Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Während Europa sich von einer Beinahe-Krise zur nächsten hangelt, hält sich die deutsche Konjunktur relativ gut. Angewiesen ist sie dabei auf den starken Inlandskonsum als wesentliche Stütze. Und der basiert wiederum auf der guten Beschäftigungsentwicklung. Wenn es aber wieder einmal zu einer Rezession kommt, wie sehr kann man sich dann auf den deutschen Arbeitsmarkt verlassen?

Die Große Rezession 2008/2009 hatte der deutsche Arbeitsmarkt bemerkenswert gut überstanden. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mehr als 5% einbrach, nahm die Beschäftigung kaum ab (vgl. Abbildung 1). Starke Reaktionen zeigten sich aber bei der Arbeitszeit pro Kopf und der Arbeitsproduktivität pro Stunde, die beide erheblich zurückgingen. Diese internen Anpassungen nutzten die Firmen also, um ihre Arbeitskräfte über die Rezession hinweg zu halten.

Abbildung 1
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
30835.png

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Krisenresistenz in der Großen Rezession

Die flexible Anpassung der Arbeitszeit in der großen Rezession wurde durch verschiedene Instrumente ermöglicht.1 Große Aufmerksamkeit erhielt in der Diskussion vor allem die Kurzarbeit, auch wenn sie nur für ca. ein Fünftel der gesamten Arbeitszeitreduktion während der Krise stand und auch nicht in größerem Umfang als in früheren Rezessionen eingesetzt wurde.2 Ebenfalls sank die betriebsübliche Wochenarbeitszeit deutlich. Dies konnte über betriebliche Bündnisse und tarifliche Öffnungsklauseln umgesetzt werden. Zudem hatten sich Arbeitszeitkonten stark verbreitet. Waren sie im vorherigen Aufschwung noch gefüllt worden, wurden nun in großem Umfang Stunden abgebucht.3 Ebenso ging die Zahl der Überstunden stark zurück. Schließlich wurde im Gegensatz zu den Stammbelegschaften der Einsatz von Zeitarbeit deutlich reduziert. Diese hatte zuvor ein beträchtliches Niveau erreicht und bot den Betrieben somit zusätzlichen Dispositionsspielraum.

Die aufgezählten Instrumente machten flexible Anpassungen möglich. Wichtig ist dabei offensichtlich auch, dass sich die Firmen tatsächlich dafür entscheiden; schließlich sind beispielsweise mit der Kurzarbeit erhebliche Kosten verbunden, ebenso wie mit der Inkaufnahme stark sinkender Produktivität durch niedrige Auslastung der Arbeitskräfte. Hier waren die Bedingungen aber günstig: Die Große Rezession stellte für Deutschland im Wesentlichen einen exogenen Nachfrageeinbruch dar und weniger eine hausgemachte Strukturkrise. So konnten die Betriebe erwarten, die Krise ohne drastische Personaleinschnitte überstehen zu können. Zudem gab es nach dem starken Aufschwung 2006/2007 große finanzielle und arbeitszeitliche Reserven sowie möglicherweise noch Nachholbedarf bei der Beschäftigungsentwicklung.4

Neben dem Spielraum bei der Arbeitszeit ist auch die entgeltbezogene Flexibilität der Betriebe deutlich gewachsen. Öffnungsklauseln für Löhne und Gehälter sind heute in vielen Tarifverträgen verankert. So können Betriebe in besonders kritischen Situationen meist bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien und des Betriebsrats von Regelungen des Tarifvertrags „nach unten“ abweichen.5

Das bekannte Horten von Arbeitskräften kann die stabile Beschäftigungsentwicklung in der Krise allerdings nicht alleine erklären.6 Entscheidend war auch, dass die Rezession den Arbeitsmarkt inmitten eines starken Aufwärtstrends traf. So stellen Klinger und Weber fest,7 dass zwar die Beschäftigung auf das BIP im Laufe der Krise deutlich schwächer reagiere, was dem Arbeitskräftehorten entspricht. Zugleich wurde aber das Beschäftigungswachstum seit 2007 – auch während der Krise – durch eine BIP-unabhängige Komponente gestützt. Davon profitierte Deutschland noch in den Jahren nach der Krise, während viele andere europäische Länder 2012/2013 eine zweite Rezession erlebten. Substanzielle Arbeitszeitreduktionen 2009 waren dagegen keineswegs ausschließlich ein deutsches Phänomen.

Für die BIP-unabhängige Aufwärtsbewegung der Beschäftigung haben die vorangegangenen Arbeitsmarktreformen eine wichtige Rolle gespielt. So finden Klinger und Weber einen starken Einfluss der gestiegenen Matchingeffizienz, also der verbesserten Fähigkeit des Arbeitsmarkts, Arbeitslose und offene Stellen zusammen zu bringen.8 Weitere treibende Kräfte waren der weitgehend konjunkturunabhängige Beschäftigungstrend im Dienstleistungssektor, die gestiegene Arbeitskräfteknappheit, bei der sich die Betriebe auch bei schwächerer aktueller Auslastung Mitarbeiter sichern und Beschäftigung aufbauen, die stete Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, die langjährige Lohnmoderation9 und in den vergangenen Jahren die starke Zuwanderung, die das Erwerbspersonenpotenzial bis zuletzt erhöhte.

Krisenresistenz in der nächsten Rezession?

Die konjunkturelle Lage ist derzeit in Deutschland relativ günstig, aber auch mit diversen vor allem weltwirtschaftlichen Risiken belastet. Gerade jetzt gilt es zu überlegen, wie man der nächsten Rezession begegnen kann. Wäre eine robuste Arbeitsmarktentwicklung wie 2008/2009 ein zweites Mal denkbar? Wie steht es mit den Instrumenten und Faktoren, welche die Entwicklung damals ermöglicht hatten? Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten, Öffnungsklauseln und Zeitarbeit stünden weiterhin zur Verfügung, um betriebliche Flexibilität zu garantieren. Die Finanzierbarkeit des Kurzarbeitergeldes durch die Arbeitslosenversicherung wäre sicherzustellen, am besten durch den Aufbau einer hinreichenden Rücklage. Die maximale Bezugsdauer würde im Rezessionsfall vermutlich abermals ausgedehnt. Arbeitszeitkonten haben sich noch weiter verbreitet, Zeitarbeit liegt auf ähnlichem Niveau wie vor der Krise. Puffer bei Arbeitszeit und Kapazitätsauslastung sind nicht so umfangreich wie 2007.

Von den Faktoren hinter dem Beschäftigungstrend sind mehrere weiterhin wirksam. Die Matchingeffizienz steigt allerdings nicht mehr. Das Niveau ist deutlich höher als vor zehn Jahren, aber zusätzliche Reformeffekte sind nicht mehr zu erwarten. Auch die Zeit der Lohnmoderation ist zu Ende gegangen. In den letzten Jahren stiegen die Löhne wieder stärker, so dass mit zusätzlichen kosteninduzierten Steigerungen der Arbeitsnachfrage nicht zu rechnen ist (wenn die steigenden Arbeitseinkommen auch eine wichtige Stütze der kräftigen Konsumentwicklung sind). Schließlich ist zu beachten, dass zwar der Aufwärtstrend bei der Beschäftigung anhält, ähnlicher Schwung wie vor der Großen Rezession beim Abbau der Arbeitslosigkeit aber nicht mehr zu beobachten ist.

Inwieweit es sich bei einer nächsten Rezession eher um eine exogene Nachfrage- oder um eine Strukturkrise handeln wird, ist jetzt nicht vorherzusehen. Die Gefahr hausgemachter Krisen kann verringert werden, wenn die Anpassung der Wirtschaft schon in guten Zeiten gefördert wird. Dazu ist eine ausreichende Dynamik z.B. bei Neugründungen und Investitionen erforderlich. Letztere sind auch in anderer Hinsicht entscheidend: Nachholbedarf bei der Beschäftigung kann aktuell nämlich nicht attestiert werden. Vielmehr war die Beschäftigungssteigerung der letzten Jahre deutlich stärker als es der BIP-Entwicklung entsprochen hätte. Eine kräftigere Entwicklung von Realkapital und Produktivität würde daher mittelfristig zur Nachhaltigkeit der Arbeitsmarkterfolge beitragen. Die Bereitschaft, in einer Rezession auf Entlassungen zu verzichten, kann zudem dadurch gestärkt werden, dass Arbeitskräfte schon zuvor gut in Arbeitsmarkt und Betriebe integriert werden. Auch in diesem Sinne spielt die Qualität der Arbeit also eine wichtige Rolle.

Regulierungen und Krisenflexibilität

Die Arbeitsmarktreformen des letzten Jahrzehnts zielten darauf ab, die Möglichkeiten der Betriebe zu erweitern. Zuletzt gingen politische Maßnahmen aber wieder in die andere Richtung. Viel diskutiert wird z.B. die Rente mit 63. Eine Rezession könnte die Bereitschaft der Arbeitgeber schmälern, ihre älteren Beschäftigten zu halten – was bei starker Auslastung der Produktionskapazitäten eher zu erwarten wäre. Die Inanspruchnahme der Rente mit 63 ist allerdings schon jetzt sehr hoch, so dass größere zusätzliche Potenzialentzugseffekte wohl nicht zu erwarten wären. Andere regulierende Maßnahmen wie die Frauenquote in Aufsichtsräten oder Arbeitszeitmodelle im Familienkontext haben mit betrieblicher Flexibilität im Rezessionsfall nichts zu tun. Diese dürfte auch durch die Re-Regulierungen der Zeitarbeit durch Equal-Pay und Höchstüberlassungsdauer nicht eingeschränkt werden; der größte Teil des üblichen Zeitarbeitsgeschäfts ist dadurch nicht betroffen, und in einer Rezession ginge der Einsatz von Zeitarbeitern ja gerade zurück.

Beim Mindestlohn scheinen Effekte auf die Beschäftigung (außer bei Minijobs) bisher weitgehend ausgeblieben zu sein. Während das Ziel in einer Anhebung sehr niedriger Löhne bestand, verringert sich als Nebeneffekt allerdings die betriebliche Flexibilität. Gezielte Lohnsenkungen in Krisensituationen sind im betreffenden Lohnbereich nicht mehr möglich. Die Flexibilität der Lohnsetzung auf betrieblicher Ebene hatte über Jahre deutlich zugenommen und konnte eingesetzt werden, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Beispielsweise stellen Brändle/Heinbach10 fest, dass die Existenz von tariflichen Öffnungsklauseln Entlassungen begrenzt und Beschäftigungswachstum fördert. Auch Dustmann et al.11 betonen die Bedeutung der gewachsenen Flexibilität in den deutschen industriellen Beziehungen.

Nach Berechnungen anhand des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) war 2006 bis 2012 außerhalb der Krise jährlich jeder dritte Arbeitnehmer im Mindestlohnbereich (unter 8,50 Euro pro Stunde) von einem Rückgang des nominalen Stundenlohns betroffen, in der Krise lag der Wert noch höher.12 Substanzielle Anteile ergeben sich auch, wenn alle Arbeitnehmer betrachtet werden. Die Löhne der großen Mehrheit der von Kürzungen betroffenen Arbeitnehmer stiegen im Folgejahr wieder. Auch Ellguth/Kohaut13 finden, dass nur ein geringer Anteil der Betriebe tarifliche Öffnungsklauseln dauerhaft nutzt. Gartner et al.14 zeigen, dass sich die Lohn­entwicklung bei steigender Arbeitslosigkeit gerade dann abschwächt, wenn ein Tarifvertrag existiert. Es handelt sich also nicht um ein Phänomen zurückgehender Tarifbindung. Gerät ein Betrieb in wirtschaftliche Probleme (z.B. durch negative Produktivitätsschocks, Kostenerhöhungen oder Verschlechterung der Auftragskonditionen), können Jobs gefährdet sein, wenn ihre Erträge die Arbeitskosten nicht mehr decken. Mit dem Mindestlohn steigt die Grenze der erforderlichen Produktivität. Damit wird es für mehr Arbeitnehmer wahrscheinlicher, durch auftretende wirtschaftliche Schwierigkeiten in den kritischen Bereich zu fallen. In jedem Fall sollte es Ziel der Arbeitsmarktpolitik sein, die Produktivität der Arbeitnehmer durch Qualifizierung zu stärken und so auch die Beschäftigungsrisiken zu verringern.

Fazit

Insgesamt ist der deutsche Arbeitsmarkt recht gut gerüstet, eine kritische Phase zu überstehen. Die meisten Flexibilitätsinstrumente sind intakt. Zu bedenken ist allerdings, dass die spezifische Ausgangsposition von 2008 nicht wieder gegeben sein wird. Damals geriet Deutschland aus einem außergewöhnlichen Boom in die Rezession, und diese basierte nur auf einem exogenen Nachfrageeinbruch. Zudem hatte mit den Arbeitsmarktreformen vor der Krise ein starker Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt eingesetzt, der heute zumindest bei der Arbeitslosigkeit nicht mehr anhält. Deutschland verfügt also einerseits weiterhin über eine große Reaktionsfähigkeit, aber andererseits kann man nicht darauf vertrauen, dass sich die außergewöhnlichen Grundbedingungen der letzten Krise wiederholen. Der Arbeitsmarkt ist robust, immun aber sicher nicht.

  • 1* Der Autor dankt Thomas Beißinger, Wolfgang Braun, Miriam Dreschel, Hermann Gartner, Sabine Klinger, Joachim Möller, Marion Penninger, Heiko Stüber, Ulrich Walwei und Jürgen Wiemers für Diskussionen und Informationen sowie Franziska Kreß für ausgezeichnete Forschungsunterstützung. Vgl. L. Bellmann, H.-D. Gerner: Betriebliche Bündnisse für Beschäftigung in der Krise 2008/2009 erfolgreich, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 10, S. 706-711, http://www.wirtschaftsdienst.eu/archiv/jahr/2012/10/betriebliche-buendnisse-fuer-beschaeftigung/; J. Möller: The German labor market response in the world recession: de-mystifying a miracle, in: Journal for Labour Markt Research, 42, 2010, S. 325-336; vgl. auch Ergebnisse der IAB-Arbeitszeitrechnung: http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx.
  • 2 S. Fujita, H. Gartner: A closer look at the German labor market ‘miracle’, in: Business review, 4, 2014, S. 16-24.
  • 3 A. Herzog-Stein, I. Zapf: Navigating the great recession: the impact of working-time accounts in Germany, in: ILR Review, 67, 2014, S. 891-925.
  • 4 M Burda, J. Hunt: What Explains Germany’s Labor Market Miracle in the Great Recession? Brookings Papers on Economic Activity, 42, 2011, S. 273-335.
  • 5 Etwa P. Ellguth, S. Kohaut: Öffnungsklauseln: Instrument zur Krisenbewältigung oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit?, in: WSI-Mitteilungen, 67, 2014, S. 439-449.
  • 6 Vgl. auch E. Weber: The Labour Market in Germany: Reforms, Recession and Robustness, De Economist, 2015, im Erscheinen.
  • 7 S. Klinger, E. Weber: GDP-Employment Decoupling and the Productivity Puzzle in Germany, Universität Regensburg, Working Paper, 485, 2015.
  • 8 Etwa R. Fahr, U. Sunde: Did the Hartz Reforms speed-up the matching process? A macro-evaluation using empirical matching functions, in: German Economic Review, 10, 2009, S. 284-316; S. Klinger, E. Weber: Decomposing Beveridge curve dynamics by correlated unobserved components, Universität Regensburg, Working Paper, 480, 2014; M. Stops: Revisiting German labour market reform effects: a panel data analysis for occupational labour markets, IAB-Discussion Paper, 02/2015.
  • 9 Vgl. auch C. Dustmann, B. Fitzenberger, U. Schönberg, A. Spitz-Oener: From sick man of Europe to economic superstar: Germany’s resurgent economy, in: Journal of Economic Perspectives 28, 2014, S. 167-188.
  • 10 T. Brändle, W. D. Heinbach: Opening Clauses in Collective Bargaining Agreements: More Flexibility to Save Jobs?, in: Review of Economics,64, 2013, S. 159-192.
  • 11 C. Dustmann et al., a.a.O.
  • 12 Hierfür wurden die Bruttoverdienste und die vereinbarte Arbeitszeit zuzüglich bezahlter Überstunden der Arbeitnehmer aus dem letzten Monat herangezogen. Die entsprechenden Stundenlöhne wurden zwischen jeweils zwei Jahren verglichen, sofern die Stelle nicht gewechselt wurde.
  • 13 P. Ellguth, S. Kohaut, a.a.O.
  • 14 H. Gartner, T. Schank, C. Schnabel: Wage cyclicality under different regimes of industrial relations, in: Industrial Relations, 52, 2013, S. 516-540.

Title:Is the German Job Market Still Robust Against a Crisis?

Abstract:Germany’s labour market performed remarkably well during the Great Recession. While GDP declined dramatically, employment remained stable. This article discusses whether the prerequisites for such a robust reaction would still be present in a potential new recession. The authors address the flexible instruments that helped establishments adjust by the internal margin, their motivation to actually make use of these instruments, the strong trend in the recent decade which determined labour market development beyond the business cycle, as well as recent labour market regulations.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-015-1865-0