Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bleibt nicht ohne Wirkung auf Arbeitsmarkt und Wachstum. Welche Effekte sind aber tatsächlich von dieser „digitalen Revolution“ für wen und wo zu erwarten? Die Autoren bieten einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und beleuchten Studienergebnisse. Sie erwarten deutlich positive Wachstumsimpulse durch die Umsetzung von Industrie 4.0. Deren Beschäftigungswirkung ist allerdings ambivalent. Politischer Handlungsbedarf besteht sowohl in Hinblick auf Bildung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes als auch auf die Förderung einer intensiveren Nutzung bereits bestehender Breitbandinfrastruktur.
Der technologische Wandel spielt zweifellos eine wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle in der Bewältigung kritischer Zukunftsfragen. Die Technologieentwicklung steht seit den 1990er Jahren im Zeichen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und der damit einhergehenden Digitalisierungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Internet als Querschnittstechnologie in Symbiose mit weiteren Informationstechnologien gewinnt dabei rasant an Bedeutung und beginnt nun auch im Produktionsumfeld Fuß zu fassen.
Die umfassende Vernetzung von physischer industrieller Produktion und IT-Systemen unter Anwendung von Internettechnologien wird durch die Schlagwörter „Industrie 4.0“ oder „Internet der Dinge“ charakterisiert und erregt die Gemüter. Große Erwartungen, aber auch Ängste sind mit diesen Schlagwörtern verknüpft. Intelligente, vernetzte und selbstorganisierende Systeme versprechen einerseits Produktivitätswachstum, neuartige Geschäftsmodelle sowie neue, flexiblere Formen der Arbeitsorganisation auch in der Industrieproduktion; andererseits jedoch bergen die veränderten Anforderungen an Arbeitnehmer potenzielle Gefahren für Teile des Arbeitsmarktes. Routine-Tätigkeiten im unteren und mittleren Qualifikations- und Lohnbereich können im Zuge der Produktionsdigitalisierung automatisiert werden und dadurch wegfallen. Demgegenüber ergänzen neue Technologien analytische und interaktive Nichtroutinetätigkeiten, was zu einer verstärkten Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften führt. Unter diesen Vorzeichen scheint ein relativ kleiner Teil der Gesellschaft von der Digitalisierung und Industrie 4.0 profitieren zu können, während dies für vergleichsweise größere Segmente des Arbeitsmarktes nicht unbedingt der Fall sein könnte. Auch ist nicht klar, ob ein technologiegetriebener potenzieller „Tod der Distanz“ im Produktionsumfeld der Entvölkerung ländlicher Gebiete entgegenwirken kann. Allgemein wird erwartet, dass die konsequente Verknüpfung von Internettechnologie, Automatisierung und Computerisierung fundamental darauf einwirkt, wie und wo wirtschaftliche Aktivität stattfindet.
Wirtschaftswachstum
Es wird generell von einer wachstumssteigernden Wirkung der Internettechnologie ausgegangen. Methodologisch fundierte Evidenz ist diesbezüglich allerdings rar. Dies ist beispielsweise dem Umstand geschuldet, dass die Einführungsphase der ersten Breitbandinfrastrukturen mit der Verbreitung weiterer Technologien wie Mobiltelefonie oder auch einer zunehmenden Ausweitung von Computernutzung zeitlich zusammenfällt. Eine glaubhafte empirische Analyse muss es leisten, von diesen Parallelentwicklungen zu abstrahieren, um allein die Wirkungseffekte des Internets zu isolieren. Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass Breitbandausbau zumeist von privaten, profitorientierten Anbietern durchgeführt wird, die einen Ausbau in Gebieten mit möglichst großem Absatzpotenzial präferieren. Das heißt, Ausbau und Erweiterung von Breitbandinfrastruktur findet vorzugsweise in städtischen Gebieten mit durchschnittlich höherem Bildungsniveau und Einkommen statt. Diese Charakteristika beeinflussen wiederum das Wirtschafts- und Beschäftigungspotenzial. Es ist daher nicht ohne Weiteres klar, ob eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Gebieten mit guter Breitbandversorgung tatsächlich auf das Internet zurückzuführen ist, oder ob auch ohne einen Ausbau oder Erweiterung der digitalen Infrastruktur ein positives Wachstum zustande gekommen wäre. Es bedarf einer methodischen Herangehensweise, die diesen Verflechtungen Rechnung trägt. Nur wenn der Wirkungseffekt von Breitbandinfrastruktur erfolgreich von anderen Faktoren wirtschaftlicher Aktivität isoliert werden kann, können auch sinnvolle Politikimplikationen abgeleitet werden. Im Folgenden werden lediglich methodisch fundierte Studien betrachtet, die dies glaubhaft leisten können.
Eine empirische Studie von Czernich, Falck, Kretschmer und Wößmann untersucht den Effekt von Breitbandinfrastruktur auf das Wirtschaftswachstum in 25 OECD-Ländern von 1996 bis 2007.1 Unter Verwendung des Instrumentalvariablenansatzes2 finden die Autoren, dass die Einführung und Nutzung von Breitbandtechnologie einen nicht unwichtigen Beitrag zum Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum stellt. Es zeigt sich, dass eine um 10 Prozentpunkte erhöhte Breitbandnutzerrate – das ist der Abstand, den beispielsweise Deutschland 2003 von den führenden OECD-Ländern hatte – das jährliche Wachstum des BIP pro Kopf um 0,9 bis 1,5 Prozentpunkte erhöht. Die Ergebnisse zeigen für einen Beobachtungszeitraum von gut einer Dekade damit einen wirtschaftlich bedeutsamen und robusten Wachstumseffekt der Verbreitung von Breitbandinternet. In der längeren Frist könnten Wachstumseffekte noch bedeutsamer ausfallen.
Beschäftigung
Methodisch fundierte Ergebnisse zu Beschäftigungswirkungen des Internets beziehen sich lediglich auf einzelne Länder und liefern allgemein den Eindruck, dass positive Effekte wenn überhaupt in relativ geringer Größenordnung und nur punktuell zu beobachten sind. Zwei Studien untersuchen die Breitbandexpansion in den USA der 1990er und frühen 2000er Jahre und finden insgesamt weder Beschäftigungs- noch Lohnwirkungen.3 Lediglich in Gebieten hoher Bevölkerungsdichte mit relativ hohem Bildungs- und Einkommensniveau sowie wissensintensiver Industriestruktur zeigen sich positive Auswirkungen.
Für den Breitbandausbau in Deutschland zeigt Fabritz von 2005 bis 2009 zwar eine positive, aber in der Größenordnung eher geringe Beschäftigungswirkung.4 Insbesondere ländliche Regionen und der Dienstleistungssektor scheinen diesen Effekt zu treiben. Falck, Mazat und Stockinger finden für denselben Zeitraum und für die ländlichen Gebiete, dass die Zahl der Betriebsgründungen aufgrund des Breitbandausbaus ansteigt, und dies vor allem im wissensintensiven Dienstleistungssektor.5 Es scheint demnach, dass die positiven Beschäftigungseffekte zumindest teilweise auf Neugründungen und Arbeitsplatzschaffung in Jungunternehmen bestimmter Wirtschaftsbereiche zurückzuführen sind. Hauptsächlich reagieren wissensintensive Dienstleistungsunternehmen im ländlichen Raum positiv auf den Breitbandausbau. Dies könnte darauf hinweisen, dass durch das Internet die Marktgröße für (wissensintensive) Dienstleistungsprodukte signifikant ausgeweitet werden kann. Kunden können nun online angeworben und betreut werden und die wissensintensiven Serviceleistungen, wie z.B. Steuerberatung, F&E, Finanzdienstleistungen oder Marktforschung, verlagern sich selbst ins Internet.
Im Gegensatz zu Deutschland können De Stefano, Kneller und Timmis in ihrer Studie zur Breitbandeinführung in einem ländlichen Gebiet Großbritanniens von 2000 bis 2004 auf Firmenebene weder Umsatz- noch Beschäftigungswirkungen nachweisen.6 Eine Studie, die eine lokale Breitbandausbaupolitik in ländlichen Gemeinden der Provinz Trentino (Italien) von 2011 bis 2014 untersucht, findet deutlich positive Umsatz-, Wertschöpfungseffekte, aber keinerlei Beschäftigungseffekte für etablierte Kapitalgesellschaften.7 Es ist zu beachten, dass sich das letztgenannte Forschungsergebnis nicht auf die Einführungsphase von Breitbandinternet bezieht, sondern auf einen Zeitraum, in dem sich die „Qualität“ des Internets bereits bedeutend in Richtung „Web 2.0“ weiterentwickelt hatte. Es könnte also sein, dass sich bedeutende Beschäftigungswirkungen des Internets auch über eine Anfangsphase hinaus nicht entfalten werden. Um diese spekulative Aussage zu festigen, bedarf es allerdings weiterer Forschung.
Über die allgemein eher geringe Beschäftigungswirkung hinaus könnte das Internet auch die Qualität von Job-Matches beeinflussen, also eine bessere, passgenaue Stellenbesetzung fördern. Mang untersucht diesen Zusammenhang für Deutschland und findet, dass die Online-Jobsuche unter Jobwechslern tatsächlich zu einem besseren Job-Matching führt:8 Die Online-Stellensucher waren im Vergleich zu offline Suchenden deutlich zufriedener mit der neu gefundenen Stelle und weisen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, beim neuen Arbeitgeber befördert zu werden. Die Stellensuche im Internet geht zudem mit einer als höher wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit einher. Allerdings führt die erfolgreiche Stellensuche online im Vergleich zur Offline-Stellensuche nicht zu höheren Löhnen.9
Ambivalente Auswirkungen am Arbeitsmarkt
Die allgemein geringen Beschäftigungs- und Lohneffekte könnten aus dem Umstand resultieren, dass verschiedene Teile des Arbeitsmarktes auf gegensätzliche Weise von den technologischen Veränderungen betroffen sind. Einerseits schaffen auf dem Internet basierende neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen neue Arbeitsplätze. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch der Wegfall anderer Arbeitsplätze, die im Zuge der Digitalisierung obsolet werden. Es können daher sowohl positive als auch negative Beschäftigungs- und Lohnwirkungen verschiedener Teile des Arbeitsmarktes nebeneinander bestehen, die in der Durchschnittsbetrachtung nicht offen hervortreten.
Dass strukturelle Veränderungen eine solche Zweiteilung am Arbeitsmarkt hervorrufen können, ist kein internetspezifisches Phänomen. Bereits die Computerisierung am Arbeitsplatz erzeugte sowohl Gewinner als auch Verlierer auf dem Arbeitsmarkt. Beispielsweise untersuchen Autor, Levy und Murnane die Auswirkungen der Computerisierung auf Arbeitsstrukturen in den USA seit den 1960er Jahren.10 Sie leiten aus ihren Analysen ab, dass dies vor allem regelmäßige Routinetätigkeiten betrifft, die programmierbar sind und dadurch von Rechnern substituiert werden konnten. Neue Computertechnologie komplementiert hingegen Nicht-Routine- und manuelle Tätigkeiten, die einen erhöhten Anteil an Kreativität und Koordination verlangen. Auch der aktuell zunehmende Einsatz von Robotern in der Industrieproduktion scheint solche ambivalenten Arbeitsmarktwirkungen zu haben. Graetz und Michaels zeigen für 14 verschiedene Branchen in 17 Industrieländern, dass die Roboter-Automatisierung von 1993 bis 2007 zu mehr als einem Zehntel zum BIP-Wachstum beitragen konnte.11 Es finden sich allerdings Hinweise auf einen Rückgang von Arbeitsvolumen und Lohnniveau für Beschäftigte geringer bis mittlerer Qualifikation.
Akerman, Gaarder und Mogstad zeigen, dass der zuvor erwähnte Ansatz der Routine- und Nicht-Routinetätigkeiten sich auch auf die Internettechnologie übertragen lässt.12 Die Autoren nutzen eine Breitbandausbau-Politik im Norwegen der frühen 2000er Jahre als natürliches Experiment und zeigen, dass Arbeitnehmer in Nicht-Routinetätigkeiten aufgrund von Breitbandverfügbarkeit einen Lohnzugewinn erzielen können, während Arbeiter in Routinetätigkeiten einen Lohnrückgang hinnehmen müssen. Bastgen kann diese Ergebnisse auch für Deutschland bestätigen.13
Lohnprämie durch IKT-Fähigkeiten
Falck, Heimisch und Wiederhold zeigen einen wichtigen Kanal auf, über den Lohnzuwächse im digitalen Zeitalter erzielt werden können: IKT-Fähigkeiten.14 Damit ist nicht etwa die Beherrschung spezieller Programmiersprachen gemeint, sondern grundlegende Fähigkeiten der Navigation, Organisation und Aufbereitung von digitaler Information. Diese Fähigkeiten sind zentral in der digitalen Wissensgesellschaft und werden in zunehmendem Maße auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt. Neelie Kroes (von 2010 bis 2014 EU-Kommissarin für die Digitale Agenda) spricht in diesem Zusammenhang gar von der „new literacy“, der „neuen Alphabetisierung“.
In ihrer Studie zeigen Falck, Heimisch und Wiederhold, dass IKT-Fähigkeiten nicht formal institutionell erlernt werden, sondern vielmehr durch regelmäßiges Üben, sogenanntes Learning by Doing, zu Hause oder am Arbeitsplatz.15 Internetverfügbarkeit ist dafür eine notwendige Grundvoraussetzung. Unter Ausnutzung neuer Daten der PIAAC-Studie (eine internationale Vergleichsstudie zur Erfassung grundlegender Kompetenzen von 16- bis 65-Jährigen) untersuchen die Autoren für 19 Länder, ob und in welchem Maße IKT-Fähigkeiten am Arbeitsmarkt entlohnt werden. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass durch den Ausbau von Breitbandinfrastruktur die Aneignung von IKT-Fähigkeiten in der Bevölkerung angereizt wird. Zum anderen können die Autoren nachweisen, dass die angeeigneten IKT-Fähigkeiten substanziell am Arbeitsmarkt entlohnt werden. Basierend auf dem Learning-by-Doing-Mechanismus der Aneignung von IKT-Fähigkeiten können kausale Effekte geschätzt werden: Um eine Standardabweichung höhere IKT-Fähigkeiten führen zu einem Lohnanstieg von 25%. Dies liegt über dem 18%igen Lohnanstieg, der aus dem Anstieg von Rechenfähigkeiten um eine Standardabweichung resultiert.16
Stadt versus Land
Die bisherigen Forschungsresultate weisen darauf hin, dass die Auswirkungen neuer Breitbandtechnologien in städtischen und ländlichen Gebieten unterschiedlich ausfallen könnten. Aus theoretischer Sicht sind einerseits relativ stärkere Wachstumswirkungen in Ballungsgebieten zu erwarten, da Breitband und IKT hauptsächlich die Produktivität hochqualifizierter Arbeit in wissensintensiven Firmen ergänzt und fördert, und diese Gruppen von Arbeitnehmern und Firmen zumeist in Ballungsgebieten angesiedelt sind. Andererseits könnten ländliche Regionen vom „Tod der Distanz“ im Zuge der Digitalisierung profitieren.
Eine Studie zeigt für Großbritannien von 1995 bis 2010, dass sich Breitbandverfügbarkeit in lokalen Hauspreisen niederschlägt, in dem Sinne, dass private Haushalte eine schnellere Internetverbindung bevorzugen und eine deutliche Zahlungsbereitschaft dafür aufweisen.17 Es besteht daher die Vermutung, dass eine gute Breitbandinfrastruktur auf dem Land in Kombination mit einer effizienten Verkehrsinfrastruktur, die Pendeln erleichtert, der Entvölkerung ländlicher Gebiete entgegenwirken könnte. Die Ergebnisse einer deutschen Studie bekräftigen die Vermutung, dass das Internet zwar vermutlich nur bedingt ökonomische Aktivität in ländliche Gebiete bringt, diese Gebiete aber vor drohender Entvölkerung bewahren könnte. Briglauer et al. untersuchen die Breitbandförderungsinitiative in ländlichen Gebieten Bayerns ab 2010 und finden positive Beschäftigungseffekte am Wohnort der Arbeitnehmer, nicht aber am Arbeitsort.18 Das Internet scheint demnach ein Faktor in der Wohnortentscheidung von Personen im erwerbsfähigen Alter zu sein, die allerdings Pendeln zum Arbeitsort über Landkreisgrenzen hinaus in Kauf nehmen.
Forschungslücken
Die vorgestellten Studien liefern einen Einblick in die durch Internettechnologie entstandenen Wachstums- und Beschäftigungseffekte, die sich bereits heute beobachten lassen. Sie können jedoch kein vollständiges Bild aktueller und zukünftiger Wachstumspotenziale erfassen. Bisherige Studien identifizieren z.B. Wirkungseffekte von Breitbanddiffusion während der Einführungsphase von Breitbandinternet in den 1990er und frühen 2000er Jahren, in der private Haushalte oder Unternehmen überhaupt erst Breitbandinternet zu nutzen begannen. In der nachfolgenden Phase, in der Deutschland sich derzeit befindet, mag dagegen eher die intensive Breitbandnutzung – z.B. über die Nutzungshäufigkeit oder die Breitbandgeschwindigkeit – eine Rolle spielen. Die Wirkung intensiver Breitbandnutzung ist allerdings bisher kaum methodisch fundiert untersucht worden. Die wirtschaftliche Wirkung von Breitbandinternet könnte je nach Nutzungsintensität stark variieren. Auch das Ausmaß, in dem Breitbandinternet Anschlussinnovationen nach sich zieht, hängt sowohl von Verbreitung und Verfügbarkeit als auch von der Nutzungsintensität ab.
Eine Voraussetzung dafür, dass die Breitbandtechnologie ihr volles Wachstumspotenzial entfalten kann, ist unter anderem eine rasche Annahme und Nutzung der Technologie. In der Tat ist die anfängliche Ausbreitung des Internets recht zügig vonstattengegangen. Nur zehn Jahre nach seiner Einführung verfügte beispielsweise bereits die Hälfte aller US-amerikanischen Haushalte über einen Internetzugang. Das Medium Fernsehen brauchte für eine vergleichbare Ausbreitung noch 25 Jahre. Zudem war in den Anfangsjahren die Internetnutzung noch durch schleppenden Infrastrukturausbau beschränkt. Inzwischen ist in vielen Ländern eine Versorgung fast aller Haushalte mit einer Basisgeschwindigkeit sichergestellt. Jedoch lässt sich beobachten, dass die Aufnahme höherer Breitbandgeschwindigkeiten nur langsam anläuft. Beispielsweise sind in Deutschland derzeit Bandbreiten von mindestens 16 Mbit/s für mehr als 80% aller Haushalte technisch verfügbar.19 Diese Geschwindigkeiten werden jedoch tatsächlich nur von weniger als 20% der Haushalte tatsächlich nachgefragt.20 Eine nur langsame Annahme höherer Breitbandgeschwindigkeiten birgt die Gefahr, nicht das volle Wachstumspotenzial entfalten zu können und wichtige Anschlussinnovationen aufzuhalten.
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass sich das Internet in ständiger Entwicklung befindet und seit seinen Anfängen drastisch verändert hat. In den frühen Jahren des digitalen Zeitalters beschränkte sich die Nutzung des Internets auf den Informationsaustausch via E-Mail und die Bereitstellung und Verbreitung digitaler Informationen auf Web-Seiten. Die Zukunft des Internets liegt demgegenüber im „Internet der Dinge“, das Objekte mit Elektronik und Software verknüpft, automatisiert Daten sammelt, verarbeitet und austauscht. Diese beeindruckende bisherige Evolution lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass das Internet auch in Zukunft intensiven Veränderungsprozessen unterliegen wird. Umso wichtiger ist und wird die Aneignung von IKT-Fähigkeiten in der breiten Gesellschaft sowie deren konstante Aus- und Weiterbildung im Laufe des Arbeitslebens. Obwohl IKT-Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen, lässt deren Ausbreitung in OECD-Ländern zu wünschen übrig. Im Mittel verfügen 25% der 16- bis 64-Jährigen über keine bis unzureichende IKT-Fähigkeiten.21 Dieser erschreckend hohe Anteil „digitaler Analphabeten“ an der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in wichtigen Industrieländern wie den USA oder Deutschland ist besorgniserregend im Hinblick auf die Zukunftsvision Industrie 4.0.
Ausblick Industrie 4.0 und Politikempfehlungen
Eine Annäherung an die Beantwortung der Frage, welche Impulse von Industrie 4.0 für den Arbeitsmarkt der Zukunft zu erwarten sind, basiert auf den bisher beobachtbaren Wirkungen der Einführung von Breitbandtechnologie sowie von Automatisierung und Digitalisierung im Produktionsprozess. Industrie 4.0 stellt im Grunde eine konsequente Verknüpfung von Automatisierungstechnik und IKT-Technologie in der industriellen Produktion dar. Beide Prozesse – Automatisierung und Breitbandtechnologiediffusion – scheinen unabhängig voneinander ähnliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte hervorzubringen. Es ist anzunehmen, dass diese Effekte mit einer Vernetzung sogar noch verstärkt und beschleunigt werden.
Es sind also deutlich positive Wachstumsimpulse durch die Umsetzung von Industrie 4.0 zu erwarten. Auch der Arbeitsmarkt wird erheblich beeinflusst werden. In seiner Beschäftigungswirkung ist Industrie 4.0 allerdings ambivalent. Arbeitsplätze mit hohem Routinegrad laufen Gefahr wegzufallen. Die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitnehmern wird hingegen ansteigen. Mit den strukturellen Veränderungen gehen somit hohe Flexibilisierungserfordernisse einher, wenn die Teilhabe aller Gesellschaftsschichten am technologischen Fortschritt gesichert werden soll. Es besteht schon jetzt dringender politischer Handlungsbedarf im Hinblick auf diese Entwicklungen. Trotz dieses erheblichen Gestaltungsbedarfs scheinen Flexibilisierungs- und Qualifizierungserfordernisse auf dem sich verändernden Arbeitsmarkt noch nicht in ausreichendem Maße im Fokus der öffentlichen Debatte um Industrie 4.0 zu stehen.
Es zeichnet sich zudem ab, dass digitale Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt im Industrie-4.0-Zeitalter eine besonders wichtige Rolle einnehmen werden. Es ist unerlässlich, dass die Bildungspolitik umgehend beginnt, die Aneignung dieser Fähigkeiten sowohl im Schulalltag als auch in der Erwachsenenbildung stark zu fördern. Eine weitere wichtige Frage ist, ob Stadt und Land in unterschiedlicher Weise von den Digitalisierungsprozessen betroffen sind bzw. davon profitieren. Aus den bisherigen Forschungsergebnissen geht die Vermutung hervor, dass eine gute Breitbandinfrastruktur in Kombination mit einer effizienten Verkehrsinfrastruktur der drohenden Entvölkerung im ländlichen Raum entgegenwirken könnte. Auch hier besteht erheblicher politischer Gestaltungsspielraum, z.B. in Bezug auf die Förderung flexibler Telearbeitsformen. Die Umsetzung von Industrie 4.0 für den Arbeitsmarkt bringt enorme strukturelle Veränderungen mit sich. Will die Politik vor dem Hintergrund der ambivalenten Auswirkungen allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe am technischen Fortschritt ermöglichen, ist es unumgänglich, bereits frühzeitig entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.
- 1 N. Czernich, O. Falck, T. Kretschmer, L. Wößmann: Broadband Infrastructure and Economic Growth, in: Economic Journal, 121. Jg. (2011), Nr. 5, S. 505-532.
- 2 Der Instrumentalvariablenansatz macht sich hier zunutze, dass die Breitbandrate in einem Land durch die Ausdehnung der traditionellen Netze für Sprachtelefonie und Kabelfernsehen beeinflusst wird. Da Sprachtelefonie- und Kabelfernsehnetze nachweislich keine Wachstumswirkungen aufweisen, kann dieser Umstand als „natürliches Experiment“ zur Schätzung kausaler Effekte von Breitbandverfügbarkeit genutzt werden.
- 3 Vgl. J. Kolko: Broadband and Local Growth, in: Journal of Urban Economics, 71. Jg. (2012), Nr. 1, S. 100-113; sowie C. Forman, A. Goldfarb, S. Greenstein: The Internet and Local Wages: A Puzzle, in: American Economic Review, 102. Jg. (2012), Nr. 1, S. 556-575.
- 4 N. Fabritz: The Impact of Broadband on Economic Activity in Rural Areas: Evidence from German Municipalities, ifo Working Paper, Nr. 166, 2013.
- 5 O. Falck, A. Mazat, B. Stockinger: Broadband Infrastructure and Entrepreneurship, ifo Institute, mimeo, 2016.
- 6 T. De Stefano, R. Kneller, J. Timmis: The (Fuzzy) Digital Divide: The Effect of Broadband Internet Use on UK Firm Performance, University of Nottingham Discussion Paper, Nr. 14/06, 2014.
- 7 G. Canzian, S. Poy, S. Schüller: Broadband Diffusion and Firm Performance in Rural Areas: Quasi-Experimental Evidence, IZA Working Paper, Nr. 9429, 2015.
- 8 C. Mang: Online Job Search and Matching Quality, ifo Working Paper, Nr. 147, 2012.
- 9 P. Kuhn, H. Mansour: Is Internet Job Search Still Ineffective?, in: Economic Journal, 124. Jg. (2014), Nr. 581, S. 1213-1233.
- 10 D. H. Autor, F. Levy, R. J. Murnane: The Skill Content of Recent Technological Change: An Empirical Exploration, in: Quarterly Journal of Economics, 118. Jg. (2003), Nr. 4, S. 1279-1333.
- 11 G. Graetz, G. Michaels: Robots at Work, CEP Discussion Paper, Nr. 1335, 2015.
- 12 A. Akerman, I. Gaarder, M. Mogstad: The Skill Complementarity of Broadband Internet, in: Quarterly Journal of Economics, 130. Jg. (2015), Nr. 4, S. 1781-1824.
- 13 A. Bastgen: Labor Market Consequences of Increased Broadband Availability – Evidence from German Micro Data, mimeo, 2016.
- 14 O. Falck, A. Heimisch, S. Wiederhold: Returns to ICT Skills, ifo Working Paper, Nr. 5720, 2016.
- 15 Ebenda.
- 16 Vgl. E. A. Hanushek, G. Schwerdt, S. Wiederhold, L. Wößmann: Returns to Skills Around the World: Evidence from PIAAC, in: European Economic Review, 73. Jg. (2015), Nr. C, S. 103-130.
- 17 G. M. Ahlfeldt, P. Koutroumpis, T. Valletti: Speed 2.0 – Evaluating Access to Universal Digital Highways, CEPR Discussion Paper, Nr. 11046, 2016.
- 18 W. Briglauer, N. Dürr, O. Falck, K. Hüschelrath: State Aid, Broadband and Employment, mimeo, 2016.
- 19 TÜV Rheinland/BMVI: Bericht zum Breitbandatlas Ende 2015 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), 2015.
- 20 Dialog Consult/vatm: 17. TK-Marktanalyse Deutschland 2015, 2015.
- 21 O. Falck, A. Heimisch, S. Wiederhold, a.a.O.