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Im Zentrum der Europäischen Union stehen seit jeher Frankreich und Deutschland. Derzeit gehen von Frankreichs Präsidenten Macron Impulse für eine Erneuerung der EU und der Eurozone aus. Bisher war die Partnerschaft mit Frankreich durch häufig unterschiedliche Vorstellungen über Governance-Modelle geprägt. Auf die EU bezogen wird die Risikoteilung als französisches Prinzip betrachtet und die Marktdisziplin als deutscher Ansatz. Kürzlich hat eine Gruppe prominenter deutscher und französischer Experten einen Bericht vorgelegt, in dem beide Prinzipien verbunden werden. Die Autoren des Zeitgesprächs vergleichen die deutsche und die französische Wirtschaft und bewerten den Bericht der Ökonomengruppe.

Was können Frankreich und Deutschland voneinander lernen?

Das deutsch-französische „Paar“ stellt immer noch den Kern der Europäischen Union und, vor allem, den des Euroraums dar. Die Partnerschaft beider Länder hat gewöhnlich dann am besten funktioniert, wenn sich ihre wirtschaftliche Lage nicht maßgeblich unterschieden hat. Bis zur Wahl von Präsident Macron hatten sich die bilateralen Beziehungen jedoch auseinanderentwickelt. Deutschland steht heute mit seinen starken Exporten, einem ausgeglichenen Staatshaushalt und einem vollen Arbeitsmarkt offenbar viel besser da. Wie ist es dazu gekommen und welche Rolle hat die Politik dabei gespielt?

Den Rahmen abstecken: relative Einkommen und Löhne

Derzeit wird Deutschland häufig als Modell für ökonomische Stärke betrachtet. Frankreich wirkt demgegenüber relativ schwach. Aber dies basiert eher auf einem Eindruck, der die letzte Dekade reflektiert. Wenn man etwas weiter zurückschaut, stellt man fest, dass Deutschland im Vergleich zur Zeit vor der Wiedervereinigung gegenüber Frankreich sogar Boden verloren hat.

Abbildung 1 zeigt das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf (gemessen in Kaufkraftparitäten) im Vergleich zum französischen BIP. Es wird deutlich, dass das deutsche Pro-Kopf-Einkommen lange Zeit höher war. Die Differenz ist heute eher relativ klein, aktuell nur ca. 15 %. In den 1980er Jahren, d. h. vor der Wiedervereinigung war das (west-)deutsche Pro-Kopf-Einkommen dagegen annähernd 25 % höher als das französische. Aber seit dem Ende der 1990er Jahre nahm die relative Stärke Deutschlands für mehr als zehn Jahre ab. Das Land hatte eindeutig Probleme bei der Integration der ostdeutschen Bundesländer. Das Schicksal Deutschlands wendete sich um die Jahrhundertwende, einige Jahre nach Einführung des Euro. In den letzten Jahren (d. h. seit 2014) waren die Wachstumsraten beider Länder ähnlich. Der langfristige Blick auf das BIP pro Kopf relativiert also den Eindruck von deutscher Stärke.

Abbildung 1
Langfristiger Blick auf die relative ökonomische Stärke
Langfristiger Blick auf die relative ökonomische Stärke

Quelle: Europäische Kommission.

Etwas Ähnliches findet man, wenn man die Entwicklung der Lohnkosten betrachtet. Deutschland trat mit sehr hohen Löhnen der Währungsunion bei, und damals galt das Land als „kranker Mann Europas“. Allerdings begannen die Lohnkosten dann zu sinken. Es wird im Allgemeinen angenommen, dass diese Lohnzurückhaltung Deutschlands neue Stärke begründet. Aber diese Sichtweise ist zu einfach, weil sie erneut die besondere Situation der Wiedervereinigung vernachlässigt.

Abbildung 2
Langfristiger Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit
Langfristiger Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit

Quelle: Europäische Kommission.

Abbildung 3
Gesamtstaatliche Schuldenquote in Frankreich und Deutschland
Gesamtstaatliche Schuldenquote in Frankreich und Deutschland

Quelle: Europäische Kommission.

Langfristig betrachtet zeigt sich, dass heute sowohl die nominalen als auch die realen Lohnstückkosten Frankreichs relativ zu denen Deutschlands dem Durchschnitt sehr nahe sind. Abbildung 2 macht deutlich, dass die relativen Lohnkosten in Deutschland schon Ende der 1980er Jahre relativ hoch waren und nach der Wiedervereinigung noch einmal in die Höhe schossen. Die Ansicht, dass Deutschlands Stärke aus den geringeren Löhnen abzuleiten sei, basiert darauf, dass die meisten Analysten nur auf die Daten von 1995 bis 1999 schauen. Aber diese Jahre repräsentieren eine spezielle Situation, vor allem die Rezession nach dem kurzlebigen Wiedervereinigungs-Boom. Real gemessen waren die relativen Lohnstückkosten (im Vergleich zu Frankreich) ziemlich stabil.

Der langfristige (1966 bis 2005, also ohne die letzten zehn Jahre) Durchschnitt für die realen, relativen Lohnstückkosten liegt nur ca. 3 Prozentpunkte unter dem 2017 erreichten Wert. Dass Deutschlands relative ökonomische Stärke durch niedrige Löhne verursacht wurde, ist insofern nicht mit einer langfristigen Sicht zu vereinbaren.

Die verfügbaren Daten weisen also darauf hin, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nach der Wiedervereinigung schwankte. Die anfängliche Verschlechterung wurde seit 1995 allmählich wettgemacht. Leider sind viele Indikatoren nur nach 1995 verfügbar und viele Studien nutzen dieses Jahr als Ausgangspunkt, wahrscheinlich weil sich hier die größten Änderungen zeigen. Aber gerade dieses Jahr sollte nicht als Referenz genutzt werden. Den Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU) als Referenzperiode einzusetzen, bietet sich an, es ist aber angesichts der Tatsache, dass Deutschland damals als „kranker Mann Europas“ bezeichnet wurde, nicht sinnvoll, jeden Rückgang der deutschen Löhne im Vergleich zum Niveau von 1999 bis 2000 als Beweis einer binnenwirtschaftlichen Abwertung anzusehen.

Öffentliche Finanzen

Löhne, Wettbewerbsfähigkeit, Preise und Handelsbilanzen werden von Millionen von Entscheidungen im Privatsektor bestimmt. Dafür kann die Regierung bestenfalls den Rahmen setzen, nicht aber das Ergebnis beeinflussen. Bei den öffentlichen Finanzen sieht es anders aus: Defizite unterliegen der direkten Kontrolle der Regierung und die Entwicklung der öffentlichen Schulden ist entsprechend das direkte Ergebnis vieler vergangener politischer Entscheidungen. Bei den öffentlichen Finanzen waren die politischen Entscheidungen auf beiden Seiten des Rheins recht unterschiedlich. Jeder langfristige Vergleich zwischen der relativen fiskalischen Position der beiden Länder zeigt einen deutlichen Strukturbruch, der mit klaren politischen Entscheidungen korrespondiert. Dieser Bruch liegt nicht lange zurück und hat nichts mit der Wiedervereinigung zu tun.

Abbildung 3 zeigt die Schuldenquote (in Relation zum BIP) Frankreichs und Deutschlands, was einen guten Überblick über die langfristigen Trends in der Fiskalpolitik bietet. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Verschuldung auch nicht-budgetrelevante Posten enthält – wie die Kosten der Wiedervereinigung. Schon beim ersten Blick wird deutlich, dass beide Linien tendenziell parallel verlaufen. Bis zum Beginn der 1990er Jahre hatte Frankreich tatsächlich eine niedrigere Schuldenquote als Deutschland. Erstaunlicherweise stieg die französische Schuldenquote relativ zur deutschen nach der Wiedervereinigung. Eigentlich würde man angesichts der hohen Kosten für die Integration der ostdeutschen Bundesländer in das (west-)deutsche Sozialsystem das Gegenteil erwarten. Aber es kam anders: Die deutsche Schuldenquote stieg (von etwa 60 % des BIP als der Maastricht-Vertrag unterschrieben wurde) auf über 80 % des BIP eine Dekade später, und die französische Schuldenquote nahm sogar noch etwas stärker zu.

Vom Beginn der EWU an entwickeln sich beide Linien sehr nahe beieinander und folgen dem Konjunkturverlauf des Euroraums. Sowohl Frankreich als auch Deutschland verstießen 2003/2004 gegen den Stabilitätspakt und kämpften mit vereinten Kräften (mit Italien) gegen die EU-Kommission als Wächter des Vertrags. Aber nach dieser Episode gemeinsamen „schlechten“ Benehmens entwickelte sich die Politik in verschiedene Richtungen.

Abbildung 4
Staatsausgaben in Frankreich und Deutschland
Staatsausgaben in Frankreich und Deutschland

Quelle: Europäische Kommission.

Abbildung 5
Sozialausgaben in Frankreich und Deutschland
Sozialausgaben in Frankreich und Deutschland

Quelle: Europäische Kommission.

In Reaktion auf die Eurokrise handelten die Länder dann beispiellos unterschiedlich: Deutschland entschied sich, sein Defizit nach der konzertierten Budgetexpansion von 2009 wieder zu reduzieren, während Frankreich weiterhin auf Deficit Spending setze. Aktuell (2017) liegt der Unterschied bei den Defiziten bei über 3 Prozentpunkten (Defizit in Frankreich annähernd 3 % gegen einen leichten Überschuss in Deutschland). Kumuliert hat dies mittlerweile zu einer Differenz von über 30 Prozentpunkten bei der Schuldenquote geführt, Tendenz steigend.

Dass die Unterschiede bei den Schuldenquoten eng der Entwicklung der Budgetdefizite folgten, zeigt, dass die Austerität nicht kontraproduktiv war. Im Laufe der letzten Jahre wurde häufig argumentiert, dass angesichts der niedrigen Zinsen jede Fiskalkontraktion zu einem so starken Rückgang der Nachfrage führen würde, dass die Schuldenquote tatsächlich ansteigen würde. Dies scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein, wenn man Frankreich mit Deutschland vergleicht.

Was ist die Ursache für diesen Schwenk zur „schwarzen Null“ nach 2007? Eine Erklärung könnte sein, dass sich das deutsche politische System über Jahre an dem aus der Wiedervereinigung resultierenden Druck abgearbeitet hat. Obwohl das Land für einige Jahre Defizite nahe der 3 %-Grenze zu verzeichnen hatte, nahm die Politik den formalen Bruch von 2003 sehr ernst. Deswegen wurden große Anstrengungen unternommen, das Defizit unter Kontrolle zu halten, auch wenn die Wirtschaft nicht gut lief. Als sich die Wirtschaft nach der Großen Rezession erholte und gleichzeitig die Kosten der Wiedervereinigung abnahmen, lieferte das System Überschüsse, weil die gleichen Anstrengungen wie zuvor gemacht wurden – etwa so, als würde ein Schwimmer bei Gegenstrom trainieren. Wenn der ausbleibt, wird er bei gleicher Anstrengung viel schneller sein.

Ein anderer strategischer Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland zeigt sich bei der Bedeutung der (gesamt-)staatlichen Ausgaben für das BIP.1 Die Aussage, dass Frankreich traditionell höhere Staatsausgaben als Deutschland tätigt, wird für die Zeit vor der Wiedervereinigung nur teilweise von den Daten bestätigt (vgl. Abbildung 4). Es ist aber klar, dass die Differenz seit dem Beginn der EWU deutlich zugenommen hat. Während der 1990er Jahre, als die Kosten der Wiedervereinigung noch hoch waren, lag die Ausgabenquote (in Relation zum BIP) für Deutschland etwas unter 50 %, während sie in Frankreich etwas über dieser Marke lag – mit einer Differenz zwischen den beiden Ländern von ca. 5 bis 6 Prozentpunkten. Aktuell hat sich die Differenz auf 12 Prozentpunkte verdoppelt, wobei der Gesamtstaat in Deutschland annähernd 44 % des BIP ausgibt, in Frankreich sind es annähernd 56 %.

Die Unterschiede bei den Ausgabenquoten verbunden mit den Unterschieden bei den Schuldenniveaus haben tiefgreifende Wirkungen auf das Steuersystem, da Ausgaben früher oder später durch Steuern finanziert werden müssen. Die neue französische Regierung muss eine strategische Entscheidung treffen, wie sie nachhaltige öffentliche Finanzen erreichen möchte: Ausgaben reduzieren oder Steuern erhöhen.

Fiskalpolitik, Arbeitsmarktreform und Ungleichheit

Der größte Teil der Divergenz zwischen Frankreich und Deutschland bei den gesamtstaatlichen Ausgaben wurde während der letzten beiden Dekaden durch die Sozialausgaben verursacht. Sie stiegen in Frankreich in Relation zum BIP, sanken aber in Deutschland wie Abbildung 5 zeigt. In Deutschland begann der Rückgang in den Jahren 2003 bis 2005, während es in Frankreich einen langsamen trendmäßigen Anstieg bis 2008 gab, gefolgt von einem sprunghaften Anstieg 2008/2009. In Deutschland gab es während der Finanzkrise auch eine Zunahme, allerdings nur zeitweise.

A priori würde man erwarten, dass geringere (relative und absolute) Sozialausgaben zu einer Zunahme der Ungleichheit führen. Dies ist aber nur teilweise richtig. Es stimmt, dass die Ungleichheit in Deutschland (letztes Jahr mit Vergleichsdaten: 2011) höher als in den Jahren direkt nach der Wiedervereinigung (und höher als vor der Wiedervereinigung) ist. Das scheint das Narrativ zu bestätigen, dass die Erholung auf dem deutschen Arbeitsmarkt durch eine höhere Ungleichheit bezahlt werden musste.

Dennoch entspricht die Entwicklung der Ungleichheit nicht dem, was man erwarten würde, wenn sie durch eine Kombination aus Hartz-Reformen und geringeren Sozialausgaben (beides begann 2003 bis 2005) verursacht worden wäre. Abbildung 6 zeigt den Gini-Koeffizienten (mit Einkommen nach Steuern und Transfers) für Deutschland und Frankreich seit den 1990er Jahren nach OECD-Daten (eine der wenigen Quellen für langfristige Vergleichsdaten).

Abbildung 6
Ungleichheit in Frankreich und Deutschland: Vergleich der Gini-Koeffizienten
Ungleichheit in Frankreich und Deutschland: Vergleich der Gini-Koeffizienten

Quelle: OECD.

Abbildung 7
Sozialausgaben und Gini-Koeffizienten: Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland
Sozialausgaben und Gini-Koeffizienten: Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland

Die Punkte repräsentieren die Jahre 1990 bis 2005 (1990 befindet sich im Quadranten rechts unten).

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis von Daten der OECD und der Europäischen Kommission.

Es wird deutlich, dass die Ungleichheit in Deutschland trendmäßig seit Mitte der 1990er Jahre zugenommen hat. Allerdings erreichte sie ihren Gipfel genau in dem Jahr, in dem die Hartz-Reformen in Kraft traten und in dem die fiskalische Anpassung startete (2005). Man würde entsprechend erwarten, dass die kombinierte Wirkung dieser beiden politischen Entscheidungen zu einem weiteren Anstieg der Ungleichheit geführt hätte. Aber das Gegenteil war der Fall: Nach 2005 begann die Ungleichheit (nach Transferzahlungen) zu sinken, wenn auch nur langsam.

Der Gini-Koeffizient ist natürlich nur eine Möglichkeit, Ungleichheit zu messen. Andere Kennziffern wie die Einkommensverteilung nach Dezilen und Indikatoren, die sich nur auf bestimmte Altersgruppen beziehen, zeigen andere Zeitpfade. Allerdings haben mehrere deutsche Studien2 gezeigt, dass die Zunahme der Ungleichheit um 2005 herum aufhörte, selbst wenn andere Indikatoren verwendet werden.

Bei der unterschiedlichen Entwicklung der Sozialausgaben ist es interessant, beide Länder in Hinblick auf Ungleichheit zu vergleichen. Abbildung 7 vergleicht die Unterschiede bei den Sozialausgaben (als Anteil am BIP) zwischen Deutschland und Frankreich mit den Differenzen bei den Gini-Koeffizienten. Die Abbildung zeigt, dass sich von Mitte der 1990er Jahre bis 2005 die Sozialausgaben in Frankreich und Deutschland ziemlich ähnlich entwickelten, während Deutschland im Vergleich zu Frankreich allmählich ungleicher wurde. Das Muster änderte sich nach 2005: Deutschland gab weniger für soziale Sicherheit aus (im Vergleich zu Frankreich und auch absolut), doch die Ungleichheit nahm ab (vor allem im Vergleich zu Frankreich, aber auch absolut).

Wie kam es dazu? Die Hartz-Reformen hatten nicht das Hauptziel, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten (wie bei den aktuellen Bemühungen in Frankreich). Das wesentliche Problem, wie es damals wahrgenommen wurde, war die Annahme, dass die Löhne in Deutschland für den berühmten „Facharbeiter“ angemessen waren, d. h. für ausgebildete Arbeitskräfte (in der Verarbeitenden Industrie). Dies schloss aber einen wesentlichen Teil der Bevölkerung aus, dessen Produktivität viel geringer war. Zudem bot das soziale Sicherungssystem ein großzügiges alternatives Einkommen, üblicherweise mit einem langen Leistungszeitraum. Das eigentliche Ziel der Reform war also, dass „sich Arbeit lohnt“. Einschnitte bei den Leistungen und die Annahmeverpflichtung alternativer Jobs wurden deshalb begleitet von Lohnzuschüssen (das Aufstocken für niedrige Löhne). Die Reform brachte also mehr Arbeitsplätze (zu geringen Löhnen aber nicht niedrigeren Einkommen) und deshalb keine Verschlechterung der Einkommensverteilung. Eine solche Reform kann zu geringeren Sozialausgaben führen, da zumindest ein Teil des (im Wesentlichen gleichbleibenden) Einkommens der zuvor Arbeitslosen nun aus Löhnen stammt. Dies kann die beobachtete stabile Ungleichheit in Deutschland bei gleichzeitig geringeren Sozialausgaben erklären.

Die strafferen Verpflichtungen bei der Jobsuche und -annahme machten eine effiziente Verwaltung erforderlich, die in der Lage ist, bei der Arbeitsplatzsuche zu helfen und qualifiziert genug ist, um zu beurteilen, welche Jobs „akzeptabel“ sind. Ein wichtiger Teil der Hartz-Reformen war also eine tiefgehende Reform der „Arbeitsämter“, die von einer Einrichtung, die üblicherweise Arbeitslosengeld auszahlte, in eine Agentur verwandelt werden sollte, die wirklich bei der Arbeitsplatzsuche hilft und Beratung anbietet.

Schlussfolgerungen

Eine starke Partnerschaft muss auf einer starken wirtschaftlichen Leistung und sozialem Zusammenhalt basieren. Dieser Beitrag zeigt, dass Deutschlands Wirtschaftsstärke tendenziell überschätzt wurde, wenn man die vergangenen zehn Jahre betrachtet. Ein guter Teil des Wachstums und der Exporterfolge kam dadurch zustande, dass sich die Wirtschaft seit 2005 von den mit der Wiedervereinigung verbundenen Problemen erholt hatte. Die ökonomische Stärke Deutschlands relativiert sich auch, wenn man betrachtet, dass, gemessen am BIP pro Kopf, der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich noch immer nicht zu der Höhe von vor der Wiedervereinigung zurückgekehrt ist.

Die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland sind in der Fiskalpolitik am markantesten: Vor ca. zehn Jahren entschied sich Deutschland explizit dafür, ein ausgeglichenes Budget anzustreben, und dies wurde durch einen Rückgang der Ausgaben, einschließlich der sozialen Leistungen, erreicht. Frankreich dagegen versuchte, die Wirtschaft durch Defizite zu stimulieren. Leider funktionierte die französische Strategie nicht. Die Nachfrage wurde trotz anhaltender Defizite nicht stärker und die Ungleichheit nahm trotz höherer Sozialausgaben zu. Die Herausforderung für Präsident Macron wird nun sein, einen neuen Ansatz zu finden, der eine Stabilisierung der öffentlichen Finanzen mit einer geringeren Ungleichheit verbindet bei gleichzeitig sinkenden Ausgaben. Das deutsche Beispiel zeigt, dass dies möglich ist.

  • 1 Hier ist es schwierig, die langfristigen Trends zu dokumentieren, weil die wichtigsten internationalen Institutionen nur Daten für das vereinigte Deutschland haben. Man kann allerdings deutsche Quellen nutzen, um zumindest Daten für Westdeutschland zu erhalten.
  • 2 Bundesministerium der Finanzen (BMF): Einkommensungleichheit und soziale Mobilität, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Nr. 1/2017, Berlin 2017.

Ein deutsch-französischer Impuls für Europa – Inhalte und Rahmenbedingungen

Sollte Deutschland ab Frühjahr 2018 von einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD geführt werden, öffnet sich ein Fenster für eine deutsch-französische europapolitische Integrationsinitiative. Die Vertiefung der Eurozone wird dabei einen zentralen Stellenwert einnehmen, kann allerdings als Themenfeld kaum isoliert betrachtet werden. Es wird ein umfassenderer politischer Vorstoß nötig sein, der auch die Themen Migration, Sicherheit und Verteidigung umfasst, wenn es das Ziel ist, die Eurozone und die EU zu stärken und zusammen zu halten.

Reformen in Frankreich: eine neue Balance im Tandem

Über das vergangene Jahrzehnt hat sich mit Blick auf das Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich der Eindruck verfestigt, dass Deutschland ökonomisch stark sei, Frankreich hingegen aufgrund mangelnder Reformen immer weiter zurückfalle. Wie Tabelle 1 zeigt, bestätigen die Zahlen für die Haushaltslage oder auch die Arbeitslosigkeit diesen Eindruck. Im Bereich des Wachstums hat Frankreich seinen Aufholprozess bereits begonnen. Tatsächlich birgt die französische Volkswirtschaft Potenziale: Unter anderem verfügt Frankreich nach wie vor über eine robuste Innovationskraft sowie über eine agile Start-up-Szene. Seine traditionellen Stärken im Bereich der demografischen Entwicklung und auch seine Investitionsbereitschaft in den Bereichen Verteidigung und Außenpolitik erhält es aufrecht.

Die Wahrnehmung eines schwächelnden Frankreichs hat sich bereits in den ersten Monaten nach Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron im Mai 2017 deutlich verändert. Macron hat ein ambitioniertes Reformprogramm vorgelegt und in weniger als einem Jahr Amtszeit bereits mehr umgesetzt als sein Vorgänger Francois Hollande. Ein Beispiel hierfür sind weitreichende Arbeitsmarktreformen, die Kündigungen erleichtern, Abfindungen deckeln und Betriebsvereinbarungen stärken. Weitere geplante Reformen, etwa der Arbeitslosenversicherung, der Rentenkassen sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind angekündigt. Für die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs dürfte besonders Macrons Vorhaben, weitere Privatisierungen durchzusetzen und die Körperschaftsteuer zu senken, wichtig sein. Mit 33 % ist letztere im OECD-Vergleich eine der höchsten. Die Stimmung in Frankreich hat sich nach Jahren der Frustration und Zukunftsangst deutlich verbessert, was sich unter anderem in Umfragen unter Verbrauchern und Unternehmen zeigt. Auf dem Arbeitsmarkt deutet sich eine Entspannung an.

Für das deutsch-französische Duo bedeutet Macrons Handlungswille, das Potenzial Frankreichs zu remobilisieren, dass das Land politisch wie volkswirtschaftlich relativ an Stärke gewinnen dürfte. Macrons Kombination aus innerer Reformbereitschaft und europäischem Führungswillen macht Frankreich zu einem deutlich stärkeren Partner für Deutschland, als es dies in den vergangenen Jahren war. In der Tat hat Macron bereits im Wahlkampf und noch detaillierter seit Amtsantritt seine europapolitischen Ambitionen formuliert. Wegen der schwierigen Regierungsbildung in Berlin musste er allerdings bislang auf eine Antwort warten. Kommt die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD zustande, besteht die Chance auf eine ambitionierte und ausgewogenere bilaterale und europapolitische Zusammenarbeit. Wichtig im Kräfteverhältnis dürfte auch sein, dass Deutschland nach und nach seine außen- und verteidigungspolitische Verantwortung klarer formuliert und wahrnimmt. Setzen sich die beschriebenen Trends in Frankreich und Deutschland fort, könnte an die Stelle des Duos, in dem Deutschland die wirtschaftliche Kraft hat und Frankreich sich vor allem in außen- und sicherheitspolitischen Belangen stark macht, ein ausgewogeneres Tandem treten. Dieser Prozess muss in beiden Ländern und im EU-Kontext insgesamt allerdings politisch mit Vorsicht begleitet werden, da insbesondere Deutschlands stärkeres Gewicht in verteidigungspolitischen Belangen, sollte es so weit kommen, mit Skepsis betrachtet werden könnte.

Interessenskonvergenzen und -divergenzen

Mögliche deutsch-französische Initiativen in der EU dürften sich vor allem auf folgende Bereiche konzentrieren: die Eurozone, die Migrationspolitik sowie die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In allen Bereichen hat der französische Staatspräsident bereits weitreichende Vorschläge formuliert. Beispielsweise strebt er eine Stärkung und Zentralisierung von Handlungsinstrumenten in der Eurozone inklusive eines Eurozonenbudgets an, will den Europäischen Stabilisierungsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) überführen und hat sich für eine Begrenzung des Steuerwettbewerbs innerhalb der EU ausgesprochen. Grundsätzlich befürwortet er flexible, abgestufte Integrationsformen und hat die Erneuerung der deutsch-französischen Partnerschaft wiederholt stark betont.

Eine formale deutsche Antwort auf Macrons Europaambitionen steht bislang noch aus. Der Koalitionsvertrag einer möglichen neuen großen Koalition bietet allerdings einige Anhaltspunkte. So gibt es Überscheidungen im Bereich der Reform der Eurozone und des Binnenmarkts: Auch der Koalitionsvertrag enthält Elemente einer notwendigen Governance­reform in der Währungsunion. Er nennt einen EWF als Ziel und stellt ein Eurozonenbudget in Aussicht. Wenn es jedoch an die Details geht, dürften die traditionellen deutsch-französischen Dissenspunkte – beispielsweise über die Rolle von Hauhaltspolitik für das Wachstum und die Stabilisierung der Eurozone – wieder aufflackern. So ist zu erwarten, dass aus Berliner Sicht ein Eurozonenbudget vor allem dazu dienen sollte, Reformanreize zu setzen und Investitionen zu fördern, während aus Pariser Sicht auch die makroökonomische Stabilisierung eine Funktion des Budgets sein sollte. Diese und andere Unterschiede sind nicht leicht zu überbrücken, doch sind die politischen Voraussetzungen für eine gemeinsame Initiative so gut wie lange nicht mehr. In Paris und Berlin hat sich die Einsicht verfestigt, dass die Eurozone weiter gestärkt werden muss, und dass der jetzige Zustand nicht als gegeben angesehen werden kann.

Veränderte Rahmenbedingungen für deutsche und französische Führung in der EU

Es besteht die Chance, dass Deutschland und Frankreich europapolitisch wichtige Impulse setzen, neben der Vertiefung der Eurozone und des Binnenmarkts auch im Bereich Sicherheit und Verteidigung sowie der europäischen Migrationspolitik. Die Rahmenbedingungen für deutsch-französische Impulse in der EU haben sich jedoch seit den vergangenen großen Integrationsinitiativen, etwa dem Verfassungskonvent und dem darauf basierend angenommenen Lissabon-Vertrag, verändert. Die deutsch-französische Handlungsstrategie muss sich diesen neuen Bedingungen anpassen. Zunächst einmal ist die EU von mindestens zwei Linien durchzogen, die oftmals als Nord-Süd- und Ost-West-Trennungen charakterisiert werden. Deutschland und Frankreich können in diesem Spannungsverhältnis gemeinsam eine wichtige Scharnierfunktion einnehmen. In der Nord-Süd-Dimension, die vor allem die Eurozone betrifft, wird Berlin klar dem „Norden“ zugeordnet, also einer Gruppe von stabilitätsorientierten Staaten, die bezüglich der Eurozone die Ziele Wettbewerbsfähigkeit, Eigenverantwortung und „keine Transfers“ priorisieren. Frankreich nimmt eine Scharnierfunktion zwischen dem Norden und dem Süden ein, wobei Frankreich mit Macrons ambitionierter Reformagenda, die die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs bei erfolgreicher Umsetzung deutlich stärken dürfte, mehr in Richtung Norden rücken dürfte. Gleichzeitig sieht er sich bei seinen Vorstellungen über die Rolle eines künftigen EU-Budgets oder den Vorstellungen zur Governance der Währungsunion eher im Einklang mit Vertretern der südlichen Mitgliedstaaten.

Die Spannungen zwischen Ost- und Westeuropa werden derzeit vor allem an der Frage festgemacht, ob die Mitgliedstaaten weiterhin supranationale Integration in Europa unterstützen und die grundlegenden Prinzipien von Rechtstaatlichkeit und Demokratie respektieren. Polen und Ungarn stehen im Fokus dieser Diskussion, die oftmals als grundlegender Wertekonflikt charakterisiert wird. Frankreich und Deutschland sind sich einig, dass eine Verletzung der demokratischen und rechtstaatlichen Grundprinzipien in der EU geahndet werden muss. Wenn allerdings über eine Vertiefung der EU nachgedacht wird, bestehen Unterschiede in der Debatte in Berlin und Paris. Deutschland hat viel engere wirtschaftliche und auch politische Verknüpfungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten geschaffen, nicht zuletzt auch wegen der größeren geografischen Nähe. Insofern ist in Berlin der Bezugsrahmen für Integrationsinitiativen nach wie vor zunächst die EU27. In Paris ist das Denken verbreiteter, dass in kleineren Gruppen vorangegangen werden kann, insbesondere, wenn Staaten aus dem Wertekonsens ausscheren. Berlin kommt im Falle von Integrationsinitiativen, die nur einen Teil der Mitgliedstaaten umfassen, sei es die Eurozone oder auch eine noch kleinere Gruppe, die Aufgabe zu, die Mitglieder, die nicht dabei sind, trotzdem politisch an Bord zu halten, um den zentrifugalen Kräften in der EU Einhalt zu gebieten.

Eine zweite wichtige Rahmenbedingung, mit der jede deutsch-französische Initiative umgehen muss, ist der wachsende Populismus und die zunehmende EU-Kritik in einigen Mitgliedstaaten. Dies gilt durch die rechtspopulistischen Parteien Front National und die Alternative für Deutschland auch für Frankreich und Deutschland. Die europapolitische Kontroverse ist dadurch deutlich intensiver geworden, während die Mobilisierungskraft der politischen Eliten nachgelassen hat. Öffentlichen Rückhalt für Integrationsmaßnahmen zu schaffen, ist daher eine wichtigere und schwierigere Aufgabe geworden. Macron schlägt hierfür Bürgerkonvente vor, eine Idee, zu der sich die neue Bundesregierung bald verhalten muss.

Die dritte veränderte Rahmenbedingung ist, dass sich Deutschland und Frankreich ihrer Partner außerhalb der EU und der Eurozone weniger sicher sein können. Dies gilt für die USA unter US-Präsident Donald Trump ebenso wie für Großbritannien, das nach dem Brexit trotzdem noch ein wichtiger Partner für Kontinentaleuropa sein wird, sowohl in wirtschaftlichen Fragen als auch im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dies bedeutet zunächst einmal, dass Deutschland, Frankreich und die EU-Partner selbst mehr Verantwortung übernehmen müssen. Fortschritte im Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben sich mit der PESCO-Initiative Ende 2017 bereits gezeigt.

Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ehemalige Partner sogar zu „Spoilern“ werden – US-Präsident Trump könnte versuchen, die EU-Partner entlang bestimmter Themen auseinander zu dividieren. Ohnehin muss sich die EU mit externen Einflüssen auseinandersetzen, die den Zusammenhalt in der EU untergraben können, sei es etwa die russische Intervention in die Meinungsbildung und Wahlen in EU-Mitgliedstaaten, oder strategische Investitionen Chinas innerhalb der EU, die sich in veränderte Haltungen von Regierungen etwa bei der Formulierung der EU-Chinapolitik niederschlagen.

Anhand dieser drei Aspekte wird deutlich, dass jede deutsch-französische Initiative, die eine Gruppe von EU-Staaten, die Eurozone oder sogar die EU insgesamt voranbringen soll, sehr aufwändig und vorsichtig austariert werden und die Perspektiven und Befindlichkeiten aller Regierungen von vornherein einbeziehen muss. Dies macht die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht nur zu einem anspruchsvollen bilateralen Kompromissbildungsunterfangen, sondern zu einer komplexeren europapolitischen Aufgabe.

Stabilisierung der Eurozone: marktwirtschaftliche Konvergenz versus institutionelle Vertiefung

Seit dem 20. November 2017 schaut Europa wie gebannt auf Deutschland, einst der Hort an politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Der Ausgang der wochenlangen Hängepartie der Jamaika-Sondierungsverhandlungen lässt den deutschen Riesen schwach erscheinen. Der Schock sitzt besonders tief in Frankreich und bei seinem Präsidenten Macron, der mit seinem klaren Bekenntnis zur europäischen Einigung von vielen als Hoffnungsträger für die Erneuerung Europas gesehen wird. Als Voraussetzung für weitreichende Entscheidungen auf europäischer Ebene gilt für ihn ein innenpolitisch stabiler Regierungspartner diesseits des Rheins ohne dauerhaftes Machtvakuum. Ein Stocken oder gar Stillstand des deutsch-französischen Europamotors wird befürchtet. Diese Gefahr ist jedoch gegenstandslos. Realistischerweise ist in Berlin mit einer Neuauflage der Großen Koalition zu rechnen. CDU/CSU und SPD, die großen Verlierer der Bundestagswahl, werden erneut die Regierung in Deutschland bilden. Damit wird auch das deutsch-französische Tandem weiterfahren, und zwar wie bisher mit Frankreich am Lenker und in die von Frankreich gewünschte Richtung.

Seit dem 2010 von Frankreich initiierten Sündenfall mit dem ersten Beistandskredit an das insolvente Griechenland wurden alle wichtigen Entscheidungen in der Eurozone im Interesse Frankreichs getroffen, trotz entgegengesetzter Bestimmungen im Vertrag von Maas­tricht. Dabei wurden alle stabilitätspolitischen Grundsätze Deutschlands auf dem Altar der deutsch-französischen Freundschaft geopfert, mit Billigung der Bundesregierung. „Das Recht ist unter die Räder gekommen.“1 Dies wird mit einer Großen Koalition in Berlin voraussichtlich auch für die Zukunft gelten. Das Synonym „Merkron“ wird in den deutschen Sprachschatz eingehen, ebenso wie „Merkollande“ und „Merkozy“. Die deutsch-französische Freundschaft und Zusammenarbeit ist zum politischen Dogma geworden.

Frankreich als kranker Mann Europas

Bei allem Verständnis für die eigene Nabelschau lohnt sich ein Blick auf die vielfach ignorierte desolate Wirtschaftslage bei unserem Nachbarn links des Rheins. Der Reformbedarf erfordert in der Tat eine leibhaftige Herkulesarbeit. Bei fast allen wichtigen Konjunkturindikatoren bildet Frankreich das Schlusslicht in der Eurozone.2 Das Grundübel ist der überdimensionierte öffentliche Sektor, der rund 57 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) absorbiert und die in der EU höchste Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben) von rund 48 % des BIP.3 Das Haushaltsdefizit sinkt seit zwölf Jahren trotz „gehärtetem“ Fiskalpakt nicht unter die durch EU-Recht festgesetzte Höchstgrenze von 3 % des BIP trotz Zinseinsparungen beim Schuldendienst in den letzten zehn Jahren in Höhe von 10 % des nominalen BIP aufgrund der expansiven Geldpoltitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und wird 2018 mit 3,1 % das höchste Haushaltsdefizit aller Euroländer aufweisen.4 Zudem weist Frankreich als praktisch einziges EU-Land einen Negativsaldo in der sogenannten Primärbilanz (Staatsausgaben ohne Zinsendienst) auf, sodass bei derzeitigen Realzinsen und Wachstumsraten die Schuldenstandsquote ansteigt, während sie bei peripheren Ländern wie Portugal und Griechenland aufgrund von Primärüberschüssen rückläufig ist. Eine schwarze Null ist in Frankreich undenkbar. Aber auch in Deutschland ist sie bei Zinseinsparungen von 7,7 % des BIP in den letzten zehn Jahren nicht schwarz.5 Die von Frankreich heftig kritisierte „Austeritätspolitik“ der Bundesregierung hat nicht stattgefunden.

Zu den Negativposten zählt demnach die auf 100 % des BIP ansteigende Schuldenstandsquote des Staates und die mit 186 % des BIP (Deutschland 107 %) höchste private Verschuldung der großen Industrieländer in der Eurozone.6 Besonders bedenklich ist dabei die Verschuldung der Unternehmen (ohne Finanzsektor) mit 72 % des BIP, zu zwei Dritteln mit variablen Zinsen verzinst, eine Hypothek für die Finanzstabilität bei einem Anstieg des Zinsniveaus. Die Bedenken gelten auch für das vergleichsweise geringe Wirtschaftswachstum, für die hohe Arbeitslosigkeit von 10 % und 25 % bei Jugendlichen und die außenwirtschaftlichen Defizite, alles Positionen, bei denen Deutschland am anderen Ende der EU-Skala rangiert.

Für die Stabilität der Eurozone besonders besorgniserregend ist der permanente Verlust an Wettbewerbsfähigkeit seit der 2000 eingeführten 35-Stunden-Woche. Im weltweiten Ranking des soeben veröffentlichten Wettbewerbsreports des Davoser Weltwirtschaftsforum landet Frankreich auf Platz 22, Deutschland auf Platz 5.7 Im Zuge dieser Entwicklung ist in Frankeich der Beitrag der Industrie zum BIP auf 11 % gefallen, in Deutschland liegt er bei 25 %. Die Liste ließe sich fortsetzen. All dies sind empirische Fakten, der Vorwurf eines „French bashing“ geht ins Leere. Der britische „The Economist“ hatte bereits 2012 mit seiner Prognose recht, wonach Frankreich zur „tickenden Zeitbombe im Herzen Europas“8 wird. Die Vorstellungen von Frankreich und Deutschland als gleichwertig starke Partner für ein stabiles Europa sind eine Illusion.

„Top down“- versus „Bottom up“-Ansatz

Die bestehenden Divergenzen zwischen Deutschland und Frankreich sind zudem historisch bedingt.9 In der zentralisierten Monarchie Frankreichs waren die Entscheidungskompetenzen straff zentralisiert, die Wirtschaftspolitik des Merkantilismus bzw. Colbertismus war durch Interventionismus und Dirigismus gekennzeichnet. Greifbarer Ausfluss dieser Rahmensetzung ist noch heute die Doktrin, die Wirtschaft habe dem Staat zu dienen, die Instrumentalisierung der Geldpolitik als Mittel der Politik, die elitäre Berufsausbildung und die strikte Weisungsabhängigkeit der Beamten. Konkret zeigen sich die Eingriffe des Staates in der antiliberalen Arbeitsmarktpolitik, der gesetzlichen Festlegung der Arbeitszeit, in der den Bedürfnissen der Industrie nicht entsprechenden Berufsausbildung sowie in der aktiven Industriepolitik, alles Komponenten eines traditionellen „Top down“-Ansatzes. Nicht ohne Grund reflektieren die Vorstellungen von Macron eine Integrationsstrategie „von oben“.

Dagegen trieb die Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, das bis zu seiner Auflösung 1806 aus mehr als 300 souveränen Staaten bestand, die Industrie dieser Länder, häufig mittelständische Betriebe, in die ausländischen Absatzmärkte und in eine praxisorientierte Berufsausbildung. Diese historischen Hintergründe spiegeln sich heute im Mittelstand mit klassischer Exportorientierung, dem Rückgrat der deutschen Industrie, der von Deutschland geforderten unabhängigen Stellung des Geldes und der Zentralbank bei geringer Ingerenz des Staates in die Wirtschaft im Rahmen einer liberalen Ordnungspolitik, alles Charakteristika, welche die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands und einen „Bottom up“-Ansatz ausmachen. In Frankreich ist Marktwirtschaft nach wie vor ein Fremdwort.

Wirtschaftsreformen à la francaise

Der seit Jahrzehnten aufgetürmte Reformstau soll nun endlich vom neuen Präsidenten und der neuen Regierung aufgelöst werden. Zur Haushaltskonsolidierung sollen unter anderem in den nächsten fünf Jahren 120 000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden bei einem Anteil der Staatsbediensteten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 25 % (nach Dänemark der höchste Anteil in der EU und einem Anteil in Deutschland von 15 %) und damit eine Reduktion von gerade einmal 2,2 % aller Staatsbediensteten erreicht werden, deren Gehälter (einschließlich Renten) jedoch 40 % des Staatshaushalts ausmachen.10 Neben weiteren Ausgabenkürzungen soll die in Frankreich bestehende Vermögensteuer nur noch auf Immobilienbesitz angewandt werden, die Kapitalgewinnsteuer auf pauschal 30 % und die Körperschaftsteuer von derzeit 35 % auf 25 % gesenkt werden. Ebenso soll die Grundsteuer für Mieter und Eigentümer (taxe d’habitation) entfallen und damit Staatseinnahmen von 20 Mrd. Euro.

Priorität genießt die Reform des Arbeitsmarktes. Über die Arbeitszeit sollen die Sozialpartner in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten künftig eigenständig verhandeln können. Der Kündigungsschutz soll gelockert werden und Abfindungen bei Kündigungen sollen gedeckelt werden. Weitere Baustellen sind die Arbeitslosenversicherung, die berufliche Bildung und eine Steuerreform, ein Sammelsurium verschiedener Einzelmaßnahmen. Eine Reformpolitik aus einem Guss ist nicht erkennbar. Sakrosankt bleiben unter anderem grundsätzlich die 35-Stunden-Woche, der Mindestlohn, das Renteneintrittsalter mit 63 Jahren sowie hohe Sozialleistungen. Dabei sollte in Frankreich bekannt sein, dass es immer dann Wachstumsraten von 4 % bis 5 % erzielen konnte, wenn einige Jahre vorher eine strikte Konvergenzpolitik gegenüber Deutschland verfolgt wurde. Dies gilt insbesondere für die Jahre nach der von Mitterrand 1981 in Angriff genommenen Haushaltsexpansion und Verstaatlichung von Schlüsselindustrien sowie für die Jahre des „Run up to the euro“ zur Erfüllung der Konvergenzkriterien.11

Moral Hazard als institutionelles Dauerproblem

In dieses diffuse Reformklima platzen die Visionen Macrons für die Neubegründung der EU, wie er sie zwei Tage nach der Bundestagswahl in einer spektakulären Rede an der Pariser Sorbonne-Universität vorgetragen hat. Offenbar sollen die innenpolitischen Probleme mit einer neuen außenpolitischen Initiative in den Hintergrund gedrängt werden, eine auch von anderen Staatschefs angewandte Taktik. Unüberhörbar ist die von Macron proklamierte Partnerschaft mit Deutschland, eine erkennbare Umarmungsstrategie.

Die Reform der Eurozone spielt in seiner Grundsatzrede zwar eine wichtige, wenn auch nicht die zentrale Rolle. Die Währungsunion soll einen eigenen Haushalt erhalten mit eigenen Einnahmen, einem eigenen Eurozonen-Parlament und eigenem Finanzminister mit einem Investitionsprogramm von „mehreren“ Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung der betreffenden Länder. Ein Durchgriffsrecht des Finanzministers auf die nationalen Haushalte wird von Macr­on abgelehnt. Die Einzelheiten der Reformvorschläge bleiben im Dunkeln. Die neue Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion geht aber zweifellos über die bisherigen Forderungen Frankreichs nach einer Sozialunion in Form einer europäischen Arbeitslosenversicherung und einer Vertiefung der Bankenunion durch eine europäische Einlagensicherung hinaus.

Es kommt Macron derzeit mehr auf Symbole als auf Inhalte an. Vieles ist derzeit noch Europarhetorik. Spätestens mit der Ernennung einer neuen deutschen Regierung werden die Karten aber auf den Tisch kommen. Im Zweifel dürfte die intendierte institutionelle Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Verstärkung der Gemeinschaftshaftung für nationale Risiken und Verschuldung führen, ohne dass eine stärkere Übertragung nationaler Entscheidungskompetenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die europäische Ebene gefordert wird. Ein weiterer Verzicht auf nationale Autonomie wird von Frankreich aber abgelehnt. Solidarität der anderen Mitgliedstaaten soll bei mangelnder Solidität Frankreichs Priorität haben. Damit gerät das Verhältnis von Handeln und Haften aus dem Gleichgewicht.12 Endpunkt dieser Entwicklung ist der innereuropäische Finanzausgleich bzw. die europäische Transferunion.

Zudem fördert die zunehmende Gemeinschaftshaftung eine „Moral Hazard“-Mentalität. Die Ausweitung der Gemeinschaftshaftung schafft Anreize für destabilisierendes Fehlverhalten auf nationaler Ebene, da sich dessen Konsequenzen auf alle Mitgliedstaaten verteilen. Der Vertrag von Maastricht sieht deshalb strikte Regeln für die nationalen Haushaltspolitiken und das Verbot der Schuldenübernahme anderer Mitgliedstaaten vor.

Marktwirtschaftliche Konvergenz

Der Konvergenzansatz von Maastricht hat die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, ebenso wenig der gemeinschaftsinterne Anpassungsdruck, der sogenannte „peer pressure“. Dies ist nicht auf einen angeblichen Konstruktionsfehler in der Eurozone zurückzuführen, sondern auf die permanenten Rechtsbrüche bei den Stabilitätsregeln des Vertrags von Maastricht. Das ifo Institut hat vor kurzem die Anzahl der Verstöße gegen den Stabilitätspakt auf 112 in den letzten Jahren beziffert, allen voran von Frankreich, ohne jede Sanktion durch den Ministerrat.13 Für unsern Nachbarn hatte offensichtlich die Ersetzung der D-Mark als Ankerwährung im Europäischen Währungssystem (EWS) durch den Euro und die der dominanten Deutschen Bundesbank durch die Europäische Zentralbank (EZB) Priorität.14 Die Beachtung des neuen Gemeinschaftsrechts nach Geist und Buchstaben war cura posterior.15

Der wirksame Weg für eine effektive Kontrolle der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken ist der Marktmechanismus, dem sich kein Staat entziehen kann, d. h. die Sanktionierung unsolider Wirtschafts- und Finanzpolitiken durch die Kapitalmärkte in Form höherer Risikoprämien bzw. Zinssätze, die im Vertrag verankerte Stabilitätssicherung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Demnach muss künftig wieder mehr Konzentration auf Marktintegration statt auf institutionelle Integration im Vordergrund stehen.16

Voraussetzung ist jedoch, dass der Marktmechanismus wieder virulent wird. Er ist in den letzten Jahren in vielen Bereichen ausgehebelt worden. Dies gilt insbesondere für die Nullzinspolitik und das überdimensionierte Ankaufsprogramm von Staatsanleihen durch die EZB. Die Notenbanken des Eurosystems sind die größten Gläubiger der Eurostaaten geworden. Die damit gekaufte Zeit für strukturelle Anpassungen wurde häufig nicht genutzt. Die praktisch kostenlose Neuverschuldung dürfte eher Anreize zur weiteren Kreditaufnahme ausgelöst haben. In Frankreich und Italien sind die Schuldenquoten in den letzten Jahren weiter angestiegen. Der Zinssatz hat seine Kapitallenkungsfunktion als zentrales Element einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung verloren. Ausfluss dieser Entwicklung sind die hohen Raten notleidender Kredite in Griechenland von 47 %, in Portugal von 15,5 % und in Italien von 12,2 % der gesamten Kreditsumme bei 2,3 % in Deutschland und 4,6 % in der gesamten EU.17 Eine gemeinsame Einlagensicherung würde über eine europäische Haftung für Schieflagen einzelner Banken den Druck zum Abbau der Bestände an notleidenden Krediten schwächen.18 Die Kollateralschäden der EZB-Politik zeigen sich auch in den Geschäftsmodellen der deutschen Finanzwirtschaft, im Preisauftrieb von Finanz- und Realaktiva sowie in den Zinsverlusten der deutschen Sparer. Das Ankaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen sollte deshalb so schnell wie möglich zurückgeführt und eingestellt werden. Die Zinsen müssen sich wieder nach den Risiken der Schuldner richten.

Diese Forderung gilt im Bankenbereich auch für Eigenkapitalvorschriften bei Staatsanleihen. Banken müssen für Staatsanleihen im Gegensatz zu Unternehmensanleihen kein Eigenkapital hinterlegen und auch keine Obergrenzen beachten. Das gilt unabhängig von der Bonität der Schuldner. Diese Privilegierung staatlicher Verschuldung kann zu einer Verdrängung privater Kreditnehmer und damit gegebenenfalls zu Wachstumseinbußen führen. Sie schafft auch eine Anreizstruktur zu höherer staatlicher Verschuldung und umgekehrt zu großzügiger Kreditvergabe insbesondere ertragsschwacher Banken an Staaten mit geringer Bonität. Dieser Staaten-Banken-Nexus könnte in einem ersten Schritt unterbrochen werden, indem Staatsanleihen in den Portefeuilles der Banken der Höhe nach begrenzt und angemessen mit Eigenkapital unterlegt werden.

Die unheilvolle Verknüpfung von Staaten und Banken würde jedoch wirksam unterbrochen, wenn die inoffizielle „Beistandsklausel“ für insolvente Staaten aufgegeben bzw. die Nicht-Beistands-Klausel im Vertrag von Maastricht wieder virulent würde. Derzeit erscheint der Vorschlag utopisch. Allerdings hatte bereits im Juni 2015 die große Mehrheit der Finanzminister der Eurogruppe beschlossen, für Griechenland kein drittes Beistandspaket mehr zu schnüren, Griechenland also insolvent werden zu lassen. Allerdings wurde dieser Beschluss anschließend vom Europäischen Rat auf Betreiben von Frankreich und Deutschland wieder kassiert. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone schien vor der anstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich und der Bundestagswahl politisch riskant.

Eine Staatsinsolvenz sollte auch von einem Schuldenschnitt begleitet sein, um Bedienung und Rückzahlung der Schulden eines Landes mit abgewerteter nationaler Währung zu ermöglichen. Der mit dem zweiten Beistandspaket für Griechenland 2012 verbundene Schuldenschnitt privater Gläubiger, insbesondere von Banken, in Höhe von 100 Mrd. Euro führte zu keinen Spill-over-Effekten oder Instabilitäten auf den Finanzmärkten. Außerdem sollte die Insolvenzabwicklung durch ein gemeinsames Insolvenzrecht aller Euroländer gesichert werden.

Schließlich erfordert der Grundsatz der Eigenverantwortung und Eigenhaftung auch eine Korrektur des Zahlungsverkehrssystems Target2 des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). In diesem System sind in letzter Zeit enorme Verbindlichkeiten insbesondere Italiens von 436 Mrd. Euro und Spaniens in Höhe von 367 Mrd. Euro und entsprechende Forderungen Deutschlands in Höhe von 855 Mrd. Euro aufgelaufen.19 Eine Verpflichtung zum Ausgleich dieser Salden besteht nicht. Die peripheren Mitgliedstaaten können ihre Defizitpolitik gefahrlos fortsetzen und für die Bundesbank gibt es keine Möglichkeit zur Eintreibung ihrer Forderungen. Das Gemeinschaftsrecht hat der EZB jedoch die Aufgabe übertragen, das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.20 Für ein System, das Ungleichgewichte perpetuiert und vergrößert, hat die EZB kein Mandat. Es sollte deshalb ein schrittweiser Saldenabbau vorgesehen werden. Selbst in den USA, einer politischen Union von 50 föderativen Bundesstaaten ohne „Bail-out-Praxis“, findet jährlich ein Saldenausgleich zwischen den zwölf Federal Reserve Banks des Zentralbanksystems statt. Auch im Europäischen Währungssystem (EWS) wurden die Verbindlichkeiten nach obligatorischen Devisenmarktinterventionen ausgeglichen. Der damit häufig verbundene massive Verlust an Währungsreserven war die disziplinierende Wirkung der Kapitalmärkte auf die Stabilitätspolitiken der Mitgliedstaaten.

Macht oder ökonomisches Gesetz

Es ist nicht davon auszugehen, dass die künftige Bundesregierung sich den marktwirtschaftlichen Konvergenzansatz auf die Fahnen schreiben wird. Der politische Imperativ der deutsch-französischen Freundschaft verhindert dies. Sie ist in Stein gemeißelt und zum politischen Dogma geworden. Dabei bestätigt die Wirtschaftsgeschichte, was bereits vor 100 Jahren der österreichische Nationalökonom Eugen von Böhm-Bawerk feststellte: „Politische Macht kann sich eine Zeit lang behaupten, letztlich setzt sich aber das ökonomische Gesetz durch.“ Politisch kann nicht richtig sein, was ökonomisch falsch ist. Der Primat der Politik ist letztlich eine Illusion.

Diese Erfahrung musste gerade Frankreich machen, als die Marktkräfte 1983 eine totale Umkehr seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik zu einer Politik des „franc fort“ erzwangen, gerade mal zwei Jahre nach dem Experiment Mitterrands mit seiner sozialistischen Politik der Haushaltsexpansion und Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Schon Talleyrand wusste, dass man mit Bajonetten alles machen kann, nur nicht sich daraufsetzen.

Ohne grundlegende Stabilisierung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auf der Basis marktwirtschaftlicher Disziplinierung und Sanktionen werden sich die aufgestauten Ungleichgewichte zwischen den Euroländern auf den Finanzmärkten dereinst eruptiv entladen, mit allen Kollateralschäden für die europäische Einigung. Sie ist tendenziell gefährdet. Die ökonomische Ratio sollte die Handlungsmaxime der Politiker werden. Dies setzt jedoch voraus, dass man auf beiden Seiten des Rheins dasselbe Verständnis von ökonomischer Ratio hat.

  • 1 R. Vaubel: Das Ende der Euroromantik, Wiesbaden, Juni 2017, Vorwort und S. 75 ff. Vaubel hat allein siebzehn Verstöße gegen das Primärrecht ermittelt. Vgl. auch W. Glomb: Le tandem franco-allemand face à la crise de l’euro, Fondation pour l’innovation politique, Paris 2011.
  • 2 Vgl. European Commission: European Economic Forecast, Winter 2017, Statistical Annex.
  • 3 Vgl. Eurostat, Pressemitteilung vom 7.11.2017.
  • 4 Vgl. European Commission, a. a. O., S. 163; Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, Juli 2017.
  • 5 Vgl. Deutsche Bundesbank, a. a. O.
  • 6 Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Monatsbericht, Dezember 2017, S. 18 ff.
  • 7 World Economic Forum: The Global Competitiveness Report 2017-2018.
  • 8 O. V.: The time-bomb at the heart of Europe, in: The Economist vom 17.11.2012.
  • 9 Vgl. R. Wettmann: Le très envié Mittelstand allemand, Friedrich-Ebert-Stiftung, Paris, Mai 2012.
  • 10 Vgl. Institut de Recherches Économiques et Fiscales, Paris, November 2017.
  • 11 Vgl. W. Glomb, H. d’Arcole: Poltique économique: L’Enjeu franco-allemand, Fondation pour l’innovation politique, Paris 2015.
  • 12 Vgl. J. Weidmann: Einleitendes Statement beim Clubabend des Internationalen Clubs Frankfurter Wirtschaftsjournalisten, Frankfurt a. M., 19.12.2017.
  • 13 Vgl. H.-W. Sinn: Der schwarze Juni, Freiburg im Breisgau 2016, S. 168.
  • 14 Vgl. R. Vaubel, a. a. O., S. 38.
  • 15 Vgl. W. Glomb: Dem deutsch-französischen Tandem geht die Luft aus, in: Der Hauptstadtbrief, März 2017.
  • 16 R. Ohr: Europäische Union oder Disunion, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 2, S. 79, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2017/2/europaeische-union-oder-disunion/ (9.2.2018).
  • 17 Vgl. Communication from the Commission on the Reduction of Non-Performing Loans in Europe, Brüssel, 18.1.2018; Bundesministerium der Finanzen, a. a. O.
  • 18 J. Rocholl: Die EU-Einlagensicherung wäre ein großes Risiko, in: Handelsblatt vom 24.1.2018; C. M. Schmidt: Regierungsbildung 2017: große Herausforderungen, große Chancen, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 11, S. 767.
  • 19 European Central Bank: Target balances of participating NCBs, Januar 2018.
  • 20 Vgl. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 127.

Die Fehlanreize fiskalischer Risikoausgleichsmechanismen

Der Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine Reform der Europäischen Währungsunion (EWU) sowie das Nikolauspaket von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sorgen für gehörigen Druck auf die politischen Entscheidungsträger in Berlin. War die Europapolitik und das Ausmaß, in dem eine neue Bundesregierung Macron entgegenkommen solle, noch ein wesentlicher Dissens in den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition, befürwortet das Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz sowie für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone, die zu einem künftigen Investivhaushalt für die EWU ausgebaut werden können. Martin Schulz geht sogar davon aus, dass ein europäischer Finanzminister bald Realität werden könne.

Eine Verschiebung fiskalpolitischer Kompetenzen auf die europäische Ebene stellt eine so grundlegende Veränderung in der innereuropäischen Kompetenzzuordnung, insbesondere aber für die Architektur der EWU dar, dass eine weitreichende Prüfung der vorliegenden Vorschläge unabdingbar ist. Selbst eine kleine Veränderung in diese Richtung kann die Grenze zur europäischen Haftungsunion so deutlich überschreiten, dass die Mitgliedstaaten sich danach in einer gänzlich anderen Ordnung wiederfinden.

Mit der EWU verlagerte sich die Kompetenz für die Geld- und Währungspolitik auf die europäische Ebene zur Europäischen Zentralbank (EZB). Zugleich stellten die Väter und Mütter der EWU sicher, dass die Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Kompetenz und Verantwortung der Mitgliedstaaten verbleibt. Aus diesem Grund untersagten sie eine monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB sowie den finanziellen Beistand für einen Mitgliedstaat, der finanzielle Schwierigkeiten hat, durch einen anderen Mitgliedstaat oder die Europäische Union (EU). Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte den Mitgliedstaaten Hilfestellung zur Einübung einer soliden Finanzpolitik bieten. Dieses ordnungspolitische Gefüge würde letztlich über die Disziplinierungswirkung, welche die Finanzmärkte entfalten, zur Solidität in der Finanz- und Wirtschaftspolitik führen.

Dies hat angesichts der Entwicklungen im Zuge der Schuldenkrise im Euroraum nur eingeschränkt funktioniert, weil die europäischen Bankensysteme nach der Finanzkrise eine Umschuldung von Staaten nicht verkrafteten. Finanzpolitische Selbstverantwortung in dem skizzierten Ordnungsrahmen bedeutet in letzter Konsequenz die Möglichkeit der Staatsinsolvenz.1 Banken und Staaten sind aber so eng verflochten, dass sich dies unmittelbar auf die Stabilität des Bankensystems auswirkt. Die Mitgliedstaaten der EWU zielen seither auf Reformen, welche die Währungsunion künftig widerstandsfähiger machen sollen. Dazu gehört in erster Linie eine größere Resilienz der nationalen Bankensysteme, etwa über die Bankenunion, aber nicht zuletzt die Möglichkeit, im Krisenfall auf Liquidität durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zurückzugreifen. Bei allen Reformschritten steht der Zielkonflikt zwischen Stabilisierung und ungünstigen Anreizen im Vordergrund. Dies gilt ebenso für die nun wieder intensiver diskutierte Einrichtung einer Fiskalkapazität für die Währungsunion.

Die aktuelle Situation in der Europäischen Währungsunion

Reformen fanden nach der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur auf europäischer Ebene statt. Vielmehr kamen die Mitgliedstaaten ihrer nationalen Verantwortung in erheblichem Maße nach. Im Zuge der Schuldenkrise führten die Programmländer Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern weit reichende Strukturreformen durch und unternahmen Schritte zur Konsolidierung ihrer Staatsfinanzen. Widerstrebend folgten Italien und Frankreich, aber sie folgten. Das ordnungspolitische Gefüge der EWU konnte somit seine Disziplinierungswirkung entfalten, wenngleich die zurzeit gute konjunkturelle Lage sowie die anhaltend lockere Geldpolitik der EZB den Reformdruck für die Mitgliedstaaten reduziert haben.

Zahlreiche Mitgliedstaaten weisen gleichwohl weiterhin hohe Schuldenstände auf, da sie die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht hinreichend konsequent für deren Abbau genutzt haben. Dies schürt Zweifel an der Nachhaltigkeit dieser Reformen, nicht zuletzt aber an der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung im Euroraum.2 Einer Vielzahl von Mitgliedstaaten der EU mangelt es an fiskalischem Spielraum, um auf die nächste Krise adäquat reagieren zu können.

Der Vorstoß Macrons und das Nikolauspaket Junckers zielen hingegen auf einen fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus für den Europäischen Währungsraum ab. Hierbei könnte ein makroökonomischer Ansatz, wie etwa bei einem Schlechtwetterfonds, oder ein mikroökonomischer Ansatz, wie etwa bei einer gemeinschaftlichen Arbeitslosen(rück)versicherung, verfolgt werden. Ein solcher Mechanismus sei für die ökonomische Stabilität des Währungsraums und der Mitgliedstaaten essenziell.3 Damit einhergehende Fehlanreize werden jedoch oft in den Hintergrund gedrängt. Dabei dürften die konzeptionellen oder politökonomischen Probleme die begrenzten Vorteile der Konjunkturstabilisierung überwiegen.

Makroökonomische Stabilisierung versus politökonomische Anreize

Die Mitgliedstaaten eines gemeinsamen Währungsraums können asymmetrischen wirtschaftlichen Schocks ausgesetzt oder unterschiedlich von einem gemeinsamen Schock betroffen sein. Aufgrund der gemeinsamen Geldpolitik sind jedoch keine individuellen Anpassungen des nominalen Wechselkurses mehr möglich; ausreichende Anpassungen der Löhne und Preise sind nicht zuletzt aufgrund von nationalen, institutionellen Rigiditäten schwierig. Diese fehlende Flexibilität muss durch andere Anpassungsmechanismen kompensiert werden. Während die Faktormärkte aufgrund hoher Fragmentierung und Unterschieden in den nationalen Institutionen nur eine nachrangige Rolle spielen können, dokumentieren empirische Studien eine größere Bedeutung von Kredit- und Kapitalmärkten für die Schockabsorption in den USA und dem Euroraum.4 Zudem geht im Euroraum von den bereits bestehenden Fiskalinstitutionen eine nicht zu vernachlässigende Absorptionswirkung aus. So stellen Milano und Reichlin fest, dass Institutionen im Euroraum eine Schock­absorption von bis zu 28 % erzielen, während dieser Wert für die USA lediglich 19 % beträgt.5 Eine Reihe von empirischen Untersuchungen für Föderalstaaten, insbesondere für die USA und Deutschland, belegt ebenfalls eine geringere Stabilisierungswirkung durch bundesstaatliche Fiskalpolitik.6 Eine neue Studie für die Schweiz belegt bestenfalls eine Absorptionswirkung von 10 % durch die eidgenössische Finanzpolitik.7 Insgesamt leisten gemeinschaftliche Kapital- und Kreditmärkte sowie die Mobilität von Kapital und Arbeitnehmern über gebietskörperschaftliche Grenzen hinweg den mit Abstand bedeutsamsten Teil der Schockabsorption.

Die Idee eines fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus besteht darin, die fiskalischen Instrumente eines Mitgliedstaats zur makroökonomischen Stabilisierung durch Transfers über die europäische Ebene zu erweitern. Diese Transfers sollen ausschließlich zielgerichtet und temporär fließen. Zudem solle kein Mitgliedstaat langfristig mehr erhalten als einzahlen oder ex ante dies erwarten dürfen.

Davon zu unterscheiden sind jegliche Formen eines Transfersystems, welche die Angleichung der Einkommen der Mitgliedstaaten zum Ziel haben. Wie in den EU-Verträgen festgehalten,8 ist ein solches Transfersystem in der EU bereits vorgesehen. Über die Regional- und Kohäsionspolitik wird ein Teil des EU-Haushalts für die Förderung benachteiligter Regionen verwendet. Per Konstruktion gibt es in einem solchen System, anders als bei einem fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus, langfristige Nettozahler und -empfänger. Besteht der politische Wille, die Angleichung der Lebensstandards innerhalb der EU zu forcieren und die Transfers zu erhöhen, so sollte dies über eine geeignete Anpassung dieses Transfersystems erfolgen. Dadurch wird eine zielgerichtete und transparente Umverteilung ermöglicht; die damit verbundenen politökonomischen Anreize werden sichtbar.

Führt die Einführung eines fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus ebenfalls zu permanenten Umverteilungseffekten, so sind diese dort weder transparent noch zielgerichtet und setzen falsche politökonomische Anreize. Grundsätzlich besteht das Problem, dass die Gründe, die zu (asymmetrischen) Schocks führen, nicht notwendigerweise exogen sind. So spielen politische Entscheidungen, ergriffene oder ausbleibende Strukturreformen oder ein bestimmtes institutionelles Gefüge im jeweiligen Mitgliedstaat eine Rolle. Es stellt sich daher die Frage, ob die gewünschten Eigenschaften eines fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus, nämlich dass es langfristig keine Nettotransfers und keine Transfererwartung ex ante gibt, in der Realität erreichbar sind.

Ausgleichsmechanismus nach mikroökonomischem Ansatz (gemeinschaftliche Arbeitslosenversicherung)

Die institutionellen Rahmenbedingungen eines Landes haben nicht nur einen bedeutenden Einfluss auf die Höhe der Arbeitslosenquote, sondern auch auf die Geschwindigkeit und Art der Anpassung am Arbeitsmarkt. Eine gemeinschaftliche Arbeitslosen(rück)versicherung knüpft die Auszahlung des fiskalischen Risikoausgleichmechanismus an die Arbeitslosigkeit, beispielsweise wenn in der Rezession die Arbeitslosenquote in einem Mitgliedstaat steil ansteigt.

Häufig hängt das Ausmaß der Veränderung der Arbeitslosenquote jedoch von der Flexibilität der Arbeits- und Produktmärkte in einem betroffenen Land ab. Um zu verhindern, dass Kosten der nationalen Arbeitsmarktpolitik auf die europäische Ebene verschoben werden und das Unterlassen von Strukturreformen belohnt wird, sodass es zu dauerhaften Transfers zwischen Ländern mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen kommt, müssten die nationalen Arbeitsmarktpolitiken und die Steuer- und Transfersysteme harmonisiert werden. Dies betrifft z. B. die Regulierungen zum Kündigungsschutz, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder etwaige Mindestlöhne. Im aktuellen gesetzlichen und politischen Rahmen der EU ist eine solche Harmonisierung aufgrund heterogener politischer Präferenzen der Mitgliedstaaten kaum vorstellbar.

Ausgleichsmechanismus nach makroökonomischem Ansatz (Schlechtwetterfonds)

Statt auf individueller Ebene zugeteilt zu werden, können Transfers sich an makroökonomischen Kennziffern orientieren. Mehrere Reformvorschläge zur Ausgestaltung der europäischen Institutionen sehen die Schaffung eines makroökonomischen Ausgleichsmechanismus in Form eines Schlechtwetterfonds vor. Die Auszahlungskriterien sind jedoch problembehaftet. Häufig werden die Produktionslücke oder strukturelle Maße, wie die strukturelle Arbeitslosigkeit, herangezogen. Diese sind in Echtzeit praktisch nicht korrekt zu bestimmen und sehr revisionsanfällig.9 Dadurch kann es zu Transfers kommen, welche die Stabilität sogar reduzieren können.

Schlechtwetterfonds konzentrieren sich auf Transfers in Zeiten großer wirtschaftlicher Schocks. Um im Eventualfall eine entsprechende Ausgleichswirkung zu generieren, muss der Fonds, insbesondere wenn er gar nicht oder nur eingeschränkt am Kapitalmarkt aktiv sein darf, über ein ausreichend hohes Fondsvolumen verfügen. Gegebenenfalls muss er gleichzeitig Transfers an mehrere Empfängerländer leisten. Damit stellt sich die Frage, ob die jährlichen Beiträge in einen solchen Fonds nicht besser für die Rückführung der Verschuldung verwendet werden sollten, um durch eine Erhöhung der fiskalpolitischen Glaubwürdigkeit der Mitgliedstaaten dort größere Spielräume zur Schockabsorption zu erhalten. Versuche, den politökonomischen Fehlanreizen durch Einmalzahlungen, Eigenbeteiligung, Zweckbindung oder Deckelung der Auszahlungen zu begegnen, verstärken den Eindruck, dass eine Rückführung des Schuldenstandes für das jeweilige Land durch Wegfall einer solchen Einschränkung vorteilhafter wäre.

Reformvorschläge zu bestehenden Ausgleichsmechanismen auf europäischer Ebene

Eine weitere Form eines fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus stellen Kredite des ESM dar. Eine Auszahlung erfolgt an solche Mitgliedstaaten, die im Begriff sind, den Marktzugang zu verlieren oder ihn bereits verloren haben. Der ESM trägt so bereits heute signifikant zur Schockabsorption im Euroraum bei. Es bestehen Bestrebungen, den Zugang zum ESM weiter zu öffnen, sodass sich Mitgliedstaaten zusätzlich in Zeiten, in denen der Marktzugang noch gegeben ist, zu niedrigeren Kosten Geld beim ESM leihen können. Ähnlich wie bei von den Mitgliedstaaten gemeinsam ausgegebenen Anleihen würde eine solche Ausweitung zu beträchtlichen negativen politökonomischen Anreizen führen.

Ex-ante-Konditionalität, etwa durch eine regelgebundene Zugangsbeschränkung, löst dieses Problem nur bedingt. Sind die Ex-ante-Konditionen sehr streng gestaltet, so qualifizieren sich lediglich Länder für die Kredite, die diese nicht benötigen, da beispielsweise die eigenen fiskalischen Spielräume ausreichend sind. Sind die Ex-ante-Konditionen relativ schwach oder funktioniert die Überwachung und Bindungswirkung nur unzureichend oder unter politischer Einflussnahme, so sind die negativen politökonomischen Anreize nicht ausgeräumt.

Fazit

Die dauerhafte Stabilität des Euroraums hängt nicht von einem fiskalischen Risikoausgleichmechanismus ab. Einerseits erscheint es nicht möglich, einen anreizkompatiblen Mechanismus zu gestalten, der sicherstellt, dass es zu keinen dauerhaften Transfers kommt und der frei von Fehlanreizen ist. Andererseits kann selbst ein funktionsfähiger Risikoausgleichsmechanismus lediglich einen kleinen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Vielmehr überwiegen die Nachteile aus politökonomischen Fehlanreizen, welche die Währungsunion eher destabilisieren. Das Augenmerk der europäischen Reformanstrengungen sollte sich daher auf die konsequente Vervollständigung der Banken- und Kapitalmarktunion sowie die Erhöhung der Faktormobilität und die Flexibilität von Preisen und Löhnen konzentrieren. Diese entfalten eine stärkere Stabilisierungswirkung. Zudem würde dies erlauben, private Investoren am Risikoausgleich zu beteiligen.

Statt eines Transfers von fiskalischen Ressourcen an oder durch die europäische Ebene zur Schockabsorption sollten die fiskalischen Spielräume der Mitgliedstaaten vergrößert werden. Insbesondere der Schuldenabbau auf nationaler Ebene trägt zu einer Versicherung gegen konjunkturelle Schocks bei. Dahingehend gibt es genügend Möglichkeiten, die Reformanstrengungen auf europäischer Ebene zu intensivieren. Der institutionelle Rahmen kann durch eine Kombination aus besseren Regeln und Überwachung gepaart mit einem glaubhaften Insolvenz­mechanismus dazu beitragen, die Einheit von Haftung und Kontrolle in der EU zu stärken.

  • 1 Vgl. J. Andritzky, D. I. Christofzik, L. P. Feld, U. Scheuering: A mechanism to regulate sovereign debt restructuring in the euro area, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Arbeitspapier 04/2016, Wiesbaden, Juli 2016.
  • 2 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, Jahresgutachten 2017/18, Wiesbaden 2017, Zf. 558 ff.
  • 3 Vgl. z. B. Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und die Europäische Zentralbank: Neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Eurowährungsgebiet innerhalb des Unionsrahmens, COM(2017) 822 final, Brüssel 6.12.2017.
  • 4 Vgl. C. Alcidi, P. D’Imperio, G. Thirion: Risk-sharing and consumption smoothing patterns in the US and the euro area: A comprehensive comparison, CEPS Working Document, Nr. 2017/04, Mai 2017.
  • 5 Vgl. V. Milano, P. Reichlin: Risk sharing across the US and Eurozone: The role of public institutions, LUISS School of European Political Economy, Policy Brief, Januar 2017.
  • 6 Vgl. L. P. Feld, S. Osterloh: Is a fiscal capacity really necessary to complete the EMU?, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, Nr. 13/5, Oktober 2013.
  • 7 Vgl. L. P. Feld, C. A. Schaltegger, J. Studerus: Regional risk sharing and redistribution – The role of fiscal mechanisms in Switzerland, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, Februar 2018.
  • 8 Vgl. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 174-178.
  • 9 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a. a. O., Zf. 97.

Vorschlag einer deutsch-französischen Expertengruppe zur Reform des Euroraums – Analyse und Bewertung

Eine Gruppe prominenter Ökonomen aus Frankreich und Deutschland hat einen detaillierten und relativ umfassenden Vorschlag zur Reform des Euroraums veröffentlicht.1 Tatsächlich hat sich ein Zeitfenster geöffnet, in dem diese Reform leichter möglich ist. Günstige ökonomische Bedingungen durch den starken und sich zunehmend ausbreitenden Aufschwung ermöglichen es den Politikern, den Krisenmodus zu beenden und sich auf längerfristige strukturelle Governance-Reformen zu konzentrieren. Politisch wurde das Fenster durch den Bericht der Präsidenten der fünf wichtigsten europäischen Institutionen 2015 geöffnet, gefolgt von den Initiativen des neuen französischen Präsidenten Macron, den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom Dezember 2017 und kürzlich der Absichtserklärung zu Europa in den Sondierungsgesprächen der Großen Koalition in Deutschland. Gemeinsam entfällt auf Deutschland und Frankreich die Hälfte des Eurozonen-Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die Autoren des Reports sind in politik-orientierten Zirkeln bekannt, kommen aber aus verschiedenen Denkrichtungen. Aus all diesen Gründen wird der Report einflussreich sein und verdient eine sorgfältige Bewertung.

Philosophie und Problemanalyse

Die dem Report zugrundeliegende Philosophie will Risikoteilung und das Prinzip einer Kollektiv-Versicherung (als „französischer“ Ansatz identifiziert) mit Regeln für eine nachhaltige, Krisen verhindernde Politik der Mitgliedstaaten und Marktdisziplin (als „deutscher“ Ansatz identifiziert) verbinden. Beide werden üblicherweise als Alternativen angesehen und sogar als sich gegenseitig ausschließende Ansätze: Je umfassender die Kollektiv-Versicherung auf der zentralen Ebene, desto schwächer sind die Anreize für die Mitgliedsländer, eine umsichtige Politik zu betreiben, und desto attraktiver ist eine Politik, deren Kosten teilweise von anderen Staaten getragen werden (Moral Hazard). Die Experten argumentieren dennoch, dass beide Ansätze zusammengeführt werden sollten – dies zum Teil aus politischen Gründen: Beide großen Nationen (und ihre jeweiligen Partner) wollen ihre Vorstellungen im Reformprozess wiederfinden. Aber auch ökonomisch argumentieren die Autoren, dass Maßnahmen der Risikoteilung – wenn sie sorgfältig ausgestaltet werden – den Moral Hazard minimieren können. Mehr noch: Mechanismen der Risikoteilung können erforderlich sein, um die Durchsetzung von Regeln überhaupt zu ermöglichen, weil diese Mechanismen die Ansteckungsgefahr von einem Land zu anderen reduziert und entsprechend Staaten daran hindert, ihre Partner zu erpressen.

Als Hauptschwächen des Euroraums identifiziert das Papier eine fundamentale Instabilität, die sich vor allem aus der gegenseitigen Abhängigkeit von (nationalem) Bankensystem und Staaten ergibt, und dadurch, dass das Stabilisierungspotenzial vor allem auf nationaler Ebene zu gering ist, weil die Fiskalregeln nicht angemessen und nicht durchsetzbar sind. Dazu gehört schließlich die daraus resultierende politische Frustration, die zu Populismus und zu einem Zusammenbruch der Solidarität zwischen den Ländern geführt hat.

Die zugrundeliegende Philosophie bringt den bemerkenswerten Vorteil mit sich, Raum für ein Politikpaket zu geben, das sowohl kohärent als auch für einen Kompromiss offen ist. Die identifizierten Schwächen existieren wirklich. Dennoch treffen sie nicht die beiden wichtigsten Probleme, mit denen sich die Eurozone auseinandersetzen muss. Auf der Ebene des Euroraums fehlen erstens in Krisenzeiten Instrumente, um die aggregierte Nachfrage anzukurbeln und mit dem Produktionspotenzial in Einklang zu bringen. Die Mechanismen für eine angemessene fiskalpolitische Ausrichtung sind bestenfalls schwach. Und – wie die Krise gezeigt hat – ist es für die EZB schwieriger als für andere Zentralbanken, die erforderlichen Maßnahmen in Angriff zu nehmen, weil sie es mit so vielen fiskalpolitischen Akteuren zu tun hat. Der Report sagt sehr wenig zur aggregierten Nachfrage auf der Ebene der Währungsunion als Ganzem und zur Rolle der EZB.

Zweitens sind die Mechanismen zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer (Leistungsbilanz-)Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsländern mit Blick auf die wirkungsvollen Mechanismen – prozyklische Differenzen zwischen den Realzinsen aufgrund unterschiedlicher Inflationsraten – zu schwach. Diese treiben dann die Länder in unterschiedlichen konjunkturellen Phasen auseinander, was zu wechselnden Boom- und Bust-Zyklen führt. Auch dies fehlt fast vollständig in der Problemanalyse des Reports, die lediglich asymmetrische Schocks betrachtet.

Ohne ein effektives Zusammenwirken der zentralen Geldpolitik mit den nationalen Wirtschaftspolitiken kann also weder die wirtschaftliche Entwicklung in allen Euroländern stabilisiert noch können Krisen rasch und wirksam bekämpft werden.

Die finanzpolitischen Vorschläge

Entsprechend der Bedeutung, die der Abhängigkeit zwischen Banken und Staaten zugemessen wird, spielen Reformen des finanzpolitischen Sektors eine wesentliche Rolle bei den Vorschlägen. Drei Bündel von Maßnahmen werden vorgeschlagen:

  • Schritte in Richtung einer größeren Glaubwürdigkeit, auf einen Bail-in von Eigen- und Fremdkapitalgebern (anstatt sich auf Bankenrettungen auf Kosten des Steuerzahlers zu verlassen), indem die Anwendung des Verfahrens der vorsorglichen Rekapitalisierung oder der Abwicklung nach nationalem Insolvenzrecht beschränkt werden, und hin zu einer deutlichen Verringerung der faulen Krediten.
  • Beseitigung der Anreize für Banken, sich „exzessiv“ auf nationale Staatsanleihen zu konzentrieren (durch höhere Eigenkapitalunterlegung und dadurch, dass sichere europäische Wertpapiere geschaffen werden, worauf weiter unten eingegangen wird); und Schaffung einer allgemeinen Einlagensicherung, die einen gleichmäßigen Schutz ohne Bedingungen für alle Mitgliedsländer anbietet und vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) rückversichert wird (wobei Problemländer höhere Versicherungsprämien zahlen und Staaten eine Eigenbeteiligung akzeptieren müssen).
  • Ein rascherer Fortschritt bei der Kapitalmarktunion, um eine integrierte Kapitalmarktfinanzierung zu fördern, beides mit dem Ziel, eine grenzüberschreitende Stabilisierung über den privaten (weniger den staatlichen) Sektor zu erreichen.

Eine effektive Einlagensicherung (mit ESM-Rückendeckung) und ein harmonisierter Bankenabwicklungsprozess wären wichtige Schritte für die Stabilisierung des Finanzsystems in der Eurozone. Das Bail-in-Prinzip ist allerdings mit Risiken verbunden: Wenn Einzelanleger schwere Verluste erleiden, könnte sich dies kontraproduktiv auf die Realwirtschaft und das Wirtschaftswachstum auswirken: Wirtschaftswachstum ist aber eine Bedingung für die Stabilisierung des Bankensektors.

Den Umfang fauler Kredite zu reduzieren ist sicher wünschenswert. Allerdings konzentrieren sich faule Kredite bekanntermaßen auf eine kleine Zahl von Ländern. Obwohl alle Mitgliedsländer angesichts der Ansteckungsgefahr gemeinsam an deren Reduktion interessiert sind, scheinen die Vorschläge die Länder bei der Problembewältigung in ihren jeweiligen Bankensystemen alleine zu lassen. Die Autoren berücksichtigen die Tatsache nicht genügend, dass die Probleme des Bankensektors in einigen Ländern eine direkte Folge der Schrumpfung oder Stagnation der Realwirtschaft sind – und weniger, dass sie durch unangemessene Regulierungen oder zu enge Bindungen zwischen Staaten und Banken verursacht sind. Die Ursache und nicht das Symp­tom dieser Probleme muss in Angriff genommen werden.

Die Empfehlung, die Prämien für eine Einlagensicherung zu differenzieren, um die Länderrisiken abzubilden, trägt einem Moral Hazard (und politischen Widerständen) Rechnung, aber belastet die als Erbe der Krise bereits schwächeren Länder mit langfristigen Kosten. Dies ist kontraproduktiv: Zumindest muss das Gewicht, das diese Differenzierung erhält, den Trade-off berücksichtigen. Jede dauerhafte Lösung erfordert auch kollektive Anstrengungen, um die „Erblasten“ bei faulen Krediten zu bereinigen und den Ländern einen Neuanfang zu ermöglichen.

Die Maßnahmen zur Verbesserung der geografischen Diversifizierung von Bankanlagen und zur Schaffung einer Kapitalmarktunion reflektieren die Überzeugung, dass internationale Portfolio-Diversifizierung und private Kapitalströme ein substanzielles Stabilisierungspotenzial haben. Hier gibt es allerdings gute Gründe, skeptisch zu sein. Dullien zeigt, dass Studien, die ein großes Gewicht auf die Stabilisierungsrolle des privaten Sektors im Vergleich zum öffentlichen Sektor legen, methodisch so angelegt sind, dass sie genau zu diesem Ergebnis kommen;2 die Stabilisierung über Grenzen von US-Staaten hinweg ist – wenn man sich auf den privaten Sektor bezieht – tatsächlich deutlich geringer als häufig genannte Schätzungen nahelegen. Theobald, Tober und Lojak zeigen die Destabilisierungsrisiken, die einem Verbriefungssystem – wie es als Eckpfeiler einer tieferen Kapitalmarktunion vorgeschlagen wird – inhärent sind.3

Die fiskalpolitischen Vorschläge

Die wichtigsten Reformvorschläge in dem Report beziehen sich auf die Staatsfinanzen und die Fiskalpolitik. Ausgangspunkt ist die Analyse, dass die Fiskalregeln schlecht konzipiert sind. Der ursprüngliche Fokus des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf die Verschuldung und auf Defizitgrenzen war gefährlich prozyklisch. Wiederholte Reformen haben teilweise die Problematik entschärft, aber konjunkturell bereinigte Variablen und andere Feinheiten haben die Regeln komplexer gemacht und einer Myriade weiterer Mess- und anderer Probleme ausgesetzt. Sie sind aufgrund der bereits genannten Faktoren tatsächlich nicht durchsetzbar, aber auch weil die Strafzahlungen, die (souveränen) Staaten ex post auferlegt werden, unglaubwürdig sind, wenn sich die Länder bereits in einer schwierigen ökonomischen und fiskalischen Lage befinden.

Soweit kann der Analyse gefolgt werden. Es fehlt allerdings die Erkenntnis, dass die ganze Philosophie der Reduzierung öffentlicher Defizite und der Verschuldung unangemessen ist. Erforderlich ist vielmehr eine geeignete Fiskalpolitik für alle Euroländer zusammen, aber auch für jedes einzelne Mitgliedsland. Für das letztere sind die jeweilige Outputlücke und die Wettbewerbsposition (wie sie sich in Indikatoren wie den relativen Inflationsraten, den Entwicklungen des Leistungsbilanzsaldos, dem Auslastungsgrad der Wirtschaft etc. manifestiert) entscheidend und muss symmetrisch analysiert werden.

Konkret schlagen die Autoren Folgendes vor:

  • Ersatz der bestehenden komplexen Fiskalregeln durch eine kombinierte Verschuldungs- und Ausgabenregel. Ein unabhängiger nationaler Fiskalrat legt eine angemessene Schuldenreduktion (solange die Verschuldung ein beschlossenes Ziel, wie beispielsweise 60 % des Bruttoinlandsproduktes, übersteigt) und die erwartete nominale Wachstumsrate fest. Auf dieser Basis bestimmt er eine Obergrenze für die nominalen Staatsausgaben (ausschließlich der Zinszahlungen und konjunkturell sensibler Posten wie Leistungen an Arbeitslose und unter Berücksichtigung geplanter diskretionärer Maßnahmen auf der Einnahmenseite): Je höher die Schuldenquote, desto langsamer müssen die Ausgaben im Vergleich zum nominalen BIP wachsen. Bei außergewöhnlichen Umständen kann die Eurogruppe Abweichungen erlauben.
  • Die Einhaltung der vorgegebenen Obergrenzen wird dadurch gesichert, dass Staaten Junior Bonds ausgeben müssen, um eventuelle Finanzlücken zu schließen. Diese werden nicht gegenüber anderen Anleihen bevorzugt (insbesondere nicht durch eine Bewertung als Null-Risiko) und als erste in einer eventuellen Staatsschuldenkrise umgeschuldet. Entsprechend wird der Zinssatz höher sein, wobei die Risikoprämie davon abhängt, wie der Markt die Ursachen und Begründungen für die Zusatzausgaben und ihre Dauer bewertet. Neben dieser marktbestimmten „Peitsche“ wird ein Anreiz zur Konformität mit der Ausgabenregel durch ein „Zuckerbrot“ – den Zugang zu Krediten des ESM, die auf sich regelkonform verhaltende Länder beschränkt sind – geschaffen.
  • Zusätzlich zu den Junior Bonds soll das No-Bail-out-Prinzip dadurch Glaubwürdigkeit erhalten, dass Staaten mit einer problematischen Schuldendynamik als erstes umschulden müssen. Dies kann durch flexiblere Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) bei der Emission neuer Anleihen erreicht werden, um zu verhindern, dass Gläubiger Umschuldungen blockieren (Holdouts). Ebenso müssen Maßnahmen gestrafft werden, um zu verhindern, dass der ESM Kredite an Länder vergibt, deren Schulden nicht nachhaltig sind.
  • Eine „European Fiscal Capacity“ wird angestrebt, um große Schocks zu dämpfen. Der Vorschlag nimmt die Form eines „Schlechtwetterfonds“ an, d. h. Mitgliedstaaten zahlen regulär ein, der Fonds zahlt aus, wenn Schocks (bei hoher Arbeitslosigkeit) eine bestimmte Größe überschreiten. Auszahlungen richten sich nach dem Umfang der negativen Schocks. Der Zugang ist auf Länder beschränkt, die sich an die Fiskalregeln halten. Die Einzahlungen sind nach der Wahrscheinlichkeit einer Auszahlung (auf der Basis vergangener Volatilität) gestaffelt. Sogar die Ausgaben sind an eine Konditionalität gebunden. Kredite können nicht vergeben werden, wenn der Fonds über keine Finanzmittel mehr verfügt. Davon abgesehen soll es für regelkonforme Länder einen Zugang zu „Nicht-Notfall-Krediten“, die keine Umschuldung benötigen, geben.
  • Schließlich wird ein sicheres Wertpapier auf europäischer Ebene als European Senior Bond (ESB) geschaffen: bestehende Staatsanleihen (nicht die neuen Junior Bonds) werden gebündelt und in verschiedenen Tranchen verbrieft. Die oberste Tranche ist das europäische sichere Wertpapier. Der Report sieht vor, dass dieses Wertpapier nationale Staatsanleihen in Bankportfolios teilweise ersetzt; restriktivere Regeln für die Haltung von Staatsanleihen schaffen Nachfrage nach den ESBies. Die Autoren argumentieren, dass diese ESBies volatile Umschichtungen zulasten gefährdeter Länder reduzieren, die Risikoprämien begrenzen und den Zugang zum Markt aufrechterhalten.

Der Abschnitt zu den fiskalpolitischen Vorschlägen leidet durch einige Mehrdeutigkeiten, die eine Beurteilung deutlich erschweren. Vor allem ist es nicht klar, wie der bereits existierende Bestand an Staatsanleihen und neue Emissionen unterhalb der Ausgaben-Obergrenze behandelt werden sollen. Mit diesem Vorbehalt können die Vorschläge folgendermaßen bewertet werden:

Die Verschiebung des Fokus von (strukturellen) Defiziten auf eine Ausgabenregel, wie in dem Report angestrebt, ist begrüßenswert. Keine Fiskalregel ist perfekt. Zumindest können nicht-konjunkturelle Ausgaben leicht gemessen werden und sind tatsächlich von der jeweiligen staatlichen Instanz steuerbar. Dennoch sollte die willkürliche Schuldenquote weniger Bedeutung erhalten und stattdessen eher länderspezifische Ausgabenziele, die antizyklisch wirken, und eine konsistente aggregierte Fiskalpolitik aller Mitgliedsländer in den Blick genommen werden. Die länderspezifischen Empfehlungen müssen symmetrisch sein, d. h. Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen und niedriger Inflation sollten gezwungen werden, ihre aggregierte Nachfrage zu erhöhen und Steigerungen der Nominallöhne und der Preise zuzulassen. Die vorgeschlagenen Junior Bonds haben für solche Länder allerdings keine Anreizwirkung.

Zudem sollte, wenn das nominale BIP als Messlatte genommen wird, sorgfältig vorgegangen werden, um Prozyklizität zu vermeiden. Eine höhere Inflationsrate impliziert ein höheres nominales BIP-Wachstum, was den Staatsausgaben mehr Raum gibt. Eine wichtige Lektion aus der Krise ist aber, dass Länder mit höherer Inflation stärker restringieren sollten. Für Länder mit niedriger Inflation gilt das Gegenteil: Sie brauchen mehr Spielraum. Es sollte auch darüber nachgedacht werden, die Ausgabenregel durch Ausgabenkategorien zu differenzieren, so dass produktive öffentliche Investitonen bevorzugt, d. h. mit einer goldenen Regel kombiniert, werden.4

Das Regime einer Ex-post-Bestrafung ist gescheitert. Eine weitreichende Zentralisierung der Politiken oder zumindest der Regeln, die eine Übernahme nationaler Politikkompetenzen bei wiederholten Regelverstößen (wie in Föderalstaaten) vorsähen, sind kurzfristig politisch undurchführbar. In diesem Licht gesehen ist ein differenzierter Zuckerbrot-und-Peitsche-Ansatz – wie im Report angestrebt – im Prinzip empfehlenswert. Der Einsatz von Marktdisziplin bei Staatsanleihen ohne Rückversicherung könnte aber massive destabilisierende Wirkungen haben.5 Wenn Marktdisziplin allerdings nur bei zusätzlichen Staatsausgaben eingefordert würde, die gegen vereinbarte (und als vernünftig geltende) Regeln verstoßen, könnte sie womöglich als effektiver Kontrollmechanismus dienen. Wenn es eine Risikoteilung geben soll, muss es jedenfalls einen verlässlichen Weg geben, die nationale Fiskalpolitik zu disziplinieren, und man muss die Vor- und Nachteile der verschiedenen Mechanismen gegeneinander abwägen.

Allerdings sollte ein solcher Ansatz nur dann überlegt werden, wenn die ausstehenden Schulden und auch die Neuverschuldung innerhalb der vereinbarten Grenzen nicht einer Umschuldung unterliegen. Sie sollten weiterhin mit einem Ausfallrisiko von Null bewertet werden, und die EZB sollte sie auf dem Sekundärmarkt kaufen, damit die Spreads sich in engen Grenzen halten. Der Report ist hier zumindest mehrdeutig, und der Abschnitt über die Finanzmärkte empfiehlt, den Gebrauch von Collective Action Clauses zu stärken, wodurch Umschuldungen der ausstehenden Anleihen noch leichter möglich werden.

Es scheint, der einzige Schutz für ausstehende und neue Anleihen in dem deutsch-französischen Vorschlag besteht darin, ob sie in ESBies verbrieft werden. Es ist aber keineswegs klar, dass solche „innovativen“ (d. h. ungetesteten) besicherten Finanzprodukte wirklich gegen volatile Marktkräfte mit destabilisierender Wirkung schützen. Die Größe des ESB-Marktes wird nicht diskutiert – insbesondere nicht, wie eine Senior Tranche erreicht werden kann, die sowohl sicher als auch umfangreich ist, angesichts einer nur kleinen Zahl an miteinander korrelierten Sicherheiten. Auch die mögliche stabilisierende Rolle der EZB oder ob sich zukünftig ESBies als Instrument für „Quantitative Easing“ oder andere geldpolitische Maßnahmen eignen wird nicht erörtert. Um es sehr vorsichtig zu formulieren, scheint dieser Vorschlag, dessen Praktikabilität kaum diskutiert wird, eine unverhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit zu erhalten.

Die Autoren akzeptieren, dass eine Fiskalkapazität für den Euroraum erforderlich ist. Das ist begrüßenswert. Die vorgeschlagene Version ist allerdings unnötig restriktiv. Unterschiedliche Beitragsanforderungen werden (wieder einmal) die Länder bestrafen, die in der aktuellen Krise am meisten gelitten haben. Es gibt keinen offensichtlichen Grund dafür, dass solch ein Fonds vorfinanziert werden sollte, die Mitgliedsländer sind kollektiv nicht mit Haushalten oder Unternehmen vergleichbar. Eine ESM-Kreditlinie mit angemessener Konditionalität würde ausreichen, wenn der ESM Anleihen frei emittieren könnte (die von der EZB, in mit dem Inflationsziel kompatiblem Ausmaß, gekauft werden). Auch hier wird die Angst vor einem Moral Hazard übertrieben und ist kontraproduktiv: Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass Länder in Schwierigkeiten an einem bestimmten Punkt gegen die Ausgabenregeln verstoßen, den Zugang zu verschiedenen Hilfsmaßnahmen verlieren und mit einer Umschuldung rechnen müssen. Das Wissen darüber wird antizipierende Spekulation hervorrufen. Solch eine Währungsunion ist fundamental instabil.

Institutionelle Vorschläge

In Hinblick auf die Governance identifiziert das Papier ernstzunehmende Defizite. Dies reicht von der rechtlichen Komplexität (fehlende harmonisierte juristische Basis, Unmenge von Entscheidungsregeln) bis zu verwischten Funktionsgrenzen bei einzelnen Institutionen (Eurogruppe, EU-Kommission), mangelnder Klarheit in der demokratischen Kontrolle sowie inter-institutionellen Rivalitäten und fehlendem Vertrauen (z. B. zwischen dem ESM und der EU-Kommission).

Vor dem Hintergrund aktueller Kommissions-Vorschläge für einen Finanzminister der Eurozone, der gleichzeitig Vize-Präsident der Kommission und Vorsitzender der Eurogruppe ist, stellen die Autoren drei Modelle vor:

  • Stärkung der Rolle der Kommission bei der Überwachung und gleichzeitig ein hauptamtlicher Vorsitz für die Eurogruppe, der nicht an eine nationale Regierung gebunden ist;
  • Übertragung der Kontrolle an ein unabhängiges technokratisches Gremium, während gleichzeitig ein Kommissionsmitglied der Eurogruppe vorsteht;
  • Konstruktion einer „chinesischen Mauer“ in der Kommission zwischen den Überwachungs- und den Vollzugsfunktionen.

Unabhängig vom hier gewählten Modell empfiehlt der Report, dass die gesamte konditionierte Finanzhilfe in der Verantwortung des ESM bleiben soll; die Kommission und die EZB müssten sich zurückziehen. Da für den Internationalen Währungsfonds (IWF) keine Rolle vorgesehen ist, wäre die Troika beendet. Der ESM wäre politisch dem Europäischen Parlament verantwortlich, finanziell aber seinen Anteilseignern.

Die zweite Option würde am besten in den gesamten Kontext der Empfehlungen passen, sie würde aber eine Änderung des EU-Vertrags erfordern. Es ist nicht wirklich klar, ob dies das erforderliche politische Kapital wert ist. Der Vorschlag der Kommission ist hier wohl vorzuziehen. Der Abschnitt enthält kaum ein Wort zur EZB und gar nichts zur möglichen Rolle der Sozialpartner, obwohl die Lohn- und Preissetzung kritisch für die makroökonomische Politik der Mitgliedstaaten sind.

Gesamtbeurteilung und Vorschläge

Die Gruppe von französischen und deutschen Ökonomen ist für den Versuch zu beglückwünschen, ein Paket von Maßnahmen zusammenzutragen, das die Eurozone effektiv stabilisieren könnte, in sich kohärent ist und zumindest die Chance hat, politisch umgesetzt zu werden. Es ist eine große Aufgabe und jede Kritik muss die Größe der Herausforderung anerkennen. Die Vorschläge sind gewiss ein Ausgangspunkt für eine Debatte.

Die zugrundeliegende Analyse ist weitgehend zutreffend, obwohl sie in einigen Bereichen begrenzt ist. Die geringe Bewertung, die wettbewerblichen und Leistungsbilanz-Ungleichgewichten beigemessen wird, ist aber eine ernste analytische Schwäche. Das vorgeschlagene Politik-Paket ist in der Summe positiv zu bewerten und enthält einige nützliche und innovative Anregungen. Eine Stärke dieser Vorschläge ist in den Versuchen zu sehen, den „Disziplin-durch-Bestrafung-Ansatz“ zu überwinden, der offenbar nicht funktioniert hat, ohne eine weitreichende Zentralisierung zu erfordern, die politisch unerreichbar scheint.

Auf der anderen Seite lässt die Analyse einige wichtige Fragen unbeantwortet. Außerdem ist eine Schieflage in Richtung auf den disziplinierenden Ansatz zu erkennen, auch wenn die Autoren behaupten, Risikoteilung und Disziplin zu verbinden. Die übertriebene Angst vor dem Moral Hazard verhindert, dass ein klarer Strich unter die Krise gezogen wird. Bei den verschiedenen Konditionalitäten, denen sie unterworfen werden sollen (wie hohe Zinssätze und Fonds-Beiträge), werden die von der Krise am stärksten betroffenen Länder sich nur schwer entwickeln können, während diejenigen, die aus der Krise relativ unverletzt hervorgegangen sind, weniger belastet werden. Dies wird die erforderliche langfristige Konvergenz zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone verhindern. Länder, die mit höheren Kosten konfrontiert sind, werden sich dauerhaft die Frage stellen, ob sie sich angesichts solcher Nachteile nicht tatsächlich besserstehen, wenn sie ihre monetäre Autonomie wiedererlangen. Entsprechend würde die gemeinsame Währung kontinuierlich in Zweifel gezogen werden.6

Wenn man die Vorschläge als Ausgangspunkt nimmt, sind folgende Änderungen und Ergänzungen die wichtigsten, um die identifizierten Nachteile zu überwinden und ein tragfähiges Konzept zu entwickeln:

  • Es müssen auch kollektive Lösungen für ausstehende Probleme in gefährdeten nationalen Bankensektoren gefunden werden, die ein gemeinsames Interesse an einer schnellen Lösung und eine zukünftige Risikoteilung reflektieren.
  • Der Europäische Fiskal-Fonds sollte nicht die Form eines „Schlechtwetterfonds“ annehmen, sondern als zusätzliche Kreditvergabekapazität des ESM ausgestaltet werden.
  • Die Schaffung von Junior Bonds sollte Hand in Hand mit Maßnahmen gehen, die effektiv sicherstellen, dass bestehende Staatsanleihen und Neuemissionen unter der Ausgabenregel risikolos und damit von destabilisierender Spekulation befreit sind.
  • Die Fiskalpolitik sollte sich viel mehr auf die Sicherstellung von öffentlichen Investitionen konzentrieren und symmetrische kontrazyklische Maßnahmen auf nationaler Ebene einleiten und damit die Kohärenz der aggregierten Fiskalpolitik gewährleisten.
  • Zu diesem Zweck ist es unerlässlich, das Makroökonomische Ungleichgewichtsverfahren in Richtung Symmetrie zwischen Defizit- und Überschussländern zu reformieren und dann auch für den gesamten makroökonomischen Policy Mix effektiv zur Geltung zu bringen. Koll/Watt und Horn/Watt schlagen hierzu vor, die neuen nationalen Ausschüsse für Produktivität als Expertise-Gremium zu nutzen und den bestehenden Makroökonomischen Dialog, der neben der Fiskalpolitik die Sozialpartner und die nationalen Zentralbanken einbezieht, auch auf EWWU- und Länderebene einzusetzen, um die nationalen politischen Ziele und Maßnahmen in Richtung auf einen wachstums- und stabilitätsorientierten und auf Eurozonenebene konsistenten Pfad zu lenken.7 Fiskal-, Lohn-, Einkommens- und makroprudenzielle Politik sollten unter Wahrung der Autonomie aufeinander abgestimmt werden. Dieser Ansatz ist eine notwendige Ergänzung bzw. ein Korrektiv zum deutsch-französischen Vorschlag, zugleich aber mit dessen Konzept kompatibel.

Title:France and Germany – Strong Partners for a Stable Europe?

Abstract:France’s President Macron is initiating a new discussion on the institutional deepening of the European Economic and Monetary Union – and he hopes for German assistance. The two countries constitute the core of the European Union. But a strong partnership must be based on strong economic performance and social cohesion. The French economy is generally regarded as weak, but it seems that the German economic results are overrated. Regarding the EMU, a Franco-German expert group recently published a report in which they try to combine the French and German philosophies on governance: risk-sharing or collective insurance (identified as the French view) and a combination of rules and market discipline that ensure “sound” domestic policies (identified as the German view). The authors here compare the French and German economies and evaluate the report of the expert group.


DOI: 10.1007/s10273-018-2247-1