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Entsprechend den Sondierungsvereinbarungen soll die monatliche Einkommens-Freigrenze, ab der der Solidaritätszuschlag erhoben wird, von aktuell 1400 Euro auf rund 5000 Euro angehoben werden. Würde der Solidaritätszuschlag vollständig abgeschafft, würde das höhere Einkommen viel stärker als niedrigere entlasten. Stellt man stattdessen alle gesetzlichen Sozialabgaben steuerfrei, würden mittlere sozialversicherungspflichtige Einkommen, die derzeit besonders stark belastet werden, deutlicher profitieren. Haushaltsneutral könnte anschließend schrittweise ein Arbeitnehmerfreibetrag für die gesetzlichen Sozialabgaben von monatlich 150 Euro eingeführt werden.

Sozialabgaben werden in Deutschland nach anderen Prinzipien erhoben als für die Besteuerung von Einkommen gelten. Sie beziehen sich nur auf Löhne und Gehälter, mit festen Abgabensätzen ab einem monatlichen Bruttolohn von 850 Euro (darunter verringerte Sätze), ohne Berücksichtigung von lohnspezifischen Werbungskosten, ohne einen Grundfreibetrag und nur bis zu einer Lohn­obergrenze, der Beitragsbemessungsgrenze. Zudem werden die von Arbeitnehmern gezahlten gesetzlichen Sozialabgaben bei der Einkommensteuer nur teilweise berücksichtigt. Dies führt zu einer enorm hohen Belastung von Löhnen und Gehältern durch Steuern und Sozialabgaben: Sie beträgt 34 % bei einem monatlichen Bruttolohn von 837 Euro (entspricht dem in Tabelle 1 angegebenen Arbeitnehmer­entgelt von 1000 Euro als Summe aus Bruttolohn und Arbeitgeberanteil an den Sozialabgaben).

Da nach Abzug des Arbeitnehmeranteils nur 663 Euro netto verbleiben, gewährt der Staat die Möglichkeit, einen Lohnzuschuss zu beantragen, um ein Einkommen oberhalb von Hartz IV zu erreichen. Derartig niedrige Einkommen sind steuerfrei und deshalb kann ihre Belastung auch nicht durch Steuererleichterungen verringert werden, sondern nur durch eine Senkung ihrer gesetzlichen Sozialabgaben, z. B. durch einen Freibetrag bei den gesetzlichen Sozialabgaben.

Tabelle 1
Monatliche Steuern und Sozialabgaben nach Einkommensart, 2017
Steuer- und Abgabensatz in %
Steuer- und Abgabenbelastung Arbeitnehmerentgelt1 in Euro 1000 3000 5000 10 000 1 Mio.
Gesetzliche Sozialabgaben des Arbeitgebers 16 16 16 11 0,1
Gesetzliche Sozialabgaben des Arbeitnehmers 17 17 17 11 0,1
Einkommensteuer 0 11 16 29 47
Gesamt 34 45 50 51 48
Einkommensteuerbelastung bei Bruttoeinkommen in Euro 1000 3000 5000 10 000 1 Mio.
Nicht sozialversicherungspflichtiges Einkommen 5 22 29 37 47
Einkünfte aus Kapitalvermögen 3 21 26 26 26

1 Arbeitnehmerentgelt entspricht Bruttolohn zuzüglich gesetzlicher ­Sozialabgaben des Arbeitgebers.

Quelle: L. J. Jarass, G. M. Obermair: Angemessene Unternehmensbesteuerung, 2017, Tab. 10.7.

Die Belastung für Arbeitnehmer aus Lohnsteuer und Sozialabgaben beträgt 45 % bei einem monatlichen Bruttolohn von 2500 Euro (bzw. einem Arbeitnehmerentgelt von 3000 Euro). Nicht sozialversicherungspflichtige Einkommen wie auch Einkünfte aus Kapitalvermögen gleicher Höhe werden hingegen nur mit gut 20 % besteuert. Die Belastung für Arbeitnehmer aus Lohnsteuer und Sozialabgaben steigt bis zu einem monatlichen Bruttolohn von 9000 Euro (Arbeitnehmerentgelt 10 000 Euro) auf 51 % und sinkt dann wieder leicht. Aber auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen von 1 Mio. Euro liegt die Besteuerung nur bei 26 % (vgl. Tabelle 1). Nicht sozialversicherungspflichtige Einkommen werden mit einer Einkommensteuer in Höhe von 5 % belastet, Einkünfte aus Kapitalvermögen nur mit 3 %.

Beim Vergleich mit anderen Steuerpflichtigen muss berücksichtigt werden, dass Selbständige aus eigenen Mitteln für Krankheit und Alter vorsorgen müssen, diese Kosten aber dann ebenso von ihrem zu versteuernden Einkommen absetzen können wie Angestellte. Auf sozialversicherungspflichtige Einkommen konzentrierte steuerliche Entlastungen würden auch diesen Selbständigen zugutekommen.

Steuerliche Belastung von Sozialabgaben

Die massive Belastung der mittleren Lohneinkommen rührt wesentlich daher, dass ihre hohen gesetzlichen Sozialabgaben zum Teil nicht bei der Berechnung der Einkommensteuer berücksichtigt werden: Nur die Abgaben (Beiträge genannt) zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung können zu 100 % steuerlich geltend gemacht werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht dies 2008 angeordnet hat. Altersvorsorgeaufwendungen (Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen und zu Rürup-Rentenversicherungen) sind begrenzt durch den Altersvorsorgehöchstbetrag, der seit 2015 an den Höchstbeitrag der knappschaftlichen Rentenversicherung gekoppelt ist (23 712 Euro 2018). Altersvorsorgeaufwendungen wirken sich aber 2018 nur zu 86 % steuerlich aus, wobei dieser Prozentsatz jedes Jahr um 2 Prozentpunkte erhöht wird und 2025 100 % erreicht. Abgaben zur gesetzlichen Rentenversicherung werden von den Arbeitgebern zu 100 % steuerlich geltend gemacht. Arbeitnehmer können im Gegensatz dazu im Jahr 2018 nur 72 % steuerlich geltend machen. Eine sofortige Steuerfreistellung der Arbeitnehmerabgaben würde nur vorübergehend zu zusätzlichen Steuerausfällen führen, weil schrittweise bis 2025 ohnehin eine vollständige Steuerfreistellung gesetzlich vorgesehen ist. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung können von den Arbeitnehmern für die von ihnen zu zahlende Hälfte (1,5 % des Bruttolohns) nur sehr beschränkt steuerlich geltend gemacht werden, wohl aber von den Arbeitgebern für ihre zu zahlende Hälfte. Auch das Absetzen dieser Beiträge vom zu versteuernden Einkommen könnte die mittleren Einkommen steuerlich entlasten.

Tabelle 2 zeigt für unterschiedliche Bruttolöhne die jeweiligen Entlastungen durch die volle steuerliche Berücksichtigung aller Sozialabgaben im Vergleich zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Bei einem Bruttolohn von 1000 Euro beträgt die Entlastung in beiden Fällen 0 Euro, weil bei diesem Bruttolohn keine Steuer anfällt. Bei einem Bruttolohn von monatlich 2000 Euro wäre die monatliche Entlastung doppelt so hoch wie bei Abschaffung des Soli, bei monatlich 4000 Euro rund die Hälfte höher, bei monatlich 6500 Euro rund ein Viertel höher. Liegen die Bruttolöhne über der Beitragsbemessungsgrenze, bleibt die Steuerminderung konstant bei knapp 120 Euro, weil dann auch keine höheren Sozialabgaben zu leisten sind. Bei einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags steigt die Entlastung hingegen weiter an. Die Entlastung z. B. für einen Bruttolohn von 20 000 Euro liegt fast viermal so hoch wie bei der vorgeschlagenen vollen steuerlichen Berücksichtigung aller Sozialabgaben.

Minderung des Steueraufkommens

Tabelle 2
Entlastungen durch eine steuerliche Berücksichtigung aller gesetzlichen Sozialabgaben1
in Euro
  Steuerlicher Abzug der gesetzlichen Abgaben für die Abschaffung des Solidaritäts-­zuschlags Unterschied in der Entlastung Für Renten- und Arbeitslosenversicherung angesetzter Grenz­steuersatz in %
Bruttolohn pro Monat Renten­-
versicherung
Arbeitslosen-­versicherung Renten- und Arbeits-­losenversicherung
1000 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0
2000 13,09 7,50 20,59 10,51 10,08 25
3000 23,56 13,50 37,06 23,76 13,30 30
4000 36,65 21,00 57,65 39,11 18,55 35
5000 49,74 28,50 78,24 57,90 20,35 38
6000 64,40 36,90 101,30 79,37 21,93 41
> 65002 75,40 43,20 118,60 86,95 31,66 44
7000 75,40 43,20 118,60 101,96 16,64 44
8000 75,40 43,20 118,60 125,06 -6,46 44
9000 75,40 43,20 118,60 148,16 -29,56 44
10 000 75,40 43,20 118,60 171,26 -52,66 44
20 000 75,40 43,20 118,60 402,26 -283,66 44
  Resultierende jährliche Steuermindereinnahmen gesamt im Jahr 2019 (in Mrd. Euro)  
  11 5 16 18 -2  

1 Monatliche Entlastung pro Kopf 2018, alleinstehend, keine Kinder. 2 Beitragsbemessungsgrenze.

Quelle: eigene Berechnungen auf der Basis von Statistiken des Rentenversicherungsberichts, der Bundesagentur für Arbeit und des Finanzberichts des Bundesministeriums der Finanzen.

Durch die vorgeschlagene sofortige steuerliche Berücksichtigung aller Sozialabgaben werden monatliche Bruttolöhne bis gut 7000 Euro stärker entlastet als bei Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Trotzdem wäre das resultierende Steuerminderaufkommen 2018 mit rund 16 Mrd. Euro etwas niedriger als bei Abschaffung des Solidaritätszuschlags mit rund 18 Mrd. Euro. Woran liegt das? Durch die volle steuerliche Berücksichtigung aller gesetzlichen Sozialabgaben wird zwar eine Vielzahl von sozialversicherungspflichtigen Löhnen und Selbständigeneinkommen entlastet, aber eben auch nur diese. Alle anderen Einkommen, die nicht sozialversicherungspflichtig sind, wie Beamtengehälter, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, aus privatem Kapitalvermögen, aber auch Gewinne von Kapitalgesellschaften werden steuerlich nicht entlastet. Dies steht im Gegensatz zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wo insbesondere höhere Einkommen entlastet werden, auch wenn sie nicht sozialversicherungspflichtig sind.

Nach einer steuerlichen Berücksichtigung aller gesetzlichen Sozialabgaben ab 2018 könnte dann ab 2019 haushaltsneutral entweder schrittweise ein Freibetrag bei den gesetzlichen Sozialabgaben analog zum Steuerfreibetrag eingeführt oder der Solidaritätszuschlag abgeschmolzen werden:

  • Alternative I: haushaltsneutrale Einführung eines Freibetrags. Statt der geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis zu rund 5000 Euro monatlich zu versteuerndes Einkommen (Freigrenze) könnten die ersten 150 Euro monatlicher Bruttolohn von Sozialabgaben freigestellt werden, also ein Arbeitnehmerfreibetrag für die gesetzlichen Sozialabgaben eingeführt werden. Dies würde alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einheitlich rund 30 Euro pro Monat entlasten und mit gut 11 Mrd. Euro jährlich ähnlich viel kosten wie die geplante Freigrenze beim Solidaritätszuschlag. Derzeit müssen auf 450 Euro monatlichen Bruttolohn rund 30 % Sozialabgaben, also 135 Euro gezahlt werden, auf 850 Euro rund 40 %, also 340 Euro. Eine Lohnerhöhung von 400 Euro brutto wird also mit 205 Euro zusätzlichen Sozialabgaben belastet, mehr als die Hälfte der Lohnerhöhung. Abzuraten ist deshalb von der geplanten Erhöhung der Freigrenze für diese sogenannten Midi-Jobs, vielmehr könnte nach Einführung eines Freibetrags bei der Sozialversicherung diese Sonderregelung für Midi-Jobs ganz entfallen.
  • Alternative II: Solidaritätszuschlag haushaltsneutral abschmelzen. Schon bei geltender Rechtslage können bis 2025 schrittweise die Beiträge zur Rentenversicherung voll vom Bruttoeinkommen abgesetzt werden. Das dadurch resultierende Steuerminderaufkommen von knapp 2 Mrd. Euro im Jahr 2019, steigend bis deutlich über 11 Mrd. Euro 2025, ist in der Haushaltsplanung schon berücksichtigt. Diese Beträge könnten zur schrittweisen Abschmelzung des Solidaritätszuschlags von 5,5 % auf rund 2,0 % oder der geplanten Einführung einer Freigrenze von 5000 Euro monatlichem Bruttoeinkommen verwendet werden. Diese Abschmelzung wäre dann gegenüber der aktuellen Haushaltsplanung haushaltsneutral.

Fazit

Eine steuerliche Berücksichtigung aller gesetzlichen Sozialabgaben entlastet kleine und mittlere Lohneinkommen deutlich stärker als die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die erst ab einem monatlichen Bruttolohn von über 8000 Euro stärker entlastet. Daraus würde ein Steuerminderaufkommen von rund 16 Mrd. Euro pro Jahr ­resultieren, etwas niedriger als bei Abschaffung des Solidaritätszuschlags von rund 18 Mrd. Euro pro Jahr.

Title:Tax Deductibility of All Social Contributions Instead of Abolition of the Solidarity Surcharge

Abstract:The abolition of the German solidarity surcharge would favour higher incomes much more than lower incomes. Tax deductibility of all social contributions, however, would concentrate relief on average incomes, which are heavily loaded by social contributions. In addition, a monthly social security allowance of €150 could be introduced gradually in a budget-neutral manner.


DOI: 10.1007/s10273-018-2251-5