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Nach der Entscheidung der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union stellt sich die Frage, wie die Beziehungen neu gestaltet werden sollten. Bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU geht es darum, welche Strategie die beste ist – für die Briten und für die EU. Auch spielt es eine Rolle, welche langfristigen und welche kurzfristigen Vorteile sich ergeben. Die Autoren untersuchen diese Fragen spieltheoretisch. Dabei zeigt sich, dass die EU – was auch immer kurzfristig vorteilhaft ist – auf jeden Fall langfristig am meisten von einer kompromisslosen Verhandlungsführung profitiert.

Die Europäische Union (EU) steht im Zeichen des Brexit-Votums. Nachdem sich die britische Regierung lange Zeit bedeckt hielt, mit welchen Vorstellungen und Zielen sie in die Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten gehen will, zeichnen sich nach der Rede von Theresa May am 2. Oktober 2016 auf einer Konferenz der konservativen Partei erste Eckpunkte ab. Die Wiedererlangung der nationalen Souveränität steht ganz oben auf der britischen Agenda und damit auch die Kontrolle über die Zuwanderung. Das dürfte das Ende der Freizügigkeit für Personen zwischen Großbritannien1 (GB) und der Europäischen Union bedeuten – und damit auch des britischen Zugangs zum Binnenmarkt der EU; sofern sich nicht eine der Parteien auf einen Kompromiss einlässt.

Das lange Schweigen der Regierung war verständlich, denn selbst die Befürworter auf der Insel waren überrascht, vor allem aber völlig unvorbereitet. Weder war klar beschrieben, was mit dem Brexit eigentlich erreicht werden sollte und wie die künftige Zusammenarbeit mit der EU aussehen kann, noch gab es eine Verhandlungsstrategie. Auch nachdem die Premierministerin nun erklärt hat, spätestens bis Ende März 2017 den Antrag nach Art. 50 EU-Vertrag zu stellen, und die Kontrolle über die Einwanderung als rote Linie eingezogen hat, bleibt dennoch unklar, wie die künftige Kooperation zwischen der Insel und dem Kontinent am Ende aussehen wird. Die Briten können zwar den Termin des Verhandlungsbeginns bestimmen, die Ergebnisse sind jedoch Verhandlungssache.

Auf Seiten der EU sind die Änderungen der Beziehung zu Großbritannien ebenso wenig abzusehen. Der Reformbedarf der EU bestand schon lange vor dem Referendum und bleibt auch nach einem möglichen Austritt Großbritanniens bestehen. Der Brexit ist damit in erster Linie ein britisches Phänomen, das von britischen Politikern aus innen- respektive parteipolitischen Beweggründen betrieben wurde. Damit ist es grundsätzlich entkoppelt von den institutionellen Reformen der Europäischen Union – je nachdem, welche institutionelle Verbindung die Briten in Zukunft zur EU haben werden, ergeben sich jedoch weitreichende Konsequenzen für die Union. Freilich verstärkt das Brexit-Votum den politischen Druck auf die Kontinentaleuropäer, den ohnehin bestehenden Reformbedarf forciert anzugehen. Dennoch ist es gerade für die Klärung möglicher Verhandlungsstrategien zum Austritt Großbritanniens wichtig, beide Handlungsstränge nicht in ihren Ursachen zu vermengen. Andernfalls wird eine angemessene politische Antwort kaum gelingen.

Trotz eskalierender Unsicherheit hat sich zumindest auf dem Kontinent die Stimmung schnell wieder beruhigt. Man geht zur Tagesordnung über, anstatt darüber zu räsonieren, was die wunderlichen Briten wohl wann tun werden. Die perspektivische Unklarheit wird noch dadurch verstärkt, dass angesichts der schottischen Sorgen über einen Austritt aus der EU der Zusammenhalt Großbritanniens nach einem Brexit fraglich ist. Allerdings herrscht ein gewisser Zeitdruck, wenn man den feststehenden Termin für die kommende Wahl zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2019 und die Erarbeitung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens für den Zeitraum nach 2020 beachtet. Wenn es bei der Festlegung auf März 2017 bleibt, hat sich die britische Regierung den nächsten Wahlen und der nächsten Finanzperiode entzogen.

Der ganze Verhandlungsprozess wird auch nach der Ankündigung von Theresa May erst dann beginnen können, wenn die Briten den Austrittsantrag nach Art. 50 EU-Vertrag gestellt haben und die Zwei-Jahres-Frist beginnt. Die Vertreter der anderen EU-Staaten und die EU-Kommission haben direkt nach dem Referendum klar gemacht, dass erst danach die Verhandlungen beginnen werden, und sie haben jede Form der Vorabsprachen ausgeschlossen. Aus Sicht der EU ist dies verhandlungstaktisch klug, weil es zunächst von britischer Seite eine Offenlegung der Verhandlungsziele verlangt. Es gibt somit vor Beginn der Verhandlungen eine Asymmetrie, die sich auf deren Verlauf auswirken dürfte.

Will man trotz dieser Gemengelage eine Vorstellung davon entwickeln, welche Verhandlungsergebnisse denkbar und plausibel erscheinen, dann bietet es sich an, zunächst die roten Linien beider Seiten zu identifizieren, um dann Lösungsmöglichkeiten abhängig von den gewählten Strategien auszumachen. Wichtig ist dabei, wer welche Drohpotenziale besitzt und damit seine roten Linien wirksamer verteidigen kann. Für die Europäische Union ist der verlässliche Fortbestand der Union essenziell; alles, was dies gefährden kann, wird für die EU-Seite nicht verhandelbar sein. Demgegenüber wird die britische Regierung vor allem darauf achten müssen, dass die Migration auf die Insel spürbar eingedämmt werden kann. Ohne einen Fortschritt an diesem Punkt wird man kaum vor die Wähler treten können.

Mildernd kann da nur die ansonsten drohende wirtschaftliche Verschlechterung wirken. Die gesamtwirtschaftliche Lage vermag die rote Linie der Briten aufzuweichen. Bei der EU dürfte die Auflösung der Gemeinschaft jedoch mit der Erwartung ungünstigerer Wirtschaftsaussichten verbunden sein und insofern deren rote Linie härten. Diese Einordnung lässt Kompromisslösungen als unangemessen erscheinen, die von dem Gedanken getragen sind, zur Vermeidung kurzfristiger ökonomischer Kosten den Briten schnell und einigermaßen großzügig ein Angebot zu machen.2 Die Verhandlungen über den Brexit sind stattdessen als das zu betrachten, was sie sind: ein strategisch getriebenes, taktisch formiertes Spiel über die Durchsetzung der jeweils eigenen Interessen. Es geht nicht um Bestrafung oder Rache, sondern um nüchtern wägendes Kalkül.

Vier mögliche Verhandlungslösungen

Für die Analyse einer solchen Verhandlungskonfiguration bietet sich die Spieltheorie an. Aus deren Sicht lässt sich vor dem skizzierten Hintergrund die Suche nach der optimalen Verhandlungsstrategie zum Austritt Großbritanniens aus der EU wie folgt darstellen: Beide Spieler, GB und EU, wählen simultan zwischen zwei Strategien der Verhandlungsführung, einer kompromissbereiten und einer kompromisslosen. Bei dieser spieltheoretischen Analyse wird die Möglichkeit gemischter Strategien aus Anschaulichkeitsgründen nicht berücksichtigt. Diese Einschränkung ist aber mit Blick auf die grundsätzliche Notwendigkeit für jeden Verhandlungspartner, eine Startposition zu beschreiben, plausibel. Hier gibt es nur die beiden Ecklösungen „kompromisslos“ und „kompromissbereit“. Zudem ist einem rationalen Spieler bewusst, dass seine Strategie sowohl Auswirkungen in der kurzen als auch (möglicherweise andersartige) in der langen Frist hat. Die Spieler würden unter Zuhilfenahme der Höhe ihrer Zeitpräferenz die Auswirkungen in der Gegenwart und der Zukunft zusammenfassen und auf dieser Basis ihre Entscheidung fällen. Da dieser Diskontfaktor weder für die EU noch für Großbritannien bekannt ist, werden im Folgenden die kurze und die lange Frist separat betrachtet, was gleichbedeutend ist mit den beiden Maxima der Diskontrate von null und eins. Allgemein wird ferner angenommen, dass die Verhandlungen über folgende Inhalte geführt werden:

  • Zugang zum europäischen Binnenmarkt (EU-BM),
  • Personenfreizügigkeit (PF),
  • Zahlungen an die EU.
Abbildung 1
Spieltheoretisches Tableau
Spieler EU
  Strategie kompromisslos kompromissbereit
GB kompromisslos 1. „Exit-WTO“ Großbritannien als WTO-Mitglied ohne institutionelle Bindung an die EU (kein EU-BM, keine PF, keine Zahlungen)

2. „Sonderlösung-GB“ Großbritannien setzt seine Forderungen in den Verhandlungen gänzlich durch (EU-BM, keine PF, keine Zahlungen)
kompromissbereit 3. „Norwegen“ Großbritannien verliert politische Mitbestimmung in der EU, institutionelle Verbindungen bleiben bestehen (EU-BM, PF, hohe Zahlungen) 4. „Norwegen+“ Ähnlich zu „Norwegen“, institutionelle Verbindungen bleiben größtenteils bestehen (EU-BM, eingeschränkte PF, niedrige Zahlungen)

Quelle: eigene Darstellung.

Aus den verschiedenen Verhandlungsstrategien und -inhalten ergibt sich das in Abbildung 1 dargestellte spieltheoretische Tableau mit den vier möglichen Resultaten:

  1. Exit-Welthandelsorganisation (WTO): Führen sowohl Europäer als auch Briten kompromisslose Verhandlungen, dann hat dies zur Folge, dass die Briten durch den Ausstritt aus der EU den Zugang zum europäischen Binnenmarkt vollständig verlieren. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wäre dann analog zu anderen WTO-Mitgliedern zu organisieren. In diesem Fall müssten die Briten weder den EU-Bürgern Personenfreizügigkeit gewähren noch Zahlungen an die EU leisten. Die am deutlichsten propagierten Ziele der Brexit-Befürworter würden erreicht, der Preis wäre freilich hoch: ein völliger Integrationsverlust mit einem erst noch zu verhandelnden Status als WTO-Mitglied; eine automatische Rückfallposition ist diese Lösung für Großbritannien deshalb nicht.
  2. Sonderlösung-GB: Führt Großbritannien hingegen harte Verhandlungen und ist die EU bereit, Zugeständnisse zu machen, könnte Großbritannien seine Forderungen komplett durchsetzen. Bei dieser „Sonderlösung-GB“ würde die EU ihrem Partner den Zugang zum Binnenmarkt uneingeschränkt gewähren, ohne als Gegenleistung die Personenfreizügigkeit durchzusetzen oder Zahlungen einzufordern.
  3. Norwegen: Zu einem Ergebnis ähnlich dem aktuellen Status Norwegens käme es, gäben sich die Briten kompromissbereit und die EU unnachgiebig. Norwegen gewährt EU-Bürgern uneingeschränkte Personenfreizügigkeit und leistet Zahlungen an die EU. Als Gegenleistung hat das Land Zugang zum EU-Binnenmarkt, ein politisches Mitspracherecht erhält es jedoch nicht. Norwegen trägt im Zeitraum von 2014 bis 2021 jährlich mit knapp 400 Mio. Euro zur Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts (Kohäsion) in der EU bei. Das britische Bruttoinlandsprodukt ist sechs- bis siebenmal so groß wie das norwegische. Daraus ergäbe sich ein hypothetischer Beitrag von rund 2,5 Mrd. Euro jährlich. Dieser würde noch höher ausfallen, legte man die unterschiedliche Bevölkerungsgröße zugrunde; Großbritannien hat 65,1 Mio. Einwohner, Norwegen 5,2 Mio. Rechnet man den Beitrag auf die zwölfmal so große Bevölkerung um, käme man auf eine britische Zahlung von fast 5 Mrd. Euro pro Jahr. Das wäre ein hoher Preis; so betrug der britische Nettobeitrag im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2015 etwa 9,4 Mrd. Euro. Einer Studie aus dem britischen Unterhaus zufolge könnte der britische Beitrag im „Norwegen“-Fall sogar noch höher ausfallen.3
  4. Norwegen+: Verhielten sich beide Parteien in den Verhandlungen kompromissbereit, könnte ein sogenanntes „Norwegen+“-Konstrukt resultieren. Großbritannien wäre dann in einer ähnlichen, jedoch komfortableren Situation als Norwegen heute. Es würde geringere Zahlungen leisten, müsste die Personenfreizügigkeit nicht im vollen Umfang gewährleisten, könnte uneingeschränkt am EU-Binnenmarkt partizipieren, hätte jedoch kein politisches Mitspracherecht. Eine solche Lösung – möglicherweise noch garniert mit einem politischen Mitspracherecht Großbritanniens in der EU ohne Zugehörigkeit zu den europäischen Institutionen und eine Beteiligung an öffentlichen Leistungen der EU4 – würde die Fiktion eines nahezu ungestörten Binnenmarktes um jeden Preis begründen. Die EU würde quasi alle britischen Wünsche und ein neues Verständnis der europäischen Integration akzeptieren. Die Verhandlungen hätten nur noch einen rein technischen Charakter, um die britischen Vorgaben umzusetzen. Eine gewisse Ähnlichkeit hätte die „Norwegen+“-Lösung mit der Schweiz-Option, bei der für gewünschte Themen und Politikfelder Verträge abgeschlossen werden, um eine Integration der Briten sektorspezifisch mit viel Verhandlungsaufwand zu realisieren. Was für die Schweiz aus historischen Gründen über längere Zeit entstand, dürfte kaum für einen kohärenten Verhandlungsprozess sinnvoll sein. Die Schweiz-Lösung wird deshalb nicht weiter betrachtet.

Werden allein die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser vier Alternativen für die beiden Verhandlungspartner betrachtet und etwa Fragen der nationalen Souveränität in Großbritannien und der möglichen innerstaatlichen Konflikte dort außer Acht gelassen, zeigen sich nach der Implementierung der jeweiligen Lösung die in Abbildung 2 und 3 dargestellten Änderungen zum Status quo. Die wirtschaftlichen Effekte der vier hier als denkbar skizzierten Lösungen unterscheiden sich nach dem zugrunde gelegten Zeithorizont der an den Verhandlungen Beteiligten. In der langen Frist werden die Wachstumseffekte der Verhandlungsentscheidung zugrunde gelegt und somit alle ökonomischen Auswirkungen des gewählten Trennungsmodells. In der kurzen Frist dominieren die Unsicherheitseffekte und der Versuch, diese zu mindern.

Abbildung 2
Spieltheoretische Ergebnisse in der langen Frist
Spieler   EU EU
  Strategie kompromisslos kompromissbereit
GB kompromisslos -/0
-
-- -
GB kompromissbereit 0
-/0
– 0

Anmerkung: Für die jeweiligen Szenarien sind links unten die Pay-offs für Großbritannien und rechts oben die für die EU dargestellt. Die jeweils besten Szenarien sind blau hervorgehoben.

Quelle: eigene Darstellung.

Abbildung 3
Spieltheoretische Ergebnisse in der kurzen Frist
Spieler   EU EU
  Strategie kompromisslos kompromissbereit
GB kompromisslos -/-- -- -
+
GB kompromissbereit 0
-/0
0/- 0

Anmerkung: Für die jeweiligen Szenarien sind links unten die Pay-offs für Großbritannien und rechts oben die für die EU dargestellt. Die jeweils besten Szenarien sind blau hervorgehoben.

Quelle: eigene Darstellung.

Die möglichen Pay-offs der Akteure reichen von stark negativen (--), negativen (-), neutralen (0) über positive (+) bis hin zu stark positiven (++) Effekten sowie Zwischenwerten aus logischen Kombinationen der Effekte.5 In den Abbildungen sind für die jeweiligen Szenarien links unten die Pay-offs für Großbritannien und rechts oben für die EU dargestellt. Diese Pay-offs geben nur eine ordinal skalierbare Reihung der Auswirkungen an und sind nicht im Sinne einer metrischen Quantifizierung der Unterschiede zwischen den Effekten zu verstehen.

Pay-offs in der langen Frist: Wachstumswirkungen

Bei der „Exit-WTO“-Lösung – dem Kappen praktisch aller institutionellen Verbindungen und der Rückkehr zu den verhältnismäßig hohen WTO-Zöllen zwischen den Verhandlungspartnern – würden die EU und Großbritannien jeweils einen wichtigen Freihandelspartner verlieren, mit dem aktuell friktionslos Handel in sehr bedeutsamem Umfang betrieben wird. Auf in Oxford produzierte Minis werden dann beispielsweise bei der Einfuhr in ein EU-Land satte 10% aufgeschlagen. Investoren überlegten sich folglich zweimal, ob sie ohne Zugang zum EU-Binnenmarkt ein Werk auf der Insel errichten möchten. Nach einer Aussage des Generaldirektors der WTO würden britische Exporteure jährlich mit bis zu 5,6 Mrd. £ belastet. Erschwert und bürokratisiert würde außerdem die Suche nach europäischen Spitzenkräften. Gerade in der britischen Industrie stammt jeder zehnte Beschäftigte aus der EU, mehr sogar als in der international agierenden Finanzbranche. Diese wiederum stünde im Falle der „Exit-WTO“-Lösung außerdem noch vor dem Verlust der wichtigen Banklizenz-Rechte, die den britischen Banken derzeit erlauben, ohne bürokratische Hindernisse in EU-Ländern Finanzdienstleistungen anzubieten. Einer Studie der City of London zufolge würde dies zu einem direkten Verlust von rund 70 000 Arbeitsplätzen im Londoner Finanzsektor führen.6

In der langen Frist wird für beide Akteure zwar die Unsicherheit weichen, die Briten würden voraussichtlich wieder Freihandelsabkommen mit Drittstaaten abschließen, die neuen Friktionen auf den Märkten für Güter, Dienstleistungen, Arbeitnehmer und Kapital blieben jedoch bestehen. Diese negativen Effekte wirken auf Großbritannien stärker als auf die EU. Schließlich würden die Briten freien Zugang zu mindestens 27 Volkswirtschaften verlieren (-), die EU-Länder lediglich zu einer (-/0). Der für Großbritannien stärkere negative Effekt basiert zudem darauf, dass der britische Handel mit dann notwendigerweise weiter entfernten Ökonomien nach dem „law of gravity“7 mit höheren Kosten einhergehen wird. Die harte Verhandlungstaktik der EU sowie die negativen wirtschaftlichen Folgen senken langfristig die Anreize für Brexit-Trittbrettfahrer. Die EU dürfte stabilisiert, die rote Linie gesichert werden.

Gegensätzlich stellen sich die Implikationen der „Sonderlösung-GB“ für die Akteure dar. Weiterhin könnte friktionslos mit Waren und Dienstleistungen gehandelt werden, die Bankenlizenz-Rechte der britischen Finanzindustrie wären nicht in Gefahr und der Fiskus könnte die rund 9,4 Mrd. Euro jährlich Nettozahlung an die EU anderweitig verwenden. Lediglich Einschränkungen der Personenfreizügigkeit wirkten langfristig negativ auf das britische Potenzial, kurzfristige Massenentlassungen von EU-Ausländern sind jedoch nicht zu erwarten. Die britische Regierung, die ein solches Verhandlungsergebnis erzielen könnte, würde in der Heimat wohl überschwänglich gefeiert. Binnenmarkt ohne Personenfreizügigkeit sowie keine weiteren Zahlungen an die vermeintlichen Bürokraten in Brüssel: Die Exiter hätten all ihre Forderungen durchgesetzt, die EU wäre eingeknickt. Zwar mag der Binnenmarkt in einem gewissen engeren ökonomischen Verständnis gesichert sein,8 doch der Verzicht auf die vier Grundfreiheiten – europäischer Standard seit den Römischen Verträgen von 1957 – wäre eine Kapitulation der politischen Idee europäischer Integration vor dem schlichten ökonomischen Kalkül.

In der langen Frist würde dieser Spielausgang Nachahmer auf den Plan rufen. Die Drohung einer kompromisslosen Verhandlungsführung hätte sich als fleischlos erwiesen, andere Länder würden ein ähnliches Ergebnis anstreben. Spätestens mit dem Austritt eines wichtigen Mitgliedstaates wie Frankreich oder den Niederlanden wäre die EU am Ende, das europäische Projekt gescheitert. In der EU würde es zu massiven ökonomischen Verwerfungen kommen (--). Durch den Zusammenbruch der EU würden für Großbritannien ebenfalls negative Auswirkungen entstehen (-).

Die „Norwegen“-Lösung ist das Verhandlungsergebnis, das häufig als realistischstes gehandelt wird. Die Briten müssten dabei schlucken, wogegen sie eigentlich abgestimmt hatten: die Personenfreizügigkeit. Einer der griffigsten Slogans der Leave-Kampagne formulierte die Angst vor den Migrationsströmen: „take back control of immigration“. Insbesondere Nigel Farage versprach den EU-Gegnern, bei einem möglichen EU-Austritt wieder selbst über Zuwanderung entscheiden zu können. Kommt es zur „Norwegen“-Lösung, hätten sich diese Aussagen als Illusion erwiesen. Außerdem könnten weiterhin Zahlungen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro bis fast 5 Mrd. Euro Richtung Brüssel fließen. Die Wachstumsaussichten würden sich nach einer Studie des britischen Finanz- und Wirtschaftsministerium in einem günstigen, der „Norwegen“-Lösung ähnlichen, Szenario in der langen Frist um etwa 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte jährlich vermindern (-/0).9 Außerdem würde die europäische Legislative ohne britische Beteiligung fungieren. Für die Volkswirtschaften der EU hätte das kaum direkte ökonomische Implikationen. In der längeren Frist würden sich allenfalls durch die mangelnden wirtschaftsliberalen Impulse der Briten Abweichungen vom Status quo ergeben. Institutionell wäre das beispielsweise durch Verschieben des pivotalen Swing-Players, der über das Formieren einer Sperrminorität im Europäischen Rat entscheidet, hin zu einem tendenziell interventionistischen Land wie Frankreich der Fall. Weniger staatliche Eingriffe würden dann auf der europäischen Ebene blockiert. Die hieraus folgenden ökonomischen Effekte sind jedoch sehr indirekter Natur, so dass die Wachstumsaussichten der Union in der langen Frist ebenfalls unverändert blieben (0).

Zeigten sich beide Spieler kompromissbereit, würde Großbritannien in eine „Norwegen+“-Lösung überführt und sich im Gegensatz zum Status Norwegens besser stellen. Langfristig könnten die Briten ihren Nettobeitrag zum EU-Haushalt von jährlich rund 0,5% des BIP deutlich reduzieren. In Kombination mit den etwa 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten Wachstumseinbußen des BIP wäre der Gesamteffekt für Großbritannien in etwa neutral (0).10 Zudem würde dieses Verhandlungsresultat vermutlich einzelne Nachahmer auf den Plan rufen. Die Drohung der kompromisslosen Verhandlungsführung seitens der EU wäre im Gegensatz zur „Sonderlösung-GB“ immer noch glaubwürdig. Zwar haben die Europäer sich kompromissbereit gezeigt, allerdings nur als Reaktion auf eine kompromissbereite Verhandlung der Briten. Die EU könnte immer behaupten, bei einer kompromisslosen Verhandlungsführung Großbritanniens ebenfalls eine kompromisslose Verhandlungsposition zu wählen. Es ist unwahrscheinlich, dass viele Länder die politische Abhängigkeit ohne Mitbestimmung gegen eine leicht beschränkte Personenfreizügigkeit und einen Rabatt auf Beitragszahlungen eintauschen würden. Auch aus dem britischen Bankenverband kommen die ersten kritischen Stimmen: Keinesfalls wolle man Regulierungen und Vorschriften aus Brüssel vorgesetzt bekommen.11 Die EU an sich bliebe mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen, durch vereinzelte Nachahmer würde jedoch langfristig das europäische Wachstum gebremst werden (-). Prädestiniert für das Verhandeln besserer Konditionen wäre beispielsweise Norwegen.

Pay-offs kurzfristig: Unsicherheit in der Konjunktur

In der kurzen Frist werden die konjunkturellen Effekte primär durch eine erhöhte Verunsicherung der Wirtschaftsakteure getrieben, die Effekte der eingeschränkten Personenfreizügigkeit sind eher zweitrangig. Die rote Linie für die EU-Verhandlungsposition – die Stabilität der EU – bleibt nachrangig, weil in der kurzen Frist das Risiko einer Auflösung der EU von der allgemeinen Unsicherheitslast für die Konjunktur dominiert wird. Bei der „Exit-WTO“-Lösung führen die hohen Zölle, in Kombination mit der massiven Verunsicherung von Investoren und Konsumenten, für Großbritannien zu hohen negativen Konjunktureffekten (--), die den Wegfall der Zahlungen an den EU-Haushalt stark überlagern würden. Für die EU wäre der negative Effekt aufgrund der geringeren Verunsicherung etwas schwächer (-/--).

Bei der „Sonderlösung-GB“ ist der ökonomische Effekt – aufgrund des weiterbestehenden Zugangs zum EU-Binnenmarkt und der wegfallenden Zahlungen an die EU – in der kurzen Frist für Großbritannien sogar positiv (+). So unwahrscheinlich ein solches Verhandlungsergebnis auch erscheinen mag, gerade von manchen Wirtschaftsvertretern wird eine nachgiebige EU-Verhandlungsposition besonders gefordert. Dabei würde sich die EU mit einer entsprechenden Positionierung ins eigene Fleisch schneiden. Kurzfristig müsste sie zwar nur die Beiträge Großbritanniens ersetzen (-), in der langen Frist könnte dieses Verhandlungsergebnis jedoch zu dem beschriebenen schlimmsten Fall für die EU führen, die rote Linie wäre gerissen.

In der kurzen Frist ergeben sich bei der „Norwegen“-Lösung identische Pay-offs wie in der langen Frist. Diese sind dadurch bestimmt, dass Großbritannien verhältnismäßig hohe Beiträge an die EU abführen muss, an einer hohen Unsicherheit leidet, aber relativ zum Status quo keine Veränderung zum europäischen Binnenmarkt verkraften muss (-/0). Auf Seiten der EU fallen die geringeren Zahlungen von der Insel kurzfristig kaum ins Gewicht (0). Bei der „Norwegen+“-Lösung würden sich die negativen Effekte aus Verunsicherung mit den stark verringerten Zahlungen an die EU in etwa die Waage halten (0). Auf der politischen Seite stellt hingegen der Verlust der politischen Partizipation auf europäischer Ebene einen hohen Preis dar. Das Pendant dazu ist die leichte Verschlechterung der EU, die bei hoher Unsicherheit auf Beitragszahlungen verzichten müsste (0/-).

Spieltheoretische Gleichgewichte

Spieltheoretisch ergeben sich aus den so definierten Pay-offs klare Strategieanweisungen. Klassischerweise macht man sich hierzu auf die Suche nach den besten Antworten auf die Strategie des Gegenübers. Bei einer als gegeben unterstellten Verhandlungsposition des Gegenübers wählt ein Spieler in seiner besten Antwort den höheren Pay-off. Sind die Pay-offs gleich hoch, ist der Spieler indifferent zwischen seinen Antworten. Fallen die beste Antwort des einen Spielers mit der besten Antwort des anderen Spielers zusammen, konstituiert sich ein Nash-Gleichgewicht. In Abbildung 2 sind die besten Antworten blau hervorgehoben. Dementsprechend ergeben zwei blaue Pay-offs in einem Kasten ein Nash-Gleichgewicht.

Abbildung 2 verrät schnell, langfristig ist die optimale Antwort der EU unabhängig von der Verhandlungsposition der britischen Regierung eine kompromisslose Verhandlungsführung: Die EU stellt sich besser, im Fall „Exit-WTO“-Lösung als bei der „Sonderlösung-GB“ und im Fall „Norwegen“ als bei „Norwegen+“. Die kompromisslose Verhandlung ist damit eine sogenannte dominante Strategie, die die EU mit Blick auf die lange Frist befolgen sollte. Eine solche dominante Strategie kann auch für Großbritannien langfristig identifiziert werden. Unabhängig von der Strategie der EU, stellt es sich langfristig immer besser, wenn es eine kompromissbereite Verhandlungsführung spielt. Das Nash-Gleichgewicht, in dem sich die Spieler wiederfinden, ist daher langfristig die „Norwegen“-Lösung. Diese aus den drei betrachteten Inhalten resultierende Lösung widerspricht freilich den Intentionen der Austrittsbefürworter und würde damit innenpolitisch in Großbritannien zu heftigen Reaktionen führen. Man kann auch argumentieren, dass die rote Linie für die Kompromissmöglichkeiten seitens der EU die entsprechende rote Linie Großbritanniens dominiert. Der Grund dafür liegt darin, dass die Briten letztlich stärker von der EU abhängig sind als umgekehrt. Die Asymmetrie, die bereits vor dem Verhandlungsbeginn angelegt war, kommt hier zum Ausdruck.

Komplexer ist die Situation in der kurzen Frist (vgl. Abbildung 3). Die beste Antwort der EU besteht darin, auf eine kompromisslose britische Verhandlungsführung kompromissbereit zu reagieren und einer kooperativen britischen Verhandlungstaktik kompromisslos entgegenzutreten: Für die EU ist kurzfristig die „Sonderlösung-GB“ attraktiver als das „Exit-WTO“-Modell und „Norwegen“ profitabler als „Norwegen+“. Hier treffen sich auch die optimalen Antworten Großbritanniens: „Norwegen“ ist wesentlich wirtschaftsfreundlicher als der ökonomisch desaströse „Exit-WTO“, und die „Sonderlösung-GB“ wird von den Briten über „Norwegen+“ präferiert. Damit ergeben sich sowohl „Norwegen“, als auch die „Sonderlösung-GB“ als Beste-Antwort-Nash-Gleichgewichte in der kurzen Frist.

Obwohl das Spiel in der langen Frist ein dominantes „Norwegen“-Gleichgewicht ergibt, zeigt die Analyse der kurzen Frist damit die Verführung nicht nachhaltiger wirtschaftlicher Pay-offs. Denn erlaubt man den Briten den Zugang zum Binnenmarkt ohne die entsprechende Personenfreizügigkeit, wird zwar der stärker wirtschaftsschädigende „Exit-WTO“ verhindert, die EU müsste sich dann jedoch auf eine existenzielle politische Krise einstellen. Wird das Szenario „Norwegen+“ um die politische Dimension erweitert und den Briten zudem das Mitspracherecht auf politischer Ebene gewährt, wäre die Lösung so attraktiv, dass Nachahmer den gleichen Weg wählen und so ebenfalls die EU auseinanderbrechen könnte. Diese Problematik übersieht ein aktueller Lösungsvorschlag,12 der eine sogenannte „kontinentale Partnerschaft“ zwischen der EU und Großbritannien als optimale Lösung deklariert. Diese „kontinentale Partnerschaft“ ist durch den Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt, eine eingeschränkte Personenfreizügigkeit, politisches Mitspracherecht und geringere Budgetzahlungen an die EU gekennzeichnet und geht damit noch über das hier betrachtete „Norwegen+“ hinaus.

Mitnichten geht es darum, an Großbritannien ein Exempel zu statuieren, allein der Blick auf die Zeitinkonsistenz der europäischen Kompromissbereitschaft in der langen Frist bedeutet, dass keine leichtfertigen Zugeständnisse gemacht werden dürfen – zu hoch wäre der Glaubwürdigkeitsverlust für zukünftige Verhandlungen und die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU. Dieses hätte langfristig massive wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge. Die Errungenschaften der EU dürfen nicht kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen geopfert werden.

Politische Konflikte

Freilich stellen die dieser Analyse zugrunde liegenden Annahmen eine erhebliche Vereinfachung dar. Denn sowohl die EU als auch Großbritannien müssen unterschiedliche Interessen berücksichtigen und versuchen, diese in ihren jeweiligen Strategien zu verfolgen. Die Aufgabe, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass langfristige wirtschaftliche Interessen über kurzfristige Gewinne zu stellen sind, setzt ein gewisses Maß an politischer Einigkeit und Beharrlichkeit voraus. Schon die Tatsache, dass sowohl die EU-Kommission (Michel Barnier) als auch der Europäische Rat (Didier Seeuws) Unterhändler für die Verhandlung mit den Briten ernannt haben, deutet darauf hin, dass die EU kein monolithischer Block ist. Hardliner dürften in der Kommission und im Parlament überwiegen, bei den Mitgliedstaaten ist dies nicht durchgängig der Fall. Daher dürfen auch die 27 Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien), die im Europäischen Rat wichtige Grundsatzentscheidungen fällen, nicht als einheitlicher Block betrachtet werden. Führen die nationalen Wahlen in den beiden großen Ökonomien Frankreich und Deutschland 2017 zu stabilen Mehrheiten, könnte dies die Verhandlungsposition und die Geschlossenheit jedoch stärken. In Großbritannien besteht ein latenter Konflikt zwischen Hardlinern (Boris Johnson, David Davis und Liam Fox) und der eher diplomatisch agierenden Theresa May. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Konflikten, die auf unterschiedliche nationale Interessen und Prägungen innerhalb der beiden Verhandlungsparteien zurückgehen:

  • In den EU-Mitgliedstaaten besteht seit jeher der Konflikt zwischen Freihändlern und Interventionisten: Großbritannien zählt zu den grundsätzlich freihändlerisch orientierten Mitgliedstaaten der EU, wie auch die Niederlande, Irland und die nordischen Länder.13 Daneben gibt es eine Reihe von Mitgliedstaaten, die wirtschaftspolitisch stärker interventionistische Ansätze verfolgen, etwa Frankreich und südliche Mitgliedstaaten. Daraus ergeben sich auch unterschiedliche Interessen über die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU. Die nordischen Staaten, aber auch Irland, haben überdies enge wirtschaftliche Verflechtungen mit den Briten. Sie möchten die Insel möglichst eng an die EU binden.14
  • Ein Interessenkonflikt besteht auch zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten: Die 2004 und danach der EU beigetretenen Länder Mittel- und Osteuropas profitieren davon, dass sich Norwegen, aber auch die Schweiz an der Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts finanziell beteiligen. Sie dürften daher ein besonderes Interesse daran haben, dass Großbritannien künftig als Preis für gute wirtschaftliche Beziehungen zur EU einen hohen finanziellen Beitrag leistet. Die neuen Mitgliedstaaten werden zudem nicht daran interessiert sein, dass die EU Großbritannien Zugeständnisse bei der Personenverkehrsfreizügigkeit einräumt. So lebten beispielsweise 2015 fast 870 000 Polen auf der Insel. Umgekehrt gibt es Länder, in denen vergleichsweise viele Briten leben: 301 000 in Spanien und 117 000 in Irland.
  • Seitdem es den Euro gibt, konfligieren zudem die Ansichten zwischen Eurostaaten und Nicht-Eurostaaten: Die Gruppe der Länder, die den Euro nicht als Währung haben, wird nach einem Austritt einen wichtigen Verbündeten verlieren. Umgekehrt werden die Eurostaaten künftig mit weniger Widerstand aus der EU rechnen müssen, wenn sie die Integration in der Währungsunion vorantreiben wollen. Länder mit starken innenpolitischen Kräften, die die EU ablehnen, werden anders verhandeln als Länder, in denen solche Parteien keine oder keine große Rolle spielen.
  • Aber auch in Großbritannien ist nicht von einer einheitlichen Interessenlage auszugehen. Zuerst sind hier die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen anzuführen: Wenn Großbritannien aus der EU ausscheidet, ist nicht auszuschließen, dass die Schotten in einem zweiten Referendum ihren Abschied von Großbritannien nehmen. Die Gefahr dürfte umso größer sein, je weniger Großbritannien nach dem Austritt mit der EU verbunden bleibt. Es gibt bereits Vorschläge, wonach nur Britannien aus der EU austritt, Schottland (möglicherweise auch Nordirland) aber drin bliebe – die sogenannte umgekehrte Grönland-Lösung; das Land hat 1985 die damalige Europäische Gemeinschaft verlassen, gehört aber politisch weiterhin zu Dänemark.15
  • Problembeladen ist auch die Grenze zwischen Irland und Nordirland: Politische Beobachter warnen vor einer mit Kontrollen verbundenen EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, hat doch die Überwindung der Grenze auf der irischen Insel maßgeblich zum Friedensprozess beigetragen.
  • Interessant wird auch das Buhlen um das kleine Gibraltar: Spanien könnte in den Verhandlungen mit Großbritannien Druck ausüben, indem es politische und territoriale Ansprüche auf diese britische Exklave erhebt.
  • Interessenkonflikte für Großbritannien selbst ergeben sich zudem daraus, dass die Briten keineswegs mit klarer Mehrheit für einen Austritt gestimmt haben. Überdies bilden auch die EU-Gegner kein uniformes Lager. Auf der einen Seite gibt es politische Kräfte, die eher protektionistisch orientiert sind und die Insel insbesondere vor dem Zustrom von Bürgern aus der EU „schützen“ wollen. Auf der anderen Seite gibt es Politiker, die Großbritannien in erster Linie von den so empfundenen bürokratischen Regulierungen aus Brüssel „befreien“ möchten und das Land gerne auf einer weltoffenen und freihändlerischen Linie sehen würden.
  • Schließlich: Bei der „Norwegen“-Lösung sitzen einige Mitspieler gar nicht mit am Verhandlungstisch: Norwegen, Island und Liechtenstein (und die Schweiz), die einem Beitritt Großbritanniens zur Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) zustimmen müssten, damit die Briten als EFTA-Mitglied Teil des Europäischen Währungsraums (EWR) werden können und damit den Zugang zum Binnenmarkt behalten.

Die Einschätzung, welcher Akteur institutions- und positionsbedingt eine größere Verhandlungsmacht hat, beruht auf einer Abwägung unterschiedlicher Aspekte. Für eine vollwertige WTO-Mitgliedschaft ist die Zustimmung der 163 WTO-Mitgliedstaaten zu den von Großbritannien vorgeschlagenen Zöllen, Quoten, Subventionen und Konzessionen nötig – somit hat auch jedes Mitglied der EU ein implizites Vetorecht. Derzeit ist das Land zwar über die Europäische Union indirekt Teil der Welthandelsorganisation, mit dem Austritt aus der EU würde die Mitgliedschaft jedoch neu geregelt werden müssen, die Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie Südkorea, Mexiko, Israel oder Südafrika, die über die EU auch für Großbritannien gelten, wären neu auszuhandeln. Schon heute räumen britische Experten ein: Eine WTO-Mitgliedschaft während der zweijährigen Artikel-50-Frist durchzuverhandeln, könnte schwierig werden. Ist Großbritannien dann einmal aufgenommen, würde es im Handel mit den 27 EU-Staaten zu einem Partner wie jedes andere Land ohne Freihandelsabkommen. Damit würden Außenhandelszölle fällig. In der Konsequenz könnte Großbritannien versuchen, näher an die USA zu rücken. Allein für den Abschluss eines Freihandelsabkommens wären jedoch ebenfalls langjährige ressourcenintensive TTIP-ähnliche Verhandlungen vonnöten.

Schon ein kurzer Blick auf die politischen Spannungen zwischen den vielen beteiligten Fraktionen lässt erkennen: Bevor der eigentliche Verhandlungsprozess beginnen kann, muss erst einmal eine lange Findungsphase durchlaufen werden. Inwiefern wirtschaftliche Interessen bei diesen Vorverhandlungen überhaupt eine Rolle spielen, ist schwer abzuschätzen – die politischen Motive könnten die ökonomischen überlagern. Die Analyse der wirtschaftlichen Pay-offs unterschiedlicher Szenarien ergibt in jedem Fall, dass eine gewisse ökonomische Verführung von einer kompromissbereiten europäischen Verhandlungsführung ausgeht. Eine solche riskiert jedoch in der langen Frist ein Auseinanderbrechen der EU mit verheerenden wirtschaftlichen und politischen Folgen.

Title:Brexit and The Future of Europe – a Game Theoretical Approach

Abstract:After the Brexit referendum’s leave­outcome last summer, the new relationship between the UK and the EU has to be shaped institutionally. For the two bargaining parties the question now is which negotiation strategy to take. In order to choose the optimal strategy, the players have to factor in their time preferences. A game theoretical approach yields that the EU – no matter what is economically feasible in the short­run – has to play a tough negotiation strategy if they care about the long­run. This result is not a question of punishment but of pure economic rationale.


DOI: 10.1007/s10273-016-2066-1

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