartnern und nicht allen WTO-Mitgliedern freien Marktzutritt gewähren – schlussendlich alle weiteren multilaterale Bestrebungen behindern könnten. Präferenzielle Handelsabkommen schaffen zwar erhöhte Marktaktivität innerhalb eines Handelsblocks, lenken aber auch bestehende Marktaktivität von außen (also zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern) nach innen (zwischen Mitgliedern) um. Beispielsweise wurden durch den Binnenmarkt innerhalb der EU Güter- und Warenströme zwischen EU-Mitgliedern geschaffen. Ähnliches gilt für die Mitglieder des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA). Allerdings wurden durch die beiden Abkommen auch Handelsaktivitäten zwischen EU- und NAFTA-Ländern reduziert. Präferenzielle Handelsabkommen generieren also nicht nur Wirtschaftsleistung, sie reduzieren sie auch an anderer Stelle. Davon besonders betroffen sind natürlich außenstehende Parteien, z.B. weniger entwickelte Länder in Afrika, Asien und Südamerika.

Jenseits der Orientierung hin zu präferenziellen Handelsabkommen sind seit den 1990er Jahren auch substanzielle Änderungen im Wesen dieser Abkommen zu beobachten. Ursprünglich waren derartige Verträge in erster Linie Aspekten gewidmet, die im legislativen Kerngeschäft der WTO lagen: Güterhandelsabkommen und später Dienstleistungshandelsabkommen bezogen sich also vornehmlich auf Regularien zum bilateralen Waren- und Dienstleistungsverkehr. Neuere Abkommen enthalten weit über WTO-Kompetenzen hinausreichende Klauseln und Bestimmungen. Hauptsächlich ist diese Entwicklung der zunehmenden Komplexität des modernen Wirtschaftstreibens im Zusammenspiel mit der Heterogenität internationaler Standards geschuldet.

Ein Großteil des heutigen Handelsgeschäftes mit Gütern und Dienstleistungen wird von multinationalen Unternehmen bestritten. Diese Unternehmen sind in einer Vielzahl von Sektoren tätig, produzieren und handeln Güter wie auch Dienstleistungen und sehen sich dabei einer großen Bandbreite von Produktions- und Absatzbedingungen gegenüber. Darunter fallen neben klassischen tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen wie Zöllen, Quoten und Produktstandards auch unterschiedlich geartete Arbeitsmärkte, Kapitalmärkte, Absatzmärkte und deren jeweilige Regulierung.

Moderne Güter- und Dienstleistungsabkommen enthalten dementsprechend nicht nur Bestimmungen zu Zollabgaben, sondern auch zu Investitionsschutz, Kapitalmarktregulierung, Wettbewerbspolitik, Umweltstandards und zu vielen weiteren wirtschaftsrelevanten Feldern. Einerseits eröffnen sich durch solch eine Homogenisierung von Märkten und Standards natürlich Möglichkeiten für tiefergehende wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Vertragspartnern, andererseits bieten sich durch die Komplexität und Vielfalt der Regelungen zahlreiche Möglichkeiten, diese zu brechen oder zu umgehen. Zwei wichtige Fragen müssen in diesem Zusammenhang geklärt werden: Erstens, wie sollen einheitliche Standards für zwei (oder mehrere) unabhängige Nationen definiert werden – Staaten, die sich nicht nur bezüglich (objektiver) politischer und rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen unterscheiden, sondern auch in dem (subjektiven) Rechtsempfinden ihrer Bevölkerung? Zweitens: wie wird die Einhaltung der entsprechenden Standards überprüft und gewährleistet?

TTIP im Kontext der modernen Handelspolitik

In diesem Zusammenhang ist TTIP als ein modernes, einen großen Wirtschaftsraum umfassendes Abkommen zu sehen, das eben nicht nur den Zugang zu Waren- und Dienstleistungsabsatzmärkten, sondern auch grenzüberschreitende Investitionsaktivitäten zu regulieren sucht. Relativ zu anderen, auch neueren, Außenhandelsabkommen sticht TTIP durch die Größe der zu integrierenden Wirtschaftsräume hervor. Zudem liegt der Fokus des Abkommens nicht wie üblich auf dem (nicht-landwirtschaftlichen) Güterverkehr, sondern betrifft vor allem landwirtschaftliche Güter, Dienstleistungen und Investitionen. Mit Ausnahme von Agrarprodukten ist der Güterverkehr zwischen den USA und der EU nämlich bereits heute sehr niedrigen Zöllen und wenigen nicht-tarifären Handelshemmnissen unterworfen. Anders ausgedrückt, sollten von TTIP keine großen handelsschaffenden Effekte für herkömmliche Warengeschäfte jenseits des Agrarsektors erwartet werden. Wohl und Übel des Abkommens müssen daher in den Bereichen Dienstleistungen, Landwirtschaft und Investitionen gesucht werden. Gerade diese Kernbereiche des TTIP-Abkommens sind allerdings relativ komplexen Strukturen unterworfen – wohl mit ein Grund für die kontroversen Diskussionen rund um die Verhandlungen.

Bisher wird der transatlantische Handel im Dienstleistungssektor im Zusammenhang mit den Dienstleistungshandelsregularien der WTO im sogenannten General Agreement on Trade in Services (GATS) reguliert. Dabei werden vier Typen unterschieden:

  • Grenzüberschreitendes Angebot. Beispiele hierfür wären grenzüberschreitende Banküberweisungen oder Telefondienstleistungen. Wer in Berlin ein Telefongespräch mit einem Benutzer in New York führt, nimmt zum Teil US-amerikanische Telefondienstleistungen in Anspruch, die als Exporte verbucht werden (sollten).
  • Konsum im Ausland. Hier ist der Auslandstourismus als prominentestes Beispiel zu nennen. Hotelübernachtungen deutscher Bürger in den USA sind demnach Exporte von Hoteldienstleistungen der USA nach Deutschland.
  • Kommerzielle Präsenz. Darunter werden Geschäftsniederlassungen verstanden, die etwa im Zusammenhang mit multinationalen Unternehmungen bestehen. Wenn also ein US-amerikanisches Unternehmen eine Niederlassung in Frankfurt gründet, dann sind alle Dienstleistungen dieser Niederlassung an den Hauptsitz des Unternehmens als Dienstleistungsexporte Deutschlands in die USA zu werten.
  • Mobilität natürlicher Personen. Darunter fallen z.B. Aktivitäten von sogenannten Expats.

Anders als die Güterhandelsregularien der WTO im Rahmen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) ist das GATS sehr unpräzise. Zwar gilt ebenso wie im GATT die Meistbegünstigtenklausel, d.h. der Marktzutritt muss für alle Teilnehmer, für die nicht präferenzielle Ausnahmen gelten, gleich sein, jedoch können Ausnahmen benannt werden. Für jeden Sektor können zudem spezielle Bestimmungen genannt werden, die den freien Dienstleistungshandelsverkehr einschränken. In Märkten und Sektoren, die im GATS gar nicht erst erwähnt werden, sind die Länder an keinerlei Vorschriften gebunden. Der Status quo im Dienstleistungshandel schafft durch diesen Mangel an Präzision und Interpretationsspielraum große Unsicherheiten bei Dienstleistungsgeschäften. Selbst innerhalb der EU oder gar innerhalb von Nationalstaaten ist der Dienstleistungsverkehr nicht absolut barrierefrei, beispielsweise hinsichtlich der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen und Berufsbefähigungen. In Deutschland ist z.B. eine Landesgrenzen überschreitende Beschäftigung von Lehrern aufgrund landesgesetzlicher Regelungen im Schulwesen nicht ohne weiteres möglich. An diesem Beispiel wird deutlich, dass eine Präzisierung des Dienstleistungshandelsrechts zwar bestehende Barrieren und Unsicherheiten beseitigen könnte, eine konkrete Ausarbeitung aber auch an rechtlichen Grenzen scheitern kann.

Im Gegensatz zum Dienstleistungshandel ist der Handel mit landwirtschaftlichen Gütern klar definiert, dennoch werden gerade die Auswirkungen von TTIP auf die Landwirtschaft besonders kontrovers diskutiert. Tatsächlich ist die Landwirtschaft ein gutes Beispiel für die Herausforderungen, die bei der Homogenisierung von Produktstandards auftreten können. In Deutschland bemühen TTIP-Gegner gerne das berühmte Chlorhühnchen als Beispiel für zu niedrige Lebensmittelstandards in den USA und befürchten eine Angleichung der Standards auf ein niedrigeres Niveau. Lebensmittel, die nicht nachgewiesenermaßen schaden, werden in den USA nämlich zugelassen. Lebensmittelzulassungen in der EU basieren auf einem konservativeren Prinzip. Für jedes zugelassene Nahrungsmittel muss nachgewiesen werden, dass es sicher ist. Zwar sollen beide Prinzipien Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten, dennoch gründen sie auf recht unterschiedlichen Rechtsauffassungen, deren Angleichung auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist.

Durch klare und unumkehrbare Regelungen soll TTIP Investitionssicherheit schaffen. Doch selbst klar definierte rechtliche Grundlagen müssen durch eine rechtliche Instanz geltend gemacht werden. Das Wesen dieser Instanz ist der wohl umstrittenste Teil der TTIP-Verhandlungen. Während die USA auf eine Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) setzen, sehen viele europäische Parteien in diesem Schiedsgericht eine Unterminierung rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsätze. Gesetzesänderungen, die den Marktzugang ausländischer Investoren beeinflussen, können Klagen und Schadenersatzforderungen gegen den Nationalstaat nach sich ziehen.

Das Unbehagen mit TTIP

Mit dem TTIP-Abkommen wird ein Grad an Homogenität von Märkten und Gesetzen angestrebt, der oftmals über die bereits bestehende Homogenität sogar innerhalb der EU hinausgeht. Dadurch gewinnen Unterschiede in (objektiven) Gesetzestexten und Rechtsauffassungen sowie (subjektivem) Rechtsempfinden über Ländergrenzen hinweg an Schärfe, die bisher höchstens eine untergeordnete Rolle in internationalen Wirtschaftsabkommen spielten. Dementsprechend entzündet sich die öffentliche Debatte auch nahezu ausschließlich an jenen sensiblen Punkten, die nationale Eigenheiten in einem Ausmaß tangieren, das weit über bestehende Außenhandelsabkommen hinausgeht: den landwirtschaftlichen Güterverkehr, die Bereitstellung von Dienstleistungen vor Ort und den Investorenschutz. Gemessen daran, dass etwa innerhalb der EU bereits ein relativ klarer und einheitlicher Regelkatalog zur landwirtschaftlichen Produktion und deren Absatz besteht, erscheint dieser Bereich trotz fundamentaler Unterschiede in den Regularien zwischen Europa und Nordamerika einfach relativ zur enormen Vielfalt an nationalen und subnationalen Regularien bei Dienstleistungen und Investitionen, wo eine private wie auch öffentliche Bereitstellung von Leistungen etwa innerhalb der EU stark unterschiedlich ausgestaltet ist.

Klar ist, dass TTIP in seiner Dimension nicht nur wirtschaftspolitische, sondern vor allem auch rechtsstaatliche Fragen aufwirft – Fragen, die auch jenseits des TTIP-Abkommens in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt gestellt werden müssen. Möglicherweise bieten die TTIP-Verhandlungen sogar eine Gelegenheit, einen öffentlichen und politischen Diskurs anzuregen, der sich diesen Herausforderungen stellt und erste Lösungskonzepte entwirft. Gerade deswegen sollte eine öffentliche Diskussion rund um TTIP zugelassen und sogar angeregt werden. Dazu braucht es nicht nur Transparenz rund um die Verhandlungen, sondern auch eine Offenheit gegenüber den unterschiedlichen Akteuren.

Bis zu einer möglichen Unterzeichnung des Abkommens sind noch mindestens zwei Verhandlungsrunden geplant, danach müssen sowohl die nationalen Parlamente wie auch das Europäische Parlament über das Zustandekommen des Abkommens entscheiden. Viele sensible Punkte sind noch nicht abschließend geklärt, auch ist in der Öffentlichkeit wenig über die konkret ausgehandelten Vertragsbedingungen bekannt. Letzteres macht es schwer, die Auswirkungen von TTIP vorherzusagen. Fest steht, dass in fast allen Sektoren mehr Wettbewerb entstehen wird. Für den Verbraucher bedeutet das in erster Linie eine größere Auswahl an Produkten und niedrigere Preise. Wettbewerb bedeutet aber auch, dass vor allem kleinere, weniger produktive Betriebe leiden und teilweise aus dem Markt gedrängt werden. Kurzfristig kann so in einigen Sektoren eine schmerzhafte, mit erhöhter Arbeitslosigkeit und Firmensterben verbundene Umstrukturierung stattfinden. Diese Gefahr besteht in der EU vor allem in den Sektoren, die bisher relativ geschützt waren oder deren Produktionsstruktur sich massiv von der amerikanischen unterscheidet. Experten befürchten, dass z.B. in Europa besonders kleinbäuerliche Strukturen gefährdet sein könnten. Langfristig gesehen kann ein solcher Strukturwandel die Produktivität eines Landes allerdings erheblich steigern. Vor allem produktive Firmen und Sektoren würden von dem Abkommen profitieren und durch den erleichterten Zugang zu einem größeren Wirtschaftsraum ihren Absatz steigern können. Dadurch werden auch langfristig Arbeitsplätze geschaffen und Investitionen in neue Technologien angeregt. Gewinner und Verlierer eines solchen Abkommens gäbe es daher sicherlich auf beiden Seiten des Atlantiks und es wäre Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik, die Chancen und Risiken von TTIP richtig abzuwägen, sobald das genaue Vertragswerk bekannt ist.

TTIP – eher Chancen als Risiken

Die Verhandlungen zu TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und der EU wecken großes Interesse in der deutschen Öffentlichkeit. Dies ist erfreulich, denn es geht um eine wichtige außenhandelspolitische Weichenstellung für unser Land und Europa. Dabei ist es durchaus von Bedeutung, dass Außenhandelspolitik schon seit Gründung der EU in den Verantwortungsbereich der EU-Kommission fällt.

Seit dem zweiten Weltkrieg fand die Gestaltung der Außenhandelspolitik gegenüber nicht-europäischen Partnern hauptsächlich im Rahmen des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und anschließend im Rahmen der daraus hervorgegangenen und in Genf angesiedelten WTO (World Trade Organization) statt, d.h. im multilateralen Rahmen. Dieser Prozess, in Form aufeinanderfolgender, mehrjähriger Verhandlungsrunden, war überaus erfolgreich, die Zollsätze für Industriegüter (die deutschen Exportgüter also) konnten beträchtlich verringert werden, und dies ermöglichte der Industrie einen besseren Zugang zu ausländischen Märkten.

Regionaler versus multilateraler Ansatz

Mit der Ausdehnung dieser Verhandlungen auf neue Bereiche (z.B. Auslandsinvestitionen, landwirtschaftlicher Handel, geistiges Eigentum und anderes mehr), geriet der Prozess ins Stocken. Gleichzeitig schlossen viele Länder regionale Freihandelsabkommen. Die EU ist ein früher Vertreter solch regionaler Abkommen. Die Weiterverbreitung dieser Abkommen ist durchaus umstritten. Jagdish Bhagwati hat Freihandelsabkommen – die nur regionalen Partnern Präferenzen beim Marktzutritt einräumen – einmal als Termiten bezeichnet, wobei er vor allem das Interesse von nicht beteiligten Drittstaaten im Blick hatte, unter anderem das seines Heimatlandes Indien.1

Andererseits war es gerade Indien, das mit relativ kleinlichen Einwänden die Bemühungen um eine Einigung in der letzten WTO-Verhandlungsrunde, der sogenannten Doha Round, endgültig blockierte, und somit weitere, selbst bescheidene Fortschritte auf multilateralem Parkett vorerst vereitelte. Vor diesem Hintergrund haben vor allem die USA einen Paradigmenwechsel weg von der WTO hin zu den sogenannten Mega-Regionals vollzogen, d.h. Freihandelsabkommen zwischen wirtschaftlich bedeutenden Ländern bzw. Ländergruppen.

Hierbei handelt es sich vor allem um das TPP (Transpacific Partnership)-Abkommen der USA mit pazifischen Anrainerstaaten (ausgenommen China), und das TTIP-Abkommen zwichen den USA und der EU. Dabei liegt das Augenmerk der derzeitigen US-Administration vor allem auf TPP, auch wenn man den traditionellen Verbündeten in Europa Gleiches anbieten möchte. TPP ist inzwischen fertig ausgehandelt, allerdings noch nicht ratifiziert, und die Ratifizierung in den USA wird unter dem (oder der) nächsten Präsident(-in) anstehen. Das ebenfalls fertig ausgehandelte CETA-Abkommen zwischen Europa und Kanada ist hier eher als Blaupause für TTIP von Interesse, Kanada hat von der Größe her einfach weniger Bedeutung.

Während es bei vielen der bisherigen Freihandelsabkommen, und auch in der Anfangsphase des multilateralen GATT/WTO-Prozesses, hauptsächlich um verbesserten Marktzutritt durch die Verringerung von Zollsätzen ging, ist dies bei TTIP (wie auch bei TPP) nur einer von mehreren Aspekten. Dies liegt auch daran, dass die Zollsätze im transatlantischen Handel bereits jetzt sehr niedrig sind. Neben der weiteren Verbesserung des Marktzutritts durch die Reduktion von Handelshemnissen stehen dementsprechend vor allem die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen sowie handelsbezogene Regeln im Vordergrund. Die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen bezieht sich dabei unter anderem auf regulatorische Standards, die unter bestimmten Voraussetzungen vereinheitlicht werden sollen, oder aber gegenseitig anzuerkennen sind.

Des weiteren geht es um den Investitionsschutz und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und (ausländischem) Staat. Insgesamt lässt sich festhalten, dass TTIP zwar, wie andere Freihandelsabkommen auch, den Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen zum Ziel hat, aber zudem auch Nicht-Handelsthemen integriert werden. Von daher ist TTIP nicht einfach nur ein Freihandelsabkommen im engeren klassischen Sinne.

Im Folgenden wollen wir diese weiter reichenden Aspekte des noch in der Verhandlungsphase befindlichen TTIP-Abkommens betrachten: die in der deutschen Öffentlichkeit besonders umstrittenen Investitionsschutzmechanismen, sowie die Frage der Angleichung bzw. gegenseitigen Anerkennung von Standards. Zusätzlich wollen wir auf den internationalen Aspekt eingehen, welche Folgen TTIP (oder alternativ ein Scheitern des Abkommens) mit sich bringen würde.

Der Investitionsschutz in TTIP

Die Regelungen zum Investitionsschutz sowie zu (privaten) Schiedsverfahren sollen ausländische Investoren vor willkürlicher, unverhältnismäßiger oder diskriminierender Behandlung durch den Gaststaat schützen und zu mehr Investitionssicherheit führen. Es gibt sowohl in den USA als auch in der EU Probleme, die für Investoren eine Möglichkeit erforderlich machen, das gültige Recht einzuklagen. Dazu zählten beispielsweise Korruption, die Effizienz, Dauer und Verzerrung von Gerichtsverhandlungen sowie mangelnde Transparenz und Berechenbarkeit von Regulierungsmaßnahmen.

Die bisherige Umsetzung der Regelungen zum Investitionsschutz und zu Investor-Staat-Schiedsverfahren in bestehenden Abkommen liefert jedoch Anreize, einige zentrale Aspekte zu überarbeiten, um mehr Rechtssicherheit herzustellen und die Sorgen vor einer Klageflut zu minimieren. Deshalb soll in TTIP eine Konkretisierung der Generalklauseln der fairen und billigen Behandlung (Fair and Equitable Treatment, FET), Enteignung und Nicht-Diskriminierung erfolgen, um die rechtliche Grundlage für eine Klage zu beschränken. Es ist von enormer Bedeutung, die richtige Balance zwischen ausreichendem Investorenschutz auf der einen und uneingeschränkter politischer Souveränität auf der anderen Seite zu finden, damit die Unternehmen Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht missbräuchlich nutzen können.

Um andererseits auch für ein faires Urteil durch die Schiedsrichter zu sorgen, sollen strenge Auflagen und ein Verhaltenskodex deren Unabhängigkeit sichern sowie Interessenskonflikten vorbeugen und die Konsistenz der Urteile erhöhen. Einen Beitrag zur Erhöhung der Konsistenz kann darüber hinaus auch die Einrichtung einer Berufungsmöglichkeit liefern, was derzeit geprüft wird.

Die Vereinheitlichung/Anerkennung von Standards

Technische Standards legen Anforderungen fest, die Produkte erfüllen müssen, um in einem Land verkauft werden zu dürfen. Das können technische Mindestanforderungen sein, wie etwa die Ausstattung von Autos mit ABS oder Airbags, Umweltauflagen, oder gesundheitliche Aspekte, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Standards sind oftmals das Resultat der in dem jeweiligen Land erfolgten Abwägung verschiedener Interessen. Es erscheint vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass solche Standards sich von Land zu Land unterscheiden, in Europa und auch weltweit.

Dabei hängt das Regulierungsniveau durchaus vom Entwicklungsstand des jeweiligen Landes ab. Zwischen den USA und Europa sind die Unterschiede daher eigentlich recht gering. Es gibt Standards, die in den USA strikter sind, wie z.B. der zulässige Stickstoffausstoß von Automotoren, und umgekehrt gibt es Standards, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern restriktiver sind, z.B. der Datenschutz. Oftmals sind lokale Standards gerade bei solchen Dingen strikter, die der jeweiligen Bevölkerung besonders am Herzen liegen.

Als Konsequenz für den Außenhandel stellen unterschiedliche Standards ein bedeutendes Handelshemmnis dar: Produkte müssen angepasst oder eventuell ganz neu entworfen werden, bevor sie im anderen Land vermarktet werden können. Es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass zum Teil Standards mit dem Ziel festgelegt werden, ausländischen Mitbewerbern den Marktzugang zu erschweren.

Da die Harmonisierung, d.h. die Einigung auf gemeinsame Standards, langwierig und schwierig wenn nicht gar aussichtslos ist, praktiziert man in der Europäischen Union schon seit längerem die gegenseitig Anerkennung von Standards der jeweiligen Partnerländer. Ein Produkt, das portugiesische Standards erfüllt, ist unter diesem Arrangement automatisch auch in Deutschland und allen anderen Mitgliedsländern der EU zugelassen.

Mit TTIP wird dieses Arrangement voraussichtlich auf die USA ausgedehnt. Somit ist dann ein Auto, das in den USA den Anforderungen entspricht, automatisch auch in Ländern der EU für den Verkauf zugelassen. In einigen Bereichen, z.B. im Flugzeugbau, wird dieser Ansatz bereits jetzt zwischen den USA und der EU praktiziert. Die Kritik an der Anerkennung amerikanischer Standards diesseits des Atlantiks entzündet sich oft an einigen wenigen, vermeintlich gravierenden Unterschieden, um nicht zu sagen „Shortcomings“ amerikanischer Regulierung. Der Deutsche Konsument verabscheut Chlorhühnchen, während er oder sie gleichzeitig an gebleichtem Spargel oder gechlorten Schwimmbädern wenig auszusetzen findet. Es ist nicht klar, warum die Anerkennung amerikanischer Standards ein größeres Problem darstellen soll, als beispielsweise die Anerkennung bulgarischer oder spanischer Standards.

Die Internationale Dimension von TTIP

Wie eingangs schon erwähnt, ist TTIP nur eines von zwei mega-regionalen Abkommen, die zur Zeit vorangetrieben werden. Das TPP-Abkommen ist bereits fertig ausgehandelt, und steht für die geopolitische Hinwendung der USA zu dem sehr dynamischen pazifischen Raum. Dabei ist China bisher bewusst ausgeschlossen worden, auch wenn man einen baldigen Beitritt des Landes zu dem ohne seine Mitwirkung ausgehandelten Regelwerk durchaus begrüßen würde.

Gleichzeitig verhandeln die USA mit den traditionellen Verbündeten in Europa, und stehen einer Einigung hier gleichermaßen positiv, wenn nicht sogar noch positiver gegenüber. Entsprechend groß wäre die Enttäuschung auf amerikanischer Seite, wenn in Hinblick auf TTIP eine Einigung am Widerstand Europas scheitern sollte.

Einerseits besteht hier die greifbare Chance für die westliche Wertegemeinschaft, auch in Zukunft die Regeln für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen festzulegen. Dies betrifft z.B. technische Standards, wo eine Führungsrolle Chinas Wettbewerbsnachteile für die USA und auch die EU nach sich ziehen würde. Aber auch die Bedingungen für ausländische Direktinvestititionen werden hier entscheidend beeinflusst, durchaus mit Auswirkung auf zukünftige globale Regeln.

Andererseits besteht das Risiko für Europa, bei der Festlegung zukünftiger Regeln ins Hintertreffen zu geraten. Diese Gefahr wird noch größer, sollte TPP schnell ratifiziert werden, und eventuell China dem Abkommen rasch beitreten. Vor diesem Hintergrund liegt ein zügiger Abschluss von TTIP im geo-strategischen Interesse der EU. Der alternative Ansatz einer Verständigung auf ein Abkommen mit China, das die EU und USA gegeneinander ausspielen könnte, liegt sicher nicht im deutschen Interesse.

Zusammenfassend halten wir fest, dass der Abschluss des TTIP-Abkommens mit den USA beträchtliche Chancen bietet: eine weitere Ausweitung des Handels, ein sichereres Investitionsklima, eine weitere Integration der Märkte, sowie die Führerschaft des Westens, was die zukünftige Regulierung internationaler wirtschaftlicher Aktivitäten betrifft. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Risiken scheinen demgegenüber relativ gering.

  • 1 J. Bhagwati (Council of Foreign Relations): Termites in the Trading System: How Preferential Agreements Undermine Free Trade, Oxford 2008.

TTIP – mehr Regulierungs- als Freihandelsabkommen

Die USA und die Europäische Union (EU) verhandeln seit 2013 über ein Freihandelsabkommen – die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Die EU und die USA vereinen auf sich fast die Hälfte des Welt-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Den Handel innerhalb der EU mit eingeschlossen betrugen die Exporte und Importe der potenziellen TTIP-Mitglieder 2014 mehr als 44% des gesamten Welthandels. Die USA sind der mit Abstand wichtigste Handelspartner der EU. Ähnliches gilt für den Bereich der Investitionen. TTIP setzt somit auf eine Situation auf, die bereits von einem hohen Grad wirtschaftlicher Verflechtung gekennzeichnet ist.

Als Abkommen der neuen Generation, das auf tiefe Integration1 zwischen den Handelspartnern abzielt, umfasst TTIP eine ganze Reihe von neuen Themenbereichen, die potenziell weitreichende Auswirkungen auf die nationale Politik haben können. Dazu gehören neben dem traditionellen Warenhandel insbesondere der Dienstleistungsverkehr samt den damit verbundenen Sektorregulierungen sowie eine breite Palette von Themen wie der Schutz geistiger Eigentumsrechte, das öffentliche Beschaffungswesen oder die Liberalisierung bzw. der Schutz ausländischer Direktinvestitionen. Dazu kommt als neues Element der Bereich der regulatorischen Kooperation mit dem Ziel, technische Standards, Produktregulierungen und Zulassungs- bzw. Prüfverfahren zu vereinheitlichen. Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hat daher Recht, wenn er meint, dass TTIP und ähnliche Abkommen wie das transpazifische Abkommen TPP nicht Freihandelsabkommen, sondern im Kern Regulierungsabkommen sind.2

Da bei einem verbliebenen Durchschnittszoll von ca. 3% konventionelle Handelsbarrieren kaum mehr eine Rolle spielen, gehen ökonomische Wirkungsstudien davon aus, dass die Mehrzahl, genannt werden ca. 80%, der erwarteten positiven Effekte aufgrund der Angleichung von divergierenden Regulierungen eintreten werden. Trotzdem sind insgesamt nur geringe wirtschaftliche Vorteile von TTIP zu erwarten. Die meisten Studien erwarten eine einmalige Zunahme des EU-BIP von ca. 0,5%, wobei in dieser Zahl wichtige Aspekte, wie Anpassungskosten auf dem Arbeitsmarkt aufgrund von Arbeitslosigkeit oder soziale Kosten aufgrund der möglichen Absenkung von regulatorischen Standards nicht berücksichtigt sind.3

Neben dem Investorenschutz bezieht sich die Kritik der Zivilgesellschaft daher gerade auf diese umfassende Regulierungsagenda. TTIP, so die Befürchtungen, könnte in Fragen des Verbraucherschutzes, der öffentlichen Gesundheit oder des Arbeitnehmer- und Umweltschutzes zu Verschlechterungen von regulatorischen Standards führen. Den konkreten Stein des Anstoßes bildet dafür das in TTIP vorgesehene Kapitel zur regulatorischen Kooperation.

Regulatorische Kooperation – Harmonisierung oder Verhinderung von Regulierung?

Das Kapitel zum Themenbereich „Regulatorische Kooperation“ stellt einen neuen Bestandteil der bilateralen Handelsabkommen der EU dar, das zum ersten Mal im Rahmen des CETA-Abkommens zwischen Kanada und der EU aufschien. Auch im TTIP wird es ein solches Kapitel geben, verbindet sich damit doch die Hoffnung bei beiden Verhandlungsparteien, im Sinne eines „lebenden Abkommens“ eine permanente Kooperation zu Regulierungsfragen aufzubauen. Ziel ist es, „gute regulatorische Praktiken“ zu etablieren, um die Kompatibilität der regulatorischen Systeme zu erhöhen. Dies gemäß Artikel 1, Abs. 1, Ziffer b des EU-Verhandlungstextes mit Blick auf die Erleichterung von Handel und Investitionen sowie die Reduktion „unnötig belastender“, „duplikativer“ oder „divergierender“ Regulierungen.4

Artikel 3 normiert den Gegenstandsbereich der regulatorischen Kooperation überaus weit: Er umfasst alle EU-Richtlinien und -Verordnungen gemäß Art. 288 AEUV, sowie delegierte Akte und Umsetzungsakte gemäß Art. 290, 201 AEUV und nationalstaatliche Regulierungsakte (Gesetze, Verordnungen), sofern sie Anforderungen für das Angebot oder die Verwendung von Dienstleistungen und Gütern definieren und diese eine (potenziell) signifikante Auswirkung auf den bilateralen Handel und die Investitionstätigkeit haben.

Als konkrete Maßnahmen der regulatorischen Zusammenarbeit sind unter anderem vorgesehen:

  1. Frühzeitige gegenseitige Information über geplante Regulierungsmaßnahmen, die Aufnahme von Meinungsaustausch bzw. die gemeinsame Prüfung von Möglichkeiten zur Verbesserung der regulatorischen Kompatibilität (Artikel 9), insbesondere durch (i) gegenseitige Anerkennung, (ii) Harmonisierung, oder (iii) Vereinfachung (Artikel 10). Dies umfasst alle Phasen eines Regulierungsvorhabens bis zur Annahme durch das kompetente politische Entscheidungsgremium. Es besteht allerdings keine Verpflichtung zur Verzögerung oder Unterbrechung des regulatorischen Entscheidungsprozesses (Artikel 12).
  2. Informationsaustausch bezüglich der Durchführung von regulatorischen Wirkungsprüfungen über geplante regulatorische Vorhaben ex ante (Artikel 5). Jedenfalls geprüft werden müssen (i) die Kompatibilität mit relevanten internationalen Vereinbarungen, (ii) die Kompatibilität mit bestehenden oder geplanten regulatorischen Bestimmungen der anderen Vertragspartei sowie (iii) die Auswirkungen auf den internationalen Handel und die Investitionstätigkeit. Die Ergebnisse solcher Prüfungen sind ebenso wie die verwendeten Daten und Methoden der anderen Vertragspartei prompt offenzulegen.
  3. Schaffung eines permanenten Regulatorischen Kooperationsrats, bestehend aus Mitgliedern von Regulierungsbehörden, öffentlichen Einrichtungen und handelspolitischen Behörden. Dessen Aufgaben umfassen gemäß Artikel 14 und 15 unter anderem (i) die Prüfung neuer Initiativen zur regulatorischen Kooperation, (ii) die Entwicklung von gemeinsamen Initiativen für internationale Regulierungsinstrumente und (iii) das Abhalten von jährlichen Stakeholder-Treffen. Stakeholder haben zudem ein Recht zur Einreichung von Vorschlägen für regulatorische Kooperationsmaßnahmen.

Die ökonomische Relevanz der geplanten regulatorischen Kooperation liegt angesichts der engen Verflechtung der beiden Wirtschaftsräume EU und USA auf der Hand. Unterschiedliche Standards in Absatzmärkten verursachen Mehrkosten für die betroffenen Unternehmen. Ökonomische Argumente wie die Senkung von Transaktionskosten sprechen daher für die Vereinheitlichung von technischen Standards im internationalen Wirtschaftsverkehr. In einer Reihe von Branchen, insbesondere in der Automobilindus­trie, sowie bei Zulassungs- und Inspektionsverfahren in der Pharma- und Chemischen Industrie, wird von Experten ein gewisses Potenzial für eine breitere Verankerung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung identifiziert.

Ökonomisch und gesellschaftlich relevant?

Gleichwohl sind vier Aspekte in diesem Zusammenhang einschränkend festzuhalten:

  • Zum ersten sind die dadurch erzielbaren Kostenersparnisse für Unternehmen und Konsumenten als generell gering einzuschätzen. Die meistzitierte Studie der niederländischen Forschungsgesellschaft Ecorys, die von sehr optimistischen Annahmen ausgeht, schätzt die langfristig zu erzielende Kostenersparnis auf 0,7% des EU-BIP.5 Auf Basis der bisherigen Erfahrungen in der transatlantischen Regulierungskooperation ist realistischerweise in der kurzen und mittleren Frist nur ein Bruchteil dieses Wertes zu erwarten.6
  • Zweitens sind in jenen Standardisierungsbereichen, in denen tatsächlich substanzielle Effizienzgewinne zu erzielen wären, kaum Fortschritte zu erwarten. Dies wäre z.B. die Übernahme des metrischen Systems durch die USA oder die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr in Großbritannien. Beide Maßnahmen wären mit hohen Umstellungskosten verbunden und zudem politisch kaum durchsetzbar.
  • Drittens besteht nicht immer ein Unternehmensinte­resse an der Vereinheitlichung von Standards. Technologische Vorreiterfirmen haben in der Regel bei der Definition von Standards einen Vorsprung, der ihnen auch einen internationalen Wettbewerbsvorteil einräumt. Dies kann im Einzelfall einer Harmonisierung entgegenstehen, wenn unterschiedliche Standards Teil der Geschäftsmodelle rivalisierender Unternehmen sind. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die erst auf massiven Druck der Europäischen Kommission 2009 erfolgte freiwillige Vereinbarung von 14 Unternehmen über die technische Vereinheitlichung der Steckkontakte für die Stromversorgung von Mobiltelefonen, deren Umsetzung äußerst schleppend verlaufen ist.7
  • Viertens wird der gesellschaftliche Nutzen von Regulierung systematisch ausgeblendet. Obwohl nur unzulänglich in monetären Größen ausdrückbar, zeigen einschlägige Analysen, dass der gesellschaftliche Nutzen die Kosten von Regulierung um einen Faktor von bis zu Sechs übersteigt.8 In den Wirkungsanalysen zu TTIP wird allerdings unterstellt, dass die Angleichung von Standards das gewünschte Schutzniveau unverändert lässt. Davon ist nicht automatisch auszugehen. Gegenseitige Anerkennung oder einseitige Anerkennung der Äquivalenz mögen bei qualitativ ähnlichen Schutzniveaus sinnvoll sein. In vielen Regulierungsbereichen, z.B. bei Chemikalien oder bestimmten Risikotechnologien, bestehen allerdings signifikante Unterschiede im Schutzniveau zwischen USA und EU, die wiederum auf unterschiedlichen kollektiven Präferenzen beruhen. Die Harmonisierung von divergierenden Regulierungsniveaus impliziert politisch umkämpfte Verhandlungsprozesse, die sehr wohl zu einer Veränderung von Schutzniveaus führen können. Gerade im Bereich der Regulierung neuer Technologien wie Bio- und Gentechnologie gibt es grundlegend andere Ansätze in der EU und den USA. Räumt die EU hierbei aufgrund verbreiteter gesellschaftlicher Vorbehalte dem Vorsorgeprinzip einen relativ hohen Stellenwert ein, so folgen die USA (und auch Kanada) einem liberaleren Ansatz, der regulatorische Beschränkungen für solche Technologien bzw. den mit ihnen produzierten Produkten nur dann vorsieht, wenn solide wissenschaftliche Evidenz negative Effekte auf die menschliche Gesundheit oder Umwelt nachweist. Dieser Unterschied im regulatorischen Ansatz erklärt sich vor allem aus der unterschiedlichen Governance-Struktur in der EU und den USA. Zivilgesellschaftliche Einflüsse auf den Politikprozess spielen demnach in der EU eine größere Rolle als in den USA und Kanada, wo die Autonomie der regulatorischen Behörden vergleichsweise stärker ist.9 Dies macht eine Harmonisierung von Regulierungsstandards in Risikotechnologien bis auf weiteres nicht gänzlich unmöglich, in der kurzen und mittleren Frist aber doch unwahrscheinlich.

Gleichwohl sind Regulierungspolitiken nicht statisch, sondern unterliegen einem politisch umkämpften Wandel. Dies gilt sowohl für die internationale als auch die nationale Ebene. International ist eine Tendenz festzustellen, die Programmatik der US-Regulierungskultur zunehmend in internationale Regelwerke wie etwa jenes der Welthandelsorganisation WTO zu technischen Handelsbarrieren (TBT Agreement) oder in die OECD-Empfehlungen zu „good regulatory practices“ einfließen zu lassen.10 Auch in der EU sind die Interessenlagen heterogen, und der Stellenwert des Vorsorgeprinzips und einer sozial inklusiven Regulierungskultur wird nicht von allen politischen Kräften geteilt. Vor diesem Hintergrund wird die geplante Institutionalisierung regulatorischer Zusammenarbeit im Rahmen des TTIP auch unterschiedlich eingeschätzt. Während sie von Unternehmerverbänden klar begrüßt wird, sehen zivilgesellschaftliche Akteure die Gefahr, dass durch die extensiven und frühzeitigen Konsultationsrechte der USA der US-amerikanische Regulierungsansatz an Bedeutung gewinnen wird, bzw. Regulierungsvorhaben, die im Gegenteil auf einen Ausbau des Vorsorgeprinzips hinauslaufen, vonseiten der US-Regierung und der mit ihr verbundenen Wirtschaftsakteure blockiert werden könnten. In der Tat weisen erste juristische Einschätzungen auf gewisse kompetenzrechtliche und demokratiepolitische Defizite der geplanten institutionellen Struktur zur regulatorischen Kooperation hin.11

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Anwendungsbereich des geplanten Kapitels zur regulatorischen Kooperation äußerst weit gefasst ist und umfassende Konsultationsverfahren und Wirkungsprüfungen vorschreibt. Damit dürften regulatorische Vorhaben in Zukunft wesentlich zeit- und ressourcenaufwändiger werden. Die Stakeholder-Konsultationen sind zwar formal offen für unterschiedliche Akteure, klar ist aber, dass eine effektive Teilnahme nur jenen Akteuren möglich sein wird, die über die entsprechenden Kapazitäten verfügen. Das sind vornehmlich Wirtschaftsverbände.

Fazit

Die geplante regulatorische Kooperation im Rahmen von TTIP und anderen aktuellen Abkommen öffnet ein neues Kapitel in den internationalen Handelsbeziehungen. Dessen Ziel besteht in der tiefen Integration zwischen Wirtschaftsräumen. Ähnlich wie beim Binnenmarktprojekt der Europäischen Union geht es um die Angleichung unterschiedlicher Standards und Verfahren mit dem Ziel, regulatorische Barrieren für grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten abzubauen. Produktstandards, technische Normen, Zulassungs- und Prüfverfahren, aber auch Gesundheits-, Arbeitnehmer- und Umweltvorschriften verursachen jedoch nicht nur Kosten, sondern erfüllen das Ziel, Schaden für Mensch und Umwelt zu vermeiden. Sie stiften einen gesellschaftlichen Nutzen. Dies bedeutet zum einen, dass die Angleichung oder Reduktion von Regulierungsstandards zu sozialen Kosten führen kann, die in eine ausgewogene Bewertung von Handelsabkommen einfließen müssten. Zum anderen muss regulatorische Kooperation, welche die Angleichung regulatorischer Systeme zwischen zwei souveränen und im Gegensatz zum europäischen Einigungsprozess nicht von der Finalität politischer Integration geleiteten Handelspartnern zum Ziel hat, politische Handlungsspielräume wahren und an demokratisch legitimierte Institutionen, wie insbesondere Parlamente, rückgebunden sein.

  • 1 Vgl. dazu R. Lawrence: Regionalisms, Multilateralism and Deeper Integration, Washington DC 1996.
  • 2 Vgl. J. Stiglitz: How Trade Agreements Amount to a Secret Corporate Takeover, in: Huffington Post vom 18. Mai 2015.
  • 3 Vgl. W. Raza, J. Grumiller, L. Taylor, R. Tröster, R. von Arnim: ASSESS_TTIP: Assessing the Claimed Benefits of the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), Final Report, Austrian Foundation for Development Research, wien 2014.
  • 4 Vgl. Europäische Kommission: TTIP – Initial Provisions for Chapter – Regulatory Cooperation, 4. Mai 2015, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/april/tradoc_153403.pdf.
  • 5 K. G. Berden et al.: Non-Tariff Measures in EU-US Trade and Investment – An Economic Analysis, European Commission, Directorate-General for Trade, OJ 2007/S180-219493, Brüssel 2009.
  • 6 F. De Ville, G. Siles-Brügge: The Transatlantic Trade and Investment Partnership and the Role of Computable General Equilibrium Modelling: An Exercise in „Managing Fictional Expectations“, in: New Political Economy, 20. Jg. (2015), Nr. 5, S. 653-678.
  • 7 Nähere Informationen dazu auf https://de.wikipedia.org/wiki/Micro-USB-Standard.
  • 8 Vgl. Office of Information and Regulatory Affairs: Report to Congress on the Benefits and Costs of Federal Regulations and Unfunded Mandates on State, Local, and Tribal Entities, Washington DC 2010, Executive Office of the President, Tables 1-3 and B-1; OIRA: Draft Report to Congress on the Benefits and Costs of Federal Regulations and Agency Compliance with the Unfunded Mandates Reform Act, Washington DC 2015, Executive Office of the President, 2015, Table 1-3.
  • 9 Vgl. M. J. Bognar: Explaining the diverging regulatory approaches to risk regulation between Canada and the EU. The case of genetically modified food labelling, in: K. Hübner (Hrsg.): Europe, Canada and the Comprehensive Economic and Trade Agreement, London 2011, S. 180-200; vgl. auch S. Jasanoff: The Practices of Objectivity in Regulatory Science, in: C. Camic, N. Gross, M. Lamont (Hrsg.): Social Knowledge in the Making, Chicago 2011, S. 307-337.
  • 10 Vgl. OECD: Recommendations of the Council on Regulatory Policy and Governance, Paris 2012. Vgl. kritisch dazu P. Mumford: Regulatory Coherence: blending trade and regulatory policy, in: Policy Quarterly, 10. Jg. (2014), Nr. 4, S. 3-9.
  • 11 H. P. Stoll, T. P. Holterhus, H. Gött: Die geplante Regulierungszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Kanada sowie den USA nach den Entwürfen von CETA und TTIP, Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Arbeiterkammer Wien, Wien 2015.

Title:TTIP – Problems and Opportunities

Abstract:The Transatlantic Trade and Investment Partnership is the most important trade policy decision that European leaders have faced in many years. The new generation of free trade agreements, including TTIP, aim at deep economic integration. Thus, they are essentially focused upon the removal or alignment of standards, regulations and administrative procedures that impede international trade and investment. Therefore, TTIP goes beyond the dimensions of traditional preferential trade agreements in the sense that it not only concerns tariffs and non­tariff barriers to trade in goods, but it also concerns trade in services and the foreign investment environment. Regulatory cooperation under TTIP might thus well extend into core domains of public policy, including health and food safety or environmental regulation. Regulation, however, confers both benefits and costs to society. A proper assessment of TTIP must therefore also consider the benefits of regulation to society and must embed regulatory cooperation between the EU and US into a firm democratic framework. The potential of such an agreement is substantial, due to improved market access, regulatory cooperation and greater global reach, while the downside risk is limited. While some of the arguments critical of TTIP are justified, others seem rather excessive and seem intent on stirring up unnecessary anxiety among the population. An objective and constructive discussion is crucial to ensure that the needs of the population are heard during the negotiation process and that an agreement capable of achieving majority support can be concluded. The debate over TTIP has to consider not only the economic effects of increased trade but also the legal and political dimensions of the trade agreement.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-016-1952-x

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.