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Die USA stehen in diesem Jahr so stark im Fokus der Märkte wie kein anderer Wirtschafts- und Währungsraum der Weltwirtschaft. Dies liegt nicht nur an der lange erwarteten Zinswende, die sich bislang langsamer vollzogen hat, als vor dem Jahreswechsel erwartet worden war, sondern auch an der bevorstehenden Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres. Beide Ereignisse werden auf die Weltwirtschaft entscheidenden Einfluss haben – konjunkturell wie auch strukturell und geopolitisch.

Konjunkturell ist der Aufschwung der US-Wirtschaft zuletzt etwas ins Stocken geraten. Die letzten beiden Quartale um den Jahreswechsel 2015 und 2016 wiesen eine durchschnittliche Wachstumsrate von annualisiert unter 1% auf. Das Quartalswachstum betrug im vierten Quartal 2015 rund 1,4% und im ersten Quartal 2016 rund 0,5%. Gemessen an einer Potenzialrate für die USA von rund 2% könnte die nachlassende Dynamik bereits auf einen zyklischen Abschwung hindeuten. Zwar hat sich die Arbeitslosenquote kontinuierlich auf rund 5% verringert und der monatliche Beschäftigungsaufbau beträgt weiterhin rund 200 000 Erwerbspersonen (vgl. Abbildung 1), die Erwerbsquote lässt jedoch trotz einem stetigen Anstieg noch Spielraum. Auch die Inflationsrate hat zuletzt im Vergleich zum Vorjahresmonat deutlich angezogen. Dies lag vor allem, aber nicht nur an steigenden Energiepreisen. Denn auch die Kerninflationsrate, die über einen längeren Zeitraum relativ stabil bei 2% liegt, stieg etwas an (vgl. Abbildung 2). Einige andere Indikatoren deuten indes auf eine leichte konjunkturelle Abkühlung der US-Wirtschaft hin. So war der Index der Industrieproduktion, der über mehrere Jahre stetig angestiegen ist, zuletzt rückläufig (vgl. Abbildung 3). Die Industrieproduktion ist für die US-Konjunktur ein zunehmend wichtiger Gradmesser, zumal immer wieder von der Re-Industrialisierung der USA die Rede war, die durch günstige Arbeit und Energie sowie technologische Innovationen einen strukturellen Schub erfahren könnte. Die US-Konjunktur wird auf der Verwendungsseite insbesondere vom privaten Konsum, der stark vom Arbeitsmarkt und der Reallohnentwicklung profitiert, und auf der Entstehungsseite vom Dienstleistungssektor getragen. Die Wachstumsbeiträge der Investitionen und des Außenbeitrags sind hingegen nur moderat. Beide Größen sind mit Blick auf das Potenzialwachstum und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft mittelfristig kritischer zu sehen.

Abbildung 1
Situation auf dem US-Arbeitsmarkt, 2007 bis 2016
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Quellen: Macrobond, HWWI (2016).

Abbildung 2
Inflation in den USA, 2007 bis 2016
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Quellen: Macrobond, HWWI (2016).

Abbildung 3
Industrieproduktion USA, 2007 bis 2016
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Quellen: Macrobond, HWWI (2016).

Vor diesem Hintergrund hat das Federal Reserve Board (Fed) zuletzt einen vorsichtigeren Ausblick auf den Zinspfad der nächsten Monate gegeben. Die Sitzungsprotokolle des Federal Open Market Committee (FOMC) offenbarten zudem diesbezüglich unterschiedliche Einschätzungen. So stellte die Präsidentin der Fed, Janet Yellen, weitere Zinsschritte unter den Vorbehalt einer robusten Entwicklung der US-Wirtschaft. In diesem Sinne setzt die Fed ihren sehr pragmatischen und stark an einer technischen Reaktionsfunktion orientierten Kurs fort. Je nach zyklischer Abschwächung könnte die Zinswende somit stärker gebremst werden, als die Märkte dies noch vor Jahresbeginn erwartet hatten. Eine Rolle mag hier auch spielen, dass die Fed eine aufwertungsbedingte weitere Abschwächung der Industrieproduktion vermeiden möchte. Der US-Dollar hat zuletzt gegenüber dem Euro leicht abgewertet und der Außenwert hat sich reduziert, nachdem die Märkte ihre Erwartungen einer schnellen Zinswende korrigiert haben.

Zudem hat sich mit Eintrübung des globalen Wachstums und stark abwärts gerichteter Risiken das außenwirtschaftliche Umfeld deutlich abgekühlt, auch wenn dieses typischerweise eine nachgeordnete Bedeutung für die US-Wirtschaft hat. Sollte sich die Dynamik weiter verlangsamen, würde die Zinswende wohl sehr moderat vollzogen werden. Die Fed hätte somit gewissermaßen einen kompletten Zinszyklus ausgelassen. Die Glaubwürdigkeit der bisherigen Kommunikationsstrategie aber legt zumindest wenige weitere Zinsschritte nahe. Jedoch hat die Fed angekündigt, dass sie durchaus auch Pausen einzulegen gedenkt, sollte dies geboten sein. So ist derzeit mit zwei, vielleicht drei Zinsschritten in diesem Jahr zu rechnen, wobei der nächste für Juni erwartet werden kann.

Erneut in den Fokus der Märkte geraten die USA im November, wenn der neue US-Präsident oder die neue US-Präsidentin gewählt wird. Aus diesem Anlass ist in den letzten Wochen viel über das ökonomische und wirtschaftspolitische Erbe der Präsidentschaft Obamas geschrieben worden. Wenn auch seine eigentliche innen- und sozialpolitische Agenda bei Amtsantritt 2009 durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise überlagert worden ist, haben sich wichtige makroökonomische Stabilitätsindikatoren verbessert. So ist die Arbeitslosigkeit auf rund 5% gesunken, der Immobilien- und der Finanzsektor haben ihre krisenbedingten Verzerrungen bereinigt, die Staatsverschuldung hat sich verringert und das durchschnittliche Wachstum befindet sich wieder ungefähr auf dem Niveau der Potenzialrate.

Von den mittelfristigen Folgen her noch bedeutender als das wirtschaftspolitische Erbe ist die Änderung des Kurses in der US-Außen- und Sicherheitspolitik während der Obama-Präsidentschaft. So hat die Abkehr von militärischer Intervention als Mittel der Außenpolitik spürbar Einfluss auf die Flüchtlingskrise in Europa gehabt und letztlich auf die Unzulänglichkeit des Schengener Abkommens hingewiesen. Der Umbau der internationalen Außen- und Sicherheitsarchitektur durch die USA wird sich auch durch Verschiebungen in der Weltwirtschaft widerspiegeln. Ein wichtiger Baustein ist die Handelspolitik der USA. Nach TPP, der Transpazifischen Partnerschaft, soll nun auch noch TTIP, das Handels- und Investitionsabkommen zwischen den USA und der EU, auf den Weg gebracht werden. Es ist das ehrgeizige Ziel von Obama selbst, noch in seiner Amtszeit ein ratifizierungsreifes Abkommen zu verhandeln. Wahrscheinlich werden alle diese strategischen Entscheidungen die zukünftige Ordnung der Weltwirtschaft, die sich erkennbar auf dem Weg zu einem neuen, aber ungewissen Gleichgewicht bewegt, maßgeblich bestimmen.

Die Entwicklungen und Ereignisse der nächsten Monate in den USA beschäftigen berechtigterweise die Märkte weltweit. Denn dieses wird in den nächsten Monaten nicht nur das Tempo der Weltkonjunktur, sondern mittelfristig auch die neue globale Ordnung der Weltwirtschaft entscheidend beeinflussten. Mit der US-Wahl im November verbindet sich folglich die Frage, welchen Kurs die nächste Regierung der USA einschlagen und welchen Einfluss dies auf die neue globale Ordnung und die Weltwirtschaft haben wird. Das Jahr 2016 ist somit in konjunktureller, aber auch in struktureller und geopolitischer Hinsicht ein sehr wichtiges für die Weltwirtschaft. Vieles davon entscheidet sich in den nächsten Monaten in den USA.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1985-1