Die EU-Kommission rückt im Rahmen ihrer Binnenmarktstrategie auch die unterschiedlichen nationalen Berufsreglementierungen im Bereich der freien Berufe in den Fokus. Mit Hilfe von Kennzahlen und Indikatoren sollen dabei geeignete Regulierungsansätze identifiziert werden. Dieser Beitrag zeigt am Beispiel der Regulierungsdebatte um den Architektenberuf, dass die dabei verwendeten Indikatoren kaum geeignet sind, durch Regulierung verursachte Wettbewerbshindernisse zu identifizieren.
Die EU-Kommission legt aktuell im Rahmen ihres Mandats zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes einen Schwerpunkt auf die Vertiefung der Binnenmarktbeziehungen bei Dienstleistungen. Unter anderem soll durch eine weitere Harmonisierung der sogenannten reglementierten Berufe die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung vereinfacht und der Wettbewerb in diesem Bereich intensiviert werden.1
Der Begriff des reglementierten Berufs entstammt der Berufsanerkennungsrichtlinie und bezeichnet eine „berufliche Tätigkeit, [...] bei der die Aufnahme oder Ausübung [...] direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist“2. Hierzu zählt unter anderem auch der Beruf des Architekten. Im Bereich der Architekturdienstleistungen wollen alle Mitgliedstaaten eine Mindestqualität durch regulative Markteingriffe sicherstellen. Insbesondere die Gebäudesicherheit und der Verbraucherschutz werden als relevante Zielgrößen genannt.3 Die Regulierungsinstrumente unterscheiden sich jedoch deutlich: Während die Staaten in Kontinentaleuropa vor allem auf ein Kammersystem und eine Berufsaufsicht in berufsständischer Selbstverwaltung setzen, haben andere Mitgliedstaaten mehr Elemente direkter staatlicher Kontrolle verankert. Ergänzt wird die Regulierung in allen Mitgliedstaaten durch Haftungsregeln, aus denen sich direkt oder indirekt die Notwendigkeit zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ergibt.
Nach Einschätzung der EU-Kommission können solche Berufsregelungen den Binnenmarkt für Dienstleistungen behindern. Die EU-Kommission drängt daher auf eine stärkere Koordinierung der einschlägigen Vorschriften in den Mitgliedstaaten. Dafür führt sie ein Verfahren zur gegenseitigen Evaluation reglementierter Berufe durch. Überprüft wird, ob die Berufszugangsregeln nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und dabei verhältnismäßig sind.4
Bewertung der Regulierungsansätze mit Hilfe von Indikatoren
Nach Abschluss der gegenseitigen Evaluation hat die EU-Kommission unter anderem für den Architektenberuf einen Berufsbericht veröffentlicht.5 In diesem Bericht führt sie unterschiedliche Indikatoren wie z.B. Kennzahlen zum Betriebsüberschuss und zur Unternehmensgröße oder einen Regulierungsindikator der OECD an, um daraus auf die Wettbewerbswirkung unterschiedlicher Regulierungsansätze zu schließen. So sollen unverhältnismäßig hohe Marktzutrittsschranken in den Mitgliedstaaten identifiziert werden.
Abbildung 1
Durchschnittliche Mitarbeiterzahl in den Architekturbüros in den EU15-Mitgliedstaaten, 2011
Abkürzungen: AT = Österreich, BE = Belgien, DE = Deutschland, DK = Dänemark, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, GB = Großbritannien, GR = Griechenland, IT = Italien, LU = Luxemburg, NL = Niederlande, PT = Portugal, SE = Schweden.
Anmerkung: vereinfachte Darstellung (reduzierte Zahl an Mitgliedstaaten auf die Gruppe der EU15, keine Daten für IR = Irland, zur besseren Lesbarkeit) der Abbildung „Average number of persons employed per enterprise, 2011“.
Quelle: Zwischenbericht der EU-Kommission zur Evaluierung der Berufsregeln im Architekturbereich, S. 3, http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/13382/attachments/1/translations/en/renditions/native (6.7.2017).
Aus ökonomischer Perspektive sollte ein wettbewerbsfreundliches Marktumfeld sowohl Vorteile für Konsumenten als auch für Unternehmen bieten, die Architekturdienstleistungen einkaufen – zumindest solange, wie ein verstärkter Wettbewerb die Mindestqualitätsanforderungen nicht verletzt. Fraglich ist jedoch, inwieweit diese Kennzahlen überhaupt als Belege für den Zusammenhang zwischen Regulierung und Wettbewerbsintensität in den Mitgliedstaaten herangezogen werden können. Im Folgenden werden drei Indikatoren und die damit verbundenen Implikationen näher betrachtet.6
(1) Indikator: Unternehmensgröße
Die Mitarbeiterzahl eines durchschnittlichen Architekturbüros in den Mitgliedstaaten variiert deutlich. Während in Italien oder Belgien die meisten Büros von nur einer Person betrieben werden, ist die Mitarbeiterzahl in anderen Mitgliedstaaten drei- bis fünfmal so hoch (vgl. Abbildung 1). Diese Beobachtung wird damit erklärt, dass wettbewerbshemmende Regulierungsansätze den Anreiz zur Hebung von Größenvorteilen und der Realisierung der damit verbundenen Kostensenkungen minderte. In der Folge wiesen daher die Unternehmen in diesen Ländern eine geringere Mitarbeiterzahl auf.
Allerdings kann die Beobachtung der durchschnittlichen Mitarbeiterzahl allein noch kein belastbarer Indikator für ausbleibende Anpassungsprozesse bzw. Ineffizienzen in einem spezifischen Sektor sein. In der ökonomischen Theorie gibt es kein externes Kriterium und damit kein Vergleichsmaß für eine optimale Unternehmensgröße. Diese ergibt sich vielmehr kontextbezogen und hängt nicht nur von der Regulierung, sondern auch von den Anforderungen der Konsumenten sowie den Möglichkeiten und Grenzen zur Auslagerung von Produktionsschritten durch den Zukauf geeigneter Vorleistungen ab.
Der Anteil an zugekauften Vorleistungen variiert stark zwischen den Mitgliedstaaten (vgl. Abbildung 2). Von Architekten eingekaufte Vorleistungen können beispielsweise erforderliche Gutachten zu einem geplanten Objekt sein. In vielen Fällen fällt ein überdurchschnittlicher Bezug von Vorleistungen mit einer kleineren Unternehmensgröße zusammen (z.B. in Belgien und Spanien, aber auch in Portugal). Analog dazu geht ein unterdurchschnittlicher Bezug von Vorleistungen oftmals mit relativ großen Unternehmen einher (z.B. Großbritannien, skandinavische Länder, Niederlande und Deutschland). In den zuletzt genannten Mitgliedstaaten wird die größere Belegschaft offenbar zumindest in Teilen dafür genutzt, einen höheren Leistungsanteil unternehmensintern zu erstellen. Die Unterschiede beim Bezug von Vorleistungen liefern aber nur in Teilen einen Erklärungsansatz für die variierenden durchschnittlichen Unternehmensgrößen. Vor allem Italien fällt hier aus der Reihe. Italienische Architekturbüros beziehen kaum Vorleistungen, gehören im Vergleich aber dennoch zu den kleinsten in Europa.
Allerdings erlaubt auch diese Beobachtung noch keinen zwingenden logischen Rückschluss auf eine wettbewerbshinderliche Regulierung. Zunächst ist zu bedenken, dass die Präferenzen der Konsumenten ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die beobachtbare Unternehmensgröße haben können. Beispielsweise könnte die Mehrzahl der Konsumenten in einigen Mitgliedstaaten eine Präferenz für individuelle Lösungen und Beratung vor Ort haben. Unter Umständen kann eine solche Nachfrage gerade mit kleineren lokalen Büros in geeigneter Form bedient werden.
Abbildung 2
Eingekaufte Vorleistungen in den Architektursektoren der EU15-Mitgliedstaaten, 2014
Länderkürzel vgl. Abbildung 1.
Quelle: Annual detailed enterprise statistics for services (NACE Rev. 2 H-N and S95); eigene Berechnung und Darstellung.
Anstelle bloßer Marktergebnisse sollte vielmehr der Prozess betrachtet werden, der zu einem beobachtbaren Ergebnis wie der Unternehmensgröße führt. Sofern keine spezifischen Regulierungen eine bestimmte Unternehmensgröße systematisch bevorzugen, gibt es kein plausibles Argument, warum eine bestimmte Unternehmensgröße nicht das Ergebnis einer Anpassung an Nachfragebedürfnisse sowie einer betriebsinternen Abwägung von Risiken und Vorteilen von Outsourcing-Prozessen sein soll.
Solche spezifischen Regulierungen könnten z.B. ein Verbot interprofessionaler Zusammenarbeit sein, die eine Zusammenarbeit von Architekten mit anderen Freiberuflern innerhalb eines Unternehmens verhindern. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit wäre die Kooperation zwischen Architekten und Rechtsanwälten innerhalb einer Unternehmung, um spezialisiert Fälle im Bereich der Baumängelhaftung zu regeln. Ein anderes Beispiel wäre eine bindende Gebührenordnung, die es größeren Unternehmen nicht uneingeschränkt erlauben würde, einen Teil möglicher Kosteneinsparungen in Form von niedrigeren Preisen an die Nachfrager weiterzugeben. In den meisten Mitgliedstaaten (so auch in Italien) gibt es jedoch keine derartigen Beschränkungen, die Einfluss auf die variierenden Unternehmensgrößen haben könnten. Mit dem bloßen Verweis auf unterschiedliche Unternehmensgrößen lässt sich daher noch kein geeigneter Regulierungsrahmen identifizieren.
(2) Indikator: Betriebsüberschuss
Während der Betriebsüberschuss in einigen Mitgliedstaaten nach Abzug von Lohnkosten und Aufwendungen für Vorprodukte deutlich weniger als der EU-Durchschnitt von 29% am Gesamtumsatz beträgt, fällt er in anderen Mitgliedsstaaten erheblich höher aus (vgl. Abbildung 3). Im Berufsbericht der EU-Kommission wird zudem darauf verwiesen, dass der Betriebsüberschuss im Architektursektor im Vergleich zu anderen Sektoren in den meisten Mitgliedstaaten höher ausfällt. Als Erklärung für überdurchschnittliche Überschüsse wird mangelnder Wettbewerb aufgrund ungeeigneter Regulierungsansätze angenommen.
Abbildung 3
Bruttobetriebsüberschuss in den Architektursektoren der EU15-Mitgliedstaaten, 2011
Länderkürzel vgl. Abbildung 1.
Anmerkung: vereinfachte Darstellung (reduzierte Zahl an Mitgliedstaaten zur besseren Lesbarkeit) der Abbildung „Gross operating Rate 2011“.
Quelle: Zwischenbericht der EU-Kommission zur Evaluierung der Berufsregeln im Architekturbereich, S. 4, http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/13382/attachments/1/translations/en/renditions/native (6.7.2017) .
Im Fall von selbstständigen Freiberuflern ist bei der Interpretation von Unternehmensüberschüssen jedoch zu beachten, dass ein selbstständiger Betriebsinhaber vom Überschuss seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Die vorher abgezogenen Lohnkosten umfassen nur die Angestelltengehälter. Im hypothetischen Fall eines Ein-Personen-Betriebs, der seine Leistungen ohne den Zukauf von Vorprodukten oder einer Produktionsstätte erbringt, würde der statistische Betriebsüberschuss per Definition 100% des Umsatzes betragen.
Der Anteil an mitarbeitenden selbstständigen Betriebsinhabern an der gesamten Belegschaft variiert zwischen den Mitgliedstaaten deutlich (vgl. Abbildung 4). Vor allem in den skandinavischen Ländern ist der überwiegende Anteil der Arbeitskräfte in den Architekturbüros in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt. Nicht unerwartet geht diese Beschäftigungsstruktur mit einem tendenziell geringeren Betriebsüberschuss einher, da hier die Entlohnung der selbstständigen Freiberufler nur eine untergeordnete Rolle bei der Zusammensetzung des Überschusses spielt. Höhere Überschüsse lassen sich im Gegenzug tendenziell in Mitgliedstaaten mit einem höheren Anteil an mitarbeitenden selbstständigen Betriebsinhabern beobachten.
Abbildung 4
Anteil selbstständiger Betriebsinhaber in den Architektursektoren der EU15-Mitgliedstaaten, 2014
Länderkürzel vgl. Abbildung 1.
Quelle: Annual detailed enterprise statistics for services (NACE Rev. 2 H-N und S95; eigene Berechnung und Darstellung.
In Italien und Belgien arbeiten in vorwiegend kleinen Betrieben fast ausschließlich selbstständige Betriebsinhaber. In Italien kommt hinzu, dass die Betriebe kaum Vorleistungen beziehen. Diese Kombination liefert einen Erklärungsansatz für den hohen Betriebsüberschuss. In Belgien fällt der Überschuss deutlich geringer aus, da die kleinen Betriebe überproportional viele Vorleistungen beziehen (vgl. Abbildung 2).
Die statistische Größe des Betriebsüberschusses ist daher immer nur kontextbezogen zu interpretieren. Das gilt vor allem, wenn länderübergreifend oder gar sektorenübergreifend Branchen mit einem unterschiedlich hohen Anteil an selbstständigen Freiberuflern betrachtet werden. Der einfache Verweis auf unterschiedlich hohe Überschüsse in den Mitgliedstaaten ist noch kein hinreichender Indikator zur Identifizierung überlegener Regulierungsansätze. Anzumerken ist zudem, dass bei selbstständiger Tätigkeit der Betriebsüberschuss zu einem großen Teil die Wertschöpfung (value-added) des Freiberuflers widerspiegelt. Wettbewerbsbedingungen vorausgesetzt wird eine hohe Wertschöpfung regelmäßig als erstrebenswerte Zielgröße genannt.
(3) Indikator: OECD-Regulierungsindex
Die OECD ermittelt seit 1996 in regelmäßigen Abständen für ihre Mitgliedstaaten einen Regulierungsindex für vier freie Berufe (Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte und Steuerberater), wobei die EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ab schneiden. Vor allem die skandinavischen Staaten werden mit sehr geringen Indexwerten bewertet (vgl. Abbildung 5). Der Index der OECD ist Grundlage vieler ökonometrischer Untersuchungen7 und wird von der EU-Kommission als Anhaltspunkt für ungeeignete Regulierungsansätze aufgegriffen.
Der OECD-Index erfüllt im Grundsatz zwei Funktionen:
- Zunächst hat der Regulierungsindikator den Anspruch, die Ist-Situation in einem Land zu beschreiben (z.B. existiert ein verpflichtendes Kammersystem?).8
- Diese Beschreibung wird anschließend durch die Zuordnung eines Indikatorwertes mit einer Bewertung verknüpft. So muss die OECD beispielsweise bewerten, ob sich ein vorgefundenes Kammersystem positiv oder negativ auf die Wettbewerbsfreundlichkeit eines Regulierungssystems auswirkt. Im Fall des Kammersystems ist die OECD zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses die Wettbewerbsintensität mindert.
Alle Länder möchten durch die Regulierung eine Gefährdung der Bevölkerung durch unsachgemäß errichtete Bauten verhindern. Darüber hinaus wird im Sinne des Verbraucherschutzes eine Prävention vor weniger gravierenden Planungsfehlern angestrebt. Allerdings haben dabei die OECD-Länder Verantwortlichkeiten im Planungsprozess unterschiedlich zugeordnet. Im Ergebnis sind Tätigkeitsprofil und Verantwortung eines selbstständigen Architekten nur eingeschränkt länderübergreifend vergleichbar.
Abbildung 5
OECD-Regulierungsindex Architekturberuf in den EU15-Mitgliedstaaten, 2013
Länderkürzel vgl. Abbildung 1.
Anmerkung. Der Index gibt auf einer Skala von 0 (sehr wettbewerbsfreundlich) bis 6 (sehr wettbewerbsfeindlich) die Bedeutung der Berufsregulierung für das Wettbewerbsumfeld wieder.
Quelle: OECD indicators of regulation in non-manufacturing sectors; eigene Berechnung und Darstellung
In den als nichtreguliert und wettbewerbsfreundlich bewerteten skandinavischen Ländern wird die sicherheitsrelevante Frage der Bausicherheit im Baugenehmigungsprozess vollständig durch staatlich angestellte Architekten und Statiker in den entsprechenden Behörden geprüft. Folgerichtig können diese Staaten auf verbindliche Qualifikationsvorschriften für die selbstständigen Architekten verzichten. Ein ähnliches System findet sich auch in den Niederlanden, Großbritannien und Irland. In Großbritannien und Irland gibt es jedoch die Besonderheit, dass Architekten mit entsprechendem Aus- und Fortbildungsnachweis anstelle einer staatlichen Behörde die Einhaltung relevanter Vorschriften zur Bausicherheit prüfen dürfen.
In den übrigen Ländern tragen hingegen die freiberuflichen Architekten zusammen mit einem eingebundenen Statiker bzw. Ingenieur Verantwortung für die Bausicherheit und Statik. In Deutschland haftet der Architekt dabei üblicherweise zusammen mit dem Prüfstatiker gesamtschuldnerisch. Ein bauleitender Architekt ist dabei verpflichtet, Berechnungen des Statikers einzusehen und sich zu vergewissern, dass der Statiker von den richtigen tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen ist.9 Vor Erteilung der Baugenehmigung prüft die Behörde im Regelfall nur die Einhaltung der Bauvorschriften.
Sofern keine erneute direkte staatliche Kontrolle sicherheitsrelevanter Aspekte erfolgt, ergeben sich logischerweise andere Anforderungen an eine geeignete Regulierung des Architektenberufs (sowie an die freiberuflichen Bauingenieure bzw. Prüfstatiker). Daher werden in dieser Gruppe der Länder die Qualifikations- und Weiterbildungserfordernisse verbindlich vorgeschrieben, um Gebäudesicherheit zu gewährleisten. Daran gekoppelte exklusive Berufsrechte sollen dafür sorgen, dass sicherheitsrelevante Tätigkeiten nur von entsprechend qualifizierten Personen ausgeführt werden. Die Berufsaufsicht ist im Regelfall in Selbstverwaltung in einem verpflichtenden Kammersystem organisiert.10
Die OECD berücksichtigt diese unterschiedlich zugeschnittenen Tätigkeitsprofile in ihrem Indikator jedoch nicht. Durch die Abwertung der Merkmale eines Kammersystems wird die nicht weiter begründete Wertung vorgenommen, dass eine direkte staatliche Kontrolle einer Prüfung durch entsprechend qualifizierte Architekten und Statiker unter berufsständischer Aufsicht hinsichtlich ihrer Wettbewerbswirkung eindeutig vorzuziehen sei.
Auch bei der Prävention vor weniger gravierenden Mängeln infolge einer unzureichenden Planung oder Überwachung (z.B. Bau- bzw. Sachmängel, Koordinationsfehler mit Auftragsnehmern, Kostenüberschreitungen) durch den bauleitenden Architekten unterscheiden sich die Ansätze in den Mitgliedstaaten. Im Kern geht es hier um die Frage, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise die Konsumenten von Architekturdienstleistungen geschützt werden. Die einzelnen Länder wenden hierzu unterschiedliche Kombinationen der Instrumente Haftung, Versicherungspflicht, Qualifikationsvorgaben sowie Titelschutz an.
Die Länder mit einem Kammersystem adressieren auch die Frage des Verbraucherschutzes vorrangig über das präventive Instrument der Zugangsbeschränkung für nicht qualifizierte Personen in Verbindung mit Weiterbildungsverpflichtungen. Üblicherweise wird dieses Instrument von Haftungsregeln sowie einer verpflichtenden Berufshaftpflichtversicherung flankiert, um etwaige Ersatzzahlungen im Schadensfall abzusichern.11 Darüber hinaus können steigende Versicherungsprämien nach Schadensfällen die Anbieter präventiv davon abhalten, mangelhafte Qualität anzubieten.
Großbritannien, Irland und die Niederlande adressieren Verbraucherschutzfragen über das Instrument des Titelschutzes. Der Schutz des Titels „Architekt“ ist dabei nicht mit dem Recht zu verwechseln, Architekturleistungen zu erbringen, da es keine exklusiven Tätigkeiten für eingetragene Architekten gibt. Um aber am Markt als „Architekt“ auftreten zu dürfen, ist in diesen Ländern eine Registrierung in einem amtlichen Verzeichnis erforderlich.12 Diese Registrierung ist an vergleichbare Qualifikationsvorgaben wie in den Staaten mit Kammersystem gekoppelt. Darüber hinaus finden vergleichbare Haftungsregeln Anwendung. In Großbritannien ist eine Haftpflichtversicherung für registrierte „Architekten“ vorgeschrieben. In den Niederlanden und Irland besteht faktisch ebenfalls die Notwendigkeit zum Abschluss einer Versicherung, da der Nachweis einer bestehenden Police Gegenstand der üblichen Leistungsverträge ist. Im Ergebnis führen die Regelungen in den Niederlanden, Irland und Großbritannien dazu, dass Architekten bei ihrer Berufsausübung vergleichbare Ausbildungs- und Versicherungsvorgaben wie ihre Kollegen in Ländern mit einem Kammersystem erfüllen müssen. Es besteht ausschließlich der theoretische Unterschied, dass der Nachfrager einer Planungsleistung auch auf Personen zurückgreifen könnte, die weder als Architekt ausgebildet noch im Schadensfall rückversichert sind.
Die skandinavischen EU-Mitgliedstaaten beschränken sich beim Verbraucherschutz auf den ersten Blick ausschließlich auf Haftungsregeln. In Dänemark, Schweden und Finnland bestehen weder unmittelbar gesetzlich verankerte Qualifikationsvorgaben noch ein Titelschutz. Allerdings ist auch in diesen Ländern der Nachweis einer gültigen Versicherung und teilweise einer ergänzenden Kaution Grundvoraussetzung für den Vertragsabschluss mit einem Kunden. Für den Abschluss dieser erforderlichen Versicherung bei einem Berufsverband oder einem Versicherungsunternehmen ist dann aber ein Qualifikationsnachweis (Hochschulstudium der Architektur) erforderlich, der mit den Anforderungen in allen anderen Mitgliedstaaten vergleichbar ist.
Auch wenn die Länder zum Schutz der Nachfrageseite sehr unterschiedliche Instrumente anwenden, liegen de facto überall vergleichbare Marktzugangsregeln für Architekten vor: In allen Ländern führen die faktischen Gegebenheiten dazu, dass Architekten für die Berufsausübung sowohl über eine Hochschulausbildung als auch einen Versicherungsschutz infolge der überall bestehenden Haftungsregeln verfügen müssen. Der OECD-Indikator bildet diese Gegebenheiten durch den selektiven Fokus auf die Regulierungsmerkmale eines Kammersystems nur verzerrt ab. Da weder der Titelschutz noch Haftungsregeln oder die Notwendigkeit einer Versicherung erfasst werden, erfüllt der Indikator die beschreibende Funktion der Ist-Situation nur unzureichend.
Kein überlegener Regulierungsrahmen?
In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich unterschiedliche erwartungsstabilisierende Institutionen für Architekturdienstleistungen in Form von unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Kontrolle, gesetzlichen Vorgaben oder allgemein akzeptierten Ausgestaltungsregeln von Verträgen herausgebildet. Mit den von der Europäischen Kommission in die Debatte eingebrachten Kennzahlen und Indikatoren lässt sich allerdings kein eindeutig vorzugswürdiger Regulierungsansatz als Vorlage für eine weitere Harmonisierung identifizieren.
Die Generierung belastbarer empirischer Aussagen ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Unstrittig scheint die Feststellung, dass die jeweiligen Regulierungsansätze aller Mitgliedstaaten grundsätzlich geeignet sind, einen Mindeststandard hinsichtlich der Sicherheit von Gebäuden zu gewährleisten.13 Aktuell nicht zu beantworten ist, welchen Einfluss die unterschiedlichen Regulierungsansätze auf die Vermeidung von weniger gravierenden Planungsfehlern und Baumängeln im Sinne des Verbraucherschutzes haben. Hier besteht weiterhin Forschungsbedarf zum Einfluss unterschiedlicher Regulierungsansätze auf die von Experten angebotene Qualität.14
Hinsichtlich der Preisentwicklung bei Architektur- und Ingenieursdienstleistungen finden sich kaum Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten mit und ohne Kammersystem. Diese Beobachtung liefert ein erstes Indiz dafür, dass möglicherweise keine ausgeprägten Wettbewerbsunterschiede zwischen diesen verschiedenen Regulierungsansätzen bestehen (vgl. Abbildung 6).
Abbildung 6
Preisentwicklung Architektur- und Ingenieursdienstleistungen in den EU15-Mitgliedstaaten
Länderkürzel vgl. Abbildung 1.
Anmerkung: Aufgrund sehr unterschiedlicher Inflationsentwicklungen nach der EU-Osterweiterung in den neuen Mitgliedstaaten werden für eine bessere Vergleichbarkeit die alten EU15-Mitgliedstaaten verglichen, keine Daten für Schweden und Portugal.
Quelle: Eurostat, Services producer price index (SPPI); eigene Berechnung und Darstellung.
Ausblick
Die aktuelle Regulierungsdebatte leidet darunter, dass die spezifischen Besonderheiten in den Mitgliedstaaten nicht hinreichend berücksichtigt werden. Der bisher vorrangig herangezogene Regulierungsindex der OCED bildet den Ist-Zustand der verwendeten Regulierungsinstrumente nur verzerrt ab und erlaubt daher keinen systematischen Rückschluss auf den möglichen Reformbedarf. Die in die Debatte eingebrachten ökonomischen Kennzahlen verfolgen einen anderen Ansatz, um einen möglichen Reformbedarf zu identifizieren. Kennzahlen wie die Unternehmensgröße oder der Betriebsüberschuss sollen einen Rückschluss auf das Wettbewerbsniveau auf den nationalen Märkten liefern und so geeignete Regulierungsansätze identifizieren. Hier zeigt die vorliegende Untersuchung, dass die gewählten Kennzahlen keinen systematischen Rückschluss auf das Wettbewerbsniveau erlauben.
Im Umkehrschluss folgt daraus aber nicht, dass es keinen Reformbedarf gäbe. In eigenem Interesse sollten die Mitgliedstaaten die spezifischen Regulierungen immer wieder hinterfragen und prüfen, ob diese noch zeitgemäß sind. Anhaltspunkte zur Identifizierung von länderspezifischen Sonderregeln können dabei durchaus auch die dem OCED-Regulierungsindex zugrundeliegenden Länderbefragungen liefern: So könnten Länder mit einer Werbebeschränkung für Architekturdienstleistungen hinterfragen, warum andere Länder mit und ohne Kammersystem keine Notwendigkeit für eine derartige Sonderregel sehen. Ein anderes Beispiel sind Sonderwege bei der Gebührenregulierung. Dabei zeigt sich aber auch eine Forschungslücke innerhalb der Wirtschaftswissenschaften zu den wirtschaftspolitischen Implikationen bei Vertrauensgütern. Bisher gibt es erste theoretische Literatur zur möglichen Wirkweise verschiedener Instrumente wie regulierter Preise.15 Darauf aufbauend sind in den letzten Jahren vor allem Laborexperimente entstanden, in denen Probanden die Entscheidungssituation von realen Anbietern von Vertrauensgütern nachempfinden sollten.16 Aber noch gibt es keinen Konsens, inwieweit sich diese ersten Erkenntnisse in die reale Welt übertragen lassen.
- 1 Vgl. EU-Kommission: Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen, COM (2015) 550 final, Brüssel, 28.10.2015. In dieser Mitteilung entwirft die EU-Kommission Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes durch Rechtsvereinheitlichung.
- 2 Art. 3 der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG.
- 3 Einige Mitgliedstaaten geben darüber hinaus an, dass regulative Eingriffe auch dem Schutz von kulturellen, historischen und ästhetischen Anliegen dienen sollen.
- 4 Vgl. EU-Kommission: Bewertung der nationalen Reglementierungen des Berufszugangs, COM (2013) 676, Brüssel, 2.10.2013.
- 5 EU-Kommission: Transparency and mutual evaluation of regulated professions, http://ec.europa.eu/growth/single-market/services/free-movement-professionals/transparency-mutual-recognition/index_en.htm (6.7.2017).
- 6 So zu finden unter anderem in dem von der Europäischen Kommission verantworteten Teil des Zwischenberichts der gegenseitigen Evaluierung der nationalen Berufsregelungen für den Architektenberuf: http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/13382/attachments/1/translations/en/renditions/native (6.7.2017).
- 7 Vgl. unter anderem G. Barone, F. Cingano: Service Regulation and Growth: Evidence form OECD Countries, in: The Economic Journal, 121. Jg. (2011), H. 555, S. 931-957.
- 8 In der Kategorie Zugangsregulierung erfasst der OECD-Indikator die Merkmale Ausbildungsanforderungen, verpflichtende Kammermitgliedschaft, exklusive Berufsrechte und Zugangsquoten. In der Kategorie Verhaltensregulierung erfasst der Indikator die Merkmale Beschränkungen der Unternehmensform und der interprofessionellen Zusammenarbeit, Werbeverbote und Preisregulierungen.
- 9 Vgl. z.B. BauNetz: Rechtsprechung. Architekt u. Statiker, http://www.baunetz.de/recht/Haftung-weitere_Beteiligte-Architekt_u._Statiker_40705.html (6.7.2017).
- 10 In Estland und Litauen wird die Berufsaufsicht nach verpflichtender Lizensierung nicht von einer Kammer, sondern von einer staatlichen Stelle ausgeübt.
- 11 In den meisten Ländern besteht eine gesetzlich verankerte Baumängelhaftung von mindestens fünf Jahren. Ein Überblick über die länderspezifischen Versicherungs- und Haftungsregeln findet sich beispielsweise in der Länderdatenbank des Architects‘ Council of Europa (ACE), http://www.ace-cae.eu/5/ (6.7.2017).
- 12 Architektenregister in den Niederlanden, Architects Registration Board in Großbritannien oder Royal Institute of Irish Architect in Irland.
- 13 Zu abstrahieren ist von Sicherheitsmängeln, die sich aus nationalen Mindestbestimmungen z.B. im Fall des Brandschutzes ergeben. Sofern ungeeignete Materialen baurechtlich zugelassen und daher nachgefragt werden, kann nicht von einem unmittelbaren Planungsfehler des betreuenden Architekten ausgegangen werden.
- 14 Einen Überblick über die Problematik bei Vertrauensgütern finden sich im einführenden Teil von U. Dullek, R. Kerschbamer, M. Sutter: The Economics of Credence Goods: An Experiment on the Role of Liability, Verifiability, Reputation, and Competition, in: American Economic Review, 101. Jg. (2011), H. 2, S. 530-559.
- 15 Vgl. exemplarisch U. Dullek, R. Kerschbamer: On Doctors, Mechanics, and Computer Specialists: The Economics of Credence Goods, in: Journal of Economic Literature, 44. Jg. (2006), H. 1, S. 5-42.
- 16 Vgl. exemplarisch W. Mimra, A. Rasch, C. Waibel: Price competition and reputation in credence goods markets: Experimental evidence, in: Games and Economic Behavior, 100. Jg. (2016), H. C, S. 337-352.