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Die Verhandlungen Griechenlands über die Verlängerung des zweiten Hilfspakets vor dem 1. Juli 2015 wurden sehr hart geführt. Die Autoren betrachten sie unter spieltheoretischen Gesichtspunkten und kommen zu dem Ergebnis, dass es hier um ein sequenzielles Spiel mit unterschiedlichen Präferenzordnungen der Akteure – griechische Regierung, EU-Kommission, IWF und EZB – ging. Nach der Spielkonstruktion wäre durchaus zu erwarten gewesen, dass das Ergebnis „Geld ohne glaubwürdige Spar- und Reformzusagen“ gelautet hätte. Erst die in letzter Minute geänderte Präferenzstruktur der Gläubiger-Institutionen führte dann aber zum Scheitern der Verhandlungen.

Die Staatsschuldenkrise in Griechenland dominiert nach wie vor die politischen und ökonomischen Debatten in Europa. Aktuell geht es dabei um die Ausgestaltung und Umsetzung eines dritten Hilfspakets für Griechenland. Dessen vorrangige Ziele sind die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel zur Bedienung der anfallenden Zahlungsverpflichtungen des griechischen Staates bis 2018 sowie die Restrukturierung und Rekapitalisierung der griechischen Geschäftsbanken. Dieses Hilfspaket soll ein Volumen von bis zu 86 Mrd. Euro umfassen und aus den Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) finanziert werden.

Notwendig wurden diese Maßnahmen jedoch erst durch das Auslaufen des zweiten Griechenland-Hilfsprogramms Ende Juni 2015. Vorausgegangen waren fünfmonatige Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung unter Ministerpräsident Tsipras und den Gläubigerinstitutionen (GI), bestehend aus der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Hierbei ging es im Wesentlichen um die Ausgestaltung der von Griechenland vorab zu erfüllenden Spar- und Reformauflagen, um die verbliebenen 7,2 Mrd. Euro aus dem zweiten Rettungspaket zu erhalten. Am Ende dieses Prozesses erklärten sich die GI sogar bereit, das zu dieser Zeit bereits zweimal gestreckte aktuelle Hilfsprogramm um weitere fünf Monate bis Ende November 2015 zu verlängern. Damit verbunden wären nochmals aufgestockte finanzielle Hilfen in Höhe von 15,5 Mrd. Euro gewesen. Doch die griechische Regierung wies dieses „äußerst großzügige Angebot“ zurück, weil sie nicht bereit war, den damit verbundenen (Vorab-)Auflagen zuzustimmen. Stattdessen kündigte sie ein Referendum für Anfang Juli – also nach Auslaufen des zu diesem Zeitpunkt aktuellen Rettungspakets – an, in dem über die Auflagen der GI abgestimmt werden sollte. Dieses Verhalten der griechischen Regierung wurde jedoch von Seiten der GI als mangelnde Kooperationsbereitschaft und damit als Abbruch der laufenden Verhandlungen interpretiert, was letztlich zu deren endgültigem Scheitern führte.

Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Überlegungen veranschaulichen, dass das Scheitern der Verhandlungen um das zweite Griechenland-Rettungspaket der Logik der Anreizkonstellationen geschuldet war und durch ein einfaches „Spiel“ rekonstruiert werden kann. Der Rückgriff auf die Spieltheorie wurde schon häufiger vorgenommen, wohl auch deshalb, weil der zu diesem Zeitpunkt verantwortliche aber mittlerweile zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ein Lehrbuch1 hierüber verfasst hat und folglich spekuliert wurde, er würde diese Erkenntnisse bei den Verhandlungen mit den GI in die Tat umsetzen. Im weiteren Verlauf des Beitrags wird daher zunächst auf verschiedene Spielstrukturen eingegangen, die immer wieder in der öffentlichen Diskussion angesprochen wurden, um dann im Rahmen eines konkreten Modells das Ergebnis der zurückliegenden Verhandlungen zu analysieren.

Alternative spieltheoretische Ansätze

Das Prinzip einer spieltheoretischen Analyse besteht darin, das Verhalten von mindestens zwei in gegenseitiger Interaktion stehenden Akteuren (den Spielern) unter Berücksichtigung einer vorgegebenen Handlungsabfolge (Aktionsraum und Spielstruktur) zu modellieren und hieraus ein rationales Entscheidungsmuster (Strategiekombination) vor dem Hintergrund der jeweiligen Präferenzen der Spieler über die möglichen Aktionskombinationen abzuleiten. Die Verhandlungen über die Verlängerung des zweiten Hilfspakets für Griechenland können daher offenkundig als Spiel zwischen der griechischen Regierung auf der einen Seite und den GI auf der anderen Seite angesehen werden. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Spielstruktur am besten geeignet ist, die tatsächlichen politischen Abläufe zu modellieren.

Kooperative versus nicht kooperative Spiele

Die Spieltheorie unterscheidet in diesem Zusammenhang zunächst danach, ob die Interaktion durch ein kooperatives oder ein nicht kooperatives Spiel beschrieben wird. Stark vereinfacht ausgedrückt besteht bei einem kooperativen Spiel das Problem der Interaktion darin, über eine koordinierte Abfolge möglicher Handlungsalternativen der jeweiligen Spieler eine Strategiekombination zu finden, die einen höheren Nutzenwert für alle Spieler generiert als alle möglichen Alternativen durch nicht koordiniertes, individuell rationales Verhalten.2 Auf den ersten Blick scheint eine derartige Modellierung für politische Verhandlungen – bei denen nicht zuletzt auch die Stabilität der Währungsunion und des europäischen Einigungsprozesses tangiert werden und somit für beide Spieler ein immenser ökonomischer und auch politischer Nutzenverlust im Falle einer Konfrontationslösung anfallen könnten – am ehesten geeignet zu sein, um die Interaktionen im Zusammenhang mit dem Scheitern des Griechenland-Hilfspakets zu charakterisieren.3

Allerdings vernachlässigt diese Sichtweise, dass es sich bei den Spielern eben nicht um gesamtwohlfahrtsmaximierende Agenten der EU-Bevölkerung im Sinne eines wohlwollenden Diktators handelt, sondern um Politiker, die ihre eigenen – primär auf die nationalstaatliche Ebene gerichteten – Ziele (wie etwa die Wiederwahl) verfolgen. Grundvoraussetzung für die Ableitung einer kooperativen Strategielösung ist aber unter anderem, dass der Nutzen aus einer solchen Lösung zwischen den Spielern transferiert werden kann, um eine Auszahlungsstruktur zu generieren, die den Nutzen aus allen möglichen nicht koordinierten Strategiekombinationen übersteigt. Da dies aber gerade im Hinblick auf die Zustimmung der Wähler in den einzelnen Mitgliedsländern der Währungsunion nicht plausibel erscheint, entspricht die Interaktionsstruktur nicht den Anforderungen an ein kooperatives Spiel. Demzufolge lässt sich die Interaktion zwischen Griechenland und den GI tatsächlich nur durch ein nicht kooperatives Spiel modellieren.

Pokerspiel

Betrachtet man also die Interaktionen Griechenlands mit den GI als nicht kooperatives Spiel, ist weiter zu prüfen, ob die Informationsstruktur des Spiels deterministisch ist oder aber Unsicherheiten bezüglich der möglichen Spielzustände, z.B. durch die Existenz privater Informationen mindestens eines Spielers, vorliegen. Ist Letzteres der Fall, spricht man auch von einem bayesianischen Spiel. Ein Beispiel hierfür ist das Kartenspiel Poker.4

In einer sehr einfachen Version dieses Spiels mit nur zwei Spielern müssen beide Akteure zu Beginn einen Grundeinsatz leisten und bekommen dann ihre Spielkarten zugeteilt, die nur sie selbst beobachten können. Anschließend kann jeder Spieler entweder setzen, also den Einsatz erhöhen, oder passen. Passt ein Spieler, gewinnt sein Gegner den Grundeinsatz. Setzt Spieler 1, kann Spieler 2 entweder ebenfalls setzen oder passen. Passt Spieler 2, dann gewinnt Spieler 1 den Grundeinsatz des Gegners. Setzen hingegen beide, dann entscheidet der höhere Kartenwert, wer den gesamten Betrag gewinnt – bei Gleichstand wird er geteilt. Aufgrund der Unsicherheit über den wahren Zustand des Spiels (nämlich die tatsächliche Verteilung der Karten), besitzen die Spieler jedoch die Möglichkeit, eine Bluff-Strategie anzuwenden. Diese bezeichnet eine Situation, in der ein Spieler trotz schlechter Karten setzt, in der Hoffnung, dass der Gegner daraufhin passt und er selbst dessen Grundeinsatz gewinnt. Daher ist bluffen im Rahmen einer optimalen Pokerstrategie stets mit einer positiven Wahrscheinlichkeit5 belegt und damit Ausdruck eines rationalen Verhaltens beim Pokerspiel.

Im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise wurde immer auch auf diese Spielvariante abgehoben, wobei vor allem der griechischen Seite unterstellt wurde, sie verfolge eine Bluff-Strategie. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Verhandlungen über das Hilfspaket nicht mit den Informationsstrukturen eines bayesianischen Spiels vereinbar sind. Im Gegensatz zum Poker sind die Zustände für die Entscheidungen beider Spieler hier vollkommen transparent und auch die möglichen Konsequenzen grundsätzlich als allen bekannt anzusehen, so dass eine Bluff-Strategie – wie oben gezeigt – keinen Sinn ergibt. Die Verhandlungen über das Griechenland-Rettungspaket lassen sich demnach als ein nicht kooperatives Spiel mit vollständiger Information für beide Akteure charakterisieren.

Feiglingsspiel

Obwohl sich angesichts der Tatsache, dass es sich um die Verlängerung eines laufenden Hilfspakets handelte, argumentieren ließe, dass die aktuelle Verhandlungsrunde als ein Teilspiel eines bereits mehrfach wiederholten Spielablaufs angesehen werden könnte, handelt es sich tatsächlich um eine einmalige Situation, die spieltheoretisch in Form eines Einmalspiels analysiert werden kann. Als Grund lässt sich in diesem Zusammenhang die Tatsache anführen, dass die griechische Seite seit Januar durch eine neue Regierung mit neuen (Verhandlungs-)Präferenzen vertreten wird. Aus spieltheoretischer Sicht stellt der Regierungswechsel eine neue – von den vorangegangenen Verhandlungsrunden unabhängige – Interaktion dar, so dass deren Analyse auch unabhängig von den anderen Verhandlungsrunden betrachtet werden sollte. Ob weitere Verhandlungen folgen werden, ist für die hier durchgeführte Analyse nicht relevant und bleibt daher (zunächst) unberücksichtigt.

Ein in der Spieltheorie sehr bekanntes Einmalspiel, das sogenannte Feiglingsspiel, wurde ebenfalls mehrfach von Beobachtern des Verhandlungsprozesses herangezogen, um das Verhalten der beiden Akteure (und vor allem Griechenlands) zu charakterisieren. Die Normalform dieses Spiels ist in Abbildung 1 dargestellt. Assoziiert wird dieses Spiel häufig mit der Situation zweier frontal aufeinander zufahrender Autos. Beide Fahrer haben dabei die Möglichkeit, entweder weiterzufahren oder auszuweichen. Weicht ein Fahrer aus, dann verliert er an Reputation (Auszahlung -1), während der andere Fahrer diese gewinnt (Auszahlung +1). Weichen beide aus, hat keiner einen Schaden oder einen positiven Nutzen zu verzeichnen (Auszahlung jeweils 0). Fahren jedoch beide weiter, kommt es zum Zusammenstoß mit katastrophalen Folgen für beide Akteure (Auszahlung jeweils -5).6 Das Feiglingsspiel beschreibt daher formal ein symmetrisches, simultanes 2x2-Spiel (zwei Spieler mit zwei identischen Aktionsmöglichkeiten „ausweichen“ und „weiterfahren“) mit perfekter Information.7

Abbildung 1
Feiglingsspiel in Normalform
31296.png

Quelle: eigene Darstellung.

Aus spieltheoretischer Sicht ist dieses Spiel interessant, da hier insgesamt drei Nash-Gleichgewichte existieren. Unter einem Nash-Gleichgewicht versteht man dabei eine Spielsituation, in der kein Spieler durch eine einseitige Änderung seiner Entscheidung einen Vorteil erzielen kann und die gewählte Handlungsalternative somit die beste Antwort auf die gewählte Handlungsalternative des anderen Spielers darstellt. Konkret sind dies die beiden reinen Strategien („weiterfahren“, „ausweichen“) und („ausweichen“, „weiterfahren“), sowie eine gemischte Strategie, bei der beide Spieler mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit p>0 „weiterfahren“ und mit der Gegenwahrscheinlichkeit „ausweichen“. Das Problem hierbei ist, dass sich ex ante zwischen diesen Varianten keine eindeutige Strategiekombination selektieren lässt, also spieltheoretisch keine Vorhersage möglich ist, wie die Situation tatsächlich ausgeht. Sowohl die Spielabfolge als auch die unterstellte Auszahlungsstruktur passen jedoch nicht zu den Realitäten der aktuellen Verhandlungssituation. Zum einen sind die Verhandlungen nicht, wie im Spiel unterstellt, durch simultane Aktionen gekennzeichnet, sondern folgen prinzipiell einer sequenziellen Struktur – d.h. beide Akteure handeln nacheinander. Dadurch würde jedoch die beschriebene Problematik des Feiglingsspiels gar nicht erst zustande kommen. Zum anderen sind weder die Aktionsräume der beiden Spieler identisch, noch kann von einer symmetrischen Auszahlungsstruktur ausgegangen werden.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Spielstruktur der zurückliegenden Verhandlungen über das zweite Griechenland-Rettungspaket zwischen der griechischen Regierung und den GI zwar als nicht kooperatives Einmalspiel betrachtet werden kann, jedoch weder einen symmetrischen Aktionsraum sowie eine identische Auszahlungsstruktur aufweist, noch einem bayesianischen Spiel entspricht. Aus spieltheoretischer Sicht kann die Interaktion demnach – entgegen einer durchaus auch von manchen Ökonomen geteilten Sichtweise – weder als Pokerspiel, noch als Variante des Feiglingsspiels dargestellt werden. Im Folgenden soll daher eine Spielstruktur angenommen werden, die die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Interaktionen besser widerspiegelt.

Ein sequenzieller Ansatz

Die Basis des hier gewählten Ansatzes bildet eine sequenzielle Spielstruktur mit Griechenland auf der einen und den Vertretern der GI auf der anderen Seite. Es wird ferner davon ausgegangen, dass beide Seiten vollständig über die Spielstruktur in Hinblick auf die jeweiligen Handlungsalternativen (Aktionsraum) sowie die Auszahlungspräferenzen informiert sind. Die Handlungsalternativen der beiden Spieler sehen dabei wie folgt aus:

Griechenland kann sich entweder

  • kooperativ oder
  • nicht kooperativ

verhalten.

Kooperativ bedeutet, dass man die Vorschläge der GI bezüglich der Reformen mit Blick auf eine nachhaltige Schuldentragfähigkeit des griechischen Staatshaushalts akzeptiert und umsetzt. Nicht kooperativ bedeutet hingegen, dass man die Auflagen der GI nicht akzeptiert und stattdessen möglicherweise versucht, davon abweichende Vorstellungen – insbesondere die Gewährung eines Schuldenschnitts – durchzusetzen.

Die Vertreter der GI können sich hingegen zwischen

  • einer Auszahlung von Hilfskrediten („Hilfe“) oder
  • der Verweigerung der Auszahlung („keine Hilfe“)

entscheiden.

Im Rahmen der sequenziellen Abfolge der Entscheidungen wird Griechenland als Akteur auf der ersten Spielstufe angesehen. Dieses Vorgehen erscheint vor dem Hintergrund der zurückliegenden Verhandlungen sinnvoll, da die konkrete Umsetzung der Reformvorschläge durch eine Verabschiedung der entsprechenden Gesetze im griechischen Parlament den Abstimmungen der diversen nationalen Parlamente in der Währungsunion über die Verlängerung beziehungsweise Auszahlung der letzten Rate des zweiten Hilfspakets zeitlich hätte vorausgehen müssen.

Entscheidend für die spieltheoretische Analyse des Problems ist weiterhin die Auszahlungsstruktur für die möglichen Strategiekombinationen. Hierbei sollen in Anlehnung an Hirshleifer8 zur Vereinfachung die Auszahlungen durch einen ordinalen Nutzenwert wiedergegeben werden, der sich an den (offenbarten) Präferenzen der beiden Spieler orientiert. Dabei gibt der Wert 4 die höchste Präferenz (beste Wahl) an, während der Wert 1 die niedrigste Präferenz (schlechteste Wahl) ausdrückt. Die Präferenzen basieren wiederum auf Kosten- und Nutzeneinschätzungen, die im Folgenden den beiden Spielern zugeordnet werden sollen.

Das Ausgangsszenario

Für die griechische Regierung unter Ministerpräsident Tsipras wird zunächst folgende Präferenzstruktur angenommen:

  • Griechenland kooperiert nicht und es werden Hilfskredite ausgezahlt (4),
  • Griechenland kooperiert nicht und es werden keine Hilfskredite ausgezahlt (3),
  • Griechenland kooperiert und es werden Hilfskredite ausgezahlt (2),
  • Griechenland kooperiert und es werden keine Hilfskredite ausgezahlt (1).

Diese Präferenzstruktur geht davon aus, dass die aktuelle griechische Regierung in keiner Weise an einer Kooperation mit den Geldgebern interessiert ist. Vielmehr strebt sie die Auszahlung der Hilfskredite bei minimalen Gegenleistungen und möglicher Durchsetzung eigener Vorstellungen an. Gleichzeitig nimmt sie die staatliche Insolvenz und den möglichen Grexit billigend in Kauf – versucht diesen „worst case“ aber nach Möglichkeit den „unkooperativen“ Geldgebern in die Schuhe zu schieben. Diese Präferenzstruktur wurde von Seiten der griechischen Regierung im Rahmen der zurückliegenden Verhandlungen deutlich offenbart. Dafür spricht insbesondere auch, dass die griechische Regierung ein Ultimatum nach dem anderen verstreichen ließ, um die Verhandlungspartner und die nationalen Parlamente unter maximalen (zeitlichen) Druck zu setzen. Selbst das am 26. Juni 2015 von den Institutionen abschließend vorgelegte Angebot wurde von griechischer Seite als nicht akzeptabel zurückgewiesen und im Gegenzug kurzfristig ein Referendum beschlossen, um das Drohpotenzial gegenüber den GI noch einmal zu erhöhen.

Im Gegensatz dazu haben die GI in diesem Ausgangsszenario eine eindeutige Präferenz für den Erhalt der Währungsunion in der gegenwärtigen Zusammensetzung, was sich in der folgenden Präferenzordnung ausdrückt:

  • Die GI zahlen Hilfskredite aus, wenn Griechenland kooperiert (4),
  • die GI zahlen Hilfskredite aus, wenn Griechenland nicht kooperiert (3),
  • die GI zahlen keine Hilfskredite aus, wenn Griechenland nicht kooperiert (2),
  • die GI zahlen keine Hilfskredite aus, wenn Griechenland kooperiert (1).

Für eine solche Präferenzstruktur sprechen die Aussagen und Handlungen der entsprechenden Repräsentanten der GI. Dabei haben sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker immer wieder betont, dass Griechenland im Euro gehalten werden soll, beziehungsweise, dass es einen Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion (EWU) nicht geben werde. Selbst Mario Draghi, der Präsident der „unabhängigen“ EZB, bekundete, dass „der EZB-Rat will, dass Griechenland im Euro bleibt.“ In diese Richtung weist auch die Tatsache, dass die zurückliegenden Verhandlungen zunehmend von der „Expertenebene“ der Finanzminister auf die politische Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben und damit zur „Chefsache“ gemacht wurden. Weiterhin stellte man zunehmend die geopolitische Bedeutung Griechenlands heraus. Über Wochen folgte einem „letzten Angebot“ das nächste – in den Anforderungen weiter reduzierte – „allerletzte Angebot“. Unter diesen Umständen gaben die GI im Umkehrschluss aber jedes glaubwürdige Drohpotenzial gegenüber Griechenland aus der Hand.

Hinter diesen Aussagen und Präferenzen verbergen sich wiederum bestimmte Vorstellungen bezüglich der Kosten und Nutzen, die mit den verschiedenen Alternativen verbunden sind. So könnte man die Präferenz der GI, notfalls auch bedingungslos zu zahlen, als die Vorstellung interpretieren, dass mit einem Grexit hohe ökonomische, wie auch (geo-)politische Kosten für die anderen Mitgliedsländer der Währungsunion verbunden sind. Ebenso könnte man diese Präferenzstruktur aber auch als ein Bestreben der politisch Handelnden interpretieren, die Realisation von Kosten der Rettungspolitik möglichst weit in die Zukunft zu verlagern.

Die extensive Form des oben definierten sequenziellen Spiels ist in Abbildung 2 dargestellt. Die Lösung dieses Spiels kann dabei über das Konzept der Rückwärtsinduktion gefunden werden. Hierzu müssen zunächst auf der zweiten Spielstufe die GI in beiden Teilspielen ihre optimale Strategie wählen. Aufgrund der Präferenzordnung in der oberen Auszahlungs-Zeile ergibt sich dabei in beiden Teilspielen als dominante Strategie – die durch einen Unterstrich gekennzeichnet ist – die Auszahlung von Hilfskrediten („Hilfe“), ohne dass Griechenland kooperiert. Ebenso besitzt auch Griechenland auf der ersten Spielstufe gemäß der angenommenen Präferenzordnung eine dominante Strategie, nämlich „nicht kooperieren“. Demzufolge kommt es zu dem Ergebnis des Spiels als Strategiekombination aus „nicht kooperieren“ und „Hilfe“. Es ist als umrandetes Auszahlungsprofil gekennzeichnet und bildet ein teilspielperfektes Nash-Gleichgewicht. Aufgrund der Präferenzstruktur lässt sich dieses Verhalten jedoch nicht nur als teilspielperfektes Gleichgewicht in dieser Sequenzabfolge des Spiels ableiten, sondern würde auch bei einer Veränderung der Spielabfolge (simultane Entscheidungen oder GI als Akteur auf der ersten Stufe) die einzig rationale Interaktionsstrategie darstellen. Der Grund hierfür ist, dass beide Spieler eine Handlungsalternative („kooperieren“ beziehungsweise „keine Hilfe“) als strikt dominierte Strategien aus Ihren Handlungsalternativen eliminieren können.

Abbildung 2
Entscheidungsbaum 1
31401.png

Quelle: eigene Darstellung.

Für diesen ersten Fall kommt es folglich zu dem Ergebnis, dass Griechenland nicht kooperieren wird, die GI aber gleichwohl entsprechende Hilfszahlungen bereitstellen werden. Lange Zeit sah es so aus, als wenn diese Lösung auch wirklich zustande kommen würde. Der Verhandlungsprozess war nicht dadurch gekennzeichnet, dass die Akteure aufeinander zugegangen sind, sondern dadurch, dass sich die Institutionen (einseitig) immer weiter auf Griechenland und dessen Forderungen zubewegt haben. Nach dem Abbruch der Verhandlungen und spätestens durch die Ankündigung einer – nicht mit den Partnerländern abgesprochenen – Volksbefragung änderte sich die Haltung der GI jedoch und es kam zu einem deutlich härteren Auftreten gegenüber der griechischen Regierung.

Konfliktbereite Gläubiger-Institutionen

Von nun an galt folglich eine alternative Präferenzstruktur der GI gegenüber Griechenland (GI-2 in Abbildung 2) bei unveränderten Annahmen bezüglich des Verhaltens der griechischen Regierung, die sich wie folgt abbilden lässt:

  • Die GI zahlen Hilfskredite aus, wenn Griechenland kooperiert (4),
  • die GI zahlen keine Hilfskredite aus, wenn Griechenland nicht kooperiert (3),
  • die GI zahlen Hilfskredite aus, wenn Griechenland nicht kooperiert (2),
  • die GI zahlen keine Hilfskredite aus, wenn Griechenland kooperiert (1).

Damit wurde ein deutlich höheres Drohpotenzial gegenüber Griechenland aufgebaut. Diese Entwicklung lässt sich möglicherweise damit erklären, dass die Kosten eines Austritts Griechenlands aus der EWU – zumindest für die restlichen Mitgliedsländer – aufgrund veränderter Rahmenbedingungen mittlerweile deutlich gesunken sind. Auch hierfür lassen sich entsprechende Äußerungen finden, die aber eher aus dem akademischen (ökonomisch orientierten) Umfeld und weniger aus dem Politikbereich stammen.

Die Annahmen dieses modifizierten Spiels führen zu einer Änderung der optimalen Strategie, da – vor dem Hintergrund der Auszahlungen in der unteren Reihe von Abbildung 2 – nun die Kombination „nicht kooperieren“ und „keine Hilfe“ die Lösung des Spiels darstellt. Somit hätte auch eine glaubhafte Sanktionierung der griechischen Hinhaltetaktik durch die GI nicht – wie häufig im Vorfeld kommuniziert – zu einem Einlenken Griechenlands geführt („kooperieren“), sondern vielmehr zu einem Scheitern der Verhandlungen, so wie es Ende Juni passiert war. Grund hierfür war die – durch die Präferenzen ausgedrückte – kompromisslose Einstellung der gegenwärtigen Regierung, die zu diesem Zeitpunkt wohl eher einen Grexit mit all seinen katastrophalen Folgen für die griechische Wirtschaft und damit auch für die Bevölkerung akzeptiert hätte, als auf die (weitgehende) Umsetzung ihrer Wahlversprechen und ihrer eigenen Forderungen, wie etwa einen Schuldenschnitt, zu verzichten.

Kooperationsbereite (frühere) griechische Regierungen

Vergleicht man abschließend die aktuelle Situation mit den Entscheidungen früherer griechischer Regierungen, so bedarf es einer Änderung der Annahmen bezüglich der griechischen Präferenzen. Die Regierungen unter den Ministerpräsidenten Papandreou und Samaras wiesen nämlich – zumindest nach außen – ein deutlich kooperativeres Verhalten auf als die jetzige unter Ministerpräsident Tsipras. Zugleich soll davon ausgegangen werden, dass sich an den Präferenzen der GI aus dem Ausgangsszenario nichts geändert hat – das Verhalten der GI war also auch zu diesem Zeitpunkt primär auf den Erhalt der Währungsunion in der aktuellen Zusammensetzung gerichtet. Daraus lässt sich folgende Präferenzstruktur für frühere griechische Regierungen ableiten:

  • Griechenland kooperiert nicht und es werden Hilfskredite ausgezahlt (4),
  • Griechenland kooperiert und es werden Hilfskredite ausgezahlt (3),
  • Griechenland kooperiert nicht und es werden keine Hilfskredite ausgezahlt (2),
  • Griechenland kooperiert und es werden keine Hilfskredite ausgezahlt (1).

Die hieraus abgeleitete Lösung des Spiels zeigt die obere Auszahlungs-Zeile in Abbildung 3. Im Ergebnis ist die Lösung auch in diesem Fall dadurch gekennzeichnet, dass Hilfszahlungen erfolgen, ohne dass Griechenland kooperiert. Daraus erkennt man, dass die GI durch ihre offenbarten Präferenzen, die Eurozone um jeden Preis zu erhalten, die Anreize stets so setzten, dass Zahlungen ohne die (komplette) Umsetzung vorher vereinbarter Konditionen erfolgten.

Abbildung 3
Entscheidungsbaum 2
31874.png

Quelle: eigene Darstellung.

Im Unterschied zu den bisher diskutierten Szenarien wäre es jedoch unter der Annahme der zuvor diskutierten Präferenzordnung der GI (GI-2 in Abbildung 3), die ein Ablehnen der Hilfszahlungen bei Nichtkooperation als bessere Alternative ansieht, tatsächlich möglich, ein kooperatives Verhalten Griechenlands zu „erzwingen“. In diesem Fall hätte sich als Lösung des Spiels eine Strategiekombination aus „Kooperieren“ und „Hilfe“ ergeben. Es wird somit deutlich, dass in Ermangelung eines glaubhaften Drohpotenzials in der Vergangenheit eher die erste Variante (in Abbildung 3) durchgesetzt wurde. Grund hierfür mag unter anderem gewesen sein, dass die Austrittskosten (sowohl ökonomisch als auch politisch) für die anderen Mitgliedsländer zu diesem Zeitpunkt noch als deutlich höher angesehen wurden, als das heute zum Teil der Fall ist.

Ausblick

Die hier angestellten Überlegungen haben gezeigt, dass sich der Ausgang der Verhandlungen über das zweite Griechenland-Rettungspaket sowie der Weg dorthin mit Hilfe eines einfachen spieltheoretischen Modells nachvollziehen lassen. Möglicherweise hat die Regierung Tsipras dabei die Wirkung insbesondere des kurzfristig angekündigten Referendums auf die GI (Änderung der Präferenzstruktur) falsch eingeschätzt. Wie gezeigt werden konnte, wäre nach den im Vorfeld offenbarten Präferenzen durchaus zu erwarten gewesen, dass das Ergebnis des griechischen „Schuldenspiels“ einmal mehr „Geld ohne glaubwürdige Spar- und Reformzusagen“ gelautet hätte. Erst die in letzter Minute geänderte Präferenzstruktur der GI führte dann aber folgerichtig zum Scheitern der Verhandlungen und damit zum Auslaufen des zweiten Griechenland-Hilfspakets.

Die langfristigen Konsequenzen dieses Scheiterns sind allerdings auch jetzt noch nicht abzusehen. Obwohl mittlerweile die Voraussetzungen für die Gewährung eines dritten Hilfspakets für Griechenland geschaffen wurden, stellt dies zunächst nur den Beginn weiterer Verhandlungen dar, in denen es im Kern nicht nur um die Aufrechterhaltung der Liquidität des griechischen Staates, sondern wohl auch um die Gewährung eines (weiteren) Schuldenschnitts bzw. einer Umschuldung9 und damit letztlich auch um die Zukunft des Landes in der Eurozone selbst gehen wird. Somit werden sich diese Verhandlungen – sowohl im Hinblick auf die Spiel- als auch auf die jeweiligen Präferenzstrukturen – aber fundamental von den hier analysierten Spiel-Situationen unterscheiden.

  • 1 S. P. Hargreaves-Heap, Y. Varoufakis: Game Theory: A Critical Text, New York 2004.
  • 2 Ein Beispiel hierfür sind Tarifverhandlungen auf dem Arbeitsmarkt; vgl. hierzu etwa E. Amann: Tarifkonflikte aus spieltheoretischer Perspektive, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 5, S. 298 f., http://www.wirtschaftsdienst.eu/archiv/jahr/2015/5/tarifkonflikte-aus-spieltheoretischer-perspektive/ (5.8.2015).
  • 3 Zu den gängigen mathematischen Lösungskonzepten des Core- beziehungsweise des Shapley-Value sei unter anderem auf A. Mas-Colell, M. D. Whinston, J. R. Green: Microeconomic Theory, New York 1995, S. 673 ff., verwiesen.
  • 4 Einen umfassenden Einblick in die spieltheoretische Analyse diverser Pokervarianten findet sich in K. G. Binmore: Fun and Games: A Text on Game Theory, Lexington 1992, S. 573 ff.
  • 5 Die Wahrscheinlichkeit zu setzen erhöht sich dabei mit der Qualität der Karten, ist also abhängig von der privaten Information des Spielers über den wahren Spielzustand.
  • 6 Ein bekanntes Beispiel für diese Situation ist eine Szene in dem James-Dean-Klassiker „Denn Sie wissen nicht was sie tun“. Dabei fahren die beiden Protagonisten allerdings mit dem Auto auf einen Abgrund zu und derjenige, der als erster aus dem Auto springt, gilt als Feigling.
  • 7 Zur spieltheoretischen Betrachtung des Feiglingsspiels siehe unter anderem K. G. Binmore, a.a.O., S. 282 ff.
  • 8 Vgl. hierzu J. Hirshleifer: Peace or War: An Economic Approach to Appeasement, in: University of California Los Angeles Working Paper, Nr. 817, Februar 2002.
  • 9 Der IWF hat in einer jüngst erschienen Studie die Schuldentragfähigkeit Griechenlands in Zweifel gezogen und für den Fall, dass die Spar- und Reformauflagen aufgeweicht oder nicht durchgesetzt werden, auf die Notwendigkeit eines (teilweisen) Schuldenerlasses hingewiesen; vgl. hierzu IWF: Greece: Preliminary Draft Debt Sustainability Analysis, IMF Country Report, Nr. 15/165, 2015, http://www.imf.org/external/pubs/cat/longres.aspx?sk=43044.0.

Title:The Failure of the Second Greek Bailout Package – a Game-Theoretic Approach

Abstract:The recent negotiations on the second Greek bailout package were often (erroneously) characterised as either a game of poker or chicken. In contrast, the authors interpret and analyse these negotiations as a sequential non-cooperative game with the Greek government and the institutions as the players. They discuss different pay-off structures based on ordinal preference orderings and derive the corresponding solutions to alternative settings. It can be shown that revealed preferences of both the players (initially) led to the expectation that the outcome of this game would be to provide a bailout without significant reform concessions in return. However, the unexpected announcement of the referendum by Greek Prime Minister Alexis Tsipras led to a change in the institutions’ preferences and, in the end, to the failure of the second Greek bailout package.


DOI: 10.1007/s10273-015-1863-2

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