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Das Bundeskartellamt hat sich im Juni 2011 mit Marktinformationssystemen auf dem Rohmilchmarkt beschäftigt und die Auffassung vertreten, dass auf diesem Markt eine zu hohe Markttransparenz herrsche. Dies reduziere den für einen funktionierenden Markt erforderlichen Geheimwettbewerb. Dem widersprechen die Autoren, da die Besonderheiten des Rohmilchmarktes gegen eine Einschränkung der Transparenz sprechen. Zunehmende Transparenz durch bessere Preisvergleichsmöglichkeiten im Internet stellt den Grundsatz des Geheimwettbewerbs auch auf anderen Märkten in Frage.

Mit seinem jüngsten Fallbericht zur Gestaltung von Marktinformationssystemen auf dem Rohmilchmarkt vertritt das Bundeskartellamt die Auffassung, dass auf dem Rohmilchmarkt eine zu hohe Markttransparenz vorherrscht, die „den Geheimwettbewerb zwischen den betroffenen Teilnehmern […] weiter reduziert“.1 Daraus, dass der Wettbewerb nicht im Geheimen stattfindet, schlussfolgert das Kartellamt ferner, dass der Wettbewerb zwischen den Molkereien generell eingeschränkt wird. Somit schade die hohe Markttransparenz den Milcherzeugern, und der Agrarmarkt Informations-GmbH, die eine Überprüfung angefragt hatte, wird auferlegt, Milchauszahlungspreise von Molkereien erst mit einer Verzögerung von sechs Monaten zu veröffentlichen.

Das Konzept des Geheimwettbewerbs

Problematisch an diesem Fallbericht ist die Tatsache, dass dieser den Geheimwettbewerb per se als Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb betrachtet. Damit wird allein eine höhere Transparenz auf dem Rohmilchmarkt als Wettbewerbsverstoß hochstilisiert, auch ohne nachgewiesene wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen. Dies ist schon deswegen fragwürdig, weil die Molkereien weder den Anstoß zur Schaffung des Milchpreisvergleichs gegeben haben, noch sich besonders begeistert von seiner Einführung zeigten. Die große Skepsis der Ernährungsindustrie gegenüber Preisvergleichen auf der Beschaffungsmarktseite zeigt sich im Übrigen auch auf anderen landwirtschaftlichen Märkten, auf denen Landwirte solche Marktinformationssysteme aufgebaut haben, z.B. auf dem Fleischmarkt.

Grundsätzlich ist die kartellrechtliche Relevanz des Konstrukts „Geheimwettbewerb“ nicht unumstritten; hier ist die Auslegung im deutschen Wettbewerbsrecht im internationalen Vergleich eine der umfassendsten, mit dem Ergebnis, dass bei identifizierendem, preisbezogenem Informationsaustausch regelmäßig eine Wettbewerbsbeschränkung vermutet wird. International erhält der wettbewerbsfördernde Aspekt von Markt- und insbesondere Preisinformationen viel größeres Augenmerk. Hier gilt die Schaffung von weitgehender Transparenz als geeignetes Mittel, um gleichmäßige Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und bei heterogener Marktstruktur die Interessen der schwächeren Marktteilnehmer zu schützen. Das Konzept des Geheimwettbewerbs steht auch durch die Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft und dem damit verbundenen erleichterten Datenaustausch im Internet, bei gleichzeitig umfassenden Veröffentlichungspflichten von Kapitalgesellschaften, in der Kritik. Entscheidend für die ökonomische Bewertung eines Marktinformationssystems sollte dessen Zweck und Wirkung sein, auch wenn die damit mitunter verbundene Motivforschung im Einzelfall schwierig sein kann.

Identifizierende Marktinformationen?

Inwieweit ist mit kollusivem Verhalten der Marktteilnehmer zu rechnen, oder – wie im Fall der Untersagung bereits vorhandener Preisvergleiche relevant –, inwieweit liegt ein solches wettbewerbsschädliches Verhalten bereits in der Ausgangssituation vor? Bei der vom Kartellamt vorgenommenen Aufteilung in identifizierende (nicht zulässige) bzw. nicht identifizierende (zulässige) Marktinformationssysteme handelt es sich lediglich um ein Hilfskonstrukt zur Abschätzung der Wirkung. Allgemein ist aber die Eingruppierung des Milchpreisvergleichs als „identifizierendes Preismeldeverfahren“ aus unserer Sicht wenig zielführend. Identifiziert wird zwar die einzelne Molkerei, nicht aber der einzelne Vertragsabschluss. So wird auch nur der Basispreis einer Molkerei gemeldet. Spezielle Preise mit einzelnen (großen) Landwirten oder Gruppen von Vertragslieferanten oder aufgrund einer besonderen Produktionsweise werden nicht erfasst.

Identifizierende Marktinformationen werden in der wettbewerbsrechtlichen Argumentation vor allem deswegen kritisiert, weil sie die Bestrafung eines bestimmten Unternehmens für das Ausscheren aus einem Kartell zeitnah ermöglichen und gleichzeitig die durch einen Preisvorstoß erzielbaren Gewinne vermindern, so dass dem potenziellen Preisbrecher die Anreize für ein solches Verhalten genommen sind. Für den Bezugsmarkt für Rohmilch ist eine solche Konstellation allerdings kaum zu erwarten. Wird der strengen Sichtweise des Kartellamts in der jüngsten Stellungnahme gefolgt, so sind beispielsweise auch Online-Strompreisvergleiche oder andere Preisvergleichsportale im Internet als identifizierende Preismeldeverfahren fraglich.

Die Besonderheiten des Rohmilchmarktes

Der für uns entscheidende Punkt liegt jedoch in den kartellrelevanten Rahmenbedingungen, von denen das Kartellamt auf dem Rohmilchmarkt ausgeht und auf deren Basis eine zu hohe Transparenz als Kartell begünstigend gebrandmarkt wird. Die Frage lautet also, ist tatsächlich von einer Kartellstrukturen begünstigenden Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Rohmilchmarkt auszugehen? Sicherlich ist Milch ein homogenes Gut. Werden die Marktstrukturen betrachtet, so existiert zumindest auf Bundesebene eine Vielzahl von Molkereiunternehmen. Das Kartellamt verweist jedoch zu Recht darauf, dass es bei Rohmilch aufgrund begrenzter Milcherfassungsradien mehrere Regionalmärkte anstatt eines bundeseinheitlichen Marktes gibt. Möglicherweise existiert in einer Region also eine Art Oligopol. Dabei wird aber ein wesentliches Element der Auszahlungspraxis zumindest genossenschaftlicher Molkereien übersehen. In dieser den deutschen Milchmarkt prägenden Rechtsform wird der Auszahlungspreis bekanntlich rückwirkend aufgrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Molkerei festgelegt, wobei die Landwirte als Eigentümer über ihre Gremien zumindest grundsätzlich in der Lage sind, Auszahlungspreise, die eine Gewinnverschiebung von den Eigentümern (den Landwirten) zum Verarbeitungsunternehmen vornehmen, zu verhindern.

Das genossenschaftliche Preisfindungssystem garantiert, solange von Prinzipal-Agenten-Problemen abstrahiert wird, einen optimalen Auszahlungspreis bei genossenschaftlichen Molkereien. De facto sind aber die ehrenamtlichen genossenschaftlichen Vorstandsmitglieder nur bedingt in der Lage, die wirtschaftliche Situation und damit den geeigneten Verwertungspreis ihrer Milch einzuschätzen. Dies eröffnet dem hauptamtlichen Management diskretionäre Spielräume zu Lasten der Landwirte und zugunsten von Investitionen, Rücklagen oder Gehältern. Kenntnisse über die Auszahlungspreise anderer Molkereien sind deshalb gerade für die genossenschaftlichen Gremienmitglieder wichtig, um in den Entscheidungsstrukturen das hauptamtliche Management überwachen zu können. In der Vergangenheit hat sich aber gerade bei einigen wirtschaftlich schwächeren Genossenschaften eher das Problem zu hoher Auszahlungspreise gezeigt.

Gut 60% der deutschen Rohmilchbeschaffung wird in Genossenschaften organisiert. Dies lässt den einfachen Schluss von regionalen Konzentrationsraten auf Wettbewerbsbeschränkungen zu Lasten der landwirtschaftlichen Lieferanten nicht zu. Aber auch in einem Fall, in dem man zu dem Ergebnis kommt, dass der effektive Rohmilchmarkt durch eine hohe Konzentration gekennzeichnet ist, wäre dies noch kein Beleg für eine nicht-wettbewerbliche Preisfindung. Entscheidend ist vielmehr das Verhalten der Unternehmen, vor allem ob sie darauf abzielen, den Konkurrenten durch Preiswettbewerb Marktanteile abzunehmen. Entsprechend erfolgt auch der empirische Nachweis von Marktmacht nicht mehr über eine reine Marktstrukturanalyse, sondern über die Untersuchung von Preis-Mengen-Daten und damit über das tatsächliche Verhalten der Marktteilnehmer. Wird der Rohmilchmarkt in diesem Rahmen betrachtet, zeigen sich wenige Hinweise auf einen eingeschränkten Wettbewerb. Im Gegenteil, die seit 2007 zu beobachtenden Preisschwankungen auf den Weltmärkten für Milcherzeugnisse sind in Deutschland zum Teil in erstaunlicher Geschwindigkeit an die Milcherzeuger weitergegeben worden, weit schneller als in anderen Ländern. Ferner haben durch die Marktlage bedingte stark unterschiedliche Milchpreise zu vielen Molkereiwechslern geführt. All dies sind Anzeichen, dass der Wettbewerb sogar sehr gut funktioniert.

Dass die Milchpreise zwischen den Molkereien in einer Region in der Regel nicht so stark differieren, ist eher ein Ergebnis des Wettbewerbs, nicht ein Zeichen dafür, dass kein Wettbewerb stattfindet. Trotzdem wird es auch immer Molkereien geben, die mit Blick auf die Milchpreise der Konkurrenten nicht so viel auszahlen, wie sie könnten. Das ist vor allem bei (Privat-)Molkereien, die stark differenzierte Produkte anbieten und damit eine herausgehobene Marktstellung innehaben, denkbar. Einige Unternehmen mit starken Marken oder innovativen Erzeugnissen könnten auf der Inputseite mehr bezahlen als sie es derzeit tun. Auch wenn sie auf dem Endverbrauchermarkt und gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel ihre Differenzierungsvorteile in höhere Rentabilitäten umsetzen, ist es für diese Unternehmen (solange es sich nicht um Genossenschaften handelt) in der Regel ausreichend, auf dem Beschaffungsmarkt durchschnittlich oder leicht überdurchschnittlich auszuzahlen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie ein intransparenter Markt dies ändern sollte. Vielmehr kann Intransparenz an dieser Stelle eher zu einem vorsichtigeren Rohstoffeinkauf der Molkereien beitragen und zu einer Kosten getriebenen Kalkulation auf den nächsten Verarbeitungsstufen führen. Dieses Problem sollte dann jedoch nicht auf der Rohstoffbeschaffungsseite gelöst werden; hier wäre eine wettbewerbsrechtliche Maßregelung direkt an der Wurzel angezeigt.

Fazit

Es kann also festgehalten werden, dass die vom Kartellamt so bezeichneten „konkret vorliegenden Strukturbedingungen [und die Beobachtungen] auf dem relevanten Markt“2 nicht für das Vorliegen einer nicht-wettbewerblichen Preisbildung sprechen. Eine Verringerung der Transparenz und Forcierung des Geheimwettbewerbs dürfte in einer solchen Situation eher schädlich für den Wettbewerb unter den Molkereien sein. Aber selbst wenn die Schlussfolgerung eine andere und ein Geheimwettbewerb zu präferieren wäre, stellt sich immer noch die Frage, ob das faktische Verbot des Kartellamts von Milchpreisvergleichen innerhalb der ersten sechs Monate ein geeignetes Instrument zur Herstellung eines Geheimwettbewerbs ist. In der Tat ist dies jedoch zu bezweifeln. So erlauben es die Ressourcen der Molkereien in weit höherem Maße, sich einen Überblick über die Marktsituation zu verschaffen als die eines einzelnen Milcherzeugers. Vermutlich wird eine Molkerei die Milchpreise aller wichtigen Konkurrenten sogar sehr zeitnah beschaffen können. Quellen sind beispielsweise die Verhandlungen mit Vertragslieferanten, gut informierte regional verwurzelte Tankwagenfahrer oder Lieferanten anderer Molkereien, die diese Informationen herausgeben, da sich ihr Milchpreis ohnehin nicht von dem der anderen Lieferanten dieser Molkerei unterscheidet.

Mit einem Milchpreisvergleichsverbot werden dem Lebensmitteleinzelhandel lediglich Informationen abgeschnitten. Allerdings ist für die Verhandlungen mit den Molkereien ohnehin vornehmlich die Kenntnis der besten Outside-Option der jeweiligen Molkerei wichtig und die ist im Zweifel der Spotmarktpreis für das Milchprodukt. Auch kann der Lebensmitteleinzelhandel bei den dominierenden Handelsmarken relativ leicht durch Internetauktionen oder Ausschreibungen die Grenzkosten der Anbieterseite für Standardprodukte eruieren. Gleichwohl wird es für den Lebensmitteleinzelhandel schwieriger, Kostentransparenz über die Vorstufen herzustellen, so dass es bei der Preistransmission eher zu zeitlichen Verzögerungen kommen könnte. Dies wäre aus Sicht eines funktionierenden Wettbewerbs und niedriger Verbraucherpreise nachteilig.

Wiederum anders stellt sich die Situation für die Milcherzeuger dar. Übliche Vertragsklauseln bei Privatmolkereien, in denen auf einen regionalen Referenzpreis verwiesen wird, wären dann kaum noch möglich. Daher sind diese noch verstärkt auf Milchpreisvergleiche angewiesen und verlieren mit der Entscheidung des Kartellamts einen wichtigen Baustein für einen notwendigen und vor allem aktuellen Marktüberblick. Es werden erheblich mehr individuelle Preisaushandlungen nötig, weil Landwirte durch Testanfragen bei anderen Molkereien Preistransparenz herstellen müssen. Dies wird die Transaktionskosten bei Landwirten wie Molkereien erhöhen und letztlich zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Milchwirtschaft gehen bzw. höhere Verbraucherpreise nach sich ziehen.

Insgesamt sind damit weder eine Verbesserung des Preiswettbewerbs auf Molkereiebene im Sinne höherer Preise für die Landwirte noch günstigere Verbraucherpreise zu erwarten. Die etwas paradoxe Argumentation des Kartellamtes, die Position der Landwirte dadurch zu stärken, dass Marktinformationssysteme, die von landwirtschaftlicher Seite gegen den Widerstand vieler Molkereien realisiert wurden, begrenzt werden, müsste aus Sicht der Verfasser zumindest deutlich besser begründet werden.

  • 1 Bundeskartellamt: Standard für kartellrechtskonforme Gestaltung von Marktinformationssystemen im Bereich der Beschaffung von Rohmilch, Fallbericht, 29.6.2011.
  • 2 Bundeskartellamt, a.a.O.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1315-6