Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Das sagen Justiz- und Verbraucherschutzministerin Katarina Barley und Innen- und Heimatminister Horst Seehofer gleichermaßen. Und beide treffen damit den Nerv vieler mittlerweile verzweifelter Wohnungssuchender, die sich in den deutschen Ballungsräumen ein neues Dach über dem Kopf wünschen. Dabei sind es meist Haushalte der unteren Einkommensschichten, die in die Städte ziehen und sich immer häufiger vergeblich in die Schlangen vor den begehrten Wohnungen einreihen. Im Erfolgsfall wachsen vielen die Kosten des Wohnens zu allem Unglück auch noch über den Kopf. Eine aktuelle Untersuchung auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zeigt, dass die Wohnkostenbelastung bei der unteren Hälfte der Einkommensbezieher seit Beginn der 1990er Jahre erheblich gestiegen ist. Bei den einkommensschwächsten 20 % betragen die Wohnkosten im Durchschnitt fast zwei Fünftel der Einkommen – Tendenz steigend. Und auch bei den unteren 40 % ist die Belastung erheblich, auf nun gut ein Viertel des verfügbaren Einkommens gestiegen. All dies drückt auf die Kaufkraft, die Konsummöglichkeiten und die Ersparnisbildung – unterm Strich verstärkt auch auf das Gerechtigkeitsempfinden. Denn die oberen 20 % profitieren erheblich vom niedrigen Zinsniveau bei der Finanzierung von Immobilieninvestitionen, was die Wohnkostenbelastung der oberen Bevölkerungsschicht reduziert hat.
Die Politik versucht auf diese Herausforderungen Antworten zu geben, allerdings mit zweifelhaften Erfolgsaussichten: Die Mietpreisbremse ist zwar nicht der politische Fehlschuss, zu dem sie gerne erklärt wird. Immerhin hat sie den Mietenanstieg etwas gedämpft – dies wird in der Gesamtschau aller empirischen Untersuchungen hierzu deutlich. Allerdings kann sie nicht verhindern, dass Wohnraum knapp bleibt und der Wohnungsmarkteintritt für zuziehende Haushalte gerade in den unteren Einkommensschichten schwieriger wird. Die Regulierung hilft tendenziell mittleren Einkommensbeziehern, deren Bonität gegenüber den oberen Einkommensschichten nicht zu sehr abfällt. Daher erlebt der soziale Wohnungsbau ein Comeback im politischen Instrumentenkasten. In diesem Bereich gab es in den vergangenen 20 Jahren eine sehr ungünstige Entwicklung: Mittlerweile reichen die zusätzlichen Kompensationsmittel des Bundes für diesen Zweck gerade einmal aus, um den weiteren Rückgang des Wohnungsbestands mit Sozialbindung aufzuhalten. Derzeit gibt es kaum mehr 1,5 Mio. Sozialwohnungen in Deutschland – Mitte der 1990er Jahre waren es noch 3,5 Mio. Die Fördermittel finden zudem alles andere als reißenden Absatz. Denn eine substanzielle Ausweitung der Objektförderung steht in Konkurrenz mit dem frei finanzierten Wohnungsbau, dessen Subventionierung im Rahmen von Sonderabschreibungen geplant ist. In Ballungsräumen können sich die Eigentümer der knappen Bauflächen daher ebenso kaum vor Investoren retten, wie Vermieter vor Mietinteressenten. Im Ergebnis steigen nicht nur die Wohnungsmieten, sondern auch die Preise für Bauleistungen und für Bauland erheblich, weil Baukapazitäten ausgelastet und Bauflächen knapp sind. Ein großer Teil zusätzlicher, kurzfristig bereitgestellter Fördergelder würde daher verpuffen.
Kräftig klopft man sich im Bundesinnenministerium für die Einführung des Baukindergelds auf die Schultern. Dies wird seit Oktober 2018 durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgereicht und steht allen Familien offen, deren zu versteuerndes Einkommen 75 000 Euro zuzüglich 15 000 Euro je minderjährigem Kind nicht übersteigt und die seit dem 1. Januar 2018 erstmalig selbstgenutztes Wohneigentum gebildet haben. Anfänglich hieß es, mit dem Baukindergeld sei ein kräftiger Impuls für den Wohnungsneubau verbunden. Die Kritik an diesem Instrument war aber heftig und zielte vor allem auf die Verteilungswirkungen und die offensichtlich hohen Mitnahmeeffekte ab, aber auch auf die räumliche Lenkungswirkung des Instruments. Schnell wuchs die Erkenntnis, dass mit der räumlich undifferenzierten Prämie vor allem dort der Eigentumserwerb attraktiver gemacht wurde, wo die Immobilienpreise gering sind: im ländlichen Raum! So haben die 12 000 Euro Förderung je Kind in einer Region, wo ein durchschnittliches Eigenheim 100 000 Euro kostet natürlich eine andere Wirkung, als in Städten, wo für dasselbe Häuschen der fünffache Preis aufgerufen wird. Die „Bleibeprämie für den ländlichen Raum“ war geboren und ersetzte das Narrativ der Neubauförderung. Die Idee: Wenn die Menschen im ländlichen Raum bleiben, dann entlastet dies die Städte und den Wohnungsmarkt dort. Erste Zahlen zu den Förderanträgen stützen diese Erwartung. Vor allem im weniger dicht besiedelten Raum wird die Prämie gut angenommen. Etwa 10 Mrd. Euro wird dies aller Voraussicht nach kosten.
Richtig ist, dass die Binnenmigration einen erheblichen Anteil an der Wohnungsmarktmisere hat. Die unerwartete Renaissance der großen Städte ist ein Phänomen, das bereits Mitte der 2000er Jahre einsetzte. Ein Grund ist, dass die Kosten des Wohnens in den Städten damals vergleichsweise niedrig waren – ein zweiter, dass die Tertiärisierung zu einem starken Anstieg der Dienstleistungsberufe geführt hat. Im Sog des stark wachsenden Dienstleistungssektors wurden viele Menschen in die Städte gezogen, denn dort werden in erster Linie diese Berufe nachgefragt. Ein dritter Grund ist, dass die Chancen und Teilhabemöglichkeiten räumlich ungleich verteilt sind. Während die Bewohner in Städten überwiegend von einer sich globalisierenden Welt profitieren, verlieren ländliche Räume immer mehr den Anschluss. Dies veranlasst Menschen, in die Ballungsräume zu ziehen. Diesen Trend umzukehren ist bei gegebener Infrastruktur schwierig: Die Angebote in den Städten locken zu sehr und der ländliche Raum hat in den vergangenen Jahren zu stark an Attraktivität verloren. Schnelles Internet, kulturelle Angebote, Bildungsinfrastruktur – all das ist in urbanen Regionen wesentlich besser ausgebaut. Menschen ziehen also aus individuellen Gründen in die Städte. Diese künstlich aus den Städten fernzuhalten, ist aber auch gesamtwirtschaftlich betrachtet keine gute Idee. Sie gehen in den Städten produktiveren Beschäftigungen nach, die eine höhere Wertschöpfung generieren. Diese Wachstumspotenziale mit einer Bleibeprämie wie dem Baukindergeld zu bremsen, scheint kontraproduktiv und wenig nachhaltig.
Das bedeutet aber nicht, dass der ländliche Raum aufgegeben werden sollte und sich alles Leben zukünftig in Städten abspielen wird. Ganz im Gegenteil – es kommt darauf an, die Verflechtungen zwischen Städten und ihrem Umland zu intensivieren, eine effiziente Nahverkehrsinfrastruktur bereitzustellen und – wichtiger noch – die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Denn wer sagt denn, dass Ballungsvorteile immer nur dann zum Tragen kommen, wenn Menschen sich physisch begegnen? Dienstleistungen können in vielen Fällen genauso gut aus der Ferne erbracht werden, wenn die Kommunikation reibungslos und die Anbindung im Zweifel gut ist. Die Versorgung auf dem Land kann besser und günstiger sein als heute, wenn moderne Kommunikationswege für Dienstleister und eine digitale Verwaltung vorhanden sind. So würden auch die Regionen der Peripherie an Bedeutung gewinnen und den Druck von städtischen Wohnungsmärkten nehmen, ohne dass Haushalte mit Prämien von ihrer Region überzeugt werden müssten. Notwendig hierfür wäre eine breit angelegte Investitionsoffensive für eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, im Bereich schneller Netze und im Bereich digitaler und öffentlicher Dienstleistungen. Hier wären die hohen Beträge des Baukindergelds besser angelegt gewesen. Stattdessen gibt es nun angesichts der begrenzten Haushaltsmittel eine Debatte über die Schuldenbremse und darüber, ob wirklich jede Milchkanne mit schnellem Mobilfunk erreichbar sein muss.