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Mittlerweile besteht ein Grundkonsens, dass Verlierer der Globalisierung kompensiert werden müssen, wenn sie etwa von Jobverlusten betroffen sind. Dies soll dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation zufolge nicht über eine progressivere Besteuerung der Einkommen, sondern über Trade Adjustment Assistance erfolgen. Diese Programme sollen betroffene Beschäftigte dabei unterstützen, durch Umschulung schnell neue Jobs in zukunftsträchtigeren Wirtschaftsbereichen zu finden. Regionale Arbeitsmarktunterschiede werden dabei aber oft übersehen. Die aktive Arbeitsmarktpolitik sollte daher um gezielte Regionalpolitik ergänzt werden.

Seit der Brexit-Abstimmung und der Wahl Donald Trumps hört und liest man sie fast täglich: Bekenntnisse von Vertretern der globalen Eliten, dass den Verlierern der Globalisierung – den „Abgehängten“ – endlich geholfen werden müsse. In diesen Kanon haben nun auch der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO) mit einem gemeinsamen Dossier eingestimmt.1

Das Schriftstück ist durchaus bemerkenswert, beschreibt es doch einen neuen liberalen Grundkonsens. Es ist nicht mehr wie früher die Rede davon, dass Globalisierung immer und für alle nur Vorteile bringe. Vielmehr lautet die Botschaft nun, dass sich der Wohlstand aller Länder zwar insgesamt erhöhe. Aber innerhalb eines jeden Landes verschärfe sich auch die Ungleichheit, wenn man nicht aktiv etwas dagegen unternimmt. Dieser Zusammenhang wird oft mit einer Süßwarenanalogie verdeutlicht: Globalisierung vergrößert insgesamt den Kuchen, aber für Einige kommt trotzdem eine (auch absolut betrachtet) kleinere Portion heraus.2 Betroffen sind in Deutschland vor allem die weniger gut Ausgebildeten, die ohnehin schon unten in der Einkommenspyramide stehen. Sie gehen zumeist weniger anspruchsvollen Tätigkeiten nach, die einfacher ins Ausland verlagert oder durch Importe substituiert werden können.

Die Forderung nach inklusivem Wachstum und einer Kompensation jener Globalisierungsverlierer lässt sich wohlfahrtsökonomisch stringent ableiten und ist integraler Bestandteil der neoklassischen Außenhandelstheorie. Die Grundidee wurde vor fast 80 Jahren von den Ökonomen Kaldor und Hicks formuliert: Weil der Kuchen ja insgesamt wächst, kann man den Gewinnern, deren Portionen viel größer werden, einen Teil wieder entziehen und damit die Verlierer entschädigen. So haben am Ende alle mehr auf dem Teller. In der politischen Praxis der letzten Jahrzehnte sei diese Kompensation der Verlierer aber bestenfalls angekündigt, aber nie, so formuliert es etwa Rodrik, in die Tat umgesetzt worden. Der Aufstieg des Populismus sei nun eben die Quittung dafür.3

Das Kaldor-Hicks-Kriterium und die Einkommensumverteilung

Aus dem Prinzip der fairen Verteilung der Zugewinne folgt aber noch kein konkretes politisches Konzept. Wie genau soll man die Globalisierungsverlierer kompensieren? Hierzu sagen die meisten politischen Kommentatoren nichts, und auch die ökonomische Literatur zu dieser Frage ist überraschend schmal. Das mag damit zu tun haben, dass das Problem zunächst trivial erscheint: Bei insgesamt gewachsener Verteilungsmasse muss es schließlich möglich sein, dass niemand schlechter gestellt wird.

Interessanter wird das Problem aber – auch für Theoretiker – wenn auf individueller Ebene nicht genau identifiziert werden kann, wer eigentlich ein Globalisierungsgewinner bzw. -verlierer ist. Eine kostenlose Umverteilung von Renten über Kopfsteuern bzw. -transfers ist dann nicht mehr möglich und zur Redistribution müssen verzerrende Instrumente eingesetzt werden. Ein wegweisender Beitrag in dieser Literatur stammt von Dixit und Norman.4 In ihrem Modell setzt der Staat differenzierte Konsumsteuern so an, dass alle Güterpreise exakt auf ihrem Autarkieniveau verharren, während auf der Produktionsseite Einkommenszuwächse aus Spezialisierung entstehen. Bei korrekter Umsetzung profitieren dann tatsächlich alle Gesellschaftsmitglieder von internationalem Handel, eine vormalige Autarkiekonstellation wird also Pareto-dominiert. In der wirtschaftspolitischen Praxis spielt dieser Vorschlag, wohl wegen seiner enorm hohen Implementierungskosten, aber keine Rolle.

Realistischer erscheint eine Umverteilung über ein progressives Einkommensteuersystem. Durch Handel steigen ja gerade die hohen Einkommen. Der Staat verleibt sich einen zunehmenden Anteil dieses Zuwachses ein und kann die so generierten Einnahmen gleichmäßig zurückverteilen. Der Anstieg in der Ungleichheit der Bruttoeinkommen, der durch Globalisierung induziert wird, wird somit bei den verfügbaren Nettoeinkommen gedämpft.

Genügt das nicht zur Verliererkompensation? Oder anders gefragt: Wenn das derzeitige Niveau der Umverteilung von Globalisierungsrenten als unzureichend empfunden wird, bestünde die konsequente Antwort dann nicht in einem Anstieg des Progressionsgrades? So bekämen die Verlierer mehr vom wachsenden Kuchen ab, während die Gewinner immer noch zugewönnen. Leider ist es mit diesem Automatismus, der gleichsam im Hintergrund für eine Vollabsicherung der Verlierer sorgen könnte, aber nicht so einfach. So zeigt Spector mit einem Mirrlees’schen Optimalsteueransatz, dass eine Handelsliberalisierung im Allgemeinen nicht als Pareto-Verbesserung implementiert werden kann, wenn der Staat lediglich Einkommensteuern als Instrument zur Verfügung hat. Dies gilt selbst dann, wenn Grenzsteuersätze nicht-linear mit dem Einkommen variieren dürfen.5

Von diesem konkreten Modell abstrahiert, scheint die allgemeinere Lehre zu sein, dass sich der Staat auch bei der Umverteilung von Globalisierungsrenten über das Einkommensteuersystem einem Zielkonflikt gegenübersieht: Handel vergrößert zwar den Kuchen, aber der Versuch einer gleichmäßigeren Portionsverteilung lässt ihn per se wieder etwas schrumpfen.6 Aufgrund dessen können auch nach vollzogener Umverteilung Globalisierungsverlierer zurückbleiben, deren reales Nettoeinkommen durch Handelsliberalisierung gesunken ist. Auch ein höherer Progressionsgrad im Tarifverlauf würde daran nichts ändern, denn die induzierten Effizienzverluste wögen schwerer.

Die Vorschläge von IWF, Weltbank und WTO: Trade Adjustment Assistance

Die beschriebenen Probleme mögen ein Grund dafür sein, warum sich im Dossier der internationalen Organisationen keine Forderung nach mehr klassischer Einkommensumverteilung über das Steuer- und Sozialsystem findet. Vielmehr kreisen die dortigen Vorschläge zur Kompensation der Globalisierungsverlierer um eine sogenannte „Trade Adjustment Assistance“ (TAA).

Im Kern geht es um eine einfache Idee: Beschäftigte, die besonders von Importdruck oder Produktionsverlagerung betroffen sind, sollen durch Umschulung schnell für neue Jobs in zukunftsträchtigeren Wirtschaftsbereichen fit gemacht werden. Während der Such- und Trainingsphase sollen sie zudem durch gezielte Zuschläge bei der Arbeitslosenversicherung besser abgesichert sein. Einen Abstieg in die Langzeitarbeitslosigkeit will man so verhindern. Außerdem wird die Rolle der Bildungspolitik stark betont, denn Chancengleichheit beim Bildungszugang sei langfristig die beste Versicherung gegen spätere Arbeitsmarktrisiken.

Nun existieren derartige TAA-Programme bereits, allerdings mit äußerst überschaubaren Volumina. In den USA sind das gegenwärtig ca. 500 Mio. US-$ jährlich, der European Globalisation Fund (EGF) ist noch kleiner. Die Vorschläge der Institutionen laufen auf eine Ausweitung dieser Programme hinaus, die sich speziell um handelsinduzierte Arbeitsmarktprobleme kümmern.

Parallel dazu soll aber auch die allgemeine (aktive wie passive) Arbeitsmarktpolitik ausgeweitet werden, denn letztlich ist kaum einzusehen, warum Globalisierungsverlierer eine Art Sonderstatus erhalten sollten. Erstens lässt sich die Ursache für einen Arbeitsplatzverlust (oder eine Lohnkürzung) in der Praxis kaum trennscharf abgrenzen. Und zweitens ist das oben beschriebene Muster – größerer Kuchen bei gleichzeitigen Verlusten für einige – kein exklusives Globalisierungsphänomen. Es ist vielen anderen ökonomischen Prozessen inhärent. So gilt es in ähnlicher Form für die Digitalisierung, die sogar noch stärkere Verteilungswirkungen haben dürfte. Und selbst eine „ganz normale“ Marktkonsolidierung weist Ähnlichkeiten auf: Wenn ineffiziente Firmen vom Markt verschwinden, dann werden im Aggregat Produktivität und Einkommen steigen. Aber für einige Beschäftigte bleiben trotzdem Probleme zurück, z.B. weil sie firmenspezifisches Humankapital in diesen Betrieben akkumuliert haben, das sich nun entwertet. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diese Arbeitslosen weniger Fördermöglichkeiten erhalten sollten als die Globalisierungsverlierer.

Wunderwaffe Arbeitsmarktpolitik?

Ein Mix aus allgemeiner und spezieller, aktiver und passiver Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik soll es nach Ansicht der Institutionen also richten. Wie kam es zu diesem Fokus? Hierfür sind aktuelle Forschungsergebnisse maßgeblich, die gezeigt haben, dass Globalisierung auch deswegen negative Auswirkungen für einige hat, weil eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen durch diverse Arbeitsmarktfriktionen erschwert wird.

In den Basismodellen der neoklassischen Außenhandelstheorie ist der Arbeitsmarkt stets perfekt geräumt. Selbst unter diesen idealisierten Bedingungen würden einige durch Handel verlieren, weil sich die relative Nachfrage nach ihren spezifischen Fähigkeiten und damit ihr Reallohn verringert (Stolper-Samuelson-Effekte). Aber es gibt in diesen Modellen keine Anpassungskosten beim Jobwechsel in einen neuen Wirtschaftszweig, keine Suchkosten, keinen Verlust von spezifischem Humankapital etc. In der Realität gibt es diese Anpassungskosten aber sehr wohl, wie etwa Autor, Dorn und Hanson für die USA sowie Dauth, Findeisen und Südekum für Deutschland empirisch gezeigt haben.7 Diese Friktionen können, im Gegensatz zu den langfristigen Stolper-Samuelson-Effekten, in der Tat mit Arbeitsmarktpolitik und TAA-Programmen adres­siert werden. Das grundsätzliche Verteilungsproblem, dass eine Vollkompensation der Verlierer nicht automatisch über das Einkommensteuersystem gewährleistet werden kann, ist dadurch natürlich nicht gelöst. Aber zumindest werden die zusätzlichen Anpassungskosten auf dem Arbeitsmarkt abgemildert.

Allgemeiner kann man die Politikempfehlung der Institutionen so interpretieren, dass die Globalisierungsverlierer lieber mit Jobs als mit Geld kompensiert werden sollten. Dies läuft zwar der ursprünglichen Logik des Kaldor-Hicks-Kriteriums entgegen, nach der Kompensationszahlungen im wörtlichen Sinne als monetäre (nicht verzerrende) Ausgleichszahlungen verstanden werden.
Aber eventuell sind den Globalisierungsverlierern ja Entschädigungen in Form neuer Jobperspektiven tatsächlich lieber als ein Scheck aus Berlin.

Die lokale Dimension des Globalisierungsproblems

Aber selbst wenn man sich diesem Urteil anschließen mag, bleibt die Frage, ob Arbeitsmarktpolitik alleine ausreichen wird, um die Verteilungseffekte der Globalisierung zu korrigieren. Hier sind Zweifel angebracht, denn eine wichtige Dimension wird im Dossier der Institutionen weitgehend ignoriert: die der regionalen Unterschiede. Die Arbeitsmarkteffekte von Handel sind, je nachdem wo man hinschaut, deutlich anders. In den USA waren die negativen Arbeitsmarkteffekte vor allem im Mittleren Westen (dem „Rust Belt“) konzentriert, in Großbritannien in den Industrieregionen im Norden des Landes. Auch für den Aufstieg des Populismus ist diese regionale Dimension zentral, denn er hat seine Hochburgen ja zumeist außerhalb der urbanen Zentren.

Auch in Deutschland sind diese regionalen Unterschiede präsent (vgl. Abbildung 1). Hierzulande sind das Ruhrgebiet, die Südwestpfalz und Oberfranken besonders stark betroffen, weil sie traditionell auf die Schwerindustrie, die Textil- und die Spielwarenbranche spezialisiert waren. Sie waren stark steigendem Importdruck ausgesetzt, was in den lokalen Arbeitsmärkten zu Jobverlusten und sinkenden Löhnen geführt hat.8 Andere Gegenden haben dagegen stark von der Globalisierung profitiert, etwa die Autostandorte in Süddeutschland.

Abbildung 1
Gewinner- und Verliererregionen innerhalb Westdeutschlands
Gewinner- und Verliererregionen innerhalb Westdeutschlands

Quelle: W. Dauth, J. Südekum: Globalization and Local Profiles of Economic Growth and Industrial Change, in: Journal of Economic Geography, 16. Jg. (2016), H. 5, S. 1007-1034.

Von diesen positiven Effekten hat ein Schuhmacher, der gerade in Pirmasens seinen Arbeitsplatz verloren hat, zunächst wenig. Durch Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen will man aus ihm, vereinfacht gesprochen, einen Automechaniker oder einen Webdesigner machen. Eine solche Strategie der Umschulung, die sich exklusiv auf die Arbeitsangebotsseite fokussiert, kann aber leicht an ihre Grenzen stoßen, wenn es im lokalen Arbeitsmarkt an der entsprechenden Arbeitsnachfrage und somit an adäquaten Arbeitsplätzen mangelt. Viele Wirtschaftszweige des Verarbeitenden Gewerbes sind räumlich stark konzentriert und damit sind Regionen oft auf wenige Branchen spezialisiert. Ein Importschock kann daher eine schwere lokale Rezession hervorrufen und trifft viele Arbeitnehmer gleichzeitig. Qualifikationsmaßnahmen können dann wirkungslos sein, weil zu viele Interessenten um zu wenige Jobs in anderen Wirtschaftszweigen konkurrieren. Die Folge ist, dass der Wiedereinstieg, wenn überhaupt, nur im einfachen Dienstleistungssektor zu geringeren Löhnen gelingt.

Nun könnte man den besagten Schuhmachern empfehlen, doch einfach dorthin umzuziehen, wo die lokalen Arbeitsmarktbedingungen besser sind. Gerade bei jungen Menschen mit guter Ausbildung passiert das ohnehin, denn regionale Mobilität ist dort eine typische Reaktion. Aber bei älteren Menschen mit geringerem Ausbildungsstand – also dem Personenkreis, der mit überdurchschnittlich hoher Wahrscheinlichkeit auch zu den Globalisierungsverlierern zu zählen ist – ist die Umzugsbereitschaft aus vielerlei Gründen (Immobilienbesitz, Freundeskreis etc.) oftmals schlichtweg nicht vorhanden.9

Wenn die Kompensation von Globalisierungsverlierern mittels aktiver Arbeitsmarktpolitik erreicht werden soll, dann wird diese Strategie also nur dann erfolgreich sein können, wenn ein Wiedereinstieg in einen akzeptablen Job vor Ort gelingt. Hierfür erscheint es aber notwendig, die angebotsseitigen Fördermaßnahmen durch entsprechende nachfrageseitige Elemente zu flankieren. So kommt die Regionalpolitik ins Spiel.

Das fehlende Element: Regionalpolitik

In der Europäischen Union ist die Regionalpolitik der zweitwichtigste Ausgabenposten des gemeinsamen Budgets. Zusätzlich betreiben die Mitgliedstaaten auch ihre eigenen Regionalpolitiken, in Deutschland z.B. über die „Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsstruktur“ (GRW) des Bundes. Ihre Rechtfertigung hat zunächst nichts mit Globalisierung oder anderen Strukturveränderungen wie der Digitalisierung zu tun. Vielmehr ergibt sie sich aus dem generellen Verfassungsgebot (Art. 72 GG) der gleichwertigen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.

Über die allokative Begründbarkeit regionalpolitischer Maßnahmen wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert.10 Wären alle Menschen in Deutschland perfekt mobil, dann gäbe es gar keinen Grund, bestimmte Regionen zu subventionieren. Wer in einem strukturschwachen Gebiet wohnen möchte, der wird seine individuellen Gründe dafür haben. Außerdem ist Wohnraum in der Provinz günstig und 1 Euro somit real mehr wert. Im idealtypischen „räumlichen Gleichgewicht“ sind die realen Lebensverhältnisse somit qua Konstruktion nicht nur vergleichbar, sondern identisch. Ein weiteres Dilemma der Regionalpolitik besteht darin, dass ein in der Peripherie investierter Euro im Durchschnitt nur geringere Renditen abwirft. Wenn das Kapital in den Zentren wirtschaftet, entsteht zusätzliches Wachstum über die Realisierung von Agglomerationsrenten. Auch hier wächst der Kuchen und die Früchte könnten ex post über Einkommenstransfers umverteilt werden.

Bei regionalpolitischen Eingriffen in die räumliche Wirtschaftsstruktur ist also immer eine gewisse ordnungspolitische Vorsicht geboten. Die gesamtwirtschaftliche Effizienz und das Wachstum werden dadurch normalerweise nicht gesteigert. Aber gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die regional differenzierten Auswirkungen der Globalisierung stellt sich die Frage, ob es darum überhaupt geht. Man muss Regionalpolitik nicht zwingend allokativ rechtfertigen. Man kann sie auch als räumliche Spielart von Umverteilungspolitik interpretieren, die es als gegeben hinnimmt, dass Globalisierungsverlierer a) stark regional konzentriert und b) weitgehend immobil sind. Sie verteilt dann nicht direkt Geld oder Einkommen an die Menschen in der Peripherie oder den negativ betroffenen Regionen um, sondern sie setzt ein breit gefächertes Instrumentarium ein, um dort Firmen anzusiedeln und neue Jobs in neuen Branchen zu schaffen.

Sie folgt also letztlich demselben Prinzip, für das sich auch die internationalen Organisationen in ihrer Strategie ausgesprochen haben: die Kompensation der Globalisierungsverlierer durch Jobperspektiven statt durch Transferzahlungen. Die gesamtwirtschaftlichen Effizienzverluste sind dabei als der Preis der Umverteilung zu sehen und als solcher zu akzeptieren.

Nun sollte dieser Preis aber idealerweise so gering wie möglich sein. Mit anderen Worten: Man soll nicht irgendeine Regionalförderung betreiben, sondern auf solche Instrumente setzen, die ihre selbst gesteckten Ziele – die Schaffung von Jobs – so effektiv wie möglich erreichen. Welche Instrumente das sind, lässt sich nicht einfach beantworten. In der Regionalpolitik tummelt sich eine Vielzahl von unterschiedlichsten Fördertatbeständen und -konzeptionen. Das Spektrum reicht von direkten Subventionen an Firmen über prioritären Infrastrukturausbau, Bildungssubventionen, die Förderung industrieller Cluster, die gezielte Ansiedlung von Behörden oder (Fach-)Hochschulen, die Verschönerung von Wohnquartieren, die Schaffung von Freizeitangeboten, die Verbesserung „weicher Standortfaktoren“ und vieles mehr. Das „What Work?“-Center an der London School of Economics hat einen umfassenden Überblick aller international verfügbaren Evaluationsstudien zu solchen „place-based policies“ zusammengetragen und konstatiert eine erhebliche Varianz bei den gemessenen Wirkungsgraden. Viele erhalten ein sehr schlechtes Prädikat, bei anderen schaut die Kosten-Nutzen-Analyse aber freundlicher aus.

Was für Deutschland funktioniert, kann letztlich nur evidenzbasiert in Kooperation von Politik und Wissenschaft festgestellt werden. Dabei sollte es weniger um die grundsätzliche Frage gehen, ob man überhaupt Regionalpolitik betreiben sollte, sondern vielmehr darum, welche konkreten Maßnahmen im Zusammenspiel mit Arbeitsmarktpolitik und TAA-Programmen zur bestmöglichen Kompensation der Globalisierungsverlierer führen, ohne dabei überholte Strukturen zu konservieren oder in eine staatlich gelenkte Regionalplanung zu verfallen.

Schlussfolgerung

Das Bekenntnis, dass man den Verlierern der Globalisierung helfen will, ist omnipräsent. Aber die Übersetzung in konkrete Politik wirft eine Reihe von Problemen auf und erfordert einige Grundsatzentscheidungen, die in diesem Beitrag aufgezeigt wurden.

Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation setzen in ihrer Strategie vor allem auf aktive Arbeitsmarktpolitik und „Trade Adjustment Assistance“. Diese Strategie ignoriert aber die lokale Dimension des Problems und ist zudem zu einseitig auf die Arbeitsangebotsseite ausgerichtet. Damit Globalisierungsverlierer effektiv kompensiert werden können, sollten auch nachfrageseitige Instrumente einbezogen und die Programme durch gezielte Regionalpolitik flankiert werden.

  • 1 Vgl. IMF, World Bank, WTO: Making Trade an Engine of Growth for All – The Case for Trade and for Policies to Facilitate Adjustment, Genf 2017.
  • 2 Das Stolper-Samuelson-Theorem gehört zu den zentralen Ergebnissen der neoklassischen Außenhandelstheorie und beschreibt exakt eine solche Konstellation.
  • 3 Vgl. D. Rodrik: Populism and the Economics of Globalization, Cambridge MA 2017.
  • 4 Vgl. A. Dixit, V. Norman: Theory of International Trade, Cambridge 1980.
  • 5 Vgl. D. Spector: Is it possible to redistribute the gains from trade using income taxation?, in: Journal of International Economics, 55. Jg. (2001), H. 2, S. 441-460.
  • 6 Vgl. P. Antrás, A. de Gortari, O. Itskhoki: Globalization, Inequality and Welfare, Harvard University, 2016. Diese Autoren schätzen, dass der aggregierte Realeinkommensgewinn aus Handel um etwa 15% geringer ist, weil steigende Grenzsteuern zu Verhaltensanpassungen (sinkendem Arbeitsangebot) führen. Ein weiterer Kanal besteht in der internationalen Mobilität der Steuerbasis: Globalisierungsgewinner könnten sich einer Besteuerung zum Zwecke der Rentenumverteilung durch Umzug in ein anderes Land entziehen.
  • 7 Vgl. D. Autor, D. Dorn, G. Hanson: The China Syndrome: Local Labor Market Effects of Import Competition in the United States, in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 6, S. 2121-2168; sowie W. Dauth, S. Findeisen, J. Südekum: The Rise of the East and the Far East: German Labor Markets and Trade Integration, in: Journal of the European Economic Association, 12. Jg. (2014), H. 6, S. 1643-1675.
  • 8 Vgl. hierzu: J. Südekum, W. Dauth, S. Findeisen: Verliererregionen der Globalisierung in Deutschland: Wer? Warum? Was tun?, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 1, S. 24-31.
  • 9 Vgl. S. Bauernschuster, O. Falck, S. Heblich, J. Südekum, A. Lameli: Why are educated and risk-loving persons more mobile across regions?, in: Journal of Economic Behavior and Organization, 98. Jg. (2014), S. 56-69.
  • 10 Vgl. z.B. J. Südekum: Wie sinnvoll ist die Regionalpolitik der Europäischen Union?, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 51. Jg. (2002), H. 2, S. 121-141.

Title:Compensating the Losers from Globalisation – But How?

Abstract:There is wide consensus that the losers from globalisation should be compensated, but sensible proposals regarding how to compensate them exactly are surprisingly rare. In a recent joint report, the World Trade Organization, the International Monetary Fund and the World Bank suggest the use of trade adjustment assistance and active labour market policies as the main instruments. Their strategy largely ignores, however, that adverse trade effects are strongly concentrated in certain regions, which often have become strongholds of populism. In this article, I argue that supply­side labour market policies should be complemented with demand­side regional policies that support job creation in the affected areas.


DOI: 10.1007/s10273-017-2177-3