Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor auf dem Wachstumspfad. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war zuletzt im zweiten Quartal 2014 preis- und saisonbereinigt – und auch das nur geringfügig – zurückgegangen; seitdem hat es ununterbrochen zugenommen. Doch die Anzeichen, dass dieser Aufschwung in Deutschland seinen Höhepunkt überschritten hat und nunmehr eine zyklische Abschwächung eingeleitet ist, nehmen zu. Im ersten Quartal 2018 wurde diese auch durch einige Sonderfaktoren (Streiks, Grippewelle) verstärkt, als das BIP preis- und saisonbereinigt mit 0,3 % nur noch etwa halb so stark zunahm wie in den Vorquartalen. Wichtige Wirtschaftsbereiche stoßen zunehmend an Kapazitätsgrenzen – in der Industrie und nicht zuletzt in der Bauwirtschaft. Insofern ist eine gewisse Verlangsamung der Wirtschaftsdynamik „normal“ und teils auch wünschenswert; nicht nur die Immobilienpreise, inzwischen auch die Baupreise steigen überdurchschnittlich stark. Der hohe Auslastungsgrad der Wirtschaft stützt aktuell die Investitionstätigkeit der Unternehmen, die politischen Unsicherheiten dürften jedoch teilweise zu Investitionszurückhaltung führen. Insofern belasten die zunehmenden politischen Risiken die Wirtschaftsentwicklung, momentan insbesondere die von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten und Sanktionen sowie die gestiegenen Ölpreise, ausgelöst durch verschiedene Konfliktherde in Nahost.
Deutlichere Bremsspuren zeigten sich in den ersten Monaten 2018 allerdings bei den übrigen Nachfrageaggregaten. Die privaten Konsumausgaben nahmen nur mehr leicht zu, die Konsumausgaben des Staates, die in den Vorjahren deutlich gestiegen waren, gingen sogar zurück, und auch die außenwirtschaftliche Entwicklung dämpfte insgesamt die Konjunktur; die absoluten Exporte gingen, wohl auch wegen der starken Aufwertung des Euro im vergangenen Jahr, noch etwas stärker zurück als die Importe. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich gleichwohl weiter verbessert. Die Zahl der Erwerbstätigen erreichte mit 44,3 Mio. neue Höchststände, die Arbeitslosenrate betrug zuletzt nur noch 5,1 %. Dabei hat sich die Arbeitsmarksituation nicht nur quantitativ weiter verbessert, sondern auch qualitativ. Während die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt in den ersten Monaten von 2018 um 1,4 % höher war als 2017 und um 2,9 % höher als 2016, ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 2,4 % bzw. 4,7 % gestiegen und die der geringfügig entlohnten Beschäftigten um 1,3 % bzw. 2,4 % gesunken. Der Preisauftrieb hat sich jüngst deutlich verstärkt, die Jahresteuerungsrate schnellte im Mai auf 2,2 % hoch. Besonders stark stiegen im Vorjahresvergleich mit rund 3 ½ % die Preise für Nahrungsmittel. Zuletzt legten zudem die Energiepreise infolge der deutlichen Ölverteuerung merklich zu.
Der Aufschwung hat noch immer eine breite Basis, doch die Dynamik lässt bei nahezu allen Aggregaten nach. Die hohe Kapazitätsauslastung und günstige Finanzierungsbedingungen stimulieren zwar die Investitions- und die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen, doch die geopolitischen und weltwirtschaftlichen Unsicherheiten verstärken gleichzeitig deren Vorsicht. Bei nachlassender Expansion der Investitionen werden auch die Beschäftigung und damit die verfügbaren Einkommen und der private Verbrauch langsamer zunehmen (vgl. Tabelle 1). Die Bautätigkeit bleibt hoch, Kapazitätsgrenzen und kräftig steigende Baupreise dämpfen aber den weiteren Anstieg. Der Welthandel wird durch zunehmende Handelskonflikte und Sanktionen gebremst, was auch die Expansion der deutschen Exporte eindämmt. Da die recht gute Binnenkonjunktur auch die Importe erhöht, werden netto vom Außenbeitrag kaum Wachstumsimpulse ausgehen. So dürfte alles in allem die deutsche Wirtschaft im Jahresdurchschnitt 2018 erneut um gut 2 % wachsen (vgl. Abbildung 1). Die Arbeitsmarktsituation wird sich dabei weiter verbessern. Die Inflationsrate der Verbraucherpreise, die zuletzt die 2 %-Marke überschritten hat, könnte, falls die Ölverteuerung sich als dauerhaft erweist, auch im Jahresdurchschnitt diese Marke erreichen.
Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
2016 | 2017 | 2018 | 2019 | |
---|---|---|---|---|
Bruttoinlandsprodukt1 | 1,9 | 2,2 | 2,1 | 1,6 |
Private Konsumausgaben | 2,1 | 1,8 | 1,3 | 1,4 |
Staatliche Konsumausgaben | 3,7 | 1,5 | 1,0 | 1,2 |
Anlageinvestitionen | 3,1 | 3,3 | 3,8 | 3,2 |
Ausrüstungen | 2,2 | 4,0 | 5,0 | 4,8 |
Bauten | 2,7 | 2,7 | 3,1 | 1,6 |
Sonstige Anlagen | 5,5 | 3,5 | 3,5 | 3,8 |
Inlandsnachfrage | 2,4 | 2,2 | 1,9 | 1,6 |
Ausfuhr | 2,6 | 4,6 | 4,0 | 4,8 |
Einfuhr | 3,9 | 5,2 | 4,1 | 5,3 |
Arbeitsmarkt | ||||
Erwerbstätige | 1,3 | 1,5 | 1,1 | 0,5 |
Arbeitslose (in Mio.) | 2,69 | 2,53 | 2,35 | 2,26 |
Arbeitslosenquote2 (in %) | 5,8 | 5,4 | 5,0 | 4,8 |
Verbraucherpreise | 0,5 | 1,8 | 1,8 | 2,1 |
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) | 1,0 | 1,2 | 1,0 | 0,9 |
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) | 8,5 | 8,0 | 7,9 | 7,8 |
1 Preisbereinigt. 2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept). 3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.
Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; ab 2018 Prognose des HWWI.
Auch für 2019 sind die Konjunkturaussichten noch gut, doch die für die Spätphase eines Aufschwungs typischen Abschwächungstendenzen dürften noch deutlicher sichtbar werden. Die Expansion der Unternehmensinvestitionen wird mit zunehmender Anpassung der Kapazitäten, aber auch wegen vermehrter weltpolitischer Risiken nachlassen. In der Folge werden auch Beschäftigung, Einkommen und privater Konsum langsamer steigen. Der Staat dürfte, zumal dank seiner guten Finanzlage, seine Investitionen in die Infrastruktur stärker ausweiten, doch haben diese insgesamt gesehen nur geringes Gewicht. Die Exporte dürften infolge der genannten weltwirtschaftlichen Einschränkungen nur moderat zunehmen. Die sich 2019 weiter abflauende Konjunktur wird dann auch in einer auf 1,6 % verringerten jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate sichtbarer werden. Die – insgesamt gute – Lage am Arbeitsmarkt wird sich nur noch leicht verbessern. Die Inflationsrate wird sich bei dieser Konjunkturentwicklung bei gut 2 % halten.
Abbildung 1
Preisbereinigtes BIP in Deutschland
1 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %, auf Jahresrate hochgerechnet. 2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.
Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2018 Prognose des HWWI.
Risiken für die wie beschrieben weiterhin positive Entwicklung der deutschen Wirtschaft liegen vornehmlich in den geopolitischen und weltwirtschaftlichen Konfliktpotenzialen. Hier sind mögliche Handelskonflikte zu nennen, auch wenn die Hoffnung besteht, dass diese durch Verhandlungen entspannt werden können. Kaum vorhersehbar wären überdies die Auswirkungen eines endgültigen Außerkraftsetzens des Iran-Atomabkommens. Für die Finanzstabilität der Eurozone könnte es auch problematisch werden, wenn die neue Regierung in Italien die im Regierungsprogramm angekündigten Maßnahmen umsetzt. Vor diesem Hintergrund sind die von den USA ausgehenden Zinsängste fast schon weniger bedrohlich, zumal insbesondere in Europa die Zinsen historisch betrachtet vorläufig niedrig bleiben dürften.
Vor allem dank der guten Konjunktur der vergangenen Jahre waren die Steuereinnahmen höher als erwartet ausgefallen, und dank der Europäischen Zentralbank waren die Zinsen niedrig. Entsprechend hat es im Gesamtstaatshaushalt seit 2014 deutliche, zudem steigende Überschüsse gegeben. 2017 betrug der gesamtstaatliche Überschuss 38 Mrd. Euro, die Überschüsse addieren sich für 2014 bis 2017 auf 110 Mrd. Euro. Die öffentliche Gesamtverschuldung ist dadurch wieder unter die 2-Billionen-Euro-Marke gesunken, die Schuldenstandsquote (gesamte Staatsverschuldung in Relation zum nominalen BIP) hat sich der – zumeist vergessenen – Maastricht-Marke von 60 % angenähert und dürfte bei den beschriebenen Rahmenbedingungen 2018 wieder diese Marke erreichen, möglicherweise unterschreiten. Denn bei der für 2018 und 2019 erwarteten Konjunkturentwicklung und weiterhin recht niedrigen Zinsen im Euroraum, und dabei insbesondere für deutsche Staatsanleihen, ist auch für diese beiden Jahre mit merklichen Überschüssen zu rechnen. Auch bei vorsichtiger Haushaltsführung sollten sich so finanzpolitische Spielräume für wachstumsförderliche Maßnahmen ergeben, wie etwa steuerliche Entlastungen oder vermehrte Infrastrukturinvestitionen. Die OECD hat gerade erst wieder in ihren jährlichen Studien zur Abgabenbelastung in ihren Mitgliedsländern für 2017 festgestellt, dass Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Steuerbelastung von Durchschnittsverdienern gehört. In einer Ländervergleichsstudie zur allgemeinen Qualität der Infrastruktur für 2017 des Global Competitiveness Index schneidet Deutschland zwar noch relativ gut ab, in wichtigen Teilbereichen, wie der Digitalisierung, gilt Deutschland als unter Industrieländern relativ rückständig, und die „traditionelle“ Infrastruktur, wie Verkehrswege, wird vielfach als reparaturbedürftig angesehen. Infrastruktur-Maßnahmen würden den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken und letztlich auch eine abflauende Konjunktur stabilisieren.