Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Wahl Donald Trumps, der Brexit und der Erfolg populistischer Parteien in Europa zeigen tiefsitzende Skepsis gegenüber Experten und Eliten und deren komplexen Erklärungen der politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ökonomen wird vorgeworfen, sich in Detailfragen zu verlieren und ein unrealistisches Menschenbild zu pflegen. Tatsächlich wäre es aber wichtig, die Unabhängigkeit der Ökonomen abzusichern, mehr Transparenz über die Hintergründe ihrer Ergebnisse herzustellen und stärker auf die Relevanz ihrer Forschungsfragen zu achten. Zudem sollten sie mehr Wert auf eine für alle verständliche Kommunikation mit Politik und Medien legen. Umgekehrt sollten letztere sich aber auch ernsthaft mit den ökonomischen Ergebnissen auseinandersetzen.

Experten, Politik und Populismus

Am 3. Juni 2016 gab Michael Gove, der damalige britische Justizminister und während der Brexit-Kampagne einer der Hauptbefürworter des Austritts Großbritanniens aus der EU, ein denkwürdiges Interview zum Thema „EU: In or Out?“1. Gleich zu Beginn wurde der Minister gefragt, ob er auch nur einen einzigen unabhängigen Ökonomen benennen könne, der seine Position unterstütze. Gove reagierte darauf mit dem Verweis, dass sich Ökonomen in der Vergangenheit immer wieder geirrt hätten. Daher sei er froh, sie nicht an seiner Seite zu wissen. Später ergänzte er, dass die britische Bevölkerung genug davon habe, von Experten gesagt zu bekommen, was das Beste wäre. Das mache ihn zuversichtlich für das anstehende Referendum, in dem es für die Briten darum gehe, die Kontrolle über das eigene Schicksal zurückzugewinnen.

Politik in der Zwickmühle

Zwar sollte das Ergebnis des Referendums am 23. Juni 2016 die Zuversicht des Ministers bestätigen. Allerdings kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Gove während des Interviews in einer für das Verhältnis von Wissenschaft und Politik charakteristischen Zwickmühle befand. Tatsächlich gab es kaum Ökonomen, die sich für den Brexit aussprachen. Die weit überwiegende Zahl der Experten warnte vor den wirtschaftlichen Folgen. Nun kann vermutet werden, dass Gove nur zu gern auf ökonomische Expertise zurückgegriffen hätte, um seine Brexit-Befürwortung wissenschaftlich untermauern zu können. Schließlich verzichten Politiker ungern darauf, ihre Positionen mit Rückgriff auf externen Sachverstand zu begründen. Wenn sich für umstrittene Positionen keine oder kaum wissenschaftliche Unterstützung mobilisieren lässt, geraten sie schnell in argumentative Nöte.

Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Goves pauschale Experten-Kritik aus der subjektiven Notsituation resultierte, keinen einzigen halbwegs renommierten Ökonomen benennen zu können, der seine Position teilte. Bemerkenswert ist jedenfalls, wie Gove die Experten in die klassische populistische Konfliktkonstellation („Wir“ gegen „die Anderen“) einsortierte.2 Während die EU, Großunternehmen und Intellektuelle in der populistischen Basiserzählung schon immer dem Block der vermeintlich von Partikularinteressen geleiteten „Anderen“ zugerechnet werden, ist die Diskreditierung von Expertenwissen in dieser Deutlichkeit neu. Wo sich populistische Politiker früher noch die Mühe gemacht hätten, Gegenexpertise ins Feld zu führen, verkünden sie heute selbstbewusst, dass Expertenwissen eigentlich irrelevant sei und man lieber auf den „gesunden Menschenverstand“ oder auf „alternative Fakten“ setzen solle.

Die Gove-Episode steht beispielhaft für eine spezifische Problematik, die daraus entsteht, dass der Wissenschaft in modernen Gesellschaften eine immer größere Rolle zukommt.3 Denn dieser Bedeutungszuwachs droht, die Handlungsautonomie der Politik zu begrenzen. Zwar scheint Konsens darüber zu bestehen, dass die Politik auf belastbares Wissen angewiesen ist, um effektive Steuerung unter Bedingungen steigender Komplexität in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausüben zu können. Weniger klar ist hingegen, wieviel Definitions- und Deutungsmacht die Politik der Wissenschaft überhaupt zugestehen kann, ohne Gefahr zu laufen, zum bloßen Umsetzungsorgan zu werden.

Die Politisierung wissenschaftlicher Expertise

Die Befunde der Forschung darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in der politischen Praxis genutzt werden, verdeutlichen allerdings, dass die Politik ihre Handlungsautonomie angesichts der zunehmenden Bedeutung von Expertise durchaus mit Erfolg zu bewahren sucht.4 Demnach erfolgt die Aneignung wissenschaftlichen Wissens durch die Politik in einem Prozess, der wesentlich durch die (politische) Nachfrage- und nicht durch die (wissenschaftliche) Angebotsseite bestimmt ist. Expertise, die mit den in politisch-administrativen Organisationen vorhandenen Präferenzen kompatibel ist, hat größere Chancen darauf, wahrgenommen zu werden. Wissen, das die Positionen der politischen Akteure infrage stellt oder das die administrativen Apparate vor große operative Herausforderungen zu stellen scheint, wird hingegen oft ignoriert. Die Idee, dass wissenschaftliche Evidenz praktische Politik anleiten sollte, verkehrt sich mitunter gar ins Gegenteil: die Politik prägt nicht nur die Evidenzrezeption, sondern auch die Evidenzproduktion.5

Dieser Befund steht in eigentümlichem Kontrast zu den Appellen politischer Entscheidungsträger, die Wissenschaft möge sich stärker in der Beratung engagieren. Erklärbar ist er über das politische Konkurrenzgebot, das letztlich die Grundlage für den demokratischen Wettbewerb zwischen Parteien, Personen und Fachpolitiken bildet. Dieser basiert auf unterscheidbaren Konzepten und Präferenzen, die sich in miteinander rivalisierenden Policy-Angeboten bündeln. In der sozialen Realität von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind von Experten erarbeitete Lösungsvorschläge und Handlungsempfehlungen daher selten politisch neutral, und seien sie auch noch so wissenschaftlich begründet. Unumstrittene Problemlösungen sind nur dann zu erwarten, wenn der Sachverhalt konkurrenzpolitisch irrelevant ist, von Parteien oder Regierungen also nicht zur Abgrenzung gegen Kontrahenten verwendet wird. Dies ist allenfalls bei technisch-regulatorischen Detailproblemen der Fall. Häufig aber nutzen die politischen Lager wissenschaftliche Expertise zur Profilierung und Legitimierung eigener Grundsatzpositionen. Der Hang zur Politisierung von Expertise mag sich nach Politikfeldern unterscheiden, er mag in Parlamenten stärker ausgeprägt sein als in Ministerien, auf den Leitungsebenen der Verwaltung stärker als auf deren Fachebenen. Tatsache aber ist: Fakten stehen selten für sich allein, mindestens ebenso wichtig ist, wie sie mit politisch relevanter Bedeutung aufgeladen werden können.6

Das Problem der Politisierung von Expertise ist nicht neu, wie ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von Think Tanks in den USA und Großbritannien zeigt.7 Ihr Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg hing eng mit erbittert geführten Kontroversen zwischen Liberalen auf der einen und Konservativen auf der anderen Seite des politischen Spektrums zusammen. In den 1960er Jahren tendierte die sozialwissenschaftliche Forschung dazu, liberale Positionen zu unterstützen, vor allem mit Blick auf gesellschaftspolitische Maßnahmen. Wenig verwunderlich ist es daher, dass sich vor allem das liberale politische Lager für die „Verwissenschaftlichung der Politik“ einsetzte. Faktenbasierte Entscheidungen wurden als quasi überparteilicher, objektiver Ausweg aus quälenden politischen Konflikten dargestellt. Damit wurde wissenschaftliche Expertise zu einer wertvollen Ressource, die in politischen Konkurrenzkämpfen genutzt werden konnte.

Dieses „Outsourcing“ hatte profunde Implikationen für den politischen Wettbewerb, da es die demokratiepolitisch notwendige Abgrenzung der politischen Lager voneinander, die auf unterschiedlichen Policy-Angeboten für die Identifikation und Lösung von Problemen basiert, einzuebnen drohte. Konsequent durchdacht bedeutet die Verwissenschaftlichung der Politik, dass es kaum noch Raum für konkurrenzpolitische Auseinandersetzungen gibt, da die „richtige“ politische Entscheidung durch evidenzbasierte wissenschaftliche Analysen vorgegeben wird. Eine von der wissenschaftlichen Empfehlung abweichende Politik wäre irrational und damit nicht nur moralisch verfehlt, sondern auch politisch illegitim. Daher kann es nicht überraschen, dass der Aufstieg liberaler Think Tanks von konservativen Kräften gekontert wurde. Sie erkannten in den 1970er Jahren die strategische Notwendigkeit „eigener“ wissenschaftlicher Institutionen und Experten, um im politischen Konkurrenzkampf mithalten zu können. In den USA nahmen unter der Präsidentschaft Reagans in den 1980er Jahren konservative Think Tanks wie Heritage eine dominierende Rolle bei der Produktion von Policy-Angeboten ein. Auch für die Trump-Administration ist Heritage ein einflussreicher Ideengeber.

Der Versuch, Politik zu verwissenschaftlichen, trug somit zur Politisierung der Wissenschaft bei. Das vielbeschworene Ideal der evidenzbasierten Politik steht dabei in einem ganz konkreten Spannungsverhältnis zur Realität politikbasierter Evidenz.8 Das zeigt sich nicht zuletzt in der Praxis wissenschaftlicher Politikberatung. Parlamentsfraktionen laden zu Ausschussanhörungen bevorzugt Experten ein, die ihnen nahestehen. Ebenso werden staatliche Beratungskommissionen oft gemäß des Parteienproporzes besetzt. Dabei geht es nicht um das Parteibuch, sondern um die Übereinstimmung der Expertenaussage mit der jeweils präferierten politischen Position. Auch Ministerien organisieren die Vergabe von Studienaufträgen in der Regel so, dass die zu erwartenden Ergebnisse ihren Interessen nicht diametral entgegenstehen. Ist dies doch einmal der Fall, werden Studien bisweilen nur mit großer Verzögerung veröffentlicht und dabei gelegentlich mit gravierenden Veränderungen versehen.

Integrität durch Qualitätssicherung

Insofern wäre es eine verkürzte Analyse, aus dem Brexit-Votum, dem Wahlsieg Trumps und den elektoralen Erfolgen „postfaktischer“ Kampagnen in Europa den Anbruch einer Ära abzuleiten, in der wissenschaftliche Expertise weniger gilt. Dass Experten infrage gestellt und nicht einfach ignoriert werden, belegt vielmehr den gestiegenen Druck auf die Politik, ihre Handlungsspielräume gegen einen wissenschaftlichen „Fakten- und Deutungsimperialismus“ zu verteidigen. Unter Bedingungen einer verstärkten politischen Polarisierung wird es aber in der Tat immer wichtiger für die Wissenschaft, ihre Integrität gegen Vereinnahmungsversuche durch die Politik zu wahren, selbst dort, wo es um der „guten Sache“ Willen geschieht.9

Daher täte die Politikberatung gut daran, die Chance für eine kritische Selbstreflexion zu nutzen. Dazu gehört es, die eigenen normativen Vorannahmen, die selten unpolitisch sind – was die politisierte Öffentlichkeit auch gar nicht erwartet, explizit offenzulegen. Selbstverständlich haben auch Experten Vorstellungen davon, wie Staat, Wirtschaft und Gesellschaft geordnet sein sollen. Ebenso müssten die potenziellen Wirkungen von Handlungsempfehlungen mit Blick auf die Adressaten hinterfragt werden. Denn auch Experten machen Fehler und unterliegen Fehleinschätzungen, sie neigen zu „confirmation bias“ und „group think“ und haben Interessen, nicht zuletzt professionspolitische. Um die daraus entstehenden Risiken zu begrenzen, gibt es wissenschaftliche Verfahren. Dazu gehören etwa die fachliche Begutachtung von Texten, bevor sie publiziert werden, oder die Offenlegung von Ausgangs- und Wirkungsannahmen im jeweiligen Forschungsdesign. Diese Verfahren sind indes nicht immer hinreichend sichtbar für die Öffentlichkeit. Für das Ansehen von Experten wäre es hilfreich, diese Verfahren stärker zu erklären und ihren Wert hervorzuheben.10

Gleichzeitig sollten sich die Berater aktiver als bisher damit auseinandersetzen, wie die Politik wissenschaftliche Expertise tatsächlich nutzt. Das schließt ein, zu hinterfragen, ob die Praxis wissenschaftlicher Politikberatung etwa in parlamentarischen Anhörungsverfahren sinnvoll organisiert ist. Zudem könnten anspruchsvolle Gütekriterien für die wissenschaftliche Politikberatung entwickelt werden, deren Einhaltung Voraussetzung für die Teilnahme am Wettbewerb um ausgeschriebene Beratungsleistungen wäre. Dazu würden auch Transparenzregeln gehören, die die kommerziellen Interessen und Finanzierungsquellen von den im Beratungsmarkt aktiven Wettbewerbern offenlegen.11

Schließlich sollte sich die Politikberatung verstärkt mit den alltäglichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen in Ministerien und anderen politisch-administrativen Organisationen befassen, um Vorschläge dafür entwickeln zu können, wie diese Akteure besser in die Lage versetzt werden könnten, wissenschaftliche Expertise aufzunehmen.12 Denn es gibt auch handlungspraktische Gründe dafür, dass wissenschaftliches Wissen selektiv genutzt und mitunter instrumentalisiert wird. Dazu gehören Faktoren wie Zeitmangel, vor allem auf der Ebene der Entscheidungsträger, mangelndes institutionelles Gedächtnis und eine Organisationskultur, die kaum Prämien für die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vorsieht.

Wenn Wissenschaft effektiver genutzt werden soll, kommen Politik und Verwaltung nicht umhin, sich mit ihren Arbeitsmethoden und Organisationskulturen auseinanderzusetzen. Zeitmangel kann durch eine bessere Arbeitsorganisation und eine andere Prioritätensetzung gelindert werden. Ein professionelles Wissensmanagementsystem kann dazu beitragen, das Rad nicht fortwährend neu zu erfinden. Dezentralisierte Entscheidungsstrukturen können die oberen Hierarchieebenen entlasten und die Eigenverantwortung der nachfolgenden Ebenen stärken. Kontinuierliche Wissensrezeption und ein regelmäßiger Austausch mit der Forschung, etwa in Akademiker-Praktiker-Diskussionen, könnten schließlich zu beförderungsrelevanten Beurteilungsfaktoren werden.13 Dies sind nur einige Beispiele für Reformansätze auf Seiten der politisch-administrativen Apparate, die zusammengenommen eine Steuerungswirkung hin zu besserer Kooperation mit der Wissenschaft erzielen können.

  • 1 Vgl. EU: In or Out? Faisal Islam Interview with Michael Gove, 3.6.2016 Interview-Transkription, https://corporate.sky.com/media-centre/media-packs/2016/eu-in-or-out-faisal-islam-interview-with-michael-gove,-30616-8pm.
  • 2 Vgl. F. Decker: Der neue Rechtspopulismus, Opladen 2003.
  • 3 Vgl. E. Suhay, J. Druckman: The Politics of Science: Political Values and the Production, Communication, and Reception of Scientific Knowledge, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 685. Jg. (2015), H. 1, S. 6-15.
  • 4 Vgl. P. Weingart, G. Wagner (Hrsg.): Wissenschaftliche Politikberatung im Praxistest, Weilerswist 2015; und L. Brozus: Mehr Wissenschaft für bessere Politik? Hürden, Optionen und etwas Evidenz, PeaceLab-Blog, 9.11.2016, http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensforschung/article/mehr-wissenschaft-fuer-bessere-politik-huerden-optionen-und-etwas-evidenz/.
  • 5 Vgl. P. Cairney: The Politics of Evidence-Based Policy-Making, Basingstoke 2016.
  • 6 Vgl. O. Geden, L. Brozus: Die irritierten Experten, in: Süddeutsche Zeitung vom 6.2.2017, S. 18.
  • 7 Vgl. F. Fischer: American Think Tanks: Policy Elites and the Politicization of Expertise, in: Governance, 4. Jg. (1991), H. 3, S. 332-353; und A. Rich: Think tanks, public policy, and the politics of expertise, Cambridge 2004.
  • 8 Vgl. H. Strassheim, P. Kettunen: When does evidence-based policy turn into policy-based evidence? Configurations, contexts and mechanisms, in: Evidence & Policy, 10. Jg. (2014), H. 2, S. 259-277.
  • 9 Vgl. O. Geden: Climate advisers must maintain integrity, in: Nature, 521. Jg. (2015), H. 7550, S. 27-28.
  • 10 Vgl. H. Douglas: Politics and Science: Untangling Values, Ideologies, and Reasons, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 685. Jg. (2015), H. 1, S. 296-306.
  • 11 Vgl. J. Lentsch, P. Weingart (Hrsg.): The Politics of Scientific Advice: Institutional Design for Quality Assurance, Cambridge 2011.
  • 12 Vgl. P. Cairney, K. Oliver, A. Wellstead: To Bridge the Divide between Evidence and Policy: Reduce Ambiguity as Much as Uncertainty, in: Public Administration Review, 76. Jg. (2016), H. 3, S. 399-402.
  • 13 Vgl. P. Cairney: How can policy theory have an impact on policymaking? The role of theory-led academic–practitioner discussions, in: Teaching Public Administration, 33. Jg. (2015), H. 1, S. 22-39.

Verbesserung von politischer Beratung und Wirtschaftspolitik

„Wir haben – auch in Deutschland – eine tiefgehende, langlebige, breit verankerte Vertrauenskrise,“ meint Susanne Marell, Chefin der PR- und Kommunikationsagentur Edelman-Deutschland.1 Nicht zuletzt seit Ausbruch der Finanzkrise ist das Vertrauen in Experten – und hier ganz speziell das in Ökonomen – weiter gesunken. Begründungen und Erklärungen der Wirtschaftswissenschaftler werden heute mit deutlich mehr Skepsis betrachtet, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Und gerade sie sind es, die die Politiker bei deren Entscheidungen beraten sollen. Doch auch das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Politiker ist nicht besonders stark ausgeprägt: Eine weltweite Umfrage der Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK)zeigt, dass aktuell nicht einmal die Hälfte der Befragten Vertrauen in Regierungen, politische Parteien oder gar die Medien hat.2 Zum glaubwürdigsten Ansprechpartner ist demgegenüber „eine Person wie du und ich“ geworden, zeigt das Edelman Trust Barometer 2017: Dem Ratschlag einer gleichrangigen Person aus dem Umfeld vertrauen genauso viele wie dem Urteil eines Experten (während nur halb so viele Vertreter der Regierung für glaubwürdig halten).3 Eine gefährliche Entwicklung.

Woher Misstrauen und Unzufriedenheit kommen, darauf lässt die Edelman-Umfrage ebenfalls schließen. Sie bestätigt, was viele Experten bereits lange fürchten: Immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt. Sie glauben, von der Globalisierung nicht profitiert zu haben oder von Krisen besonders stark betroffen zu sein. Die Veränderungen in der Welt verlaufen ihnen zu schnell. Sie sehen für sich persönlich keine Vorteile in der Globalisierung, glauben, die Folgen der Entwicklungen seien nicht abschätzbar oder fürchten sich gar vor ihr.4 Um die eigenen Arbeitsplätze zu schützen, wünschen sich viele Menschen daher weniger Freihandelsabkommen, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in der EU, weniger Immigration und mehr staatlichen Schutz der heimischen Wirtschaft. Ein langsameres Wirtschaftswachstum, so das Ergebnis der Befragung, würden sie dafür in Kauf nehmen.5

Werden die Nachteile von Protektionismus und Abschottung für die Gesellschaft nicht erkannt oder nicht verstanden? Oder haben Experten die gesamtgesellschaftliche Kehrseite der Globalisierung zu wenig im Fokus? Fokussieren sie sich zu sehr auf Detailfragen und vernachlässigen dabei „das große Bild“? Die Enttäuschung darüber, dass eine Wirtschaftskrise trotz massiver Wirtschaftsforschung und Prognosen derart wirken konnte, bestärkt die Skepsis gegenüber der Arbeit von Ökonomen.6 Das Misstrauen wächst zudem, wenn die Bevölkerung davon ausgeht, dass Regierungen ihre Wahlversprechen nicht halten. Die wachsende Unsicherheit verstärkt das Misstrauen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.

Unabhängigkeit als Grundstein guter Wissenschaft

Neben dem mangelnden Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in Ökonomen stellt sich außerdem die Frage nach der Beziehung zwischen Politikern und ihren ökonomischen Ratgebern. Grundsätzlich besteht zwischen Politikern und Wissenschaftlern eine Reihe von Zielkonflikten. Der Fokus von Politikern liegt naturgemäß nicht unbedingt auf wissenschaftlichen Fakten, sondern auf der eigenen Wiederwahl. Denn nur wenn sie wiedergewählt werden, haben sie die Möglichkeit, sich aktiv am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess überhaupt zu beteiligen. Wissenschaftler hingegen haben generell einen eher langfristigen Horizont. Eine sehr gute wissenschaftliche Publikation beispielsweise erfordert von der Idee bis zur Veröffentlichung mindestens fünf Jahre. Politiker sind demgegenüber auf schnelle Antworten angewiesen und können sich in den wenigsten Fällen erlauben, weiter als vier Jahre in die Zukunft zu denken. Aus Sicht eines Ökonomen ist eine Wirtschaftspolitik positiv zu bewerten, bei der es mehr Gewinner als Verlierer gibt. Für einen Politiker spielt es aber eher eine Rolle, ob sich unter den Gewinnern auch ein großer Anteil seiner Wähler befindet. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung von Verlusten und Gewinnen beim Wähler asymmetrisch: Positive Entwicklungen werden gerne der eigenen Leistung zugeschrieben, negative gerne dem Staat angehängt.

Wenn also ein Politiker zu mutig ist und Reformen implementiert, die zu vielen Gewinnern und einigen wenigen Verlierern führen, machen nur die Verlierer die Reformen für ihre schlechtere Situation verantwortlich. Das hat zur Konsequenz, dass es mit der Wiederwahl schwierig wird. Ein gutes Beispiel für dieses Phänomen sind die Hartz-IV-Reformen. In der Öffentlichkeit macht es den Anschein, dass es im Rahmen dieser Reformen nur Verlierer und keine Gewinner gibt, obwohl die Arbeitslosigkeit in Deutschland um über 1 Mio. gesunken ist. Und absurderweise will keine Partei für die Reformen wirklich zuständig gewesen sein: Die SPD war’s, will es aber nicht gewesen sein und die CDU war’s nicht, hat aber von den Reformen immens profitiert. Und die FDP war’s auch nicht, findet sie gut und traut sich aber kaum zu sagen, dass sie’s gerne gewesen wäre…

All das führt dazu, dass gute Ratschläge von Ökonomen oft ignoriert werden. Aber leider geben auch Ökonomen nicht immer gute Ratschläge. Die Unabhängigkeit der Wissenschaft ist nicht immer gewährleistet, und die Arbeit und Ziele der Ökonomen sind nicht immer transparent. Deutschland hat eine hoch entwickelte Wirtschaft, aber im Erkennen, Verstehen und Vermeiden von Interessenkonflikten sind wir eher ein Entwicklungsland. Wenn der Staat ein Unternehmen über Regularien kontrollieren soll, aber gleichzeitig als Eigentümer vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens profitiert, dann kann niemand damit rechnen, dass der Regulator seinen Job besonders gut macht (siehe z.B. Volkswagen). Ähnliche Fälle gibt es leider auch in der Wissenschaft: Die Finanzierung von Lehrstühlen oder ganzen Forschungseinrichtungen durch Unternehmen ist hier ein gutes Beispiel. Auf den ersten Blick scheint dies ein guter Ansatz, denn Hochschulen sind in Deutschland durch fehlende Studiengebühren und eine kaum vorhandene Alumni-Spendenkultur chronisch unterfinanziert. So könnten dann doch Unternehmen diese Finanzlücke wenigstens zum Teil schließen.

In den Wirtschaftswissenschaften beispielsweise führt dieses Modell aber dazu, dass die Ratschläge, die aus der Hochschule heraus erteilt werden, nicht mehr unabhängig sind. Ein Beispiel: Welcher Ökonom, dessen Lehrstuhl von dem guten Willen einer Bank abhängt, würde den Rat geben, in einer Krise diese Bank zu schließen und nicht mit Steuergeldern zu retten? Interessenkonflikte können aber auch direkt mit dem Staat entstehen, z.B. durch Auftragsforschung, weil auch hier ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Wenn große Teile meiner Finanzierung als Wissenschaftler von einem Ministerium abhängen, wird es schwer, gute, wissenschaftlich begründete Politikberatung zu betreiben. Der erteilte Rat wird immer dadurch eingefärbt sein, dass Teile des Forschungsbudgets wegfallen könnten, sollte das Ministerium nicht die Ergebnisse bekommen, die es erwartet. Umgekehrt ist es über diesen Mechanismus auch möglich, entsprechende „Expertenmeinung“ einzukaufen und diese dann dafür zu nutzen, um vorher gefasste, politische Ziele durchzusetzen.

Kritik an der Ökonomie

Einige Beobachter kritisieren die Ökonomie als Ganzes. Es wird z.B. oft beklagt, dass Ökonomen zu stark auf spezifische Fragen fokussiert sind und die gesamtgesellschaftlichen Folgen ihrer Ratschläge zu wenig im Blick behalten. Oder ganz konkret, dass die Modelle der Ökonomen die Finanzkrise 2008/2009 nicht vorhersagen konnten. Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass das Menschenbild von Ökonomen (Homo oeconomicus) weltfremd und verfehlt sei. Wir denken, alle drei Punkte sind unzutreffend und werden meist von Menschen geäußert, die, wenn überhaupt, nur eine sehr rudimentäre Vorstellung davon haben, was Ökonomen eigentlich genau tun.

  • Zum ersten Punkt: Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung muss sich, wie jede Forschung, auf wissenschaftliche Fragestellungen konzentrieren. Es ist notwendig, dass wohldefinierte Fragen gestellt und bearbeitet werden. Denn nur dann kann sichergestellt werden, dass daraus fokussierte, stichhaltige und wissenschaftlich belastbare Antworten resultieren. Dabei haben Ökonomen ganz sicher nicht zu wenig die gesamtgesellschaftlichen Folgen ihrer Ratschläge im Blick. Aber in den meisten wissenschaftlichen Papieren werden Fragen beantwortet, die aus Laiensicht vielleicht eng erscheinen.
  • Auch die Kritik, die Finanzkrise nicht vorhergesehen zu haben (und daher nun die gesamte volkswirtschaftliche Forschung zu verwerfen), hält einer stringenten Untersuchung nicht stand: Nehmen wir an, die Volkswirte hätten die Krise prognostiziert und Politiker hätten rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen. Dann wäre es nicht zu einer Krise gekommen. Das bedeutet, dass jede Krise, die tatsächlich stattfindet, per Definition eine Krise ist, die nicht vorhergesehen wurde. Die Kritik klingt daher ein wenig so, als ob man Medizinern vorwerfen würde, nach Jahrhunderten medizinischer Forschung würden die Menschen immer noch sterben und die Schulmedizin solle daher besser verworfen werden…
  • Wer die gegenwärtige ökonomische Forschung etwas besser kennt, würde niemals behaupten, ökonomische Modelle hätten den „Homo oeconomicus“ als Leitbild. Ganz im Gegenteil. Von „Bounded rationality“ über „Institutional economics“ bis hin zu „Behavioural economics“, von Altruismus in der Nutzenfunktion bis zu „Myopic agents“ in Makromodellen findet sich neben Modellen mit rationalen Erwartungen (übrigens nur begrenzt äquivalent zum „Homo oeconomicus“) alles in der modernen Ökonomie. Leider sind die Ergebnisse dieser Modelle nicht immer leicht verständlich und Ökonomen müssen sich hier tatsächlich ins Stammbuch schreiben lassen, nicht immer die besten Kommunikatoren zu sein.

Resultierend aus ihrer Arbeit und ihrem Fokus (die wohldefinierten Fragen), haben Ökonomen häufig keine politischen Grundsatzpositionen oder konkrete Weltanschauungen. Beim Herausarbeiten effizienter Lösungen und besten Allokationsmechanismen können ihre Positionen zu unterschiedlichen Themen politisch stark auseinandergehen. Zumindest legen sich „gute“ Ökonomen nicht grundsätzlich auf nur eine politische Position fest, lassen sich also von wissenschaftlichen Fragen und nicht von Ideologien leiten. Nichtsdestotrotz können die Positionen untereinander im Hinblick auf Lösungen wirtschaftlicher Problemstellungen voneinander abweichen, nicht zuletzt weil die Lösungsansätze auf verschiedenen Wirtschaftstheorien basieren. Es gibt Fragestellungen, für die ökonomische Methoden geeigneter und weniger geeignet sind. Also auch die Wirtschaftswissenschaft hat ihre Grenzen. Das Problematische daran aber ist, dass das Interesse an gerade den Fragestellungen besonders groß ist, bei denen ökonomische Methoden relativ oft versagen. Ein interessantes Beispiel dafür sind gesamtwirtschaftliche Prognosen. Hier liegen Ökonomen leider nicht selten daneben. Und auch das liegt in der Natur der Sache: Unerwartete Schocks und die Komplexität menschlicher Interaktionen können oft nicht vollständig in den Berechnungen berücksichtigt werden. Doch genau dieses Feld fragt die Politik gern nach und zieht dessen Ergebnisse heran. Weit weniger genutzt werden aber Antworten auf Fragen, über die weitestgehend Konsens unter Ökonomen herrscht (z.B. Handel, Steuerpolitik, Rente), wohl weil dies Themen sind, bei denen die Interessen von politischen Akteuren und Wissenschaftlern am weitesten auseinanderliegen.

Öffentliche Sichtbarkeit

Leider besteht oft kein großer Zusammenhang zwischen der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit eines Ökonomen und seiner öffentlichen Sichtbarkeit. Eher das Gegenteil ist der Fall: Weil Ökonomen einerseits wenig von der Anerkennung der Gesellschaft abhängig sind (jedenfalls dann, wenn sie als Beamte einen Lehrstuhl besetzen) und ihre Arbeit andererseits aus verschiedenen Gründen von der Politik wenig beachtet wird, suchen sie die Anerkennung eher unter sich: in der weltweiten wirtschaftswissenschaftlichen Gemeinschaft nämlich, wo sie sich darüber hinaus auch noch in einem engen Fachbereich definieren. Die Akzeptanz wird international und nach dem anglo-amerikanischen Wissenschaftssystem gesucht. Dieses Verhalten resultiert in einer negativen Spirale: Die Ökonomen denken und sprechen in einer für Politik und Gesellschaft noch weniger verständlichen Sprache und werden dadurch weniger gehört. Das wiederum führt dazu, dass sie sich noch weiter in die „Blase“ der Wissenschaft zurückziehen.

Die Spirale wird verstärkt, wenn es um die Möglichkeiten und Grenzen der Forschung geht. Die Wirtschaftswissenschaft wird auf der einen Seite dafür kritisiert, dass ihre Forschung zu modellbasiert und wirklichkeitsfern sei, auf der anderen Seite seien die Hinweise auf die Grenzen der Aussagefähigkeit der Erkenntnisse zu leise. Wie eingangs beschrieben sind die wissenschaftlichen Fragestellungen wohldefiniert. Vor dem Hintergrund der Grenzen der Daten und des Messbaren, weist der Ökonom den Adressaten stets darauf hin, dass das Resultat seiner Forschung eben nur auf die eine gewählte Stichprobe oder nur unter den gegebenen Annahmen zu belegen ist. Und dabei geht er ein Risiko ein. Denn solchen Ergebnissen folgt meist eine der zwei folgenden Reaktionen: Ignoranz der Hinweise oder Ignoranz der Ergebnisse. Denn passt das Ergebnis der Untersuchung den politischen Zielen der Entscheidungsträger, so wird die Untersuchung für ihre Zwecke genutzt und der Hinweis auf die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse ignoriert. Schränkt der Hinweis auf die Grenzen der Aussagefähigkeit die Nutzung der Ergebnisse für politische Zwecke so weit ein, dass sie nicht eingesetzt werden können, so wird die Untersuchung ignoriert. Schließlich werden also Anreize geschaffen, auf die Grenzen der Aussagefähigkeit oder Allgemeingültigkeit nicht deutlicher hinzuweisen. Da die Politik klare Handlungsanweisungen fordert, müssen jene, die die Politik beraten, Kompromisse eingehen, vereinfachen und klare Aussagen liefern.

Fazit

Wir denken nicht, dass die Ökonomie ihre Modelle und Methoden ändern muss. Bei der Kommunikation ihrer Ergebnisse in einer allgemeinen oder zumindest für Politiker und Gesellschaft verständlichen Sprache können Ökonomen sich aber deutlich verbessern. Dennoch brauchen auch sie die Gewissheit, dass Politik und Öffentlichkeit sich ernsthaft mit ihren Ergebnissen auseinandersetzen wollen. Beides zusammen könnte zu einer positiven Spirale und einer Verbesserung der Qualität der Politikberatung und vielleicht sogar zu einer Verbesserung der Wirtschaftspolitik als Ganzes führen.

  • 1 T. Dillmann: Edelman Trust Barometer 2017: Vertrauenskrise gefährdet demokratische Gesellschaft in Deutschland, Bad Honnef, 1.2.2017, http://pr-journal.de/lese-tipps/studien/18546-edelman-trust-barometer-2017-vertrauenskrise-gefaehrdet-demokratische-gesellschaft-in-deutschland.html.
  • 2 GfK Verein: Global Trust Report – Internationale Studie zum Vertrauen der Menschen in Institutionen und Branchen, 2014, http://www.gfk-verein.org/forschung/studien/global-trust-report.
  • 3 29% der Befragten der Edelman-Umfrage beurteilen Vertreter der Regierung als glaubwürdig, immerhin je 60% vertrauen der Expertise von Fachwissenschaftlern und einer „Person like you“. Das Edelman Trust Barometer befragt weltweit über 38 000 Menschen in 28 Ländern. Vgl. Edelman Trust Barometer 2017, http://www.edelman.com/trust2017/.
  • 4 Über 60% der Befragten sind besorgt über die Folgen der Globalisierung, jeder Vierte fürchtet sie sogar.
  • 5 47% der Befragten stimmen der Aussage zu, man sollte weniger Freihandelsabkommen beitreten, weil diese den eigenen Arbeitnehmern schaden. 72% finden, dass die Regierungen heimische Arbeitsplätze und Industrien schützen sollten, auch wenn das bedeutet, dass die eigene Wirtschaft weniger schnell wächst.
  • 6 Im europäischen Vergleich ist das Vertrauen in das politische System in krisengeprägten und osteuropäischen Ländern auf niedrigstem Niveau. Das Vertrauen in das Gesellschaftssystem ist in den vergangenen Jahren in Irland, Portugal und Spanien spürbar zurückgegangen. Im internationalen Vertrauensvergleich belegen Spanien, Portugal und Griechenland die letzten drei Plätze beim Gesamtindikator, wobei Griechenland seit 2008 auf dem letzten Platz ist. Vgl. Edelman Trust Barometer 2017, a.a.O.

Von der Reparatur-Ökonomik zur Orientierungswissenschaft

Dass sich gerade die Wirtschaftswissenschaft in der öffentlichen Debatte so in der Defensive befindet, hat mit besonderen Formen ihrer Selbstdefinition und Selbstbeschränkung zu tun. Eine sich in ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis öffnende Ökonomik würde auch in politischen Debatten deutlicher gehört – ohne Zugeständnisse an die Komplexität ihrer Welterklärung zu machen.

Eine postfaktische Wissenschaft darf sich nicht über populistischen Gegenwind wundern

Warum lächelt die Kanzlerin süffisant, wenn sie das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen überreicht bekommt? Warum gewinnen populistische Parteien und Kandidaten mit kruden ökonomischen Weltbildern derzeit Wahlen und beginnen an den Grundfesten der internationalen Wirtschaftsordnung zu rütteln? Das dahinterliegende Problem ist im Kern keines zu schlechter ökonomischer Politikberatung. Es liegt tiefer – in einer Wirtschaftswissenschaft, die sich selbst beschränkt, die ihre gesellschaftlichen Wirkungen nicht ausreichend reflektiert. Eine bessere ökonomische Politikberatung muss daher mit einem radikal veränderten Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaft selber starten.

Die Stärke der heutigen Ökonomik besteht in ihrer Reduktion und Formalisierung. Durch die Konzentration auf Fragen der (Markt-)Allokation und deren mathematischer Formalisierung ist sie in der Lage, spezifische Ausschnitte ökonomischer Realität auf einer Mikro- und Makro-Ebene äußerst präzise zu beschreiben. Diese „Tiefenschärfe“ wird zwangsläufig durch das Ausblenden vieler anderer Dimensionen, die ökonomische Realität auszeichnen, erkauft: Fragen z.B. von Macht, der historischen, politischen und gesellschaftlichen Einbettung ökonomischer Realität, insbesondere aber aller sozialen Phänomene, die sich nur in sozialer Emergenz und nicht durch das Handeln von Individuen rekonstruieren lassen. Vier Einschränkungen sind mit Blick auf die aktuelle Ökonomik-Kritik derzeit besonders relevant:

  1. der methodologische Individualismus als erkenntnistheoretische Grundlage der Wirtschaftswissenschaften;
  2. die Annahme exogen gegebener Präferenzen;
  3. die Berührungsangst mit Normativität;
  4. das Ausblenden ihres performativen und sozialwissenschaftlichen Charakters.

Methodologischer Individualismus

Eine der zentralen Selbstbeschränkungen moderner Wirtschaftswissenschaft liegt tief in ihrem erkenntnistheoretischen und methodologischen Grundverständnis – dem methodologischen Individualismus. Ökonomisches Handeln als soziales Phänomen wird durch die Rekonstruktion individueller Präferenzen und Handlungsweisen erklärt. Ökonomische Phänomene lassen sich daher letztlich über individuelle Handlungsmuster und -orientierungen erklären. Auch wenn radikal vereinfachte Vorstellungen von solchen Handlungsorientierungen wie die des „Homo oeconomicus“ in modernen experimentell gestützten Formen der Behavioural Economics längst überwunden sind, so bleibt dieser methodologische Ausgangspunkt bestehen. Er erlaubt erst die ausgefeilte Mathematisierung und Formalisierung ökonomischer Modelle. Die moderne Spieltheorie und viele andere Entwicklungen der ökonomischen Forschung wären ohne diese Grundannahme nicht möglich gewesen.

Und genau hier beginnt das Problem an der Schnittstelle zur Beratung gesellschaftlicher und politischer Prozesse. Die Krisen moderner Gesellschaften sind durch Herausforderungen getrieben, die sich oft nur strukturell, als kollektive und nicht auf Individuen reduzierbare Phänomene erklären lassen. Die Frage nach kollektiven Identitäten, die den Populismus treiben, nach übergeordneten historischen Dynamiken, oder die Weltgemeinschaft als Ganzes betreffende ökologische Veränderungen, die zu einer Neudefinition des Mensch-Natur-Verhältnisses führen, sind kollektive Phänomene und durch Reduktion auf individuelle Handlungsorientierungen kaum zu fassen.

Die exogene Annahme von Präferenzen

Ökonomische Theorie nimmt Präferenzen als exogen gegeben an und sucht nach Lösungen der Wohlstandsmaximierung unter diesen Präferenzbedingungen. Dahinter steht ein äußerst redlicher und tief in der Idee der Menschenrechte verankerter normativer Ausgangspunkt: Der Präferenzäußerung eines jeden Einzelnen ist auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Ökonomische Theorie äußert sich nicht zu den Präferenzbildungen, sondern macht Gestaltungsvorschläge für eine Ausgestaltung von ökonomischen Prozessen, die unter diesen Randbedingungen möglichst weitgehenden Wohlstand für viele gewährleisten.

Solange dies auch der empirische und normative Ausgangspunkt der Gesellschaft ist, die beraten wird (gegebene stabile Präferenzmuster und gleiche Ansprüche auf deren Entfaltung), ist ökonomische Wissenschaft auch gesellschaftlich wirkmächtig. Sie war es in den Zeiten des Wirtschaftswunders bis zum Ende des letzten Jahrhunderts. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts rücken die Präferenzbildungsprozesse selber in den Blick. Sie entscheiden über die weitere Entwicklung moderner Gesellschaften: Sicherheitspräferenzen und neue Identitätsbildungsprozesse überlagern Werte ökonomischer Entfaltung. Wirtschaftlicher Abstieg wird durch Prozesse steigender nationaler und ethischer Identifikation dominiert – man denke nur an die Entwicklungen in Russland, der Türkei oder den USA. Und es ist offen, wie die Entwicklung weitergeht, je stärker sich die ökonomischen Folgewirkungen für die betroffenen Länder zeigen. In solchen Zeiten will man verstehen, was die Präferenzbildung treibt, inwiefern gerade ökomische Entwicklungen wie zunehmende Ungleichverteilung auf diese Präferenzen zurückwirken – und nicht unbedingt etwas über optimale Allokation unter gegebenen Präferenzen lernen.

Im Kontext von Epochenherausforderungen wie dem Klimawandel ist es ähnlich. Innerhalb von gut 30 Jahren hat sich der Kampf gegen den Klimawandel zu einem globalen Zivilisationsprojekt entwickelt. Dass sich weite Teile der Weltgemeinschaft einem solchen generationen- und länderübergreifenden Entwicklungsprojekt verschreiben und dafür politische Unterstützung in der Bevölkerung finden, ist ein hoch interessanter Prozess der Präferenzbildung. Eine Wirtschaftswissenschaft, die im wesentlichen erklärt, warum das Klimaproblem als klassische Öffentliche-Gut-Herausforderung kaum zu lösen ist, darf sich über fehlendes Gehör nicht wundern, wenn die eigentlich interessante Frage ist, welche gesellschaftlich-zivilisatorischen Prozesse ein solch neues Präferenzsystem auf globaler Ebene auslösen. Es geht hier um „moralische Revolutionen“1, zu deren Erklärung die Ökonomik wenig beitragen kann. Sie kann erst wieder Gestaltungsempfehlungen geben, wenn die Revolution stattgefunden hat.

Empirisch macht der Wirtschaftswissenschaft zudem zunehmend ein weiteres Phänomen zu schaffen: Wenn sich die Welt angesichts gewaltiger Produktivitätseffekte der Digitalisierung in Zustände von Null-Grenzkosten-Produkten und damit verbundenen Konzentrationstendenzen sowie in eine abnehmende Bedeutung von Erwerbsarbeit als Einkommensquelle bewegt, reduziert sich der Erklärungsbereich klassischer ökonomischer Modelle. Vorschläge zur gesellschaftlichen und ökonomischen Organisation der digitalen Gesellschaft kommen heute daher eher aus dem Silicon Valley und den IT-Kaderschmieden als aus ökonomischen Fakultäten.

Berührungsangst mit Normativität

Moderne Wirtschaftswissenschaft ist in hohem Maß normativ: All ihre Erklärungskraft basiert auf einem tief verankerten liberalen Weltbild, das das Individuum und seine weltlichen Entfaltungsmöglichkeiten ins Zentrum rückt. Methodologischer Individualismus und gegebene Präferenzen als Ausgangspunkt sind konzeptioneller und methodischer Ausdruck dieser Normativität. Es ist eine Normativität, die tief im westlichen Demokratie- und letztlich auch christlichen Verständnis verankert ist. Daher wird sie in der modernen – angelsächsisch und europäisch dominierten – Wirtschaftswissenschaft auch kaum explizit reflektiert. Es erklärt auch, warum sich die meisten Wirtschaftswissenschaftler als „wertfrei“ bezeichnen. Die Mathematisierung des Faches und ihr damit quasi naturwissenschaftlich anmutender Charakter unterstützt diese Form des Kurzschlusses.

Doch ein solches Selbstverständnis wird in einer Welt, in der kollektive Werte und Identitäten sowie transzendentale/religiöse Orientierungen zu Wertegrundlagen einer Gesellschaft werden, schnell brüchig. Für wen sich gelungenes Leben in (kollektiver) Identität oder in jenseitiger göttlicher Erlösung zeigt, für den steht eine Wissenschaft, die sich im wesentlichen um Fragen materieller, irdischer individueller Entfaltung dreht, in gewisser Weise zu Recht unter Ideologieverdacht – insbesondere dann, wenn diese Wissenschaft ihre eigenen normativen Grundlagen nicht offenlegt. Für moderne Wirtschaftswissenschaft kann das nur bedeuten, sich zu ihren normativen Grundlagen offensiv zu bekennen, dafür zu streiten und sich nicht hinter einer Werturteilsfreiheit zu verstecken.

Ausblenden ihres performativen Charakters

Moderne Wirtschaftswissenschaft blendet durch ihre Mathematisierung und Formalisierung ihren genuin sozial- und kulturwissenschaftlichen Charakter aus: Denn anders als die Naturwissenschaften, die natürliche Untersuchungsobjekte beobachten, deren „Wirklichkeit“ von der Beobachtung nicht beeinflusst wird (wenn man von Grenzbereichen wie in Fällen der Heisenberg’schen Unschärferelation absieht), stellt sich dies bei ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Theorien ganz anders dar: Soziale und ökonomische Realität wird entscheidend dadurch beeinflusst, welche Theorien von Ökonomik und sozialer Realität Menschen in ihrem Handeln leiten.

Wirtschaftswissenschaft ist „performativ“2, d.h. die wirtschaftswissenschaftliche Forschung wirkt auf die ökonomische Realität zurück: Die neoliberalen Reformen in den globalen Volkswirtschaften ab den 1980er Jahren wären ohne die Arbeiten wirtschaftswissenschaftlicher Forschung nicht vorstellbar gewesen. In der Klimapolitik würden wir ohne Grundlagen der Wirtschaftswissenschaft heute nicht über marktbasierte Instrumente nachdenken; komplexe Finanzprodukte wären ohne die Arbeiten der modernen Finanzmathematik nicht denkbar gewesen.

Die Wirtschaftswissenschaft wäre daher eigentlich in besonderer Weise gefordert, über ihre Wirkungsmechanismen konstant zu reflektieren und Rechenschaft abzulegen. Doch das passiert faktisch nicht. Große Teile der Wirtschaftswissenschaft ziehen sich darauf zurück, lediglich ökonomische Fakten zu präsentieren und diese der Politik zur weiteren Verwendung zu überlassen. Doch ein solches Politikberatungsmodell greift zu kurz. Denn über die Ausbildung in Schulen und Hochschulen, über das Einfließen in ökonomische Praxis und gesellschaftliche Diskurse ist moderne Wirtschaftswissenschaft in ihren heutigen Engführungen hoch wirksam.

Fazit: Zusammengenommen präsentiert sich die Wirtschaftswissenschaft heute also in weiten Teilen als eine Disziplin, die Normativität und Unterkomplexität hinter einer naturwissenschaftliche Exaktheit vermittelnden Formalisierung versteckt. Provokant formuliert ist moderne Ökonomik im Hinblick auf viele Belange, die Menschen ökonomisch beschäftigen und für die sie nach Orientierung suchen, postfaktisch und interessensgeleitet. Vor dem Hintergrund ist es nicht mehr so verwunderlich, warum zum Teil krude alternative Theorie- und Erklärungsangebote im politischen Raum entstehen, die dieser Postfaktizität eine andere entgegensetzen.

Konsequenzen: von der Reparatur-Ökonomik zur transdisziplinären Systemwissenschaft

Wie müssen sich die Wirtschaftswissenschaften weiterentwickeln, um im gesellschaftlichen und politischen Diskurs wieder an Legitimation und Akzeptanz zu gewinnen? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht in der Reparatur einzelner Verkürzungen der heutigen Ökonomik, wie dies durch die vielfältigen experimentellen und ökonometrischen Erweiterungen der letzten Jahre und Jahrzehnte erfolgt ist. Sie muss tiefer zielen – auf den Kern des Wissenschaftsverständnisses der Ökonomik: Statt einer reduzierten Abbildung von Wirklichkeit muss sie sich als Orientierungswissenschaft in einer komplexen Welt verstehen.

Wirtschaftswissenschaften müssen wieder zur „Handlungstheorie“3 und zur „Möglichkeitswissenschaft“4 werden. Die gesellschaftliche Wirkungskraft der Wirtschaftswissenschaften gilt es bewusst zu nutzen, um der Verantwortung von Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft gerecht zu werden. Brennende ökonomische Phänomene müssen der Ausgangspunkt für eine zukunftsfähige Wirtschaftswissenschaft sein und nicht die Fixierung auf eine eng verstandene ökonomische Methode. Erst dann haben Wirtschaftswissenschaften wieder das Potenzial, zur Orientierungswissenschaft in den aktuellen Umbruchsphasen zu werden. Gerade weil eine moderne experimentelle, ökonometrisch gestützte und interdisziplinäre Ökonomik so viele gute Argumente für brennende Debatten hat, muss sie sich öffnen und in kontroverse wissenschaftliche und gesellschaftliche Arenen steigen.

Dies ist die Grundlage einer „transformativen Wirtschaftswissenschaft“, deren Konturen rund 30 deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler im letzten Jahr gezeichnet haben.5 Im Zentrum einer so verstandenen transformativen Wirtschaftswissenschaft stehen fünf Prinzipien:

1. Transparenz, d.h. der offene Umgang mit den normativen Grundannahmen und den Implikationen der verwendeten methodischen Zugänge;

2. Reflexivität als das ausdrückliche Bekenntnis zu den praktischen Folgewirkungen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit im gesellschaftlichen Kontext;

3. Wertebezug als expliziter Umgang mit dem Wertegerüst der eigenen Forschung, die auf den Einklang mit den natürlichen Lebensbedingungen, ein solidarisches Miteinander und ein gelingendes Leben zielen sollte;

4. Partizipation als Teilhabe von Nicht-Wissenschaftlern/Prozessen der Gewinnung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis und

5. Vielfalt, verstanden als Theorien- und Methodenpluralität, um vor allem die Hochschulen wieder zu einem Ort kultureller Bildung und des Diskurses über verschiedene Theorien und Methoden werden zu lassen.

Ein solch erweitertes Selbstverständnis ökonomischer Wissenschaft ist für ihre gesellschaftliche Einbettung und Wirkung viel produktiver als reparative Prinzipien einer verbesserten Politikberatung.

Institutionelle Konsequenzen – für einen gelungenen Selbst-Transformationsprozess

Angesichts der tief verankerten Dominanz der Selbstbeschränkungen an den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten sowie in den Reputations- und Karrieremechanismen der Disziplin6 wird ein solcher Selbst-Transformationsprozess nur gelingen, wenn der Stachel zur Weiterentwicklung feste institutionelle Anker besitzt. Statt die letzten kritischen Köpfe aus dem System zu drängen (vgl. das Beispiel des Postwachstums-Ökonomen Niko Paech)7, ist es wichtig, dem kontroversen Diskurs feste Orte zu geben. Gerade engagierte, an wirtschaftlichen Prozessen interessierte Studierende suchen nach solchen Orten: Die Cusanus-Hochschule in Bernkastel Kues, der neue Studiengang Plurale Ökonomik an der Universität Siegen oder die Forschungsstelle „Gesellschaftliche Weiterentwicklung“ (FGW) in Nordrhein-Westfalen sind hierfür erste zarte Pflanzen.

Das alleine wird nicht reichen. Neben dem – wie jetzt in Siegen zu beobachtenden – Mut einzelner wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten, sich bewusst pluraler aufzustellen, wäre es ein reizvoller Gedanke, auch ein Leibniz-ähnliches Institut für plurale und heterodoxe Ökonomik auf den Weg zu bringen. Es könnte ein prägnanter Ort für den aufgeklärten wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs und einer damit verbundenen Gesellschafts- und Politikberatung sein.

  • 1 K. A. Appiah: Eine Frage der Ehre oder wie es zu moralischen Revolutionen kommt, München 2011.
  • 2 Vgl. D. MacKenzie: Is Economics Performative? Option Theory and the Construction of Derivatives Markets, in: D. MacKenzie, F. Muniesa, L. Siu (Hrsg.): Do Economists Make Markets? On the Performativity of Economics, Princeton 2008, S. 54-86. Zu den zitierten Beispielen vgl. U. Schneidewind et al.: Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Für einen neuen Vertrag zwischen Wirtschaftswissenschaft und Gesellschaft, in: Ökologisches Wirtschaften, H. 2/2016, S. 31-34.
  • 3 T. Beschorner: Ökonomie als Handlungstheorie. Evolutorische Ökonomik, verstehende Soziologie und Überlegungen zu einer neuen Unternehmensethik, Marburg 2001.
  • 4 R. Pfriem: Plurale Gesellschaften, heterogene Akteure und polylinguale Organisationen: die Zukunft ist offen, also noch möglich, in ders.: Eine neue Theorie der Unternehmung für eine neue Gesellschaft, Marburg 2011, S. 155-179.
  • 5 Vgl. U. Schneidewind, a.a.O.
  • 6 Vgl. exemplarisch F. Beckenbach et al.: Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland. Eine empirische Untersuchung des Lehrangebotes in den Grundlagenfächern und der Einstellung der Lehrenden, Marburg 2016.
  • 7 F. Rohrbeck: Der Verstoßene, in die ZEIT vom 23.3.2017, http://www.zeit.de/2017/11/niko-paech-oekonom-professur-wissenschaft.

Das Elend der Experten – Politik braucht mehr Beteiligung, nicht mehr Beratung

Das waren zwei riesige Schocks, die uns 2016 ereilten und bis heute nicht verarbeitet sind: die britische Mehrheit für den Brexit und die US-Wahl von Donald Trump zum Präsidenten. Die Schocks trafen nicht nur das politische Establishment in Deutschland und Europa, sondern auch die Zunft der Ökonomen. Der Grund dafür ist einfach: Die Kampagnen der Brexit-Befürworter und des Trump-Lagers bedienten sich vor allem ökonomischer Argumente. Aber diese waren leider höchst zweifelhaft, in vielen Einzelfällen sogar nachweislich falsch oder grob irreführend. Zu weiten Teilen wurde reine Demagogie betrieben – in einer Weise, wie man das in zwei großen Ländern mit starker demokratischer Tradition sowie freien und kritischen Medien niemals vermutet hätte.

Auffallend war dabei die Tatsache, dass der Mainstream des etablierten Expertenwissens, wie es sich in der volkwirtschaftlichen Profession und deren Lehrbüchern findet, fast überhaupt keine Rolle spielte. Und dies ausgerechnet in jenen zwei Nationen, die über das Gros der besten Economics Departments der Welt und mit der American Economic Association sowie der Royal Economic Society über die beiden weltweit renommiertesten Vereinigungen von akademischen Volkswirten verfügen. Schlimmer noch, das Expertenwissen wurde in provozierender Weise ignoriert und geradezu auf den Kopf gestellt. Und das Erschreckende dabei: Es funktionierte. Der „postfaktische Populismus“ überzeugte die Wählermassen.

Dies überraschte alle: Politiker, Demoskopen und Wissenschaftler. Dabei hatte es allerdings längst in vielen Ländern des Westens deutlich erkennbare Anzeichen für einen postfaktischen Populismus gegeben. Fast jede Nation in Kontinentaleuropa lebt ja längst mit rechtspopulistischen Parteien, die seit Jahren immer mehr Zulauf erhalten. Deren ökonomische Argumente sind im Kern gegen Globalisierung und weltwirtschaftliche Integration gerichtet. Sie plädieren – mit gewissen Unterschieden und Schattierungen – für eine Re-Nationalisierung der Politik. Ihre Botschaft richtet sich fast frontal gegen den Mainstream der Volkswirtschaftslehre, der bei allen Differenzierungen in einer stärkeren Arbeitsteilung viel mehr Vorteile als Nachteile sieht.

Woran liegt das? Warum läuft die ökonomische Botschaft politisch zunehmend ins Leere? Ich behandle im Folgenden unterschiedliche Erklärungsansätze für dieses beunruhigende Phänomen. Ich frage konkret: Gibt es zu wenig Rat? Oder ist der Rat zu technokratisch? Gibt es einen Weg aus der Misere? Meine ernüchternde Antwort wird lauten: nicht durch mehr Beratung, sondern nur durch mehr Beteiligung.

Die Misere der Beratung

Gibt es in unserer Gesellschaft zu wenig wirtschaftspolitischen Rat? Meine Antwort ist ein klares Nein. Ganz im Gegenteil, wir haben in Deutschland und Europa genauso wie in den USA eine riesige Phalanx von Ökonomen, die sich in der Öffentlichkeit äußern, und zwar in allen möglichen Formen.

Schauen wir beispielhaft auf die eigene Nation. Gremien wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Gemeinschaft der Leibniz-Institute für Wirtschaftsforschung publizieren seit Jahrzehnten regelmäßig Gutachten zu volkswirtschaftlichen Fragen. Spezialisierte Forschungsinstitute zu zentralen Zukunftsthemen sind hinzugekommen, so zu Fragen der Finanzmarktarchitektur das Research Center Sustainable Architecture for Finance in Europe (SAFE) in Frankfurt am Main und zu Fragen der Demografie das Munich Center for the Economics of Aging (MEA), um nur zwei prominente zu nennen. Diese (und andere) Institute forschen und publizieren auf hohem Niveau, ihr Leitungspersonal geht mit den Forschungsergebnissen aktiv und professionell an die Öffentlichkeit. Hinzu kommt die Resonanz der Arbeit internationaler Organisationen – von OECD über IMF und Weltbank bis zu den Forschungsinstituten rund um die EU. Kurzum: Niemals zuvor gab es in Deutschland so viele volkswirtschaftliche Analysen und Ratschläge von allen Seiten – ob nun gebeten oder ungebeten, ob institutionalisiert oder ad hoc.

Aber nehmen die Medien diesen Rat auch auf? Die Antwort ist ein klares Ja. Zeitungen, Fernsehen und Radio stehen bereit, die Expertenmeinungen zu reproduzieren – in Interviews, Meinungsbeiträgen und Zitaten. Niemals zuvor in der Geschichte gab es mehr Möglichkeiten, wissenschaftlich fundierten Rat über mediale Kanäle zur Kenntnis zu geben und zu nehmen. Dies gilt für die etablierten Medien, aber noch viel mehr für das Internet, das zu einem Tummelplatz von Expertenanalysen und -meinungen geworden ist. Zunehmend werden diese auch von Ökonomen selbst initiiert und verwaltet. Sie fallen also im Grunde genau so aus, wie sie nach Meinung der Experten, die für sie schreiben, auch aussehen sollten. Die Formate gleichen sich dabei: eine offene Diskussion, die theoretisch und empirisch fundiert ist, aber bei der die üblichen Restriktionen der „Academic correctness“ einem offenen Schlagabtausch der Argumente Platz machen – mit stark journalistischen Zügen.

Die Frage ist: Was will man eigentlich mehr an öffentlicher Diskussion? Die Antwort lautet: gar nichts. Allenfalls mag man beklagen, dass die Teilnehmer am wirtschaftspolitischen Diskurs zumeist ältere erfahrene Ökonomen sind, deren wissenschaftliche Karriere längst den Höhepunkt erreicht oder überschritten hat, während jüngere Kollegen sich zurückhalten, um konzentriert an rein wissenschaftlichen Publikationen für Top-Journals zu arbeiten. Dies führt sicherlich zu einer gewissen „Generationsverzerrung“ im Meinungsbild; und es spricht einiges dafür, nach Wegen zu suchen, um auch die Jüngeren stärker einzubinden. Ganz vermeiden lässt sich aber diese Verzerrung nicht; es geht ja fast um eine natürliche Arbeitsteilung zwischen den Generationen, und die ist wohl in der Volkswirtschaftslehre auch nicht viel anders als in anderen Zweigen der Wissenschaft.

Fazit: Die Misere liegt nicht an der Unaufmerksamkeit einer Gesellschaft, die nicht bereit wäre, den Rat der Ökonomen anzuhören. Im Gegenteil, in Menge und Vielfalt werden heute mehr Kanäle der Kommunikation angeboten und genutzt als jemals zuvor. Das Problem liegt anderswo. Ich sehe es in dem, was ich – in Ermangelung eines treffenderen Wortes – als „technokratisches Denken“ bezeichne.

Ökonomen arbeiten fast immer mit gedanklichen Modellen. Dies hat einen großen Vorteil: Es gibt ihrer Argumentation eine Kohärenz und Stringenz, die andere Sozialwissenschaften oft nicht erreichen. Es hat aber auch Nachteile: Modelle müssen zwangsläufig bestimmte Aspekte der Realität ausblenden, und wenn es sich um politisch wichtige Aspekte handelt, kann dies einen modellbasierten wirtschaftspolitischen Rat fast völlig entwerten. Dieser wird dann zum technokratischen Konstrukt: intellektuell interessant, aber politisch unbrauchbar.

Wohlgemerkt: Diese Schwäche liegt in der Natur der Sache. Sie hat es immer gegeben und wird es immer geben, soweit Modelle Verwendung finden. Ich vermute allerdings, dass sie in den letzten Jahrzehnten größer geworden ist. Dies liegt, ökonomisch gesprochen, zunächst ganz einfach an dem Angebot und der Nachfrage nach modellbasiertem Rat.

Auf der Angebotsseite steht die ökonomische Wissenschaft selbst. Dort besteht überhaupt kein Zweifel, dass der Trend hin zur mathematisierten Modellbildung und zur möglichst präzisen ökonometrischen Schätzung gegangen ist – und weg von jener ganzheitlichen Betrachtung, die Theorie und Empirie in ihrer heuristischen Vorläufigkeit nur als ersten Ansatzpunkt für politische Empfehlungen ansieht. Tatsächlich werden in unseren Fakultäten – ob auf Bachelor-, Master- oder Ph.D.-Niveau – kaum noch wirtschaftspolitische Gesamtbetrachtungen als Vorbereitung auf die Praxis trainiert. Sie sind nicht mehr integraler Teil jener Karriereplanung, die ein junger Mensch ins Visier nimmt, wenn er sich fachlich spezialisiert. Die Struktur der Anreize ist entsprechend: Wissenschaftliche Präzision wird prämiert, wirtschaftspolitische Relevanz diskontiert.

Auf der Nachfrageseite stehen die Politik selbst und die Medien – und zwar mit unterschiedlichen Interessen: Die Politik sucht nach praktisch Verwertbarem, die Medien nach öffentlich Aufregendem. Wer gewinnt? Meine Antwort: eindeutig die Medien. Für sie übernehmen die Experten mit ihrem technokratischen Rat die Rolle der Lieferanten von radikaler Kritik, die in der Öffentlichkeit auf große Aufmerksamkeit trifft und Auflagen bzw. Einschaltquoten in die Höhe treibt. Nicht differenzierte politische Abwägung des Ökonomischen zählt, sondern das harte und klare Urteil, abgeleitet aus Modellen. Dies gilt natürlich umso mehr, je größer die Massenwirksamkeit des jeweiligen Mediums, aber selbst in der Qualitätspresse gibt es eine zunehmende Tendenz, die einfache Botschaft der komplexen vorzuziehen. Ergebnis ist eine Art Inflation der Verrisse. Bei vielen kleineren Fragen der Politik kann dies ohne Weiteres hinnehmbar sein. So mögen Volkswirte über die Details einer Steuerreform oder die Anpassungen eines Regulierungsrahmens ohne großen Schaden für die Allgemeinheit munter streiten, zumal bei solchen Fragen zumindest in Deutschland immer noch eine sachkompetente Ministerialbürokratie in den zuständigen Finanz- und Wirtschaftsministerien zur Übersetzung in politische Vorlagen bereitsteht.

Schwieriger wird es bei grundlegenden Fragen der Politik. Hier kann dann der technokratisch-radikale Ökonomenrat – verstärkt durch ein lautes Medienecho – die Öffentlichkeit schon in eine unfruchtbare Diskussion ablenken. Dies gilt für große Weichenstellungen von überragender Bedeutung. Zwei naheliegende Beispiele: die deutsche Einheit (1990 ff.) und die Euro-Schuldenkrise (2011 ff). In beiden Fällen wurde der Kurs der Politik von prominenten Ökonomen überaus scharf kritisiert, und die Medien griffen diese Kritik gerne auf. Beide Male fand sich die Politik in einem dramatischen Dilemma: Sie musste schnell und entschlossen handeln, um den Menschen Vertrauen in den Staat zu geben und sie von der Abwanderung abzuhalten (so im Fall der Deutschen Einheit) bzw. eine Kapitalflucht zu verhindern und die internationalen Finanzmärkte zu stabilisieren (so im Fall der Euro-Schuldenkrise). Beide Male lieferten Ökonomen kluge technokratische Ratschläge, die aber das jeweilige zentrale Dilemma nicht angingen und deshalb mit enormen Risiken behaftet waren, vor denen die Politik zu Recht zurückschreckte. Der Rat verpuffte – mit großem Mediengetöse, aber weitgehend ohne politische Wirkung.

Technokratisches Modelldenken kann auch dadurch versagen, dass es schleichende außerökonomische Entwicklungen weitgehend ausblendet. Dafür ist möglicherweise der Aufstieg des Rechtspopulismus – als gesellschaftliche Folge der Globalisierung – ein gutes Beispiel. Der Mainstream der Volkswirte zählt zu Recht zu den passioniertesten Verfechtern des Freihandels. Er bestritt auch nie die Verteilungswirkung, die der Handel bewirkt – mit Gewinnern und Verlierern, die in irgendeiner Form kompensiert werden müssten. Er kümmerte sich allerdings nie um die potenziell dramatische Dimension dieses Problems, das in den letzten Jahrzehnten ganze Gesellschaften in ländliche versus städtische Regionen, Rust-Belts versus High-Tech-Belts sowie Schlecht- versus Gutverdiener gespalten hat. Wie stark diese Spaltung tatsächlich ausfällt, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist, dass sie zunehmend als gesellschaftliche Realität wahrgenommen wird und die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA und des Brexit in Großbritannien recht gut erklärt. Es waren in der Wissenschaft eher Politologen und Soziologen als Volkswirte, die sich um diese Fragen kümmerten; und es waren in der Qualitätspresse nicht die Wirtschaftsteile, sondern vor allem die Feuilletons, die diese Themen aufgriffen, wenn auch nicht immer in der gebotenen sachkundigen Form.

All dies führte zu einem politischen Bedeutungsverlust der Ökonomen: Bei den großen Fragen der Zeit – von deutscher Einheit über die Finanzkrise bis zur Globalisierung – war es ihr eigenes technokratisches Denken, das sie aus der Mitte der Diskussion verdrängte. Die Frage ist: Wie kommen sie dort wieder hin?

Wege aus der Misere

„Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität“, so ein berühmter Satz des Politikers Kurt Schumacher. Dieser Satz muss am Anfang stehen, will die Profession der Volkswirte als Berater der Politik an Einfluss zurückgewinnen. Realität heißt dabei: mehr als die wirtschaftliche Wirklichkeit, wie sie vielleicht noch in Modelle gezwängt werden kann. Es geht vor allem um die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Randbedingungen und Trends, die in das Bild von Diagnose und Therapie mit einzubeziehen sind. Das haben die Ökonomen zunehmend verlernt – dank unter anderem der Mathematisierung und Ökonometrisierung ihres Faches.

Der am nächsten liegende Weg der Besserung ist deshalb ein Erweitern der fachlichen Perspektive – raus aus der technokratischen Enge. Also: zurück zu Lehr- und Forschungsplänen sowie Studienstrukturen an unseren Universitäten, die zumindest einem Teil des Nachwuchses an Akademikern erlaubt, sich auf politisch-ökonomische Fragen zu spezialisieren und trotzdem den Einstieg in eine gute Karriere als Professor der Volkswirtschaftslehre zu finden. Dies ist leichter gesagt als getan: Enorm stark sind heute die Zwänge, mit Publikationen die „technischen“ Fertigkeiten zu beweisen statt das breitere gesellschaftliche Verständnis. Auch die Berufungspolitik der Universitäten müsste sich deshalb ändern, und zwar gründlich.

All dies wird allerdings nicht reichen, wenn nicht ein weiteres Element hinzukommt: die politische Praxis. Alle demokratischen Parteien in Deutschland bräuchten dringend mehr ökonomischen Sachverstand in ihren Reihen, vor allem als Bereicherung ihrer Fachausschüsse Finanzen und Wirtschaft. Umgekehrt benötigen Volkswirte genauso dringend die Erfahrungswelt des politischen Entscheidens. Nur diese hilft, sie von technokratischen Neigungen zu befreien. Vor allem trägt sie dazu bei, das Gefühl dafür zu vermitteln, wie stark ökonomische Themen mit breiteren gesellschaftlichen Fragen verwoben sind. Es gilt also, talentierte junge Menschen zu ermuntern, sich gemäß ihrer ganz persönlichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen einer demokratischen Partei anzuschließen, und zwar möglichst früh und mit großem Engagement.

In einem tieferen Sinn geht es ein Stück weit um eine Re-Politisierung des akademischen Diskurses. Von Politik hatten die deutschen Universitäten in den späten 1960er und den 1970er Jahren zu viel. Heute haben wir davon zu wenig.

Und es geht darum, Politik als Gestaltung und Reform der „res publica“ wieder ernst zu nehmen – und nicht nur den unverbindlichen Meinungsaustausch darüber in der Öffentlichkeit. Ein langjähriger und einflussreicher deutscher Parlamentarier hat es einmal treffend formuliert, als er sinngemäß sagte: Ich will im Gesetzbuch stehen, nicht in der Zeitung. Genau dieser Wille zum politischen Einfluss fehlt bei vielen akademischen Ökonomen. Sie schrei­ben und publizieren kluge Gutachten, aber sie kämpfen nicht darum, dass ihre Erkenntnisse auch Teil der Politik werden.

Übrigens gibt es auch keine kritische Öffentlichkeit, die das von ihnen verlangt. Fast das Gegenteil ist der Fall. Dies zeigt sich etwa daran, wie politischer Einfluss von Ökonomen gemeinhin gemessen wird – durch Befragung von akademischen Kollegen sowie Beobachtern aus Medien, Politik und Verbänden. Dabei spielt natürlich bei den Befragten die weithin erkennbare Wahrnehmbarkeit im medialen Meinungsgetöse eine viel größere Rolle als die konkrete Vorarbeit an politischen Projekten und Gesetzentwürfen, von denen die Öffentlichkeit (und selbst die eigene Profession) nur wenig bemerkt. Als Indikator für politische Wirkungskraft dient dann im Wesentlichen die Frequenz der Äußerung in den Medien: Wer viel sagt, hat viel Einfluss.

Ein merkwürdiger Trugschluss! Und ein demotivierender zugleich, denn er verleitet Ökonomen eher dazu, an der medialen Attraktivität ihrer Ergebnisse zu arbeiten als an der politischen Tauglichkeit. Das allgegenwärtige Internet akzentuiert diesen Trend noch zusätzlich, wie sich in geradezu grotesker Weise bei einigen web-affinen amerikanischen Starökonomen zeigt: Sie sind Woche für Woche mit kühnen Thesen in aller Munde, haben aber so gut wie keinen Einfluss auf die Politik – und offenbar auch nur wenig Macht über die breitere öffentliche Meinung, wie die Wahl von Donald Trump gezeigt hat.

Wir sind also weit entfernt von den Wegen aus der Misere. Eher verfestigt sich noch in der medialen Informationsgesellschaft die Neigung der Ökonomen, Politik irgendwelchen Funktionären zu überlassen und sich selbst auf die Forschung und deren öffentliche Vermarktung zu beschränken. Immerhin bietet der Aufstieg des Populismus erstmals eine echte Chance, die Misere in ihrer Tragweite für die Demokratie zu erkennen. Die Diskussion darüber kann beginnen. Hoffentlich tut sie es.

Die Rolle von Wettbewerb, Mandat und Selektion in der wirtschaftspolitischen Beratung

Die Diskussion um die wirtschaftspolitische Beratung findet hierzulande grundsätzlicher als in anderen Ländern statt. Insbesondere der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist im Mittelpunkt solcher Debatten, nicht zuletzt wenn er wirtschaftspolitische Maßnahmen der Bundesregierung deutlich kritisiert. So entzündete sich heftige Kritik an seiner Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohns, die in Forderungen zu seiner Abschaffung oder zumindest zur Auswechslung seines Vorsitzenden mündete.1 Abgesehen davon, dass diese Forderung von Unkenntnis geprägt ist, – nach § 7 Abs. 1 Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Sachverständigenratsgesetz) ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung die Mitglieder des Sachverständigenrates, seinen Vorsitz bestimmt der Rat aber nach § 8 Abs. 2 Sachverständigenratsgesetz selbst – illustriert dies, dass diesem Gremium eine Bedeutung für die wirtschaftspolitische Diskussion zugemessen wird, die vergleichbaren Gremien im internationalen Umfeld nicht zukommt.2

Sachlicher als die öffentliche Debatte ist die juristische Kritik am Sachverständigenratsgesetz. Böckenförde äußerte in seiner Habilitationsschrift verfassungsrechtliche Bedenken, weil der Sachverständigenrat nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem Parlament und der Öffentlichkeit beratend gegenübertritt.3 Klein behauptete sogar, dass der Sachverständigenrat, ohne selbst politisch verantwortlich zu sein und ohne dass für seine Tätigkeit ein Regierungsmitglied mangels Weisungsgewalt verantwortlich gemacht werden könne, wirtschaftspolitische Leitungsbefugnisse ausübe und daher als kabinettsfreier Raum anzusehen sei.4

Kabinettsfreier Raum ist der Sachverständigenrat angesichts der durch § 3 Abs. 1 Sachverständigenratsgesetz gewährten Unabhängigkeit tatsächlich. Sein Mandat deckt wirtschaftspolitische Leitungsbefugnisse jedoch nicht. Gemäß § 2 Sachverständigenratsgesetz begutachtet der Sachverständigenrat die gesamtwirtschaftliche Lage und die voraussichtliche Entwicklung, weist auf Fehlentwicklungen hin und zeigt Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Beseitigung auf, ohne bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen zu empfehlen. Die Bundesregierung muss gemäß § 6 Sachverständigenratsgesetz gegenüber dem Parlament zum Jahresgutachten Stellung nehmen und insbesondere ihre wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen darlegen. Welche sie daraus zieht, bleibt jedoch ihre Sache. Es gibt keine Vorprägung der Wirtschaftspolitik durch den Sachverständigenrat. Er hat lediglich eine durch das Sachverständigenratsgesetz hervorgehobene Stimme in der wirtschaftspolitischen Debatte.

Ansätze für Reformen

Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass neue und zugleich realistische Vorschläge zur Verbesserung wirtschaftspolitischer Beratung aufkommen. Die Unterschiede zwischen dem deutschen Modell unabhängiger Politikberatung und dem US-amerikanischen Modell des Council of Economic Advisors (CEA), der Teil der Administration ist, sind hinlänglich beleuchtet.5 Ein drittes Modell, bei dem Interessengruppen in den Gremienberatungen eingebunden sind, nämlich das Schweizer Modell der Kommission für Konjunkturfragen, spielt nach deren Abschaffung im Jahr 2007 keine Rolle mehr. In Anlehnung an andere Modelle der wirtschaftspolitischen Beratung ist somit kaum Erkenntnisgewinn zu erhoffen. Vielmehr lässt sich feststellen, dass andere Länder sich an das deutsche Modell unabhängiger Politikberatung anlehnen. Dies gilt etwa für Dänemark, vor allem aber für die Schaffung unabhängiger Fiskalräte in der EU. In den USA hat das unabhängige Congressional Budget Office mittlerweile höhere Reputation erlangt als der CEA. Unabhängigkeit ist also eine wesentliche Eigenschaft.

In jüngerer Zeit wird darauf hingewiesen, dass in Analogie zur Wertfreiheit in den Wissenschaften ein hinreichendes Maß an Wettbewerb für eine objektive wirtschaftspolitische Beratung essentiell ist.6 Dieser Wettbewerb ist erreichbar, wenn der Markt für Politikberatung ein offener Markt ohne Marktzugangsschranken oder marktbeherrschende Stellungen ist. Dazu sind Offenheit und Transparenz erforderlich. Gutachten und die dort verwendeten Daten sollten öffentlich zugänglich sein, damit sie der Kritik ausgesetzt werden können.7 Für den Sachverständigenrat wird aus solchen Überlegungen abgeleitet, dass mehr kritisches Potenzial durch weniger homogene Besetzung des Rates nötig sei.8 Diese Überlegungen dienen als Ausgangspunkt für die Analyse der wirtschaftspolitischen Beratung in Deutschland.

Die Politische Ökonomik der wirtschaftspolitischen Beratung

Die Politische Ökonomik der wirtschaftspolitischen Beratung9 wendet das ökonomische Verhaltensmodell auf die Berater selbst an. Wirtschaftspolitische Berater sind demnach genauso eigennützig und rational wie andere Akteure im politischen Prozess. Die Zielfunktion der Berater dürfte in Anlehnung an die öffentliche Verwaltung die drei Ziele Power, Prestige, Pay (Macht, Prestige und Honorar/Aufwandsentschädigung) als Argumente enthalten. Darunter lässt sich die Verwirklichung eigener politische Vorstellungen subsumieren. Wissenschaftler sind als wirtschaftspolitische Berater somit nicht neutral und nicht von vornherein der Wahrheit verpflichtet. Es kommt auf die Restriktionen an, denen sie unterliegen.

Hier spielt insbesondere die Reputation von Wissenschaftlern eine Rolle. Abgesehen von direkten Formen der Politikberatung erstellen Wissenschaftler Gutachten für Politiker, politische Institutionen oder Interessengruppen. Diese Gutachten können instrumentell oder technisch sein, indem sie aufzeigen, wie bestimmte politische Ziele am besten erreicht werden können. Gutachten können aber ebenfalls dazu dienen, bestimmte politische Positionen zu untermauern. Wissenschaftler haben dabei einen Anreiz, das Interesse des Auftraggebers zu berücksichtigen. Klugheitsargumente sprechen allerdings dafür, dass sie keine Gefälligkeitsgutachten verfassen. Wenn dies ersichtlich würde, insbesondere wenn die getroffenen Aussagen nicht durch die angeführten Argumente und die empirische Evidenz gedeckt wären, verlören Wissenschaftler ihre Reputation. Sie würden zudem für zukünftige Auftraggeber uninteressant, weil sie in geringerem Maße in der Lage sind, dem Anliegen der Auftraggeber Legitimität zu verleihen. Zeitinkonsistentes Verhalten der Wissenschaftler mündet daher in einer Selektion derjenigen Gutachter durch die Auftraggeber, von denen sie sich Ergebnisse versprechen, die sich nahe an ihren politischen Positionen befinden.

Wirtschaftspolitische Berater sind somit nicht wertfrei im Sinne Max Webers. Die Objektivität der wirtschaftspolitischen Beratung ergibt sich in Anlehnung an den Kritischen Rationalismus durch eine entsprechende Organisation des Prozesses wirtschaftspolitischer Beratung. Damit Reputation und Glaubwürdigkeit als Korrektive zum Tragen kommen, müssen Offenheit und Transparenz dieses Prozesses gewährleistet sein. Selektionseffekte treten auf, aber der Wettbewerb unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Positionen führt dazu, dass Wissenschaftler die bestehenden wissenschaftlichen Standards einhalten.

Wettbewerb als Schlüsselelement

Diese Analyse der wirtschaftspolitischen Beratung vernachlässigt jedoch die unterschiedlichen Ausprägungen des Wettbewerbs, charakterisiert die Restriktionen, denen wirtschaftspolitische Berater unterliegen, unvollständig und nimmt keine Differenzierung zwischen der institutionellen und dem offenen Markt wirtschaftspolitischer Beratung vor. Letzteres ist bedeutsam hinsichtlich der Unabhängigkeit in der Politikberatung.

Wettbewerb zwischen unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Positionen hat viele Facetten:

  • Er ergibt sich erstens zwischen unterschiedlichen Gutachtern für unterschiedliche Positionen. Länder, die gegen oder für ein geltendes Finanzausgleichsgesetz sind, stützen ihre Positionen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Gutachten.
  • Wettbewerb findet zweitens über die Öffentlichkeit statt. In den Medien werden verschiedene wirtschaftspolitisch relevante Analysen auseinander genommen. Es findet ein Schlagabtausch zwischen unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Positionen statt. Diese Ausprägung des Wettbewerbs ist durch die neuen elektronischen Medien wesentlich intensiviert worden.
  • Drittens herrscht Wettbewerb zwischen denjenigen, die aktuell wirtschaftspolitisch beraten, und denjenigen, die ebenfalls in diese Position wollen. Dies lässt sich auf honorierte Gutachten unterschiedlicher Auftraggeber wie auf die institutionalisierte Politikberatung beziehen.
  • Viertens, nur mit Bezug auf Gremien der Politikberatung, besteht Wettbewerb unterschiedlicher Meinungen innerhalb eines Gremiums.

Für jede dieser Formen des Wettbewerbs sind dazu förderliche Rahmenbedingungen denkbar. Offenheit und Transparenz stellen Voraussetzungen für die beiden erstgenannten Formen dar. Die dritte Form des Wettbewerbs ergibt sich aus Eigeninteresse der Wissenschaftler von selbst. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Argumente der Zielfunktion wirtschaftspolitischer Berater wenigstens teilweise kongruent mit denen der Wissenschaftler sind. Ist die wirtschaftspolitische Beratung für Ökonomen uninteressant, weil ihnen die rein wissenschaftliche Betätigung genügt, so sinkt die Wettbewerbsintensität in diesem Bereich. Der Widerstreit von Meinungen innerhalb eines Gremiums gewinnt ebenfalls durch Offenheit und Transparenz. Hier muss jedoch zugleich berücksichtigt werden, dass die Funktions- und Arbeitsweise eines Gremiums dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt werden darf.

Zu stark vernachlässigt: Mandat und Selektion

Reputation und Wettbewerb sind nicht die einzigen korrigierenden Mechanismen. Es ist erstaunlich, dass die Analyse des Wettbewerbs zwischen einzelnen Gutachtern in der bisherigen Diskussion unbesehen auf die institutionalisierte Beratung übertragen wird. Institutionalisierte Beratung findet auf Basis eines rechtlichen Mandats statt. Dieses Mandat ist eine formale Beschränkung für wirtschaftspolitische Berater, die sie bei der Maximierung ihrer Zielfunktion an allgemeine Interessen bindet. Jedes Mandat ist zwar auslegungsfähig. Dies zeigt nicht zuletzt die Diskussion um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Gleichwohl bleibt eine Beschränkung bestehen.

Erheblich ist die Selektion der wirtschaftspolitischen Berater. Jeder Auftraggeber versucht die Legitimität seiner Position durch einen angesehenen Gutachter zu stärken. Je höher die Reputation des Gutachters, umso stärker fällt dieser Legitimationseffekt aus. Bei der institutionalisierten Beratung kommt es jedoch auf die Reputation des Gremiums an. Hier müssen angesehene Wissenschaftler selektiert werden, um die Akzeptanz des Gremiums in der Bezugsgruppe der Fachöffentlichkeit sicherzustellen. Mitglieder solcher Gremien müssen also einerseits durch ihre Publikationen überzeugen. Andererseits sollte es sich aber um Personen handeln, die zu einem Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die wirtschaftspolitische Realität in der Lage sind.

Unabhängigkeit in der wirtschaftspolitischen Beratung unerlässlich

Wettbewerb durch Offenheit und Transparenz, insbesondere die Offenlegung von Argumentationsbezügen (Quellenangaben), verwendeter Daten und Methoden sowie die Veröffentlichung von Gutachten, sind zentral für die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung. Zugleich müssen aber die Anreize für Wissenschaftler groß genug sein, sich in der wirtschaftspolitischen Beratung zu engagieren. Dies verstärkt den Wettbewerbsdruck, der über die Öffentlichkeit zustande kommt.

Damit Reputationseffekte zum Tragen kommen, sollten Selektionsmechanismen stärker berücksichtigt werden. Für Gremien der wirtschaftspolitischen Beratung spielt dies vor allem auf die Reputation der Mitglieder an. Sie muss im Vordergrund stehen und sollte Vorrang vor der Repräsentation unterschiedlicher politischer Positionen innerhalb des Gremiums haben. Selbst ein homogen zusammengesetztes Gremium ist dem Wettbewerb politischer Meinungen in der Öffentlichkeit stark ausgesetzt. Seine Arbeitsfähigkeit dürfte allerdings höher sein.

Unabhängigkeit von Gremien wirtschaftspolitischer Beratung ist von essentieller Bedeutung für dessen Reputation in der (Fach-)Öffentlichkeit und damit zugleich für seine Attraktivität für andere Wissenschaftler. Die Unabhängigkeit stärkt die Bedeutung der Fachöffentlichkeit nicht zuletzt im Hinblick auf die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und Methoden. Unabhängigkeit sorgt für eine stärker langfristige Orientierung und drängt Zeitinkonsistenzen in den Hintergrund. Das deutsche Modell unabhängiger wirtschaftspolitischer Beratung ist nicht zuletzt deshalb attraktiv für andere Länder.

  • 1 Vgl. dpa-Meldung vom 12.11.2014 mit dem Titel „SPD-Spitze stellt Zukunft der Wirtschaftsweisen infrage“ beziehungsweise R. Hoffmann: Überholtes Lehrbuchwissen, in: Frankfurter Rundschau vom 15.11.2014. Durch diese Debatte angestoßen wurde zudem ein Zeitgespräch im Wirtschaftsdienst und ein Artikel im ifo Schnelldienst. Vgl. Sachverständigenrat – Wie politiknah sollte die Beratung sein?, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 3, S. 159-177; sowie N. Potrafke: Sind die Wirtschaftsweisen von gestern?, in: ifo Schnelldienst, 68. Jg. (2015), H. 5, S. 20-21.
  • 2 Dies steht in starkem Gegensatz zu den ebenfalls immer wieder, gerne kurz vor Übergabe eines Jahresgutachtens geäußerten Behauptungen, der Sachverständigenrat habe seine Strahlkraft verloren oder sei im öffentlichen Diskurs nicht mehr wahrnehmbar. Vgl. beispielsweise M. Fischer: Wie unabhängig sind Deutschlands Ökonomen, in: Wirtschaftswoche vom 27.4.2014.
  • 3 Vgl. E.-W. Böckenförde: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung: Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1964, 2. Aufl. 1998, S. 256 ff.
  • 4 Vgl. E. Klein: Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raums, Berlin 1974, S. 71.
  • 5 Vgl. insbesondere S. Cassel: Politikberatung und Politikerberatung, Bern 2001; sowie U. Papenfuß, T. Thomas: Eine Lanze für den Sachverständigenrat? – Plädoyer für eine differenzierte Analyse wirtschaftswissenschaftlicher Beratungsinstitutionen, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 8. Jg. (2007), H. 4, S. 335-358.
  • 6 Mein leider viel zu früh verstorbener Lehrer Gebhard Kirchgässner ist der prominenteste Exponent dieses Ansatzes. Vgl. G. Kirchgässner: Zur Politischen Ökonomie der wirtschaftspolitischen Beratung, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 3, S. 198-203; und G. Kirchgässner: Zur Rolle der Ökonometrie in der wissenschaftlichen Politikberatung, Thünen-Vorlesung 2012, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 14. Jg. (2013), H. 1, S. 3-30.
  • 7 Vgl. erneut G. Kirchgässner: Zur Politischen Ökonomie ..., a.a.O., S. 203; sowie G. Kirchgässner: Der Ökonom als Berater: Objektivität, Ideologie und Eigeninteresse, in: M. Held, G. Kubon-Gilke, R. Sturn (Hrsg.): Ökonomik in der Krise, Jahrbuch normative und institutionelle Grundlagen der Ökonomik 10, Marburg 2011, S. 219-241.
  • 8 Vgl. G. Kirchgässner: Nützliche Ideologen, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 3, S. 168-171.
  • 9 Ich stütze mich hier im Wesentlichen auf G. Kirchgässner: Der Ökonom als Berater ..., a.a.O.; ders.: Zur Politischen Ökonomie ..., a.a.O.; ders.: Zur Rolle der Ökonometrie ..., a.a.O.; ders.: Nützliche Ideologen ..., a.a.O. Diese oder eine ähnliche Argumentation findet sich in weiteren seiner Schriften seit G. Kirchgässner: Ideologie und Information in der Politikberatung: Einige Bemerkungen und ein Fallbeispiel, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Nr. 41, 1996, S. 9-41. Vgl. zudem K. Mause, K. Heine: Ökonomische Analysen wissenschaftlicher Politikberatung, in: Politische Vierteljahresschrift, 44. Jg. (2003), H. 3, S. 395-410.

Title:Expertise in the Political Process – Benefits, Limits and Risks

Abstract:Since the outbreak of the financial and economic crisis, confidence in politicians as well as the economists in their advisory expert panels seems to be at an all-time low. Why do politicians reject science-based advice unless it fits into their political agenda? Are economists misunderstood by politicians and vice versa? The tension between the ideal of evidence-based policy-making and the reality of policy-based evidence-making is hardly a new phenomenon. Therefore, the expectation that Donald Trump, the Brexiteers and European populists will necessarily disappoint their voters because they simply cannot deliver what they have promised is misleading. Experts would be well advised to use the debate on the post-factual era as an impetus to reflect critically on their profession. One opinion expressed in this Zeitgespräch is that the contested societal and political impact of modern economics is due to its restricted scientific self-concept. A more open, pluralistic and transdisciplinary self-definition of economics would strengthen its societal influence. Another contributor ponders the proper incentives to persuade academic economists to provide economic policy advice. Key is the independence of advisory institutions like the German Council of Economic Experts. The selection of people with the best scientific qualifications will ensure the reputation of such institutions.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-017-2125-2