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EU-Beihilferecht: Apple im Visier der EU-Kommission

Von Henning Klodt

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verkündete am 30. August 2016, die steuerlichen Vergünstigungen Irlands zugunsten von Apple als unzulässige Unternehmensbeihilfe zu werten und den Konzern zu einer Steuernachzahlung an den irischen Fiskus in Höhe von 13 Mrd. Euro zu verpflichten. Dabei wendet sie sich nicht gegen die relativ niedrigen allgemeinen Körperschaftsteuersätze in Irland, sondern dagegen, dass manchen Unternehmen zusätzliche extreme Steuervergünstigungen eingeräumt werden. Darin sieht die Kommission eine Wettbewerbsverfälschung, die mit dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht unvereinbar ist. Als Rechtsfolge ziehen unerlaubte Beihilfen regelmäßig eine Rückzahlungspflicht der begünstigten Unternehmen an ihren Fiskus nach sich.

Im Fall Apple wurde die Gewinnverlagerung erreicht, indem die irischen Tochtergesellschaften bis zum Jahr 2014 ihre Gewinne nahezu vollständig an einen steuerbefreiten Verwaltungssitz abführen konnten. Weitere bei multinationalen Unternehmen gebräuchliche Kanäle zur Steuervermeidung sind die Übertragung von Patenten und Markennamen an Tochtergesellschaften in Steueroasen und künstlich verzerrte Verrechnungspreise bei konzerninternen Lieferungen. Dabei liegen die Steueroasen keineswegs alle auf idyllischen fernen Inseln, sondern nicht zuletzt in Irland, Luxemburg, Großbritannien und den Niederlanden. All diese Praktiken, die von Unternehmensberatern gern als aggressive Steuerplanung tituliert werden, sind für die Finanzbehörden ein steter Quell des Ärgernisses und sorgen auf dem internationalen Parkett immer wieder für diplomatische Verstimmungen. Ein stilistischer Höhepunkt solcher Verstimmungen war die Erklärung des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück vom März 2009, die Kavallerie zum Steuereintreiben in die Schweiz schicken zu wollen.

Um auch ohne Kavallerie zu einer Lösung des Problems zu kommen, brachten die Regierungen der G20 im Jahr 2012 eine Initiative auf den Weg, mit der zumindest erreicht werden soll, dass die anzuwendenden Verfahren in der Steuererhebung international möglichst einheitlich gestaltet werden. Die OECD wurde beauftragt, geeignete Maßnahmen zur Umsetzung dieser sogenannten BEPS-Initiative (base erosion and profit shifting) zu entwickeln. Doch trotz BEPS-Initiative ist der Kampf gegen die Praktiken der aggressiven Steuerplanung bislang ein zahnloser Papiertiger geblieben. Das hat sich zumindest innerhalb der EU schlagartig geändert. Die schlichte Anwendung des gemeinschaftlichen Beihilferechts besitzt eine weitaus höhere Durchschlagskraft als die gesamte BEPS-Initiative.

Im öffentlichen Fokus steht derzeit das Verfahren gegen Apple. Weitere Prüfverfahren der Kommission, die inhaltlich ähnlich gelagert sind, betreffen die steuerliche Behandlung von McDonald’s und von Amazon in Luxemburg. Daneben hat die Kommission zwei Verfahren eröffnet, in denen es um „tax rulings“ (Steuervorbescheide) der Finanzbehörden in Luxemburg und den Niederlanden zur Anerkennung extrem verzerrter interner Verrechnungspreise der Unternehmen Fiat Finance & Trade und Starbucks geht. Die Kommission argumentiert auch hier, die daraus resultierenden Steuervorteile seien als wettbewerbsverfälschende Beihilfen anzusehen und müssten deshalb von den Unternehmen zurückgezahlt werden. Von Politikern in den Steueroasen selbst und von den begünstigten Konzernen werden solche Steuervorteile gern als innovations- und wachstumsfördernde Maßnahmen verteidigt. Tatsächlich geht es für die beteiligten Unternehmen aber schlicht um Steuerflucht. Und für die Steueroasen geht es darum, kleine Mehreinnahmen an Steuern zu erzielen, die in anderen Ländern erhebliche Steuermindereinnahmen zur Folge haben. Mit marktwirtschaftlich erwünschtem Standortwettbewerb haben solche Praktiken nichts gemein.

Fusion Bayer/Monsanto: Erlahmt die Innovationsdynamik?

Von Justus Haucap

Für rund 66 Mrd. Euro will Bayer den Saatguthersteller Monsanto übernehmen. Es wäre die größte Unternehmensübernahme, die ein deutsches Unternehmen jemals gewagt hätte. Selbst die letztlich gescheiterte Fusion zwischen Daimler und Chrysler vor fast 20 Jahren hatte mit 43 Mrd. US-$ ein deutlich niedrigeres Transaktionsvolumen. Wenn die Kartellbehörden dem Vorhaben zustimmen, wird Bayer zum weltweit größten Unternehmen im Bereich Agrarchemie, vor allem bei Saatgut und Pflanzenschutz. Aber auch im Bereich Digitale Landwirtschaft, in dem Monsanto sehr stark ist, würde Bayer eine führende Rolle einnehmen.

Bayer verspricht sich von der Fusion angeblich Synergieeffekte in Milliardenhöhe, zudem will der neue Konzern ein Innovationstreiber sein. Gleichwohl werden die Kartellbehörden das Vorhaben intensiv prüfen – aufgrund der globalen Auswirkungen rund 30 unterschiedliche Institutionen weltweit. Besonders die Prüfung durch die Europäische Kommission und die US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden werden dabei mit Spannung erwartet. Aufgrund der Bedeutung der Fusion ist in jedem Fall von einer vertieften Prüfung (sogenanntes Phase-II-Verfahren) auszugehen. Dabei werden die Behörden versuchen, die Wettbewerbseffekte auf zahlreichen Einzelmärkten für verschiedene Saatgüter und Pflanzenschutzmittel (für alle möglichen Getreidesorten inklusive Mais und Reis) zu prognostizieren. Interessant ist in diesem Kontext die Aussage der Europäischen Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, vom April dieses Jahres, dass Auswirkungen auf Innovationen in der Fusionskontrolle zukünftig höheres Gewicht bekommen sollen. Konkret sagte sie, dass eine der einfachsten Strategien, innovative Konkurrenten abzuwehren, darin bestehe, diese aufzukaufen. „Deswegen betrachten wir nicht nur die preislichen Auswirkungen von Fusionen, sondern fragen uns auch, ob sie schlecht für Innovationen sind. Im letzten Jahr haben wir den Zusammenschluss von Pfizer und Hospira erst freigegeben, nachdem sich Pfizer bereit erklärt hat, die europäischen Rechte an dem Arthritismedikament, das es gerade entwickelt, zu veräußern“, so die Kommissarin.

Auch bei der Übernahme von Monsanto durch Bayer werden die erwarteten Auswirkungen auf Innovationen von erheblicher Bedeutung sein. Ernüchternd ist dazu eine Studie, die Joel Stiebale und ich jüngst fertiggestellt haben. In 65 untersuchten europäischen Fusionsfällen aus der pharmazeutischen Industrie zwischen 1990 und 2007 gingen nicht nur beim fusionierten Unternehmen die Innovationsanstrengungen im Durchschnitt zurück. Auch bei den über 300 von der Europäischen Kommission in den Verfahren identifizierten Wettbewerbern ließen die Innovationsanstrengungen nach. Unseren Analysen zufolge führte ein Nachlassen der Innovationsanstrengungen beim fusionierten Unternehmen dazu, dass auch die nicht an der Fusion beteiligten Konkurrenten weniger Innovationsanstrengungen unternahmen. Der Innovationswettbewerb hat somit insgesamt gelitten und an Dynamik verloren. Unseren Analysen zufolge fuhren die Wettbewerber des fusionierten Unternehmens ihre Innovationsbudgets in den vier Jahren nach einer Fusion um rund 20% zurück, und zwar insbesondere relativ zu vergleichbaren Unternehmen auf Märkten, auf denen keine Fusion stattgefunden hatte. Diese Auswirkungen auf die Innovationsanstrengungen der pharmazeutischen Industrie waren also ganz erheblich.

In der Agrarchemie und im konkreten Fusionsvorhaben Bayer/Monsanto müssen sich ähnliche Auswirkungen nicht zwangsläufig einstellen. Eine vertiefte Prüfung in diese Richtung ist in jedem Fall zu erwarten. Die Verpflichtung zur Lizenzierung von Patenten oder ein Abtreten von Rechten an bestehenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, können hier wirksame Abhilfemaßnahmen sein.

Zuckersteuer: Paternalistische Politik

Von Jan Schnellenbach

Großbritannien führt eine neue Zuckersteuer auf Limonaden ein. Das Ziel ist es, einen Preisanreiz für eine gesündere Ernährung zu schaffen. Der Club of Rome empfiehlt ebenfalls die Einführung einer solchen Steuer. Anbieter zuckerhaltiger Limonaden und Lebensmittel erzielten, so heißt es dort, ihre Gewinne auf dem Rücken von Konsumenten, die den kurzen Zuckergenuss mit Depressionen und Kreislaufproblemen bezahlten. In Deutschland sieht die Lobby-Organisation Foodwatch das ganz ähnlich. All diese Vorschläge gehen von einem pessimistischen Verbraucherleitbild aus: Die Konsumenten selbst sind zu vernünftigen Entscheidungen kaum fähig, sind undiszipliniert und werden von Unternehmern zu Konsummustern verführt, die sie rational eigentlich gar nicht wollen dürften. Oft stützen sich solche Vorschläge auch auf die verhaltensökonomische Literatur, insbesondere auf die dort diskutierten Selbstkontrollprobleme und sonstige Inkonsistenzen in individuellen Präferenzordnungen.

Der Schritt zu politischen Eingriffen wie der Zuckersteuer ist damit aber längst nicht überzeugend begründet. Wird mit externen Effekten argumentiert, wie etwa ansteigenden Kosten im Gesundheitswesen, so gibt es treffsicherere Alternativen zur Zuckersteuer. Ein Beispiel ist die Möglichkeit zum Prämienaufschlag in der Krankenversicherung aufgrund von verifizierbaren und durch den Lebensstil bedingten individuellen Risikofaktoren wie Übergewicht. Soweit es sich aber beim übertriebenen Zuckerkonsum um ein rein individuelles Problem etwa der Selbstkontrolle handelt, stehen auch individuelle Instrumente zum Umgang hiermit bereit – sofern die Individuen dies wirklich für erstrebenswert halten. Es gibt keinen überzeugenden Grund, ein zwischen verschiedenen Menschen sehr heterogenes Problem auf die politische Ebene zu heben und dort ein grobes, der Devise „one size fits all“ folgendes Ins­trument wie die Zuckersteuer einzusetzen. Hier wäre beispielsweise ein Freizeitsportler, der seine Zucker-Kalorien wieder verbrennt, genauso betroffen wie ein lethargischer Stubenhocker mit gleichem Konsumniveau.

Die stets unzureichend beantwortete, fundamentale Frage im Kern einer paternalistischen Politik ist die nach den zugrundeliegenden normativen Kriterien. Im Fall der Zuckersteuer scheint die Devise der Befürworter einfach: Je weniger Zucker, desto besser. Das mag aus einer rein medizinischen Sicht sogar vertretbar sein; der Arzt möchte einfach die Zahl der Patienten mit Wohlstandskrankheiten minimieren. Aus ökonomischer Sicht wissen wir aber natürlich, dass die Wohlfahrt der Individuen bei weitem nicht nur hiervon abhängt. Über eine paternalistische Politik einen asketischen Lebensstil zu befördern, mag zur Maximierung der statistischen Lebenserwartung beitragen, aber macht es uns auch glücklich? Die verhaltensökonomische Literatur versucht hier, mit Hilfskonstrukten zu arbeiten, die aber alle mehr oder weniger unbefriedigend sind. So wird beispielsweise vorgeschlagen, einer paternalistischen Politik diejenigen Präferenzen zugrundezulegen, welche die Bürger hätten, wenn sie frei von Selbstkontrollschwächen und anderen Entscheidungsproblemen wären. Letztendlich öffnet die Aufforderung, fiktive Präferenzen auf diese Weise zu konstruieren, aber vor allem das Tor für eine anmaßende Projektion eigener Vorlieben auf andere Menschen.

Auf der anderen Seite bietet die von Gruppen wie Foodwatch gescholtene Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten auch zuckerfreie und kalorienarme Alternativen an. Der Verbraucher hat die Wahl zwischen engen Substituten. Das Argument, dass die Anbieterseite dafür bestraft werden müsse, mit Zucker die Gesundheit der Konsumenten zu verderben, erscheint vor diesem Hintergrund sehr schal und fragwürdig. Die Lebensmittelindustrie stellt ein sehr vielfältiges Angebot bereit. Die Konsumenten haben die Wahl.

Deutsche Bahn: Reform statt Rettungspaket

Von Alexander Eisenkopf

Das Presseecho auf die Ende September durchgesickerte Meldung, der Bund beabsichtige, der Deutschen Bahn mit einer Geldspritze von 2,4 Mrd. Euro finanziell unter die Arme zu greifen, brachte es auf den Punkt: „Steuerzahler muss Bahn mit Milliarden retten“, titelten Handelsblatt und Wirtschaftswoche unisono. Offenbar scheinen die wirtschaftlichen Probleme des angeschlagenen Staatskonzerns so drängend zu sein, dass der Bund eine Kapitalerhöhung um 1 Mrd. Euro plant und seine Dividendenforderungen von 2017 bis 2020 um kumuliert 1,4 Mrd. Euro reduzieren will, auch um die Diskussion um eine ansonsten notwendige Teilprivatisierung der Tochtergesellschaften Arriva und Schenker zu vermeiden. Im Wahlkampf wären damit die Bahn und das wirtschaftliche Versagen des Bahn-Managements zunächst einmal aus der Schusslinie, was aus Politikersicht erste Priorität hat.

Diese Rettungsaktion lenkt aber von der Tatsache ab, dass seit geraumer Zeit ein schlüssiges Konzept fehlt, welche verkehrspolitische Rolle die Deutsche Bahn in Zukunft spielen soll und wie das zu erreichen ist. Seit dem gescheiterten Börsengang 2009 führt die Deutsche Bahn ein „zweifelhaftes Eigenleben“. Das Management hat in dem formell privatisierten Unternehmen in staatlichem Eigentum diskretionäre Handlungsspielräume und Informationsvorteile. Die zu erwartenden Fehlentwicklungen sind empirisch zu belegen. So hat die Bahn es geschafft, dass die Zuschüsse für den Nahverkehr, die sogenannten Regionalisierungsmittel, von 7,3 auf 8,2 Mrd. Euro p.a. steigen und ab 2017 dynamisiert werden. Außerdem wurde geschickt darauf hingewirkt, zukünftige Regulierungsvorgaben auf europäischer und nationaler Ebene zu entschärfen. Ihre Mitarbeiter hat die Führung durch recht üppige Lohnsteigerungen mit auf den Weg genommen. Dies hat auch dazu beigetragen, dass die Produktivität des Bahnbetriebs in Deutschland seit 2008 per saldo nicht gestiegen ist. Außerdem verfolgte der Bahn-Vorstand eine aggressive internationale Expansionsstrategie. Es ist nur wenige Jahre her, dass man bis 2020 einen Umsatz von 70 Mrd. Euro erreichen wollte.

Spätestens seit dem Milliardenverlust im Geschäftsjahr 2015 sollten bei der Politik die Warnlampen rot aufleuchten. In allen Sparten zeichnen sich seit Längerem Ergebnisprobleme ab, und die Verschuldung steigt dramatisch an. Die Expansion des Güterverkehrs in das internationale Geschäft ist gescheitert, und der interessanterweise noch relativ hohe „Return on Capital Employed“ im Fernverkehr wird mit der Indienststellung einer neuen Fahrzeuggeneration einbrechen. Das Logistikgeschäft wird offensichtlich nicht so geführt, dass es an die Margen der relevanten Wettbewerber anknüpfen kann. Einzig allein der hochsubventionierte Nahverkehr zeigt noch stabile Ergebnisbeiträge. Hinzukommt die nur schlecht kaschierte Tatsache, dass die Infrastruktur systematisch auf Verschleiß gefahren wird, da die öffentlichen Milliardenzuschüsse à fonds perdu gegeben werden und nicht als Abschreibungen in den Rechenwerken auftauchen.

Was es daher statt eines Rettungspaketes braucht, wären konstruktive Überlegungen zu einer Bahnreform II, die eine realistische Vorstellung von der zukünftigen Rolle des Systems Eisenbahn in einer Welt der digital organisierten, vernetzten und autonomen Mobilität entwickelt und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen in aller Klarheit benennt. Solange der Bundesverkehrsminister sich aber vor allem Sorgen um das W-LAN in den Zügen und nicht um grundlegende Weichenstellungen der Bahnpolitik macht, können auch solche Rettungspakete den Niedergang nur weiter verschleppen helfen.


DOI: 10.1007/s10273-016-2039-4

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