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Unter chinesischer Führung entstehen seit Jahren neue Straßen, Schienennetze, Häfen und Rohstoffpipelines, die von Ostchina bis Westeuropa reichen und auch Afrika einbeziehen. Das Infrastrukturprojekt ist geografisch und finanziell gigantisch. Seine wirtschaftliche und politische Tragweite verdeutlichen Beispiele. Chinas Initiative bietet Chancen für den internationalen Handel und – im besten Fall – für eine friedlichere Weltordnung. Sie geht aber auch mit erheblichen finanziellen und geopolitischen Risiken einher. Offiziell heißt Chinas gigantisches Infrastrukturprojekt OBOR – „One Belt One Road“ oder BRI – „Belt and Road Initiative“ und existiert seit 2013. Der „Gürtel“ umfasst sechs Landwege, die sogenannten Wirtschaftskorridore. Die „Straße“ steht für diverse Seeverbindungen (vgl. Abbildung 1).

Unstrittig ist, dass China mit der Initiative seine Handelsrouten und seinen wachsenden Energiebedarf sichern möchte: Seit 2017 importiert das Land z. B. mehr Rohöl als jedes andere. Davon müssen allein 80 % die Straße von Malakka passieren. Diese Route ist erstens ein gewaltiger Umweg über Südostasien. Zweitens könnten die USA und ihre Verbündeten die Durchfahrt im Konfliktfall sperren – aus chinesischer Sicht ein Albtraum.1 Weitere Ziele der Seidenstraße ergeben sich aus Xi Jinpings Gesamtstrategie, das Reich der Mitte bis 2049 zur politischen und technologischen Supermacht zu machen.2

Finanzierung und Projekte

Das gesamte Finanzvolumen der Initiative ist undurchsichtig, weil auch nationale und ältere Investitionen eingerechnet werden – z. B. moderne Hochgeschwindigkeitszüge nach Nordwest- und Südchina oder längst gebaute Pipelines wie die Gasleitung vom Kaspischen Meer in die nordwestchinesische Provinz Xinjiang aus dem Jahr 2009. Nach Regierungsangaben sollen insgesamt 900 Mrd. bis 1000 Mrd. US-$ in 71 Ländern investiert werden.3 Andere Schätzungen gehen von insgesamt 800 Mrd. US-$ und 100 beteiligten Ländern aus.4 Es könnten aber auch 50 Mrd. bis 100 Mrd. US-$ pro Jahr sein, was ebenfalls weit unter Chinas inländischen Infrastrukturausgaben läge. Sie werden mit 150 Mrd. US-$ monatlich (!) angesetzt.5 Wichtigste Geldgeber sind chinesische Regierungsfonds, eurasische Entwicklungsbanken und Staatsbanken der Volksrepublik.

  • Allein der Staatsfonds China Investment Corporation (CIC) ist mit rund 750 Mrd. US-$ ausgestattet. Sie stammen vor allem aus Devisenreserven, die rentabler als in US-Staatsanleihen investiert werden sollen.
  • Die Asean Infrastructure Investment Bank (AIIB) verfügt über 100 Mrd. US-$ Kapital. China hält hier eine Veto-Minorität von 26 %. Die USA und Japan sind außen vor.
  • Großkredite gewähren schließlich die China Development Bank (CDB) und die Export-Import Bank of China (Exim).

Europäische Geldgeber spielen bisher eine geringe Rolle.6

Beispielhafte Projekte sind:

  • Eine Straße wird Kashkar in Nordwestchina mit dem pakistanischen Gwadar verbinden. Der dortige Tiefseehafen soll bis 2022 ein wichtiger Frachtumschlagplatz sein und wäre militärisch nutzbar. Er liegt nicht nur verkehrsgünstig in der Nähe des Persischen Golfs, sondern verkürzt auch den Weg nach Ostafrika bzw. Europa durch das Rote Meer. China versprach allein für diesen Korridor 46 Mrd. US-$.7
  • Güterzüge sollen möglichst bald nur noch acht Tage von der Megacity Chongqing nach Duisburg brauchen. An der chinesisch-kasachischen Grenze gelten vereinfachte Zollformalitäten.8
  • Ein verkürzter Seeweg führt von Südchina über die Häfen Kiaukpyu in Myanmar und Hambantota in Sri Lanka nach Südosteuropa. Den griechischen Hafen Piräus betreibt China schon seit längerem über eine volkseigene Reederei.
  • Rohstoff-Pipelines entstehen von Zentralasien nach China und nach Europa. Nicht nur Kasachstan ist ein wichtiger Partner, sondern auch Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan. Denn China nimmt politisch motivierte Umwege der Leitungen in Kauf, anstatt sämtliche Energie auf dem kürzesten und einfachsten Weg über den kasachischen Korridor zu leiten. Die Volksrepublik gewinnt dadurch in den fünf Ex-Sowjetrepubliken viel Einfluss.9

Chancen für Handel und Weltordnung

Der internationale Handel profitiert von schnelleren Transportwegen, der wirtschaftlichen Entwicklung ärmerer Staaten und dem Abbau von Zollformalitäten. Im kasachisch-chinesischen Grenzort Korgas sollen z. B. der größte Trockenhafen der Welt, ein riesiges Logistikzentrum und eine Sonderwirtschaftszone mit letztlich 100 000 Menschen entstehen. Die dort praktizierte vereinfachte Grenzabfertigung beschleunigt den Eintritt in die Eurasian Economic Union (EEU). Diese Zollunion umfasst neben Russland, Weißrussland und Armenien auch Kasachstan.10

Befürworter der Seidenstraße argumentieren außerdem, dass Chinas Einsatz eine multipolare Weltordnung fördere. Tatsächlich fließen die Infrastrukturinvestitionen vor allem in unterentwickelte und fragile Staaten ohne nennenswerte Westbindung. Dies gilt umso mehr, je freundlicher die lokale Bevölkerung China gesonnen ist. Die Partnerregierungen müssen auch nicht zwingend schwach sein. In Pakistan z. B. befürwortet eine überragende Bevölkerungsmehrheit engere Beziehungen zum Reich der Mitte. China hat hier bereits 60 Mrd. US-$ investiert, unter anderem in Pipelines, Kraftwerke und Windfarmen. In der Währungskrise 2018 erhielt das Land von China 1 Mrd. US-$ Kredit. Gleichwohl lehnte die Atommacht Pakistan den Bau des Diamer-Basha-Damms wegen inakzeptabler chinesischer Konditionen ab. Auch der Versuch, den Yuan Renminbi in Gwadars Freihandelszone einzuführen, scheiterte.11

Finanzielle und geopolitische Risiken

Gegen die Neue Seidenstraße sprechen ihre fragwürdige Rentabilität für China und die Partnerländer sowie erhebliche sicherheitspolitische Bedenken der USA und ihrer Verbündeten. Einige Beispiele dafür, dass Chinas Kapital in politisch instabilen und unwirtlichen Regionen oft versickern dürfte:

  • Allein im wichtigen Partnerland Pakistan könnten schätzungsweise 80 % der Gesamtinvestitionen verloren gehen. Das liegt nicht nur an Bestechungsgeldern für pakistanische Regierungsvertreter und am schwierigen Gelände. Auch drohen Terror gegen chinesische Arbeitskräfte, Aufstände in Gwadars Heimatprovinz Belutschistan und Konflikte mit Indien um Kaschmir. Durch diese umstrittene Gebirgsregion führt der chinesisch-pakistanische Korridor.12
  • Im chinesisch-kasachischen Korgas müssen alle Container auf die schmalere russische Spurweite umgeladen werden. Im Winter herrschen dort bis zu -20° C, im Sommer über 40° C. Bisher leben erst 1200 Menschen vor Ort – statt der angestrebten 100 000. Er ist zu allem Überfluss maximal von sämtlichen Weltmeeren entfernt.13 Insgesamt schlechte Voraussetzungen, um aus Korgas ein Logistikdrehkreuz von Weltgeltung zu machen.
  • Der Hafen im srilankischen Hambantota gilt schon jetzt als Flop. Er ist bisher völlig unausgelastet und die chinesische Marine darf ihn nicht gegen Indiens Willen nutzen.14
  • In Myanmar gerieten Projekte aus politischen Gründen ins Stocken. Die ansässige Bevölkerung hegt schon lange Ressentiments gegen chinesische Investitionen. Seit eine autoritäre durch eine volksnähere Regierung ersetzt wurde, spielt diese Abneigung eine gewisse Rolle. Daneben sucht die aktuelle Regierung größere politische Nähe zu den USA.15

Für Chinas Partnerländer liegen erhebliche finanzielle und politische Risiken in einer möglichen Überschuldung und der gebundenen Entwicklungshilfe. In Sri Lanka z. B. erhielt die Volksrepublik für 99 Jahre die Nutzungsrechte am geplanten Tiefseehafen Hambantota, nachdem die dortige Regierung in Zahlungsschwierigkeiten geraten war.16 Häufig sind chinesische Kredite auch daran geknüpft, dass Firmen und Arbeiter der Volksrepublik zum Einsatz kommen.17 Dass China insbesondere in Afrika „Land Grabbing“ betreibe, ist dagegen eine verbreitete Annahme, die empirisch seit Längerem umstritten ist.18

Abbildung 1
Die Neue Seidenstraße
Die Neue Seidenstraße

Anmerkung: Geografisch umfasst die Neue Seidenstraße fast ganz Eurasien und viele Länder an Afrikas Ost- und Westküste. Schwerpunkte liegen in Staaten, die vom Westen bisher gemieden oder vernachlässigt wurden. Vieles befindet sich zwar erst in Planung oder im Bau: Der nördlichste Wirtschaftskorridor verläuft von Nordostchina durch die Mongolei und Russland nach Westeuropa. Die Hauptachse passiert südlich davon Kasachstan. Von Nordwestchina führt eine Trasse über Kirgistan, Usbekistan, den Iran und die Türkei nach Griechenland. Von Westchina soll es durch Pakistan ebenfalls in den Iran gehen. Südchina wird über Myanmar und Bangladesch mit dem Indischen Ozean verbunden. Eine Südroute erstreckt sich durch Vietnam, Laos, Thailand und Malaysia bis nach Indonesien und Singapur. Die Maritime Seidenstraße soll außerdem zahlreiche afrikanische Häfen integrieren (F. Sieren: Zukunft? China! Wie die neue Supermacht unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert, München 2018, S. 205).

Quelle: Mercator Institute for China Studies (MERICS): The Belt and Road Initiative creates a global infrastructure network, https://www.merics.org/sites/default/files/2018-06/MERICS_Silk_Road_v8.jpg (20.11.2019).

Chinas Einfluss auf seine Partnerländer wird zweifellos wachsen. Das birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Die EU etwa ist in puncto Menschenrechtsverletzungen tief gespalten, seit Mitglieder wie Ungarn oder Griechenland intensiv mit der Volksrepublik kooperieren.19 Die USA und ihre asiatischen Alliierten fürchten zuvorderst Chinas militärische Expansion: Viele Hafenprojekte der Neuen Seidenstraße liegen strategisch günstig und ließen sich theoretisch mit Kriegsschiffen nutzen. Im Südchinesischen Meer kollidieren Chinas Rüstungsanstrengungen sogar direkt mit der traditionellen Eindämmungspolitik der USA und den territorialen Ansprüchen Vietnams, Malaysias, der Philippinen und Taiwans.20 Erfahrene Außenpolitiker warnen längst vor einer Eskalation.21

Fazit – Neue Seidenstraße

Die Neue Seidenstraße ist ein ehrgeiziges Projekt mit großen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Im Idealfall wird es den internationalen Handel fördern und friedlich zu einer multipolaren Weltordnung beitragen. Rein wirtschaftlich könnte sich die Initiative für China und seine Partner allerdings oft als unrentabel erweisen. Ihren politisch-kulturellen Einfluss dürfte die Volksrepublik in jedem Fall stärker ausdehnen, als es westlichen Demokratien lieb sein kann. Der Erfolg der Belt and Road Initiative hängt daher auch von der wirtschaftlichen und politischen Reaktion der USA und ihrer Verbündeten ab.

  • 1 Vgl. R. Fitzthum: China verstehen. Vom Aufstieg zur Wirtschaftsmacht und der Eindämmungspolitik der USA, Wien 2018, S. 42 f.
  • 2 Vgl. T. Miller: China’s asian dream. Empire building along the new silk road, London 2017, S. 17.
  • 3 Vgl. ebenda, S. 207 f. und S. 228.
  • 4 Vgl. W. Zhang, I. Alon, C. Lattemann (Hrsg.): China’s belt and road initiative. Changing the rules of globalization, Cham 2018, S. 2; W. D. Hartmann, W. Maennig, R. Wang: Chinas neue Seidenstraße. Kooperation statt Isolation – der Rollentausch im Welthandel, 2. Aufl., Frankfurt 2018, S. 159.
  • 5 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 49.
  • 6 Vgl. R. Fitzthum, a. a. O., S. 40 f.; T. Miller, a. a. O., S. 35 ff.; F. Sieren, a. a. O., S. 211.
  • 7 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 15; F. Sieren, a. a. O., S. 249.
  • 8 Vgl. F. Sieren, a. a. O., S. 206; T. Miller, a. a. O., S. 65 ff.
  • 9 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 73 ff.
  • 10 Vgl. F. Sieren, a. a. O., S. 209; T. Miller, a. a. O., S. 67.
  • 11 Vgl. F. Sieren, a. a. O., S. 249 ff.
  • 12 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 176 ff.; R. Fitzthum, a. a. O., S. 43 f.
  • 13 Vgl. F. Sieren, a. a. O., S. 209.
  • 14 Vgl. o. V.: Banyan – Chinese investment in infrastructure is often a diplomatic trap, in: The Economist vom 2.2.2019, S. 46.
  • 15 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 92 und S. 132.
  • 16 Vgl. N. Odenthal, T. Reichart: Die neue Seidenstraße – Chinas Griff nach Westen (1), ZDF, 2.1.2019.
  • 17 Vgl. o. V.: Briefing China’s Belt and Road Initiative, in: The Economist vom 28.7.2018, S. 15 f.
  • 18 Vgl. D. Brautigam: Will Africa feed China?, Oxford 2015.
  • 19 Vgl. Briefing China’s Belt and Road Initiative, a. a. O.
  • 20 Vgl. T. Miller, a. a. O., S. 201 ff.
  • 21 Vgl. H. Kissinger: China. Zwischen Tradition und Herausforderung, München 2011, S. 540 ff.


DOI: 10.1007/s10273-019-2544-3

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