Verhandlungen zum EU-Budget: Allokation von Verteilung trennen!
In der EU haben die Verhandlungen über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen für 2021 bis 2027 begonnen. Aus ökonomischer Perspektive ist das Ziel klar: Der europäische Haushalt sollte sich in Zukunft stärker auf die Finanzierung von Leistungen konzentrieren, bei deren Bereitstellung Europa den Mitgliedstaaten überlegen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die EU aufgrund von Skalenerträgen Kostenvorteile realisieren kann oder wenn eine Bereitstellung durch die Mitgliedstaaten durch Externalitäten und Trittbrettfahrer-Strategien beeinträchtigt ist. In einer aktuellen Studie haben das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und die Bertelsmann Stiftung diese Kriterien auf eine große Bandbreite von Politikfeldern angewendet und sie bestätigen frühere Erkenntnisse: Der EU-Haushalt setzt eindeutig die falschen Prioritäten. Nicht zu rechtfertigen sind die hohen EU-finanzierten Transfers an (oftmals wohlhabende) Landwirte. Im Vergleich dazu sprechen viele Argumente für ein deutlich stärkeres EU-Engagement auf den Gebieten Migration, Asyl, Verteidigung oder Entwicklungshilfe.
Wie aber soll jetzt eine Reform gelingen angesichts der enormen Beharrungskräfte des Status quo? In Europa existiert keine Interessengruppe, die für europäische öffentliche Güter kämpft – wohl aber machtvolle Allianzen zur Verteidigung der bisher Begünstigten. Dennoch sind die Chancen für Reformen dieses Mal vermutlich höher als lange zuvor. Erstens verschärft der Brexit und damit der Verlust eines großen Nettozahlers die Budgetrestriktion. Zweitens haben die Krisen der letzten Jahre eindrucksvoll demonstriert, dass die EU ihre Existenz riskiert, wenn sie die Antworten auf die großen Herausforderungen von Migration, innerer und äußerer Sicherheit schuldig bleibt.
Welche Ansätze können die Reformdynamik erhöhen? Europafreundliche Regierungen sollten alles tun, um den Veränderungsdruck aufrechtzuerhalten. Aus dieser Perspektive ist die Positionierung im Koalitionsvertrag von Union und SPD, dass Deutschland ohne Bedingungen zu höheren Beitragszahlungen bereit ist, in dieser frühen Phase der Verhandlungen eine strategische Fehlleistung ersten Ranges. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das gleiche Dokument für die Beibehaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik auf dem bisherigen Niveau ausspricht. All das sind kontraproduktive Signale: Offenbar ist der in absoluter Höhe größte EU-Nettozahler willens, eine unsinnige Budgetstruktur auch in Zukunft durchzufinanzieren. Hier ist zu hoffen, dass die neue Bundesregierung diese Fehler rasch korrigiert und auf die Linie der Niederlande einschwenkt, die sich gerade gegen höhere Beiträge in Kombination mit einer Umstrukturierung des Budgets ausgesprochen haben. Selbst wenn am Ende der Verhandlungen höhere Beitragszahlungen kommen – die Gegenleistung muss eine verbesserte Budgetstruktur sein.
Noch eine weitere Weichenstellung könnte die Aussicht für Reformen der Ausgabestruktur entscheidend voranbringen: die Einigung auf transparente Eigenmittelrabatte zur Wahrung nationaler Besitzstände. Der bisherige „Britenrabatt“ hat aus guten Gründen einen schlechten Ruf. Ein allgemeiner Korrekturmechanismus wäre hingegen hilfreich. Das große politökonomische Problem von Einschnitten in der Agrar- und Regionalpolitik sind die Effekte auf die Nettopositionen der Mitgliedstaaten. Die Staaten, die durch den Rückbau von Agrar- oder Regionalförderung einen nennenswerten Verlust erleiden, dürften zum Veto gegen die Reform greifen. Das gilt selbst dann, wenn die betroffenen Regierungen keine besonderen Sympathien für die agrar- oder regionalpolitische Partikularinteressen haben. Der Weg zu Reformen wird frei, wenn ihre Verteilungswirkungen durch Eigenmittelrabatte ausgeglichen werden. Dann würde die Entscheidung über die Allokation der Budgetmittel von der Verteilungsfrage getrennt. Und dann ergibt sich ein viel unbefangener Blick auf mögliche Veränderungen und ihre Chancen.
Schweizer Volksentscheid: Öffentlicher Rundfunk überholt?
Schränkt es Entscheidungsfreiheit und Lebensqualität der Bürger ein, wie es die Initiatoren der No-Billag-Initiative argumentieren? Richtig ist, dass mit Werbung und Bezahlschranken erfolgreiche Finanzierungssysteme existieren, die auch ohne staatlichen Auftrag funktionieren. Die Frage ist aber, was genau sich damit finanzieren lässt.
Die Legitimität des öffentlichen Rundfunks entscheidet sich an der Frage der Versorgung mit Informationen und journalistischen Analysen. Demokratische Gesellschaften sind auf informierte Bürger angewiesen, und die Medienlandschaft trägt entscheidend dazu bei, Bürger ausgewogen über öffentliche Angelegenheiten zu informieren. Rundfunk kann politisches Interesse wecken, nationale, regionale und kulturelle Identität stiften und programmatische Vielfalt bieten. Medien und Rundfunk sind daher mehr als einfache Unterhaltung und Zeitvertreib: Wenn sie objektiv und unabhängig berichten, können sie einen Mehrwert schaffen, von dem die Gesellschaft als Ganzes profitiert, d. h. auch diejenigen, die nicht zuschauen oder zuhören. Mit dem Verweis, dass es der Markt schon richten werde, machen es sich die Kritiker des öffentlichen Rundfunks deshalb zu leicht. Bei privaten Anbietern steht das kommerzielle Interesse im Vordergrund; öffentliche Anbieter können sich am Gemeinwohl orientieren. Beispielsweise verwenden ARD und ZDF deutlich mehr Sendezeit auf aktuelle journalistische Berichterstattung als die privaten Sender. In internationalen Vergleichen kommen diverse medienwissenschaftliche Studien zu dem Schluss, dass öffentliche Anbieter stärker als kommerzielle Konkurrenten zur Information der Bürger beitragen. Die Ergebnisse solcher Studien sind mit gewisser Vorsicht zu interpretieren, zumal die kontrafaktische Situation – eine Welt ohne öffentlichen Rundfunk – in den meisten Fällen nicht beobachtbar ist. Dennoch zeigt die Gesamtschau: Öffentlicher Rundfunk ist und bleibt gerechtfertigt.
Ein Freibrief ist dies freilich nicht. Zu Recht stehen öffentliche Anbieter in der Kritik, verschwenderisch mit den ihnen anvertrauten Mitteln umzugehen. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) bescheinigt ARD, ZDF und Deutschlandfunk für die Beitragsperiode 2017 bis 2020 in deutlichen Worten eine „sehr geringe Gesamtwirtschaftlichkeit“. Gewisse Ineffizienzen sind unvermeidlich: Es gehört zum Kern des öffentlichen Rundfunks, dass er journalistisch frei ist und unabhängig arbeiten kann – dies steht im Widerspruch zu einer strikten externen Kontrolle von Budget und Mittelverwendung. Trotzdem gilt es, neu über effiziente Governance-Strukturen und eine Schärfung des öffentlichen Auftrags nachzudenken. Zukünftig sollten sich die öffentlichen Sender darauf konzentrieren, Public-Value-Inhalte zu produzieren und zu verbreiten, d. h. Inhalte mit gesamtgesellschaftlichem Mehrwert. Populäre Sport- oder Unterhaltungssendungen können dabei ein Vehikel sein, sofern sie dem Ziel dienen, die Public-Value-Inhalte zu popularisieren. Entscheidend ist aber die Erfüllung des Kernauftrags. Stärker als bisher sollten die öffentlichen Anbieter in die Pflicht genommen werden, den gesellschaftlichen Mehrwert auch zu dokumentieren und sich daran messen zu lassen.
Windenergie: Sturm oder Flaute?
Es hört sich eigentlich gut an: Der Windkraftausbau in Europa erreicht neue Rekordwerte, 85 % aller Kraftwerkskapazitäten entfielen 2017 auf den Ausbau erneuerbarer Energien, allen voran der Windenergie. Drei europäische Länder haben den Großteil der neu installierten Windanlagen errichtet: Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Doch der positive Eindruck täuscht. Insgesamt hat zwar die Bedeutung der Windenergie an der Stromerzeugung in Europa deutlich zugenommen und ist auf den durchaus beträchtlichen Anteil von 12 % gestiegen. Der positive Trend wird jedoch nicht lange anhalten und der Rekordzuwachs der Windenergie in Europa kaum dauerhaft sein. Obwohl die Kosten der erneuerbaren Energien und auch der Windenergie immer weiter sinken, verschlechtern sich die Bedingungen in den einzelnen Ländern. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien rührt der jüngste Rekordzuwachs daher, dass die Fördersysteme geändert werden. Es handelt sich also nur um Vorzieheffekte.
Europa hat sich vorgenommen, den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Endenergieverbrauch bis 2020 auf 20 % zu steigern. Viele EU-Länder erfüllen schon heute die EU-Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Erreicht sind insgesamt schon 17 %, vor allem dank der skandinavischen und auch einiger osteuropäischer Länder. Elf Länder erfüllen schon heute diese EU-Ausbauziele, in denen neben der Stromerzeugung auch die Wärmeenergie und Kraftstoffe für die Mobilität aus erneuerbaren Energien stammen müssen. Fünf Länder drohen jedoch die Ausbauziele zu verfehlen. Eines davon ist ausgerechnet Deutschland. Deutschland wird sein Ausbauziel bis 2020 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreichen, genau wie Frankreich und Großbritannien – oder auch Belgien und die Niederlande. In Deutschland ist die Zielverfehlung allerdings besonders bitter.
Im selbst ernannten Energiewende- und Klimaschutz-Musterland ist es peinlich, wenn neben den eigenen Klimazielen nun auch die europäischen Ziele nicht erreicht werden. Obwohl der Ausbau der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung gut vorangekommen ist und sich der Anteil auf über 31 % erhöht hat, sieht es in den anderen Bereichen weniger gut aus. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeerzeugung stagniert bei 13 %, im Verkehr bei gerade einmal 5 %. So kommt Deutschland auf einen Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch von 16 %, es müssen bis 2020 allerdings 18 % sein.
Da der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien stark gedeckelt wird, und weder im Bereich Wärme noch im Bereich Verkehr mit mehr Anteilen an erneuerbaren Energien zu rechnen ist, kommt es wahrscheinlich zur Zielverfehlung. Die nun eingesetzten Ausschreibungen für den Ausbau erneuerbarer Energien deckeln den Zuwachs merklich. Zwar will die Große Koalition in Deutschland Sonderausschreibungen vornehmen, um einen Fadenriss in der Windenergie zu verhindern. Aber dies wird nicht ausreichen, um die Weichen in allen Bereichen voll auf Energiewende zu stellen. Der Ausbau darf nicht mehr gedeckelt werden, zudem müssen mehr Anreize für den Einsatz erneuerbarer Energien in allen anderen Bereichen geschaffen werden. Nur so kann Deutschland seine Glaubwürdigkeit für die Energiewende und den Klimaschutz zurückgewinnen.
Parlamentswahlen in Italien: Weckruf aus dem Süden!
Die politische Landkarte Italiens offenbart nach den Wahlen vom 4. März 2018 eine Zweiteilung: Erzielte im Norden die eurokritische, rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise den stärksten Stimmenzuwachs (von 4,1 % auf 18 %), konnte der Movimento 5 Stelle (M5S) landesweit am stärksten punkten (32,7 %) und wurde im Süden Italiens mit bis zu 49 % der Stimmen die dominierende Kraft. Die Korrelation ist unübersehbar: je prekärer die ökonomische und soziale Lage, desto stärker wurde M5S gewählt. Die Einkommen aus abhängiger Beschäftigung lagen in allen Regionen, in denen M5S die Direktmandate erringen konnte, unterhalb des nationalen Durchschnitts. Nachwahlbefragungen bestätigen, dass wirtschaftliche und soziale Themen in Süd- und Mittelitalien wahlentscheidend waren, insbesondere bei den Jüngeren. Arbeitslosigkeit und Armut rangierten dabei als ungelöste Probleme ganz oben.
Tatsächlich kämpft Italien weiterhin massiv gegen die Wirtschaftskrise, wie Daten des nationalen Statistikamtes Istat und von Eurostat zeigen. Trotz zaghaften Wachstums von 1,6 % (2017) bzw. 0,8 % (2016), bleibt das Land Schlusslicht der Eurozone. Die Reallöhne sanken im Landesdurchschnitt 2010 bis 2017 um 3,9 %. Vor allem in Süditalien und Teilen Mittelitaliens stagniert die Entwicklung. Die tiefe Unzufriedenheit darüber hat sich nun an den Wahlurnen deutlich artikuliert. Die Beschäftigung war im Zeitraum von 2011 bis 2016 im gesamten Süden rückläufig. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt dort noch immer über 50 %. Das Bruttoinlandsprodukt Süditaliens sank von 2011 bis 2016 (-0,6 %). Die Disparitäten zum Norden haben mit der Krise weiter zugenommen. Die verfügbaren Einkommen der Haushalte fielen 2016 in Süditalien um 25,7 % niedriger aus als im nationalen Mittel. Die Armutsgefährdungsquote lag in Italien 2016 mit durchschnittlich 22,6 % (in Süditalien erheblich höher) deutlich vor Deutschland (16,5 %), Frankreich (13,6 %) und der Eurozone (17,5 %). Kurzum: Von Aufschwung ist für weite Teile der Bevölkerung Italiens nichts zu sehen. Schlimmer noch: Italien hat nach Angaben der OECD auch bei der sozialen Mobilität nach wie vor die rote Laterne inne.
Der Wunsch nach einem radikalen Wandel ist deshalb nachvollziehbar, wobei sich dieser auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse bezieht, denn mehr Transparenz, weniger Korruption und der Kampf gegen die organisierte Kriminalität gehören ebenfalls zu Kernanliegen des M5S. Tatsächlich hat die Bewegung auch in Hochburgen der organisierten Kriminalität herausragende Wahlergebnisse erzielt, in der Region Sizilien ist M5S bereits an der Regierung. Die Wahl des M5S ist deshalb – bei aller möglichen und gebotenen Kritik an dieser Partei – kein Rechtsruck, wie hierzulande oft zu lesen ist, denn da wären Lega oder Fratelli d’Italia eindeutige Alternativen gewesen. Das Wahlprogramm des M5S enthält in weiten Teilen vielmehr klassisch sozialdemokratische, linke Themen. Die Einführung einer flächendeckenden, dauerhaften sozialen Mindestsicherung, eine gut ausgestattete Arbeitsvermittlung, Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung, all dies wird, ganz so wie von M5S gefordert, tatsächlich in Italien gebraucht. Populismus? Nein, sondern eine längst überfällige Maßnahme und mithin Normalisierung für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone.
Italiens Situation ist allerdings unvergleichlich schwieriger: Durch den Fiskalpakt aufgrund der hohen Staatsschulden finanzpolitisch stark eingeschränkt, ist das Land nicht nur Nettozahler und einer der größten Geldgeber für die Euro-Rettungsmaßnahmen, sondern muss auch noch die Zuwanderung über das Mittelmeer maßgeblich schultern. Zeitgleich den riesigen Investitionsstau aufzulösen, Wachstum oberhalb der Beschäftigungsschwelle zu schaffen und Armut zu bekämpfen, ist nahezu unmöglich. Dabei gilt der Weckruf nicht nur der Politik in Rom, auch wenn ohne jeden Zweifel zahllose Probleme nationaler Natur sind und weiterhin erheblicher Reformbedarf besteht. Brüssel, Berlin und Paris sind gleichwohl ebenfalls gefragt, denn allein wird Italien seine Probleme aufgrund der besonderen Situation nicht lösen können.