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Die Zeit der rasanten wirtschaftlichen Erholung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise ist vorüber. Seit dem zweiten Quartal 2011 wächst die deutsche Wirtschaft bestenfalls durchschnittlich, sie zeigt gelegentlich sogar eine rezessive Tendenz. Dennoch bewegt sich die Zahl der offenen Stellen immer noch auf einem relativ hohen Niveau. Dieser Beitrag diskutiert, inwiefern dieses Niveau durch konjunkturelle und strukturelle Effekte getrieben wird und warum es trotz konjunktureller Schwäche nicht ungewöhnlich hoch ist.

Konjunkturelle Entwicklung und offene Stellen

Der Personalbedarf der Unternehmen hat sich 2012 leicht verringert, liegt aber weiter auf hohem Niveau. Laut IAB-Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots (IAB-EGS), einer repräsentativen Betriebsbefragung1, gab es im vierten Quartal 2011 nochmals einen kräftigen Anstieg der offenen Stellen auf 1,1 Mio. Im ersten und zweiten Quartal 2012 lag ihre Zahl mit rund 1 Mio. wieder etwas niedriger.2 Die europäische Schuldenkrise machte sich zuletzt in der Struktur der offenen Stellen deutlich bemerkbar: So sank der Arbeitskräftebedarf im zweiten Quartal 2012 in einigen klassischen Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes im Vergleich zum Vorjahr merklich, ebenso wie bei den tendenziell stärker exportorientierten Großbetrieben mit mindestens 500 Beschäftigten. Stabilisiert wurde die Gesamtentwicklung vom Mittelstand sowie von den Konsumgütersektoren und dem Dienstleistungsbereich. Auch die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Stellen zeigen eine Abschwächung: Im gleitenden Jahresschnitt von September 2011 bis August 2012 waren 489 000 Stellen gemeldet.3 Das waren zwar 13% mehr als im Vorjahreszeitraum und 17% mehr als 2007 zum letzten Konjunkturhöhepunkt. Aber seit Februar 2012 ist der Stellenbestand saisonbereinigt rückläufig (vgl. Abbildung 1). Die Entwicklung der offenen Stellen ist somit konjunkturüblich. Eine hohe positive Korrelation mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zeigt sich nur in ausgeprägten Aufschwungphasen. In Phasen mit eher schwachem Wachstum, wie im Schnitt der letzten vier Quartale, ist sie deutlich geringer – auch weil dann das zeitliche Muster zwischen offenen Stellen und BIP instabil ist.

Abbildung 1
Bruttoinlandsprodukt und gemeldete offene Stellen
Klinger Abb-1.ai

Gemeldete Stellen: saisonbereinigte Monatswerte, preisbereinigtes BIP: saisonbereinigte Quartalswerte.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung.

Strukturelle Effekte auf das Niveau des Stellenbestands

Das hohe Niveau an offenen Stellen steht im Einklang mit der Beschäftigung, die trotz der nachlassenden wirtschaftlichen Dynamik weiter wächst. So waren im Sommer 2012 mit rund 29 Mio. knapp 3 Mio. Menschen mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als noch 2006. Mit dem Beschäftigungsplus der letzten Jahre, das auf ein Zusammenwirken konjunktureller und struktureller Ursachen zurückzuführen ist,4 geht niveaubedingt ein Anstieg der offenen Stellen einher. Auffälliger erscheint der hohe Stellenbestand im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit, abgebildet durch die Beveridge-Kurve (vgl. Abbildung 2). Zwischen Ende 2006 und Ende 2008 verschob sich die Kurve nach innen, weil die durch die Hartz-Reformen geänderten Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt das Zueinanderkommen von offenen Stellen und Arbeitslosen erleichtert haben und Arbeitslosigkeit kräftig abgebaut wurde. Die für die Verschiebung verantwortlichen Struktureffekte sind Ende 2008 ausgeklungen. Als die Wirtschaftskrise den Arbeitsmarkt traf, sank die Zahl der offenen Stellen und die Arbeitslosigkeit stieg – aber keineswegs dem enormen BIP-Einbruch entsprechend. Zwar bewegten sich nun Stellen und Arbeitslosigkeit entlang der Beveridge-Kurve, doch die schwache Reaktion lässt auf weitere Struktureffekte schließen. Diese äußerten sich im umfangreichen Halten der Arbeitskräfte und relativ stabiler Beschäftigung. Es wurde befürchtet, dass die Unternehmen in der anschließenden Erholung kaum neues Personal einstellen würden und entstandene Arbeitslosigkeit sich verfestigen, die Beveridge-Kurve sich mithin nach rechts verschieben würde. Dies trat nicht ein. Der Arbeitsmarkt bewegte sich auf der Kurve nach oben, und sogar über die Phase der kräftigen wirtschaftlichen Erholung hinaus verlängerte sich der Ast der Beveridge-Kurve deutlich.

Abbildung 2
Beveridge-Kurve
Klinger Abb-2.ai

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Darstellung.

Ursachen für die Entwicklung

Aktuell kommen rein rechnerisch auf eine offene Stelle so wenige Arbeitslose wie noch nie zuvor in den vergangenen 20 Jahren. Dieser kräftige Anstieg der Arbeitsmarktanspannung weist darauf hin, dass es nicht mehr in dem Maße wie in den Vorjahren gelingt, eine hohe Zahl von offenen Stellen als Chance zum Abbau von Arbeitslosigkeit umzusetzen. Warum ist das so? Die Antwort geht in zwei Richtungen: Zum einen hat sich die Struktur der Arbeitsnachfrage verändert, sodass der Stellenbestand den tatsächlichen Anstieg der Nachfrage – gemessen in Arbeitsstunden oder Arbeitsleistung – überzeichnet. Zum anderen deutet die Vielzahl offener Stellen bei immerhin noch knapp 3 Mio. Arbeitslosen auf Probleme bei Stellenbesetzungen hin, die die Personalsuche verlängern.

Argument 1: Die Struktur der Arbeitsnachfrage erhöht die Zahl offener Stellen. Der Arbeitsmarkt ist in den vergangenen Jahren flexibler und dynamischer geworden. Dies führt unter anderem zu einem Anstieg des Stellenbestands, dem nicht unbedingt eine gesteigerte, sondern eine anders strukturierte, stärker auf Flexibilität ausgerichtete Nachfrage zugrunde liegt. Einige Indikatoren aus der IAB-EGS zum Verlauf von Neueinstellungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weisen auf strukturelle Veränderungen hin, die Einfluss auf das Gesamtniveau an offenen Stellen haben dürften. So zeigt sich für den Zeitraum 2000 bis 2011, dass der Anteil abgeschlossener Teilzeit-Verträge zuletzt mit 28% den höchsten Wert im Beobachtungszeitraum erreichte (vgl. Tabelle 1). Auch der Anteil befristeter Verträge ist tendenziell gestiegen. Er lag 2010 und 2011 jeweils bei 47% und damit etwas niedriger als im Krisenjahr 2009, aber höher als in allen Jahren zuvor.

Tabelle 1
Indikatoren, die auf Niveaueffekte beim gesamtwirtschaftlichen Stellenangebot schließen lassen
  2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Anteil der Neueinstellungen in %                        
Teilzeit-Arbeitsverhältnis (unter 36 Stunden) 23 21 21 19 29 23 27 26 25 27 26 28
befristetes Arbeitsverhältnis 33 29 40 42 47 40 44 41 43 49 47 47
aus Sicht der Betriebe und Verwaltungen schwieriger Verlauf 27 20 28 18 18 20 25 28 28 26 28 32
Dauer zwischen Beginn der Suche und der Entscheidung, in Tagen 49 42 48 42 45 43 49 48 48 46 46 51

Quelle: IAB-Erhebungen des Gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots 2000-2011.

Diese Entwicklungen sind Ausdruck neuer Arbeitsstrukturen, etwa zunehmender Projektarbeit, aber auch von betrieblicher Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung, verbunden mit dem Wunsch, Flexibilität beim Personaleinsatz zu gewinnen. Sie bedeuten eine Zunahme der Fluktuation in einigen Segmenten des Arbeitsmarktes, was in gewissem Umfang, der allerdings nicht quantifizierbar ist, zu einem höheren Bestand an offenen Stellen führt.

Die mit der Flexibilisierung verbundenen Änderungen bei der Personalsuche führen auch bei den gemeldeten offenen Stellen zu Niveaueffekten. Der rasante Aufwärtstrend bei der Zeitarbeit ist ein Beispiel dafür: In der Arbeitnehmerüberlassung arbeiten knapp 3% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, aber 35% aller gemeldeten offenen Stellen konzentrieren sich dort. Dabei steht die hohe Zahl gemeldeter Stellen aus der Zeitarbeit nicht nur für eine rege Nachfrage in diesem Segment. Höhere Flexibilität kann auch bedeuten, dass sich ein Unternehmen – um eine Stelle rasch zu besetzen – gleichzeitig an mehrere Zeitarbeitsfirmen wendet. Meldet jede Firma dieses Stellenangebot an die BA, überzeichnet die Zahl der gemeldeten Stellen die tatsächliche Nachfrage. Darüber hinaus lassen sich bei den gemeldeten Stellen Niveaueffekte aufgrund einer Verstärkung des Arbeitgeberservice der BA vermuten. Die Bedeutung der BA bei der Personalsuche hat zugenommen. Laut IAB-EGS wurde sie 2011 und 2010 jeweils bei 43 von 100 letztlich erfolgreichen Neueinstellungen in die Personalsuche eingeschaltet. In den vorangegangenen Jahren hatten die Anteile deutlich unter 40% gelegen. Somi liegt der gemeldete Stellenbestand nicht nur deshalb so hoch, weil die Betriebe viel Personalbedarf haben, sondern auch, weil sie diese Nachfrage vermehrt über die BA artikulieren.

Argument 2: Die Stellenbesetzung dauert länger. Die Entwicklung bis zu der hohen Position auf der Beveridge-Kurve impliziert, dass bei gestiegenem Stellenbestand Arbeitslosigkeit schwächer abgebaut wird als zwischen 2006 und Ende 2008, als die Linksverschiebung der Kurve eine Verringerung des Mismatch, d.h. eine verbesserte Passgenauigkeit von Stellen- und Bewerberprofil (Qualifikation, Beruf, Region) bzw. -ansprüchen (Lohn, Arbeitsbedingungen) angezeigt hatte. Warum sind nun bei so hohem Stellenbestand 3 Mio. Menschen arbeitslos? Abgesehen davon, dass die Arbeitslosigkeit statistisch weniger entlastet wird, weil weniger arbeitsmarktpolitische Maßnahmen durchgeführt werden, ist ein großer Teil der Betroffenen friktionell bedingt arbeitslos – also deshalb, weil in einer dynamischen Volkswirtschaft ständig Arbeitsplätze wegfallen und an anderer Stelle neue entstehen. Arbeitsuche und erfolgreiche Bewerbungen nehmen Zeit in Anspruch, in der Stellen offen und Personen arbeitslos sind.

Ein weiterer und wieder größerer Teil hat aber keine Arbeit, weil er nicht zu den Anforderungen des Marktes passt. Bei insgesamt schwach sinkender Arbeitslosigkeit nimmt der Anteil der Langzeitarbeitslosen nach jahrelangem deutlichen Rückgang tendenziell wieder zu und liegt aktuell bei 35%. Diese Personen haben oft Vermittlungshemmnisse, die über fehlende oder veraltete Qualifikation hinausgehen, etwa gesundheitliche Einschränkungen oder Betreuungsverpflichtungen.

Wenn es insgesamt weniger und darunter einen wachsenden Anteil nicht vermittlungsfähiger Arbeitsloser gibt, bleiben offene Stellen länger offen. Gleiches gilt, wenn allgemein weniger geeignete Bewerber – arbeitslos oder nicht – für ein Stellenangebot zur Verfügung stehen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Stellenbesetzungen nicht problemlos verlaufen und länger dauern, was den Bestand an offenen Stellen erhöht. Den Ergebnissen der IAB-EGS zufolge lag 2011 der Anteil der Stellenbesetzungen, die aus Sicht der Betriebe schwierig verliefen, bei insgesamt 32% und erreichte damit einen Höchstwert zwischen 2000 und 2011 (vgl. Tabelle 1). Auch die Dauer der Personalsuche hat 2011 mit durchschnittlich 51 Tagen, die zwischen dem Beginn der Suche und der Entscheidung für einen Bewerber vergingen, einen Höchstwert erreicht. Bei konstanten Zugängen erhöht sich die Zahl offener Stellen, weil sie länger im Bestand verbleiben. Bei den gemeldeten Stellen zeigen sich ebenfalls Hinweise auf solche Niveaueffekte: Die durchschnittliche abgeschlossene Vakanzzeit, definiert als Zeitraum vom gewünschten Stellenbesetzungstermin bis zur tatsächlichen Abmeldung einer Stelle bei der Arbeitsvermittlung, lag im Zeitraum September 2011 bis August 2012 bei 73 Tagen und damit um 14 Tage höher als im Vorjahreszeitraum.

Fazit

An der jüngsten Entwicklung des Stellenangebots wird deutlich, wie sich strukturelle Trends und konjunkturelle Bewegungen am Arbeitsmarkt überlagern. So zeigt sich eine zur Konjunkturabschwächung passende Entwicklung von Umfang und Struktur der offenen Stellen. Eine Reihe von Indikatoren spricht aber dafür, dass es im Trend mehr offene Stellen gibt, weil der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist und die Personalsuche länger dauert. Damit einher geht eine (dauerhafte) Erhöhung der Arbeitsmarktanspannung, auf die Unternehmen und Politik reagieren sollten. Primär müssen sich die Arbeitgeber an diese Marktbeschränkung anpassen, etwa durch eine angemessene Gestaltung von Löhnen und Arbeitsbedingungen. Dies zielt auch auf eine Verstetigung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitszeitregelungen, die eine Erwerbsaufnahme oder -ausweitung attraktiver macht, aber im Widerspruch zum Flexibilitätsbedürfnis der Betriebe stehen kann. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, a) dass die betriebsspezifischen Kosten geringerer Flexibilität einerseits bzw. fehlender Fachkräfte andererseits unterschiedlich hoch ausfallen, b) dass Arbeitsmarktsegmentierung akzeptabel ist, wenn notwendigerweise sehr flexible, mitunter als prekär bezeichnete Segmente durch überbetriebliche Aufwärtsmobilität zu Durchgangsstationen werden, c) dass es kein perfektes Marktergebnis, sondern einen Anpassungsprozess gibt, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegebenenfalls neue Formen der Flexibilisierung finden müssen.

Mindestens zum Teil werden sich durch diese Entwicklungen die oben diskutierten Niveaueffekte auf das Stellenangebot wieder verringern. Weniger Stellen gehen dann aber wieder mit einem besseren Ausgleich zwischen beiden Marktseiten einher, wovon Unternehmen wie Arbeitsuchende profitieren. Die Politik soll diese Prozesse institutionell flankieren und durch verstärkte Bildungsinvestitionen und gezielte Arbeitsvermittlung unterstützen.

  • 1 Zur IAB-EGS vgl. A. Kettner, M. Heckmann, M. Rebien, S. Pausch, J. Szameitat: Die IAB-Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots. Inhalte, Daten und Methoden, in: Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung, 44. Jg. (2011), H. 3, S. 245-260.
  • 2 Vgl. IAB-Presseinformation vom 16.8.2012, http://www.iab.de.
  • 3 Gemeldete Arbeitsstellen sind alle ungeförderten Stellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit und den gemeinsamen Einrichtungen gemeldet wurden und eine vorgesehene Beschäftigungsdauer von mehr als sieben Kalendertagen haben. Dazu gehören Stellen für sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie sonstige Stellen (z.B. Praktika- und Traineestellen).
  • 4 Zu den Wirkungen der Hartz-Reformen und der Lohnmoderation siehe z.B. H. Gartner, S. Klinger: Verbesserte Institutionen für den Arbeitsmarkt in der Wirtschaftskrise, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 11, S. 728-734.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1443-7