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Im September 2016 kamen Verbraucherforscher an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu einem Forum des Netzwerks Verbraucherforschung zusammen. Ziel dieses Forums war es, gemeinsam eine Agenda für die mit dem Dynamic Pricing verbundenen Implikationen für die Verbraucherforschung und die Verbraucherpolitik zu entwickeln. Im Zeitgespräch dokumentieren wir die Vorträge aus der Perspektive des Einzelhandels, der Verbraucherforschung, der Neurowissenschaft, der Rechtswissenschaft sowie der Verbraucherpolitik.

Dynamische Preise: ein Gewinn für Handel und Verbraucher

Dynamische Preise sind so alt wie der Handel selbst. Zu denken ist hier an den Markthandel, der seit jeher in besonderer Weise von der Dynamik seiner Preise lebt, etwa weil gerade für Frischeprodukte eine preisliche Differenzierung im Zeitverlauf sinnvoll ist. Auch ist jedem bekannt, dass Stammkunden vielleicht einen besonders „guten“ Preis erhalten, ebenso wie diejenigen, die geschickt verhandeln oder die Kundengruppen, die in den Genuss von Coupons, Promotions oder Zugaben kommen. Demgegenüber sind „feste“ Preise, auch solche, die ohne Verhandlung zwischen Verkäufer und Käufer vereinbart werden, ein relativ junges Phänomen, das wir erst im 20. Jahrhundert im Rahmen neuer Vertriebsformate verstärkt beobachten. Im Zusammenhang mit dem preispolitischen Instrumentarium des Handels spielt die Preisdifferenzierung eine wichtige Rolle. Preise werden räumlich (z.B. in bestimmten Absatzgebieten), zeitlich (z.B. in Aktionszeiträumen) oder individuell (z.B. für einzelne Kundengruppen) differenziert. Die Unternehmen haben damit die Möglichkeit, auf Veränderungen der Marktsituation zu reagieren oder gezielt Kaufimpulse zu setzen.

Im Zuge der Entwicklung des Online-Handels, zunehmend aber auch im stationären Handel, mittels technischer Möglichkeiten wie elektronischer Preisetiketten, werden Preise zunehmend dynamisiert. Heute stehen den Unternehmen dabei über entsprechende Systeme und die klassische Marktforschung umfangreiche Informationen zur Verfügung. Diese ermöglichen es, die Verkaufspreise auch kurzfristig an das Preisverhalten der Wettbewerber oder das Bestellverhalten der Kunden anzupassen.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Über Preise, die im Zeitverlauf angepasst werden, kann der Handel unmittelbar Einfluss auf den Absatz bestimmter Produkte nehmen. Jeder kennt die Werbe-Aktivitäten, über die der Handel Teile des Sortiments oder einzelne Artikel zeitlich befristet zu einem besonders günstigen Preis anbietet. Bei einer solchen zeitlichen Differenzierung bleibt die individuelle Zahlungsbereitschaft der Kunden unberücksichtigt. So senkt der Handel hier Preise auch für Kunden, deren Nachfrage beim ursprünglichen Preis unverändert hoch gewesen wäre. Hier setzen Strategien des Handels an, auch individuell zu differenzieren, also einzelnen Kundengruppen identische Produkte zu unterschiedlichen Preisen anzubieten.

Basis für entsprechende Entscheidungen der Preissetzung können Informationen zum Nachfrageverhalten bestimmter Kundengruppen sein. Über individuelle Preissenkungen kann so die Nachfrage einzelner Zielgruppen punktgenau stimuliert werden. Kunden mit geringer Zahlungsbereitschaft kann ein attraktives Angebot gezielt unterbreitet werden. Auf der anderen Seite können Kunden, deren Kaufverhalten in der Vergangenheit wenig preissensibel war, bei der Werbung für Sonderangebote „ausgeklammert“ werden.

Insgesamt verfügt der Handel heute über vielfältige Optionen, seine Preise zu dynamisieren und zu individualisieren. Der Einsatz entsprechender Hard- und Software wird in den kommenden Jahren nicht nur im Online-Handel zu einer verstärkten Umsetzung entsprechender Strategien der Preisdifferenzierung führen.

Juristischer Rahmen

Dynamische und individualisierte Preise sind ökonomisch positiv zu bewerten. Die Autonomie des Unternehmers, den Preis selbst festzulegen, ist zudem elementarer Bestandteil einer freien Wirtschaftsordnung. Aus diesem Grund gilt in der deutschen Rechtsordnung das Prinzip der Preissetzungsfreiheit.1 Daraus folgt, dass auch Gerichte die „Fairness“ eines geforderten Preises nicht kontrollieren dürfen. Der Bundesgerichtshof hat hierzu bereits im Jahr 1958 mit nicht zu überbietender Klarheit festgestellt: „Einem Unternehmen steht es im Rahmen einer marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnung grundsätzlich frei …, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen.“2

Gleichzeitig wird von Verbraucherschützern aber nicht ohne Grund darauf hingewiesen, dass auch bei den neu entdeckten und durch die Digitalisierung forcierten Formen der dynamischen Preisgestaltung die Interessen der Konsumenten nicht aus den Augen verloren werden dürfen.3 Die geltende Rechtsordnung beschränkt daher in der Praxis bereits heute die Möglichkeiten der Unternehmen, mit dynamischen Preisen zu operieren, schützt die Verbraucher und stellt die Unternehmen gleichzeitig vor teilweise nicht unerhebliche praktische Herausforderungen.

Händler müssen auch bei dynamischer Preisgestaltung Irreführungen der Verbraucher vermeiden:

  • Werbung: Hierzu müssen sie sicherstellen, dass die in der Werbung angebotenen Preise und die im Ladengeschäft tatsächlich verlangten Preisen nicht zum Nachteil des Kunden voneinander abweichen.4 Stellt der Verbraucher nämlich im Laden oder an der Kasse fest, dass ein Produkt zu einem höheren als dem offerierten Preis in Rechnung gestellt wird, so muss der Einzelhändler nicht nur mit dem Unmut seines Kunden rechnen, sondern verstößt auch gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot (§ 5 Abs. 1 Ziff. 2 UWG), kann also von Konkurrenten oder Verbraucherverbänden abgemahnt und gegebenenfalls zur Abgabe einer Unterlassungserklärung veranlasst werden.

Verbrauchertäuschungen über die Höhe des Preises muss der Händler also auch bei dynamischen Preisen ausschließen. Da dies aus technischen Gründen nicht immer einfach ist, sind einer Preisanpassung nach oben praktische Grenzen gesetzt, z.B. wenn der Händler gedruckte Werbung nutzen und die Preise gleichzeitig dynamisch gestalten will. Für den Werbezeitraum sind dann de facto nur noch Preisanpassungen nach unten möglich. Gegebenenfalls wird der Händler also neue und flexiblere Werbemethoden mit zeitlicher Beschränkung nutzen müssen.

  • Preisauszeichnung am Regal: Ähnliche praktische Probleme stellen sich bei der dynamischen Preisgestaltung im Zusammenhang mit der Preisauszeichnung am Regal. Diese ist wohl nur mit Hilfe digitaler Preisschilder praktikabel und erfordert damit zunächst einmal erhebliche Investitionen des Händlers. Aber selbst wenn diese technischen Voraussetzungen vorliegen, muss der Händler sicherstellen, dass der Preis sich nicht auf dem Weg des Kunden vom Regal zur Kasse zu dessen Nachteil verändert. Dies illustriert die praktischen Grenzen des Handels bei der Nutzung dynamischer Preise. Eine Preisumstellung ist damit gegenwärtig nur außerhalb der Geschäftszeiten möglich. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Digitalisierung in Zukunft neue Wege für den Handel eröffnen und rechtskonformes Verhalten ermöglichen wird.
  • Sonderfall Online-Handel: Die praktischen Probleme des stationären Handels kennt der Online-Handel nicht. Der Online-Shop-Betreiber kann die Möglichkeiten flexibler Preisgestaltung daher schon heute intensiver nutzen. Während die dynamische Preisgestaltung im Online-Shop problemlos umsetzbar ist, müssen die Betreiber aber z.B. gewährleisten, dass die von ihnen in Preisvergleichsportalen eingestellten Preise dem aktuellen Stand entsprechen.5 Eine Herausforderung, die Online-Händler aber ganz überwiegend schon heute gut bewältigen können.

Irreführungen durch dynamische Preisgestaltung können durch unternehmerisches Handeln ausgeschlossen werden. Dadurch werden den Möglichkeiten des Handels aber praktisch Grenzen gesetzt.

Eine dynamische Preisgestaltung ist auch nicht per se unlauter. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der durchschnittlich informierte Verbraucher erkennen wird, dass Änderungen von Angebot und Nachfrage bei dynamischen Preisen Auswirkungen auf die Preishöhe haben. Dies kennt der Konsument schon heute von Tankstellen, wo er am Montagabend preisgünstiger tankt als am Wochenende oder während der Ferienzeit. Der Verbraucher wird also in Zukunft durchaus auch beim regulären Einkauf erkennen können, dass er in Zeiten mit geringerer Frequenz im Ladenlokal seine Einkäufe wiederholt günstiger erledigen kann, hektische und unüberlegte Hamsterkäufe sind damit ausgeschlossen, sodass auch insofern eine irreführende geschäftliche Handlung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UWG nicht in Betracht kommt.6

Gruppenpreise

In der Öffentlichkeit werden Preisdifferenzierungen für bestimmte Personengruppen besonders kritisch diskutiert. Dies irritiert, weil seit dem Fall des Rabattgesetzes Preisnachlässe für bestimmte Personen wie z.B. Stammkunden üblich geworden sind und vom Verbraucher gerne in Anspruch genommen werden. Daher überrascht die Skepsis, die der individualisierten Preissetzung entgegenschlägt, weil sie von einigen Verbraucherschützern und Verbrauchern offenbar als „unfair“ bewertet wird.7

Grundüberlegungen dazu sind:

  • Grundsätzlich kein Gleichbehandlungsgebot beim Preis: Es ist festzustellen, dass die deutsche Rechtsordnung grundsätzlich kein allgemeines Gleichbehandlungsgebot für den Händler im Zusammenhang mit seiner Preissetzung kennt.8 Vielmehr steht die Preissetzungsfreiheit im Vordergrund, wie es für eine freiheitliche Marktordnung auch angemessen ist. Ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht tatsächlich problematische Neidfaktoren eine große Rolle spielen, wenn Verbraucher gleiche Preise für alle wünschen, selbst wenn dadurch Effizienzgewinne ausgeschlossen werden9 und der durchschnittliche Preis für alle daher tendenziell höher ist. Es kann und darf aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein, solche irrationalen Bedürfnisse der Verbraucher zu befriedigen, wenn dabei die objektiven Verbraucherinteressen gleichzeitig auch noch konterkariert werden. Eine verantwortungsvolle Politik darf eben nicht der Versuchung erliegen, unnötige und im Hinblick auf die Zielsetzung des Verbraucherschutzes sogar kontraproduktive Regulierungen zu erlassen, um bestimmte, wettbewerbsökonomisch zu missbilligende Gesinnungen zu befriedigen.
  • Transparenzgebot: Die Preissetzung in Bezug auf den vom einzelnen Kunden zu zahlenden Preis muss natürlich transparent sein. Hierzu bedarf es aber keiner Angabe von Referenzpreisen. Der Bezug auf einen Durchschnittspreis ist nämlich nicht erforderlich, um Transparenz im Hinblick auf den spezifischen Preis herzustellen.10 Er kann sich auch ohne einen Referenzpreis umfassend und erschöpfend durch Preisvergleiche über den Preisstand informieren.
  • Diskriminierungsfreiheit im Hinblick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Solange auch kein Verstoß gegen das AGG vorliegt, weil z.B. von Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen oder wegen des Geschlechts unterschiedliche Preise verlangt werden, sind Preisdifferenzierungen als Ausfluss einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zu akzeptieren. Die „Fairness“ ist als unbestimmter, subjektiv definierter Begriff jedenfalls kein geeigneter juristischer Maßstab, um eine Verpflichtung zur einheitlichen Preisgestaltung für alle Konsumenten zu rechtfertigen.

Für Aufmerksamkeit in der politischen Diskussion haben vermeintlich unterschiedliche Preise für Männer und Frauen bei Massengeschäften gesorgt. Unterschiedliche Preise sind dabei rechtswidrig, wenn der Preis für dasselbe Produkt abhängig vom Geschlecht des Kunden unterschiedlich gestaltet wird, obwohl die Kaufverträge typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen, wie es im Einzelhandel regelmäßig der Fall ist. Solche Preisgestaltungen stellten offensichtlich eine unzulässige Diskriminierung wegen des Geschlechts dar und würden daher gegen § 19 Abs. 1 AGG verstoßen.

In der Praxis bestimmen aber tatsächlich anders gelagerte Sachverhalte die Diskussion. Kritisiert werden unterschiedliche Preise für funktional vergleichbare, aber anders gestaltete Produkte. In diesen Fällen wird der Preis nicht abhängig vom Nachfrager, sondern abhängig vom Produktdesign differenziert gestaltet. Auch wenn durch das Design gezielt ein Geschlecht angesprochen wird, so steht es dem aufgeklärten Konsumenten in diesem Fall frei, sich für das vergleichbare Produkt in einem – für ihn vielleicht weniger ansprechenden – Design zu einem günstigeren Preis zu entscheiden. Ein Verstoß gegen die Vorgaben des AGG kann daher in einem solchen Marketingverhalten der Unternehmen nicht gesehen werden. Der unternehmerischen Freiheit ist auch hier der Vorzug vor übertriebenen Regulierungen im Zuge eines Gleichheitswahns zu geben.

Das geltende Lauterkeitsrecht verbunden mit den Vorschriften des AGG setzt also bereits einen Rahmen für die individualisierte Preisgestaltung, die den Kunden vor Irreführung und Diskriminierung wirksam schützt. Darüber hinaus darf die Autonomie des Verkäufers, Preise festzulegen und Differenzierungen gegenüber einzelnen Kunden vorzunehmen, nicht gesetzlich eingeschränkt werden. Andernfalls würden die Grundsätze unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung infrage gestellt. Kurz und knapp stellt Bornkamm hierzu fest: „Es besteht … kein generelles Verbot der Preisdifferenzierung für gleiche Waren in demselben Geschäft.“11 Der Händler darf daher gegenüber einzelnen Kundengruppen von den üblichen Preisen abweichen und individuelle Sonderpreise gewähren. Wenn trotz der ohnehin bestehenden Überregulierung im Bereich des Verbraucherschutzes auch noch diese Freiheit des Unternehmers beschränkt würde, bliebe von der Vertragsfreiheit nur noch ein Rudiment übrig. Auch verfassungsrechtlich wäre ein solches Vorgehen bedenklich, denn nicht zuletzt wird die Preisgestaltungsfreiheit über Art. 2 Grundgesetz (allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit) als Element der Wettbewerbsfreiheit geschützt.

Individualisierte Preise

Bei individualisierten Preisen muss der Händler bei der Preiskalkulation natürlich zunächst die Datenschutzbestimmungen beachten. Er darf ohne Einwilligung des Kunden dessen persönliche Daten daher nur in den gesetzlichen Grenzen des Bundesdatenschutzgesetzes für die Preisgestaltung nutzen.

Auch darf der Verbraucher durch einen individualisierten Preis nicht in die Irre geführt werden, denn auch hier gilt das Verbot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Dieser Tatbestand ist bei persönlich zugeschnittenen Preisen aber in der Regel nicht erfüllt. Der individualisierte und gegebenenfalls höhere Preis enthält weder eine Aussage über den üblichen Durchschnittspreis noch die Behauptung, dass das nachgefragte Produkt anderen Verbrauchern zum gleichen Preis angeboten wird.12 Die von der Verbraucherschutzministerkonferenz in Betracht gezogene Verpflichtung des Händlers, den Referenzpreis zu offenbaren,13 wäre mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, würde die dynamische Preissetzung unverhältnismäßig verkomplizieren und die Händler von der Nutzung dieses Instruments de facto abhalten. Damit würden die Chancen, die nicht zuletzt auch für den Verbraucher mit geringerem Einkommen mit individualisierten Preisen verbunden sind, unnötig minimiert. Auch dies kann nicht das Ziel einer Verbraucherpolitik sein, die sonst jeder Umverteilung aus sozialen Erwägungen aufgeschlossen gegenübersteht, die soziale Komponente dynamischer Preise aber tendenziell ignoriert.

Neue Informationspflichten für den Einsatz individualisierter Preise sind auch nicht erforderlich, weil gerade die Digitalisierung eine bisher unbekannte Preistransparenz für den Verbraucher geschaffen hat, die ihm sowohl im Ladengeschäft als auch im Online-Handel einen sofortigen Preisvergleich ermöglicht. Verzichtet der Kunde aber trotz bestehender Möglichkeiten bewusst darauf, diese Chancen zu nutzen, so besteht kein Grund, dieses selbst gewählte Defizit durch Pflichtinformationen auszugleichen.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf?

Trotz des bereits bestehenden rechtlichen Ordnungsrahmens wird es teilweise für erforderlich gehalten, die bestehenden Möglichkeiten zur dynamischen Preisgestaltung zu beschränken. So hat die 12. Verbraucherschutzministerkonferenz am 22. April 2016 zur Stärkung des Verbraucherschutzes folgende Maßnahmen beschlossen:14

  • Händler sollen nicht nur verpflichtet werden, den Verbraucher über den Referenzpreis der angebotenen Produkte zu informieren, sondern Händler sollen darüber hinaus auch die Bedingungen für eine Abweichung in „nachvollziehbarer und transparenter Weise“ offenbaren.
  • Im Rahmen einer „Selbstverpflichtung“ sollen sich Online-Händler darauf verständigen, Preise für eine Mindestdauer unverändert zu lassen sowie für einen bestimmten Zeitraum den bisherigen Preisverlauf grafisch darzustellen.

Eine Notwendigkeit, die unternehmerische Freiheit durch diese Maßnahmen weiter zu beschränken und unternehmerisches Handeln zu regulieren, besteht – wie dargestellt wurde – nicht. Die Verbraucher werden durch den bestehenden Rechtsrahmen hinreichend geschützt. Vor unlauterem Verhalten des Händlers und insbesondere vor Irreführungen schützt das UWG. Die Vorschriften des AGG schließen auch eine Diskriminierung bestimmter Konsumentengruppen wirksam aus. Das Datenschutzrecht gewährleistet, dass die Daten des Kunden nicht unbefugt für die Preiskalkulation herangezogen werden.

Die geplante Selbstverpflichtung zur Information über die Referenzpreise und den Preisverlauf ist nicht zuletzt auch aus kartellrechtlicher Hinsicht problematisch, da der Unternehmer verpflichtet wird, im Übrigen geheime Informationen zu offenbaren. Auf diese Weise wird die Transparenz des Marktes künstlich erhöht. Dadurch kann abgestimmtes Wettbewerbsverhalten erleichtert werden.15 In jedem Fall werden bei der transparenten Gestaltung dieser strategisch wichtigen Informationen Wettbewerbsanreize reduziert.16 Der Wettbewerb wird dadurch im vermeintlichen Interesse der Verbraucher eingeschränkt. Dieser Effekt würde durch die Verpflichtung, Preise über eine gewisse Zeitspanne unverändert zu lassen, noch verstärkt. Tendenziell würden die von den Verbraucherschutzministern befürworteten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen mittelfristig wohl eher zu durchschnittlich höheren Verbraucherpreisen führen.

Fazit

Der Gesetzgeber sollte seine Pflicht ernst nehmen, die Einzelinteressen der Marktteilnehmer intensiv gegeneinander abzuwägen, bevor er weitere gesetzliche Maßnahmen zur Durchsetzung vermeintlicher Verbraucherinteressen in den Blick nimmt. Dabei sind zusätzliche Belastungen des Unternehmers im Zusammenhang mit möglichen neuen Informationspflichten, praktische Schwierigkeiten bei der rechtssicheren Darstellung und insbesondere die verfassungsrechtlich geschützte Preissetzungsfreiheit dem intendierten Mehr an Verbraucherschutz unter Berücksichtigung der bestehenden Möglichkeiten der Konsumenten zur autonomen Informationsbeschaffung gegenüberzustellen. Im Ergebnis wird festzustellen sein, dass jedenfalls auf neue Informationspflichten, die in der Praxis nur schwer umsetzbar sind und damit die Freiheit der Unternehmer zur dynamischen Preisgestaltung unterhöhlen können, zu verzichten ist.

Der Gesetzgeber ist daher gut beraten, in dem sich dynamisch entwickelnden Umfeld der Preissetzung zurückhaltend zu agieren und dem Verbraucher die Vorteile eines freien (Preis-)Wettbewerbs nicht vorzuenthalten. Damit wird in der Praxis mehr Verbraucherschutz realisiert als mit jeder Regulierung.

  • 1 BGH vom 13.3.2003, Az. I ZR 212/00, NJW 2003, S. 2096 f.
  • 2 BGH vom 18.4.1958, Az. I ZR 158/56, NJW 1958, S. 1140.
  • 3 Ergebnisprotokoll der 12. Verbraucherschutzministerkonferenz am 22.4.2016 in Düsseldorf, S. 39 f., https://www.verbraucherschutzministerkonferenz.de/Beschluesse.html.
  • 4 H. Köhler, J. Bornkamm, J. Feddersen: Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 34. Aufl., München 2016, Bornkamm § 5 Rdnr. 7.17.
  • 5 BGH, Urteil vom 11.3.2010, Az. I ZR 123/08, MMR 2010, S. 745.
  • 6 Vgl. F. Hofmann: Der maßgeschneiderte Preis, in: Wettbewerb und Praxis (WRP), H. 9, 2016, S. 1074, 1078.
  • 7 Ergebnisprotokoll der 12. Verbraucherschutzministerkonferenz, a.a.O.; Harris Interactiv AG: Dynamisches und individuelles Pricing – Chancen für den Handel, unschlüssige Konsumenten, Presseinformation vom 9.6.2016, http://harris-interactive.de/opinion_polls/dynamisches-und-individuelles-pricing/ (5.12.2016).
  • 8 H. Köhler, J. Bornkamm, J. Feddersen, a.a.O., Bornkamm § 5 Rdnr. 7.14.
  • 9 Harris Interactive AG, a.a.O.
  • 10 F. Hofmann, a.a.O., S. 1074, 1080.
  • 11 H. Köhler, J. Bornkamm, J. Feddersen, a.a.O., Bornkamm, § 5 Rdnr. 7.15.
  • 12 F. Hofmann, a.a.O., S. 1074, 1080.
  • 13 Ergebnisprotokoll der 12. Verbraucherschutzministerkonferenz, a.a.O.
  • 14 Ebenda.
  • 15 Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C11/01, Rdnr. 65.
  • 16 Ebenda, Rdnr. 86.

* Das Forschungsprojekt „Der Einfluss von Dynamic Pricing auf das Verbrauchervertrauen und die Einkaufsstättenwahlentscheidung im stationären Lebensmitteleinzelhandel – eine empirische Analyse“ wurde durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung (MIWF) des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung NRW (KVF NRW) gefördert. Das KVF NRW ist ein Kooperationsprojekt des MIWF mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. und dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) des Landes Nordrhein-Westfalen.

Dynamisch und personalisiert: Wie entwickelt sich die Preissetzung im Online-Handel?

Das Thema „Dynamic Pricing“, häufig auch im Zusammenhang mit den Begriffen „individuelle Preise“ und „personalisierte Preise“, erfreut sich einer zunehmenden Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung. Dynamic Pricing geht einher mit der steigenden Verfügbarkeit und Verarbeitung von immer mehr Daten, die Unternehmen von Konsumenten an vielen Stellen und in unterschiedlichster Form sammeln.

Im Online-Handel ergeben sich durch gesunkene Menükosten (Preisänderungskosten) neue Spielräume für Preisanpassungen. Die Zahl der Preisänderungen hat sich erhöht, während die Höhe der jeweiligen Preisänderungen kleiner geworden ist – es gibt also viele kleine Preisänderungen. Dazu kommt, dass Wettbewerbspreise einfach und automatisiert ausgelesen werden können. Reaktionen auf diese Wettbewerbspreise werden schneller möglich und damit auch häufiger umgesetzt. Doch Fähigkeiten und Zeit des Managements sind weiterhin limitierende Faktoren.1 Aus Verbrauchersicht ergibt sich das Bild einer Vielzahl von Preisänderungen, deren Ursachen nicht unmittelbar einsichtig sind und daher unter anderem in Bezug zum eigenen Verhalten gesetzt und damit als personalisiert wahrgenommen werden. Beobachtbare Preisänderungen im Zeitablauf können sowohl auf gewollt unterschiedliche Preise zu unterschiedlichen Zeiten zurückgeführt werden oder aber sind Resultat der Preissetzungs-Aktivitäten der Wettbewerber und damit gar nicht nachfrageorientiert, sondern wettbewerbsorientiert.

Unter personenbezogener, individueller Preisdifferenzierung soll verstanden werden, dass ein Kunde auf Basis von persönlichen Daten einen individuellen Preis angezeigt bekommt, der auch bei ähnlichen situativen Umständen (Zeitpunkt, Ort, genutzte Hardware) keinem anderen Kunden angeboten wird (Preisdifferenzierung 1. Grades). Dynamic Pricing dagegen bezeichnet sich im Zeitablauf ändernde Preise, häufig am Wettbewerb orientiert und unabhängig von den individuellen Daten eines Nutzers (Preisdifferenzierung 2. Grades). Ein weiterer Grund für unterschiedliche Preise im Zeitablauf können unterschiedliche Preisbereitschaften der Nutzer sein, die abgeschöpft werden sollen (Preisdifferenzierung 3. Grades). Diese Form der Preisdifferenzierung kann nur eingesetzt werden, wenn sich Arbitrage verhindern lässt.

Dynamische Preisbildung

Eine zeitliche Preisdifferenzierung nach dem Kaufzeitpunkt ist dabei altbekannt. Konsumenten kennen diese Form seit 1978 in der Luftfahrt-Branche.2 Seither hat sich diese Form der Preissetzung im Kontext des Revenue Managements weiterentwickelt. Die Konsumenten haben den Preisbildungsmechanismus verstanden und akzeptieren auf Basis der Unterschiedlichkeit der Transaktionen (unterschiedliche Buchungszeitpunkte) unterschiedliche Preise.3

Es ist zu prüfen, inwiefern der Online-Handel mit den Dienstleistungsbranchen vergleichbar ist, in denen bislang Revenue Management betrieben wird. Angenommen, ein Online-Händler variiert seine Preise im Zeitablauf, beispielsweise im Laufe eines Tages. Eine Preissenkung erhöht den Gesamtdeckungsbeitrag, wenn der mit dieser Preissenkung erzielte zusätzliche Deckungsbeitrag durch Mehrmenge den gleichzeitig auftretenden Verzicht auf Stückdeckungsbeitrag überkompensiert. Aufgrund der variablen Kosten muss die prozentuale Mengensteigerung deutlich größer sein als die prozentuale Preissenkung, um einen positiven Deckungsbeitragseffekt zu erzielen. Da bei den meisten Gütern eine Marktausweitung kaum zu erwarten ist, wird diese Zusatzmenge zum großen Teil durch eine zeitliche Verlagerung zustande kommen. Ökonomisch lohnend kann diese Politik nur dann sein, wenn die Mehrmenge vom Wettbewerb kommt. Im Falle einer oligopolistischen Angebotsstruktur werden solche Mengenänderungen vom Wettbewerb bemerkt werden. Dieser wird nun seinerseits die Preise senken, um die verlorene Menge zurückzugewinnen. Am Ende haben alle Anbieter ihre Preise gesenkt, die Mengen und Marktanteile sind gleich geblieben, ihre Renditen sind gesunken und die Verbraucher bezahlen weniger.

Diese Effekte können noch viel schneller eintreten, wenn die Preissetzung und die Ermittlung von Konkurrenzpreisen automatisiert erfolgen. Schon sehr früh wurde das Beispiel dokumentiert, dass der Preis für ein einfaches wissenschaftliches Taschenbuch sich durch automatisierte Preisanpassungen über mehrere Runden bis auf über 7 Mio. US-$ erhöht hat, was die Absurdität einer solchen unreflektierten Vorgehensweise deutlich macht.4

Heute wird eher ein regelbasiertes Dynamic Pricing eingesetzt. Der Online-Händler kann damit ein differenziertes Set an Regeln, nach denen die Preise wettbewerbsorientiert angepasst werden, aufsetzen. So können nur Preise von bestimmten Händlern gematcht werden oder für bestimmte Marken kann ein Preisabstand zum Wettbewerb eingehalten werden. Inhaltlich ist das keine neue Vorgehensweise, neu ist die automatisierte Erhebung der Wettbewerbspreise. Diese technikgetriebene Vorgehensweise steht allen Händlern ohne größere Investitionen zur Verfügung, da sie mittlerweile auch als Software as a Service (SaaS) angeboten wird. Selbst auf dem Marktplatz von Amazon können die Marktplatz-Händler ein solches integriertes Werkzeug nutzen. Doch diese Software-Lösungen entbinden den Händler nicht davon, die grundlegende Preissetzungsstrategie zu definieren, die Wertposition seines Angebotes sowie das Markenpremium für die angebotenen Marken festzulegen.5

Daneben besteht die Möglichkeit, komplexere Algorithmen einzusetzen. Es werden neben dem Preis eine Reihe weiterer unabhängiger Variablen identifiziert, die Einfluss auf die Absatzmenge haben können. Dazu gehören die Wettbewerbspreise, das Angebot vergleichbarer Produkte in einer Filiale, die Art der Produktpräsentation, Kundenbewertungen und auch Tageszeit und Wochentag. Auf Basis von Vergangenheitsdaten wird versucht, die jeweilige Bedeutung dieser Einflussfaktoren zu ermitteln und anschließend Prognosen über die Absatzmengen bei alternativen Preisen zu erstellen. Entscheidend ist, welchen Varianz-Anteil diese Modelle erklären können und wie mit Strukturbrüchen umgegangen wird. Naturgemäß werden die verwendeten Algorithmen von den Anbietern nicht offengelegt, sodass eine Abschätzung der Erfolgsträchtigkeit dieser Maßnahmen schwierig ist.

Verändert ein Unternehmen nun im Zeitablauf die Preise, so werden Kunden erleben, dass der Preis für das kürzlich erworbene Produkt beim gleichen Anbieter kurzfristig gesunken ist. Es ist zu erwarten, dass zumindest einige der betroffenen Kunden sich melden und ebenfalls die niedrigeren Preise fordern. Zu einer Strategie der dynamischen Preisänderungen gehört damit auch der Umgang mit solchen Kundenanfragen. Ein denkbarer Lösungsansatz wird vom amerikanischen Unternehmen BestBuy praktiziert, das eine zeitlich begrenzte Preisgarantie ausspricht und sowohl eigene niedrigere Preise als auch die von ausgewählten Online-Shops und stationären Händlern matcht.6 Der Kunde bekommt dann auf Anfrage die Preisdifferenz erstattet. Je nach Deckungsbeitrag, Preisgestaltung, Wettbewerbssituation und Einlöseverhalten der Kunden sind solche Preisgarantien zu bewerten. Alternativ könnten sie den Artikel zum niedrigeren Preis neu bestellen und den Artikel mit dem höheren Preis zurückschicken, was insbesondere bei kostenlosen Retouren eine interessante Möglichkeit ist. Eine solche Form der Arbitragemöglichkeit steht aber der Durchsetzung einer Preisdifferenzierung entgegen.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Aufmerksamkeit, die dem Preis zuteil wird, weiter ansteigt. Erwarten die Kunden häufige Preisänderungen, so wird es immer attraktiver, diese Preisänderungen zum eigenen Vorteil auszunutzen und zum günstigsten Preis zu kaufen. Es entstehen neue Unternehmen und Angebote, die es dem Kunden vereinfachen, den besten Kaufzeitpunkt zu nutzen. Anbieter wie meinpreiswecker.de schicken eine Erinnerung, wenn der Wunschpreis auf Amazon.de erreicht wurde und zeigen darüber hinaus die historische Preisentwicklung auf. Das Unternehmen Spottster bietet einen ähnlichen Service an, beobachtet aber eine Vielzahl von Händlern. Im Hotelbereich nutzt DreamCheaper Preisschwankungen für Hotelzimmer aus, indem bei einer positiven Preisentwicklung das ursprünglich gebuchte Hotelzimmer storniert und anschließend günstiger neu gebucht wird. Auf der Seite decide.com in den USA wurde die Preisentwicklung vorhergesagt und die Prognose des günstigsten Kaufzeitpunktes darüber hinaus mit einer eigenen Preisgarantie hinterlegt.7 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum ein Nutzer heute noch selbst kaufen sollte, wenn doch eine Software seinen Wünschen gemäß („zum günstigsten Preis und Lieferung bis in spätestens in einer Woche“ beispielsweise) das beste Angebot heraussuchen und selbstständig bestellen kann.

Personalisierte Preisbildung

Personalisierte Preise werden häufig vermutet, können jedoch selten nachgewiesen werden. In einer explorativen Studie, bei der Anbieter in Deutschland aus zehn Branchen mit Hilfe unterschiedlicher Stimuli untersucht wurden, konnte nur im Bereich Tourismus eine personalisierte Preisbildung festgestellt werden.8 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Untersuchung der Kammer für Arbeiter und Angestellte zum Konsumentenschutz in Wien.9 Auch zwei weitere Untersuchungen in Europa und den USA konnten 2012 und 2014 personalisierte Preise nur in sehr begrenztem Ausmaß feststellen.10 Die meisten Meldungen über personalisierte Preise ließen sich auf andere Formen der Preisdifferenzierung (beispielsweise ortsbezogen) oder schlichtweg Tests bzw. Unzulänglichkeiten bei der Ausspielung der Preise zurückführen.

Selbst wenn es gelingen würde, die Nutzerdaten für die Vorhersage von individuellen Preisbereitschaften zu nutzen, steht der Durchsetzung von personalisierten Preisen noch eine Reihe von Hindernissen gegenüber. Verbraucher, die über Preissuchmaschinen einen Online-Shop aufsuchen, müssen den in den Suchmaschinen angezeigten Preis erhalten. Für sie kommt damit nur die Preisdifferenzierung über den Vertriebskanal in Betracht. Verfügt der Online-Anbieter noch über ein Stationärgeschäft, ist er also als Multichannel-Händler tätig, dann führen individualisierte Online-Preise zu unterschiedlichen Preisen online und offline. Im Wettbewerbsvergleich mit anderen Online-Händlern kann der Kunde durchaus andere, niedrigere Preise als den Preis, der seiner Preisbereitschaft entspricht, finden.11 Dies ist dann der Fall, wenn die anderen Online-Händler zwar auch individuelle Preise anbieten, aber möglicherweise zu einer anderen Einschätzung der Preisbereitschaft des Kunden gekommen sind. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Unternehmen gar nicht die Fähigkeiten besitzen, solche Preisbereitschaften zu ermitteln. Dazu kommt, dass sie möglicherweise andere Unternehmensziele verfolgen. Bei einer mengenorientierten Strategie tritt die Maximierung des Abverkaufs in den Vordergrund und auf eine deckungsbeitragsmaximierende Abschöpfung von Preisbereitschaften wird verzichtet. Ein anderer zentraler Punkt, der in diesem Beitrag nicht weiter vertieft wird, sind die Konsumentenreaktionen vor dem Hintergrund der wahrgenommenen Preisfairness, die für die Unternehmen zu negativen Konsequenzen führen können.12

Auch Verbraucher können Software-Anwendungen einsetzen, um auf personalisierte Preisbildung zu reagieren und um möglichst geringe Preise zahlen zu müssen. Im einfachsten Fall würde der Verbraucher die Bestellung einer Person überlassen, die aufgrund ihres Profils günstigere Preise bekommt. Oder aber die übermittelten Daten werden durch die Software des Verbrauchers derart manipuliert, dass dem Server des Online-Shops grundsätzlich die Merkmale einer Person mit niedriger Preisbereitschaft übermittelt werden, sodass entsprechend günstige Preise realisiert werden können.

Fazit und Thesen zur weiteren Entwicklung

  1. Die derzeitige Situation ist nur bedingt aussagekräftig, da Unternehmen und Dienstleistern viel experimentieren. Viele wichtige Voraussetzungen beispielsweise für eine eindeutige Identifizierung der Kunden auch über Endgeräte hinweg sind in der technischen Umsetzung noch nicht gelöst.
  2. Es lässt sich festhalten, dass Preisdifferenzierung online eine größere Rolle spielen wird. Doch zunächst dürfte insbesondere die Preisdifferenzierung über Vertriebskanäle hinweg an Bedeutung gewinnen und dem Verbraucher, der die entsprechenden Suchkosten auf sich nimmt, den Zugang zu günstigen Preisen ermöglichen.
  3. Vor der Einführung von personalisierten Preisen ist eine Individualisierung des jeweils dargestellten Produkt­angebotes zu erwarten.
  4. Individuelle Preise werden vermutlich zunächst als individuelle Rabatte über Gutscheine implementiert werden.
  5. Eine vollständige Abschöpfung der Konsumentenrente wird solange nicht möglich sein, wie die Anbieter im Wettbewerb unterschiedliche Ziele verfolgen. Gerade im Internet mit den sehr niedrigen Markteintrittsbarrieren über Marktplätze wird häufig neuer Wettbewerb entstehen.
  6. Verbraucher werden ihrerseits die Technologie nutzen, um die für sie jeweils günstigsten erreichbaren Preise zu realisieren. Die Kunden werden bei Nutzung datenbasierter, personenindividueller Preise ihrerseits ihre gesendeten Profildaten mit Hilfe von Standardsoftware manipulieren können und auch die Kaufentscheidung für einen bestimmten Händler einem Agenten (Shop-Bot) übertragen.
  7. Vielversprechend ist der Weg einer Immunisierung der eigenen Kunden gegenüber den Wettbewerbsangeboten, wie Amazon dies bereits mit seinem Prime-Angebot erfolgreich umsetzt. Eine solche Vorgehensweise bereitet den Boden, um später auch individuelle Preise ausspielen zu können, ohne permanent dem Wettbewerb ausgesetzt zu sein.
  • 1 Vgl. M. Bergen et al.: Shattering the Myth of Costless Price Changes, in: European Management Journal, 21. Jg. (2003), H. 6, S. 663-669.
  • 2 Vgl. R. Klein, C. Steinhardt: Revenue Management, Berlin, Heidelberg 2008, S. 2 ff.
  • 3 Vgl. M. Friesen, S. Reinecke: Wahrgenommene Preisfairness bei Revenue Management im Luftverkehr, in: Thexis 4/2007, S. 34-39.
  • 4 Vgl. M. Eisen: Amazon’s $23,698,655.93 book about flies, http://www.michaeleisen.org/blog/?p=358 (17.10.2016).
  • 5 Vgl. D. Bounie et al.: Online Price Dispersion: An International Comparison, Interdisciplinary Institute for Innovation, Working Paper 12-TS-02, 11.4.2012.
  • 6 Vgl. A. Zimmerman: Best Buy Plays Web Hardball, WSJ, 12.10.2012, S. B1, www.bestbuy.com (22.10.2016).
  • 7 Das Angebot von decide.com wurde auf Basis einer Untersuchung von frei verfügbaren Preisen für Flüge entwickelt, vgl. zum wissenschaftlichen Ansatz O. Etzioni et al.: To Buy or Not to Buy: Mining Airline Fare Data to Minimize Ticket Purchase Price, SIGKDD ’03, 24.-27.8.2003, Washington DC.
  • 8 Vgl. M. Schleusener, S. Hosell: Personalisierte Preisdifferenzierung im Online-Handel, Untersuchung und Ausarbeitung im Auftrag des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Oktober 2015, http://www.svr-verbraucherfragen.de/wp-content/uploads/2016/01/Preisdifferenzierung-im-Onlinehandel_eWeb-Research-Center.pdf (22.10.2016).
  • 9 Vgl. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien (Hrsg.): Dynamic Pricing – die Individualisierung von Preisen im E-Commerce, November 2015, https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/Dynamic_Pricing_2015.pdf (22.10.2016).
  • 10 Vgl. A. Hannaket al.: Measuring Price Discrimination and Steering on E-commerce Web Sites, Proceedings of the 2014 Conference on Internet Measurement, S. 305-318; J. Mikians et al.: Detecting Price and Search Discrimination on the Internet, Proceedings of the 11th ACM Workshop on Hot Topics in Networks, S. 79-84.
  • 11 Vgl. D. Ulph, N. Vulkan: Electronic commerce and competitive first-degree price discrimination, http://else.econ.ucl.ac.uk/papers/vulkan.pdf (22.10.2016).
  • 12 Vgl. O.V.: Amazon.com Varies Prices of Identical Items for Test, The Wall Street Journal vom 7.9.2000, S. B19; L. Xia, K. B. Monroe, J. L. Cox: The Price Is Unfair! A Conceptual Framework of Price Fairness Perceptions, in: Journal of Marketing, 68. Jg. (2004), S. 1-15; S. Spiekermann: Individual Price Discriminaton – An Impossibility?, in: A. Kobsa et al. (Hrsg.): International Conference for Human-Computer Interaction, Proceedings of the CHI2006 Workshop on Privacy-Enhanced Personalization, Montréal 2006, S. 47-52.

Die verbraucherwissenschaftliche Perspektive: von der Customer Confusion zur Price Confusion?

In den letzten Jahren hat im Zuge der Digitalisierung auch das betriebliche Marketing erhebliche Veränderungen erfahren. Neben der Digitalisierung der Kommunikation und Produktion erreicht diese Entwicklung nun auch immer mehr die betriebliche Preispolitik.1 Neuere Ansätze wie „Name-Your-Own-Price-Strategien“, „Real Time Bidding“ sowie „Targeted Pricing“ finden in der betrieblichen Realität ihren Niederschlag und bilden den Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten.2 Viele der zumeist empirischen Studien, die in diesem Bereich angesiedelt sind, fokussieren jedoch mehr oder weniger einseitig die Chancen und Risiken, die sich für die auf der Angebotsseite des Marktes angesiedelten Unternehmen ergeben. Gegenstand dieses Beitrags ist ergänzend hierzu, das in diesem Zusammenhang angesiedelte Phänomen der dynamischen Preissetzung (Dynamic Pricing) aus der verbraucherwissenschaftlichen Perspektive zu betrachten und, darauf aufbauend, Thesen abzuleiten, die dessen künftige Bedeutung und weitere Entwicklung betreffen.

Das neoklassische Konzept greift zu kurz

Eine Möglichkeit, um die Perspektive des Verbrauchers bzw. des Kunden in die Diskussion um das Dynamic Pricing zu integrieren, ist ausgehend vom Leitbild des mündigen Verbrauchers, dessen ökonomische Rolle als Nachfrager eines Gutes neoklassisch zu konzeptualisieren.3 Tatsächlich wird in vielen wirtschaftswissenschaftlichen Studien zu diesem Thema der Preis primär als neoklassisches Konzept verstanden. Dementsprechend wird zumeist das Modell der Preis-Absatzfunktion verwendet und auf die etwaige Vorteilhaftigkeit einer Preisdifferenzierung im einfachsten Modell einer üblicherweise linear fallenden Preis-Absatzfunktion hingewiesen.

Aus verbraucherwissenschaftlichen Perspektive ist diese theoretische Grundlage jedoch kaum noch zeitgemäß, denn aus vielen aktuellen Forschungsarbeiten ist bekannt, dass der Preis nicht nur eine über die neoklassischen Funktionen hinausgehende informationsökonomische Bedeutung hat, sondern auch, dass weitere Faktoren die Funktion des Preises für das Verbraucherverhalten beeinflussen können.

Zudem ist es erwiesen, dass der Preis nur eine, wenn auch wichtige Determinante des interessierenden Verbraucherverhaltens darstellt. Und schließlich verfolgt die für die Verbraucherwissenschaften als Adressat fungierende Verbraucherpolitik immer mehr ein differenziertes Verbraucherleitbild, das zu der Annahme des mündigen Verbrauchers oft im Widerspruch steht.4 Demzufolge erscheint es aus einer modernen verbraucherwissenschaftlichen Perspektive zweckmäßig, zumindest die Informationsökonomik sowie die Verhaltensökonomik in die Diskussion einzuführen, um eine vollständigere Betrachtung und Beurteilung des Dynamic Pricing zu ermöglichen.

Die informationsökonomische Perspektive

Die Informationsökonomik basiert auf der Annahme, dass Menschen sich rational verhalten (wollen), dies aber nicht können, z.B. aufgrund von Informationsasymmetrien (IAS), die zu Marktversagen führen können. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der „Market for Lemons“, den George Akerlof beschrieben hat.5 Zum Abbau der IAS stehen zwei Ansätze zur Verfügung: „Signalling“ und „Screening“.6 In beiden Ansätzen kann der Preis eine Information für den Verbraucher darstellen, indem er z.B. eine bestimmte Qualität signalisiert. Beide Ansätze basieren auf der grundsätzlichen Annahme, dass für die Funktionsfähigkeit von Märkten das Prinzip gilt, dass mehr Informationen besser sind als wenige. Tatsächlich ist dies aber nicht der Fall, da die kognitiven Ressourcen der Verbraucher begrenzt sind. Insofern können informationsökonomische Ansätze eine große Bedeutung zur Erklärung und Gestaltung des Verbraucherverhaltens im Kontext des Dynamic Pricing leisten, sie sind aber regelmäßig nicht hinreichend, sodass in den Verbraucherwissenschaften oft ergänzende Alternativen zum sogenannten „Informationsparadigma“ erforderlich sind.7

Die Verhaltensökonomik: Customer Confusion

Besonders deutlich wird die Begrenztheit neoklassischer und informationsökonomischer Ansätze im verbraucherwissenschaftlichen Kontext an einem Phänomen, für das sich vor etwa zwanzig Jahren der Begriff der „Customer Confusion“ etabliert hat.8 Die mittlerweile fast tausend Mal zitierte empirische Studie von Dhar zeigte, dass eine Vergrößerung der aus Kundensicht wahrgenommenen Auswahlentscheidungen nicht zu einer besseren Markträumung führt, sondern ganz im Gegenteil einen negativen Effekt darauf hatte. Denn während bei einem Angebot von sechs Alternativen 40% der Kunden stehen blieben, von denen dann wiederum 30% kauften, blieben bei einem Angebot von 24 Alternativen zwar 60% der Kunden stehen, von diesen kauften dann aber nur 3%. Begründet wurde dieses nahezu vollständige Marktversagen dadurch, dass viele Probanden angesichts von 24 alternativen Angeboten so überfordert bzw. verwirrt waren, dass sie nicht mehr in der Lage waren, eine Entscheidung zu treffen.

In der Fortführung der wissenschaftlichen Studien konnten dann verschiedene Arten der Customer Confusion unterschieden werden. Insbesondere sind hier „Choice Overload“ sowie „Information Overload“ zu erwähnen.9 Choice Overload besteht dann, wenn die Zahl der Alternativen für den Verbraucher unüberschaubar ist. Information Overload hingegen entsteht, sobald die Alternative durch zu viele Merkmale gekennzeichnet ist.

Da Preise aus Sicht der Informationsökonomik ebenfalls als Informationsquelle verwendet werden, ist es denkbar, dass der Ansatz des Dynamic Pricing zu einer Sonderform der Customer Confusion – genauer einer speziellen Form des Information Overload – führen könnte. Diese spezielle Form könnte als „Price Confusion“ bezeichnet werden. Zur Untersuchung, ob eine solche Unterform tatsächlich existiert, wurde eine empirische Studie zusammen mit einem großen deutschen Lebensmitteleinzelhändler durchgeführt.

Dazu wurden Verbraucher mit verschiedenen Anbieter-Produkt-Preis-Kombinationen konfrontiert. Die grundlegende Hypothese war analog zu Dhar,10 dass in bestimmten Situationen eine zu hohe Zahl an Alternativen einen negativen Effekt auf das Kaufverhalten haben könnte. Konkret wurde vermutet, dass mehrere unterschiedliche, d.h. inhomogene Preise für identische Produkte bei unterschiedlichen Händlern zu einer höheren Customer Confusion führen, als in dem Fall, in dem die Preise für diese Produkte bei allen Händlern homogen sind. Zur Untersuchung dieser Hypothese wurden zunächst drei Kategorien von Lebensmittelprodukten gewählt, bei denen die Verbraucher das Gefühl hatten, dass diese schwer zu beurteilen sind. Damit sollte vermieden werden, dass die Probanden bei der Verarbeitung der Preisinformation interne Referenzpreise verwenden konnten. Zudem wurde dadurch die informationsökonomische Bedeutung der Preisinformation betont. Zur Variation der Preishomogenität wurden darüber hinaus Preisschwankungen von bis zu 30% in den jeweiligen Stimuli verwendet. Zudem wurde die Zahl der anbietenden Händler variiert, um eine möglichst große Varianz zwischen den Stimuli zu erzielen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Beispiel für einen preisinhomogenen Stimulus
Beispiel für einen preisinhomogenen Stimulus

Quelle: eigene Darstellung.

Das zur Prüfung der genannten Hypothese entwickelte Sample umfasste 236 Befragte. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 36,05 Jahre. Zur Überprüfung der Hypothesen wurde eine Regressionsanalyse berechnet, bei der die bekundete Customer Confusion die abhängige Variable und die Zahl der Händler sowie der unterschiedliche Preis die unabhängigen Variablen bildeten. Die Lebensmittelkategorien dienten als Kontrollvariablen. Im Ergebnis konnten folgende Effekte ermittelt werden:

Bei inhomogenen Preisen waren die Verbraucher verwirrter als bei homogenen Preisen (Skala: 1 = Indikator für keine Verwirrung, 7 = Indikator für hohe Verwirrung):

Mhomogen = 2,15 (SE = 0,075),

Minhomogen = 2,64 (SE = 0,092) bei p < 0,001.

Zudem konnte gezeigt werden, dass bei inhomogenen Preisen und einer steigenden Zahl von Händlern die Verwirrtheit der Verbraucher erwartungskonform zunahm (p = 0,054).

Darauf aufbauend darf vermutet werden, dass je stärker der Ansatz des Dynamic Pricing im Verbraucheralltag stattfindet und entsprechend zu mehr unterschiedlichen Preisinformationen führt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Price Confusion und damit verbunden, die Wahrscheinlichkeit von situativem bzw. partiellem Marktversagen. Es drohen somit „Triple-Loss-Situationen“, in denen der Verbraucher die gewünschte Ware nicht bekommt, der Anbieter den gewünschten Umsatz nicht realisiert und dem Staat entsprechende Steuereinnahmen entgehen.

Regulierungen bei Marktversagen

Angesichts dieser Ergebnisse scheinen die aktuellen Forderungen der Verbraucherpolitik, die weitere Entwicklung des Dynamic Pricing regulatorisch zu begleiten, nicht unberechtigt zu sein. Gleichwohl sollte dabei beachtet werden, dass in Märkten, in denen der Wettbewerb funktioniert, auch die Möglichkeit der Selbstregulierung besteht.

Besteht also regulatorischer Bedarf? Die Antwort auf diese Frage lautet „Ja, aber nur dann, wenn es keine alternativen Korrekturmöglichkeiten gibt, z.B. kollektive Mechanismen, auf die der Kunde sich verlassen kann und die Funktionsfähigkeit des Markts gewährleisten.“ Konkret bedeutet dies, dass die Relevanz der individuellen Preisinformation für die Kaufentscheidung vielleicht überschätzt wird, denn tatsächlich wissen die Verbraucher auch ohne Dynamic Pricing bereits nur selten den genauen Preis eines Produktes; sie kaufen es aber trotzdem.

Als Beleg für diese nur auf den ersten Blick merkwürdig anmutende These kann man zunächst einmal mit Blick auf die Literatur zum Thema „Price Knowledge“ feststellen, dass die meisten Verbraucher kaum eine Ahnung von den Preisen haben. Dies zeigen zahlreiche empirische Studien, die unter anderem auch in Deutschland durchgeführt wurden.11 Aus einer naiven regulatorischen Perspektive könnte dies nahelegen, Ansätze z.B. im Bereich der Verbraucherbildung zu entwickeln, um dieses lückenhafte Preiswissen zu reduzieren und so etwaige Nachteile für die Verbraucher zu vermeiden.

Wann besteht (k)ein Regulierungsbedarf?

Warum gibt es an dieser Stelle vermutlich aber doch keinen Regulierungsbedarf? Nun, weil die Verbraucher sich, auch wenn sie kein Preiswissen haben, ökologisch-rational verhalten.12 Der Begriff der ökologischen Rationalität bezeichnet dabei eine adaptive Form von Rationalität, die in der jeweiligen Situation zu optimalen Ergebnissen führt.

Um diesen Sachverhalt im konkreten Fall zu verdeutlichen, muss man sich zunächst einmal die betriebswirtschaftliche Logik des Lebensmitteleinzelhandels vor Augen führen. Da die Umsatzrenditen im Lebensmitteleinzelhandel relativ gering sind, reicht bei entsprechenden Fixkosten oft schon ein geringer Umsatzverlust aus, um die geringen Deckungsbeiträge zu kompensieren. So würde es bei einigen Händlern wohl ausreichen, dass 15% der Kunden aufgrund einer etwaigen Preiserhöhung den Händler wechseln, damit dieser Händler Verluste realisiert. Darauf aufbauend wird deutlich, dass nicht alle Kunden alle Preise kennen müssen, um einen Händler hinreichend sanktionieren zu können. Es genügt, wenn nur einige Kunden wenige Preise kennen (man könnte diese als „geborene Marktwächter“ bezeichnen).

Im Kontext des Dynamic Pricing wäre aber nun zu beachten, dass dieser kollektive Schutzmechanismus versagt, wenn das Konzept des Dynamic Pricing vom Konzept der personalisierten Preise (Targeted Pricing) begleitet wird. Denn der Grundgedanke des Targeted Pricing besteht ja gerade darin, die jeweiligen Preise zu individualisieren. In diesem Falle könnte somit grundsätzlicher Regulierungsbedarf dann bestehen, wenn Verbraucher nicht mehr in der Lage sind, die Vorteilhaftigkeit der jeweiligen Preise durch den Vergleich entweder mit Preisen, die andere Kunden gezahlt haben, oder mit Preisen, die in der Vergangenheit gezahlt wurden, zu vergleichen. In Zeiten aber, in denen viele Unternehmen stark daran interessiert sind, langfristige profitable Kundenbeziehungen mit Hilfe des Konzepts des „Customer Relationship Management“ aufzubauen, sollten Unternehmen auch ein Interesse daran haben, ihren Kunden diesen Vergleich zu ermöglichen. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass entsprechende Ansätze in der Praxis derzeit nur selten zu beobachten sind.13 Ist dieses Interesse der Unternehmen aber nicht gegeben, würde wohl eine Notwendigkeit für die Verbraucherpolitik bestehen, entsprechende informationsökonomische Instrumente zu entwickeln und deren Einsatz gegebenenfalls mit Hilfe verhaltensbasierter Instrumente zu flankieren. In allen anderen Fällen wäre jedoch zunächst zu vermuten, dass der Wettbewerb entsprechende Fehlentwicklungen aus Verbrauchersicht selbst reguliert.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich aus verbraucherwissenschaftlicher Perspektive festhalten, dass eine isolierte neoklassische Analyse des Dynamic bzw. Targeted Pricing wenig fruchtbar und kaum noch zeitgemäß ist. Ergänzt man diese um informations- und verhaltensökonomische Aspekte, kommt man zu folgenden Thesen:

  • Je stärker der Ansatz des Dynamic Pricing im Verbraucheralltag stattfindet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von situativem bzw. partiellem Marktversagen.
  • Diese Wahrscheinlichkeit kann dann abgeschwächt werden, wenn Verbraucher die Möglichkeit haben, ökologisch-rational zu agieren.
  • Wird das Konzept des Dynamic Pricing durch den Ansatz des Targeted Pricing flankiert, entfällt diese Möglichkeit – es droht theoretisch situatives oder partielles Marktversagen.
  • Aber: Je stärker ein Anbieter darauf setzt, langfristig profitable Kundenbeziehungen aufzubauen und je stärker der Wettbewerb ist, desto weniger Anreiz wird er haben, diese beiden Instrumente einzusetzen.

Es könnte somit sein, dass ein funktionsfähiger Markt sich selbst bereinigt bzw. frühzeitig korrigiert, sodass kein verbraucherpolitischer Regulierungsbedarf besteht. Gleichwohl sollten wissenschaftliche Studien die weiteren Entwicklungen begleiten und einen Beitrag dazu leisten, die genannten Thesen empirisch zu fundieren sowie die entsprechenden Marktentwicklungen zu beobachten.

  • 1 Vgl. P. Kenning, M. Pohst: Dynamic Pricing, in: WISU – Das Wirtschaftsstudium, H. 10/2016, S. 1125-1129.
  • 2 Vgl. u.a. P. Kenning, T. Eberhardt: Methoden der Preisbildung, in: J. Zentes et al. (Hrsg.): Handbuch Handel, Wiesbaden 2013, S. 609-629.
  • 3 Vgl. C. Strünck et al.: Ist der „mündige Verbraucher“ ein Mythos? Auf dem Weg zu einer realistischen Verbraucherpolitik, Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher, Dezember 2012.
  • 4 Vgl. C. Strünck et al., a.a.O.
  • 5 Vgl. G. A. Akerlof: The Market For „Lemons“: Quality Uncertainty And The Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, 84. Jg. (1970), H. 3, S. 488-500.
  • 6 Vgl. P. Kenning, I. Wobker: Affektive und kognitive Verhaltensstrategien zur Überwindung von Informationsasymmetrien im Konsumgüterhandel – eine empirische Analyse mit kartellrechtlichen Implikationen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (BFuP), 64. Jg. (2012), H. 6, S. 626-642.
  • 7 Vgl. P. Kenning, L. Reisch: Alternativen zum Informationsparadigma der Verbraucherpolitik: Eine kommentierende Einführung in ein noch dynamisches verbraucherwissenschaftliches Feld mit verbraucherpolitischen Implikationen, in: Journal of Consumer Protection and Food Safety, 8. Jg. (2013), H. 3, S. 141-142.
  • 8 Vgl. R. Dhar: Consumer Preference for a No-Choice Option, in: Journal of Consumer Research, 24. Jg. (1997), H. 2, S. 215-231.
  • 9 Vgl. R. Greifeneder, B. Scheibehenne, N. Kleber: Less may be more when choosing is difficult: Choice complexity and too much choice, in: Acta psychologica, 133. Jg. (2010), H. 1, S. 45-50; sowie R. Grunder: Entstehungsfaktoren von Konsumentenverwirrtheit: empirische Analyse des Einflusses von angebots- und personenspezifischen Faktoren auf die Wahrnehmung von Konsumentenverwirrtheit, Tönning 2006.
  • 10 R. Dhar, a.a.O.
  • 11 Vgl. H. Schneider, P. Kenning, V. Hartleb, T. Eberhardt: Implizites Preiswissen von Konsumenten – wirklich besser als ihr explizites Preiswissen?, in: Marketing ZFP – Journal of Research and Management, H. 4, 2009, S. 219-233.
  • 12 Vgl. D. G. Goldstein, G. Gigerenzer: Models of Ecological Rationality: The Recognition Heuristic, in: Psychological Review, 109. Jg. (2002), H. 1, S. 75-90.
  • 13 Vgl. M. Schleusener, S. Hosell: Expertise zum Thema „Personalisierte Preisdifferenzierung im Online-Handel“, SVRV – Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, 2015.
 

Die verbraucherpolitische Perspektive: aktuelle Entwicklungen im Online-Handel

Das Thema „Dynamic Picing – und die Implikationen für die Verbraucherwissenschaft und die Verbrauchpolitik“ ist von besonderem Interesse, denn wir wissen wenig darüber, was eigentlich bei der Preisgestaltung der Unternehmen in den kommenden Jahren noch auf uns zukommt und was das für die Verbraucher bedeutet.

Das Internet – genauer gesagt die kommerzielle Nutzung des Internets – begleitet unsere Gesellschaft nun seit rund 25 Jahren. Damals hatte wohl niemand wirklich erfassen können, welche ungeheuren Umwälzungen damit für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Bürger einhergehen werden. Wohlbekannt ist das Zitat von Ron Sommer, dem damaligen Chef der deutschen Telekom. Er hat 1990 gesagt: „Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft“. So haben damals viele gedacht – und wurden überrascht.

Gesellschaftlicher Wandel

Die Auswirkungen der Digitalisierung und die Entwicklung des Internets haben die Informations- und Konsummöglichkeiten der Verbraucher vollständig geändert, und wir haben einen Wandel von höchster gesellschaftlicher Relevanz erlebt. Dieser gesellschaftliche Wandel ist nicht das Ergebnis eines breiten gesellschaftlichen Dialogs. Er ist vielmehr das Ergebnis von wirtschaftlichen Aktivitäten in Unternehmen, und innerhalb kürzester Zeit haben sich große und einflussreiche Konzerne entwickelt.

Die Verbraucher nutzen gerne die Vorteile, die sich Ihnen durch die modernen Technologien bieten, die Nachteile werden dabei in Kauf genommen oder oft gar nicht erkannt. Es ist deshalb von enormer Relevanz, die Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft, die die modernen Technologien mit sich bringen, zu erörtern und zu gestalten. Entsprechend wird eine gesellschaftliche Debatte über die tatsächlichen Konsequenzen dieser Veränderungen auf die Gesellschaft dringend benötigt.

Ein positives Beispiel für eine solche Debatte sind die Diskussionen und die Regelungen zum Datenschutz. Datennutzung und Datenschutz bilden jedoch nur einen Aspekt der Veränderungen, denn unser ganzes Kommunikations- und Konsumverhalten ändert sich. Am Beispiel der Preisgestaltung im Online-Handel kann gezeigt werden, dass erhebliche Risiken für die Transparenz und damit für die Konsumentensouveränität bestehen.

Bisher unbekannte Phänomene im Online-Handel

Bei der Preisgestaltung im Online-Handel können zurzeit einige Phänomene festgestellt werden, die zumindest in dieser Intensität bisher unbekannt waren:

  • Häufige Preisschwankungen – also Dynamic Pricing: Dass Unternehmen die Preise und Produkte je nach Nachfrage, Auslastung oder Wettbewerbssituation anpassen, ist nicht neu. Es überrascht z.B. nicht, dass die Deutsche Bahn mit ihrer Preisgestaltung auf die Konkurrenz durch die Fernbusunternehmen reagiert. Auch häufigere Preisschwankungen sind durchaus bekannt: Die Autofahrer wissen, dass der Benzinpreis an einer Tankstelle im Laufe des Tages erheblich schwanken kann. Neu sind allerdings die Häufigkeit sowie die Höhe der Preisänderungen im Online-Handel.

Allgemein bekannt sind Studien z.B. über Amazon: So wurde beispielsweise festgestellt, dass sich der Preis für eine Kamera von Canon binnen 72 Stunden bei Amazon 275-mal geändert hat, im Schnitt also fast viermal pro Stunde.1 Und die Studie des Preismonitoring-Anbieters „Minderest“ stellte 2014 fest, dass der Preis für eine Kamera innerhalb von 72 Stunden zwischen 700 Euro und 1680 Euro schwankte – ein Preisunterschied von fast 1000 Euro. Die Zeitschrift „Stern“ stellte im Dezember 2015 fest, dass z.B. eine Kaffeemaschine bei Amazon morgens um 9.00 Uhr für 106,41 Euro zu haben war, bis 14.00 Uhr fiel der Preis dieser Maschine dort auf 80,99 Euro, um dann bis 22.45 Uhr auf 94,89 Euro anzusteigen. Die Maschine war also morgens über 30% teurer als am Mittag.2

Diese Preisschwankungen und die Preissprünge führen dazu, dass Verbraucher nicht mehr in der Lage sind, Preise richtig einzuschätzen. Sie verlieren das Gefühl für den Wert eines Produktes und wissen oft nicht mehr, ob der gerade angezeigte Preis eigentlich günstig ist, oder ob das Produkt vielleicht in einer Stunde 30% billiger sein könnte. Damit geht aber auch ein Stück Preistransparenz verloren.

  • Personalisierte bzw. individuelle Preise: Ein zweites Phänomen, das wir vom Dynamic Pricing unterscheiden müssen, sind die individualisierten Preise, also die Preisgestaltung eines Unternehmens, die bestimmte individuelle Merkmale oder Verhaltensweisen berücksichtigt. Auch Preise, die individuelle Merkmale berücksichtigen, sind als solches nicht neu: Vergünstigte Eintrittspreise für Rentner oder Studenten sind ein Beispiel, das wir alle kennen. Neu sind allerdings die Möglichkeiten, dass solche oder andere Aspekte bei der Preisgestaltung berücksichtigt werden, ohne dass Verbraucher das überhaupt merken. Das eröffnet die Möglichkeit für Unternehmen, die Preise nicht nur nach unten zu differenzieren, sondern von einzelnen Verbrauchern auch höhere Preise zu fordern.

Wir wissen aus Untersuchungen, dass in diesem Bereich vieles möglich ist. Es könnte also sein, dass aufgrund des verwendeten Endgerätes oder aufgrund meines Surfverhaltens für mich ein anderer Preis gilt, als z.B. für meinen Kollegen. Es scheint aber so zu sein, dass die Unternehmen solche Praktiken bisher noch verhältnismäßig selten nutzen und personalisierte Preise eine Ausnahme darstellen. Eine Studie im Auftrag des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen kam zu dem Ergebnis, dass personalisierte Preisdifferenzierungen im Online-Handel zurzeit in Deutschland kaum genutzt werden.3 Allerdings wurde für hochpreisige Pauschalreisen individualisierte Preisgestaltungen registriert. Die Differenzierung richtete sich z.B. nach dem vorherigen Surf- und Kaufverhalten und nach dem genutzten Betriebssystem.

Und auch die Personalisierung anhand des Wohnortes kommt in der Tourismusbranche vor: Wer z.B. einen bestimmten Bungalow in einem Landal Ferienpark in Holland buchen möchte, sollte nicht die Website „Landal.de“ nutzen.4 Man zahlt nämlich weniger, wenn man die identische Buchung über die Seite „Landal.nl“ vornimmt. Auch bei den personalisierten Preisen geht die Preistransparenz verloren, denn die Unternehmen können höhere Preise für den Einzelnen nur durchsetzen, wenn der Einzelne nicht weiß, was tatsächlich passiert.

Verbraucher halten individualisierte Preise für unfair

Verbraucher empfinden die individualisierte Preisgestaltung als sehr unfair. Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen hat Anfang 2016 eine repräsentative Umfrage durchführen lassen. Dabei haben z.B. 91% der Befragten angegeben, dass sie es unfair finden, wenn Online-Shops eine Preisanpassung vornehmen, weil sie anhand verschiedener Merkmale zu dem Ergebnis kommen, dass beim Kunden eine höhere Zahlungsbereitschaft vorliegt.5 Preisdifferenzierungen aufgrund des Wohnortes werden sogar von 94% der Befragten als unfair angesehen. Ich bin der Ansicht, dass wir diese Ansichten der Verbraucher auch beachten müssen.

Wirtschaftspolitiker und Verbraucherschützer waren in den vergangenen Jahrzehnten bei einem wichtigen Punkt oft einer Meinung: Ein funktionierender Wettbewerb ist eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Produktion und für eine kostengünstige Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen. Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb ist allerdings, dass die Nachfrageseite einen – idealerweise vollständigen – Marktüberblick hat. Und das bedeutet nichts Anderes als Transparenz für die Verbraucher.

Offenkundig ist, dass sich gerade die Verbraucherforschung und Verbraucherpolitik von dem Idealbild des Homo oeconomicus verabschiedet hat, denn so mündig und souverän wie lange Zeit angenommen, ist der Verbraucher gar nicht. Dies führt jedoch nicht dazu, dass auf Transparenz verzichtet werden könnte. Transparenz auf den Märkten, Transparenz über die Qualität und die Preise von Produkten und Dienstleistungen stellen eine ganz fundamentale Grundlage unserer Wirtschaftsordnung dar. Ohne diese Transparenz werden die Verbraucher zu einem orientierungslosen Akteur, der leicht getäuscht werden kann.

Dynamische Preisgestaltungen im Online-Handel ebenso wie die personalisierten individuellen Preise in der digitalen Welt stellen jedoch genau das Gegenteil von Transparenz dar. Ständige Preisschwankungen mit einer gewaltigen Schwankungsbreite verunsichern die Konsumenten. Preisvergleiche werden erschwert, und das Gefühl für den Wert einer Ware verschwindet mehr und mehr. Das Gleiche gilt, wenn ein Kunde erfährt, dass seinem Nachbarn vom gleichen Unternehmen für das gleiche Produkt ein anderer Preis abverlangt wird als ihm. Das schafft kein Vertrauen und keine Klarheit, sondern sorgt für Intransparenz und Unsicherheit.

Preisvergleichsportale oder Buchungsportale könnten für entsprechende Transparenz sorgen – sie sind für die Verbraucher nicht immer eine Hilfe. Jedoch muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass diese Portale keine gemeinnützigen Organisationen, sondern Wirtschaftsunternehmen sind. Sie platzieren Werbung an besonders gut wahrnehmbarer Stelle – denn das erhöht die Einnahmen. Oft erhalten Sie auch Provisionen vom Anbieter, wenn Kunden sich über ein Preisvergleichsportal für ein Produkt entscheiden. Und Buchungsportale erzeugen Druck mit Hinweisen, dass angeblich nur noch ein Zimmer frei sei, oder dass gerade im Moment sechs andere Kunden das Angebot des Hotels, das gerade von einem aufgerufen wurde, betrachten.

Gute Vergleichsportale können also eine Hilfe sein, sie reichen aber nicht aus, um die Transparenz im Online-Handel dauerhaft zu gewährleisten. Deshalb sollten klare Regelungen für die Preisgestaltung im Online-Handel gelten:

  • Faire Preise auch im Online-Handel – Ein Preis muss für alle Kunden gelten: Alle Verbraucher müssen darauf vertrauen können, dass allen Kunden im Online-Handel von ein- und demselben Anbieter auch der gleiche Preis angeboten wird. Komplizierte und für Verbraucher nicht nachvollziehbare Datenanalysen dürfen nicht dazu führen, dass Verbrauchern ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Angebots­preise angezeigt werden. Deshalb müssen Regelungen getroffen werden, die gewährleisten, dass die Anbieter im Online-Handel einen Preis für ihr Angebot ausweisen, der für alle Kunden gilt. Oder – vereinfacht gesagt: Es sollte ein für alle Verbraucher gültiges Preisschild im Online-Handel geben, um die Transparenz über Preise und Leistungen zu gewährleisten.

Im Interesse der Verbraucher können die Unternehmen, wie im stationären Handel auch, Rabatte gewähren. Aber auch hier sollte gelten: Der Kunde muss auf einen Blick erkennen können, ob er in den Genuss eines Rabattangebotes kommt oder nicht. Auch Preisreduzierungen im Online-Handel müssen in einer für den Kunden nachvollziehbaren Art und Weise transparent gemacht werden.

  • Profitable Diskriminierung unterbinden – Staatsangehörigkeit oder Wohnort darf bei Angeboten keine Rolle spielen: Zunehmend adressieren Anbieter mit ihren via Internet angebotenen Produkten und Dienstleistungen auch gezielt ausländische Kunden. Es wurde bereits auf das Beispiel „Landal“ hingewiesen. Damit Verbraucher in ganz Europa aber gleichermaßen von einem wachsenden grenzüberschreitenden Angebot profitieren können, ist der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Verordnung, mit der das sogenannte Geoblocking oder andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes des Kunden wirksam unterbunden werden soll, zu begrüßen.
  • Preisschwankungen transparent machen: Die dritte Forderung zur Gewährleistung der Preistransparenz im Online-Handel betrifft die schwankenden Preise. Die Politik kann und will den Unternehmen nicht vorschreiben, wann sie ihre Preise ändern dürfen. Jedes Unternehmen muss das Recht haben, auf die Konkurrenz zu reagieren, und eine Preisänderung vorzunehmen. Aber: die Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Preisgestaltung auch gegenüber den Kunden transparent zu machen. Daher sollten Regulierungen vereinbart werden, dass die Anbieter im Online-Handel zur besseren Orientierung der Verbraucher den Preisverlauf in der Vergangenheit, beispielsweise für die Dauer von 72 Stunden, im Zusammenhang mit dem jeweiligen Angebot darstellen. Verbraucher sollen erkennen können, ob der aktuelle Preis gerade besonders hoch oder besonders niedrig ist.

Außerdem wäre es wünschenswert, dass die Anbieter, im Interesse einer kundenfreundlichen Angebotsgestaltung die online angebotenen Preise für eine bestimmte Dauer (z.B. 24 Stunden) unverändert lassen. Das würde sicherlich das Vertrauen der Verbraucher in den Online-Handel stärken.

Es darf vermutet werden, dass die skizzierten Maßnahmen erheblich dazu beitragen können, die Transparenz der Angebote und der Preise im Online-Handel zu gewährleisten und den Wettbewerb im Interesse der Verbraucher zu erhalten. Auf Initiative Nordrhein-Westfalens hat die Verbraucherschutzministerkonferenz, die im April 2016 in Düsseldorf getagt hat, einstimmig entsprechende Beschlüsse gefasst. Mit Sicherheit darf davon ausgegangen werden, dass die Preistransparenz im Online-Handel auch in den kommenden Jahren vom Verbraucherschutz diskutiert wird.

  • 1 Minderest: Minderest registriert mehr als 1 Million Preisänderungen bei Amazon am Valentinstag, Pressemitteilung vom 24.2.2015.
  • 2 Die neuen Tricks der Online-Händler, Stern, Nr. 51, vom 10.12.2015, http://tools.stern.de/desktopreader/?wv=s%2Fstern%2520emag%2F54ef8e3411e9406cafd97e346c99b5e1%2Fde.stern.emag.ausgabe_2015_51%2F143925.html.
  • 3 H. Zander-Hayat, L. A. Reisch, C. Steffen: Personalisierte Preise – Eine verbraucherpolitische Einordnung (2016), http://www.svr-verbraucherfragen.de/wp-content/uploads/2016/08/SVRV_WP_Personalisierte-Preise.pdf (8.12.2016).
  • 4 J. Drebes: Landal GreenParks – Hier zahlen Deutsche mehr, Rheinische Post vom 16.4.2016, http://www.rp-online.de/leben/reisen/news/landal-greenparks-hier-zahlen-deutsche-mehr-aid-1.5908618 (8.12.2016).
  • 5 ConPolicy: Was Verbraucherinnen und Verbraucher in NRW über individualisierte Preise im Online-Handel denken, https://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/verbraucherschutz/abschlussbericht_personalisierte_preise_2016.pdf (16.2.2016).

Preiswahrnehmung aus neurowissenschaftlicher Sicht: Was passiert im Gehirn?

Die Wahrnehmung von dynamischer Preissetzung und generell der Preiswahrnehmung wirft nicht nur aus juristischer oder wirtschaftlicher Sicht viele Fragen auf. So hat sich auch die Neurowissenschaft in den letzten Jahren intensiv mit der Preiswahrnehmung und den neuronalen Prozessen ihrer Auswirkung auf Verbraucherentscheidungen beschäftigt. Dynamische Preisänderungen stellen dabei die bisherigen Erkenntnisse vor Herausforderungen, da sie zusätzlich verschiedene neurowissenschaftliche Aspekte, wie z.B. Gedächtnisfunktionen, Vertrauen oder Unsicherheit, in die Bewertungsprozesse integrieren.

Durch neurowissenschaftliche Methoden ist es möglich, Entscheidungsprozesse biologisch plausibler zu erklären und neue Hypothesen für Verhaltensprozesse zu generieren. Um neuronale Prozesse zu untersuchen, werden am Menschen zumeist bildgebende Methoden verwendet, die unter gewissen Annahmen und Analysetechniken die Aktivität von Gehirnstrukturen während kognitiver Prozesse identifizieren können. Eine häufig verwendete Methode ist dabei die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT). Diese ermöglicht es, Gehirnaktivitätsmuster anhand von Blutsauerstoffsättigung im gesamten Gehirn zu messen. Dies kann dazu dienen, mögliche kontextuelle Einflussfaktoren auf Entscheidungen zu untersuchen. Hier konnte in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass die mit der Preiswahrnehmung verbundenen Prozesse stark durch kontextuelle Faktoren beeinflusst werden. Es handelt sich bei Bewertungsprozessen demnach nicht um statische Gedächtnisabrufe von Präferenzen, sondern um dynamische Prozesse, die je nach Situation verschiedene Attribute unterschiedlich gewichten.

Vereinfacht dargestellt spielen drei Systeme bei wertbasierten Entscheidungsprozessen eine besondere Rolle. Dabei scheinen zwei dieser Systeme eher automatisiert und schnell zu arbeiten: Zum einen ein Netzwerk von Strukturen, die man mit motivationalem und belohnungs-basiertem Verhalten in Verbindung bringt und zum anderen ein System, das mit aversiver Verarbeitung zusammenhängt. Schließlich scheint man mit Hilfe des dritten Systems, das man mit aktiver Selbstkontrolle assoziiert, in die eher impliziten Prozesse eingreifen zu können.

Belohnung oder Schmerz?

Das Bewertungs- oder auch Belohnungssystem ordnet verschiedenen Produkten eine Wertigkeit oder einen motivationalen Wert zu.1 Diese Wertigkeit wird genutzt, um Optionen zu vergleichen und zu selektieren, um in diesem Fall einen Kauf zu tätigen. Entgegengesetzt wirkt das aversive System, das im Kontext von Kaufentscheidungen auch als „Preisschmerz“ beschrieben wurde und eine inhibierende Wirkung auf das Verhalten hat.2 Wie bereits erwähnt, scheint es sich bei beiden Systeme um intuitive Systeme zu handeln, die relativ automatisiert ablaufen. Es gibt jedoch die Möglichkeit bewusst in diese Prozesse einzugreifen, wodurch implizite Reaktionen auf Stimuli moduliert werden.3 Für diese Art von Prozess werden kognitive Ressourcen verbraucht, sodass das Ausmaß dieser Modulierung begrenzt ist. Das Zusammenspiel der drei Systeme Belohnung, Schmerz und Selbstkontrolle beeinflusst die Entscheidung eines Konsumenten und kann dafür sorgen, dass Preise unterschiedlich wahrgenommen werden. Exemplarisch werden im Folgenden drei der ersten Studien, die diese Prozesse im Verbraucherkontext untersucht haben, näher beschrieben.

Die neuronalen Korrelate für das Bewertungssystem von Gütern wurden unter anderem von Plassmann et al. untersucht.4 Dabei wurden in dieser, wie auch vielen anderen Studien, Lebensmittel als Güter verwandt. Nahrungsmittelentscheidungen werden in solchen Studien relativ häufig verwendet, da Präferenzen über verschiedene Lebensmittel individuell variieren, sie ökologisch valide Optionen darstellen und aufgrund der Kosten auch real umgesetzt werden können. Um die Wertigkeit der Lebensmittelprodukte für die Versuchspersonen zu intensivieren, wurden die Probanden gebeten, vor der Untersuchung zu fasten. In der experimentellen Aufgabe, die in einem MRT durchgeführt wurde, gaben die Probanden ihre Zahlungsbereitschaft für verschiedene Lebensmittel an. Um die Relevanz der Entscheidungen zu erhöhen, wurde am Ende ein Produkt zufällig ausgewählt, das die Versuchspersonen dann zu dem von ihnen gewählten Preis erhielten. Der zu bezahlende Preis wurde im Rahmen eines BDM-Auktionsmechanismus generiert, der sicherstellen sollte, dass die tatsächliche Zahlungsbereitschaft eingegeben wurde.5 Ziel dieser Studie war es, Gehirnregionen zu identifizieren, die mit der Zahlungsbereitschaft korrelieren, d.h., Gehirnregionen, die proportional zur Kaufbereitschaft eine höhere Aktivität aufwiesen. Der ventromediale prefrontale oder auch orbitofrontale Kortex wurde als eine solche Gehirnregion identifiziert. Ein Resultat, das auch durch spätere Studien mehrfach repliziert wurde und ein sehr robustes Korrelat für die subjektive Wertigkeit von Entscheidungsoptionen darstellt.6

In einer anderen Studie wurde der Effekt vorgegebener Preise auf Verbrauchsentscheidungen untersucht.7 In diesem Experiment wurde den Probanden im MRT zunächst ein Produkt präsentiert und dem folgend der dazugehörige Preis. Anschließend konnten die Probanden entscheiden, ob sie dieses Produkt zu dem angegebenen Preis kaufen wollten. Es konnte somit die Aktivierung während der Produktpräsentation selbst, sowie die Wahrnehmung des Preises untersucht werden. Um die Stärke der Abweichung zwischen dem subjektiven Wert des Produktes und dem verlangten Preis zu bestimmen, wurde nach der experimentellen Aufgabe die individuelle Zahlungsbereitschaft für jedes Produkt außerhalb des MRT abgefragt. Bei der Analyse der Daten wurden drei Gehirnareale identifiziert, deren Aktivität mit der späteren Kaufentscheidung zusammenhing. Der Nucleus Accumbens, ein Teil des Belohnungsnetzwerks, war bei der Betrachtung des Produkts erhöht aktiviert, wenn diese später gekauft wurden. Umgekehrt verhielt es sich mit der zum „Schmerznetzwerk“ zählenden Inselregion, die umso stärker aktiv war, je höher der verlangte Preis von der subjektiven Zahlungsbereitschaft nach oben abwich. Hier zeigte eine höhere Aktivierung eine geringere Wahrscheinlichkeit für eine spätere Kaufentscheidung an. Dieser Effekt wurde als Preisschmerz oder Preissensitivität bezeichnet. Diese Signale wurden schließlich in einer frontalen Region des Gehirnes integriert.

Während die beiden Studien vor allem automatisch ablaufende Bewertungssysteme untersuchten, führte die Studie von Hare et al. die Bedeutung von kognitiven Kontrollarealen in wert-basierten Entscheidungen ein.8 Dieses System hat die Möglichkeit, die automatisierten und intuitiven Entscheidungstendenzen aktiv zu beeinflussen. Dadurch können z.B. bestimmte Aspekte wie die Gesundheitsrelevanz bei der Nahrungsmittelwahl in die Entscheidung stärker mit einfließen. In dieser wurde der Einfluss von Gesundheits- und Geschmacksaspekten auf die Bewertung von Lebensmitteln gemessen. Probanden wurden instruiert, bei Entscheidungen für Lebensmittel verstärkt auf Gesundheits- beziehungsweise Geschmacksaspekte zu achten. Oft ist es dabei so, dass die leckereren Lebensmittel auch die ungesünderen sind. Daher ist bei gesundheitsbetonten Entscheidungen ein kognitives Eingreifen in die intrinsische Geschmackstendenz notwendig. Wenn nun Probanden bei ihrer Entscheidung auf Gesundheitsaspekte achten sollten, wurde der dorsolaterale prefrontale Kortex stärker aktiviert, der wiederum die Belohnungskalkulation in ventromedialen präfrontalen Regionen, also primär hedonischen Regionen, modulierte. Man kann demnach implizit ablaufende Bewertungsprozesse durch aktives Intervenieren von anderen Gehirnarealen verändern. Diese Modulationen automatisierter Präferenzen kann jedoch nicht nur durch intrinsisch motivierte kognitive Kontrolle erfolgen, sondern auch durch kontextuelle Faktoren in Entscheidungen beeinflusst werden.

Kontextuelle Einflüsse

Der Effekt von kontextuellen Einflüssen auf das Entscheidungsverhalten wurde in einer Reihe von Studien näher untersucht. Einen solchen Einfluss können z.B. Zusatzinformationen wie Marken, Designs oder Siegel sein. Beim Einfluss von Nachhaltigkeitssiegeln zeigte sich, dass Probanden gewillt sind, mehr für Produkte aus nachhaltiger Produktion zu zahlen. Die Präsentation von Produkten mit Siegel führte zu einer erhöhten Aktivität in den genannten Strukturen des Belohnungssystems. Dieses Siegel scheint demnach dafür zu sorgen, dass Produkte aufgewertet werden, was dann zu einer höheren Zahlungsbereitschaft führt.9

In einer weiteren Studie wurde untersucht, ob man auch vermeintlich gesündere Lebensmittel für Kinder attraktiver machen könnte. Dabei zeigte sich, dass Produkte mit einem kindgerechten Design diesen nicht nur besser schmeckten, die Kinder waren auch bereit, mehr für diese Art von Produkten in Form von physischer Anstrengung zu investieren.10

Die positive Beeinflussung der Bewertung von Produkten kann möglicherweise auch durch verschiedene Nahrungsinformationsmechanismen geschaffen werden. Dabei ist zu beachten, dass mehr Informationen nicht unbedingt besser für den Verbraucher ist. Vielmehr hat die Art und Weise der Informationsvermittlung Einfluss auf die Handlungsrelevanz. So können z.B. Nährwertangaben, abhängig von der Darstellungsweise auf Produkten, unterschiedlich verarbeitet werden. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass eine zusätzlich durch eine Farbkodierung salientere Nahrungsinformation die Zahlungsbereitschaft – verglichen mit einer rein numerischen Information – stärker beeinflusste.11 Hierbei stiegen gesündere Nahrungsmittel in der Zahlungsbereitschaft unter Farbkodierungsinformationen. Gegenteilige Effekte zeigen sich bei hochkalorischen Nahrungsmitteln, die durch die Farbkodierung eine geringere Zahlungsbereitschaft hervorriefen. Mit Hilfe der MRT wurden dann die zugrunde liegenden neuronalen Prozesse untersucht, und es konnte gezeigt werden, dass durch die Farbkodierung die Region stärker aktiv wurde, die auch bei der Ausübung von Selbstkontrolle stärker aktiv war. Saliente Nahrungsinformationen, im Sinne von Ampelsignalen, scheinen also implizit die Bedeutung von Gesundheitsaspekten zu erhöhen.

Durch diese verschiedenen Studien lässt sich erkennen, dass Entscheidungen und Bewertungsprozesse, sowie die Preiswahrnehmung stark kontextabhängig sind. Ferner zeigt sich, dass diese Entscheidungen durch die Präsentation des Produkts beeinflusst werden.

Fairness als wichtiger Moderator

Ein weiterer Aspekt, der bei der Preiswahrnehmung eine Rolle spielen könnte, ist der Aspekt der Fairness.12 So können bei der Preiswahrnehmung durch z.B. Verwirrung, Intransparenz und wahrgenommene Unfairness aversive Zustände entstehen. Inwieweit können auch hier kognitive Kontrollmechanismen Einfluss nehmen? Ein weiterer Punkt, der sicher noch intensiverer Forschung bedarf, ist der Zusammenhang von Gedächtnisprozessen, Preiswahrnehmung und -volatilität. Der Zusammenhang von Gedächtnisfunktionen und wert-basierten Entscheidungen gerät immer mehr in den Fokus der Forschung. Gerade im Zusammenhang mit einer alternden Gesellschaft ist ein besseres Verständnis hier essenziell.

Um Verbraucherentscheidungen besser zu verstehen, können neurowissenschaftliche Ansätze helfen. So können neuronale Abläufe identifiziert und Entscheidungsmodelle biologisch plausibler gestaltet werden. Durch das Verständnis davon, wie Prozesse neuronal implementiert sind, können auch neue Verhaltensexperimente entstehen, die wiederum im Feld getestet werden können. Um das Gesamtbild der Preiswahrnehmung und den Einfluss der dynamischen Preissetzung auf das Verbraucherverhalten zu verstehen, sind daher interdisziplinäre Ansätze mit neurowissenschaftlicher Grundlage notwendig.

  • 1 H. Plassmann, J. O’Doherty, A. Rangel: Orbitofrontal Cortex Encodes Willingness to Pay in Everyday Economic Transactions, in: Journal of Neuroscience, 27. Jg. (2007), H. 37, S. 9984-9988, https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.2131-07.2007.
  • 2 B. Knutson, S. Rick, G. E. Wimmer, D. Prelec, G. Loewenstein: Neural Predictors of Purchases, in: Neuron, 53. Jg. (2007), H. 1, S. 147-156, https://doi.org/10.1016/j.neuron.2006.11.010.
  • 3 T. A. Hare, C. F. Camerer, A. Rangel: Self-Control in Decision-Making Involves Modulation of the vmPFC Valuation System, in: Science, 324. Jg. (2009), S. 646-648.
  • 4 H. Plassmann, J. O’Doherty, A. Rangel, a.a.O.
  • 5 G. M. Becker, M. H. DeGroot, J. Marschak: Measuring utility by a single-response sequential method, in: Behavioral Science, 9. Jg. (1964), H. 3, S. 226-232.
  • 6 O. Bartra, J. T. McGuire, J. W. Kable: The valuation system: A coordinate-based meta-analysis of BOLD fMRI experiments examining neural correlates of subjective value, in: NeuroImage, 76. Jg. (2013), S. 412-427, https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2013.02.063.
  • 7 B. Knutson, S. Rick, G. E. Wimmer, D. Prelec, G. Loewenstein., a.a.O.
  • 8 T. A. Hare, C. F. Camerer, A. Rangel, a.a.O.
  • 9 L. Enax, V. Krapp, A. Piehl, B. Weber, a.a.O.
  • 10 L. Enax, B. Weber, M. Ahlers, U. Kaiser, K. Diethelm, D. Holtkamp, M. Kersting, a.a.O.
  • 11 L. Enax, Y. Hu, P. Trautner, B. Weber, a.a.O.
  • 12 L. Xia, K. B. Monroe, J. L. Cox: The Price Is Unfair! A Conceptual Framework of Price Fairness Perceptions, in: Journal of Marketing, 68. Jg. (2004). H. 4, S. 1-15, https://doi.org/10.1509/jmkg.68.4.1.42733.

Dynamic Pricing: Implikationen für die Verbraucherforschung und Verbraucherpolitik

Im September 2016 kamen etwa 60 Verbraucherforscher aus ganz Deutschland an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu einem Forum des Netzwerks Verbraucherforschung zusammen. Ziel dieses Forums war es, gemeinsam eine Agenda für die mit der Entwicklung des Dynamic Pricing verbundenen Implikationen für die Verbraucherpolitik in verschiedenen Forschungsfeldern zu entwickeln. Diese sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

Das Forschungsfeld „Ökonomik“

Das erste Forschungsfeld bildet die Ökonomik und hier insbesondere das Teilgebiet der Verhaltensökonomik sowie das Marketing. In diesen Bereichen lassen sich unter anderen die folgenden Fragen identifizieren: Welche verbraucherrelevanten Auswirkungen auf die vorökonomischen Zielgrößen der marktorientierten Unternehmensführung hat der Einsatz dynamischer und personalisierter Preisstrategien? Wie wirken diese z.B. auf die wahrgenommene Preisfairness, die wahrgenommene Preistransparenz, die Kundenzufriedenheit, das Kundenvertrauen sowie die Kundenloyalität? Und wenn entsprechend negative Entwicklungen für das Kundenkapital zu erwarten sind, können diese durch kurzfristige Gewinne kompensiert werden, sodass sich eine etwaige Ausnutzung des Kundenkapitals dennoch lohnen könnte? Ist ein Marktversagen aufgrund von „Price Confusion“ zu erwarten und welche Bedeutung könnten wettbewerbliche Mechanismen in diesem Zusammenhang haben? Welche Konsequenzen hat Dynamic Pricing in Märkten und Produktgruppen, in denen der Preis Teil der Nutzenstiftung ist und mit ihm bestimmte Placeboeffekte verbunden sind? Wie verändert sich durch dynamische und personalisierte Preisstrategien die wahrgenommene Preistransparenz sowie die Wahrnehmung von Marken und deren Orientierungsfunktion für Verbraucher? Wie wirken juristische Schutz- und Steuerungsmechanismen in diesem Zusammenhang? Aber auch: Welche aus Kundensicht positiven Effekte sind zu erwarten? Wird z.B. die Markträumung verbessert und wird der Marktzugang auch Kundengruppen ermöglicht, die diesen ansonsten nicht hätten? Sind Wohlfahrtseffekte und Auswirkungen auf die Transaktionskosten der Verbraucher generell zu erwarten und, wenn ja, welche Ausprägungen werden sie haben? Sind neue Marktakteure zu erwarten, die Arbitrage-Möglichkeiten ausnutzen? Wird damit der Anreiz für den Einsatz von Dynamic Pricing reduziert werden? Mit welchen Umverteilungseffekten ist zu rechnen und unter welchen Bedingungen werden diese von den Verbrauchern akzeptiert werden?

Das Forschungsfeld „Technik“

Im Forschungsfeld „Technik“ stellt sich zunächst einmal die Frage, wie es gelingen kann, die Technik so zu gestalten, dass sie nicht allein gegen, sondern auch für den Verbraucher arbeitet und so eine als fair angesehene Marktlage befördert. Eine wichtige Teilfrage wäre dabei, wie die digitale Technik dazu beitragen kann, die Verbraucher in einer durch den digitalen Wandel als zunehmend komplexer wahrgenommenen Welt zu entlasten, ohne dass dabei soziale Ungleichheit oder andere unerwünschte Umverteilungseffekte entstehen. Denkbar wären beispielsweise Maßnahmen und Geschäftsmodelle, die den Verbraucher automatisch davor schützen, unvorteilhafte Angebote aufgrund fehlender Marktübersicht zu akzeptieren (z.B. im Bereich „Shielding“). Aber auch die etwaige Überwindung von Personalisierungsstrategien durch die Nutzung von Preisvergleichsportalen wäre in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus sollten Techniken wie das „Price Steering“ problematisiert und auf technische Möglichkeiten automatischer Unterbindung oder Beschränkung hin untersucht werden. Beispielhaft hierfür sind bereits etablierte Maßnahmen im Bereich des „Ad-Blocking“, die unerwünschte Werbung automatisch herausfiltern. Darüber hinaus wäre die Entwicklung automatischer „Shopping Agents“ denkbar, die nach den Wünschen der Kunden eine voreingestellte Kaufentscheidung treffen, sobald ein günstiges Angebot erscheint. Wichtig wäre aber auch, frühzeitig zu betrachten, ob die entsprechenden Techniken durch die Verbraucher akzeptiert werden und welche Konsequenzen dies für das Verbraucherverhalten hat. Dazu sind Fragestellungen im Rahmen der Diffusionsforschung, der Konsumentenaufklärung sowie der Verbraucherbildung zu behandeln. Zur Beantwortung einer Vielzahl dieser Fragestellungen ist grundlegend zu erforschen, welche technischen Möglichkeiten es zur Bildung von personalisierten Preisen auf Basis von individuellen Nutzungsdaten überhaupt gibt und welche Zuverlässigkeit solche Verfahren erreichen können.

Das Forschungsfeld „Recht“

Ein drittes Forschungsfeld, das für die weitere Gestaltung der Entwicklungen grundlegende Bedeutung hat, ist das „Recht“. Insoweit geht es um die Überprüfung, ob die individualisierte Preisbildung Änderungsbedarfe vor allem hinsichtlich der Freiheit der Preisbildung, Preisstellung und Preisvereinbarung, hinsichtlich der Fairness der Prozedur wie auch hinsichtlich materieller Gleichbehandlungserwartungen hervorruft. Schon die klassische überwiegend einseitige Preisfestsetzung im stationären Handel führt zu Vertragsschlüssen, die dem Bild eines dem geltenden bürgerlichen Recht zugrundeliegendem Vertragsschlusses nicht entsprechen – personalisierte und dynamisierte Preise könnten hier Ungleichgewichtslagen begründen und dadurch gegebenenfalls auch rechtspolitische Bedarfe auslösen.

Bislang ist darauf jenseits des Kartellrechts vor allem mit breit ausjudizierten Transparenzanforderungen im Preisangabenrecht, im Lauterkeitsrecht und in der AGB-Kontrolle reagiert worden. Ergänzend sind seit 2014 Nebenpreise einer allgemeinen vertragsrechtlichen Regulierung unterworfen. Eingriffe in die Preisbildung und Preisvereinbarung sind hingegen bislang vor allem mit kartellrechtlichen Mitteln oder über Berufsrechte erfolgt.

Zivilrechtliche Kernfrage personalisierter Preise ist nunmehr, ob diese als solche am Maßstab der vertraglichen Inhaltskontrolle zu messen sein sollen und ob wir Standards für eine faire Prozedur der Preisvereinbarung benötigen – und dies über die für personalisierte Preise nach wie vor nicht vollständig ausgeleuchteten Vorgaben aus Diskriminierungsverboten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hinaus. Die zweite Kernfrage ist diejenige nach den vom Datenschutzrecht für die Preisindividualisierung gezogenen Grenzen insbesondere für Bildung und Nutzung von Profilen, wobei das Datenschutzrecht auch unter der Datenschutzgrundverordnung aufgrund seiner zu Recht persönlichkeitsrechtlichen Grundausrichtung Kommerzialisierungsvorgänge – insbesondere das faire (Ver-)Handeln – nur teilweise zu erfassen vermag. Daneben sind öffentlich-rechtliche und wettbewerbsrechtliche Standards und Maßnahmen zu prüfen.

Im Zusammenhang mit letzteren ist – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt einer Preisbindung der zweiten Hand – auch die Frage zu klären, ob und inwieweit Hersteller in die Lage versetzt werden können und sollen, Preisdynamisierungen in ihren Vertriebskanälen zu unterbinden oder zu beschränken. An einer umfassend systematisierenden Zusammenstellung und Durchdringung des geltenden Rechts fehlt es insoweit bislang – erst recht in der in diesem Feld sehr aufwendigen Rechtsvergleichung –, sodass durchaus die Gefahr übereilter rechtspolitischer Aktion besteht.

Wichtige Fragen für die Politik

Neben diesen primär aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu stellenden Fragen bzw. zu untersuchenden Problemen ergeben sich für die Politik sowie insbesondere die Verbraucherpolitik einige wichtige Fragen und zwar zunächst aus einer eher allgemeinen Perspektive. Eine erste Aufgabe besteht darin zu klären, welche sozialpolitischen Implikationen mit dem Konzept des Dynamic Pricing einhergehen. Unter welchen Bedingungen werden die gegebenenfalls zu erwartenden Umverteilungseffekte von den Verbrauchern akzeptiert? Auf welchen ethischen Prinzipien sollte dieser wichtige Bereich der Digitalisierung beruhen? Wo liegen die Toleranzgrenzen der Verbraucher im Hinblick auf die wahrgenommene Preis-Ungerechtigkeit auch oberhalb möglicher verfassungsrechtlicher Schwellen? Welche Rolle spielen hierbei auch die aus der Sozialpsychologie bekannten Theorien wie z.B. die Theorie des „Dual-Entitlement“? Können diese angewendet werden oder verlieren sie im digitalen Kontext an Erklärungskraft?

Für die Verbraucherpolitik stellt sich zudem die Frage, ob man, wie in der digitalen Welt nicht unüblich, auch im Kontext des Dynamic Pricing nach dem „Trial-and-Error-Prinzip“ verfahren möchte oder ob in diesem Bereich die an anderer Stelle bzw. in anderen Bedarfsfeldern bereits entwickelte Evidenzbasierung zum Einsatz kommen sollte. Wäre dies zu bejahen, so stellt sich unmittelbar die Frage nach den für die Beschaffung der entsprechenden Evidenzen notwendigen Institutionen, die z.B. in der Form eines „Price Labs“ oder einer preisrechtsvergleichenden Plattform die genannten Fragestellungen untersuchen und darauf aufbauend die Politik informieren können. Die damit verbundenen Fragen der Institutionalisierung der Verbraucherforschung im digitalen Zeitalter stellen sich jedoch nicht nur in diesem Kontext, sondern sind wohl prinzipieller Natur.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Ansatz des Dynamic Pricing nicht nur die Verbraucherpolitik, sondern auch die Verbraucherforschung vor große Herausforderungen stellt. Dabei sei an dieser Stelle aber betont, dass eine disziplinär isolierte Forschung nicht erfolgreich sein kann. Vielmehr wird es auch hier wie im gesamten digitalen Zeitalter darauf ankommen, den Verbraucher aus einer inter- und gegebenenfalls auch transdisziplinären Perspektive besser zur verstehen und darauf aufbauend theoretisch fundierte, rechtsdogmatisch informierte und empirisch sowie nicht zuletzt auch rechtsvergleichend abgesicherte Empfehlungen für eine realitätsnahe verbraucherorientierte Politik zu geben.

Der Beitrag ist das Ergebnis der Diskussion der Autoren mit unterschiedlichen verbraucherpolitisch aktiven Wissenschaftlern, denen wir zu Dank verpflichtet sind. Er gilt zunächst einmal den Teilnehmern des Verbraucherforschungsforums am 19.-20.9.2016 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ferner danken die Autoren Christine Steffen (Verbraucherzentrale NRW, Düsseldorf), Dr. Johannes Simons (Universität Bonn), Prof. Dr. Michael Gehle (EBC Hochschule Düsseldorf), Enrique Strelow (Ferrero MSC GmbH & Co. KG, Frankfurt/Main) sowie Dr. Andreas Neef (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) für wertvolle Hinweise im Zuge der Manuskriptentwicklung.

Title:Dynamic Pricing – Who Profits?

Abstract:In the context of digitalisation, recent approaches for automatic price adjustment are gaining importance. However, these approaches can affect consumer behaviour in a way which is disadvantageous for consumers, businesses and the state as a whole. In September 2016, consumer researchers met at the Heinrich Heine University in Düsseldorf in order to discuss the impact of dynamic pricing from the viewpoint of their research fields. As the articles make clear, the researchers found that dynamic pricing based on competitors’ prices is common, while personalised prices are extremely rare. The question arises as to what extent consumers consider dynamic prices unfair. The experts disagree about the necessity of a stricter legal regulatory framework. Furthermore, digital technology can be used to help consumers find their way through the complex online world. Ultimately, the question of who profits – the consumer or the trader – has not been settled. The discussants conclude that there is need for further research in many different research fields.

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DOI: 10.1007/s10273-016-2065-2

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