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Dieser Beitrag ist Teil von Baugewerbe in stürmischen Zeiten

Schon vor Ausbruch der Coronapandemie Anfang 2020 war die Frage nach der ausreichenden Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums ein heißes politisches Thema. 2018 bezifferten Holm et al. (2018) den ungedeckten Bedarf an bezahlbaren Wohnungen auf 1,9 Mio., Baldenius et al. (2020) sprachen gar von einer „neuen Wohnungsfrage“ in Referenz auf Friedrich Engels Beschreibung des Elends der Stadtbevölkerungen im deutschen Gründerboom. Als Reaktion hat sich die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP im Koalitionsvertrag (2021, 69) zum Ziel gesetzt, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen, fertigzustellen.

Mit der russischen Invasion in die Ukraine und dem folgenden Emporschießen von Inflation und Zinsen hat sich die mittelfristige Lage noch einmal verschärft: Auf der einen Seite deuten viele Indikatoren darauf hin, dass der private Wohnungsbau anhand gestiegener Preise und massiv höherer Finanzierungskosten absehbar schwächeln wird. Zugleich muss von einer spürbar höheren Wohnungsnachfrage ausgegangen werden. Derzeit leben rund 1 Mio. geflüchtete Ukrainer:innen in Deutschland, von denen zumindest ein Teil auch längerfristig im Land bleiben dürfte und Wohnraum braucht. Insgesamt geht die 2022 veröffentlichte 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung nun in ihrem mittleren Szenario für 2030 von einer Wohnbevölkerung in Deutschland von 85,2 Mio. aus (Destatis, 2022a), 1,8 Mio. mehr als noch in der 14. koordinierten Vorausberechnung projiziert (Destatis, 2019).

Absehbare Entwicklung im Wohnungsbau

Die aktuelle Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt und in der Baubranche zeigt, dass das Ziel der Ampelregierung, pro Jahr 400.000 Wohnungen fertigzustellen, in absehbarer Zeit nicht realisierbar ist. Im Gegensatz zu der Überauslastung in den vergangenen Jahren kämpft das Baugewerbe nun zunehmend mit steigenden Zinsen, extrem hohen Materialkosten und Lieferengpässen und dem daraus resultierenden Rückgang an Auftragseingängen. So sind die Auftragseingänge im Wohnungsbau von März bis Oktober 2022 um 32 % zurückgegangen und erreichten damit den tiefsten Stand seit Dezember 2016 (vgl. Abbildung 1). Auch die Zahl neu genehmigter Wohnungen in Deutschland war in den vergangenen Monaten niedriger als in den Vorjahresmonaten. So wurde von Januar bis Oktober 2022 der Bau von insgesamt 297.453 Wohnungen genehmigt, was einem Rückgang von 4,7 % verglichen mit 2021 entspricht (Destatis, 2022c).

Abbildung 1
Auftragseingänge im Wohnungsbau in Deutschland

saisonbereinigt, 2015=100

Auftragseingänge im Wohnungsbau in Deutschland

Quelle: Macrobond, Bundesbank.

Genehmigt bedeutet jedoch noch lange nicht gebaut. Die Baukosten sind in den vergangenen Monaten regelrecht explodiert, was neben massiven Lieferschwierigkeiten bei Baumaterialien, großem Fachkräftemangel und hohen Energiepreisen die Kluft zwischen Baugenehmigungen und Baufertigstellungen noch weiter verstärken wird. So sind im August 2022 die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 16,5 % gestiegen. Einen ähnlichen Preiszuwachs weisen die Rohbauarbeiten mit 15,5 % für denselben Vergleichszeitraum auf (Destatis, 2022b). Viele Projekte lassen sich so nicht mehr mit den ursprünglich projizierten Kosten realisieren und ein Teil dürfte damit ganz gestrichen werden. Somit ist zu erwarten, dass der Bauüberhang, die Differenz zwischen genehmigten und fertiggestellten Wohnungen, von 846.467 Einheiten bis Ende 2021 in den Folgejahren noch weiter zunehmen wird.

Das Niedrigzinsumfeld der vergangenen Jahre hat wesentlich zu der hohen Nachfrage nach Wohnimmobilien und somit auch der steigenden Bautätigkeit beigetragen. Seit Juli 2022 hat die EZB als Reaktion auf die hohe gemessene Teuerung den Leitzins kontinuierlich angehoben. Mit der letzten Zinserhöhung am 21.12.2022 auf 2,5 % wurde erstmalig wieder das Niveau von Dezember 2008 erreicht. Die Zinsen für Bau- und Immobilienkredite haben sich dazu nahezu proportional entwickelt. Bis Ende 2021 lag der Zinssatz für Kredite mit zehnjähriger Kreditbindung noch bei unter 1 %, ein Jahr später fordern Banken bereits einen Kreditzins von über 3,5 %. Dies wird auch in den nächsten Monaten zu weiter sinkenden Auftragseingängen führen und die Bauaktivität damit weiter dämpfen. Das ifo-Geschäftsklima für das Baugewerbe ist so seit März 2022 deutlich ins Negative und im vierten Quartal auf den tiefsten Stand seit der Finanzkrise 2008/2009 gefallen (ifo Institut, 2022).

Kapazitätsauslastung im Wohnungsbau

Auch wenn die Immobilienpreise im dritten Quartal 2022 nahezu stagnierten, bewegen sie sich weiterhin auf einem hohen Niveau, was in normalen Zeiten positive Impulse für den Wohnungsbau geben kann. Die aktuellen Probleme bremsen die Bautätigkeit jedoch erheblich, was zunehmend zu einer Unterauslastung der Baukapazitäten führt. Berechnungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR, 2022) zeigen, dass im vierten Quartal 2022 die Kapazitätsauslastung im Baugewerbe deutlich auf 70 % gesunken ist. Dies entspricht einem Rückgang von 4 Prozentpunkten verglichen mit dem zweiten Quartal 2022 und einem Rückgang von fast 7 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahresquartal. Zuletzt wurde dieses Niveau 2010 unterschritten. Ähnliche Rückgänge lassen sich für das Bauhauptgewerbe beobachten. Die zuletzt stark gesunkenen Auftragseingänge im Wohnungsbau und die rückläufige Zahl neu genehmigter Wohnungen dämpfen insbesondere den Neubau von Wohnungen und damit auch das Bauhauptgewerbe. Dort sank die Kapazitätsauslastung im vierten Quartal noch stärker auf 68,2 % und damit um fast 6 Prozentpunkte verglichen mit dem zweiten Quartal 2022. Ein derart niedriges Auslastungsniveau wurde zuletzt im vierten Quartal 2010 mit 67,1 % erreicht. Dem gegenüber fiel der Rückgang im Ausbaugewerbe mit 1 Prozentpunkt für denselben Vergleichszeitraum deutlich geringer aus. Die explodierenden Energiekosten führten zu einer hohen Nachfrage nach energetischen Gebäudesanierungen.

Der Bau neuer Wohnimmobilien dauert eine gewisse Zeit, sodass die Bauwirtschaft noch eine Weile damit beschäftigt sein wird, die Aufträge der vergangenen Monate abzuarbeiten. Die auf absehbare Zeit auf hohem Niveau bleibenden Finanzierungs- und Baukosten und die damit einhergehende gedämpfte Nachfrage werden jedoch die Auftragsbücher der Bauwirtschaft weiter leeren. Somit ist zu erwarten, dass sich dieser negative Trend in der Kapazitätsauslastung im Wohnungsbau in den nächsten Monaten fortsetzen wird, wenn die Regierung nicht mit gezielten Maßnahmen gegensteuert.

Rolle des öffentlichen Wohnungsbaus und geeignete Instrumente

Schon seit längerem wird argumentiert, dass der öffentliche Wohnungsbau ein zielführendes Instrument sei, um die Versorgungslücke mit bezahlbarem Wohnraum zu schließen. Dullien und Krebs (2020) führen etwa an, dass übliche Versuche, bezahlbaren Wohnraum über Auflagen für private Bauherren zu schaffen, oftmals aufgrund von Informationsasymmetrien und unvollständiger Verträge nicht zielführend seien. Das Resultat sei deshalb oft der Bau von zu vielen Luxuswohnungen und zu wenigen bezahlbaren Familienwohnungen ebenso wie eine Segregation von sozialen Gruppen mit negativen Folgen für Bildungserfolge, Integration und Wirtschaftswachstum. Öffentlicher Wohnungsbau, der im Gegensatz zu sozialem Wohnungsbau Wohnraum nicht nur für Haushalte mit geringen Einkommen bereitstellt, kann laut Dullien und Krebs sozial ausgewogene Quartiere schaffen und mit einem Fokus auf Wohnungen unterhalb des Luxussegments mehr bezahlbare Wohnungen mit dem gleichen Bauland schaffen. Gleichzeitig können große öffentliche Wohnungsbauunternehmen in einzelnen Märkten preisstabilisierend wirken.

Als Argument gegen verstärkten öffentlichen Wohnungsbau wurde während des Baubooms bis zur russischen Ukraine-Invasion gelegentlich vorgebracht, dass dieser in Zeiten weitgehend ausgelasteter Kapazitäten in der Bauwirtschaft und mangelndem Grundstücksangebot in angespannten Wohnungsmärkten in erster Linie die Preise treiben würde und daher der positive Effekt auf den Mietmarkt kleiner sei als erhofft. Mit dem sich nun abzeichnenden rapiden Rückgang des privaten Wohnungsbaus und der Unterauslastung der Baukapazitäten trägt dieses Argument nun nicht mehr.

Als Instrumente für verstärkten öffentlichen Wohnungsbau schlagen Dullien und Krebs (2020) vor, dass der Bund über eine dreisäulige Initiative „Zukunft Wohnen“ die Länder und Kommunen in den drei Bereichen Planung, Finanzierung und Steuerung unterstützt, und zwar konkret:

  • Eine Beratungsgesellschaft, die kommunale Verwaltungen bei der Planung und Entwicklung von Wohn- und Stadtteilprojekten unterstützt. Hier würde sich ein Ausbau der bereits existierenden Beratungsgesellschaft „Partnerschaft Deutschland“ anbieten.
  • Ein Bodenfonds, der die Kommunen dabei unterstützt, das öffentliche Eigentum an Grund und Boden auszuweiten.
  • Ein Beteiligungsfonds, der sich als Minderheitsgesellschafter an öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften beteiligt und so deren Eigenkapitalbasis stärkt, mit dem Ziel, die Bauaktivität zu erhöhen.

Dabei sollen Boden- und Beteiligungsfonds über eine Kreditaufnahme des Bundes finanziert werden, die die Natur einer „finanziellen Transaktion“ hätte und deswegen schuldenbremsenneutral wäre.

Seit 2020 sind dabei von der Bundespolitik bereits erste Weichen in Richtung eines stärkeren Engagements des Bundes in der Unterstützung des öffentlichen Wohnungsbaus gestellt worden. So bietet die Partnerschaft Deutschland nun verstärkt Beratungen zum öffentlichen Wohnungsbau an. Der Koalitionsvertrag sieht außerdem vor, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA) „mehr Freiheiten [zu] verschaffen und ihr die Aufnahme von Krediten [zu] ermöglichen“ (SPD et al., 2021, 69), um der BimA eigene Investitionen und die Unterstützung kommunalen Bauens zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Das absehbare Absacken der Wohnungsbauaktivität und die damit einhergehende Unterauslastung der Kapazitäten in der Baubranche wäre jetzt eine gute Gelegenheit, diese Vorhaben weiter voranzutreiben.

Zusätzlich zu den von Dullien und Krebs vorgeschlagenen Instrumenten würde sich derzeit auch eine Aufstockung und Ausweitung von KfW-Programmen zum Wohnungsbau anbieten. Zuletzt war wiederholt vermeldet worden, dass auch sozial orientierte Wohnungsbauunternehmen derzeit ihre Neubautätigkeit einschränkten, weil angesichts gestiegener Zinsen und gestiegener Baupreise bei gegebenem Mietniveau ein kostendeckender Neubau von sozial gebundenen Wohnungen schwer umsetzbar sei. KfW-Programme, die die Finanzierungskosten für solche Bauvorhaben subventionieren, könnten hier den Neubau von Sozialwohnungen unterstützen, indem sie den Anstieg der Finanzierungskosten abfedern. In den Zeiten niedriger Zinsen hatten subventionierte Kredite nur begrenzte Attraktivität für Wohnungsbaugesellschaften, weil bei KfW-Programmen üblicherweise nur der Zins subventioniert wird und damit bei sehr niedrigen Kapitalmarktzinsen der mögliche positive Effekt begrenzt ist. Heute könnten Zinsen stärker subventioniert werden und dieses Instrument an Wirksamkeit gewinnen.

Dass damit der kommunale Wohnungsbau indirekt vom Bund subventioniert wird, sollte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht schrecken: Der sich abzeichnende Auftragsrückgang bei der Bauindustrie dürfte absehbar zu steigender Kurzarbeit, möglicherweise auch zu steigender Arbeitslosigkeit im Baugewerbe führen. Eine Stabilisierung der Bauaktivität durch subventionierten Wohnungsbau senkt die Kosten staatlicher Transfers. Diese Einsparungen senken die Nettokosten der Wohnungsbausubventionen und stärken das Argument für eine deutliche staatliche Wohnungsbauförderung zum aktuellen Zeitpunkt.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bundesregierung weit davon entfernt ist, ihr Ziel zu erreichen, dass in Deutschland 400.000 Wohnungen pro Jahr fertig gestellt werden. Gleichzeitig ist der Wohnungsbedarf gegenüber der Zeit des Koalitionsabschlusses noch einmal gestiegen. Die höheren Finanzierungskosten führen gleichzeitig zu einem absehbaren Rückgang der Bauaktivität besonders im Wohnungsbau und damit ungenutzten Kapazitäten. Eine schnelle Förderung des öffentlichen und sozialen Wohnungsbaus könnte helfen, diese Kapazitäten zu nutzen und würde einen Kapazitätsabbau in der Bauindustrie vorbeugen, der angesichts der großen Lücke zwischen Bedarf und Angebot bezahlbaren Wohnraums kontraproduktiv wäre. Wenn es einen guten Zeitpunkt für die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus gibt, dann ist es jetzt.

Literatur

Baldenius, T., S. Kohl und M. Schularick (2020), Die neue Wohnungsfrage: Gewinner und Verlierer des deutschen Immobilienbooms, Leviathan, 48(2), 195-236.

BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2022), Kapazitätsauslastung im Baugewerbe gesunken, Fachbeitrag vom 22.12.2022.

Destatis (2019), 14. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.

Destatis (2022a), 15. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.

Destatis (2022b), Baupreise für Wohngebäude im August 2022: +16,5 % gegenüber August 2021, Pressemitteilung, 422, 6. Oktober.

Destatis (2022c), Baugenehmigungen für Wohnungen im Oktober 2022: -14,2 % gegenüber Vorjahresmonat, Pressemitteilung, 541, 16. Dezember.

Dullien, S. und T. Krebs (2020), Wege aus der Wohnungskrise?, IMK Report, 156.

Holm, A., H. Lebuhn, D. Junker und K. Neitzel (2018), Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten, Working Paper Forschungsförderung, 063, Hans-Böckler-Stiftung.

ifo Institut (2022), Konjunkturumfragen im Dezember 2022.

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (2021), Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021-2025.

Title:Now is the Time for Increased Public Housing Construction

Abstract:The German construction industry is facing major challenges. Rising interest rates, high material costs and high energy prices have led to a sharp drop in orders and declining building permits. Consequently, capacity utilisation in the construction industry will fall while the shortage of affordable housing increases. This article proposes appropriate instruments for increased public housing construction. We recommend that the federal government supports the federal states and municipalities in the areas of planning, financing and controlling and increases and expands KfW-programmes.

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© Der/die Autor:in 2023

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