Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die aktuellen Entwicklungen der digitalen Technik eröffnen große Rationalisierungspotenziale und beschleunigen den Strukturwandel. Dies wird in der öffentlichen Debatte mit der Sorge um Arbeitsplätze verbunden. Ob diese Arbeitsplatzverluste auftreten ist allerdings eine offene Frage, denn die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte der Informationstechnik werden häufig vernachlässigt. Die zu erwartenden Auswirkungen einer beschleunigten Digitalisierung auf die deutsche Wirtschaft werden mithilfe der Prognose „Arbeitsmarkt 2030“ aufgezeigt.

Nicht allein in den Medien und der öffentlichen Debatte hat sich die Erwartung durchgesetzt, dass die enormen Rationalisierungspotenziale der digitalen Technik zu massiven Beschäftigungsverlusten führen werden. Eine solch pessimistische Sicht auf die Zukunft des Arbeitsmarktes sieht sich auch durch wissenschaftliche Studien bestätigt, die den Versuch unternahmen, die Gefährdung einzelner Berufe im Zuge des digitalen Wandels zu bestimmen. So kamen Frey und Osborne für die USA zu dem Ergebnis, dass 47% der Arbeitsplätze durch die Informationstechnik (IT) in Gefahr wären.1 Bonin, Gregory und Zierahn haben die Methode auf Deutschland übertragen und ein Gefährdungspotenzial von 42% ermittelt.2 Dengler und Matthes kamen mit einem veränderten Untersuchungsansatz zu dem Ergebnis, dass 15% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Deutschlands in hohem Maße durch die Digitalisierung substituierbar wären.3

All dies hat sich in der Öffentlichkeit schnell herumgesprochen und zu weitreichenden Überlegungen Anlass gegeben: Treten wir in eine neue Phase technologischer Arbeitslosigkeit ein? Wie sind die Sozialsysteme angesichts der zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit umzubauen? Welche Art von Grundeinkommen wäre angemessen? Wie kann die soziale Spaltung der Gesellschaft verhindert werden? Solchen Befürchtungen kann man allerdings ein „gemach, gemach!“ entgegenhalten, denn die genannten Studien berücksichtigen nur die halbe Wahrheit. Die jeweiligen Schätzungen messen allein die Substituierbarkeit von Arbeit durch die IT, lassen aber die positiven Wirkungen auf Nachfrage, Wettbewerbsfähigkeit und Produktion außer Acht. Diese entstehen insbesondere durch die Entwicklung verbesserter Produkte und eine kostengünstigere Produktionsweise. Den Freisetzungseffekten der IT stehen also – wie bei allen technischen Neuerungen – positiv wirkende Wachstums- und Beschäftigungseffekte gegenüber. Wie dieser Saldo aussieht, ergibt sich allerdings erst unter den konkreten Markt- und Produktionsbedingungen. Er kann a priori nicht bestimmt werden.

Ökonomische Technikfolgenabschätzung

Eine so breit einsetzbare Technologie wie die IT bringt sowohl Produkt- als auch Prozessinnovationen in großer Zahl hervor. Durch die Miniaturisierung der Bauteile und eine rapide Kostensenkung ist sie weit in die Konsumgütermärkte vorgedrungen. Gleichzeitig wird sie in praktisch allen Produktionsprozessen eingesetzt, sodass es heute kaum einen Herstellungs- oder Dienstleistungszweig gibt, der ohne sie auskäme. Soweit die Produktinnovationen im Vergleich zum bestehenden Angebot bessere Lösungen anbieten, führen sie bei den jeweiligen Technologieanbietern zur Ausweitung der Nachfrage und – je nachdem wo das Produkt hergestellt wird – zu einer Ausweitung der Produktion. In gleicher Weise müssen die Prozessinnovationen technisch und kostenmäßig überlegene Lösungen für die Technologieanwender anbieten. Soweit dies der Fall ist, werden die Anwender sie nach und nach in ihren Produktionsprozessen einsetzen. Produktinnovationen wirken expansiv und gehen (für sich betrachtet) mit Beschäftigungsgewinnen einher, während Prozessinnovationen häufig mit Produktivitätssteigerungen und einem Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden sind. Bereits auf dieser ersten Stufe des Wirkungsmechanismus führt der Einsatz der Technologie sowohl zu positiven als auch zu negativen Beschäftigungseffekten.

Die Komplexität des Wirkungsmechanismus ist damit allerdings noch nicht vollständig beschrieben. Die Nachfrageexpansion der technologisch „neuen“ Güter ersetzt in der Regel das bisherige Angebot und bewirkt daher Produktionseinbußen und Beschäftigungsverluste in den „alten“ Produktionsbereichen. Die expansive Wirkung der neuen Technologie wird dadurch verringert, der wirtschaftliche Strukturwandel beschleunigt sich und die gesamtwirtschaftliche Produktivität wird durch das Verschwinden weniger produktiver Produktionsbereiche gesteigert. Die Produktivitätssteigerung wiederum führt zu Preissenkungen für die neuen Produkte und unterstützt daher – bei funktionierendem Wettbewerb – die expansive Wirkung auf der Nachfrageseite. Auch die Prozessinnovationen lösen daher sowohl negative als auch positive Effekte aus.

Schließlich hängen Umfang und Tempo der Diffusion neuer Technologien einerseits von der Flexibilität der Gütermärkte bzw. der Arbeitsmärkte ab und andererseits von der Wettbewerbsposition der Unternehmen auf den internationalen Märkten. Was die Flexibilität der Märkte betrifft, gibt es in den Unternehmen häufig Widerstände gegen neue Produkte bzw. Technologien, da ihre Einführung nicht nur hohe Anschaffungs- und Umstellungskosten, sondern auch Abschreibungen auf die vorhandenen Produktionsanlagen erfordert. Die Verwertungsinteressen der „alten“ Produzenten behindern damit die Diffusion der neuen Technologien. Das geht auch so weit, dass Marktzugangsbarrieren aufgebaut und verteidigt werden. Darüber hinaus treten bei umfassenden technologischen Neuerungen häufig Engpässe auf den Arbeitsmärkten auf, da die erforderlichen Spezialisten vor allem in der Anfangsphase der Diffusion nicht in genügender Zahl vorhanden sind. Die Ausbildung des vorhandenen Personals führt zu weiteren Kosten. Auch im Hinblick auf die strukturelle Anpassungsdynamik an technologische Veränderungen stehen sich also widerstreitende wirtschaftliche Interessen gegenüber, von deren relativer Bedeutung die Beschäftigungswirkungen maßgeblich abhängen.

Gleiches gilt für die internationale Wettbewerbsposition der Unternehmen, die in vielen Branchen direkt oder indirekt durch die Technologie verändert wird. Die steigende Nachfrage nach den neuen Technologien kann aus inländischer oder ausländischer Produktion gedeckt werden. Dies entscheidet über die direkten inländischen Produktionseffekte. Gleichzeitig wird die Anwendung der Technologie die Produkt- und Preiswettbewerbsfähigkeit der inländischen Anbieter im Vergleich zu ihren ausländischen Konkurrenten verändern und – je nach Wettbewerbslage – positive oder negative Produktionseffekte auslösen.

Aus theoretischer Sicht bleibt also völlig offen, welche Produktions- und Beschäftigungseffekte durch den Einsatz einer neuen Technologie ausgelöst werden. Nachfrage- und Produktivitätseffekte kompensieren sich nicht nur gegenseitig, sondern sind aufgrund der vielfältigen Rückkopplungen selbst nicht eindeutig positiv oder negativ. Nicht zuletzt schließen die vielfältigen Anpassungsprozesse auf den Güter- und Arbeitsmärkten die Bestimmung der Wirkungsrichtung anhand theoretischer Schemata aus. Der Gesamteffekt bleibt unbestimmt und kann letztlich nur empirisch ermittelt werden. Es ist also unabdingbar, die spezifischen Eigenschaften einer Technologielinie zu beschreiben und ihre Wirkungen im konkreten wirtschaftlichen und politischen Kontext einer Volkswirtschaft abzuschätzen. Dabei bleibt man weitgehend auf Hypothesen angewiesen, denn der Nachweis einer eindeutigen Wirkung gelingt aufgrund der unzureichenden Indikatoren zur Verbreitung einer Technologie meist nicht.

Einen ersten Hinweis auf die vielfältigen Kompensationsmechanismen – und die Schwierigkeiten der empirischen Analyse – liefern die zahlreichen Untersuchungen zu den Produktivitätseffekten der IT, denen es insgesamt nicht gelungen ist, den empirischen Nachweis für signifikante Produktivitäts- oder Beschäftigungswirkungen zu erbringen.4 Nach dem Übersichtsartikel von Cardona et al.5 liegt die durchschnittliche geschätzte Produktionselastizität für Informations- und Kommunikationstechnik zwischen 0,05 und 0,06, und Solow kam schon 25 Jahre früher zu der Schlussfolgerung: „We see the computer age everywhere, except in the productivity statistics.“6

Die „statistische Wirkungslosigkeit“ der IT auf gesamtwirtschaftlicher Ebene müsste all jenen zu denken geben, die aus den vorstellbaren Rationalisierungspotenzialen auf die tatsächliche oder zu erwartende Freisetzung von Arbeit schließen. Dies ist angesichts der vielfältigen Verflechtungen der Wirkungsstränge zu direkt und zu linear gedacht. Neben den Expansionseffekten der technologischen Neuerungen auf Nachfrage und Produktion ermöglichen vor allem die flexiblen Güter- und Arbeitsmärkte, dass potenzielle Freisetzungen absorbiert werden, bevor sie überhaupt auftreten. Die Tätigkeitsanforderungen an den einzelnen Arbeitsplätzen werden erweitert und umgeformt, Unternehmen verlagern ihren Geschäftsschwerpunkt, Berufsbilder wandeln sich und die Gesamtwirtschaft passt ihre Struktur an die veränderten technologischen und wirtschaftlichen Bedingungen an. Der Strukturwandel auf den verschiedenen Ebenen einer Volkswirtschaft sorgt für diese Anpassung und verhindert einseitige Effekte.

Allerdings ist es keineswegs gesichert, dass für alle verschwindenden Arbeitsplätze neue entstehen, die Unternehmen dem Anpassungsdruck Stand halten, Branchen ihren Beschäftigungsstand sichern und der gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarkt stabil bleibt. Dies ist erst dann möglich, wenn die Umstrukturierung zu effizienteren Lösungen führt, also den Ressourceneinsatz optimiert. Um dies zu erreichen, bedarf es einerseits einer hohen Innovationsbereitschaft auf allen Ebenen und andererseits einer klugen Strukturpolitik, die Beschäftigte und Unternehmen in die Lage versetzt, den technischen und wirtschaftlichen Wandel aktiv zu nutzen.

Besonderheiten digitaler Märkte

Die digitale Technik besteht aus vier Technologielinien:

  • Prozessor- und Speichertechnik, Übertragungstechnik,
  • Sensorik und Steuerungstechnik, Robotik,
  • Software und künstliche Intelligenz,
  • Informationsplattformen, Digitalisierung der Information.

Von diesen Technologielinien gehen starke Wirkungen nicht nur auf den Informationsfluss und seine Nutzung aus. Die IT ist vielmehr in der Lage, über die Ausweitung der räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit von Information, die Reduzierung der Informationskosten, die Übernahme von Steuerungsfunktionen in maschinelle Anlagen, und letztlich über das Wachstum der Informationsbestände selbst in fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche vorzudringen. Schon heute ist die ubiquitäre Präsenz der IT sichtbar, und sie wird allen Erwartungen zufolge noch weiter zunehmen.

Die Diffusion der digitalen Technik wird vor allem von zwei Faktoren vorangetrieben: dem außergewöhnlichen Tempo des technischen Fortschritts, das im sogenannten Moore‘schen Gesetz seinen Ausdruck fand, und in der Annäherung der Grenzkosten für die Verbreitung von Informationen an die Null-Linie. Während das Moore‘sche Gesetz zutreffend die jährliche Verdoppelung der Speicherkapazitäten auf elektronischen Chips in Relation zu ihren Kosten und damit eine rasche Verbilligung der Hardware prognostiziert hat, weist die Null-Grenzkosten-Hypothese auf die verschwindend geringen Kosten für die Informationsverbreitung und -beschaffung hin. Auch wenn dies keine Gesetzmäßigkeiten im strengen Sinne sind, beschreiben sie doch die entscheidenden, langfristig wirksamen Vorteile der digitalen Technik im Vergleich zur analogen: Sie ist nicht nur besser, schneller und billiger, sie wird auch in Zukunft immer besser, schneller und billiger werden. Dies erklärt die hohen Wachstumsraten der digitalen Wirtschaft, die exorbitant hohen Bewertungen von IT-Unternehmen auf den Kapitalmärkten und die Omnipräsenz der digitalen Technik in der heutigen und künftigen Welt.

Aus ökonomischer Perspektive unterscheiden sich daher die Informationsmärkte in einigen wichtigen Punkten von den „analogen“ Märkten:

  • Es ergeben sich starke Größenvorteile (Economies of Scale), die durch Netzwerkeffekte, wie sie bei den Informationsplattformen auftreten, verstärkt werden. Gleichzeitig wird der Marktzugang erleichtert, sodass der wirtschaftlichen Konzentration in den Informationsindustrien eine wachsende Zahl von Anbietern in vielen anderen Märkten gegenübersteht.
  • Sinkende Preise für Hardware und Software verringern die Investitionskosten, und die niedrigen Kosten für Informationsbeschaffung und -verbreitung machen Information zum quasi-öffentlichen Gut. Damit verringert sich die Lenkungs- und Ausschlussfunktion von Preisen und die Nachfrage nach Informationsgütern wächst mit außergewöhnlichen Raten. Die digitale Technik verdrängt dadurch immer größere Teile der „analogen“ Produktionsweise.
  • Das rasche Wachstum der digitalen Informationsbestände ermöglicht im Zusammenspiel mit verbesserten Analysetechniken eine exponentiell steigende Zahl an Kombinationen für das vorhandene Wissen. Dies beschleunigt das Potenzial des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Soweit die Menschen in der Lage sind, daraus Erkenntnisse zu ziehen, ist auch von hohen „realen“ Fortschrittsraten auszugehen.

Bisher hat Deutschland von der IT vorwiegend als Anwender und Nutzer profitiert. Im Herstellerbereich haben sich Wachstum und Beschäftigung hingegen abgeschwächt. Positive Entwicklungen zeigten sich nur bei den IT-Dienstleistungen. Angesicht der großen Wettbewerbsvorteile der ausländischen – insbesondere chinesischen – Anbieter gibt es in Deutschland kaum eine Aussicht auf eine Wiederbelebung der Hardware-Industrie, zumal die chinesischen Konkurrenten immer größere Teile des Weltmarktes für sich gewinnen. Gleiches gilt für die Entwicklung von IT-Spitzentechnologie und Software, die – ebenso wie die Informationsplattformen – weitgehend in den Händen US-amerikanischer Unternehmen liegt. Nennenswerte Wachstums- und Beschäftigungsimpulse sind daher nur zu erwarten, wenn sich Deutschland im Rahmen einer forcierten Digitalisierung zu einem weltweit führenden Anbieter für die vernetzte Industrieproduktion (Industrie 4.0) entwickelt.

Szenario für eine Digitalisierungsstrategie

Im Grunde ist es ein anmaßendes Vorhaben, die Zukunft der IT, und sei es nur für die nächsten 15 Jahre, vorherzusagen. Die Technologien, die 2030 zur Anwendung kommen werden, sind zum guten Teil noch gar nicht erfunden, geschweige denn angewandt. Und selbst wenn sie bekannt wären, wüssten wir sehr wenig über ihre Auswirkungen und könnten folglich auch über die künftigen Produktivitäts- und Beschäftigungseffekte nur Vermutungen anstellen. Dieses Manko lässt sich allerdings ausgleichen, wenn man sich von der heute vorherrschenden Realität ein Stück weit löst und im Rahmen eines Szenarios über die Zukunft der IT nachdenkt. Dabei geht es nicht darum, der Phantasie freien Lauf zu lassen, sondern eine Strategie zu entwickeln, die eine beschleunigte Digitalisierung der deutschen Wirtschaft zum Ziel hat.7

Eine solche Entwicklungsstrategie strebt die technologische Führerschaft im Bereich von Industrie 4.0 an und setzt auf die intensive Nutzung und Anwendung der digitalen Technik durch Bevölkerung, Wirtschaft und den öffentlichen Sektor. Sie zielt auf die weitgehende Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auszubauen. In der Tat droht die heute noch so wettbewerbsstarke deutsche Industrie ihre Position einzubüßen, wenn sie den Anschluss an die digitale Technik verliert. Mehr noch: Neue Wettbewerber aus dem IT-Sektor dringen in die Investitionsgütermärkte ein und versuchen über die Entwicklung der vernetzten Industrieproduktion Marktanteile für sich zu gewinnen.

Die Digitalisierungsstrategie verfolgt darüber hinaus ein zweites Ziel, das auf den demografischen Wandel gerichtet ist. Das Arbeitskräfteangebot wird spätestens nach 2020 wieder rückläufig sein, wenn es nicht zu einer erneuten Einwanderungswelle kommt. Es gilt also den sich abzeichnenden Mangel an Arbeitskräften durch ein möglichst hohes Produktivitätsniveau zu verringern. Dazu bietet die Digitalisierung wirksame Lösungen. Allerdings führt sie einerseits zu hohen Freisetzungen von (in der Regel einfacher) Arbeit in digitalisierbaren Tätigkeitsfeldern und andererseits zu einem verstärkten Bedarf an koordinierenden, forschenden, kommunikativen, kreativen und entscheidungsintensiven Tätigkeiten.

Dieses strategische Szenario, das wir „Szenario beschleunigte Digitalisierung“ nennen, zielt also sowohl auf die Nutzung von Marktchancen als auch auf die Lösung des langfristigen demografischen Problems auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Es geht von einer Konzentration der Aktivitäten auf die Entwicklung und Vermarktung digitaler Technik aus und unterstellt dabei folgende Trends bis zum Jahr 2030:

  • Bevölkerung: hohe Akzeptanz des digitalen Fortschritts; rasche Verbreitung der Sharing-Kultur; sekundäre Bedeutung des Datenschutzes; hohe Beteiligung an IT-spezifischer Weiterbildung; Verbreitung des digitalen Lernens und Lehrens; Ausbau der IT-Studienfächer und Integration digitaler Kompetenzen in die Berufsbildung.
  • Unternehmen: technologische Führerschaft der Investitionsgüterindustrie wird durch die Entwicklung der Industrie 4.0 verteidigt; hohe Investitionsbereitschaft; hoher Aufwand für Forschung und Entwicklung (FuE); geringer Wettbewerbsschutz für „analoge“ Märkte; starker Nachfrageschub für Unternehmensdienste durch die zentrale Rolle von Software und Unternehmensorganisation in den Bereichen Big Data, selbstfahrende Fahrzeuge, Rationalisierung der Verwaltungen, Industrie 4.0 usw.
  • Handel und Dienstleistungen: Handels- und Dienstleistungsplattformen führen zu hoher Konzentration unter den Plattformbetreibern und zur Diversifizierung und Ausfächerung der direkten Leistungsanbieter; digitale Medien verdrängen zunehmend die Printmedien.
  • Verkehr: selbstfahrende Autos sind bis 2030 Standard; vollautomatische Lagerhaltung; Carsharing setzt sich durch; digitale Verkehrsleitsysteme an vielen Knotenpunkten.
  • Öffentliche und soziale Dienste: starke Förderung der digitalen Technik; internet-basierte Verwaltung; steigende Technik-Intensität bei sozialen Diensten; digitale Medizintechnik wird stark entwickelt; digitale Haustechnik findet weite Verbreitung.
  • IT-Industrien: starke Wachstumsimpulse aus dem technologischen Wandel; Spezialisierung auf Produktionssteuerung, Logistik, Netzwerktechnik; forcierter Ausbau der Telekommunikation.
  • Arbeitsmarkt: stärkere Arbeitsteilung bei einfachen, höhere Spezialisierung bei komplexen Tätigkeiten; stärkere Vernetzung der Fachdomänen; fortschreitende Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Beschäftigungsverhältnissen; mehr Solo-Selbständige; Nutzung digitaler Techniken zur Integration weniger leistungsfähiger Personen.

Das Alternativszenario (Basisszenario) setzt hingegen auf die bestehenden Wettbewerbsvorteile der deutschen Wirtschaft im Bereich der wissensorientierten, kulturellen und sozialen Dienste, verzichtet aber auf eine forcierte Digitalisierung. Gleichwohl kommen digitale Techniken auch in diesem Szenario zum Einsatz, da eine Welt ohne digitale Technik nicht mehr vorstellbar ist.

Abbildung 1
Direkte Nachfrage-/Produktions- und Produktivitätseffekte der Digitalisierung
Indexwerte für die Wirkungsintensität von sechs Technologiefeldern (Maximum ± 100)
Direkte Nachfrage-/Produktions- und Produktivitätseffekte der Digitalisierung

Quelle: K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016, S. 147.

Modellgestützte Wirkungsanalyse

Angesichts der weit fortgeschrittenen Diffusion und der komplexen wirtschaftlichen Verflechtungen können die Beschäftigungswirkungen der IT nur auf Basis eines gesamtwirtschaftlichen Strukturmodells geschätzt werden. Diese Modelle erlauben eine nach Wirtschaftszweigen, Berufen und Qualifikationsgruppen differenzierte Berechnung der Beschäftigungswirkungen einer beschleunigten Digitalisierung. Gleichzeitig berücksichtigen sie die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und garantieren damit konsistente Schätzergebnisse für Nachfrage, Produktion und Beschäftigung. Die Prognose „Arbeitsmarkt 2030“8, deren Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden, beruht auf dem von Cambridge Econometrics entwickelten G3M-Strukturmodell, das sowohl den Produktionskreislauf als auch den Arbeitsmarkt der deutschen Wirtschaft in einer Differenzierung nach 44 Wirtschaftszweigen abbildet.9 Die Modellrechnungen gehen von den direkten Nachfrageeffekten der digitalen Technik aus. Sie führen zu Veränderungen von Investitionen (einschließlich Forschungs- und Entwicklungsausgaben), Importen und Exporten und werden über die Verflechtungsmatrix in andere Wirtschaftszweige transferiert. Dabei ändert sich auch die Nachfrageverflechtung im Zuge der technologischen Umgestaltung (insbesondere durch die Industrie 4.0). Gleichzeitig löst die Anwendung digitaler Technik sektorale Produktivitäts-, Kosten- und Preiseffekte aus. Die Produktivität ist im Modell eine Funktion von Sachkapitalinvestitionen, FuE-Ausgaben und weiteren Technologieindikatoren. Zusätzlich zu diesen bekannten Abhängigkeiten wurde unterstellt, dass digitale Technik aufgrund der sinkenden Preise mit einer steigenden Kapitalproduktivität verbunden ist. Schließlich ergeben sich aus dem Einkommenskreislauf entsprechende Nachfrage-, Produktions- und Beschäftigungseffekte.

Beide Szenarien wurden im Rahmen der Prognose „Arbeitsmarkt 2030“ in das gesamtwirtschaftliche Strukturmodell G3M übertragen und bis 2030 berechnet. Dadurch war es nicht nur möglich, die sektorale Verflechtung der deutschen Wirtschaft zu berücksichtigen, sondern auch die zeitliche Dynamik der Entwicklungen abzubilden. Das Basisszenario dient als Vergleichsmaßstab, um den Effekt einer beschleunigten Digitalisierung zu messen.

Direkte Produktions- und Produktivitätseffekte

Ausgangspunkt der Modellrechnungen sind Schätzungen bzw. Hypothesen zu den wichtigsten Entwicklungstrends der IT und ihren direkten Auswirkungen auf Produktion und Produktivität. Sie werden durch Indexwerte dargestellt, die den Einfluss der digitalen Technik in den 44 Wirtschaftszweigen des G3M-Modells bemessen. Dabei werden sechs Technologiefelder unterschieden:

  • Vernetzung, Industrie 4.0,
  • Robotik,
  • Additive Fertigung, 3D-Druck,
  • Autonomes Fahren,
  • Informationsplattformen,
  • Software, künstliche Intelligenz, Big Data.

Zur Festlegung der Indexwerte wurden die Ergebnisse der Fachexpertisen herangezogen, die im Rahmen der Prognose „Arbeitsmarkt 2030“ erstellten worden waren.10 Für jedes Technologiefeld wurde die Wirkungsintensität in den einzelnen Wirtschaftszweigen geschätzt. Im Anschluss wurden die einzelnen Technologiefelder im Hinblick auf ihren Einfluss auf die (inländische) Nachfrage bzw. die Produktion einerseits und die Produktivität andererseits gewichtet. Daraus ergaben sich die in Abbildung 1 dargestellten Werte, die sich in einen maximalen Zahlenraum von ± 100 bewegen.

Relativ starke Nachfrage-/Produktionsimpulse erhalten danach die wissensorientierten Dienste (Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung), die Investitionsgüterproduzenten (Elektrotechnik, Maschinenbau), die IT-Industrie selbst (IT-Dienste, Telekommunikationsdienste) sowie vor- und nachgelagerte Bereiche der digitalen Industrien (Verkehrswesen, Energiewirtschaft, Finanzdienste). Negative Nachfrageeffekte werden nur für den Handel, die persönlichen Dienstleistungen sowie das Papier- und Druckgewerbe unterstellt. In allen anderen Branchen wird die Nachfrage im Zuge des durch die Digitalisierung ausgelösten Wachstums expandieren.

Abbildung 2
Gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungseffekt der beschleunigten Digitalisierung
Arbeitskräfteangebot und Beschäftigte
Gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungseffekt der beschleunigten Digitalisierung
Arbeitskräfteangebot und Beschäftigte

Quelle: K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.

Die Produktivitätseffekte der Digitalisierung sind im Hinblick auf die Beschäftigung in allen Branchen negativ. Besonders starke Effekte ergeben sich für die Investitionsgüterindustrie (Elektrotechnik, Maschinenbau, Fahrzeugbau), die klassischen Dienstleistungen (Handel, Verkehr, Post- und Kurierdienste), in den öffentlichen und sozialen Diensten, aber auch in den IT-Industrien selbst sowie in Wissenschaft und Forschung. Es sind also einerseits die Entwickler der digitalen Technik, die ihre Konzepte in der eigenen Produktion testen und umsetzen und andererseits die traditionellen Dienstleister, bei denen die digitale Technik bisher ungenutzte Produktivitätspotenziale ausschöpfen kann. Auch alle anderen Branchen werden ihre Produktivität durch den Einsatz digitaler Technik steigern, allerdings in geringerem Umfang.

Der Erstimpuls der digitalen Technik ist nach diesen Annahmen insgesamt negativ, wenn man die Indexwerte für die Nachfrage- und Produktivitätseffekte gegeneinander saldiert. Die negative Wirkung entsteht insbesondere durch den verstärkten Einsatz von Robotern und autonomen Fahrzeugen, aber auch für die anderen Technologielinien sind die Produktivitätseffekte stärker als die Nachfrageeffekte. Erst die nachfolgenden Reaktionen, insbesondere die verbesserte Wettbewerbsposition, die aus Effizienzsteigerungen resultierenden Kostensenkungen und die sinkenden Güterpreise, führen in den Modellrechnungen zur Umkehr dieses Impulses.

Abbildung 3
Sektorale Beschäftigungseffekte der beschleunigten Digitalisierung
Veränderung von 2014 bis 2030 in 1000 Erwerbstätigen
Sektorale Beschäftigungseffekte der beschleunigten Digitalisierung

Quelle: K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.

Positive gesamtwirtschaftliche Effekte

Entgegen den Befürchtungen zeigen die Modellrechnungen, dass es durch eine beschleunigte Digitalisierung gelingen kann, wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen (vgl. Abbildung 2). Die Berücksichtigung von Produktinnovationen, Nachfrageeffekten, Kosten- und Preissenkungen wendet das Blatt gegenüber dem Erstimpuls der IT und stellt am Ende einen Beschäftigungsgewinn von rund ¼ Mio. Personen in Aussicht. Das reale Bruttoinlandsprodukt von 2030 liegt um 4% höher als ohne beschleunigte Digitalisierung, und die Erwerbslosigkeit sinkt um 20%. Die Pro-Kopf-Einkommen sind ebenfalls um 4% höher. Der maximale Beschäftigungszuwachs ergibt sich um 2025 mit etwa 300 000 Erwerbstätigen. Danach erzwingt das sinkende Arbeitsangebot den Rückgang um 0,8 Mio. auf 43 Mio.

Entscheidend für diesen Entwicklungspfad sind die Produktivitätseffekte der Digitalisierung, die das Produktivitätswachstum nach einer langen Entwicklungs- und Erprobungsphase von 2025 bis 2030 deutlich ansteigen lassen. Mit einem jährlichen Zuwachs von 2,4% kompensiert die Produktivitätssteigerung dann nicht nur den Rückgang im Arbeitsangebot, sondern beschleunigt das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum mit einem Beitrag von 0,3 Prozentpunkten.

Sektorale Wirkungen

Die Digitalisierung beschleunigt den Strukturwandel auf allen Ebenen, also in sektoraler, beruflicher und qualifikationsspezifischer Richtung. Im Hinblick auf die sektorale Struktur löst sie vor allem in den vor- und nachgelagerten Branchen der digitalen Industrien starke Beschäftigungsimpulse aus (vgl. Abbildung 3). Dazu gehören die Unternehmensdienste, die IT-Dienste sowie Forschung und Entwicklung. Hier entstehen bis 2030 fast ½ Mio. Arbeitsplätze. Auch die Investitionsgüterhersteller – die Hardware-Lieferanten des Industrie-4.0-Komplexes Maschinenbau, Fahrzeugbau und Elektronikindustrie – können Beschäftigungsgewinne in der Größenordnung von jeweils 100 000 bis 150 000 Personen erwarten. In der Gesamtheit der warenproduzierenden Sektoren heben sich hingegen positive und negative Beschäftigungseffekte weitgehend auf, sodass bis 2030 nur ein kleiner Beschäftigungsgewinn von etwa 50 000 Arbeitsplätzen entstehen wird. In den übrigen Anwenderbranchen wird die digitale Technik hingegen Arbeit freisetzen. Dies gilt vor allem für den Einzelhandel, das Papier- und Druckgewerbe und die öffentliche Verwaltung. Insgesamt werden 13 Branchen ihre Beschäftigung im Zuge einer beschleunigten Digitalisierung ausweiten können. Ihr gesamter Beschäftigungsgewinn bis 2030 wird bei 1 Mio. Erwerbstätigen liegen. Demgegenüber wird die Beschäftigung in 27 Wirtschaftszweigen rückläufig sein. Der Beschäftigungsverlust dieser Sektoren wird bei 750 000 Erwerbstätigen liegen.

Beruflicher Strukturwandel

Die beschleunigte Digitalisierung erhöht vor allem die Nachfrage nach IT-Berufen, Berufen der Unternehmensführung und -organisation sowie Berufen im Bereich Werbung und Marketing. Gleichzeitig steigt im Zuge von Industrie 4.0 der Bedarf an Mechatronikern sowie Maschinen- und Fahrzeugtechnikern. Negative Beschäftigungseffekte sind hingegen für eine Vielzahl von Fertigungsberufen zu erwarten, wie z.B. in der Metallerzeugung und -verarbeitung, Textil- und Bekleidungsberufen, Ernährungsberufen. Darüber hinaus sind die Verkehrsberufe, Verkaufsberufe und einfache Gesundheitsberufe (z.B. Labor, Pflege) negativ betroffen. Einem Beschäftigungsgewinn von 580 000 Arbeitsplätzen in den begünstigten Berufen steht ein Beschäftigungsverlust von 310 000 Arbeitsplätzen in benachteiligten Berufen gegenüber (vgl. Abbildung 4).

Die Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung auf die Berufsstruktur bleiben also geringer als in der Differenzierung nach Wirtschaftszweigen. Im Durchschnitt führt die Digitalisierung zu einer Veränderung der Erwerbstätigkeit in den einzelnen Berufen von ±3%, wenn man die Ebene der Zweisteller der Berufssystematik verwendet. Auf der Ebene der Dreisteller beträgt die durchschnittliche Veränderung ±5%. Dies geht auf die Anpassung der beruflichen Tätigkeitsprofile zurück, durch die der überwiegende Teil der „digitalen“ Arbeitsanforderungen in die beruflichen Aufgaben integriert wird. In der Berufsstatistik ist daher nur ein Bruchteil der Veränderungen der Arbeitswelt sichtbar, die von der Digitalisierung ausgelöst werden.11

Qualifikationsbedarf

Abbildung 4
Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung auf die Berufsstruktur1
Veränderung von 2014 bis 2030 in 1000 Erwerbstätigen
Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung auf die Berufsstruktur

1 Einsteller nach der Klassifizierung der Berufe 2010.

Quelle: K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.

Das Arbeitsangebot des Basisszenarios wird nicht ausreichen, um den Qualifikationsbedarf einer forcierten Digitalisierungsstrategie zu decken. Die beschleunigte Digitalisierung erhöht den Bedarf an Arbeitskräften mit Hochschulbildung bis 2030 um 530 000 Erwerbstätige im Vergleich zum Basisszenario (+5%; vgl. Abbildung 5). Darunter sind 170 000 Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, 140 000 Ingenieure, 90 000 Mathematiker und Naturwissenschaftler, sowie 70 000 Sprach- und Kulturwissenschaftler und 30 000 Künstler und Kunstwissenschaftler.

Der Bedarf an dual ausgebildeten Arbeitskräften geht hingegen leicht zurück. Er sinkt im Zuge der forcierten Digitalisierung um 140 000 im Vergleich zum Basisszenario (-1%). Dahinter verbergen sich starke Umschichtungen: Rückläufiger Bedarf zeigt sich bei Arbeitskräften mit einer Ausbildung in Fertigungs- und Metallberufen und vor allem in Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen. Arbeitskräfte mit einem technischen Ausbildungsberuf, mit einer Ausbildung als Waren- und Dienstleistungskaufleute und mit Verkehrsberufen werden hingegen häufiger gesucht. Der Bedarf an Arbeitskräften mit Fachschulbildung ist auch im Szenario Beschleunigte Digitalisierung rückläufig. Er sinkt bis 2030 um 210 000 (-5%). Allerdings wirkt sich die beschleunigte Digitalisierung positiv aus, sodass 2030 etwa 50 000 Arbeitskräfte mehr erforderlich sein werden als im Basisszenario. Davon profitieren in erster Linie Arbeitskräfte mit einer Fachschulbildung in technischen und kaufmännischen Berufen, während Arbeitskräfte mit einer Fachschulbildung in einem Erziehungs- oder Pflegeberuf etwas weniger gesucht werden. Arbeitskräfte ohne berufliche Bildung werden im Szenario Beschleunigte Digitalisierung noch weniger gebraucht als im Basisszenario.

Abbildung 5
Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung auf die fachliche Berufsbildung
Veränderung von 2014 bis 2030 in 1000 Erwerbstätigen
Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung auf die fachliche Berufsbildung

Quelle: K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.

Die Herausforderung der beschleunigten Digitalisierungsstrategie besteht darin, das Potenzial an gering ausgebildeten Arbeitskräften und Personen ohne Berufsabschluss zu mobilisieren. 2014 waren insgesamt 7,8 Mio. Erwerbspersonen in diesem Bildungssegment, und wir rechnen mit 2 Mio. freigesetzten Arbeitskräften bis 2030. Es kommt also darauf an, einen möglichst hohen Anteil dieser Arbeitskräfte für die berufliche Bildung zu motivieren. Dazu ist die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen erforderlich. Vor allem aber ist die Verbesserung der beruflichen Bildung der bereits im Arbeitsprozess stehenden Arbeitskräfte – unabhängig von ihrer Wanderungshistorie – unabdingbar. Die berufliche Qualifikation der Arbeitskräfte muss auf allen Niveaustufen gleichzeitig verbessert werden, nicht allein auf der untersten Ebene. Nur über einen solchen Kaminzugeffekt lässt sich der stark steigende Bedarf an tertiär ausgebildeten Arbeitskräften decken. Die beschleunigte Digitalisierung erfordert daher eine Weiterbildungsinitiative mit großer Breitenwirkung.

Politische Schlussfolgerungen

Wir leben bereits in einer digitalisierten Welt und können ohne digitale Technik im Grunde schon nicht mehr leben. Wenn wir also über die weitere Entwicklung im Informationszeitalter nachdenken, stellt sich nur die Frage nach schneller oder langsamer Teilnahme am weltweiten technologischen Wandel, nach aktiver Gestaltung oder passiver Anpassung. Die Frage des „ob“ wurde schon lange beantwortet, von den Jugendlichen, die einen guten Teil ihrer Zeit mit ihren Smartphones verbringen, von den Unternehmen, die massiv in die digitale Fabrik investieren, und von der Politik, die sich mit ihrer digitalen Agenda für eine beschleunigte Digitalisierung entschieden hat. Es gibt also kein Zurück, und wir können im Prinzip nur über das Tempo nachdenken, das wir auf dem Weg in die technologische Zukunft einschlagen wollen.

Insoweit ist die Frage nach der Gefährdung von Arbeitsplätzen nicht nur einseitig, sondern im Grunde genommen die falsche. Wenn man anerkennt, dass den gefährdeten Arbeitsplätzen neu geschaffene mit veränderten Tätigkeitsprofilen und Qualifikationsanforderungen gegenüberstehen, sollte das arbeitsmarktpolitische Augenmerk auf die Nutzung der digitalen Technik gerichtet sein. Das Ziel sollte also sein, Arbeitskräfte für die neuen Arbeitsplätze zu qualifizieren statt gefährdete Arbeitsplätze zu retten. Angesichts der Konzentration der öffentlichen Debatten auf die Beschäftigungsrisiken droht dies aus dem Blickfeld zu geraten. Die gleichzeitige Betrachtung von Risiken und Chancen erscheint umso wichtiger, als das Beschäftigungsrisiko einer rückwärtsgewandten, strukturkonservierenden Politik sehr hoch sein kann. Wenn Deutschland den Anschluss an den internationalen, technologischen Wettbewerb verlieren sollte, sind die Investitionsgüterproduzenten und vielleicht die Wirtschaft als Ganzes hochgradig gefährdet.12

Ohne Zweifel stellt eine Strategie der beschleunigten Digitalisierung hohe Anforderungen an die Mobilität und Flexibilität der Beschäftigten, die Umstellungsbereitschaft der Unternehmen und nicht zuletzt an die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Eine solche Strategie beschleunigt den Strukturwandel auf den Güter- und Arbeitsmärkten und bringt damit unvermeidlich Gewinner und Verlierer hervor. Dies ist angesichts der weltweiten Globalisierungskritik und der in manchen Ländern bereits politisch organisierten Renationalisierung alles andere als ein zu vernachlässigendes Problem. Zwar hat Deutschland – anders als die USA – der regionalen Strukturpolitik seit langem einen hohen Stellenwert eingeräumt. Aber auch hier fühlen sich Teile Bevölkerung und der Wirtschaft vom Tempo der Veränderungen überfordert. Wenn die Strukturpolitik für eine große Zahl an Gewinnern und eine geringe Zahl an Verlierern sorgen will, muss sie für eine sozial verträgliche Anpassungsmobilität sorgen.

Drei Maßnahmen sind dafür besonders wichtig:

  1. Ein strukturiertes und zertifiziertes Weiterbildungssystem: Angesichts der schon jetzt spürbaren Engpässe und der sich abzeichnenden Alterung des Arbeitskräfteangebots kann die berufliche Erstausbildung den Fachkräftebedarf keinesfalls decken. Die beschleunigte Digitalisierung wird dieses Problem weiter verschärfen, da sie sowohl den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften steigern als auch die Halbwertszeit des Wissens verkürzen wird. Es gilt daher, die Erwachsenenbildung als zusätzliche Säule des beruflichen Bildungssystems auszubauen. Bisher ist das deutsche Weiterbildungssystem zersplittert, intransparent und unübersichtlich. Ein allgemein anerkannter Nachweis von Qualifikationen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erworben wurden, ist schwierig. Vor allem im Bereich der informellen/prozessimmanenten Weiterbildung muss das Problem gelöst werden, wie Kompetenzen formal anerkannt werden können. Gerade für die berufliche Weiterbildung in produktionsnahen Tätigkeiten wird die Herausforderung darin liegen, zertifizierbare Kompetenzen zu vermitteln und begleitetes bzw. gestaltetes Lernen in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Dies kann nicht ohne den Staat gelingen, der nicht nur Normen und Grundsätze festlegen und die Organisationsstruktur der Weiterbildung bestimmen, sondern auch die höhere Weiterbildungsbeteiligung finanziell unterstützen sollte.13
  2. Weiterentwicklung des Flexicurity-Konzepts: Die Arbeitsmarktpolitik kann den Strukturwandel durch die Förderung der beruflichen und regionalen Mobilität einerseits und die Absicherung der Arbeitskräfte während der Transferphasen andererseits unterstützen. Dabei kommt es darauf an, Arbeitslosigkeit und Weiterbildung besser zu verknüpfen, Solo-Selbständige besser abzusichern, Telearbeit und Home-Office zu fördern und die betriebliche Personalpolitik auf langfristige und entwicklungsorientierte Beschäftigungskonzepte auszurichten. Diese Maßnahme reduziert die Risiken bei Arbeitsplatzverlust oder Umstrukturierung und erhöht die Chancen auf Beschäftigung in den neu entstehenden Arbeitsplätzen der digitalisierten Wirtschaft. Darüber hinaus wird das Bildungssystem seine Bildungswege besser verbinden müssen, um sich durchgehend zu flexibilisieren und dadurch die notwendige Aufstiegsmobilität zu erreichen. Dabei spielen die Sozialpartner eine wichtige Rolle. Ihnen sollte es gelingen, einen „Neuen Flexibilisierungskompromiss“ zu finden. Er sichert die Akzeptanz für den beschleunigten Strukturwandel und verringert die Streikrisiken.
  3. Integrative regionale Strukturpolitik: Der Arbeitsmarkt ist und bleibt regional, auch wenn sich seine Grenzen durch weltweite Kommunikation aufzulösen scheinen. Wenn man ein weiteres Auseinanderdriften der regionalen Entwicklungstrends verhindern will, sollte man insbesondere in den Problemregionen die wichtigsten Akteure zusammenführen und einen gemeinsamen Ziel- und Maßnahmenkatalog formulieren. Neben den Sozialpartnern gehören die Repräsentanten von Wirtschafts- und Arbeitsförderung, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Infrastrukturanbieter (Telekommunikation, Energiewirtschaft, Bahn- und Straßennetz) sowie die politischen Vertreter der Region dazu. Manche dieser Institutionen werden in Deutschland zentral geführt und die Anpassung an die regionalen Erfordernisse lässt gelegentlich zu wünschen übrig. Eine stärkere Dezentralisierung der Maßnahmensteuerung und vor allem eine bessere Abstimmung der Maßnahmen auf der regionalen Ebene würden der regionalen Strukturpolitik eine größere Schlagkraft verleihen und die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie auf breiter Ebene erleichtern.

Die Zukunft ist offen und gestaltbar, auch wenn die Apologeten der „neuen Technologien“ gelegentlich einen anderen Eindruck zu erzeugen suchen. Die Entwicklungen verlaufen meist deutlich langsamer als dies in Technikprognosen vorhergesagt wird. Schließlich ist festzustellen, dass die deutsche Wirtschaft auf einem guten Weg ist, den Digitalisierungstrend nicht zu verschlafen. Wir haben also Handlungsspielräume, uns auf eine sinnvolle Anpassungsstrategie zu einigen, und Zeit, um sie umzusetzen. Dazu gehört allerdings ein umfassendes Bild von den wahrscheinlichen Entwicklungstrends. Einseitige Risikoanalysen erscheinen in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv, denn sowohl die Wissenschaft als auch die öffentliche Meinung sollten sich bewusst sein, dass wir nicht erfolgreich sein werden, wenn wir die Chancen vor lauter Risiken übersehen.

  • 1 C. Frey, M. A. Osborne: The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerization?, Oxford, 17.9.2013.
  • 2 H. Bonin, T. Gregory, U. Zierahn: Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland, Kurzexpertise Nr. 57 an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Mannheim 2015.
  • 3 K. Dengler, B. Matthes: In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar, IAB Kurzbericht, Nr. 24/2015.
  • 4 N. Düll (Hrsg.): Digitalisierung der Arbeitswelt. Fachexpertisen zur Arbeitsmarktprognose 2030, Bielefeld 2016, S. 69.
  • 5 M. Cardona, T. Kretschmer, T. Strobel: ICT and Productivity: Conclusions from the Empirical Literature, in: Information Economics and Policy, 25. Jg. (2013), H. 3, S. 109-125.
  • 6 R. M. Solow: We‘d better watch out, New York Times Book Review, 12.7.1987.
  • 7 Ein derartiges strategisches Szenario wurde von Economix Research & Consulting im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entwickelt und auf Basis eines gesamtwirtschaftlichen Strukturmodells quantifiziert. Im Einzelnen vgl. K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.
  • 8 K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter, Bielefeld 2016.
  • 9 Im Einzelnen vgl. B. Kriechel, K. Vogler-Ludwig: Arbeitsmarkt 2030 – Methodenbericht, Bielefeld 2013, S. 8 ff.
  • 10 I. Bertschek, J. Ohnemus, T. Niebel: Auswirkungen der Digitalisierung auf die zukünftigen Arbeitsmärkte, in: N. Düll (Hrsg.): Digitalisierung der Arbeitswelt, Fachexpertisen zur Arbeitsmarktprognose 2030, Bielefeld 2016
  • 11 Da die Entstehung neuer Berufe statistisch nicht abgebildet werden kann, gehen wir davon aus, dass sich neue Berufsbilder innerhalb der bestehenden Berufe herausbilden.
  • 12 Die Autoren der „Gefährdungsstudien“ können dies auch als ernstgemeinte Bitte verstehen, ihre Analysen um eine Darstellung der Beschäftigungschancen durch die digitale Technik zu ergänzen.
  • 13 Dies deckt sich mit der von Enzo Weber in dieser Zeitschrift entwickelten Idee einer beruflichen Weiterbildungsstrategie. Vgl. E. Weber: Digitalisierung als Herausforderung für eine Weiterbildungspolitik, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 5, S. 372-374, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2017/5/digitalisierung-als-herausforderung-fuer-eine-weiterbildungspolitik/ (24.11.2017).

Title:Employment Effects of Digital Technologies – a Clarification

Abstract:This article presents a forward-looking analysis of the employment effects of digital technologies and an answer to the single­sided and false description of job risks by Frey/Osborne and others. The paper describes the effects from three angles: (1) From a theoretical viewpoint, it explains the principal relationship between technological change and employment. (2) From the analytical viewpoint, it identifies the peculiarities of digital markets. (3) From the future-oriented viewpoint, it quantifies the expected effects of accelerated digitisation on German labour markets, based on Economix’s long­term forecast. This is done by looking at both structural transition and the balance of jobs at the macro level.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-017-2226-y