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Das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA besteht seit 24 Jahren. Im Rahmen der protektionistischen Wende der USA steht es derzeit auf dem Prüfstand. Die Kritik der USA bezieht sich vor allem auf die bilateralen US-Handelsdefizite. Die Autoren geben einen Überblick über die ökonomische Integration Nordamerikas seit 1993: Der Handel zwischen den USA und Mexiko hat sehr stark zugenommen, seine Bedeutung für die US-Wirtschaft ist dabei nicht zu unterschätzen. Bei einer Kündigung des Abkommens würden grenzüberschreitende Liefer- und Produktionsketten zerschlagen. Die Autoren beurteilen die Vorschläge der USA und gehen auf den Zeithorizont für die möglichen Neuverhandlungen ein.

Zwei regionale Handelsabkommen stehen seit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung unter Präsident Trump Anfang 2017 im Zentrum einer scharfen Kurskorrektur der US-amerikanischen Handelspolitik. Die Transpazifische Partnerschaft (TPP), die ausverhandelt, aber noch nicht ratifiziert worden war, wurde von der neuen Regierung sofort gekündigt. Darüber hinaus wird das Abkommen über die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) zwischen Kanada, Mexiko und den USA, das Anfang 1994 in Kraft trat, fundamental infrage gestellt. Bereits während seines Wahlkampfs hatte Donald Trump angekündigt, das Abkommen beenden zu wollen. Seit August 2016 wird über eine Modernisierung des Handelsabkommens unter diesem Vorzeichen verhandelt.

NAFTA hat zu erheblichen Veränderungen in der Arbeitsteilung und in den Handelsströmen zwischen den drei beteiligten Ländern geführt. Während ein Modernisierungsbedarf bei einem vor fast 30 Jahren verhandelten Handelsabkommen naheliegt, wäre ein Ausstieg der USA mit erheblichen Verwerfungen in den nordamerikanischen Handels- und Investitionsbeziehungen verbunden. Welche Ziele die USA, Kanada und Mexiko jeweils unter dem Eindruck der Integration in den Neu- bzw. Modernisierungsverhandlungen verfolgen und welche Änderungen denkbar wären, soll hier untersucht werden.

Die ökonomische Integration Nordamerikas

Das NAFTA-Abkommen von 1993 ist mit zwölf Kapiteln auf mehr als 2000 Seiten noch heute eines der umfangreichsten Freihandelsabkommen der Welt und gilt als der Wegbereiter tiefer regionaler Handelsabkommen. In Zahlen ausgedrückt hat NAFTA eine eindrucksvolle Bilanz aufzuweisen: Das regionale Handelsvolumen (Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen) zwischen den drei beteiligten Ländern stieg von 341 Mrd. US-$ (1993) auf 1217 Mrd. US-$ (2016).1

Abbildung 1
US-Waren- und -Dienstleistungshandel im NAFTA-Raum
Wachstum seit 1993
US-Waren- und -Dienstleistungshandel im NAFTA-Raum

Wachstum seit 1993

Quelle: US Bureau of Economic Analysis, Office of the United States Trade Representative

Es vervierfachte sich damit annähernd und machte die NAFTA mit 476 Mio. Einwohnern (6,7 % der Weltbevölkerung) und einem Export­anteil von 14 % am weltweiten Güterhandel zu einer der größten Freihandelszonen der Welt.2 Der Anstieg des Handelsvolumens zwischen den NAFTA-Partnern seit 1993 wurde zu einem großen Teil durch den Anstieg des Güterhandels der USA mit Mexiko angetrieben (vgl. Abbildung 1).

Dabei ist das Bild durchaus gemischt, wenn es um die Bedeutung der NAFTA-Regeln für den Handel geht. So werden nur 46 % der gesamten US-Importe aus Kanada und 56 % der gesamten US-Importe aus Mexiko unter NAFTA-Regeln importiert. Der Güterhandel ist zwischen den NAFTA-Partnern auf wenige Sektoren konzentriert: Mehr als die Hälfte des gesamten Güterhandels (55 %) im NAFTA-Raum konzentriert sich auf vier Gütergruppen: Fahrzeuge (19 %), Maschinen (14 %), elektrische Maschinen (14 %) und Brennstoffe und Mineralöle (9 %). Bemerkenswerterweise werden gerade in einigen dieser Sektoren bei einem signifikanten Anteil der Handelsströme die NAFTA-Präferenzen nicht genutzt. Während die USA Fahrzeuge und Fahrzeugteile sowohl aus Mexiko und Kanada fast komplett zu NAFTA-Präferenzen importieren (97 % der Fahrzeugimporte aus Kanada, 93 % der Fahrzeugimporte aus Mexiko), werden z. B. nur 32 % der Mineralölimporte aus Kanada oder 29 % der Maschinenimporte aus Mexiko im Rahmen des NAFTA-Abkommens abgewickelt. Als Grund hierfür geben Unternehmen an, dass die Nachweispflichten zu aufwendig sind.3

Die Arbeitsteilung hat sich durch das NAFTA-Abkommen stark vertieft. Ein signifikanter Anteil des Handels zwischen den NAFTA-Partnern basiert auf Vorleistungsgütern. So sind beispielsweise 65 % der US-Exporte nach Mexiko und 56 % der US-Importe aus Kanada Vorleistungsgüter. Auch in den in die USA gelieferten Endprodukten aus Kanada und Mexiko steckt ein signifikanter Anteil US-Wertschöpfung (vgl. Abbildung 2).4

  • Importe aus Mexiko enthalten im Durchschnitt 12 % US-amerikanische Wertschöpfung, bei Fahrzeugen sind es knapp 20 %.
  • Importe aus Kanada enthalten im Durchschnitt 10 % US-amerikanische Wertschöpfung, bei Fahrzeugen sind es 26 %.

Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, in welchem Ausmaß NAFTA zu einer Vertiefung der regionalen Arbeitsteilung beigetragen hat. Eine Drosselung etwa der mexikanischen Kfz-Exporte in die USA über Zölle würde den Wertschöpfungsdaten zufolge zu mindestens einem Viertel US-Zulieferer selbst treffen.

Abbildung 2
Anteil der Vorleistungsgüter am US-Handel mit NAFTA-Partnern
Anteil der Vorleistungsgüter am US-Handel mit NAFTA-Partnern

Quelle: UN Comtrade. Daten beziehen sich auf das Jahr 2016. Vorleistungsgüter (Intermediate Goods) sind gemäß der von der UN vorgeschlagenen Klassifizierung der Basic Economic Categories definiert.

Auch über Direktinvestitionen sind die drei Volkswirtschaften eng verflochten: Kanada und die USA verbindet eine der weltweit größten Investitionspartnerschaften.5 Das gegenseitige Investitionsvolumen belief sich im Jahr 2015 auf knapp 670 Mrd. US-$. Kanadische und mexikanische Unternehmen haben insgesamt 488 Mrd. US-$ in den USA investiert.6 Das sind 13 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in den USA. Mit 454 Mrd. US-$ stammt der Großteil dieser Investitionen aus Kanada. Insgesamt haben kanadische und mexikanische Tochterunternehmen mehr als 700 000 Arbeitsplätze in den USA geschaffen – überwiegend im Industriebereich. In Mexiko belaufen sich die Direktinvestitionen aus Kanada mittlerweile auf knapp 12 Mrd. US-$ – im Jahr 1993 waren es noch 423 Mio. US-$. Die USA haben 88 Mrd. US-$ in Mexiko investiert. Das sind knapp 40 % aller ausländischen Direktinvestitionen in Mexiko.

Der Handel mit Kanada

Ein Viertel des gesamten internationalen Handels der USA fand 20167 mit den NAFTA-Partnern statt: Kanada war dabei mit einem Handelsvolumen (Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen) in Höhe von 635 Mrd. US-$ (davon 45 Mrd. US-$ im Agrarbereich)

  • größter Exportmarkt für US-Unternehmen (15 % aller Güter- und Dienstleistungsexporte werden nach Kanada ausgeführt),
  • zweitgrößter Handelspartner der USA (nach China),
  • größter Exportmarkt für US-amerikanische Agrarprodukte,
  • zweitgrößter ausländischer Lieferant von Agrarprodukten für den US-amerikanischen Markt,
  • drittgrößtes Herkunftsland US-amerikanischer Importe.

Mit Kanada war die Handelsbilanz im Güterbereich aus Sicht der USA im Jahr 2016 leicht defizitär (-16 Mrd. US-$). Im Dienstleistungshandel hatten die USA einen Überschuss in Höhe von 24 Mrd. US-$. Auch die kanadische Wirtschaft hängt stark vom Handel mit den USA ab: 70 % des gesamten internationalen Handels (Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen) finden mit den NAFTA-Partnern statt. Dabei ist Mexiko mit einem Anteil von 2 % nur von geringer Bedeutung.8 Kanada ist zudem für 35 der 50 US-Bundesstaaten der wichtigste Handelspartner.

Der Handel mit Mexiko

Mexiko war 2016 mit einem Handelsvolumen (Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen) in Höhe von 587 Mrd. US-$ (davon 41 Mrd. US-$ im Agrarbereich):

  • zweitgrößter Exportmarkt für US-Unternehmen (12 % aller Güter- und Dienstleistungsexporte werden nach Mexiko ausgeführt),
  • drittgrößter Handelspartner der USA,
  • drittgrößter Exportmarkt für US-amerikanische Agrarprodukte,
  • größter ausländischer Lieferant von Agrarprodukten für den US-amerikanischen Markt,
  • zweitgrößtes Herkunftsland der US-amerikanischen Importe.

Mit Mexiko verzeichneten die USA ein Defizit in Höhe von 71 Mrd. US-$ 2016 und damit das zweitgrößte bilaterale Defizit in der Handelsbilanz im Güterbereich (hinter China), aber im Dienstleistungshandel ist die Handelsbilanz positiv (7 Mrd. US-$).

Insgesamt beläuft sich das US-Handelsbilanzdefizit im Warenbereich mit den NAFTA-Partnern auf 87 Mrd. US-$. Knapp drei Viertel dieses US-Defizits ist auf den Automobilsektor zurückzuführen. Der Großteil davon (53 Mrd. US-$) entfällt auf den Handel mit Mexiko. Dieses bilaterale Handelsbilanzdefizit der USA mit Mexiko im Automobilsektor war und ist ein vielgenutztes Argument, um NAFTA als ein aus US-Sicht schlechtes Abkommen zu kritisieren. Das Ziel, dieses Defizit abzubauen, beeinflusst die US-Aktivitäten zur Modernisierung bzw. Revision des NAFTA-Abkommens stark. Die mexikanische Wirtschaft hat sich seit Bestehen des NAFTA-Abkommens auf die Industrieproduktion ausgerichtet (ca. 25 % des Bruttoinlandsprodukts – BIP). Für Mexiko sind die USA mit Abstand das größte Exportzielland. Mehr als 80 % der mexikanischen Exporte gehen in die USA.9 Auf Kanada entfallen nur knapp 3 %. Zudem bezieht Mexiko 47 % seiner Importgüter aus den USA. Diese Zahlen belegen deutlich, welche große Bedeutung das NAFTA-Abkommen für die Handelsströme aller Mitgliedstaaten hat. Eine Kündigung des Freihandelsabkommens würde grenzüberschreitende Liefer- und Produktionsketten zerschlagen und hätte voraussichtlich gravierende Auswirkungen auf die Handelsströme der NAFTA-Partner.

Kritikpunkte der USA an der NAFTA-Integration

Die eindrucksvolle wirtschaftliche Integration zwischen den NAFTA-Partnern und das daraus resultierende Wachstum der Handels- und Investitionsbeziehungen wird politisch keineswegs nur als Erfolg gewertet. Vielmehr gibt es gerade in den USA einen intensiven Streit um die Vor- und Nachteile und die Gewinner und Verlierer des NAFTA-Abkommens, der mit der Präsidentschaftskandidatur und dem Amtsantritt von Donald Trump an Schärfe zugenommen hat.10

Im Mittelpunkt der US-Debatte stehen

  • das Handelsbilanzdefizit insbesondere mit Mexiko,
  • die Beschäftigungseffekte von NAFTA und die Effekte auf das Lohnniveau,
  • die Verringerung von regulatorischen Handlungsspielräumen für Staat und Politik.

Spätestens seit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung sind bilaterale Handelsbilanzdefizite und deren Abbau in den Mittelpunkt der US-Handelspolitik getreten. Das hohe Handelsbilanzdefizit der USA insbesondere mit Mexiko wird in der politischen Diskussion gerne als Beleg dafür herangezogen, dass NAFTA für die USA von Nachteil ist.11 Volkswirtschaftlich ist dieser Blickwinkel indes irreführend. Sieht man die Ursache in der Ersparnislücke in den USA, so muss man bei unverändertem Spar- und Konsumverhalten in den USA zum Ergebnis kommen, dass das Defizit mit Mexiko ohne NAFTA zwar möglicherweise geringer ausfiele, das Handelsbilanzdefizit der USA insgesamt aber unverändert bliebe und lediglich regional und bilateral anders verteilt wäre.12

Betrachtet man das US-Warenhandelsdefizit gegenüber den NAFTA-Partnern nach Warengruppen,13 erkennt man, dass verschiedene Warenhandelsströme sehr unterschiedlich zum US-Handelsbilanzdefizit beigetragen haben. So stieg das US-Defizit bei Rohöl und anderen Energieprodukten im NAFTA-Handel von 1993 bis 2012 von 15 Mrd. US-$ auf fast 101 Mrd. US-$. Der US-Saldo bei Gütern des Verarbeitenden Gewerbes zeigt im gleichen Zeitraum hingegen ein differenzierteres Bild: Gegenüber Mexiko wandelte sich zwar der Überschuss von 4,6 Mrd. US-$ (1993) in ein Defizit von 49,5 Mrd. US-$ (2012). Gegenüber Kanada hingegen erhöhte sich zugleich das Ausfuhrplus von 5,7 Mrd. US-$ (1993) auf 55,7 Mrd. US-$ (2013).14 Dieses Beispiel belegt, wie irreführend die Betrachtung aggregierter bilateraler Salden in der Außenhandelsstatistik ist. Gleichwohl entfaltet eine auf solche Salden aufgebaute politische Argumentation eine hohe suggestive Überzeugungskraft, wie nicht nur das Beispiel der USA zeigt.

Arbeitsplatzverluste durch NAFTA?

Des Weiteren machen die Kritiker NAFTA für den Verlust von Arbeitsplätzen in den USA verantwortlich. Einigen Schätzungen zufolge lässt sich der Wegfall von knapp 1 Mio. Arbeitsplätzen auf NAFTA zurückführen.15 Anderen Berechnungen zufolge sind zwischen 2009 und 2011 jährlich etwa 4 Mio. Arbeitsplätze in den USA infolge von technischem Fortschritt und Wettbewerbsdruck weggefallen. Davon sind diesen Schätzungen zufolge aber allenfalls 5 % auf Importdruck aus Mexiko zurückzuführen.16 Solche Arbeitsplatzverluste werden oft dennoch insgesamt pauschal NAFTA angelastet.

Das relativ geringe Gewicht, das handelsbedingte Arbeitsplatzverluste im Verhältnis zu den Bewegungen am US-Arbeitsmarkt insgesamt haben, belegen einige Untersuchungen auch mit Daten, die sich aus der Inanspruchnahme des Trade-Adjustment-Assistance-Programms (TAA) ergeben.17 Die TAA finanziert Umschulungen oder zusätzliche Arbeitslosenunterstützung für Gruppen von Arbeitnehmern, die dem US-Arbeitsministerium nachweisen können, dass sie ihre Jobs infolge von Importkonkurrenz verloren haben. 2011 erhielten 104 000 Beschäftigte Zugang zum TAA. Das waren 2,4 % der Beschäftigten, die in den USA – aus welchen Gründen auch immer – 2011 ihren Job verloren hatten.

Darüber hinaus wird häufig übersehen, dass in den exportorientierten Sektoren, in denen neue Arbeitsplätze entstanden sind, im Durchschnitt besser bezahlt wird als in den Branchen, die der Importkonkurrenz aus Mexiko ausgesetzt sind, sodass das NAFTA-Abkommen durchaus auch positive (Lohn-)Effekte für amerikanische Arbeitnehmer hat.18 Die neuen, produktiven Arbeitsplätze in Branchen, die von der NAFTA-Arbeitsteilung profitieren, stehen also Arbeitsplätzen in Branchen gegenüber, die – nicht nur infolge NAFTA – unter verschärften internationalen Wettbewerbsdruck geraten sind und deshalb in der Lohnentwicklung stagnieren oder wegfallen.

Die von manchen NAFTA-Befürwortern erwartete Konvergenz der Löhne zwischen den USA und Mexiko ist nicht eingetreten. Die Einflussfaktoren dafür sind jedoch kaum von NAFTA abhängig. Der statistische Rückgang der Reallöhne in Mexiko von 1995 bis 1997 um knapp 20 % lässt sich auf die Auswirkungen einer Finanzkrise („Tequilakrise“) in Mexiko zurückführen, die zufällig zeitlich mit dem Inkrafttreten von NAFTA zusammentraf.19 Auch für die gedrückte Lohnentwicklung in den USA seit 1994 lässt sich kein robuster Zusammenhang zu höheren Importen aus Mexiko nachweisen – trotz enorm gestiegener Handelsvolumina im Verarbeitenden Gewerbe. Dies dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass dieser Handel – anders als z. B. der Handel mit China – eine starke intra-industrielle Komponente hat, d. h. einen komplementären Charakter aufweist.20

Verlust nationaler Souveränität?

Der letzte Kritikpunkt, NAFTA führe zum Verlust von nationaler Souveränität und nationalen Handlungs­spielräumen,21 ist letztendlich kein Spezifikum von internationalen Handelsverträgen. Der Abschluss internationaler Verträge ist Ausdruck nationaler Souveränität. Die damit verbundene Bindungswirkung ist ein logisches Charakteristikum aller international abgeschlossenen Verträge. Der Nationalstaat wird hier von den Kritikern als Verlierer der Integration gesehen, weil er in bestimmten Bereichen nicht mehr autonom handeln kann, etwa nicht mehr so einfach national Regulierungen erlassen kann und sich außerdem in Handelsverträgen einem Streitbeilegungsmechanismus unterwerfen muss.

Dieser Sichtweise ist entgegenzuhalten, dass eigene Regulierungsansätze, Transparenz oder Rechtssicherheit nur über internationale Verträge in andere Länder übertragen werden können und neuere Verträge zudem das „right to regulate“ regelmäßig umfassend absichern. Allen neueren Freihandelsverträgen ist eigen, dass sie versuchen, einen bestimmten Rahmen bei handelsrelevanten Regulierungspraktiken und für die Zusammenarbeit festzulegen. Insoweit ist es eine Abwägungsfrage, ob und wie viel Spielraum ein Vertragsstaat aufgibt, um etwas mehr – direkten oder indirekten – Einfluss auf die Regulierungspraxis bei wichtigen Handelspartnern zu gewinnen. Dass sich bei dieser Abwägung die politischen Gewichte in den USA zugunsten des Autonomiegedankens verschoben haben, zeigen sowohl der Ausstieg der USA aus TPP als auch die Kritik an NAFTA.

Die Interessen der NAFTA-Partner

Das Inkrafttreten von NAFTA hat zu keinem Zeitpunkt bedeutet, dass die Handelskonflikte zwischen den drei Partnern automatisch abgenommen hätten. So gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen den Partnern zu Dumping- und Regulierungsfragen. Jedes Land hat deshalb neben oft thematisch deckungsgleichen, übergeordneten Modernisierungsanliegen eigene spezifische Interessen für eine Aktualisierung des Handelsabkommens.

Bei den übergeordneten Interessen sind zwei Themengebiete zu unterscheiden: klassische Modernisierung und länderspezifische Interessen, die zumindest für die USA eine generelle politische Neuformulierung außenhandelspolitischer Leitlinien widerspiegeln.

Zu den klassischen Modernisierungsthemen gehören:

  • Schutz geistigen Eigentums,
  • Erweiterungen im Handel mit Dienstleistungen,
  • regulatorische Kohärenz,
  • bestimmte nicht-tarifäre Handelshemmnisse,
  • Regeln zu Staatsunternehmen,
  • Öffnung für Staatsaufträge,
  • bessere Grenzabfertigung,
  • Verankerung moderner Arbeits- und Umweltstandards.

US-amerikanische Interessen

Die Positionierung der USA ist wesentlich von der politischen Kritik an NAFTA bestimmt, die ein zentrales Element des Wahlkampfs von Donald Trump war. Im Mittelpunkt steht dabei die Verringerung des Handelsbilanzdefizits mit Mexiko. Folglich sollen die Produktion in Mexiko erschwert und bisherige Lieferketten verändert werden („reshoring“). So sagte der spätere US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer bei seiner Senatsanhörung am 14. März 2017, dass in den Verhandlungen mit Mexiko eine Balance zwischen den Bereichen Industrie (NAFTA solle zum Vorteil der US-Industrie komplett neu verhandelt werden) und Landwirtschaft (mit dem Ziel positiver Wirkungen von NAFTA für viele US-Agrarprodukte) hergestellt werden müsse.22

Um dieses Ziel zu erreichen, streben die USA vor allem strengere Ursprungsregeln an.23 Bisher beträgt der für Zollfreiheit erforderliche Wertschöpfungsanteil im NAFTA-Raum bis auf wenige Ausnahmen 60 % (Transaktionswertmethode) bzw. 50 % (Nettokostenmethode), bei Kfz sogar 62,5 %. Diese Regeln wollen die USA verschärfen, um vor allem asiatische Zulieferer von Vorprodukten zugunsten von US-Lieferanten auszuschließen.

Ein weiterer Hebel, um insbesondere das Handelsbilanzdefizit mit Mexiko abzubauen, ist die Abschaffung von Kapitel 8 NAFTA-Vertrag, das die Anwendung von Schutzklauseln für die heimische Industrie bei hohen Einfuhren aus anderen NAFTA-Staaten untereinander stark erschwert („global safeguard exclusion“).24 Würde dies geschehen, könnten die USA nach Sec. 201 US Trade Act künftig auch bei plötzlichen Importzuwächsen aus NAFTA-Staaten, die der US-Wirtschaft nach Einschätzung der Regierung ernsthaften Schaden zufügen, Importbeschränkungen wie gegenüber allen anderen Handelspartnern erlassen. Mehr protektionistischen Handlungsspielraum versprechen sich die USA auch von einer Aufhebung von Kapitel 19 NAFTA-Vertrag, das Streitbeilegungsverfahren regelt, die es jedem Land ermöglichen, binationale Panel mit Antidumping- und Ausgleichszoll-Fällen zu befassen. Dies ersetzt bzw. verzögert zumindest bisher eine einseitige und abschließende Festlegung von Antidumping-Maßnahmen durch die Behörden bzw. Gerichte eines NAFTA-Staates.

Ein nicht zu unterschätzender Hebel für die Durchsetzung von US-Handelsinteressen ist die Forderung, Konformitätsbewertungsinstitutionen aus allen NAFTA-Ländern gleich zu behandeln. Berücksichtigt man das relative Gewicht der drei Partner, läuft dies de facto auf eine Dominanz von US-Konformitätsbewertern und damit auf eine Dominanz von US-Regeln für die Regulierung der Produktzulassung im NAFTA-Raum hinaus.

Theoretisch könnte auch die von den USA verlangte Schaffung eines Mechanismus, der die Manipulation von Wechselkursen durch die NAFTA-Partner verhindert, den USA helfen, ihr Handelsbilanzdefizit zu verringern. Abgesehen von den erheblichen praktischen Schwierigkeiten sind allerdings weder Kanada noch Mexiko in jüngerer Zeit solche Manipulationen vorgeworfen worden.

Für die öffentliche Beschaffung fordern die USA sehr weitgehende Ausnahmeregeln für alle Arten von Buy-American-Vorschriften. Sie wollen die subföderale Ebene generell von Marktöffnungsverpflichtungen ausnehmen und weitgehende Ausnahmen auch für den Fall der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Moral und Ordnung durchsetzen. Dadurch würde der Zugang zum US-Beschaffungsmarkt de facto in das Belieben der US-Regierung gestellt.

Selbst für die Streitbeilegungsmechanismen wollen sich die USA das Recht vorbehalten, von einem Schiedsspruch abzuweichen, wenn ein Panel sich in seiner Einschätzung geirrt hat – was immer das heißt.

Den klassischen Modernisierungszielen zuzuordnen sind die US-Forderungen im Bereich des Marktzugangs für Dienstleistungen. So wollen die USA direkte und indirekte Diskriminierungen z. B. durch eine Beschränkung der Zahl ausländischer Anbieter oder Niederlassungsanforderungen verbieten und im Telekommunikationsbereich transparente Regulierung, unabhängige Regulierungsbehörden und angemessenen Zugang zu Netzwerken gewährleisten. Im digitalen Handel wollen die USA Zölle, Einschränkungen des grenzüberschreitenden Datenverkehrs und staatliche Verpflichtungen zu inländischer Datenverarbeitung verhindern. Der unangemessene Einsatz von geschützten Herkunftsbezeichnungen soll ebenso verhindert werden. Als Modernisierung zu klassifizieren sind des Weiteren Forderungen nach weiterem Abbau von Importtarifen und nicht-tarifären Hindernissen vor allem im landwirtschaftlichen Bereich mit Blick auf Kanada und nach vertiefter Zusammenarbeit der NAFTA-Partner im Bereich sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen sowie die Anhebung der Mindestwerte für Zollabfertigungsverfahren auf 800 US-$.25

Auch wenn sie indirekt dem Ziel des Abbaus des Handelsbilanzdefizits dienen können, ist die Forderung nach Stärkung der Rolle von Arbeits- und Umweltstandards im Abkommen ein Modernisierungsziel. Diese Standards sollen dem gleichen Streitbeilegungsmechanismus wie die anderen justiziablen Teile des Abkommens unterworfen werden. Außerdem sollen die NAFTA-Partner die Kernstandards der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) annehmen und bestimmte Arbeitsmarktregulierungen (Mindestlohn, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit) schaffen bzw. verschärfen.

Kanadische und mexikanische Interessen

Auch aus kanadischer Sicht26 besteht Modernisierungsbedarf besonders bei den Themen E-Commerce, Regeln zu Staatsunternehmen, einer besseren Grenzabfertigung (z. B. Kritik an einer möglichen Einführung der Erhebung biometrischer Daten beim Grenzübertritt in die USA) und einer Erleichterung der vorübergehenden Entsendung von Arbeitskräften. Insgesamt akzeptiert Kanada die Notwendigkeit inhaltlicher Anpassungen von NAFTA und hatte sich deshalb relativ rasch zu einer Modernisierung des Abkommens bereit erklärt.

Dabei gibt es allerdings einige erhebliche inhaltliche Konfliktpunkte mit den USA: Zunächst sind jahrzehntealte Streitpunkte zwischen Kanada und den USA im Rahmen der NAFTA-Gespräche wieder aufgeflammt. Das System der Angebotssteuerung in der kanadischen Landwirtschaft ist seit Jahrzehnten im Fokus US-amerikanischer Kritik. Ein weiterer Dauerstreit sind die öffentlichen Hilfen für den Flugzeughersteller Bombardier. Streit gibt es auch beim Thema Holzexporte.

Hinzu kommen einige neuere Streitthemen: Aus kanadischer Sicht wäre ein international besetztes, öffentlich bestelltes Handelsgericht nach dem Modell des mit der EU abgeschlossenen Handelsabkommens CETA der geeignete Ersatz für das – auch von der US-Seite aus anderen Gründen angegriffene – Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS). Die USA haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie dieses Modell ablehnen. Buy-American–Auflagen in den USA treffen besonders kanadische Unternehmen, wie etwa demnächst bei der nunmehr genehmigten Key­stone XL Pipeline, durch die kanadisches Öl an die texanische Küste fließen soll. Ihre Lockerung ist deshalb Gegenstand kanadischer Forderungen.

Auch Mexiko möchte im Rahmen einer Modernisierung von NAFTA erreichen, dass neue Bereiche wie E-Commerce, Telekommunikation, der vertiefte gegenseitige Marktzugang für Dienstleistungen und die Kooperation im Energiesektor in NAFTA aufgenommen werden.27 Mexiko hat ein besonderes Interesse daran, den zollfreien Güterverkehr zwischen den USA und Mexiko aufrecht zu erhalten. Bei hohen Zollsätzen würde das Geschäftsmodell zahlreicher Unternehmen zusammenbrechen, insbesondere im Kfz- und Elektroniksektor.

Ausblick

Im September 2017 legten die USA bei der vierten NAFTA-Verhandlungsrunde Vorschläge vor, die für die Verhandlungspartner Kanada und Mexiko offensichtlich unannehmbar sind, die aber interessanterweise in der im November veröffentlichten Zusammenfassung der US-Ziele für die NAFTA-Verhandlungen durch den United States Trade Representative nicht enthalten waren.28

So verlangten die USA die Vereinbarung einer Sunset-Klausel, der zufolge die Partner alle fünf Jahre autonom entscheiden könnten, ob sie den NAFTA-Vertrag für sich weiterlaufen lassen möchten.29 Der handelspolitischen Logik der neuen US-Regierung zufolge würden dabei die bilateralen Handelsbilanzsalden eine Schlüsselrolle spielen. Da kein Handelsvertrag in einer so kurzen Frist die angestrebten positiven Effekte erzielen kann und die mit dem US-Vorschlag zum Auslaufen von NAFTA eingebaute Unsicherheit Investitionsabsichten ausbremst, entwertet dieser Vorschlag – wenn er ernst gemeint ist – das NAFTA-Abkommen de facto komplett, ist deshalb unannehmbar und allenfalls geeignet, das Scheitern der Verhandlungen zu erzwingen.

Des Weiteren forderten die USA, den Zugang von Mexiko und Kanada zum US-Beschaffungsmarkt auf die kombinierte Höhe der für US-Unternehmen geöffneten Beschaffungsmärkte in Mexiko und Kanada zu beschränken (sogenannter Dollar-for-Dollar-Ansatz).30 Darin liegt eine konzeptionelle Abkehr der USA von ihrem bisherigen Ansatz in Handelsverträgen, der die Reziprozität der Öffnung der Beschaffungsmärkte durch die Festlegung gemeinsamer Ausschreibungsschwellenwerte für die Öffnung erfasster Einrichtungen und zulässiger Ausnahmebereiche verfolgt hat. Von dem neuen Vorschlag wäre voraussichtlich nur der mexikanische Zugang zum US-Beschaffungsmarkt betroffen, da Mexiko – anders als Kanada und die USA – nicht Partei des WTO-Abkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) ist. Der kanadische Zugang zum US-Markt wäre damit weiterhin gewährleistet, da NAFTA nicht die Verpflichtungen nach GPA berühren würde.31 Dieser Vorschlag wäre indes spätestens dann ein Sprengsatz für NAFTA, wenn die USA ihre Verpflichtungen aus dem GPA prinzipiell infrage stellten und damit auch einen Konflikt mit Kanada heraufbeschwören würden.

Schließlich präzisierten und verschärften die USA ihre Ideen zur Anpassung der Ursprungsregeln im NAFTA-Raum, indem sie vorschlugen, nicht nur die jetzt schon vergleichsweise hohen Mindestursprungsanteil für Kraftfahrzeuge von 62,5 % auf über 80 % zu erhöhen und zugleich einen US-Wertschöpfungsanteil von 35 % bis 50 % verlangten.32 Die Forderung, innerhalb einer Freihandelszone einen nationalen Wertschöpfungsanteil als Voraussetzung für Zollbefreiungen vorzusehen, läuft dem Zweck einer solchen Freihandelszone diametral zuwider. Denn einer Freihandelszone liegt als Konzept zugrunde, dass sich die Beteiligten gegenseitig zollfreien Handel zusagen, wenn ein bestimmter Anteil an Wertschöpfung innerhalb der Freihandelszone insgesamt erbracht und nachgewiesen wird. Der US-Vorschlag würde nicht nur die etablierten Wertschöpfungsketten der Autoindustrie im NAFTA-Raum de facto zerstören, sondern verabschiedet sich damit zugleich von einer Grundidee eines regionalen Freihandelsabkommens.

Während widerstreitende Interessen der übliche Ausgangspunkt aller Verhandlungen sind, legen Vorschläge, die den Grunderfordernissen langfristig verlässlicher Handelsbeziehungen zuwider laufen, wie z. B. eine ­„Sunset clause“, die alle fünf Jahre ein automatisches Auslaufen des Vertrags vorsieht, das Unterlaufen des zollfreien Handels oder das Infragestellen von Ergebnissen ordentlicher, vertraglich vereinbarter Streitbeilegungsverfahren die Axt an Handelsverträge insgesamt. Die hohe Integration, die in den 24 Jahren des Bestehens von NAFTA erreicht wurde, lässt vermuten, dass die ökonomischen Kosten eines Endes von NAFTA für alle drei Partner sehr hoch wären. Nüchterne Abwägung spricht dagegen, dass die USA es so weit kommen lassen, wenngleich ein Abschluss der Gespräche vor den mexikanischen Wahlen im Juli 2018 unwahrscheinlich erscheint. Deshalb ist bei nüchterner Betrachtung eine Hängepartie, die noch über die US Midterm Elections im November 2018 hinausreicht, zurzeit das wahrscheinlichste Szenario. Die hohe negative politische Symbolkraft, die das NAFTA-Abkommen in den USA hat, lässt es aber – allen wirtschaftlichen Nachteilen oder rationalen Abwägungen zum Trotz – nicht zu, ein Scheitern von NAFTA ganz auszuschließen.

Title:NAFTA Negotiations – Where Is US Trade Policy Heading?

Abstract:Since entering into force, NAFTA has contributed to major changes with regard to trade flows, supply chains and foreign investment among Canada, the US and Mexico. But nearly 30 years after the original negotiations, the need for modernisation is evident. A possible US exit from the agreement could lead to major turbulence in trade and investment relations within NAFTA. This article starts by looking at data showing the huge amount of trade and investment interdependencies. Next, it examines the objections being raised against NAFTA in the US and the reasons for this criticism, followed by an analysis of the goals the US is pursuing, set against the background of its reformulated, much more protectionist trade policy strategy. Finally, scenarios for an outcome are discussed.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-018-2248-0