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Auf die Europäische Union (EU) in ihrer gegenwärtigen Verfassung entfielen 2017 ca. 15 % des weltweiten Güterhandels und 22 % des Dienstleistungshandels. Die USA und China kommen im Güterhandel auf 14 % bzw. 15 %; im Dienstleistungshandel auf 16 % bzw. 9 %. In der Außenpolitik mag die EU ein relativ unbedeutender Spieler sein; im Handel ist sie eine Weltmacht. Mit einem Gesamthandelsvolumen von 5318 Mrd. Euro liegt sie deutlich vor China (4256 Mrd. Euro) und den USA (4609 Mrd. Euro). Für 80 Länder ist die EU der größte Handelspartner. Für 56 weitere Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) ist die EU meist der zweitgrößte Partner, nach den USA oder China. Die EU hat starke Handelsbeziehungen mit vielen Entwicklungsländern. Sieht man von Energie ab, importiert die EU mehr aus den ärmsten Ländern als die USA, Kanada, Japan und China zusammen. Durch die Anwendung asymmetrischer Präferenzsysteme erlaubt Europa den zollfreien Import vieler Waren aus Entwicklungsländern, ohne dabei auf Reziprozität zu bestehen.

Das Ausscheiden Großbritanniens, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, wird der EU den Spitzenplatz in den Handelsstatistiken kosten. 2017 entfiel auf die EU ohne Großbritannien ein Handelsvolumen von 4544 Mrd. Euro, das ist um 65 Mrd. Euro weniger als das der USA. Der Abstand zu China verringert sich von mehr als 1 Billion Euro auf etwas weniger als 300 Mrd. Euro. Bei den Güterimporten fällt die EU gar auf den dritten Platz zurück. Sie wird also ganz offensichtlich als Partner für Handelsabkommen an Attraktivität einbüßen. Nach Angaben der EU-Kommission bleibt die EU allerdings im Dienstleistungsbereich führend, doch gerade hier existieren erhebliche politische Widerstände gegen weitere Handelsliberalisierungen. Außerdem ist die Qualität der europäischen Daten umstritten.

Die EU hat nach Zählung der WTO 40 Freihandelsabkommen mit 64 Partnerländern. Die USA kommen gerade auf 20 Abkommen, China auf 24. Unter den G20-Ländern ist die EU damit einsamer Spitzenreiter. Das Volumen der durch diese Verträge abgedeckten europäischen Güterexporte beträgt 38 % der Gesamtexporte der EU. Davon entfallen 206 Mrd. Euro auf die EFTA-Länder (Schweiz, Norwegen, Liechtenstein, Island), 106 Mrd. Euro auf die Mittelmeeranrainer in Nordafrika und im Nahen Osten, 85 Mrd. Euro auf die Türkei, 50 Mrd. Euro auf Korea, 38 Mrd. Euro auf Kanada. 14 neue Abkommen befinden sich in Verhandlung. Diese würden ca. weitere 19 % der EU-Exporte abdecken, bzw. 17 % der Importe. Dann wären 57 % aller außereuropäischen Exporte der EU und 50 % der Importe von bilateralen Abkommen abgedeckt. Viele der geplanten Verträge sind schon weit verhandelt: jener mit Japan etwa oder mit den vier Mercosur-Staaten in Südamerika. Weil die USA unter Donald Trump als Partner für Freihandelsabkommen ausfällt, kommt die EU derzeit mit ihren Plänen gut voran.

Die EU ist eine relativ offene Volkswirtschaft. Der Offenheitsgrad – das Verhältnis des Gesamthandels von Gütern und Dienstleistungen zur Wirtschaftsleistung – beträgt in der EU 35 % und in den USA 27 %. Während sich dieser in der US-amerikanischen Volkswirtschaft seit 2007 um ca. 1 Prozentpunkt verringert hat, und in China seit 2007 von 68 % auf mittlerweile 40 % gefallen ist, hat er sich in der EU seit 2007 um etwa 7 Prozentpunkte erhöht, und das trotz eines sehr verhaltenen Wachstums des Welthandels relativ zur globalen Wirtschaftsleistung. Legt man Ergebnisse von Costinot und Rodriguez-Clare auf die Zahlen aus dem Jahr 2017 um, so ergibt sich, dass ca. 11,0 % der europäischen Wirtschaftsleistung auf den außereuropäischen Handel zurückzuführen ist. Im Vergleich dazu hängt in den USA nur 8,5 % der Wirtschaftsleistung vom internationalen Handel ab. In China liegt der Wert bei ca. 34,1 %, trotz der extremen Rückführung der Auslandsabhängigkeit, die in den letzten Jahren zu beobachten war.

Die europäische Wirtschaft ist hinsichtlich des Portfolios von Exportmärkten gut diversifiziert. Auf den wichtigsten Exportpartner, die USA, entfiel 2017 ca. 20 % der europäischen Exporte, und auf den zweitwichtigsten, China, ca. 11 %. Auf die Top-20-Handelspartner entfielen insgesamt 77 % der Exporte der EU. Auf der Importseite ist es ganz ähnlich. In der gegenwärtigen handelspolitischen Gemengelage ist dieser Diversizifierungsgrad ein großer Vorteil: Die Güterexporte in die USA machen gerade 2,4 % der europäischen Wirtschaftsleistung aus; jene nach China 1,3 %. Ganz anders beispielsweise in Kanada, wo die Exporte in die USA 76% der Gesamtexporte und 19,4 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Handelsungleichgewichte sind spätestens seit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump ein wichtiges Politikum. Das US-amerikanische Defizit im Güterhandel von ungefähr 706 Mrd. Euro wird durch einen Überschuss bei den Dienstleistungen auf 491 Mrd. Euro abgesenkt, ist aber dennoch bei weitem das größte der Welt. Die EU trägt zu den globalen Ungleichgewichten bisher vor allem durch einen erheblichen Überschuss im Dienstleistungshandel bei. 2017 betrug der Handelsüberschuss bei Gütern und bei Dienstleistungen 204 Mrd. Euro. Der Überschuss Deutschlands außerhalb der EU liegt allein bei 195 Mrd. Euro. Die entscheidende Rolle Deutschlands ist nicht wegzudiskutieren, ebenso wenig wie die Rolle des Euro, denn die immer noch sehr lockere Geldpolitik der EZB führt zu seiner Unterbewertung. Es lässt sich durchaus argumentieren, dass die Einhegung der europäischen Schuldenkrise durch eine implizite Abwertungspolitik auf Kosten der Handelspartner geht. Der Brexit wird Europa handelspolitisch deutlich schwächen, es sei denn Großbritannien verbliebe in der Zollunion. Damit wäre es neben der Türkei ein weiteres Land, das kein Vollmitglied der EU, aber doch Teil der Zollunion wäre. Dies erhöht die Verhandlungsmacht der EU-Kommission, weil sie ja für alle Zollunionsmitglieder internationale Vereinbarungen trifft.

Hier gibt es aber zunehmend Schwierigkeiten, weil die handelspolitischen Vereinba-rungen immer häufiger nicht nur Zölle betreffen, sondern auch regulatorische Fragen, wofür die alleinige Zuständigkeit nicht in Brüssel liegt. Eine solche Handelspolitik leidet ohne geeignete politische Mitwirkung an erheblichen Legitimationsproblemen. Das gilt schon für Vollmitglieder, deren Interessen innerhalb der EU häufig deutlich unterschiedlich sind. Das Legitimationsproblem tritt aber viel mehr noch für Länder auf, die nur Mitglieder der Zollunion sind, und die EU-Politik ohne Mitspracherecht nachvollziehen müssen. Eine ganz zentrale Herausforderung der Zukunft besteht für Länder, die wirtschaftlich stark von der EU abhängig, aber keine Vollmitglieder sind, darin, passende institutionelle Arrangements zu schaffen.

Europa sieht sich gerne als Vorreiter offener Märkte und als Verteidiger der WTO. Dabei stimmt die Realität nicht immer mit den Sonntagsreden überein. So existieren immer noch hohe Zollspitzen. Bei Industrieprodukten gibt es immer noch teilweise hohe Zölle: so bei Autos (10 %) und Kleinlastwagen (15 %), um nur Güter aus dem Bereich der Fahrzeugindustrie zu nennen. Und der europäische Agrarprotektionismus macht Entwicklungsländern zu schaffen, weil sie zwar Rohprodukte zollfrei nach Europa exportieren können, auf verarbeitete Lebensmittel aber mit teils erheblichen Barrieren tarifärer und nicht-tarifärer Art zu kämpfen haben. Dazu kommt, dass sich auch in Europa ein protektionistischer Geist ausbreitet, z. B. bei dem aggressiveren Einsatz sogenannter handelspolitischer Schutzinstrumente, die in ihrer Begründung fast immer sehr umstritten sind. Letztlich ist auch die Hinwendung zu bilateralen Abkommen zu nennen, die es der EU erlaubt, ihre Verhandlungsmacht konzentriert gegenüber kleineren Ländern einzusetzen, aber den schleichenden Niedergang des multilateralen Systems befördert.

Gabriel Felbermayr

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DOI: 10.1007/s10273-018-2316-5