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Der Brexit, der unerwartete Ausgang der US-Wahl, das Italien-Referendum sowie die 2017 anstehenden Wahlen in den EU- und Euro-Kernländern Frankreich und Deutschland überschatten die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung. Die realen Auswirkungen dieser Ereignisse sind schwer abzuschätzen, da sie größtenteils erst im Laufe von 2017 tatsächlich umgesetzt werden. Allerdings sorgen bereits Ankündigungen bzw. Erwartungen für Verunsicherung. Alles in allem haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen durch politische Einflüsse tendenziell eher verschlechtert. Die deutliche Abwertung des Euro in den letzten Monaten spiegelt diese Tendenzen wider. Auch wenn letztere für eine exportorientierte Nation wie Deutschland eher vorteilhaft erscheint, so laufen doch die protektionistischen Tendenzen, die hinter einzelnen politischen Entwicklungen stehen, dem entgegen.

Das Wirtschaftswachstum hat sich in Deutschland nach dem starken ersten Halbjahr – wie erwartet – reduziert; das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im zweiten Halbjahr nur noch mit einer Jahresrate von etwa 1% gewachsen. Diese Abschwächung ist nach den positiven Sondereinflüssen zuvor aber eher als Normalisierung zu betrachten. Gestützt wurde die Konjunktur weiterhin durch expandierende private und öffentliche Konsumausgaben sowie mehr Bauinvestitionen, insbesondere in Wohnbauten. Dagegen hielten sich die Unternehmen bei ihren Investitionen zurück, wobei wohl auch schon die aktuellen Unsicherheiten, wie das Brexit-Referendum, eine Rolle spielten. Vor allem aber waren die Exporte leicht rückläufig; bei gleichzeitig etwas erhöhten Importen sank der Außenbeitrag. Ebenso wie die gesamtwirtschaftliche Produktion verlangsamt anstieg, nahm auch die Beschäftigung weniger stark zu, erreichte aber mit 43,5 Mio. Erwerbstätigen einen neuen Höchststand. Die Arbeitslosenrate ging auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung zurück (vgl. Tabelle 1). Die Verbraucherpreise begannen mit der Wende bei den Energie- und anderen Rohstoffpreisen ebenfalls wieder zu steigen; noch Ende dieses Jahres dürfte die Inflationsrate die 1%-Marke überschreiten.

Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
2015 2016 2017 2018
Bruttoinlandsprodukt1 1,7 1,8 1,1 1,6
Private Konsumausgaben 2,0 1,9 1,3 1,3
Staatliche Konsumausgaben 2,7 4,2 2,0 0,9
Anlageinvestitionen 1,7 2,0 1,6 3,1
Ausrüstungen 3,7 1,4 2,0 4,9
Bauten 0,3 2,4 0,9 1,6
Sonstige Anlagen 1,9 2,3 2,5 3,2
Inlandsnachfrage 1,6 2,1 1,4 1,4
Ausfuhr 5,2 2,3 2,3 5,3
Einfuhr 5,5 3,1 3,5 5,6
Arbeitsmarkt
Erwerbstätige 0,9 1,0 0,3 0,4
Arbeitslose (in Mio.) 2,79 2,69 2,69 2,67
Arbeitslosenquote2 (in %) 6,1 5,8 5,8 5,8
Verbraucherpreise 0,3 0,5 1,6 2,0
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) 0,7 0,7 0,5 0,5
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) 8,3 8,6 7,3 7,2

1 Preisbereinigt. 2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept). 3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; ab 2016 Prognose des HWWI.

Die Weltwirtschaft dürfte auch 2017 nur mäßig wachsen, zumal vor dem Hintergrund vielfältiger globaler Unsicherheiten. In den USA und in China ist das Wirtschaftswachstum unterdurchschnittlich und viele Schwellen- und Entwicklungsländer haben teils wegen verringerter Einnahmen aufgrund gedrückter Rohstoffpreise, teils wegen innerpolitischer Probleme wirtschaftliche Schwierigkeiten. Hinzu kommen verstärkte protektionistische Tendenzen. Von all dem wird die exportabhängige deutsche Wirtschaft nicht unberührt bleiben. Stabilisierend dürfte weiterhin die heimische Nachfrage wirken. Allerdings dürften die Unternehmen zunächst einmal in ihrem Investitionsverhalten vorsichtig bleiben und die weiteren globalen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen abwarten. Die Exportaussichten sind angesichts der anstehenden globalen Veränderungen gedämpft; lediglich der schwache Euro wirkt stützend. Da die Importe wegen der stabileren Binnennachfrage aber stärker zunehmen werden, wird auch im kommenden Jahr von außenwirtschaftlicher Seite insgesamt ein negativer Wachstumseffekt ausgehen.

Unter diesen Bedingungen wird das reale BIP 2017, zumal ein spürbarer negativer Kalendereffekt hinzukommt, mit kaum mehr als 1% deutlich weniger stark zunehmen als in diesem Jahr (vgl. Abbildung 1). Bei der verringerten Konjunkturdynamik wird die Beschäftigung nur noch wenig zunehmen, und da mehr und mehr Migranten auf den Arbeitsmarkt kommen, wird die Arbeitslosigkeit kaum weiter zurückgehen. Die internen Preisauftriebskräfte dürften gering bleiben. Die Stabilisierung der Rohstoffpreise sowie die abwertungsbedingte Erhöhung der Importpreise lassen die Inflationsrate im Jahresverlauf von 2017 aber in Richtung 2% anziehen. Der Staat dürfte insgesamt wieder einen positiven Finanzierungssaldo erzielen. Dazu tragen auch weiter rückläufige Ausgaben für den Schuldendienst aufgrund niedriger Zinsen bei.

Abbildung 1
Preisbereinigtes BIP in Deutschland
Saison- und arbeitstäglich bereinigt mit Census-Verfahren X-12-Arima
Preisbereinigtes BIP in Deutschland

1 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet. 2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.

Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2016 Prognose des HWWI.

Hier wird davon ausgegangen, dass die aktuellen politisch bedingten Unwägbarkeiten für die Wirtschaft im Laufe des kommenden Jahres durch die Politik weitgehend aufgelöst werden und weniger drastisch ausfallen, als erwartet werden könnte. Das würde bedeuten, dass sich die Wirtschaftssubjekte im Laufe des kommenden Jahres an die anstehenden Veränderungen anpassen und sich das im Moment hohe Ausmaß an Unsicherheit verringert. Die Zurückhaltung bei den Unternehmensinvestitionen oder Außenhandelsströmen dürfte sich wieder normalisieren und die konjunkturelle Dynamik könnte 2018 wieder zulegen. Für Deutschland werden daher 2018 wieder stärker zunehmende Ausrüstungsinvestitionen und Exporte erwartet. Das wird auch die Beschäftigungsentwicklung und damit den privaten Verbrauch stützen. Das reale BIP würde unter diesen Bedingungen mit 1,6% wieder deutlich stärker wachsen. Der Anstieg der Verbraucherpreise dürfte sich um die 2%-Marke einpendeln.

Die Risiken für diese Prognose sind allerdings angesichts der vielfältigen politischen Unwägbarkeiten erheblich. Nach wie vor ist offen, wie der Brexit vollzogen werden soll. Erhebliche Unsicherheit für die Konjunktur geht auch von der zukünftigen wirtschaftspolitischen Strategie der USA aus. Der designierte Präsident Donald Trump setzt allen bisherigen Signalen nach auf eine Politik radikaler kurzfristiger Wachstumsimpulse. Die Nachfrageseite soll durch eine Kombination aus Ausgabenerhöhungen und Steuersenkungen angeregt werden, zugleich soll das enorme Außenhandelsdefizit der USA durch Maßnahmen wie eine Verhängung von Strafzöllen abgebaut werden. Zünglein an der Waage wird dabei die Geldpolitik und damit die Strategie der Fed spielen. Um eine Überhitzung der US-Volkswirtschaft und die damit zusammenhängende Inflationsgefahr abzuwenden, wäre die Fed eigentlich gezwungen, ihre ohnehin eingeschlagene Politik der schrittweisen Zinserhöhungen noch zu intensivieren. Dies würde aber nicht nur Trumps Wachstumsziele unterminieren, sondern höchstwahrscheinlich auch die Realisierung weiterer Wahlkampfversprechen gefährden. So würde ein höheres Zinsniveau über Kapitalzuflüsse voraussichtlich eine Aufwertung des US-Dollar gegenüber anderen Währungen nach sich ziehen. Die Folge wäre nicht nur eine Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrien (und damit die Gefährdung von Arbeitsplätzen gerade in den mehrheitlich für Trump votierenden Industrial-Belt-Staaten), sondern auch ein zunehmender Anreiz für (legale und illegale) Immigration in die USA.

Schon jetzt reagieren die Anleihemärkte auf diese Entwicklung mit sinkenden Kursen. Trump hat jedoch durchaus die Möglichkeit, effektiv politischen Einfluss auf die Fed zu nehmen. Während seiner Amtszeit sind zahlreiche Personal­entscheidungen für Sitze im Board of Governors der Fed zu treffen (einschließlich des Postens der Vorsitzenden Janet Yellen). Es besteht so durchaus die Möglichkeit, dass Fed-Verantwortliche im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams geneigt sein werden, die Zügel bei der Geldpolitik zunächst noch recht locker zu lassen. Das wäre unter diesen Bedingungen mit einem erheblichen Risiko für die Stabilität der globalen Wirtschaftsordnung verbunden.

Aus globaler Perspektive gibt es aber auch noch weitere Risikofaktoren. So könnte der ungünstige Ausgang des Italien-Referendums die Eurokrise neu beleben. Eine Verstärkung protektionistischer Tendenzen könnte zudem die Stabilisierung des nachlassenden Wirtschaftswachstums in China gefährden. Es könnte überdies zu einem erneuten Preisverfall an den Rohstoffmärkten und in der Folge zu einer weltweiten Deflationsspirale kommen. Nicht zuletzt besteht das Risiko, dass eine zu schnelle und deutlicher als erwartete Zinswende in den USA die Finanzmärkte destabilisiert und viele Entwicklungs- und Schwellenländer zusätzlich in neue Schwierigkeiten bringt. Die Risiken sind also vielfältig und die Politik ist gefordert.


DOI: 10.1007/s10273-016-2075-0