Die Steuereinnahmen in Deutschland steigen unvermindert stark an, und die Forderungen nach einer Einkommensteuersenkung werden lauter. Dabei sollen einerseits der sogenannte Mittelstandsbauch und andererseits die kalte Progression korrigiert werden. Verschiedene Tarifausgestaltungen führen zu unterschiedlichen Entlastungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen und wirken sich auf der Aufkommensseite ebenfalls unterschiedlich aus. Vier Tarifvarianten werden beispielhaft untersucht.
In der steuerpolitischen Debatte wird immer wieder eine zunehmende Belastung der Steuerzahler in den mittleren Einkommensbereichen beklagt. Dabei geht es zum einen um die „kalte Progression“ oder den „fiskalischen Drift“, also den Umstand, dass die Steuerzahler durch Inflation und reales Einkommenswachstum in Bereiche des Einkommensteuertarifs mit immer höheren Steuersätzen geraten. Zum anderen wird der Einkommensteuertarif selbst kritisiert, dabei vor allem der „Mittelstandsbauch“. Damit ist das überproportionale Ansteigen der Grenzsteuersätze in den unteren und mittleren Einkommensbereichen im geltenden Einkommensteuertarif gemeint. Derzeit liegt der Eingangssteuersatz bei 14%. Er wird erhoben, wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag überschreitet, der derzeit bei 8653 Euro liegt. Bis zu einem Einkommen von 13 669 Euro steigt der Grenzsteuersatz auf 24% an. In den Einkommensbereichen darüber steigt der Grenzsteuersatz deutlich langsamer.
In den letzten Jahren haben Forderungen nach Steuersenkungen wenig politische Unterstützung erhalten. Zwar ist der Grundfreibetrag immer wieder angepasst worden. Zu einer Senkung der Steuersätze im Rahmen einer allgemeinen Tarifreform ist es aber nicht gekommen. Sowohl in den Unionsparteien als auch in der SPD wurde der Konsolidierung des Staatshaushalts, dem Einhalten der Schuldenbremse und der Finanzierung neuer Staatsausgaben Priorität eingeräumt.1
Derzeit mehren sich allerdings die Stimmen, die sich für steuerliche Entlastungen aussprechen. So hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Mai 2016 angekündigt, in der kommenden Legislaturperiode Steuersenkungen anzustreben. Er hat dabei hervorgehoben, der Abbau des Mittelstandsbauchs im Einkommensteuertarif habe Priorität.2 Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat bereits im April 2016 gefordert, die kalte Progression durch Steuersenkungen auszugleichen.3 Gelegentlich wird auch gefordert, Entlastungen in den unteren Einkommensbereichen mit Steuersatzerhöhungen in hohen Einkommensbereichen zu verknüpfen. Dahinter steht die Auffassung, dass Entlastungen in den oberen Einkommensbereichen weniger dringlich sind.
Wenn es tatsächlich zu Steuersenkungen kommen soll, ist zu klären, mit welchen Steueraufkommenseffekten zu rechnen ist und wie die Reform sich auf die Lastenverteilung unter den Steuerzahlern auswirkt. In diesem Beitrag betrachten wir verschiedene Steuerreformvarianten, die alle das Ziel haben, den Mittelstandsbauch abzuflachen. Wir kombinieren diese Reformen mit verschiedenen Änderungen im Bereich der höheren Einkommen. Zunächst betrachten wir in einigen Reformszenarien Veränderungen der Einkommensgrenze, bei der der Steuersatz von 42% erreicht wird. Außerdem ersetzen wir die obere Proportionalzone mit dem bisherigen Grenzsteuersatz von 42% durch einen linear von 42% auf 45% ansteigenden Grenzsteuersatz. Für alle Reformvarianten berechnen wir die voraussichtlichen Auswirkungen auf das Steueraufkommen, die Entlastungswirkung für unterschiedliche Haushaltstypen und die Verteilungseffekte für unterschiedliche Einkommensdezile.
Analysierte Steuerreformvarianten
Im Folgenden betrachten wir vier Varianten einer Einkommensteuerreform, die mit unterschiedlichen Entlastungen für die Steuerzahler und folglich auch mit unterschiedlichen Steueraufkommensverlusten einhergehen. In allen Reformvarianten bleibt der Grundfreibetrag unverändert. Wir konzentrieren uns auf Reformen des Steuertarifs oberhalb des Grundfreibetrags. Im Mittelpunkt steht das Ziel, den Mittelstandsbauch abzuflachen. Bei Steuerentlastungen in den mittleren Einkommensgruppen stellt sich die Frage, ob es auch künftig so sein soll, dass die Tarifzone mit einem Steuersatz von 42% schon bei einem zu versteuernden Einkommen von gut 53 665 Euro erreicht werden soll. In Tarifvariante 1 betrachten wir eine Erhöhung dieser Einkommensgrenze. Darüber hinaus betrachten wir Reformen, bei denen die Proportionalzone im derzeit geltenden Steuertarif, in der Einkommen zwischen 53 665 Euro und 254 446 Euro mit 42% besteuert werden, durch einen Bereich mit kontinuierlich bis 45% ansteigenden Steuersätzen ersetzt wird. Wie oben erwähnt wird in der steuerpolitischen Debatte von verschiedenen Seiten gefordert, die steuerliche Entlastung in den oberen Einkommensbereichen nicht zu groß werden zu lassen. Die leichte Erhöhung der Grenzbelastung im Bereich der aktuellen Proportionalzone ist ein Weg, das umzusetzen.
Tabelle 1 und Abbildung 1 geben einen Überblick über die hier betrachteten Steuerreformvarianten. Tarifvariante 1 enthält eine „Abflachung“, aber keine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauchs. Außerdem wird das Ende der zweiten Progressionszone, also das zu versteuernde Einkommen, bei dem ein Grenzsteuersatz von 42% erreicht wird, von 53 665 Euro auf 60 000 Euro erhöht. In den Einkommensbereichen darüber steigt der Tarif kontinuierlich an und erreicht bei der bisherigen Einkommensgrenze für die sogenannte „Reichensteuer“, 254 446 Euro, das Niveau des Einkommensteuer-Spitzensatzes von 45% (bzw. inklusive Solidaritätszuschlag knapp 47,5%).
Abbildung 1
Grafische Darstellung der Tarifvarianten

Quelle: eigene Darstellung.
Tabelle 1
Parameter der betrachteten Tarifvarianten
Parameter | Grundfreibetrag | Ende 1. Tarifzone | Ende 2. Tarifzone | Ende 3. Tarifzone | Eingangssteuersatz | 1. Grenze | 2. Grenze | 3. Grenze | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
in Euro | in % | ||||||||
Tarif 2016 | 8652 | 13 669 | 53 665 | 254 446 | 14 | 24 | 42 | 45 | |
Tarifvariante 1 | 8652 | 13 669 | 60 000 | 254 446 | 14 | 20 | 42 | 45 | |
Tarifvariante 2 | 8652 | 27 000 | 53 665 | 254 446 | 14 | 31 | 42 | 45 | |
Tarifvariante 3 | 8652 | 53 665 | 254 446 | 14 | 42 | 45 | |||
Tarifvariante 4 | 8652 | 43 665 | 254 446 | 14 | 42 | 45 |
Anmerkung: In der 3. Tarifzone steigt der Grenzsteuersatz im Tarif 2016 nicht an, sondern bleibt bei 42%. In allen Varianten steigt der Grenzsteuersatz in der obersten Tarifzone linear an.
Quelle: eigene Darstellung.
Die Tarifvariante 2 verlängert die erste Proportionalzone, die nun erst bei einem Einkommen von 27 000 Euro endet und dabei einen Grenzsteuersatz von 31% erreicht. Die zweite Proportionalzone verkürzt sich und endet wie bisher bei einem Einkommen von 53 665 Euro. Darüber steigt der Grenzsteuersatz erneut kontinuierlich bis auf 45% an. Bei dieser Variante ist die steuerliche Entlastung die kleinste. Der Mittelstandsbauch wird vor allem in den unteren Einkommensbereichen flacher.
Die Tarifvariante 3 bringt eine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauchs. Der Grenzsteuersatz steigt in dieser Variante zwischen dem Grundfreibetrag und dem Beginn der oberen Progressionszone bei 53 665 Euro kontinuierlich an. Hier kommt es zur größten steuerlichen Entlastung. Abschließend wird mit Tarifvariante 4 eine Reform betrachtet, bei der ebenfalls kein Mittelstandsbauch mehr existiert. Hier steigen die Grenzsteuersätze jedoch schneller an als in Tarifvariante 3, der Grenzsteuersatz von 42% wird bereits bei einem zu versteuernden Einkommen von 43 665 Euro erreicht.
Steueraufkommenswirkungen
Die Aufkommens- und Verteilungswirkungen von Änderungen der Tariffunktion lassen sich in einem Mikrosimulationsmodell bestimmen. Für jeden Stichprobenfall wird eine genaue und detaillierte Berechnung der individuellen Einkünfte, Abzugsbeträge und Freigrenzen vorgenommen und dann unter Anwendung des jeweiligen Einkommensteuertarifs für jeden Stichprobenfall die jeweils zu entrichtende Einkommensteuer bestimmt. Durch Multiplikation mit den Fallgewichten wird aus der vorliegenden Stichprobe auf die Grundgesamtheit, also alle Einkommensteuerpflichtigen, geschlossen, so dass sowohl insgesamt als auch gruppenspezifisch Aufkommens- und Verteilungswirkungen berechnet werden können. Auf diese Weise können die Effekte für unterschiedliche sozio-ökonomische Gruppen miteinander verglichen werden.
Das Mikrosimulationsmodell bildet auf diese Weise zunächst die aktuelle Bemessungsgrundlage ab. Durch Veränderungen der Tariffunktion können nun die Auswirkungen für jeden einzelnen Steuerfall untersucht werden. Durch Hochrechnung auf die Grundgesamtheit lassen sich die Aufkommenswirkungen bestimmen. Die Simulation führen wir sowohl mit den Daten der faktisch anonymisierten Stichprobe aus den amtlichen Mikrodaten der Einkommensteuerstatistik (FAST) durch als auch mit den Mikrodaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Beide Datensätze werden durch eine strukturelle Fortschreibung der Bevölkerung und Erwerbstätigen sowie der Einkommen so angepasst, dass sie das aktuelle Veranlagungsjahr 2016 repräsentieren.
Die Auswirkungen auf das Steueraufkommen und die Entlastungswirkungen für die verschiedenen Steuerzahlergruppen werden unter der Annahme unveränderten Verhaltens der Steuerzahler berechnet. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Aufkommensveränderungen bei der Einkommensteuer und beim Solidaritätszuschlag. Der niedrigste Steueraufkommenseffekt ergibt sich bei der Tarifvariante 2. Hier wird der Mittelstandsbauch abgeflacht, aber nicht beseitigt. Die Steuereinnahmen sinken um 11,4 Mrd. Euro. Der Aufkommenseffekt von Tarifvariante 4 liegt nur unwesentlich höher, bei knapp 14 Mrd. Euro. Größere Aufkommenseffekte ergeben sich bei der Tarifvariante 1. Hier wird der Mittelstandsbauch abgeflacht, und das Ende der zweiten Progressionszone wird auf ein zu versteuerndes Einkommen von 60 000 Euro erhöht. Das Steueraufkommen reduziert sich um 23,6 Mrd. Euro. Der größte Steueraufkommensverlust ergibt sich bei der Tarifvariante 3. Hier wird der Mittelstandsbauch komplett beseitigt, die Erhöhung des Grenzsteuersatzes oberhalb von 53 665 Euro führt zu einem begrenzten Gegenfinanzierungseffekt, aber das Steueraufkommen sinkt um gut 31 Mrd. Euro.
Tabelle 2
Aufkommenswirkungen der Tarifvarianten
Einkommersteuer | Solidaritätszuschlag | Summe | Differenz | |
---|---|---|---|---|
Tarif 2016 | 277 640 | 13 590 | 291 230 | |
Tarifvariante 1 | 255 152 | 12 449 | 267 602 | -23 628 |
Tarifvariante 2 | 266 802 | 13 029 | 279 831 | -11 399 |
Tarifvariante 3 | 247 824 | 12 079 | 259 904 | -31 326 |
Tarifvariante 4 | 264 404 | 12 929 | 277 334 | -13 896 |
Quelle: eigene Berechnungen anhand der Mikrodaten der faktisch anonymisierten Stichprobe der Einkommensteuerstatistik (FAST 2007), fortgeschrieben auf 2016.
Verteilungseffekte: Welche Steuerzahler werden in welchem Umfang entlastet?
Wie bei jeder Reform ist es auch bei den hier betrachteten Veränderungen des Steuertarifs von Bedeutung, wie die Verteilung der Steuerlasten sich ändert, in welchem Umfang unterschiedliche Steuerzahler entlastet werden. Da Steuerzahler in den höheren Einkommensbereichen mehr Steuern zahlen als die in den niedrigen Einkommensbereichen, werden sie durch Steuersatzsenkungen tendenziell auch mehr entlastet, wenn man die Entlastung in absoluten Beträgen, also in Euro, misst. Zunächst wird die Entlastung anhand von Beispielfällen berechnet.
In Tabelle 3 sind die Auswirkungen der Tarifvarianten exemplarisch für vier Haushaltskonstellationen berechnet. In der ersten Spalte sind die Merkmale der Haushaltstypen kurz beschrieben mit Bruttoeinkommen pro Monat und Zusammensetzung. Fall 2, 3 und 4 werden zusammen veranlagt. Daneben sind für alle Varianten die Einkommensteuerzahlungen inklusive Solidaritätszuschlag im Vergleich zum aktuellen Tarif dargestellt. Zur Vereinfachung werden steuerliche Abzugsmöglichkeiten vernachlässigt. Im Fall des kinderlosen Singles mit 2000 Euro Bruttomonatseinkommen erfolgt in Variante 2 im Vergleich zu Variante 1 trotz geringerer Aufkommenswirkung (vgl. Tabelle 2) eine stärkere Entlastung. Variante 3 bedeutet die stärkste Entlastung für alle Fälle.
Tabelle 3
Beispielfälle: Einkommensteuer
Tarif 2016 | Tarifvariante | ||||
---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | ||
Fall 1 Single, keine Kinder 2000 Euro/Monat |
2506 | -337 | -377 | -559 | -453 |
Fall 2 Doppelverdiener, 1 Kind 2000+1500 Euro/Monat |
3384 | -434 | -543 | -739 | -625 |
Fall 3 Alleinverdiener, 1 Kind 3500 Euro/Monat |
3731 | -494 | -601 | -831 | -696 |
Fall 4 Doppelverdiener, 1 Kind 5000+1500 Euro/Monat |
13 010 | -1666 | -847 | -2411 | -1375 |
Quelle: eigene Berechnungen anhand der Mikrodaten der faktisch anonymisierten Stichprobe der Einkommensteuerstatistik (FAST 2007), fortgeschrieben auf 2016.
In Tabelle 4 sind mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), in denen die gesamte Bevölkerung repräsentativ abgebildet ist, die Veränderungen von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag durch die Tarifvarianten simuliert. Die Personen sind anhand ihres Bruttoäquivalenzeinkommens in Dezile eingeteilt. Im ersten Dezil befinden sich demnach die 10% der Bevölkerung mit den niedrigsten Bruttoäquivalenzeinkommen und im zehnten Dezil die Personen mit den höchsten. Das Bruttoeinkommen schließt alle Einkünfte eines Haushalts mit ein, inklusive Transfereinkommen, imputierter Miete für Wohneigentümer und Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen. Da Haushalte sich in ihrer Zusammensetzung unterscheiden, wird das Haushaltsbruttoeinkommen durch eine Äquivalenzziffer geteilt, was einer Bedarfsgewichtung nach Haushaltsgröße entspricht.4 Die Einbeziehung der Haushalte, die keine Einkommensteuer zahlen, führt dazu, dass die Verteilung deutlich von der der Steuerpflichtigen abweicht. Hinzu kommt, dass die breite Definition des Bruttoeinkommens in Kombination mit der Äquivalenzgewichtung ebenfalls zu deutlichen Verschiebungen in der Verteilung führt.
Tabelle 4
Aktuelle Steuerbelastung und Entlastung durch die Reformen
Dezile1 | Klassendurchschnitt | Dezilgrenze | Veränderung der Steuerbelastung (pro Jahr und Steuerpflichtigem) | |||
---|---|---|---|---|---|---|
pro Monat | Tarifvariante | |||||
1 | 2 | 3 | 4 | |||
1. Dezil | 792 | 1039 | -41 | -52 | -71 | -60 |
2. Dezil | 1220 | 1393 | -28 | -35 | -47 | -40 |
3. Dezil | 1551 | 1712 | -68 | -82 | -116 | -95 |
4. Dezil | 1885 | 2058 | -111 | -129 | -191 | -154 |
5. Dezil | 2233 | 2424 | -209 | -222 | -349 | -274 |
6. Dezil | 2645 | 2873 | -329 | -304 | -531 | -393 |
7. Dezil | 3120 | 3391 | -482 | -366 | -745 | -505 |
8. Dezil | 3703 | 4076 | -671 | -387 | -977 | -575 |
9. Dezil | 4568 | 5208 | -881 | -369 | -1190 | -552 |
10. Dezil | 7957 | . | -1207 | -171 | -1316 | -129 |
Insgesamt | 2967 | . | -540 | -260 | -728 | -343 |
1 Dezile des Haushalts-Bruttoäquivalenzeinkommens.
Quelle: eigene Berechnungen anhand des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) v31, fortgeschrieben auf 2016.
In Tabelle 4 zeigt sich eine deutlich ansteigende Entlastung der Steuerpflichtigen für die Varianten 1 und 3, in denen das oberste Dezil auch mit Abstand am meisten profitiert. Die Varianten 2 und 4 weisen eine gleichmäßigere Entlastung auf. In beiden Varianten würde das 8. Dezil am meisten profitieren, während die Entlastung anschließend wieder abnimmt.
In Tabelle 5 sind die relativen Entlastungswirkungen der Steuerzahler entlang der Verteilung abgetragen. Hierbei werden die Entlastungen allerdings nicht im Haushaltskontext gewichtet, sondern es wird nur auf die Steuerzahler geschaut. Da im Status quo auf das oberste Dezil knapp 52% des gesamten Steueraufkommens entfallen, die Entlastungen allerdings vor allem auf den mittleren Einkommensbereich abzielen, ergeben sich entsprechend deutliche Unterschiede in den relativen Entlastungswirkungen. In Variante 1 wirken die Entlastungen am stärksten zwischen dem 4. und 9. Dezil, während sie im obersten Dezil deutlich schwächer ausfallen. Variante 3 weist eine ähnliche Struktur auf, allerdings schwächt sich der Effekt bereits im 8. Dezil deutlicher ab. Durch das hohe Steuersenkungsvolumen finden sich in Variante 3 über alle Dezile die stärksten Effekte im Vergleich zu den anderen Varianten. Die Varianten 2 und 4 entlasten die unteren Bereiche der Verteilung im relativen Vergleich deutlich stärker, während ab dem 7. Dezil die Entlastung zurückgeht. Im obersten Dezil fällt die Entlastung nochmals stärker ab als in den Varianten 1 und 3. Für alle Varianten gilt, dass sie die Mittelschicht überdurchschnittlich entlasten. Die Varianten 2 und 4 entlasten die unteren Dezile verhältnismäßig stärker als die anderen beiden Varianten.
Tabelle 5
Relative Entlastungswirkungen
Dezile1 | Veränderung der relativen Steuerbelastung | |||
---|---|---|---|---|
Tarifvariante | ||||
1 | 2 | 3 | 4 | |
1. Dezil | -9,69 | -12,15 | -16,50 | -13,97 |
2. Dezil | -7,86 | -9,95 | -13,41 | -11,38 |
3. Dezil | -9,72 | -11,76 | -16,48 | -13,63 |
4. Dezil | -10,36 | -12,06 | -17,80 | -14,38 |
5. Dezil | -11,27 | -11,98 | -18,79 | -14,74 |
6. Dezil | -11,64 | -10,76 | -18,78 | -13,91 |
7. Dezil | -12,08 | -9,16 | -18,68 | -12,65 |
8. Dezil | -11,89 | -6,85 | -17,32 | -10,19 |
9. Dezil | -11,45 | -4,79 | -15,47 | -7,18 |
10. Dezil | -5,46 | -0,78 | -5,96 | -0,59 |
Insgesamt | -8,42 | -4,05 | -11,35 | -5,35 |
1 Dezile des Haushalts-Bruttoäquivalenzeinkommens.
Quelle: eigene Berechnungen anhand des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) v31, fortgeschrieben auf 2016.
Fazit
In den letzten Jahren sind die Steuereinnahmen kontinuierlich angestiegen, während die öffentlichen Haushalte auf der Ausgabenseite durch sinkende Arbeitslosigkeit und fallende Zinsen entlastet wurden. Für die kommenden Jahre ist abzusehen, dass die Steuereinnahmen weiterhin schneller steigen werden als das Bruttoinlandsprodukt. Nach der jüngsten Steuerschätzung wird sich die Steuerquote, also das Verhältnis aus Steuereinnahmen und Bruttoinlandsprodukt, bis 2020 um 0,6 Prozentpunkte erhöhen.5 Selbst ohne jede Konsolidierungsanstrengung auf der Ausgabenseite ergibt sich dadurch ein Finanzierungsspielraum für Steuersenkungen von knapp 19 Mrd. Euro. Das allein erlaubt zwar keine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauchs im Einkommensteuertarif, aber doch eine Abflachung und damit eine spürbare Entlastung der mittleren Einkommen, beispielsweise durch die Einführung der Tarifvariante 1. Hier liegt der Steueraufkommensverlust bei gut 23 Mrd. Euro. Dabei ist zu bedenken, dass Verhaltensanpassungen, wie etwa eine Ausdehnung der Beschäftigung infolge der Steuersenkung in unseren Rechnungen nicht berücksichtigt sind.
- 1 Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung urteilte in seinem Jahresgutachten 2011/12: „Angesichts der Konsolidierungserfordernisse in den öffentlichen Haushalten ist die Beseitigung des ,Mittelstandsbauchs‘ derzeit nicht realistisch“, vgl. ebenda, S. 215.
- 2 Vgl. „Schäuble zieht mit Steuersenkungsplänen in den Wahlkampf“, in: Die Welt vom 25.5.2016, http://www.welt.de/politik/deutschland/article155661439/Schaeuble-zieht-mit-Steuersenkungsplaenen-in-den-Wahlkampf.html.
- 3 Vgl. „Wirtschaftsminister Gabriel fordert Steuersenkungen“, in: Badische Zeitung vom 29.4.2016, http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/wirtschaftsminister-gabriel-fordert-steuersenkungen--83935828.html.
- 4 Die Äquivalenzziffer wird nach neuer OECD-Skala berechnet, d.h. für den Haushaltsvorstand wird die Zahl „1“ angesetzt, für weitere Personen älter als 13 Jahre die Zahl „0,5“ und für alle anderen „0,3“. Die Äquivalenzziffer ist die Summe über den Haushalt.
- 5 Bundesministerium der Finanzen: Steuerschätzung Mai 2016.