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Mit der Einführung des Mindestlohns im Januar 2015 sollten Geringverdiener bessergestellt werden. Da insbesondere Minijobber gering entlohnt werden, ist es aufschlussreich, die Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns in diesem Bereich zu analysieren. Es zeigt sich, dass der gesetzliche Mindestlohn 2015 bei knapp der Hälfte der Minijobber umgangen wurde. Diese Ergebnisse signalisieren, dass eine wirksame Kontrolle zur Verhinderung von Mindestlohnverstößen erforderlich ist.

Die Einführung des Mindestlohngesetzes zum Januar 2015 hatte vor allem für die geringfügig Beschäftigten eine besondere Bedeutung. In dieser Beschäftigtengruppe war das Potenzial der Anspruchsberechtigten mit etwa 59% nicht nur besonders groß. Überwiegend lagen die Stundenlöhne zudem auf sehr niedrigem Niveau. Der Mindestlohn ließ also teilweise erhebliche Lohnsteigerungen erwarten. Hinzu kommt die beitrags- und steuerrechtliche Sonderstellung der Minijobs. Bis zu der Einkommensgrenze von monatlich 450 Euro werden von den Minijobbern weder Sozialabgaben noch Steuern erhoben.1 Für sie sind Brutto- und Nettolohn identisch. Durch die Einführung des Mindestlohns kann das monatliche Einkommen aber bei zuvor niedrigen Stundenlöhnen die Einkommensgrenze überschreiten und dadurch in den Bereich der steuer- und abgabenpflichtigen Midijobs fallen. Für geringfügig Beschäftigte würden sich infolgedessen die Nettolöhne verringern.2 Soll dieser Effekt vermieden werden, bleibt als Ausweg nur die Verkürzung der Arbeitszeit.

Angesichts dieser im Vergleich zu den übrigen Beschäftigten besonderen Lohnsituation stellt sich die Frage, welche Effekte die Einführung des Mindestlohns auf das Lohnniveau und die Arbeitszeit der Minijobber im Haupt­erwerb hatte und wie die Mindestlöhne im Bereich der ausschließlichen Minijobber bisher umgesetzt wurden. Für die Wirksamkeit des Mindestlohngesetzes stellen geringfügig Beschäftigte einen guten Prüfstein dar, denn diese waren bisher eine am Arbeitsmarkt überwiegend benachteiligte Gruppe.

Minijobber als benachteiligte Gruppe am Arbeitsmarkt

Geringfügig Beschäftigte sind am Arbeitsmarkt in mehrfacher Hinsicht benachteiligt. Im Vergleich zu anderen Beschäftigtengruppen mit sonst gleichen Merkmalen erhalten sie einen geringeren Lohn, sind höheren Beschäftigungsrisiken ausgesetzt und nehmen seltener an betrieblich-beruflicher Weiterbildung teil.3 Dieses Gefälle wird bei einem Vergleich mit unbefristet Vollzeitbeschäftigten besonders deutlich. Niedriglöhne sind kennzeichnend für Minijobs. Mit 67% erhielt die Mehrheit nur einen Niedriglohn, der auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) 2014 bei 9,24 Euro lag.4 Dagegen fielen die Vergleichswerte für alle Beschäftigten mit 21% und für unbefristet Vollzeitbeschäftigte mit 10,4% wesentlich geringer aus. Da der Mindestlohn mit 8,50 Euro noch unter der Niedriglohnschwelle liegt, sind auch die Anteilswerte der Betroffenen mit niedrigeren Stundenlöhnen etwas geringer. Während 2014, also vor Einführung des Mindestlohns, nur etwa 8% der unbefristet Vollzeitbeschäftigten unter der Mindestlohnschwelle lagen, waren es bei den Minijobbern etwa 59%.5

Zu den oft nur geringen Stundenlöhnen kommen weitere Benachteiligungen. Minijobber erhalten häufig weder Urlaub noch Lohnfortzahlung bei Krankheit oder andere Leistungen, auf die sie entsprechend dem Benachteiligungsverbot, das Teilzeitbeschäftigte den sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten gleichstellt, gesetzliche Ansprüche hätten.6 Deshalb war zu erwarten, dass der Mindestlohn gerade für geringfügig Beschäftigte eine hohe Bedeutung haben würde – es aber auch erhebliche Widerstände bei manchen Arbeitgebern geben würde. Und umgekehrt sprachen auf Seiten der Minijobber Erfahrungen dafür, dass sie nicht immer mit Vehemenz ihre Ansprüche einfordern würden. Unter Minijobbern ist der Anteil derjenigen, die glauben, sie hätten keinen Anspruch auf Lohngleichheit mit anderen vergleichbaren Beschäftigten mit 40% (befristete Minijobs) bzw. 31% (unbefristete Minijobs) besonders groß. Aber selbst, wenn Minijobber über ihre Ansprüche informiert sind, verzichten sie oft darauf, diese auch einzufordern.7 Vor diesem Hintergrund war zu vermuten, dass die Umsetzung des Mindestlohngesetzes bei den Minijobbern auf schwierige Bedingungen stoßen würde.

Für Arbeitgeber, die Minijobber mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro beschäftigten, bieten sich als Reaktion auf die Einführung des Mindestlohns verschiedene Anpassungsmöglichkeiten an. Sie können Minijobber entlassen, weil die bisherigen Lohnkostenvorteile gegenüber vergleichbaren Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigten wegfallen oder zu gering werden.8 Erhöhen sie den Stundenlohn, dann steigt bei unveränderter Arbeitszeit auch das Monatseinkommen. Wird dabei die Einkommensgrenze von 450 Euro im Monat überschritten, werden die Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig und können in einen Midijob oder in Teilzeit mit voller Sozialversicherungspflicht umgewandelt werden. Diese Reaktion wird hier nicht weiter betrachtet. Alternativ können die Betriebe die Arbeitszeit reduzieren, um Minijobs trotz Lohnerhöhung unterhalb der Einkommensgrenze von 450 Euro zu halten. Schließlich ist denkbar, dass sie die Mindestlohngesetzgebung umgehen. Wie empirische Untersuchungen für England zeigen, hängt die Reaktion auch von den spezifischen Angebots-Nachfragerelationen auf Teilarbeitsmärkten ab, zudem lassen sich Anpassungen an den Mindestlohn eher bei flexiblen Beschäftigungsverhältnissen umgehen.9

Datengrundlage

Die folgende Analyse verwendet zwei Datensätze, die auf Haushaltsbefragungen beruhen. Der erste Datensatz ist das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) organisierte SOEP10, für das jährlich etwa 27 000 Personen zu ihrer Lebens- und Arbeitssituation befragt werden. Der vom Umfang her mit ca. 13 000 Befragten etwa halb so große und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betreute Datensatz „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) bietet allerdings den Vorteil, dass die Hälfte der Befragten aus SGB-II-Haushalten stammt. Deshalb kann dieser Datensatz den Niedriglohnsektor besonders gut abbilden. Die Befragten in beiden Datensätzen sind größtenteils im erwerbsfähigen Alter. Beide Datensätze haben spezifische Vorzüge. Im Unterschied zu den SOEP-Daten erlauben die PASS-Daten, Lohnsätze getrennt für Minijobber in Haupt- und in Nebentätigkeit zu berechnen. Für die SOEP-Daten spricht, dass wir dort alle relevanten Ausnahmen vom Mindestlohn aus der Analyse ausschließen konnten,11 während dies in PASS nur für 2015 möglich war (2014 wurden die Branchen bei den Minijobbern noch nicht erhoben).

Relevante Branchenausnahmen im ersten Halbjahr 2015 umfassten Friseursalons, Land- und Forstwirtschaft, Zeitungszustellung, die Fleischindustrie sowie für Ostdeutschland die Leiharbeitsbranche, Wäschereien und die Textilwirtschaft. Weitere nicht in die Auswertung aufgenommene Gruppen (in PASS und SOEP) sind Auszubildende, Praktikanten und unter 18-Jährige, die in der Regel keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, sowie für längere Zeit arbeitslos registrierte Personen (SOEP: Januar bis Dezember des Vorjahrs, PASS: mindestens zwölf Monate vor der Befragung), da es für Langzeitarbeitslose auf Antrag eine Ausnahme vom Mindestlohn geben kann.12 Im SOEP können nur Minijobs im Haupterwerb identifiziert werden, auf denen daher das Hauptaugenmerk unserer Untersuchung liegt. Ergänzungen liefern die PASS-Daten für Minijobs im Nebenverdienst.

Bei den nachfolgenden Befunden ist zu berücksichtigen, dass sie überwiegend den Stand Anfang 2015 angeben und eventuell verzögerte Reaktionen der Betriebe auf die neuen Lohnbestimmungen nicht erfassen. Das kann auch für die Anpassungsbereitschaft der Beschäftigten gelten, die sich z.B. entweder für kürzere Arbeitszeiten oder für einen Wechsel in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis entscheiden, wodurch es zunächst wegen der Abgaben zu Einbußen bei den Nettolöhnen kommen kann. 2015 lag der mittlere Interviewzeitpunkt des SOEP im April. Die Befragungsinhalte zu den Arbeitsbedingungen bezogen sich auf den Vormonat, also im Mittel auf den März.13 Auch die PASS-Befragung wurde überwiegend in der ersten Jahreshälfte 2015 durchgeführt, der mittlere Befragungsmonat war der März. Ein Teil der Ergebnisse gibt somit den Sachstand der Anfangsmonate des Jahres wieder. Sollte die Anpassung im Laufe des Jahres an Fahrt gewonnen haben, repräsentieren diese Daten nicht den Stand Ende 2015. Zudem sind sowohl Stundenzahl als auch Lohnerhebungsdaten eventuell etwas ungenau, was aber nichts an der Grundtendenz ändert. Auch die Verdienststrukturerhebung (VSE) des Statistischen Bundesamtes und die darauf beruhenden Ergebnisse der Mindestlohnkommission weisen diese Probleme auf.14

Stundenlöhne

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat sich auf die Stundenlöhne der Minijobber ausgewirkt.15 Diese stiegen im Durchschnitt mit 8,7% deutlich stärker als bei den Vollzeitbeschäftigten mit 2,7%.16 Gleichwohl hat die Einführung des Mindestlohngesetzes bei den Minijobbern Löhne von unter 8,50 Euro nicht verhindern können. 2014 verdienten 58,8% der ausschließlichen Minijobber weniger als 8,50 Euro pro Stunde.17 Nach der Einführung des Gesetzes besserte sich die Lohnsituation etwas, der Anteil sank auf 49,8%.18 Jeder zweite Minijobber musste sich also weiterhin mit einem geringen Stundenlohn zufriedengeben. Diese auf SOEP-Daten beruhenden Befunde werden durch Auswertungen von PASS-Daten bestätigt. Danach ging der Anteil der Minijobber (Haupttätigkeit) mit einem Stundenverdienst unter 8,50 Euro von 57,9% (2014) auf 48,2% (2015) zurück.19 Für Minijobber in Nebentätigkeit lauten die Vergleichswerte 37,1% und 36,9%. Die geringeren Werte sind plausibel und haben mit dem bei Minijobs in Nebentätigkeit durchschnittlich höheren Lohnniveau zu tun.20

Um zu überprüfen, ob Betriebe, wie vermutet, die Löhne verzögert an die neuen gesetzlichen Vorschriften angepasst haben, wurden Berechnungen für einen späteren Befragungszeitraum im Jahr 2015 durchgeführt. Verschiebt man den mittleren Berichtszeitraum vom März auf den Juni21 und lässt den Betrieben mehr Zeit zur Anpassung, sinkt der Anteil der Minijobber mit einem nicht gesetzeskonformen Lohn auf 46,3%. Das ist nach durchschnittlich sechs Monaten Zeit immer noch ein erstaunlich hoher Wert. Vielen Minijobbern entgeht ein durchaus relevanter finanzieller Betrag, auf den sie einen Rechtsanspruch haben.

Die auf zwei unterschiedlichen Datenquellen beruhenden Befunde lassen in ihrer Deutlichkeit keinen Zweifel, dass die Betriebe bei einem erheblichen Teil der Minijobber nicht die vom Gesetz geforderte Anpassung der Löhne vollzogen haben. Die Werte liegen sowohl im Niveau als auch in den Veränderungsraten auffallend eng beieinander. Das weitgehend übereinstimmende Ergebnis erhärtet die Vermutung, dass das Mindestlohngesetz noch längst nicht flächendeckend angewendet wird. Es hat die Lohnsituation der Minijobber lediglich partiell verbessert. Wie die Daten in Abbildung 1 zeigen, sind die Anteilswerte der untersten Lohnklassen gesunken, die der höheren Lohnklassen dagegen gestiegen.

Abbildung 1
Stundenlöhne der Minijobber 2014 und 2015
Anteile in %, Stundenlöhne in Euro
Stundenlöhne der Minijobber 2014 und 2015

Quelle: SOEP v32.1; eigene Berechnungen.

Mit PASS-Daten errechnet sich ein Lohnanstieg um 8,2% für Minijobber in Haupt- und um 9,4% in Nebentätigkeit.22 Das Niedriglohnproblem im Bereich der Minijobber ist aber immer noch evident, denn etwa zwei Fünftel der Minijobber im Hauptverdienst, die mit etwa 5 Mio. die Mehrzahl der Minijobber stellen, verdienten 2015 weniger als 7,50 Euro. Besonders in den Branchen mit vielen Minijobbern und Niedriglöhnen, für die es keine Ausnahmeregelung gab, lag der Anteil der Verstöße gegen das Mindestlohngesetz 2015 noch höher. Vor allem gilt das für das Gastgewerbe mit 70,3% und den Einzelhandel mit 52,2%. Außerdem traten Mindestlohnverletzungen mit 57,8% häufiger in Kleinunternehmen (bis zehn Beschäftigte) auf als in mittelgroßen Unternehmen (45,3%, elf bis 199 Beschäftigte) und Großunternehmen (42,4%, 200 oder mehr Beschäftigte).

Vergleich mit Ergebnissen aus der Verdienstruktur­erhebung

Zu deutlich anderen Ergebnissen kommt eine Mitte 2016 erschienene Untersuchung der Mindestlohnkommission, die auf Daten des Statistischen Bundesamtes basiert.23 Sie konstatiert für den Erhebungsmonat April 2015 (was dem durchschnittlichen Erhebungsmonat im SOEP entspricht) bei den Minijobbern mit 13% deutlich weniger Verstöße gegen das Mindestlohngesetz. Grundlage der Untersuchung bildeten Daten aus einer freiwilligen Zusatzbefragung zur VSE, bei der Arbeitgeber zur Entgeltsituation befragt wurden. Beim Erscheinen des Berichts der Mindestlohnkommission waren dies die neuesten Daten. Ergebnisse für 2015 waren damals in SOEP und PASS noch nicht verfügbar.

Alle Daten, die auf Umfragen beruhen, besitzen Unschärfen. Befragte können Fragen missverstehen, sich nicht genau erinnern oder bewusst falsche Antworten geben. Das gilt für SOEP und PASS wie für die Zusatzbefragung zur VSE. Allerdings sind bei den Daten der VSE zusätzliche Informationen zu beachten, die die unterschiedlichen Ergebnisse erklären können und die für die Interpretation wichtig sind:

  1. Bei der online durchgeführten VSE-Nachbefragung (ohne Interviewer im Unterschied zu PASS und SOEP) konnten die Betriebe freiwillig teilnehmen. Arbeitgeber, die sich nicht an die Vorgaben des gesetzlichen Mindestlohns hielten, konnten sich also gegen eine Beteiligung an der amtlichen Befragung entscheiden. Ehrliche Betriebe dürften eine deutlich höhere Motivation zum Mitmachen gehabt haben als unehrliche. Die Rücklaufquote lag bei 12% der 50 000 befragten Betriebe.
  2. Nur bezahlte Überstunden wurden in die Berechnung der Stundenlöhne einbezogen. Unbezahlte Überstunden wurden in der VSE nicht erhoben. Daher konnten unbezahlte Überstunden in der Auswertung auch nicht berücksichtigt werden. Die Zahl der durchschnittlich geleisteten unbezahlten Überstunden ist aber deutlich größer als die der bezahlten,24 wobei in der Praxis viele Umgehungen des Mindestlohns gerade über unbezahlte Überstunden stattfinden. Das zeigen z.B. Interviews mit Experten des Zolls.25
  3. Während sich die Berechnungen in SOEP und PASS auf die ausschließlichen Minijobber beziehen, enthält die VSE-Studie auch die nebenberuflichen Minijobber. Letztere erhalten aber einen durchschnittlich deutlich höheren Stundenlohn. Dadurch steigt der durchschnittliche Stundenlohn aller Minijobber in den VSE-Berechnungen – und der Anteil der Mindestlohnverletzungen sinkt zwangsläufig.

Arbeitszeit nur wenig verändert

Neben dem Lohnsatz bildet die Arbeitszeit den zweiten wichtigen Anpassungsparameter, mit dem Betriebe auf die Mindestlohn-Einführung reagieren können. Die durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit der Minijobber im Hauptverdienst hat zwischen 2014 und 2015 leicht abgenommen (vgl. Abbildung 2). Während der Anteil der Beschäftigten mit Arbeitszeiten bis zu 12,5 Stunden stieg, sanken die Anteile der Beschäftigten mit Arbeitszeiten zwischen 12,5 und 20 Stunden. Gestiegen ist insbesondere der Anteil der Beschäftigten, die zwischen 10 und 12,5 Stunden pro Woche arbeiten. Deren Arbeitszeit bewegt sich nur wenig unter der durch den Mindestlohn vorgegebenen Höchstgrenze für Minijobber, die bei einem maximalen Bruttoverdienst von 450 Euro bei knapp 53 Stunden pro Monat oder 12,2 Stunden pro Woche lag.26 Diesen Wert übersteigen gut 28% der Minijobber. Arbeitszeiten in dieser Größenordnung bedeuten Mindestlohnverletzungen. Diese Befunde stehen im Einklang mit denen zu den Stundenlöhnen. Sie weichen jedoch von den auf Basis von PASS-Daten berechneten Werten ab, die nur gut 17% der Minijobber im Hauptverdienst mit Arbeitszeiten über 12,5 Stunden indizieren.

Abbildung 2
Tatsächliche Arbeitszeit der Minijobber 2014 und 2015
Anteile in %, Arbeitszeiten in Stunden
Tatsächliche Arbeitszeit der Minijobber 2014 und 2015

Quelle: SOEP v32.1; eigene Berechnungen.

Die geringen Anpassungen bei der tatsächlichen Arbeitszeit decken sich mit den Werten der vertraglichen Arbeitszeit, wobei es hier insgesamt geringere Änderungen gab als bei den tatsächlichen Arbeitszeiten. Auch hier sinkt der Anteil der Minijobber im Hauptverdienst mit Arbeitszeiten über 12,5 Stunden (vgl. Abbildung 3). Mit 24% bleibt er aber weiterhin hoch. Alle vertraglichen Arbeitszeiten von über 12,2 Stunden pro Woche verstoßen gegen die Vorschriften des Mindestlohngesetzes.

Abbildung 3
Vertragliche Arbeitszeit der Minijobber 2014 und 2015
Anteile in %, Arbeitszeiten in Stunden
Vertragliche Arbeitszeit der Minijobber 2014 und 2015

Quelle: SOEP v32.1; eigene Berechnungen.

Fazit

Dieser Beitrag geht der Frage nach, inwieweit der gesetzliche Mindestlohn im Bereich der Minijobber umgesetzt wurde. Die auf zwei unterschiedlichen Datenquellen (SOEP und PASS) beruhenden Ergebnisse zeigen in weitgehender Übereinstimmung, dass der gesetzliche Mindestlohn 2015 bei knapp der Hälfte der Minijobber umgangen wurde. Der Anteil der Minijobs mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro sank 2015 im Vergleich zu 2014 nur leicht. Auch wenn sich dieser Prozess im Laufe des Jahres 2015 weiter fortsetzte, blieben nach den bisher vorliegenden Daten 46% unter der Mindestlohnschwelle. Dieses Ergebnis signalisiert, dass es offensichtlich nicht ausreicht, Mindestlöhne per Gesetz vorzuschreiben. Notwendig sind geeignete Maßnahmen einer wirksamen Kontrolle. Aber selbst wirksame Kontrollen und eine weitgehende Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben lösen nicht das verbleibende Problem von Niedriglöhnen. Mit aktuell 8,84 Euro liegt der Mindestlohn noch deutlich unter der bei etwa 9,50 Euro liegenden Niedriglohnschwelle.

  • 1 Minijobber zahlen 3,7% in die Rentenversicherung ein, können sich jedoch hiervon befreien lassen, was die überwiegende Mehrheit auch tut.
  • 2 In der sogenannten Gleitzone zwischen 451 Euro und 850 Euro steigt der Beitragssatz schrittweise von zunächst 11% bis auf die volle Höhe bei einem Einkommen von 851 Euro; vgl. G. Bäcker: Mindestlohn und Minijobs: Steuerklasseneffekt bremst Übergang in beitragspflichtige Beschäftigung, in: Soziale Sicherheit, 65. Jg. (2015), Nr. 7, S. 270-275.
  • 3 Vgl. L. Bellmann et al.: Weiterbildung atypisch Beschäftigter, Bertelsmann Stiftung, Bielefeld 2013; W. Brehmer, H. Seifert: Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse prekär?, in: Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung, 41. Jg. (2008), H. 4, S. 501-531.
  • 4 SOEPv32; eigene Berechnungen. Verwendet wurden die tatsächlichen Arbeitsstunden und das Bruttogehalt inklusive Entgelt für Überstunden ohne Berücksichtigung von Sonderzahlungen. Kalina und Weinkopf weisen für das Vorjahr ähnliche Werte aus, allerdings mit Sonderzahlungen, vgl. T. Kalina, C. Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2013: Stagnation auf hohem Niveau, IAQ Report, Nr. 3/2015.
  • 5 Vgl. M. Amlinger, R. Bispinck, S. Schulten: The German minimum wage: Experiences and perspectives after one year, WSI Institute of Economic and Social Research, WSI-Report, Nr. 28e, 1/2016.
  • 6 Vgl. R. Bachmann et al.: Studie zur Analyse der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, Projektbericht im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Essen 2012; G. Fischer et al.: Situation atypisch Beschäftigter und Arbeitszeitwünsche von Teilzeitbeschäftigten: Quantitative und qualitative Erhebung sowie begleitende Forschung, IAB-Endbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, 2015.
  • 7 Ebenda, S. 62 ff.
  • 8 Dieser Frage gehen wir hier nicht nach. Bisherige Ergebnisse lassen nur geringe Effekte erkennen, die auch auf die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hindeuten; vgl. Mindestlohnkommission: Erster Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns. Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz, Berlin 2016, Kap. 3.
  • 9 Vgl. H. Bewley, D. Wilkinson, A. Rincon-Aznar: An Assessment of the Changing Use of Flexible Employment and Implications for the National Minimum Wage, NIESR Discussion Papers, 2014.
  • 10 Vgl. auch G. G. Wagner et al.: Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Multidisziplinäres Haushaltspanel und Kohortenstudie für Deutschland, in: AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, 2. Jg. (2008), H. 4, S. 301-328.
  • 11 Teilweise war das nur im erweiterten Branchenzuschnitt möglich (z.B. sind Friseursalons nur ein Teil der Wirtschaftsklasse 93 im SOEP).
  • 12 Die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose wurde nach Berichten der Bundesagentur für Arbeit auf dem formalen Weg kaum beantragt. Vgl. P. vom Berge et al.: Mindestlohnausnahme für Langzeitarbeitslose: Wenig wirksam und kaum genutzt, IAB-Kurzbericht, Nr. 23/2016.
  • 13 Der Befragungsmonat Januar wurde aus diesem Grund nicht betrachtet (SOEP). In PASS fanden alle Interviews nach dem Januar statt.
  • 14 Vgl. Mindestlohnkommission, a.a.O.; Statistisches Bundesamt: 1,9 Millionen Jobs mit Mindestlohn im April 2015, Pressemitteilung vom 29.6.2016, Nr. 227/16.
  • 15 Der Stundenlohn wurde aus den Angaben zum Bruttolohn und zur tatsächlichen Arbeitszeit berechnet. Diese kann z.B. durch Überstunden von der vertraglichen Arbeitszeit abweichen, die sich allerdings im Einkommen niederschlagen sollten. Darüber hinausgehende Mehrarbeit mit Freizeitausgleich oder Arbeitszeitkonten dürfte sich im Jahr weitgehend ausgleichen. Im Unterschied zu der Analyse von Brenke und Müller blieben sie unberücksichtigt, da Arbeitszeitkonten bei Minijobbern mit 3,7% nach Zapf und Weber eine Ausnahme sind. Vgl. K. Brenke, K.-U. Müller: Gesetzlicher Mindestlohn – Kein verteilungspolitisches Allheilmittel, in: DIW-Wochenbericht, Nr. 39, 2013, S. 3-17; I. Zapf, E. Weber: The role of employer, job and employee characteristics for flexible working time, IAB Discussion Paper, Nr. 4, 2017.
  • 16 Steigerung für die Minijobs inklusive Neben-Minijobs: inklusive Mindestlohn-Ausnahmebranchen wegen der Zugrundelegung von PASS, aber ohne die sonstigen Ausnahmen vom Mindestlohn. Im SOEP beträgt die Lohnsteigerung der Hauptminijobs ohne Ausnahmebranchen und sonstigen Ausnahmen 10,9%. Steigerung bei den Vollzeitbeschäftigten, vgl. Statistisches Bundesamt: Reallohnindex und Nominallohnindex, 3. Vierteljahr 2016; Mindestlohnkommission, a.a.O., S. 53 (Erhebungsmonat April 2015, Befragungsdaten zur Arbeitszeit).
  • 17 Die Werte weichen durch ein zwischenzeitlich erfolgtes Datenrelease von SOEPv32 zu SOEPv32.1 geringfügig von den Werten von Pusch und Seifert ab; vgl. T. Pusch, H. Seifert: Mindestlohn: Für viele Minijobber weiterhin nur Minilöhne, WSI Policy Brief, Nr. 9, 2017.
  • 18 95%-Konfidenzintervall [47,5%; 52,2%].
  • 19 Allerdings war es bei diesem Datensatz im Jahresvergleich nicht möglich, die Ausnahmebranchen aus der Betrachtung auszuschließen.
  • 20 W. Eichhorst et al.: Geringfügige Beschäftigung: Situation und Gestaltungsoptionen, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2012.
  • 21 Daten für spätere Zeitpunkte stehen nicht zur Verfügung oder die Fallzahlen sind zu gering.
  • 22 PASS-Berechnungen: Beschäftigte inklusive Ausnahme-Branchen, aber ohne die sonstigen Ausnahmen vom Mindestlohn.
  • 23 Vgl. Mindestlohnkommission, a.a.O.; Statistisches Bundesamt: 1,9 Millionen Jobs ..., a.a.O.
  • 24 S. Wanger, R. Weigand, I. Zapf: Measuring hours worked in Germany – Contents, data and methodological essentials of the IAB working time measurement concept, in: Journal for Labour Market Research, 49. Jg. (2016), H. 3, S. 213-238.
  • 25 T. Schulten et al.: Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen: Europäische Erfahrungen und was Deutschland von ihnen lernen kann, Studie im Auftrag der G.I.B. – Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH, Arbeitspapier, Nr. 49, 2014, S. 30 ff.
  • 26 Nach der Mindestlohn-Anhebung zum 1.1.2017 sinkt die Grenze auf 50,9 Stunden.

Title:Insufficient Implementation of the Statutory Minimum Wage Among Marginal Employees

Abstract:In this article, we examine the implementation of the statutory minimum wage of €8.50 per hour for marginal employees (“mini-jobbers”) in Germany. Using two representative datasets, it can be shown that six months after the law came into force about 45% of marginal employees still received wages below the minimum wage threshold. Minimum wage violations are especially prevalent in low-wage sectors such as the hotel and catering sector (70%) and retail (52%), as well as in small establishments (58%). The minimum wage improved the wage situation in Germany, but the large number of violations suggest that more effective public controls are needed.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2106-5