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Arbeitslosigkeit durch rapide technische Neuerungen wird von vielen in der nahen Zukunft befürchtet. Auch die Einkommensverteilung und damit der gesellschaftliche Zusammenhalt können noch stärker in Schieflage geraten. Worin liegen die Gefahren der sogenannten „Vierten Industriellen Revolution“ und wo ihre Chancen? Der Autor gibt einen Überblick über die Zusammenhänge und empfiehlt wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung potenzieller Probleme.

Ein Gespenst geht um – das Gespenst großer und hartnäckiger „technologischer Arbeitslosigkeit“. Der Grund sind die gelegentlich als „Vierte Industrielle Revolution“, „Industrie 4.0“, „Cyber-physikalische Systeme“ (CPS), „Internet der Dinge“ usw. bezeichneten Formen des technischen Fortschritts. (Andere betrachten die Digitalisierung als Fortführung der Computerisierung und zählen sie zur Dritten Industriellen Revolution.) Mit welchen Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommensverteilung ist zu rechnen? Wie kann die Wirtschafts- und Sozialpolitik gewünschte Effekte fördern und unerwünschte, so gut es geht, abwenden?

Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, ist auf Zweierlei hinzuweisen:

  • Erstens, die ständige und tiefgreifende Revolutionierung von Technik, der Organisation des Arbeitsprozesses, von Güterwelt und Lebensverhältnissen ist ein Kind der Neuzeit. Sie hat ihre Wurzeln in Europa und steht in enger Verbindung mit der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden (Ersten) Industriellen Revolution. Tatsächlich handelt es sich bei der fraglichen Revolutionierung um keine Selbstverständlichkeit, denn zwei beachtliche Hindernisse stehen der Erzeugung und Verwendung neuen nützlichen Wissens entgegen. Dies ist zum einen die Gegnerschaft seitens der Besitzer alten Wissens und ihrer sich darauf gründenden ökonomischen und politischen Machtpositionen. Diese ermöglichen es ihnen, Monopolrenten einzustreichen, die von neuem Wissen gefährdet werden. Dies ist zum anderen der Umstand, dass die Verwendung neuen Wissens (wie z.B. des Bessemer Verfahrens in der Stahlerzeugung) durch eine Firma nicht derjenigen durch andere Firmen widerspricht und überdies auf Dauer das neue Wissen nicht geheim gehalten werden kann. Längerfristig kann neues Wissen nicht monopolisiert werden. Wer also verspürt schon den Anreiz, neues Wissen zu schaffen, wenn er zwar alle Kosten trägt, aber kaum etwas von den Erträgen erhält? Wissen wird deshalb auch ein „quasi-öffentliches Gut“ genannt und mit dem Problem des Marktversagens in Verbindung gebracht.
  • Der zweite Hinweis betrifft die Frage, warum die Industrielle Revolution in Europa und nicht in China stattgefunden hat, obgleich China gegen Ende des 18. Jahrhunderts Europa technologisch ebenbürtig oder gar überlegen war. Die Antwort des Wirtschaftshistorikers Joel Mokyr hierauf lautet, dass sich im 17. und 18. Jahrhundert in Europa Institutionen herausgebildet haben, die in nicht beabsichtigter und nicht geplanter Weise eine „Kultur des Wachstums“ begründeten.1 Einer glücklichen Fügung war es geschuldet, dass die beiden Hindernisse, die der Erzeugung und Verwendung nützlichen Wissens entgegenstehen und sie typischerweise verhindern, überwunden werden konnten. Mehrere Länder Europas begaben sich daraufhin auf einen Pfad kontinuierlichen Wachstums. Das Phänomen eines nachhaltig aufwärts gerichteten Trends im Pro-Kopf-Einkommen hat im Verlauf der Zeit schließlich eine Sogwirkung entfaltet, die seit einiger Zeit auch Länder wie China und Indien erfasst hat.

Innovationen sind nach Joseph A. Schumpeter Prozesse „schöpferischer Zerstörung“2. Sie rufen Neues ins Leben und vernichten Altes. Sie kennen nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Firmen, Arbeitsplätze, Produkte und ganze Branchen werden ausgelöscht und neue entstehen. Kann darauf vertraut werden, dass die Verlierer, wenn schon nicht jeder Einzelne, so doch die große Mehrheit, nur kurzfristig Nachteile (Verlust des Arbeitsplatzes, sinkende Löhne) erleiden und schon bald ins Lager der Gewinner wechseln? Oder ist alles anders, diesmal jedenfalls?

Technologische Arbeitslosigkeit und Einkommensverteilung

Fragen hierzu werden seit der Industriellen Revolution und der folgenden Beschleunigung und Verstetigung des technischen Fortschritts gestellt.3 Die Anpassung an das Neue kann die Gesellschaft überfordern. Technischer Fortschritt wirft das System aus gewohnten Bahnen, bricht die etablierte Arbeitsteilung auf, untergräbt gewohnte Netzwerke und eingespielte Routinen – disruptiver technischer Fortschritt kann die Wirtschaft destabilisieren. Auseinandersetzungen über Segen und Fluch des Neuen wurden nicht nur verbal ausgetragen. Für manche Beobachter waren Maschinen der größte Feind gewisser Gruppen von Arbeitern und deren Familien. „Zerstört, was euch zerstört!“, lautete ein Schlachtruf der Maschinenstürmer.

Ökonomen kamen nicht umhin, sich mit dem Problem zu befassen. Der schottische Ökonom John Ramsay McCulloch entwickelte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die „Theorie der automatischen Kompensation“4. Diese leugnet nicht die Vernichtung von Arbeitsplätzen und spricht vom „Freisetzungseffekt“ infolge technischen Fortschritts, verweist aber darauf, dass hohe Profite der erfolgreich Innovierenden und sinkende Güterpreise geschwind zu einer steigenden Güternachfrage führen. Diese gebe den entlassenen Arbeitern schon bald entweder im gleichen oder in anderen Wirtschaftszweigen wieder Beschäftigung – die Rede ist vom sogenannten „Kompensationseffekt“. Kein Grund zur Aufregung also! Oder doch?

David Ricardo vertrat in der ersten Auflage seiner vor 200 Jahren veröffentlichten „Principles of Political Economy“ zunächst auch diese Theorie.5 Das Interesse der Kapitaleigner an möglichst hohen Profiten laufe letztlich auf die Verwirklichung einer hohen Beschäftigung hinaus. Aber gründliches Nachdenken veranlasste ihn 1821 in der dritten Auflage zu einem Widerruf: Nicht jede Form von technischem Fortschritt ist für alle Mitglieder der Gesellschaft von Vorteil. Einige Formen laufen den Interessen der Arbeiter zuwider. Um welche handelt es sich? Um jene, in der menschliche Arbeits- durch Maschinenkraft ersetzt wird, wobei pro Produkteinheit merklich weniger an Arbeit, aber insgesamt mehr an dauerhaftem Kapital zum Einsatz kommt. In diesem Fall steigt die gesamtwirtschaftliche Profitsumme, Lohnsumme und Beschäftigung aber sinken, wie Ricardo mit einem numerischen Beispiel zeigt. Nobelpreisträger Paul Samuelson sollte mehr als eineinhalb Jahrhunderte später schreiben: „Ricardo hatte Recht!“6

Ist Ricardos Argument auch heute noch von Interesse? Über die von ihm entfachte Diskussion lesen wir bei Schumpeter 1954, sie sei „tot und begraben“7. Er irrt. Tatsächlich war sie es nie und ist heute lebendig wie selten zuvor. Es genügt der Hinweis auf die 1983 veröffentlichte Studie von Wassily Leontief und Faye Duchin über die Auswirkungen der Automatisierung auf die Arbeiterschaft in den USA und die von Peter Kalmbach und Heinz D. Kurz 1992 für die Bundesrepublik Deutschland erstellte Studie Chips & Jobs.8 Die neue Aktualität von Ricardos Überlegungen rührt daher, dass nach Einschätzung zahlreicher Beobachter die vorherrschende Form der gegenwärtigen Welle an Fortschritten stark arbeitssparend und gesamtwirtschaftlich kapitalmehrverwendend ist, während sie in der Industrie und andernorts vielfach auch kapitalsparend ist. Bereits 1821 äußerte sich Ricardo über den Fluchtpunkt einer zügig voranschreitenden Automatisierung in geradezu seherischer Weise: „Wenn die Maschinerie alle Arbeit verrichten kann, die jetzt Menschen tun, gäbe es keine Nachfrage nach Arbeitskräften. Niemand hätte ein Anrecht zu konsumieren, der kein Kapitalist ist und sich eine Maschine kaufen oder ausleihen könnte.“9 Eine vollautomatisierte Wirtschaft überwindet zwar Schufterei, was aber macht der Vermögenslose – wie bestreitet er seinen Unterhalt und den seiner Familie?

Ein Blick auf die europäische Wirtschaftsgeschichte der letzten drei Jahrhunderte zeigt, dass nicht nur die Menge an nützlichem Wissen unaufhörlich zugenommen hat, sondern auch die Bevölkerung. Die beiden Entwicklungen hängen offenbar eng miteinander zusammen. Hätte technischer Fortschritt in der Vergangenheit zu anhaltenden Beschäftigungsproblemen geführt – das Bevölkerungswachstum in Europa seit der Industriellen Revolution wäre nicht erklärbar. Tatsächlich ist über lange Zeiträume hinweg in vielen Ländern die Beschäftigung im Trend trotz oder gerade wegen beträchtlicher technischer Fortschritte nicht nur nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Sind Ricardos Befürchtungen unbegründet? Waren selbst die Vertreter der Theorie automatischer Kompensation nicht optimistisch genug?

Ein Anstieg der Beschäftigtenzahl war nicht von einer parallelen Ausweitung des Arbeitsvolumens im gleichen Umfang begleitet, da es im fraglichen Zeitraum zu einem beachtlichen Rückgang der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden je beschäftigter Person kam. Während in Englands Fabriken um das Jahr 1800 täglich zehn bis zwölf Stunden sechs Tage die Woche gearbeitet wurden, sind dies heute nur noch etwa halb so viele, bei deutlich höheren Reallöhnen. Ricardo bestreitet auch nicht, dass es nach einem technologisch verursachten Anstieg der Arbeitslosigkeit langfristig zu wachsender Beschäftigung kommen kann. Er bestreitet jedoch, dass der Freisetzung von Arbeitskräften die Kompensation immer flugs auf dem Fuße folgt, und die Wirtschaftsgeschichte gibt ihm Recht. Bei einer schnellen Abfolge von tiefgreifenden technischen Neuerungen kann die Kompensation sogar dauerhaft der Freisetzung hinterherhinken und starke soziale und politische Spannungen erzeugen.

Dabei werden bei höherer Arbeitslosigkeit Mechanismen aktiviert, die der Tendenz nach die Spuren der Arbeitslosigkeit mehr oder weniger stark verwischen. So sind im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Menschen aus Europa ausgewandert, vorzugsweise in die USA. Ein Rückgang der Partizipationsquote – des Anteils der im Erwerbsalter befindlichen Personen, die auf dem Arbeitsmarkt in Erscheinung treten – verringert die Zahl der sichtbaren Arbeitslosen. Schließlich: Wer lange arbeitslos ist, verliert zunächst seine Fertigkeiten, nimmt nicht mehr an Lernprozessen teil, geht irgendwann seines Arbeitsvermögens verlustig und scheidet aus dem Arbeitsmarkt aus. Das Arbeitsangebot passt sich so längerfristig an die Arbeitsmarktlage an. Einem oberflächlichen Betrachter könnte sich daher fälschlich der Eindruck aufdrängen, die Wirtschaft verwirkliche laufend annähernd Vollbeschäftigung.

Die neuen Formen des technischen Fortschritts

Disruptiv ist der technische Fortschritt insbesondere dann, wenn er dem von Ricardo beschriebenen Typus entspricht und in kurzer Zeit und mit großer Wucht das gesamte System der Produktion und Konsumtion erfasst. Die von Timothy Bresnahan und Manuel Trajtenberg General Purpose Technologies (GPT)10 genannten Technologien sind durch Dreierlei gekennzeichnet: ein großes Anwendungsfeld, ein bedeutendes Potenzial für weitere Verbesserungen und ihre leichte Kombinierbarkeit mit anderen Technologien. Die mit der Digitalisierung der Produktion einhergehende Vierte Industrielle Revolution, so eine weitverbreitete Überzeugung, basiert auf mehreren General Purpose Technologies, die Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändern werden.

Technologisch fußt die Vierte Industrielle Revolution stark auf der Industrie 3.0 (Mikroprozessor, Computer, Internet) und Technologien wie cyber-physischen Systemen. Hierbei handelt es sich um IT-Netzwerke, die eine Selbstregulierung des Produktionssystems ermöglichen. Das System lernt aus der Vergangenheit, prozessiert autonom Informationen und passt sich laufend an wechselnde Verhältnisse an. Dies erhöht die Flexibilität in der Produktion und ermöglicht individualisierte Massenfertigung („mass customization“). Die Vierte Industrielle Revolution weist eine Konvergenz verschiedener Technologien und das Ineinandergreifen von physikalischer, digitaler und biologischer Sphäre auf. Das globale digitale Netzwerk bietet dabei vielfältige Gelegenheiten zu „rekombinierten Innovationen“: Neue Innovationen ergeben sich aus der Kombination alter. Bereits Adam Smith im „Wealth of Nations“11 (1776) und Schumpeter in der „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1912) hatten neues ökonomisch nutzbares Wissen als Kombination rekonfigurierter alter Wissenspartikel begriffen. Heute sind die treibenden Innovationen unter anderem physikalisch (selbststeuernde Fahrzeuge, 3D-Druck, Robotertechnologie, neue Materialien), digital (Internet der Dinge, Blockchain, technologiefähige Plattformen z.B. On-Demand-Economy) sowie biologisch (Gentechnologie, Neurotechnologie und synthetische Biologie).

Die Anwendungsmöglichkeiten werden üblicherweise mit dem schmückenden Beiwort „smart“ versehen. In der Industrie entstehen „smarte“ Fabriken, im Energiesektor „smarte“ Verteilernetze, im Verkehr „smarte“ Mobilität und Logistik, das Gesundheitssystem wird „smart“ und selbst Küchen, Wohnungen und ganze Städte werden es. Dem Menschen und seiner Kleidung implantierte Minicomputer sind an das Internet angeschlossen und erlauben unter anderem die Vorhersage von Kauf- und Konsum­akten. Jede Aktivität hinterlässt eine digitale Spur und ruft Sammler und Jäger auf den Plan, die danach trachten, ihre Beute gewinnbringend zu verwerten. Wer in der „Datenökonomie“ die Kontrolle über deren wichtigsten Rohstoff erlangt, der erlangt gewaltige wirtschaftliche, politische, kulturelle und militärische Macht. Wie aber steht es um den aktuellen Schutz der Daten und – wichtiger noch – um ihre grundsätzliche Schützbarkeit? Aktuelle Ereignisse führen uns dramatisch vor Augen, wie gefährdet unsere Zivilisation durch Cyberkriege im virtuellen Raum ist. Das World Economic Forum veröffentlichte Spekulationen über die Durchdringung der Welt mit derart viel „Smartness“ bis ins Jahr 2025. Die Robotisierung der industriellen Produktion nimmt demnach rapide zu.12

Tatsächlich ist nicht bestreitbar, dass Roboter und andere Systeme bereits in großem Umfang die Tätigkeit von Menschen übernehmen. Dies betrifft in zunehmendem Maße auch den Dienstleistungssektor. So werden in Singapur Taxifahrer durch die fahrerlosen Taxiservices Delphi und nuTonomy ersetzt und Restaurantzubringerdienste fallen selbstfahrenden Kleinfahrzeugen der Firma Doordash zum Opfer. Google Home und Amazon Echo Dot ersetzen zum Teil Haushaltshilfen. Zahlreiche weitere Beispiele könnten angefügt werden. Viele der grundsätzlich betroffenen Dienstleistungen werden indes voraussichtlich nicht gänzlich von Maschinen ersetzt werden, obgleich dies technisch möglich wäre, da die Nutzer den persönlichen Kontakt nicht missen wollen, so insbesondere in der Pflege, dem Unterricht und in der Medizin.

Die erzeugte und verarbeitete digitale Datenmenge, ausgedrückt in Zettabytes (= 10007 Bytes = 1 Trillion Bytes), ist längst ins Astronomische gestiegen. Nach Auffassung der Berkeley School of Information hat die Menschheit seit der Verwendung von Computern zu Beginn der 1970er Jahre etwa 85 mal so viele digitale Daten prozessiert, wie in der gesamten Geschichte davor analoge Daten.13 So betrachtet geschah in der Menschheitsgeschichte bis vor kurzem fast gar nichts und danach fast alles. Der Economist schrieb jüngst, Daten hätten das Öl als wertvollste Ressource abgelöst.14

Technischer Fortschritt löst Probleme und verursacht neue

Technischer Fortschritt trägt zur Lösung von Problemen bei, erzeugt dabei indes häufig neue, die sich oft erst sehr viel später zeigen. Dies verlangt nach weiteren Fortschritten, die zu weiteren Problemen führen usw.:

  • In der Industrie erhöht sich die materialseitige Effizienz, und die Menge der je Produkteinheit anfallenden Schadstoffe verringert sich. Zugleich kommt es zu höheren Nutzungsraten des Produktionsapparats und damit gegebenenfalls zu steigenden Emissionen, insbesondere in der chemischen und der elektronischen Industrie.
  • In der Landwirtschaft erlaubt die synthetische Biologie die Erzeugung von Biotreibstoffen, Drohnen ermöglichen den effizienteren Einsatz von Wasser und Dünger und das Monitoring von Katastrophenrisiken verbessert sich. Parallel hierzu verringert sich die Biodiversität und erhöht sich die Pestizidresistenz.
  • Die Materialwissenschaften entdecken die nützlichen Eigenschaften von Stoffen und steigern die Wiederverwendbarkeit von Materialien (z.B. von duroplastischen Kunststoffen). Zugleich gibt es zunehmend mehr Abfallprodukte.
  • Der Einsatz energiesparender Methoden in Produktion und Konsum führt nicht zu einer langsameren Ausbeutung erschöpfbarer Ressourcen (Öl, Erdgas, Mineralien), sondern beschleunigt sie, wie bereits William Stanley Jevons 1865 in Bezug auf den Kohleverbrauch in England feststellte (Jevons Paradoxon).15 Nicht zuletzt der Klimawandel bewegt ernstzunehmende Wissenschaftler wie Stephen Hawking zur Spekulation, die Erde werde innerhalb der nächsten einhundert Jahre unbewohnbar.

Not macht erfinderisch, lautet ein Sprichwort. Aber macht sie auch erfinderisch genug?

Jenseits des Endzeitszenarios, über das man nur mehr oder weniger gewagte Spekulationen anstellen kann, interessieren vor allem die Beschäftigungs- und Verteilungseffekte des aktuellen technischen Wandels. Auf der Grundlage von Befragungen gehen Carl Benedict Frey und Michael A. Osborne davon aus, dass bis zu 47% der Arbeitsplätze in den USA durch die Automatisierung gefährdet sind.16 Vergleichbare Studien für europäische Länder, darunter Deutschland und Österreich, kommen zum Teil zu noch höheren Prozentsätzen. Kritiker wie Gunther Tichy wenden zu Recht ein, dass nur gewisse Tätigkeiten innerhalb bestimmter Berufe gefährdet seien.17 Die auf Tätigkeiten abstellenden Schätzungen sehen ein geringeres Potenzial an Gefährdungen in Höhe von 15% bis 30%. Manche Tätigkeiten werden ganz entfallen, andere von Maschinen übernommen und neue Tätigkeiten werden hinzukommen. Das Aufgabenprofil zahlreicher Berufe wird sich merklich ändern und verlangt von den Beschäftigten Anpassungs- und Lernleistungen. Während hinsichtlich des Ausmaßes der Nettofreisetzungseffekte von Berufen und Tätigkeiten sehr unterschiedliche Auffassungen existieren, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass besonders die Bezieher geringer und mittlerer Einkommen im Dienstleistungsbereich, in Handel, Transportwesen und Produktion betroffen sind, die Routinetätigkeiten durchführen. Dies wird sich auch negativ auf die dortige Lohnentwicklung auswirken. Berufe, die Kreativität und soziale Intelligenz verlangen, sind weit weniger gefährdet.

Zu den möglichen Arbeitsplatzverlusten durch neue Technologien folgende Bemerkungen:

  1. Da die Vierte Industrielle Revolution auf einem wachsenden und sich weiter entwickelnden Satz von neuen Technologien basiert, kann es sich bei den genannten Gefährdungspotenzialen nur um Momentaufnahmen handeln. Im Lauf der Zeit werden rekombinierte Innovationen weitere, zunächst noch für automatisierungsresistent gehaltene Berufe und Tätigkeiten erfassen. Auf ganz lange Sicht ist kaum ein Arbeitsplatz in seiner jetzigen Ausgestaltung sicher. Aber für uns hier und heute ist von Bedeutung, was in näherer Zukunft passiert.
  2. Die genannten Prozentzahlen beziehen sich auf die technischen Möglichkeiten neuer Maschinen. Aber schon Ricardo beharrte darauf, dass nicht alles technisch Mögliche auch profitabel ist. Wirtschaftlich relevant sind nur jene Erfindungen, die, mit Schumpeter gesagt, den Markttest bestehen, zu Innovationen werden und ökonomisches Gewicht erlangen. Zahlreiche Erfindungen schaffen zwar den Weg in die Patentämter, aber nicht aus ihnen heraus.
  3. Konkurrenz erzwingt kostenminimierendes Verhalten. Die erhebliche Verteuerung gewisser Qualitäten von Arbeit (sogenannte Lohnspreizung) liefert einen starken Anreiz, diese einzusparen. An welche Grenzen die Entwicklung von künstlicher Intelligenz stoßen wird, wissen wir nicht. Es gibt jedoch Grund zur Annahme, dass die Ausrichtung des technischen Fortschritts auch das Hochlohnsegment nicht verschonen wird.
  4. Zahlen, wie viele Arbeitsplätze insgesamt betroffen sein werden, sind nur von sehr begrenztem Interesse, weil sie nichts über das zeitliche Profil des erwarteten Freisetzungsprozesses aussagen. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung hinsichtlich dessen gesellschaftlicher Verarbeitung, wie schnell es zu Freisetzungen kommt und wie groß diese sind. Eine schnelle Diffusion stark arbeitssparender Technologien setzt die Gesellschaft und das politische System einem merklichen Stresstest aus, der eine Legitimationskrise nach sich ziehen kann. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, in welchem Umfeld die Freisetzungseffekte erfolgen werden, welche Arbeitsplätze betroffen sind und wie gut deren Inhaber ihre Interessen vertreten können.
  5. Neue Technologien vernichten nicht nur Arbeitsplätze, sie schaffen auch neue. Zwar benötigt die Erzeugung der mit den neuen Technologien eingeschleusten Produktionsmittel weniger Arbeit als durch ihre Anwendung überflüssig wird. Aber um eine Vorstellung vom Nettoeffekt aus Freisetzung und Kompensation zu erhalten, muss man auch eine Vorstellung über die zu erwartenden beschäftigungsschaffenden Folgen des technischen Fortschritts haben. Gefordert ist eine Gegenüberstellung der erwarteten Zeitprofile der Freisetzungen einerseits und der Kompensationen andererseits. Wer heute seinen Arbeitsplatz verliert, wird dies beklagen und gegebenenfalls politisch aktiv werden. Wer in Zukunft einen durch den technischen Wandel zustande kommenden neuen Arbeitsplatz erhält, weiß dies heute nicht und wird folglich auch nicht zugunsten des technischen Wandels auf den Plan treten. Dies verringert tendenziell die Diffusionsgeschwindigkeit von Innovationen.
  6. Hinsichtlich der Kompensationseffekte ist von Bedeutung, inwieweit es neben Verfahrensinnovationen – die die Produktivität in der Erzeugung bekannter Produkte steigern – zu Produktinnovationen kommt – die zu neuen Märkten und zusätzlicher Nachfrage sowie Beschäftigung führen. Da laut Studien unter anderem von Simon Kuznets bezüglich so gut wie aller Güter Sättigungsniveaus existieren, setzt ein langfristiges Wachstum der Nachfrage die Einführung neuer Gütertypen voraus.18 (Neue Produkte, die nur bereits bekannte ersetzen, sind hier nicht gemeint, denn sie schaffen netto kaum zusätzliche Beschäftigung.) Kann damit gerechnet werden, dass die Vierte Industrielle Revolution in ausreichendem Umfang Produktinnovationen mit sich bringt? Wachstumsforscher wie Robert J. Gordon sind diesbezüglich höchst skeptisch. Robotik usw. führen seiner Auffassung nach nur zu schwachen Erhöhungen der Produktivität, bringen nur unwesentliche Produkt­innovationen mit sich und führen damit nur zu geringen Steigerungen des Lebensstandards.19 Er rechnet daher mit einer anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation. Joel Mokyr widerspricht vehement: Die „Kultur des Wachstums“ kennt zwar Wachstumszyklen, aber kein Versiegen des Wachstums. Angesichts hoher absoluter und relativer Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Innovationen von Unternehmungen und öffentlicher Hand ist der These eines ausbleibenden Erfindungsreichtums, wie sie unter anderem Edmund Phelps vertritt, mit Skepsis zu begegnen.20 Nicht zu bestreiten ist jedoch, dass das Verhältnis von tendenziell die Beschäftigung verringernden Verfahrensinnovationen und sie eher erhöhenden Produktinnovationen eine bedeutende Rolle für Wachstum und Beschäftigung spielt.
  7. Wir sehen nur das, was wir mit den heutigen statistischen Erhebungs- und Messverfahren erfassen. Diese sind in der Vergangenheit entwickelt und zwar immer wieder an sich ändernde Verhältnisse angepasst worden, aber zahlreiche – nicht alle – Kommentatoren bezweifeln, dass sie die heutige – ganz zu schweigen von der zukünftigen – Wirklichkeit gut abzubilden imstande sind. Wie misst man Produktivität oder Konsum in einer digitalisierten Welt? Während in einer Welt von Getreide, Kohle und Eisen die Dinge noch relativ einfach lagen, tun sie dies im Zeitalter von Bits and Bytes nicht mehr. Da das, was wir sehen, sich darauf auswirkt, was wir glauben wirtschaftspolitisch tun zu sollen, ist die Art der Wahrnehmung der neuen Realität von großer Wichtigkeit für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bedeutung der Verbesserung unserer Messinstrumente ist kaum zu unterschätzen, denn sie sind die Grundlage der Diagnostik und der hierauf aufbauenden Therapie.
  8. Da sich Qualität und Tätigkeitsmerkmale der geleisteten Arbeiten verändern, genügt es nicht, nur die Entwicklung der Gesamtbeschäftigung im Blick zu haben – auch deren Zusammensetzung muss beachtet werden. Bei einem sich laufend ändernden Anforderungsprofil ist der Ausbildungssektor gefordert, die verlangten Qualifikationen bereitzustellen. Gelingt dies nicht, verlangsamt sich die Durchsetzung des technisch Neuen. Dies hat, wie bereits Ricardo betonte, Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit gewisser Firmen und ganzer Branchen eines Landes, bei einer General Purpose Technology sogar auf große Teile der Wirtschaft. Es geht dabei in erster Linie nicht um eine allgemeine „Höherqualifizierung“ von Arbeitskräften – tatsächlich sind bereits jetzt zahlreiche Arbeitskräfte, die einfache Routinetätigkeiten ausführen, überqualifiziert. Vielmehr geht es um eine größere Konkordanz zwischen Qualifikationsanforderungen einerseits und -verfügbarkeit andererseits. Wegen der Zunahme des Bedarfs an digitalen Kompetenzen ist in allen Aus-, Weiterbildungs- und Umschulungsstätten ein entsprechendes Angebot vonnöten.
  9. Universitäten, Fachhochschulen, sonstige Ausbildungsstätten und Forschungseinrichtungen sind in keiner rein passiven Rolle, sondern nehmen Einfluss auf Breite, Tiefe, Geschwindigkeit und Richtung des Stroms an Erfindungen und deren ökonomischer Verarbeitung. Sie bestimmen damit mit dem privaten Sektor zusammen das Reservoir, aus dem heraus Innovationen geschöpft werden können. Man spricht auch von gerichtetem technischen Fortschritt. Die Entwicklungen von privatem und öffentlichem Sektor sind eng miteinander verzahnt. Auf die Art ihrer Koevolution kommt es an. Wie bereits Schumpeter und neuerdings Mariana Mazzucato betonen, ist Entrepreneurship nicht nur in der Privatwirtschaft anzutreffen.21 Sie findet sich mehr oder weniger stark auch im öffentlichen Sektor und in der Politik. Beispiele wie Chinas Projekt der „Neuen Seidenstraße“ (One Belt, One Road) belegen dies eindrucksvoll.

Anforderungen an die Wirtschaftspolitik

Wer in ein neues Zeitalter eintritt, tut gut daran, sich gegen erkennbare Gefahren zu wappnen und sein wirtschaftspolitisches Instrumentarium vorsorglich aufzustocken. Eine entscheidende Frage wird sein, ob Gesellschaft und Politik sich als lernfähig erweisen und obsolete Glaubenshaltungen abstreifen. Im Folgenden werden einige institutionelle, infrastruktur- und innovationspolitische sowie beschäftigungs- und steuerpolitische Maßnahmen kurz angesprochen.

Obzwar künftig auch höherqualifizierte Tätigkeiten von der Automatisierung betroffen sein werden, spricht immer noch „brain, not brawn“ (Verstand, nicht Muskeln) für beruflichen Erfolg, so Paul Romer, derzeit Chefökonom der Weltbank.22 Da nur lebenslanges Lernen den kontinuierlichen Erwerb der sich ändernden digitalen Qualifikationen ermöglicht, kommt es verstärkt auf das Erlernen des Lernens und die Entwicklung von Lösungs- und Sozialkompetenz an. Konkrete Inhalte des Gelernten unterliegen gegebenenfalls geschwinder Veraltung, das Lernen und die Kreativität selbst sowie die Fähigkeit zur Kooperation jedoch nicht. Ein auf bloßes Pauken und Auswendiglernen trimmendes Schulsystem wird die Herausforderung nur schlecht bestehen, eines, in dem das Erkennen und Lösen von Problemen im Mittelpunkt stehen, besser. Motivation, Neugierde, Einfallsreichtum und Fähigkeit zur Zusammenarbeit gilt es zu wecken und zu fördern, die Ausbildung in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu vertiefen. Die Aus-, Weiterbildungs- und Umschulungsangebote sind entsprechend umzugestalten.23 Dies ist eine beachtliche Aufgabe und trifft auf den Widerstand der Bewahrer des Status quo, die ihre Monopolrenten sichern wollen, aber die Chancen anderer beschneiden.

Ein Ausbau der digitalen Infrastruktur ist voranzutreiben. Dazu gehört unter anderem die Bereitstellung eines Breitband-Internetzugangs. Die Investitionen in den universitären und außeruniversitären Forschungssektor sind zu erhöhen. Schon Adam Smith sprach im „Wealth of Nations“ davon, dass der Reichtum eines Landes von der in ihm zur Anwendung kommenden „quantity of science“ abhängt – zweihundert Jahre vor dem Aufkommen des Begriffs der „Wissensgesellschaft“ –, und die Geschichte hat ihm Recht gegeben.24

Die benötigten umfänglichen Investitionen sind nicht nur aus Steuern finanzierbar. Gegen die staatliche Kreditaufnahme regt sich indes sofort mächtiger Widerstand mit dem Argument, der Staat dürfe keine Schulden machen und zukünftige Generationen belasten. Hiergegen ist Folgendes zu sagen: Wenn die aufgenommenen Kredite, wie vorgeschlagen, zur Verbesserung der Infrastruktur und des Humankapitals verwendet werden, erhöht sich das Sozialkapital der Gesellschaft. Die getätigten Ausgaben schaffen Vermögenswerte (anders als die höchst kostspielige Bankensanierung, die keine oder kaum Produktivitätseffekte hatte, aber die Verschuldung der öffentlichen Hand massiv in die Höhe getrieben hat). Die Frage ist dann nur, ob die mittels dieser Investitionen ermöglichte Erhöhung der Produktivität mehr an Ertrag abwirft als die Kosten des Kredits. Bei den aktuell sehr niedrigen Zinssätzen gibt es starke Argumente dafür, dass dies tatsächlich der Fall ist. Kreditfinanzierte Investitionen in die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft rechnen sich – entgegen der weitverbreiteten impliziten Saga von ihrer Schädlichkeit. Wer behauptet, es sei ökonomisch vorteilhaft, derartige Investitionen zu unterlassen, irrt, und zukünftige Generationen werden die Folgen des Irrtums in Gestalt einer veralteten Infrastruktur und verringerter Konkurrenzfähigkeit zu ertragen haben.

Wenn sich in einer automatisierenden Wirtschaft, wie Ricardo betonte, die Verteilungsfrage immer mehr zuspitzt, sollten frühestmöglich Maßnahmen ergriffen werden, ihr zu begegnen, um die Gefahr der Zerstörung der sozialen Kohäsion abzuwenden. Systeme der Beteiligung der Mitarbeiter an Kapital und Gewinn der Unternehmen sind zu entwickeln und zu fördern, damit die Zahl der Vermögenslosen eingeschränkt wird. Der kürzlich verstorbene Verteilungsforscher Anthony Atkinson hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, um dem drohenden weiteren Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheit vorzubeugen, darunter ein unter gewissen Voraussetzungen zu gewährendes „Grundeinkommen“ (bzw. eine negative Einkommensteuer).25

Verschiedentlich ist die Idee einer Steuer auf Roboter („Maschinensteuer“) ins Spiel gebracht worden. Jüngst haben sich unter anderem Bill Gates und Robert Shiller für sie mit dem Argument ausgesprochen, dass sie die mit den neuen Technologien verbundenen Gewinne und Verluste gleichmäßiger zu verteilen gestattet. Sie kann die Verbreitungsgeschwindigkeit von Robotern verringern und die eingehobenen Mittel können dazu verwendet werden, um Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, die Wiedereingliederung ins Beschäftigungssystem zu erleichtern. Um merkliche Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, kommt jedoch wohl nur ein mäßiger Steuersatz infrage. Eine Verringerung der sehr hohen Abgabenbelastung der Arbeit im Verhältnis zum Kapital würde tendenziell in die gleiche Richtung wirken und ist zu forcieren.

Sollte der technologische Wandel abrupt zu starken Beschäftigungseinbrüchen führen, weil die mit ihm verbundenen Freisetzungseffekte sofort eintreten, während die Kompensationseffekte auf sich warten lassen oder gar ausbleiben, dann muss eine aktive Stabilisierungspolitik versuchen, die Schäden zu begrenzen. Die zum Teil in den Verfassungsrang erhobene Verpflichtung zu einem ausgeglichenen öffentlichen Haushalt hat bereits in der jüngsten Krise den Test auf ihre Vernünftigkeit hin nicht bestanden und würde im geschilderten Fall ein gewichtiges Hindernis für eine erfolgreiche Gegensteuerung darstellen. Ein möglicherweise in Gang gesetzter Teufelskreis von Freisetzung, sinkender effektiver Nachfrage, weiter sinkender Beschäftigung usw. ist unbedingt durch Fiskal- und Arbeitsmarktpolitik zu verhindern.

Sollten die Freisetzungseffekte über längere Zeit hinweg dominieren, dann muss zu einem probaten Mittel gegriffen werden, das in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat: die Verringerung der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Person.

Schlussbemerkung

Was die Zukunft bringt, hängt auch davon ab, ob es gelingt, sie klug mitzugestalten. Die Vierte Industrielle Revolution birgt große Chancen, aber auch große Risiken. Sie fordert nicht nur unsere Intelligenz heraus, sondern auch unsere Fähigkeit zur Empathie. Sie stellt aufs Neue die uralte Frage nach dem „guten Leben“. Wird es uns gelingen, die Chancen zu nutzen und die Risiken zu vermeiden oder wenigstens abzumildern? Wird es gelingen, die soziale Sprengkraft der neuen Technologien zu bändigen, eine weitere Polarisierung der Gesellschaft zu verhindern?

In seinem 1930 veröffentlichten Essay „Wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder“ spricht John Maynard Keynes ein Problem an, das uns auch heute bewegt: „Wir leiden nicht an altersbedingtem Rheuma, sondern an den Wachstumsschmerzen überschneller Veränderungen, der Schmerzhaftigkeit des Übergangs von einer wirtschaftlichen Periode zu einer anderen. Der Anstieg der technischen Effizienz ist schneller erfolgt als wir mit dem Problem der Absorption von Arbeit umgehen können ...“26. Gelingt es nicht, das Problem der Absorption von Arbeit zu lösen, dann kommt die Gesellschaft ins Trudeln. Wenn viele Menschen keine Arbeit mehr finden, um sich und ihre Familien zu unterhalten, so hat dies bedrohliche Konsequenzen. Unser Selbstwertgefühl hängt stark davon ab, ob wir den Eindruck haben, gebraucht zu werden und nützlich zu sein. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, leidet unter diesem Verlust und läuft Gefahr, seinen Platz in der Gesellschaft zu verlieren. Wenn dies vielen Menschen widerfährt, steht das Gedeihen der Gesellschaft insgesamt auf dem Spiel.

Dieser Beitrag stützt sich auf das vom Autor geleitete Projekt zum Thema „How ‘Smart Machines’ Transform the Austrian Economy. A Systemic Approach to the Economic Opportunities and Risks of New Technologies“, das vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF P 30434-G27) finanziert wird. Der Autor dankt Rita Strohmaier für nützliche Hinweise und Anregungen.

  • 1 Vgl. J. Mokyr: A Culture of Growth. The Origins of the Modern Economy, The Graz Schumpeter Lectures, Princeton, Oxford 2017.
  • 2 So Schumpeter wörtlich in: J. A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1946, aber der Sache nach bereits in: ders.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1912.
  • 3 Über die Behandlung des technischen Fortschritts und seiner Effekte in der klassischen Ökonomik und bei Schumpeter informiert unter anderem H. D. Kurz: Technical progress and the diffusion of innovations: Classical and Schumpeterian perspectives, in: Frontiers of Economics in China, 12. Jg. (2017), H. 3, S. 418-449.
  • 4 J. R. McCulloch: The opinions of Messrs Say, Sismondi, and Malthus, on the effects of machinery and accumulation, stated and examined, in: Edinburgh Review, März 1821, S. 102-123.
  • 5 D. Ricardo: On the Principles of Political Economy, and Taxation, London 1817, in: P. Sraffa (Hrsg.), M. H. Dobb: The Works and Correspondence of David Ricardo, 3. Aufl. 1821, Bd. I, Cambridge 1951.
  • 6 P. A. Samuelson: Ricardo was right!, in: Scandinavian Journal of Economics, 91. Jg. (1989), H. 1, S. 47-62.
  • 7 J. A. Schumpeter: History of Economic Analysis, London 1954, S. 684.
  • 8 W. Leontief, F. Duchin: The Future Impact of Automation on Workers, Oxford, New York 1986; P. Kalmbach, H. D. Kurz: Chips & Jobs. Zu den Beschäftigungswirkungen programmgesteuerter Arbeitsmittel, Marburg 1992.
  • 9 So Ricardo in einem Brief an McCulloch vom 30.6.1821; vgl. P. Sraffa (Hrsg.): The Works and Correspondence of David Ricardo, Bd. VIII (1819-1821), Indianapolis 2005, S. 399-400; Zitat: Übersetzung des Autors.
  • 10 T. F. Bresnahan, M. Trajtenberg: General purpose technologies: engines of growth?, in: Journal of Econometrics, 65. Jg. (1995), H. 1, S. 83-108.
  • 11 A. Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 2 Bände, erstmals veröffentlicht 1776, in: R. H. Campbell, A. S. Skinner (Hrsg.): The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Oxford 1976.
  • 12 Vgl. World Economic Forum: Global Information Technology Report, 2016; und International Federation of Robotics (IFR): World Robotics Report, 2017. Worauf der US-Finanzminister Steven Mnuchin kürzlich seine Aussage stützt, US-amerikanische Arbeitsplätze würden erst in 50 bis 100 Jahren von Robotern und künstlicher Intelligenz gefährdet, ist rätselhaft.
  • 13 Vgl. L. Floridi: The Fourth Industrial Revolution, Oxford 2014.
  • 14 The Economist vom 6.5.2017.
  • 15 W. S. Jevons: The Coal Question, 1865, Wiederabdruck der dritten, revidierten Auflage, New York 1965, S. 140.
  • 16 C. B. Frey, M. A. Osborne: The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs to Computerisation, University of Oxford, 2013.
  • 17 Vgl. G. Tichy: Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?, in: WIFO-Monatsberichte, 89. Jg. (2016), H. 12, S. 853-871.
  • 18 Vgl. S. Kuznets: Modern Economic Growth: Rate, Structure, and Spread, New Haven, Conneticut 1966.
  • 19 Vgl. R. J. Gordon: The Rise and Fall of American Growth: The U.S. Standard of Living Since the Civil War, Princeton 2016.
  • 20 Vgl. E. Phelps: What is wrong with the West’s economies?, in: New York Review of Books, 13.8.2015, 62. Jg. (2015), H. 13; Wiederabdruck in: Homo Oeconomicus, 33. Jg. (2016) H. 3, S. 3-10; sowie den Kommentar von H. D. Kurz: Which economics? Which economies? A comment, in: Homo Oeconomicus, 33. Jg. (2016), H. 4, S. 297-310. Vgl. hierzu auch das Zeitgespräch „Schwaches Produktivitätswachstum – zyklisches oder strukturelles Problem?“ mit Beiträgen von E. Weber, S. Elstner, C. M. Schmidt, U. Fritsche, P. C. Harms, H. Krämer, M. Saam sowie J. Hartwig, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 2, S. 83-102.
  • 21 Vgl. M. Mazzucato: The Entrepreneurial State. Debunking Public vs. Private Sector Myths, London 2014.
  • 22 Vgl. P. Romer: The mother of invention, in: The New Age of Discovery, TIME Spezialheft 1997, S. 132.
  • 23 Vgl. hierzu auch M. I. Wolter, A. Mönnig, M. Hummel, E. Weber, G. Zika, R. Helmrich, T. Maier, C. Neuber-Poh: Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie – Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen, IAB-Forschungsbericht, Nr. 13/2016; sowie E. Weber: Digitalisierung als Herausforderung für eine Weiterbildungspolitik, in: Wirtschaftsdienst 97. Jg. (2017), H. 5, S. 372-374, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2017/5/digitalisierung-als-herausforderung-fuer-eine-weiterbildungspolitik/ (6.11.2017).
  • 24 Vgl. A. Smith: Wealth of Nations, 1976, Bd I, S. 22.
  • 25 Vgl. A. Atkinson: Inequality. What Can Be Done?, Cambridge MA, 2016. Eine kritische Sicht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen findet sich bei T. Petersen: Makroökonomische Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 9, S. 2-8.
  • 26 J. M. Keynes: Economic possibilities of our grandchildren, ursprünglich erschienen in: Nation and Athenaeum, 1930. Wiederabdruck in Bd. IX der Collected Writings of John Maynard Keynes, London, Basingstoke 1972, S. 321. Übersetzung des Autors.

Title:At the Treshold of the “Fourth Industrial Revolution”

Abstract:The paper discusses some of the probable effects of what is sometimes called the “Fourth Industrial Revolution”, which is based on cyber­physical systems and the internet of things. The attention focuses on the impact of these changes on the volume and composition of employment and the distribution of income. Some measures to ward off or mitigate socially harmful consequences of the new waves of technological change are discussed.


DOI: 10.1007/s10273-017-2215-1

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