Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Mit der Privatisierung und der Aufhebung des Prinzips der Tarifeinheit haben die Arbeitskämpfe im Verkehrswesen stark zugenommen. Die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung ist gefährdet und unbeteiligte Dritte haben oft das Nachsehen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur hat eine Stellungnahme vorgelegt, die Empfehlungen ausspricht, wie das Streikrecht im Verkehrswesen neu geregelt werden kann.

Bereits 2008 befasste sich der Wissenschaftliche Beirat beim (damaligen) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in einer Stellungnahme mit dem Thema Zuverlässigkeit im Verkehrswesen.1 Damals wurden folgende Kernelemente identifiziert:

  • die Kapazität und Qualität der Infrastruktur,
  • die Unterhaltung der Infrastruktur,
  • das Leistungsvermögen der Steuerungssysteme,
  • die Störungssicherheit der Fahrzeuge,
  • die Sicherheit gegen Unfälle und Eingriffe von außen,
  • Witterungseinflüsse sowie nicht zuletzt
  • die Qualifikation und Handlungszuverlässigkeit des beteiligten Personals.

Nicht berücksichtigt wurde damals jedoch der Aspekt möglicher Auswirkungen von Arbeitskämpfen auf die Zuverlässigkeit der Verkehrsbedienung einschließlich der damit verbundenen temporären Unterbrechungen nationaler wie internationaler Logistik- und Wertschöpfungsketten und den daraus resultierenden hohen gesamtwirtschaftlichen Folgekosten im In- und Ausland.

Seit 2007 ist die Zahl von Arbeitskämpfen im Verkehrswesen, insbesondere durch die gestiegene Streikbereitschaft kurzfristig nicht ersetzbarer Spezialisten, erheblich angestiegen. Nach ihrem dreitägigen Ausstand im April 2014 legten die Piloten des Lufthansa-Konzerns bis September 2015 13-mal die Arbeit nieder, was zum Ausfall von 8500 Flügen führte, auf die etwa 1 Mio. Passagiere gebucht waren. Der einwöchige Streik der Lufthansa-Kabinenbesatzungen im November 2015 zwang das Unternehmen darüber hinaus zur Annullierung weiterer 4700 Flüge. Von diesem längsten Streik in der Geschichte der Lufthansa waren 550 000 Passagiere betroffen.

Auch die in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisierten Zugführer traten 2014 sechsmal in großflächige Warnstreiks. Beide Spartengewerkschaften, die GDL und die Vereinigung Cockpit (VC), haben weitere Arbeitskampfmaßnahmen in den aktuellen Tarifkonflikten angedroht. Die GDL vertritt etwa 34 000 Eisenbahner, darunter 20 000 Beschäftigte der Deutschen Bahn (im Vergleich zu den 210 000 Mitgliedern der deutlich größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG). Der Vereinigung Cockpit (VC) mit ca. 9300 Mitgliedern gehören nach eigenen Angaben 95% der im Lufthansa-Konzern beschäftigten Piloten und Flugingenieure an (und ca. 80% aller bei deutschen Fluggesellschaften beschäftigten Luftfahrzeugführer). Auch in anderen Teilbereichen des Verkehrsmarktes nimmt die Streikhäufigkeit seit geraumer Zeit deutlich zu; das belegt die nachstehende Übersicht für Deutschland, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:

  • Lokomotivführer (2007, 2011, 2013, 2014, 2015),
  • Schleusenwärter (Juli und August 2013),
  • Fluglotsen (EU-weit im Januar und Februar 2014, kurzfristige Absage des für Deutschland geplanten Ausstandes),
  • Fluggastkontrollen (2012, 2013, 2014 und 2015 in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt/Hahn, Frankfurt/Main sowie Stuttgart, Köln und erneut Hamburg und Düsseldorf),
  • Flughafen-Vorfeldaufsicht (Februar 2012 in Frankfurt),
  • Flughafen-Bodenverkehrsdienste (April 2012 in Frankfurt),
  • Flugbegleiter (Lufthansa, August und September 2012 und November 2015) sowie
  • Luftfahrzeugführer (Lufthansa: 1996, 2001, 2010, 2014 sowie 2015, Augsburg Airways: Mai 2013).

Auch wenn die Zahl der Streiktage in Deutschland im internationalen Vergleich sehr gering ausfällt – allerdings bei einer deutlichen Zuwachsrate im Dienstleistungsbereich in den vergangenen Jahren –, ist damit zu rechnen, dass insbesondere im Verkehrsbereich die Häufigkeit von Arbeitskämpfen aufgrund der letztlich positiven Erfahrungen der Streikenden in Bezug auf die erzielten Abschlüsse zunehmen wird. Außerdem gehen diese Streiks – auch wenn sie nur wenige Stunden dauern – mit substanziellen gesamtwirtschaftlichen Kosten durch Schädigung einer bedeutenden Zahl unbeteiligter Dritter und mit großen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einher.

Mit dieser Stellungnahme will der Wissenschaftliche Beirat ausdrücklich keine Beurteilung der Streikanlässe und der Arbeitsplatzsituation der Streikenden vornehmen. Vielmehr sollen konstruktive Vorschläge für eine ausgewogene, auch die Interessen der betroffenen Nutzer angemessen berücksichtigende Lösung von Tarifkonflikten zur Diskussion gestellt werden.

Organisation der Arbeitnehmervertretungen

Eine wesentliche Ursache der zunehmenden Streikhäufigkeit ist die wachsende Zahl von Spartengewerkschaften, die durch einen besonders hohen Organisationsgrad der für die Leistungserbringung unverzichtbaren Spezialisten gekennzeichnet sind. Neben den beiden bereits erwähnten Spartengewerkschaften zählen dazu im Verkehrsbereich unter anderem die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), die Technik Gewerkschaft Luftfahrt (TGL), die Arbeitnehmergewerkschaft im Luftverkehr (AGiL), die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) sowie die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO).

Die wachsende Attraktivität dieser Organisationen lässt sich neben ihrer steigenden Zahl auch am kontinuierlichen Anstieg ihrer Mitgliederzahlen zulasten der etablierten Großgewerkschaften belegen, die eine im Vergleich deutlich heterogenere und daher schwerer organisierbare Mitgliedschaft aufweisen. Der zunehmende zwischengewerkschaftliche Wettbewerb führt jedoch offenbar dazu, dass die Arbeitskampf- und Tarifstrategien der Spartengewerkschaften immer häufiger auch von den Großgewerkschaften nachgeahmt werden. Im Verkehrssektor trifft dies insbesondere auf ver.di zu, die wichtigste Gewerkschaft im öffentlichen Dienst Deutschlands.

Ein Sonderproblem von Arbeitskampfmaßnahmen in Dienstleistungsbranchen im Vergleich zu Industrie und Gewerbe ergibt sich des Weiteren aus der Nichtlagerfähigkeit des Produkts. Werden konkret Beförderungsdienstleistungen bestreikt, resultieren daraus volkswirtschaftlich gesehen stets ganz besonders hohe negative Externalitäten, d.h. substanzielle wirtschaftliche Schädigungen einer großen Zahl unbeteiligter Dritter (in dem Sinne, dass sie nicht an den Tarifverhandlungen beteiligt sind). Die entscheidende Ursache hierfür ist aus Sicht der betroffenen Kunden das Fehlen akzeptabler, also kurzfristig verfügbarer sowie qualitativ, quantitativ und preislich vergleichbarer Substitute zu den bestreikten Verkehrsangeboten. So werden beispielsweise Passagiere von Fluggesellschaften oder Eisenbahnunternehmen, aber auch die verladende Wirtschaft, die bei einem Ausstand kurzfristig nicht auf alternative Verkehrsmittel ausweichen können, von den Tarifparteien quasi in „Geiselhaft“ genommen. Angesichts der starken internationalen Vernetzung der nationalen Verkehrssysteme kommt es im Streikfall zudem regelmäßig zu negativen grenzüberschreitenden Externalitäten in erheblichem Ausmaß. Beispiele wären großräumige Sperrungen des Luftraums infolge von Arbeitskampfmaßnahmen der Fluglotsen oder auch der Schienenwege für den Transitverkehr.

Auch die deutsche Politik scheint sich des Problems allmählich bewusst zu werden. Dies zeigt die gesetzliche Wiederherstellung der sogenannten Tarifeinheit Anfang 2015. Wie noch auszuführen sein wird, bezweifelt der Beirat jedoch, dass diese Neuregelung geeignet ist, dem Problem der zunehmenden Streikhäufigkeit im Verkehrswesen wirksam zu begegnen.

Ökonomische Aspekte

Streiks im Verkehrswesen finden meist in Bereichen statt, in denen kurzfristig nicht bzw. nur bedingt ersetzbare Spezialisten entweder unter Monopolbedingungen oder zumindest als marktbeherrschende Anbieter mit Restwettbewerb ihre Dienstleistungen erbringen. Diese Leistungen sind in der Regel für die störungs- und unterbrechungsfreie Produktion der jeweiligen Beförderungsdienstleistungen unverzichtbar und somit systemrelevant. Zu nennen sind zuerst die Infrastrukturbereiche, die wie z.B. die Flugsicherung oder die Eisenbahninfrastruktur­unternehmen natürliche Monopole darstellen. Sodann kann es sich um den Fall eines monopolistischen (oder marktbeherrschenden) Verkehrsunternehmens handeln, das durch Arbeitskampfmaßnahmen eigener Beschäftigtengruppen wie etwa der Piloten oder Flugbegleiter im Falle einer Fluggesellschaft oder der Lokomotivführer bei Bahnunternehmen an der Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gehindert wird. Ein Sonderfall dieses Szenarios sind nacheinander bzw. rotierend von verschiedenen Spezialistengruppen durchgeführte Streiks, d.h. sequenzielle Streiks etwa von Fluglotsen, Flughafenfeuerwehren, Piloten, Flugbegleitern und Bodenpersonal.

Zu beachten ist außerdem, dass zu diesen Engpassbereichen auch diejenigen verkehrlichen Dienstleistungen gezählt werden müssen, die zwar grundsätzlich unter wettbewerblichen Bedingungen erstellt werden, jedoch substanzielle Lock-in-Effekte aufweisen. Diese ergeben sich als Konsequenz aus der wirtschaftlich starken Bindung der Nachfrager an eben diesen Anbieter durch den Abschluss eines Beförderungsvertrags. Beispiele sind, vor allem im Passagierverkehr, Zeitkarten, restriktive Beförderungsbestimmungen und Tarifvorschriften.

Zudem ist es von Bedeutung, dass hierzulande Arbeitskampfmaßnahmen durch höchstrichterliche Rechtsprechung als höhere Gewalt eingestuft werden, die den Anbieter von jeder Schadensersatzpflicht gegenüber den betroffenen Nachfragern befreit. Bei streikbedingtem Ausfall der Beförderungsdienstleistungen – sowohl im Passagier- als auch im Güterverkehr – sind gesamtwirtschaftliche Schäden in erheblichem Umfang zu beobachten, die anders als bei Arbeitsniederlegungen in der Industrie aus Sicht der Tarifparteien ganz überwiegend auf unbeteiligte Dritte überwälzt und somit externalisiert werden können. Dies hat im Wesentlichen folgende Gründe.

Anders als in der industriellen Fertigung, in der Produktionsausfälle durch spätere Überstunden und Sonderschichten nach Ende des Streiks in der Regel in vertretbar kurzer Zeit wieder wettgemacht werden können, sind Beförderungsleistungen grundsätzlich nicht lagerfähig, also nur sehr begrenzt zeitlich verschiebbar. Einmal arbeitskampfbedingt ausgefallene Leistungen können nach Streikende in der Regel nicht nachgeholt werden; sie sind volkswirtschaftlich betrachtet dann für immer verloren. Dies gilt insbesondere aus Sicht derjenigen Anbieter, denen die Produktionsmittel fehlen, ihr bestreiktes Angebot später nachzuholen – im Gegenteil haben Streikperioden oft noch ein längeres Nachspiel im Sinne eingeschränkter Angebote auch nach Streikende, da sich die benötigten Verkehrsmittel und/oder die benötigten Mitarbeiter noch nicht wieder am Einsatzort befinden.

Die eingeschränkte Verschiebbarkeit gilt aber auch aus Sicht der Nachfrager, deren Reisezweck nach Streikende vielfach weggefallen ist, ein späteres Nachholen der Reise also oft sinnlos wäre. In einigen Fällen sind jedoch Verschiebungen möglich, so dass sich eine streikbedingt nicht in Anspruch genommene Beförderungsdienstleistung von den betroffenen Kunden später ohne oder mit geringen zusätzlichen Kosten nachholen lässt. Hinsichtlich dieser Fälle gilt: Je früher ein kommender Streik bekannt wird, desto besser sind die Möglichkeiten der Umplanung für die betroffenen Verkehrskunden. Häufig sind auch die rechtlichen oder faktischen Ausweichmöglichkeiten der betroffenen Nachfrager auf alternative Verkehrsmittel begrenzt. Dies gilt umso mehr, je kurzfristiger der Streik angekündigt wurde. Zur Erläuterung mögen folgende, in der Praxis besonders relevante Beispiele dienen:

  • Flugpassagiere, deren Tarifbestimmungen trotz eines bereits angekündigten Streiks weder eine kostenlose Erstattung des Ticketpreises noch eine kostenfreie Umbuchung erlauben, sind – sofern es keine entsprechenden gesetzlichen Regelungen gibt oder die fragliche Fluggesellschaft keine Kulanz zeigt – gezwungen, die Reise trotz gültiger, aber nicht erstattungsfähiger Flugscheine nicht anzutreten oder auf eigene Kosten auf verfügbare alternative Verkehrsträger umzusteigen. Dies gilt insbesondere für Mittel- und Langstreckenreisen.
  • Ein besonderes Problem stellen im grenzüberschreitenden Luftverkehr die an bestreikten internationalen Drehkreuzen – wie die Flughäfen Frankfurt oder München – regelmäßig in großer Zahl „strandenden“, weil vom Streik unterwegs überraschten Transitpassagiere dar. Vielfach dürfen diese Passagiere ohne gültige Einreise- oder Transitvisa nicht einmal den Transitbereich der Flughäfen verlassen. Dies stellt in besonderem Maße einen Eingriff in die Grundrechte dar und ist daher auch rechtlich problematisch. Besonders fühlbar wird dieser Eingriff für die Betroffenen, wenn sich im Transitbereich die sanitären Verhältnisse oder die Versorgung mit unmittelbar Notwendigem verschlechtern oder wenn sich die Beeinträchtigung über Tage hinzieht.
  • Nicht übersehen werden dürfen die externen Kosten der Streikaktivität für die betroffenen Reisenden, die infolge des Streiks auf andere Verkehrsträger ausweichen müssen, deren Unfallwahrscheinlichkeit deutlich über dem des bestreikten Verkehrsträgers liegt. So ist das statistische Todesrisiko eines Pkw-Nutzers je Mrd. Personenkilometer im Vergleich zu einem Bahnreisenden um den Faktor 42 höher;2 ein nochmals deutlich höherer Wert ergibt sich im Verhältnis Luftverkehr zu Pkw-Verkehr.3 Bei ökonomischer Betrachtung wären somit auch die streikinduzierten Unfallkosten infolge der Verlagerung auf statistisch risikoreichere Verkehrsträger bei der Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Folgekosten von Arbeitskämpfen zu berücksichtigen. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ergibt sich daraus ein latenter Konflikt zwischen der Ausübung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Artikel 9 III GG) einerseits und den potenziellen Gefährdungen des Schutzgutes Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit andererseits.
  • Wie unmittelbar einsichtig ist, stehen den betroffenen Passagieren im konkreten Einzelfall die prinzipiell verfügbaren inter- und intramodalen Substitute oftmals faktisch nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Gleiches gilt für Verlader, die einmal auf den Weg gebrachte Fracht im Streikfall nicht mehr auf unbestreikte Transportalternativen umdisponieren können (sofern dies bei dem Frachtgut überhaupt möglich wäre).
  • Werden Infrastrukturen bestreikt – die, wie z.B. die Flugsicherung, die Sicherheitskontrollpunkte an Flughäfen oder Stellwerke im Eisenbahnnetz monopolistische Bottlenecks in den jeweiligen verkehrlichen Wertschöpfungsketten darstellen –, entfallen grundsätzlich sämtliche intramodale Alternativen.
  • Auf der Ebene der Beförderungsdienstleistungen ergeben sich im Streikfall ähnliche Konsequenzen. Ein relevantes Problem stellen die im Luftverkehr oft hohen Auslastungsgrade dar. Diese stehen einer zügigen oder sogar präventiven Umbuchung aller Passagiere auf eine andere Fluggesellschaft in der Praxis nicht selten entgegen (keine verfügbaren Kapazitäten). Hinzu kommt, dass die betroffenen Passagiere oft nicht über ihre Rechtsansprüche gegenüber den bestreikten Fluggesellschaften informiert sind, im Streikfall kostenlos auch auf zeitnahe Flüge anderer Fluggesellschaften umgebucht zu werden.
  • Allerdings gestatten die deutschen Fluggesellschaften im Streikfall ihren Kunden zumindest auf innerdeutschen Strecken die Nutzung von Zügen der Deutschen Bahn gegen Vorlage des Flugscheins oder erstatten diesen nachträglich die Kosten für eine Bahnfahrkarte. Ähnliche Arrangements wären beim Ausfall grenzüberschreitender Flüge jedoch prinzipiell nur für einige wenige Strecken über 500 km praktikabel und auf der Mittel- und Langstrecke ohnehin keine Alternative.

Änderung der Rahmenbedingungen

Die zunehmende Streikhäufigkeit im Verkehrswesen in Deutschland wurde erst durch zwei grundsätzliche Veränderungen der rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen Beförderungsdienstleistungen erbracht werden, ermöglicht:

  • die Verlagerung hoheitlicher Aufgaben sowie von Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge auf private Leistungserbringer durch Privatisierung, Public Private Partnerships oder Auslagerung von Funktionen – mit der Folge, dass die Leistungen nicht mehr von nicht streikberechtigten Beamten erbracht werden, sondern von Tarifbeschäftigten mit vollem Streikrecht, sowie
  • die angesichts seiner früheren ständigen Rechtsprechung überraschende Aufhebung des Prinzips der Tarifeinheit durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 7.7.2010 (4 AZR 549/08), ohne die die Spartengewerkschaften tarifrechtlich in der Bedeutungslosigkeit verblieben wären. Erst diese Entscheidung legalisierte das Prinzip des Tarifpluralismus und ermöglichte erstmals Gewerkschaftskonkurrenz mit den Konsequenzen auf Streikbereitschaft und -häufigkeit.

Jede einzelne Gewerkschaft, insbesondere aber eine Spartengewerkschaft, die schwer ersetzbare Spezialisten vertritt, ist nun prinzipiell in der Lage, ein Unternehmen mit geringem Aufwand wirtschaftlich massiv zu schädigen, wodurch sich spiegelbildlich die Machtposition der Arbeitgeber verschlechtert. Die Gewerkschaften befinden sich nunmehr in einem Wettbewerb um die Vertretungsbefugnis für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern in Tarifverhandlungen. Damit verbessert sich tendenziell die Position der Gewerkschaften, insbesondere natürlich der Spartengewerkschaften und ihrer Mitglieder, im tariflichen Verteilungskampf, da die Arbeitgeber nunmehr mehrfach mit unterschiedlichen und gegeneinander um Mitglieder konkurrierenden Arbeitnehmervertretungen verhandeln müssen.

Aufgrund der Notwendigkeit häufiger Verhandlungen mit den verschiedenen Einzelgewerkschaften ist infolge des Gewerkschaftswettbewerbs ein Aufschaukeln der Forderungen und erhöhte Streikbereitschaft und -häufigkeit zu erwarten, wie eingangs für den Luftverkehrs- und den Eisenbahnmarkt dargelegt. Ökonomisch ist dies der Tatsache geschuldet, dass nur geringe Kooperationsanreize für die Gewerkschaften untereinander bestehen, da erhebliche „First mover advantages“ existieren: Einmal von einer Gewerkschaft erreichte Zugeständnisse des Arbeitgebers verringern den Verteilungsspielraum des Unternehmens zulasten aller übrigen Beschäftigten, also der Mitglieder anderer Gewerkschaften oder der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer.

Rechtliche Rahmenbedingungen in Deutschland

In Deutschland existieren keine spezifischen gesetzlichen Regelungen des Streikrechts; stattdessen ergeben sich die einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorgaben nahezu ausschließlich aus der ständigen Rechtsprechung der zuständigen Gerichte, insbesondere des BAG, teilweise aber auch des Bundesgerichtshofs (BGH) sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Hintergrund für diese Zurückhaltung des deutschen Gesetzgebers ist die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie, die wiederum aus der in Art. 9 III des Grundgesetzes verankerten Koalitionsfreiheit ebenso abgeleitet wird, wie das Recht der Tarifparteien, Arbeitskampfmaßnahmen in Form von Streiks durchzuführen. Implizit liegt die Annahme zugrunde, dass die Tarifparteien in gutem Willen eine Einigung anstreben, die sowohl für die Tarifparteien als auch für die Gesellschaft insgesamt akzeptabel ist. Dies hat zur Folge, dass im Bereich des Arbeitskampfes und des Streikrechts mittlerweile die Gerichte, insbesondere das BAG, als „Ersatzgesetzgeber“ fungieren.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung immer nur über einen Einzelfall entscheidet. Auch wenn Leitsätze des BAG aufgestellt werden, die für die unteren Fachgerichte faktisch bindend sind, handelt es sich um die Entscheidung eines spezifischen Falls, die nur zwischen den Parteien gilt. Ein wesentlicher Nachteil der gerichtlichen Überprüfung liegt zudem darin, dass diese nur im Nachhinein durchgeführt werden kann, was bei voller Ausschöpfung des Rechtswegs bis zur höchstrichterlichen Entscheidung mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Nur wenn eine einstweilige Verfügung erfolgreich beantragt wird, was selten der Fall ist (wie zuletzt im September 2015 infolge einer Klage der Lufthansa gegen den 13. Pilotenstreik vor dem Arbeitsgericht Frankfurt), kann der Fall umgehend einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden. Darüber hinaus besteht bei einem Streik, der verteilt an verschiedenen Orten stattfindet, das Risiko, dass gegebenenfalls einzelne Arbeitsgerichte aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Zuständigkeiten voneinander abweichende Entscheidungen treffen.

Grundsätzlich ist bei der Durchführung eines Streiks von den Tarifparteien das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Konfligierende, jedoch gleichrangige Grundrechte Dritter sind also zu berücksichtigen; sie bilden damit eine verfassungsrechtliche Grenze der Koalitionsfreiheit. Die Entscheidung über das Ausmaß und die Durchführung eines Streiks ist daher im Rahmen der praktischen Konkordanz zu treffen und kann zu verschiedenen Ermessensentscheidungen führen. Diese Situation sorgt nicht nur unter den Streikparteien für eine gewisse Unsicherheit, sondern vor allem unter den davon betroffenen Dritten. Aufgrund dessen bestehen in vielen europäischen Ländern besondere gesetzliche Regelungen für die Durchführung von Streiks in den Bereichen der Daseinsvorsorge. Diese Regeln reichen vom absoluten Streikverbot in besonders sensiblen Bereichen über mildere Mittel wie Ankündigungsfristen der Streikmaßnamen inklusive der (frühzeitigen) Information der Öffentlichkeit, der Einrichtung von Notdiensten bis hin zur gesetzlichen Regelung von Zwangsschlichtungsverfahren. Im internationalen Vergleich, selbst innerhalb der EU-Mitgliedstaaten, bildet sowohl das deutsche Prinzip der Tarifautonomie als auch das Fehlen jeglicher gesetzlicher Vorgaben für das Führen von Arbeitskämpfen eine Ausnahme.

In Deutschland konnte man in der Vergangenheit größere Schäden aufgrund von Streiks in der Daseinsvorsorge bereits dadurch ausschließen, dass in diesen Bereichen primär Beamte Dienst taten, die nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 4 und 5 GG kein Streikrecht haben. Dieses Streikverbot wird mit dem Vorliegen einer besonderen Treuepflicht in Verbindung mit dem Alimentationsprinzip als Grundlage der Beamtenbesoldung begründet. Das heißt, dass nach deutschem Recht nicht wie in anderen Ländern ein Streikverbot an den Tätigkeitsbereich angeknüpft wird (funktionaler Ansatz), sondern an die Rechtsstellung der Beschäftigten (Beamter oder Angestellter).

Dies steht allerdings inzwischen nicht mehr im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der in verschiedenen Entscheidungen, die bisher nicht Deutschland betroffen haben, Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst ein Streikrecht zugesprochen hat. Er stützt sich dabei auf Art. 11 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), wonach eine Einschränkung des Streikrechts nur aufgrund enger gesetzlicher Vorbehalte und bei der Erfüllung besonderer hoheitlicher Maßnahmen erlaubt sei (z.B. Streitkräfte, Polizei, Staatsverwaltungen). Tatsächlich hatten auch in Deutschland verschiedene Verwaltungsgerichte in den letzten Jahren darüber zu entscheiden, ob verbeamtete Lehrer rechtmäßig an Streiks teilnehmen durften. Da der EMRK als völkerrechtlichem Vertrag nur der Rang eines einfachen Gesetzes zukommt, haben die Gerichte bisher dahingehend entschieden, dass den Grundsätzen des Beamtentums aus Art. 33 Abs. 3 und 4 GG der Vorrang einzuräumen und die Teilnahme an den Streiks nicht zulässig war. Dies wurde sogar jüngst durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.4 Es wird jedoch zu Recht darüber diskutiert, dass es Fallkonstellationen geben kann, in denen Beamte nicht vorrangig hoheitliche Aufgaben ausüben. Das deutsche Recht steht hier jedenfalls nicht in Einklang mit der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).

Betrachtet man darüber hinaus den Prozess der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen, zeigt sich, dass eine Anknüpfung an den Tätigkeitsbereich zur Rechtfertigung gesetzlicher Regelungen des Streikrechts wesentlich sinnvoller und differenzierter ist als der traditionelle deutsche Ansatz. Grundsätzlich ist auch zu berücksichtigen, dass Deutschland seine Rechtsordnung an die Anforderungen der EMRK anpassen muss, so dass bereits den Urteilen des EGMR eine „Orientierungswirkung“ im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung von Gesetzen zukommt. Es ist daher wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht oder der Gerichtshof für Menschenrechte selbst ein Urteil fällen wird, in dem festgestellt wird, dass Beamten, die keine unter Art. 11 Abs. 2 EMRK fallenden Tätigkeiten wahrnehmen, ein Recht auf Teilnahme an Streiks zugebilligt wird.

Angesichts der zunehmenden Streikbereitschaft im Verkehrswesen und der Herausforderung, künftig die daraus resultierenden schwerwiegenden gesamtwirtschaftlichen Folgen möglichst durchgreifend abzuwenden, obliegt es dem Gesetzgeber, von seiner Regelungsbefugnis aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Gebrauch zu machen und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Orientierung hierfür können die überwiegend seit Jahrzehnten bestehenden rechtlichen Vorgaben zahlreicher anderer Staaten zur Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen in Daseinsvorsorgebereichen, insbesondere auch im Verkehrswesen, bieten.

Vergleich internationaler Regelungen

Die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen ist in Deutschland ein von der grundgesetzlich verankerten Koalitionsfreiheit gedecktes Grundrecht. Es gilt jedoch nicht uneingeschränkt; seiner Ausübung sind Grenzen durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit gesetzt. Arbeitskampfmaßnahmen dürfen erst als letztes Mittel nach Ausschöpfung aller sonst verfügbaren Verständigungsmöglichkeiten eingesetzt werden (Ultima-Ratio-Prinzip). Bei einem Verstoß gilt Schadenersatzpflicht. Damit soll verhindert werden, dass durch Arbeitskampfmaßnahmen betroffene Dritte unverhältnismäßige Einschränkungen ihrer eigenen – konfligierenden – Grundrechte hinnehmen müssen. Gewisse Regularien für die Durchführung von Arbeitskämpfen stellen somit eine unverzichtbare gesellschaftliche Notwendigkeit dar, um die praktische Konkordanz der Grundrechte aller Bürger wirksam herbeizuführen.

Die richterliche Ex-post-Kontrolle der Verhältnismäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen hat sich in Deutschland allerdings als nicht effektiv erwiesen. Dies ist insofern von großer praktischer Bedeutung, als nur bei solchen Streiks, die von den Arbeitsgerichten als unverhältnismäßig bewertet werden, eine Schadenersatzpflicht besteht. Abgesehen von der oft langen Verfahrensdauer bis zu einem endgültigen Urteilsspruch bleibt die subjektive Einschätzung der Gewerkschaftsseite, alle dem Streik vorausgegangenen Verständigungsmöglichkeiten bereits erfolglos ausgeschöpft zu haben, regelmäßig von der richterlichen Nachprüfung ausgenommen.

Allerdings genießt die Koalitionsfreiheit – und teilweise auch explizit das Streikrecht – nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten westlichen Ländern (mit Ausnahme der USA) Verfassungsrang, zumal sie im Rahmen des „Übereinkommens über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen“ der Internationalen Arbeitsorganisation von 1949 für dessen Signatarstaaten völkerrechtlich verbindlich ist. Bei einem Ländervergleich ist gleichwohl auffällig, dass spezielle Regularien für die Durchführung von Arbeitskämpfen im westeuropäischen Ausland, aber auch in den USA und Kanada weit verbreitet sind. So bestehen in Frankreich, Italien und Spanien umfangreiche Ankündigungspflichten von mindestens fünf bzw. zehn Tagen vor Beginn eines Streiks (insbesondere in Bereichen, die der Daseinsvorsorge zugerechnet werden). Sie verpflichten die Streikparteien dazu, die Gründe für den Ausstand, dessen Ort, Beginn und Dauer öffentlich bekanntzugeben.

In den genannten Ländern besteht entweder eine gesetzliche Verhandlungspflicht innerhalb der Ankündigungsfrist (Frankreich) oder die Möglichkeit für den Arbeitsminister, eine Zwangsschlichtung anzuordnen (Spanien). Kanada sowie die USA sehen – im Verkehrswesen – die Einberufung eines Mediation Board vor. Sie ist nicht obligatorisch, kann aber auf Antrag einer der beiden Tarifparteien (Kanada) bzw. auch auf eigenen Beschluss des Boards (USA) oder durch Regierungsbeschluss (Kanada) eingeleitet werden.

Zudem existieren in den genannten Ländern unter bestimmten Voraussetzungen und in verschiedener Abstufung Streikverbote. In den USA hat darüber hinaus auch der Präsident das Recht, mittels einer 80-tägigen Unterlassungsverfügung auf Grundlage des auch für den Luftverkehr geltenden „Railway Labor Act“ aus dem Jahr 1926 auf Empfehlung des National Mediation Board ein Emergency Board einzusetzen, das in seinem Auftrag den Streik untersucht und Vorschläge zur Lösung des Tarifkonflikts unterbreitet. Bereits ab dem Zeitpunkt der Ankündigung des Präsidenten, ein Emergency Board einzuberufen, herrscht absolutes Streikverbot. In Kanada können schließlich Streiks (und Aussperrungen) von der Bundesregierung oder den Provinzregierungen als Ultima Ratio auch gesetzlich untersagt werden (durch eine „back-to-work legislation“). Zwischen 1982 und 2013 geschah dies in 207 Fällen, darunter 33-mal auf Bundesebene. Schließlich erlaubt die kanadische Verfassung, die allerdings kein Grundrecht auf Arbeitskampfmaßnahmen enthält, der Regierung, bestimmte Wirtschaftszweige als „essential services“ zu deklarieren, für die dann generell ein Streikverbot gilt.

Im Falle zulässiger Streiks gelten in Frankreich, Italien, Spanien und Kanada gesetzliche Vorgaben zur Sicherstellung einer Mindestversorgung der Bevölkerung. Die detailliertesten Regelungen hierzu finden sich in Italien, wo z.B. im Eisenbahnverkehr bereits 1999 von den Tarifparteien ein seither verbindlicher Notdienstfahrplan festgelegt wurde. Dieser sieht unter anderem werktags einen zu Streikzeiten störungsfreien Regionalverkehr zu den morgendlichen und abendlichen Stoßzeiten vor.5

Empfehlungen

Vor dem Hintergrund der internationalen Erfahrungen mit Regulierungen des Streikrechts im Verkehrswesen hat sich der Wissenschaftliche Beirat auch mit der Neuregelung der Tarifeinheit befasst. Er hält ihre gesetzliche Wiedereinführung allerdings für ungeeignet, um der in dieser Stellungnahme diskutierten Problematik wirksam zu begegnen (was nicht ausschließt, dass die Reform aus anderen Gründen des Arbeits- und Tarifrechts sinnvoll sein mag). Dies gilt unabhängig sowohl von der hier nicht zu behandelnden Frage ihrer Verfassungskonformität als auch von der Fülle praktischer Probleme, die sie aufwirft.6 Zwar trifft zu, dass ohne die höchstrichterliche Entscheidung von 2010 Spartengewerkschaften nicht den Einfluss besäßen, den sie seither zugunsten ihrer Mitglieder in Tarifauseinandersetzungen geltend machen können. Vermutlich wäre auch die Zahl der Arbeitskämpfe wieder rückläufig. Das Prinzip der Tarifeinheit selbst beinhaltet jedoch keine Regularien für das Führen von Arbeitskämpfen. Insbesondere enthält es keine Einschränkungen dergestalt, dass Streiks unter konkreten Randbedingungen nicht zulässig wären oder anderen als den derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen unterlägen. Die Wiedereinführung der Tarifeinheit stellt somit keine hinreichende Voraussetzung zur Lösung des hier diskutierten Problems dar.

Demgegenüber lassen sich aus dem Vergleich der arbeitskampf- und tarifvertragsrechtlichen Regelungen anderer Länder mit dem deutschen Status quo unter Beachtung der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit folgende Empfehlungen ableiten:

Dem unmittelbaren Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zuzurechnen und empfohlen sind

  • Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsqualität der Bevölkerung über das während eines Streiks verfügbare intra- und intermodale Beförderungsangebot, insbesondere zu alternativen intermodalen Reiseketten, sowie
  • weitere dauerhafte oder zumindest temporäre Marktöffnungen wie die 2013 vollzogene Liberalisierung des Fernbusmarktes. Denkbar wären z.B. – ab Ankündigung eines Streiks – die temporäre Aufhebung der Fahrplanpflicht im Fernlinienbusverkehr und der Sonntagsfahrverbote für Lkw.

Darüber hinaus empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung, die aufgrund erheblicher negativer Externalitäten bedeutenden gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten von Arbeitskampfmaßnahmen im Verkehrswesen durch den Erlass spezieller Regularien für die Durchführung von Arbeitskämpfen zu vermindern:

  • Zunächst sollten Arbeitskampfmaßnahmen im Verkehrswesen nur dann zulässig sein, wenn sie so rechtzeitig angekündigt werden, dass die Arbeitgeberseite genügend Zeit besitzt, einen Streikfahrplan zu veröffentlichen und die Kunden entsprechend reagieren können. Die Ankündigungsfristen sollten nach Verkehrsträger und Entfernung differenziert werden, z.B. zwei Tage für den innerstädtischen öffentlichen Personennahverkehr und bis zu zwei Wochen für den interkontinentalen Flugverkehr. Damit wird dem potenziellen Missbrauch gewerkschaftlicher Macht zulasten der vom Verhandlungsprozess ausgeschlossenen unbeteiligten Dritten im öffentlichen Interesse wirksam entgegengewirkt. Gleichzeitig würde der Arbeitskampf das bestreikte Unternehmen wirtschaftlich mit unverminderter Härte treffen. Speziell auf dem Luftverkehrsmarkt setzt dies voraus, dass den vertraglich aufgrund oft besonders restriktiver Buchungs- und Tarifbedingungen ungewöhnlich stark an die bestreikte Fluggesellschaft gebundenen Passagieren unmittelbar nach Ankündigung der Arbeitskampfmaßnahme bis zu deren Ende von der Fluggesellschaft kostenfreie Stornierungen sowie Umbuchungen – auch auf konkurrierende Anbieter – zu ermöglichen sind. Eine entsprechende Regelung von Ankündigungsfristen müsste der Gesetzgeber einführen.
  • Erforderlich sind daneben klare gesetzliche Vorgaben zur Gewährleistung einer angemessenen Mindestversorgung der Nachfrager im Streikfall. Dies darf nicht, wie derzeit üblich, nach ständiger Rechtsprechung des BAG ausschließlich den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben; unterworfen sind sie bislang lediglich dem in der bundesdeutschen Praxis kaum justiziablen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, demzufolge die durch den Arbeitskampf betroffenen Bürger in ihren eigenen Grundrechten nicht über Gebühr eingeschränkt werden dürfen. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine originäre hoheitliche Aufgabe des Gesetzgebers zur Sicherstellung der grundsätzlichen Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens. Eine entsprechende gesetzliche Regelung wird angeregt. Vor der Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen sollte der Gesetzgeber die Tarifparteien des Weiteren grundsätzlich zur Durchführung eines Schiedsverfahrens unter Leitung eines unabhängigen und dem Gemeinwohl verpflichteten Schlichters beim Scheitern der Tarifverhandlungen verpflichten. Bis zum Ende des Schlichtungsverfahrens sollte unbedingt Friedenspflicht herrschen. In der speziellen Variante der „compulsory final offer arbitration“ – die im angelsächsischen Raum eine gewisse Verbreitung gefunden hat – müsste sich der Schlichter im Falle einer Nichteinigung der Tarifparteien für das letzte Angebot einer der beiden Seiten entscheiden. Dies dürfte den Druck auf beide Seiten, eine Einigung im Vorfeld zu erzielen, erhöhen (wohlgemerkt nur unter der Voraussetzung, dass die Arbeitgeberseite einer harten Budgetrestriktion unterliegt).
  • Schließlich empfiehlt der Beirat, die für den Flugverkehr geltende EU-Verordnung 261/2004 zu ändern: Die rechtliche Einordnung von Streiks als „höhere Gewalt“ ist für den Bereich der Beförderungsdienstleistungen unangemessen und verschiebt einen bedeutenden Teil der Streikkosten auf die Kunden. Streik ist jedoch keine höhere Gewalt, sondern die Entscheidung von Wirtschaftssubjekten im Arbeitskampf. Eine dem entsprechende Änderung der Verordnung, verbunden mit einer Ausweitung der Kundenrechte hinsichtlich von Schadenersatz, Stornierung und Umbuchung würde die Streikkosten bei den am Arbeitskampf nicht beteiligten Kunden reduzieren.



Mitglieder: Prof. Dr.-Ing. Manfred Boltze, Darmstadt; Prof. Dr. Alexander Eisenkopf, Friedrichshafen; Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke, Dresden; Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich, Stuttgart; Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis, Bremen; Prof. Dr. Günter Knieps, Freiburg; Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr, Speyer; Prof. Dr. Kay Mitusch, Karlsruhe; Prof. Dr. Stefan Oeter (Vorsitzender), Hamburg; Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher, Ulm; Prof. Dr. Gernot Sieg, Münster; Prof. Dr.-Ing. Jürgen Siegmann, Berlin; Prof. Dr. Bernhard Schlag, Dresden; Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, St. Gallen; Prof. Dr.-Ing. Dirk Vallée, Aachen; Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner, Darmstadt.


  • 1 Eine stark gekürzte Zusammenfassung dieser Stellungnahme erscheint demnächst in der verkehrswissenschaftlichen Fachzeitschrift Internationales Verkehrswesen.
  • 2 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Sicherheit zuerst – Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland, in: Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 56. Jg. (2010), S. 171-194.
  • 3 Studien für die USA errechneten etwas mehr als 2300 zusätzliche Tote im Straßenverkehr in den Monaten nach den Terroranschlägen in New York vom 11. September 2001, weil zahlreiche potenzielle Passagiere ihre geplanten Flugreisen durch Autofahrten substituierten. Vgl. G. Blalocka, V. Kadiyalib, D. H. Simon: Driving fatalities after 9/11: a hidden cost of terrorism, in: Applied Economics, 41. Jg. (2009), S. 1717-1729.
  • 4 BVerwG 2 C 1.13 vom 27.2.2014
  • 5 Die 1990 gegründete Commissione di garanzia dell‘attuazione della legge sullo sciopero nei servizi pubblici essenziali (kurz: Commissione di Garanzia Sciopero) wacht über die Einhaltung dieser Mindestversorgung in einer Reihe gesetzlich festgelegter Daseinsvorsorgesektoren. Darüber hinaus führt diese Behörde einen öffentlich zugänglichen Streikkalender für ganz Italien (http://www.cgsse.it/web/guest/home).
  • 6 Unklar ist insbesondere die gesetzliche Definition von Betrieben. So umfasst z.B. der DB-Konzern über 300 Betriebe, was die entscheidende Frage aufwirft, ob die Tarifeinheit für den Konzern insgesamt oder für jeden einzelnen zum Konzern gehörenden Betrieb gelten soll.

Title:Strikes and the Reliability of Transport Services

Abstract:Of late, Germany has been hit by unprecedented strike actions by airline and railway staff. Lufthansa’s pilots staged 13 walkouts between April 2014 and September 2015, resulting in the cancellation of 8,500 flights and affecting around one million passengers. The one­week strike by Lufthansa’s cabin crews in November 2015 forced the company to cancel another 4,700 flights. The trend towards industrial action in the German transportation sector is not limited to airline pilots and cabin crew, however. In addition, security agents and ground staff at several airports have gone on strike, and most of all, train drivers walk out with increasing frequency. In this article, measures are proposed to balance the legal, and legitimate, right of workers to use strikes as a tool of last resort in wage-bargaining processes with the no less important right of customers to have access to reliable transportation services. While many other Western countries have regulations in place for the conduct of wage bargaining, including rules on work stoppages in core public service sectors, no such rules exist in Germany.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-016-1935-y