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Die Bedeutung von Staatsschulden und Fiskalpolitik werden wieder zunehmend diskutiert. Das betrifft sowohl die Politik selbst, die im Zeichen des sich ankündigenden konjunkturellen Abschwungs nach expansiven Spielräumen sucht, als auch die akademische Diskussion um die makroökonomischen Kosten und Wohlfahrtseffekte von Staatsschulden.

Der empirische Befund zeigt zunächst, dass die Staatsschulden weltweit fast ohne Ausnahme absolut und als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zum Teil deutlich gestiegen sind. Die globale Finanzkrise und deren Folgen hatten in den meisten Ländern zu einem kräftigen Anstieg der Staatsschulden geführt, vor allem durch Konjunkturprogramme und das Stützen angeschlagener Banken. Deutschland hat den Schuldenstand in den letzten Jahren aufgrund eines außergewöhnlich langen, durch Sonderfaktoren begünstigten Konjunkturaufschwungs mit entsprechend geringen Transfers sowie hohen Steuereinnahmen und niedrigen Zinskosten zurückführen können. Aktuell sind die Zinsen auf zehnjährige Bundesanleihen wieder kurzzeitig in den negativen Bereich gerutscht, was zuletzt Mitte 2016 der Fall gewesen ist. Im Zeitraum von 2008 bis 2018 sind die Schulden vieler Länder gestiegen (vgl. Abbildung 1). In der Eurozone hat die Staatsschuldenquote von 2008 bis 2018 um 14,5 Prozentpunkte auf knapp 85 % des BIP zugelegt. Im gleichen Zeitraum ist die Schuldenquote der großen Industrienationen (G7) um 27 Prozentpunkte auf rund 117 % gestiegen. Einen großen Anteil an diesem kräftigen Anstieg hatten die USA, deren Schuldenstand im entsprechenden Zeitraum um 31 Prozentpunkte auf über 100 % des BIP anstieg.

Abbildung 1
Schuldensprung als Folge der Finanzkrise
Schuldensprung als Folge der Finanzkrise

Quelle: Internationaler Währungsfonds.

Viele Länder der Eurozone stehen vor einer ganz anderen Situation als Deutschland. Sie haben weiterhin unter den finanziellen Folgen der Krise und zum Teil unter hausgemachten (wirtschafts-)politischen Problemen zu leiden. Besonders Italien steht im Fokus der Finanzmärkte. Seine Schuldenquote lag 2017 bei über 130 % des BIP. Obwohl Italien damit in Europa hinter Griechenland an zweiter Stelle steht, ist ein hoher Schuldenstand historisch betrachtet nicht ungewöhnlich. Seit 1990 ist die italienische Schuldenquote nur um etwa 15 Prozentpunkte gestiegen. Die Ursachen für die Probleme Italiens liegen unter anderem in zu geringem Wirtschaftswachstum aufgrund des ineffizienten Staatsapparats, häufig wechselnder Regierungen und einer geringen Arbeitsproduktivität. Verschärfend kommt hinzu, dass die italienischen Staatsschulden zu hohen Teilen in den nächsten drei Jahren fällig werden und refinanziert werden müssen (vgl. Abbildung 2). In Griechenland lagen die Staatsschulden kurz vor Ausbruch der globalen Finanzkrise bei „nur“ knapp über 100 % des BIP, aktuell sind es rund 180 % des BIP.

Abbildung 2
Fälligkeiten italienischer Staatsanleihen
Fälligkeiten italienischer Staatsanleihen

Quelle: Bloomberg.

Japan ist der Schulden-Spitzenreiter unter den Industrie­ländern. Die Staatsschulden beliefen sich 2017 auf über 230 % des BIP. Zumindest erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) in den nächsten Jahren keinen signifikanten Anstieg der Schuldenquote, sondern eine Stabilisierung bei rund 235 %. Finanziert wird die expansive Fiskalpolitik zum großen Teil durch Anleihekäufe der Bank of Japan. Die japanische Zentralbank hielt im Dezember 2017 gut 41 % der gesamten öffentlichen Verschuldung Japans. Die höheren Regierungsausgaben resultieren vor allem aus der alternden Bevölkerung und den Rüstungsausgaben, die aufgrund der Bedrohung aus Nordkorea gestiegen sind. Einige befürchten, Japan könne Vorreiter für Europa sein.

Die Schuldenquote der USA hat sich seit 2001 mehr als verdoppelt und liegt bereits über der Marke von 100 % des BIP – Tendenz: steigend. Allein 2017 belief sich das Haushaltsdefizit der USA auf 665 Mrd. US-$, 2018 stieg es weiter auf 779 Mrd. US-$. Und mit den steigenden US-Zinsen wird die Finanzierung der Schulden noch teurer. Donald Trumps Steuerreform dürfte die Staatseinnahmen sinken und das Defizit weiter steigen lassen. Die Verschuldung der Privathaushalte in den USA ist zwar rückläufig, aber mit nahezu 80 % des BIP auf immer noch hohem Niveau.

Auch China könnte ein Schuldenproblem bekommen. Die Schuldenquote des chinesischen Staates ist mit etwa 50 % unter den großen Volkswirtschaften zwar am niedrigsten, jedoch ist die Schuldenquote des Unternehmenssektors auf über 160 % des BIP angewachsen. Dies wird durch die lockere Kreditvergabe der Bank of China begünstigt. Im Jahr 2018 hat die Zentralbank die Kreditvergabe weiter erleichtert. Auch die Verschuldung der Privathaushalte nimmt mit hoher Geschwindigkeit zu. Innerhalb von zehn Jahren ist sie im Verhältnis zum BIP um etwa 30 Prozentpunkte auf knapp 50 % angewachsen.

Der IWF merkte im „World Economic Outlook“ im Oktober 2018 an, dass sich die Weltwirtschaft zehn Jahre nach der Krise neuen Herausforderungen gegenübersieht. Eine Verschärfung der Schuldensituation oder gar die Zuspitzung zu einer Staatsschuldenkrise droht nicht akut oder infolge eines einzelnen Faktors, jedoch ist die makroökonomische Konstellation aus verschiedenen Faktoren bedenklich, die die Schuldentragfähigkeit schnell herabsetzen könnten. Vor allem sind dies: ein stärkerer Konjunktur- und Wachstumseinbruch als derzeit erwartet, insbesondere durch ein Zusammenspiel der politischen Risiken, die aus einem No-Deal-Brexit und einer Verschärfung der Handelskonflikte resultieren; ein schnellerer und kräftigerer Zinsanstieg als erwartet; ein daraus entstehender Vertrauensverlust; eine drohende Ansteckung über eine Banken- und Währungskrise; steigende Auslandsschulden und Währungsabwertungen insbesondere bei den in US-Dollar verschuldeten Schwellenländern.

Insgesamt stellt sich die Frage, wie tragfähig die Staatsschulden bei Materialisierung aller dieser Risiken sind, und ob sie nicht dann selbst zu einem erheblichen Risikofaktor für eine globale Rezession werden könnten. Nicht nur die geldpolitischen, sondern auch die fiskalpolitischen Spielräume wären in einem globalen Abschwung sehr gering. Der Zins- und Schuldenzyklus hat sich vom eigentlichen Konjunkturzyklus teilweise entkoppelt. Am Beginn des Abschwungs sind die Schuldenstände hoch und die Zinsen bereits sehr niedrig. Hinzu kommt die konjunkturelle Entkopplung zwischen den USA und der Eurozone, die eine Koordination der Politiken zusätzlich erschweren dürfte.

Jüngst hat Olivier Blanchard auf der Jahrestagung der American Economic Association eine an sich alte Debatte über die Frage, wie hoch die Kosten einer höheren Staatsverschuldung in Zeiten niedriger Zinsen eigentlich seien, neu entfacht. Sein zentrales Argument lautet: Solange der Zinssatz r für sichere Anleihen niedriger sei als die Wachstumsrate, also r < g gelte, würden die Staatsschulden fortlaufend auf die Zukunft überwälzt werden können, da die Schuldenquote durch das höhere Wachstum nicht steige. Zukünftige Generationen würden daher in einem solchen Umfeld nicht übermäßig belastet, sondern den höheren öffentlichen Kapitalstock erben. Ein solches Argument stellt jedoch noch keine belastbare fiskalpolitische Regel dar. Denn sowohl der Zins als auch die Wachstumsrate dürften von der Höhe der Verschuldung abhängen, und zwar in dem Maße, wie eine zunehmende Verschuldung einerseits den Zins für sichere Anleihen erhöht und andererseits private Investitionen verdrängt, die maßgeblich das Potenzialwachstum bestimmen. In diesem Zusammenhang hat Larry Summers die Frage nach der Rolle der Fiskalpolitik in Zeiten einer möglichen säkularen Stagnation gestellt: Kann der Staat durch eigene (produktivitätssteigernde) öffentliche Investitionen das (Potenzial-)Wachstum selbst so stark erhöhen, dass die Schuldenquote nicht steigt? Zudem wurde die Modern Monetary Theory (MMT) zuletzt viel beachtet. Diese geht vereinfachend davon aus, dass die Geldpolitik quasi die Staatsverschuldung direkt und ohne Inflation und Verdrängung finanzieren und monetisieren könne, solange dadurch die reale Output-Lücke geschlossen werde.

Die Aktualität dieser Beiträge ist am Ende wohl einer besonderen Konstellation geschuldet, von der angenommen werden muss, dass sie nicht dauerhaft bestehen wird. Der bevorstehende globale Abschwung könnte schon bald das Vertrauen in die scheinbare Allmacht von Geld- und Fiskalpolitik, selbst für nachhaltiges Wachstum sorgen zu können, enttäuschen. Der Ausgangspunkt einer neuen Schuldenkrise könnte schon im kommenden Jahr in den USA liegen, wo die derzeitige Wirtschaftspolitik die Grenzen von Geld- und Fiskalpolitik aufzeigt.


DOI: 10.1007/s10273-019-2448-2