Die drastische Erhöhung der Freigrenze soll nach dem Willen der Bundesregierung 90 % der Zahler des Solidaritätszuschlags entlasten. Sie führt zudem dazu, dass die getrennte zu einer geringeren Steuerlast führen kann als die gemeinsame Veranlagung von Ehegatten, was einen starken finanziellen Anreiz für die getrennte Veranlagung ergibt. Daraus folgt, dass Ehepaare mit gleich hohem gemeinsamen zu versteuerndem Einkommen, je nach Beitrag der einzelnen Ehegatten zum zu versteuernden Einkommen, bei getrennter Veranlagung unterschiedlich hoch besteuert werden können. Dies ist aber nach Urteilen der obersten Gerichte verfassungswidrig.
Mit dem aktuellen Gesetzentwurf zur Senkung des Solidaritätszuschlags1 soll eine im Koalitionsvertrag vorgesehene Steuerentlastung umgesetzt werden. Dort wird als Ziel die Abschaffung des Solidaritätszuschlags „in einem deutlichen ersten Schritt für rund 90 % der Soli-Zahler durch Freigrenze“2 angestrebt. Daher sieht der Gesetzentwurf lediglich eine Änderung der Freigrenze und der Einschleifregel beim Solidaritätszuschlag ab 2021 vor. Ansonsten gilt das Solidaritätszuschlaggesetz unverändert fort. Mit der Ausweitung der Freigrenze sind aber Probleme verbunden.3 Diese ergeben sich unter anderem dadurch, dass der Solidaritätszuschlag in unveränderter Form für die Körperschaftsteuer, die Abgeltungsteuer auf Zinsen und die Kapitalertragsteuer gelten soll. Dies bedeutet, dass die meisten Personenunternehmen vom Solidaritätszuschlag befreit bzw. entlastet werden, Körperschaften mit gleich hohem Gewinn aber nicht.4 Kritisiert wird dieser Reformgedanke daher bereits seit seiner Formulierung im Koalitionsvertrag. Neben den Nachteilen für Kapitalgesellschaften5 werden auch die hohen Grenzbelastungen in der Einkommensteuer6 als Problem thematisiert. Bisher nicht aufgegriffen wurde, dass die Reform des Solidaritätszuschlags zu einer verfassungswidrigen Besteuerung von Ehegatten führen kann – zumindest dann, wenn unterstellt wird, dass die vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesfinanzhof in den 1950er Jahren aufgestellten Kriterien für eine verfassungskonforme Ehegattenbesteuerung weiterhin gelten.
Oberste Gerichte zur Besteuerung von Ehegatten
Die grundlegenden Urteile zur Besteuerung von Ehegatten wurden von den obersten Gerichten in Deutschland bereits in den 1950er Jahren gefällt und sind seitdem nicht mehr korrigiert worden.7 In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kam zum Ausdruck, dass Steuerpflichtige keine steuerlichen Nachteile dadurch erleiden dürfen, dass sie verheiratet sind. Dies war zur damaligen Zeit aber Realität, da es einen Zwang zur sogenannten Haushaltsbesteuerung gab. Bei dieser Art der Besteuerung wurden die Einkommen der Ehegatten addiert und gemeinsam besteuert.
Ausgangslage für die Analyse ist die bisher geltende Sicht, dass zwei Personen durch Heirat eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Beide Individuen treten also gegenüber der Außenwelt und damit auch gegenüber dem Staat als ein neues Wirtschaftssubjekt auf. Auf dieser Auffassung aufbauend wurde die Rechtsprechung zur Ehegattenbesteuerung entwickelt. Damit sind zwei Schlussfolgerungen naheliegend: Zunächst einmal obliegt es der Entscheidung der beiden betroffenen Personen, wie die vorhandene Zeit zwischen Freizeit und Arbeitszeit aufgeteilt wird. Hinzu kommt, dass die beiden Ehegatten auch darüber zu befinden haben, wer von den beiden welchen Anteil an der gesamten Freizeit bzw. Arbeitszeit hat. Nach der Theorie der komparativen Kosten ist es nämlich meist nicht sinnvoll, dass beide Personen im gleichen Umfang einer marktlichen Tätigkeit nachgehen bzw. zu gleichen Teilen an der sogenannten Hausarbeit beteiligt sind.8 So ist es offensichtlich, dass eine Individualbesteuerung dazu führt, dass Ehepaare mit identischem am Markt erzielten Gesamteinkommen, an dessen Erzielung aber die Ehepartner jeweils unterschiedlich beteiligt sind (z. B. 50 % zu 50 % versus 100 % zu 0 %), unterschiedlich steuerlich belastet werden.
Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs von 1957 wäre es aber weder mit Art. 3 Grundgesetz (GG) noch mit Art. 6 GG vereinbar, „Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehegatten ohne besondere stichhaltige Gründe günstiger zu besteuern als Ehen, in denen der Ehemann die gesamten Einkünfte bezieht, die Ehefrau aber, weil sie im Haushalt tätig ist und die Kinder erzieht, sich im Wirtschaftsleben nicht betätigen kann.“9 Ähnlich formuliert es auch das Bundesverfassungsgericht: „Zu dem Gehalt solcher privater Entscheidungsfreiheit der Ehegatten gehört auch die Entscheidung darüber, ob eine Ehefrau sich ausschließlich dem Haushalt widmet, ob sie dem Manne im Beruf hilft oder ob sie eigenes marktwirtschaftliches Einkommen erwirbt. (…) Der Gesetzgeber dürfte daher eine bestimmte Gestaltung der privaten Sphäre der Ehe nicht unmittelbar erzwingen“.10
Aus diesen Urteilen ergeben sich zwei Folgerungen. Ehegatten dürfen nicht schlechter gestellt werden als zwei unverheiratete Personen bei Individualbesteuerung. Da Ehen als eine Wirtschaftsgemeinschaft gelten, muss zudem die Steuerbelastung bei Ehen gleicher Einkommenshöhe auch identisch sein. Diese beiden Kriterien werden allein vom Ehegattensplitting erfüllt.11 Insofern scheidet die Individualbesteuerung als verfassungswidriges Verfahren für die Besteuerung von Ehepaaren aus, denn in diesem Fall wirkt sich die Zusammensetzung des Gesamteinkommens sehr wohl auf die Höhe der Einkommensteuerschuld aus, nicht aber beim Ehegattensplitting. Insofern ergibt sich ein verfassungsrechtliches Problem, wenn Ehepaare mit gleichem Gesamteinkommen unterschiedlich steuerlich belastet werden, nur weil die Partner unterschiedlich zum Gesamteinkommen beitragen. Dieser Sachverhalt ergibt sich aber aufgrund der neuen Regelung zum Solidaritätszuschlag.
Einkommensteuer bei getrennter und gemeinsamer Veranlagung
Die in § 3 Abs. 3 Solidaritätszuschlaggesetz 1995 enthaltene Freigrenze soll laut Gesetzentwurf für getrennt (gemeinsam) Veranlagte ab dem Veranlagungszeitraum 2021 von 972 Euro (1944 Euro) auf 16 956 Euro (33 912 Euro) steigen, wobei sich die Freigrenze auf die tarifliche Einkommensteuer bezieht.12 Dies bedeutet, dass nach dem Einkommensteuertarif des Jahres 201913 bis zu einem zu versteuernden Einkommen von etwas mehr als 61 000 Euro die Belastung im Falle der Einzelveranlagung durch den Solidaritätszuschlag ganz entfällt. Um einen Belastungssprung beim Überschreiten der Freigrenze zu vermeiden, ist eine „Milderungszone“ mit einem 11,9 %igen Zuschlagssatz vorgesehen, im geltenden Recht beträgt dieser Steuersatz noch 20 %. Ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 100 000 Euro entspricht der Zuschlagssatz wieder 5,5 % wie im geltenden Recht. Somit werden Steuerzahler mit einem zu versteuernden Einkommen zwischen rund 61 000 Euro und 100 000 Euro zumindest partiell vom Solidaritätszuschlag entlastet. Für Ehepaare verdoppeln sich die Beträge. Diese Regelung führt nun dazu, dass Ehepaare überlegen müssen, ob sie die getrennte oder die gemeinsame Veranlagung wählen.
Abbildung 1
Einkommensteuerminderbelastung durch Splitting
Quelle: eigene Berechnungen.
Bei der gemeinsamen Veranlagung ergibt sich durch das Splitting zumeist eine geringere Einkommensteuerbelastung als bei getrennter Veranlagung. Die durch das Splitting hervorgerufene Minderung der Einkommensteuerbelastung hängt sowohl von der Höhe des gemeinsamen zu versteuernden Einkommens als auch von den Anteilen ab, die jeder der Ehegatten zum gemeinsamen zu versteuernden Einkommen beiträgt. Abbildung 1 zeigt diese Zusammenhänge und betrachtet fünf verschiedene Anteilskombinationen der Ehegatten zum gemeinsamen zu versteuernden Einkommen. Neben der Einverdienerehe werden noch vier Varianten betrachtet, in denen schrittweise das Einkommen des Haupteinkommensbeziehers ausgehend von 100 % jeweils um 10 Prozentpunkte bis auf einen Anteil von 60 % am gesamten zu versteuernden Einkommen gemindert wird. Zu erkennen ist, dass bei Einverdienerehen das Splitting zu einer deutlich geringeren Steuerzahlung im Vergleich zur getrennten Veranlagung führt. Diese geringere Steuerzahlung gilt für jede der hier betrachteten Höhen des zu versteuernden Einkommens. Fallen die Unterschiede zwischen den Anteilen am gesamten zu versteuernden Einkommen bei den beiden Ehegatten geringer aus, so mindert sich die Steuerentlastung durch das Splitting. Teilweise gibt es gar keinen Unterschied zwischen getrennter und gemeinsamer Veranlagung. Dies ist etwa bei Anteilen der Ehegatten am zu versteuernden Einkommen von 60 % und 40 % (70 % und 30 %) im Intervall von 140 000 Euro bis 440 000 Euro (190 000 Euro bis 375 000 Euro) der Fall, aber auch bei Anteilen von 80 % und 20 %. Nur in den Fällen, in denen der Haupteinkommensbezieher mindestens 90 % des gesamten zu versteuernden Einkommens bezieht, ergibt sich für alle Einkommenshöhen eine Steuerminderung durch die gemeinsame Veranlagung.
Grundsätzlich ist somit festzustellen, dass die gemeinsame Veranlagung bei Ehegatten in den dargestellten Fällen sehr oft zu einer geringeren Einkommensteuerbelastung führt als die getrennte Veranlagung, nie aber zu einer höheren. Festzuhalten ist auch, dass die gemeinsame Veranlagung bei bestimmten Einkommensanteilen der Ehegatten (80:20; 70:30 sowie 60:40) keine Minderung der Einkommensteuerschuld ergibt, sodass die Ehepaare indifferent zwischen gemeinsamer und getrennter Veranlagung sind.
Solidaritätszuschlag 2021 bei getrennter und gemeinsamer Veranlagung
Durch die Reform des Solidaritätszuschlags ergeben sich unter bestimmten Umständen Vorteile durch eine getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer, da so die Freigrenze besser genutzt und die Steuerbelastung durch den Solidaritätszuschlag verringert werden kann. Der isolierte Effekt der getrennten Veranlagung auf die Höhe des Solidaritätszuschlags 2021 ist in Abbildung 2 dargestellt. Für drei Kombinationen von Anteilen der Ehegatten am zu versteuernden Einkommen (80:20; 70:30 sowie 60:40) wird die Belastung durch den Solidaritätszuschlag 2021 bei getrennter Veranlagung mit jener verglichen, die sich bei gemeinsamer Veranlagung ergibt. Für jede der drei Kombinationen werden nur die Intervalle betrachtet, bei denen es zwischen der getrennten und der gemeinsamen Veranlagung keinen Belastungsunterschied bei der Einkommensteuer gibt (vgl. Abbildung 1). Eine Minderbelastung beim Solidaritätszuschlag führt somit auch zu einer Verringerung der Belastung unter Einschluss der Einkommensteuer.
Abbildung 2
Solidaritätszuschlag 2021 bei getrennter Veranlagung
Quelle: eigene Berechnungen.
Es zeigt sich (vgl. Abbildung 2), dass bei Anteilen der Ehegatten von 60 % bzw. 40 % am zu versteuernden Einkommen der Solidaritätszuschlag bei getrennter Veranlagung deutlich geringer ausfallen kann als bei gemeinsamer Veranlagung. Eine Entlastung ergibt sich bei einer Bemessungsgrundlage (Einkommensteuerschuld) zwischen 49 600 Euro und 81 100 Euro; sie liegt maximal bei rund 480 Euro. Bei Anteilen der Ehegatten am zu versteuernden Einkommen von 70 % und 30 % (80 % und 20 %) mindert sich bei einer Bemessungsgrundlage (Einkommensteuerschuld) zwischen 62 200 Euro und 114 700 Euro (100 000 Euro und 121 000 Euro) die Belastung durch den Solidaritätszuschlag bei getrennter gegenüber der gemeinsamen Veranlagung jeweils um mehr als 900 Euro.
Festzuhalten ist somit, dass bei bestimmten Kombinationen von Anteilen der Ehegatten am zu versteuernden Einkommen (80:20; 70:30 sowie 60:40) und bestimmten Gesamteinkommen die gemeinsame gegenüber der getrennten Veranlagung keine finanziellen Vorteile bei der Einkommensteuer erbringt (vgl. Abbildung 1). Beim Solidaritätszuschlag 2021 hingegen ergibt sich für diese Einkommenskombinationen und Einkommensintervalle, dass eine getrennte gegenüber der gemeinsamen Veranlagung zu einer geringeren Belastung durch den Solidaritätszuschlag führen kann. Letztlich kann somit die getrennte Veranlagung gegenüber der gemeinsamen Veranlagung unter Einbeziehung des Solidaritätszuschlags zu einer Minderung der ertragsteuerlichen Belastung führen.
Der genannte Sachverhalt kann sich auch dann ergeben, wenn Bemessungsgrundlagen betrachtet werden, die von den in Abbildung 2 verwendeten Intervallen nach oben oder unten abweichen. In diesen Fällen können sich ebenfalls Minderbelastungen beim Solidaritätszuschlag im Falle der getrennten Veranlagung ergeben. Allerdings gehen diese dann bei der Einkommensteuer mit höheren Steuerzahlungen als bei der gemeinsamen Veranlagung einher. Es sind somit Einkommenskonstellationen bei Ehepaaren denkbar, bei denen die getrennte gegenüber der gemeinsamen Veranlagung zwar zu einer höheren Einkommensteuerbelastung, gleichzeitig aber zu einer geringeren Belastung beim Solidaritätszuschlag führt. Insofern kann sich auch in diesen Fällen durch den Solidaritätszuschlag 2021 ein finanzieller Anreiz zur getrennten Veranlagung ergeben.
Verfassungswidrige Ehegattenbesteuerung durch den Solidaritätszuschlag 2021
Die drastische Erhöhung der Freigrenze beim Solidaritätszuschlag kann dazu führen, dass bei Ehepaaren die Steuerbelastung aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag bei gemeinsamer Veranlagung höher ist als bei getrennter Veranlagung. Dies ist allgemein der Fall, wenn das bei getrennter Veranlagung auf jeden Ehegatten entfallende zu versteuernde Einkommen mit dem konstanten Grenzsteuersatz von 42 % belastet wird (nach dem Tarif 2019 zwischen 55 961 Euro und maximal 265 326 Euro) und auch das gemeinsame zu versteuernde Einkommen mit 42 % belastet wird. Bei diesen Ehepaaren hat das Splitting keinerlei Wirkung, sodass die Einkommensteuerschuld unabhängig davon ist, ob es zu einer getrennten oder einer gemeinsamen Veranlagung kommt. Die Höhe des Solidaritätszuschlags hingegen kann durch eine getrennte Veranlagung vermindert werden. Insofern besteht ein steuerlicher Anreiz, auf das Splitting zu verzichten. Dies allein ist kein verfassungsrechtliches Problem, da allein gesichert sein muss, dass Ehepaare nicht höher besteuert werden, als zwei nicht verheiratete Individuen. Das verfassungsrechtliche Problem ergibt sich jedoch dadurch, dass bei getrennter Veranlagung, zu der es quasi einen finanziellen Zwang gibt, um die Steuerbelastung möglichst gering zu halten, die Höhe des Solidaritätszuschlags für Ehepaare mit gleichem zu versteuernden Einkommen nicht identisch ist, sondern durch die unterschiedlichen Beiträge der Ehepartner zum identischen zu versteuernden Einkommen beeinflusst wird. Dieser Sachverhalt, dass Ehepaare mit identischem zu versteuernden Einkommen, aber unterschiedlichen Beiträgen dazu unterschiedlich besteuert werden, ist als verfassungswidrig anzusehen.
Abbildung 3
Solidaritätszuschlag 2021 bei getrennter bzw. gemeinsamer Veranlagung von insgesamt 200 000 Euro
Quelle: eigene Berechnungen.
Abbildung 3 zeigt die gerade erläuterte Problematik. Unterstellt wird, dass im Jahr 2021 das gesamte zu versteuernde Einkommen eines Ehepaars 200 000 Euro beträgt. Die Zusammensetzung beim zu versteuernden Einkommen für den Fall der getrennten Veranlagung reicht von 60 000 Euro für Ehegatten 1 und 140 000 für Ehegatten 2 bis zu 100 000 Euro für jeden der beiden Ehegatten. Erhalten beide Ehegatten jeweils 100 000 Euro, so ist die Steuerbelastung bei Einzelveranlagung mit der beim Splitting identisch, d. h. es gibt weder eine Minder- noch eine Mehrbelastung durch gemeinsame Veranlagung. Die Belastung durch den Solidaritätszuschlag beträgt in diesem Fall sowohl bei getrennter als auch bei gemeinsamer Veranlagung 3654 Euro (rechte Säule der Abbildung 3). Daraus folgt, dass sich für alle übrigen hier betrachteten Konstellationen im Splittingfall eine Belastung durch den Solidaritätszuschlag von ebenfalls 3654 Euro ergibt (waagerechte Linie in Abbildung 3).
Wird bei den übrigen Einkommenskonstellationen ab dem Jahr 2021 hingegen die Einzelveranlagung gewählt, so mindert sich dadurch die Belastung, die durch den für 2021 vorgesehenen Solidaritätszuschlag hervorgerufen wird. Hat z. B. Ehegatte 1 ein zu versteuerndes Einkommen von 60 000 Euro und Ehegatte 2 eines von 140 000 Euro so beträgt der zu zahlende Solidaritätszuschlag 2751 Euro im Falle der getrennten Veranlagung. Da die Belastung durch den Solidaritätszuschlag im Falle der gemeinsamen Veranlagung bei 3654 Euro liegt, ergibt sich durch die gemeinsame Veranlagung eine Mehrbelastung in Höhe von 903 Euro. Die Minderung des Solidaritätszuschlags, die sich durch die getrennte Veranlagung ergibt, hängt von den Beiträgen der Ehegatten zum gesamten zu versteuernden Einkommen ab. Dies widerspricht aber der Forderung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs, wonach für die Höhe der Steuerzahlung die Zusammensetzung des Einkommens des Ehepaars keine Rolle spielen darf, sondern allein die Höhe des zu versteuernden Einkommens.
Finanzielle Vorteile der getrennten Veranlagung bei Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2021
Abbildung 4 zeigt wiederum exemplarisch für Ehegatten die Wirkung der neuen Regelung beim Solidaritätszuschlag. In diesem Fall wird unterstellt, dass ein Ehegatte ein zu versteuerndes Einkommen von konstant 60 000 Euro hat. Das zu versteuernde Einkommen des zweiten Ehegatten hingegen erhöht sich ausgehend von 60 000 Euro auf bis zu 300 000 Euro. Somit bewegt sich das zu versteuernde Einkommen im Fall einer gemeinsamen Veranlagung zwischen 120 000 Euro und 360 000 Euro. Bei diesen Fallkonstellationen ergibt sich bis zu einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 155 000 Euro ein Vorteil durch die gemeinsame Veranlagung unter Berücksichtigung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von rund 64 Euro. Für ein höheres gemeinsames zu versteuerndes Einkommen ergibt sich ein finanzieller Nachteil im Fall der gemeinsamen Veranlagung. Dieser steigt in den hier unterstellten Einkommenskombinationen auf bis zu 903 Euro an und ist wiederum auf den Solidaritätszuschlag zurückzuführen. Ab einem zu versteuernden Einkommen von zusammen 330 000 Euro sinkt der finanzielle Vorteil der getrennten Veranlagung, da dann das höhere Einkommen einem Grenzsteuersatz von 45 % unterliegt (sogenannte Reichensteuer). Ab 355 000 Euro hat sich der finanzielle Vor- in einen finanziellen Nachteil in Höhe von 36 Euro verkehrt, sodass die gemeinsame Veranlagung wieder sinnvoll ist.
Abbildung 4
Solidaritätszuschlag 2021 bei gemeinsamer Veranlagung von 120 000 bis 360 000 Euro
Quelle: eigene Berechnungen.
Von dieser hier dargestellten und als verfassungsrechtlich problematisch eingestuften Wirkung des ab 2021 geltenden Solidaritätszuschlags können Ehepaare betroffen sein, die zusammen mindestens ein zu versteuerndes Einkommen aufweisen, das doppelt so hoch ist wie der Einkommenswert, bei dem die Tarifzone mit dem konstanten Grenzsteuersatz von 42 % beginnt. Dies wäre somit im Tarif 2019 bei einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 111 920 Euro der Fall. Da bei einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von über 530 652 Euro der maximale Grenzsteuersatz im Splittingfall bei 45 % liegt, sind diese Ehepaare von der beschriebenen Problematik nicht mehr tangiert. Nach Daten des Bundesministeriums der Finanzen weisen bei gemeinsamer Veranlagung fast 600 000 Ehepaare ein zu versteuerndes Einkommen zwischen 120 000 Euro und unter 300 000 Euro aus.14 Dies sind rund 4,8 % der Fälle einer gemeinsamen Veranlagung, auf die aber 21,5 % des Einkommensteueraufkommens entfällt, das bei gemeinsamer Veranlagung entsteht. Diese 1,2 Mio. Wähler sind potenziell alle von der beschriebenen verfassungsrechtlich problematischen Besteuerung betroffen und müssten daher die für sie günstigere getrennte Veranlagung prüfen lassen. In dem Intervall mit einem zu versteuernden Einkommen von 300 000 Euro und unter 501 462 Euro befinden sich 70 000 Ehepaare, von denen auch noch ein Teil von der hier skizzierten Problematik betroffen sein dürfte.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Die drei die Bundesregierung tragenden Parteien hatten in ihren jeweiligen Wahlprogrammen Entlastungen im Bereich der Einkommensteuer vorgesehen.15 Letztlich konnten sich die politischen Beteiligten in den Koalitionsverhandlungen allein darauf einigen, in den Koalitionsvertrag eine Entlastung beim Solidaritätszuschlag aufzunehmen.16 Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung, der wie im Koalitionsvertrag vorgesehen dazu führt, dass 90 % derjenigen, die durch den Solidaritätszuschlag belastet werden, ihn ab 2021 nicht mehr zahlen, liegt vor. Es zeigt sich dabei, dass im Bereich der Ehegattenbesteuerung verfassungsrechtliche Probleme auftreten.
Aufgrund der drastischen Erhöhung der Freigrenze von 972 Euro auf 16 956 Euro17 ergibt sich für Ehepaare, bei denen beide mit ihrem zu versteuernden Einkommen im Bereich der ersten Zone mit einem konstanten Grenzsteuersatz von 42 % liegen, bei der Einkommensteuer kein Belastungsunterschied zwischen getrennter und gemeinsamer Veranlagung. Sehr wohl unterscheidet sich aber die Steuerbelastung beim Solidaritätszuschlag in Abhängigkeit davon, ob die getrennte oder die gemeinsame Veranlagung gewählt wird. Unter Einbeziehung des Solidaritätszuschlags ist die getrennte Veranlagung oftmals im Vergleich zur gemeinsamen Veranlagung mit einer geringeren Steuerbelastung verbunden. Die Steuerminderung durch die getrennte Veranlagung kann mehr als 900 Euro im Jahr betragen. Es gibt somit einen finanziellen Druck, die getrennte Veranlagung zu wählen. Dies ist für sich genommen nicht problematisch, da die obersten Bundesgerichte in ihren Entscheidungen zur Ehegattenbesteuerung allein eine Bevorzugung der Individualbesteuerung gegenüber der gemeinsamen Veranlagung als nicht mit der Verfassung vereinbar angesehen haben. Problematisch ist aber, dass im Fall der getrennten Veranlagung Ehepaare mit gleich hohem zu versteuernden Einkommen, aber unterschiedlichen Beiträgen zu diesem, unterschiedlich besteuert werden. Dies ist verfassungswidrig, denn nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs darf sich die Zusammensetzung des gemeinsamen zu versteuernden Einkommens, gleiche Höhe unterstellt, nicht auf die Höhe der Steuerbelastung auswirken.18
Sollen tatsächlich nur Steuerzahler mit einem zu versteuernden Einkommen von rund 60 000 Euro vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet werden, so könnte eine Lösung darin bestehen, statt allein die Freigrenze deutlich zu erhöhen, diese zudem noch in einen Freibetrag umzuwandeln. Um die Mindereinnahmen zu begrenzen und ein ähnliches Aufkommen wie im Gesetzentwurf zu erzielen, müsste der Steuersatz nach Berechnungen des Ifo-Instituts auf 6,66 % erhöht werden.19 Durch diese Reform des Solidaritätszuschlags wäre das hier skizzierte Problem bei der Ehegattenbesteuerung gelöst. Eine andere verfassungsrechtlich unproblematische Lösung könnte darin bestehen, den Solidaritätszuschlag vollständig abzubauen und im Gegenzug den Einkommensteuertarif entsprechend anzupassen.20 Der Spitzensteuersatz würde dann nicht mehr 45 % betragen, sondern bei 47,5 % liegen. Diese Lösung würde zu Veränderungen in der Finanzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften21 und der Belastung der Steuerzahler22 führen, was aus politischer Sicht als problematisch gelten kann; doch diese Probleme wären nicht verfassungsrechtlicher Art wie beim aktuellen Vorschlag zur Reform des Solidaritätszuschlags.
- 1 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995, Bundesrat Drucksache 396/19 vom 30.8.2019.
- 2 CDU, CSU, SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für Europa, Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD, 2018, S. 12, http://hbfm.link/3173 (22.8.2019).
- 3 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen siehe auch: Deutscher Bundestag: Wortprotokoll der 14. Sitzung des Finanzausschusses vom 27. Juni 2018, Protokoll-Nr. 19/14, 2019, S. 24.
- 4 Von den rund 850 000 Einzelunternehmen mit positivem Steuermessbetrag liegt bei 84,7 % der Gewerbeertrag bei maximal 100 000 Euro; vgl. Statistisches Bundesamt: Fachserie 14, Reihe 10.2, Wiesbaden 2018, S. 19. Bis zu diesem Wert ergibt sich zumindest eine teilweise Entlastung durch die Reform des Solidaritätszuschlags.
- 5 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2018/19, Stuttgart 2018, S. 302, S. 316.
- 6 Vgl. M. Broer: Mindert die Steuer- und Abgabenpolitik der Großen Koalition die Ausweitung der Erwerbstätigkeit?, in: Betriebs-Berater, 73. Jg. (2018), H. 19, S. 1058-1062.
- 7 Vgl. Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 17.1.1957, 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, RZ 82, https://opinioiuris.de/entscheidung/851 (26.8.2019); sowie Bundesfinanzhof: Urteil vom 2.4.1957, I 335/56 U, RZ 11, https://research.wolterskluwer-online.de/document/14f3d336-2d01-47ce-87ab-f4adc3964f48 (26.8.2019).
- 8 Der Vorteil der Spezialisierung als Folge unterschiedlicher Opportunitätskosten kann grundlegenden Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre entnommen werden, vgl. z. B. G. Mankiw: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5. Aufl., Stuttgart 2012, Kapitel 3.
- 9 Bundesfinanzhof: Urteil vom 2.4.1957, a. a. O.
- 10 Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 17.1.1957, a. a. O.
- 11 Zur formalen Darstellung der Anforderung des Bundesverfassungsverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs siehe auch S. Homburg: Allgemeinde Steuerlehre, München 2015, 7. Aufl., S. 81 ff.
- 12 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995, a. a, O., S. 1.
- 13 Für die folgenden Berechnungen wird der Tarif 2019 verwendet.
- 14 Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Datensammlung zur Steuerpolitik 2018, Berlin 2019, S. 46.
- 15 Vgl. CDU, CSU: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Regierungsprogramm 2017 – 2021, S. 33; vgl. SPD: Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken. Das Regierungsprogramm 2017 bis 2021, S. 38-40.
- 16 Vgl. CDU, CSU, SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa, a. a. O.
- 17 Bei gemeinsamer Veranlagung verdoppeln sich jeweils die Beträge.
- 18 Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 17.1.1957, a. a. O.; sowie Bundesfinanzhof: Urteil vom 2.4.1957, a. a. O.
- 19 Vgl. M. Blömer et al.: Was bei einer Reform des Solidaritätszuschlags zu beachten ist, in: ifo Schnelldienst, 72. Jg. (2019), H. 16, S. 6 und 9 f.
- 20 So auch: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a. a. O., S. 317.
- 21 Während das Aufkommen des Solidaritätszuschlags allein dem Bund zusteht, würden Gemeinden und Länder von einer Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif profitieren. Vgl. M. Broer: Die Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommen- und Körperschaftsteuer, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 4, S. 269-273, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2015/4/die-integration-des-solidaritaetszuschlags-in-die-einkommen-und-koerperschaftsteuer/ (4.10.2019).
- 22 Vgl. C. Fuest et al.: Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 5, S. 319-324 https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2015/5/integration-des-solidaritaetszuschlags-in-die-einkommensteuer/ (4.10.2019); sowie S. Stöwhase, M. Teuber: Ist eine Integration des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif möglich?, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 12, S. 879-886, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2014/12/ist-eine-integration-des-solidaritaetszuschlags-in-den-einkommensteuertarif-moeglich/ (4.10.2019).