Die lang anhaltende positive konjunkturelle Lage hat auch zu einer Erholung der kommunalen Finanzen geführt. Diese Entwicklung verdeckt aber strukturelle Probleme. Die regionalen Relationen in der deutschen Wirtschaftsstruktur lassen sich nur schwer verändern, sodass die Steueraufteilung tendenziell konstant bleibt. Die Unterschiede zwischen starken und schwachen Regionen bleiben erhalten.
Die Jahre seit 2012, geprägt von einer außerordentlich guten Konjunktur und erheblichen Finanztransfers des Bundes, haben Spuren in den Haushalten der Gemeinden und Kreise hinterlassen. Positive Spuren. Die Kommunen verzeichnen historische Überschüsse, eine hohe Steuerdynamik, wachsende Investitionen und Rücklagen sowie, erstmals überhaupt, sinkende Kassenkredite. Auf der Makroebene bundesweiter Finanzstatistik kann der Eindruck entstehen, die Finanzprobleme seien überwunden. Der Kommunale Finanzreport1 der Bertelsmann Stiftung verlässt diese aggregierte Ebene und analysiert wichtige Finanzkennzahlen auf der Ebene der 397 Gesamtkreise und kreisfreien Städte. Bei näherer Betrachtung fallen die Daten, zwangsläufig, differenzierter aus. Den steigenden Steuereinnahmen stehen oft höhere Belastungen im sozialen Bereich gegenüber, höhere Investitionsausgaben werden durch steigende Baupreise aufgezehrt, Rücklagen sind auch Resultat nicht umsetzbarer Haushaltspläne, Kassenkredite sinken primär durch Umschuldungen der Länder. Allgemein muss man konstatieren: Die seit Jahren beobachteten Disparitäten nehmen nicht ab, im Gegenteil, sie wachsen.
Steuereinnahmen: Spiegelbild der Wirtschaftsstruktur
Die starke Konjunktur der letzten Jahre hat in allen Gemeinden zu Mehreinnahmen geführt. Die Kluft zwischen starken und schwachen Gemeinden hat sich jedoch nicht verringert (vgl. Abbildung 1). Die Gemeinden des Kreises München erzielen beispielsweise je Einwohner das siebenfache Steueraufkommen des Kreises Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt. Mit Blick auf die Treiber gemeindlicher Steuerkraft ist dies auch nicht überraschend. Der Kommunale Finanzreport zeigt, dass rund 90 % des Steueraufkommens der Gemeinden direkt auf die lokale Wirtschaftskraft Bezug nehmen. Der Effekt geht weit über die Gewerbesteuer hinaus. Da sich die regionalen Relationen in der bundesdeutschen Wirtschaftsstruktur durch die Gemeinden mittelfristig nahezu nicht verändern lassen, bleibt auch die Verteilung des Steueraufkommens konstant.
Abbildung 1
Steuereinnahmekraft der Kreise und kreisfreien Städte 2017
Quelle: Statistisches Bundesamt, Realsteuervergleich, bundesweit einheitliche Hebesätze.
Diese Situation kann in die paradoxe Situation münden, dass schwächere Gemeinden höhere Steuersätze erheben (müssen), was die Standortattraktivität weiter reduziert. Zu beobachten ist dieser Effekt z. B. im Vergleich der Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern. Im Extremfall der kreisfreien Städte liegen zwischen Coburg (Bayern) und Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) 240 Hebesatzpunkte der Gewerbesteuer, was vereinfacht geschätzt über 8 Prozentpunkte Differenz in der Steuerbelastung der Unternehmen entspricht. Dennoch ist das Aufkommen je Einwohner in Coburg fünfmal höher. Diese Konstellation hält bereits seit Jahrzehnten an. Wohlgemerkt, dies ist ausdrücklich kein Plädoyer für die Abschaffung der Gewerbesteuer. Intention ist es, die Sensibilität für die Grenzen lokaler Einnahmepolitik aufzuzeigen.
Die Analyse der Kommunalfinanzen fußte mit Blick auf die Bestandsgrößen in der Vergangenheit allein auf der Verschuldung; insbesondere auf den Kassenkrediten. Mit der Statistik über das Finanzvermögen liegt seit 2010 eine weitere Datenquelle vor, die zusätzliche Einblicke liefert und das Bild ergänzt. Die kurzfristigen Bar- und Sichteinlagen (der Einfachheit halber als Rücklagen bezeichnet) sind zwischen 2012 und 2017 um rund die Hälfte angewachsen. 2017 überschritten sie auch erstmals die Bestände der Kassenkredite, was das eingangs aufgezeigte Bild einer Erholung bestätigt.
Die Verteilung nach Ländern bestätigt somit auch weithin die Erwartung: Die Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg haben dauerhaft die höchsten Bestände, jene in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland die geringsten. Die Validität dieses Indikators wurde über eine Panel-Zeitreihe aller 399 Gemeinden Nordrhein-Westfalens geprüft. Rücklagen und Kassenkredite liegen in unterschiedlichen Gemeinden in einer dauerhaft stabilen Verteilung vor (vgl. Abbildung 2). Die Bestände verhalten sich spiegelbildlich und zeigen in der gemeinsamen Betrachtung noch größere Disparitäten der Finanzlage auf. Zwei Aspekte gibt es jedoch zu bedenken: Die Rücklagen wachsen auch aus Mangel an Anlagealternativen. Die Zinsstruktur „straft“ langfristige Finanzanlagen. Und ein neuer Begriff gewinnt an Prominenz: „Ausgabereste“. Es gelingt vielen Gemeinden nicht mehr, die Haushaltspläne im Bereich Investitionen und Personal umzusetzen. Im Ergebnis stehen ungeplante Überschüsse und wachsende Rücklagen.
Trendumkehr bei den Kassenkrediten
Die Kassenkredite stehen seit Langem im Fokus des finanzpolitischen Krisendiskurses. Systemisch zur kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsschwankungen gedacht, erreichten sie im Nachgang der Finanzkrise 2015 ihren Höhepunkt mit 50 Mrd. Euro. In den vergangenen beiden Jahren stand nun, erstmals überhaupt, ein rapider Rückgang um fast ein Drittel auf rund 36 Mrd. Euro. Fast die Hälfte dieses Rückgangs entfällt auf Hessen. Hier, ebenso wie bereits in den Vorjahren in Niedersachsen, wurden die Kassenkredite gegen harte Auflagen in einen Fonds des Landes überführt und werden nun über Jahrzehnte gemeinsam getilgt.
Abbildung 2
Verteilung von Rücklagen und Kassenkrediten in den Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2017
Quelle: Sonderabfrage zur Statistik über das Finanzvermögen, Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW).
Diese langfristige Strategie ist ein Vorbild für die weiteren „Krisenländer“ Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Ein alleiniger Abbau durch die Kommunen ist nicht möglich, eine sofortige Tilgung angesichts von Zinssätzen nahe null ökonomisch nicht sinnvoll. Umschuldungen schaffen langfristige Planungssicherheit und über nominal konstante Annuitäten eine über die Zeit real abnehmende Belastung. In Anbetracht der ab 2020 greifenden Verbesserungen im Länderfinanzausgleich ist eine solche Fondslösung auch durch diese Länder darstellbar. Sie wäre wohl ebenfalls eine Bedingung für eine wie auch immer geartete Beteiligung des Bundes, die jüngst als Ergebnis der föderalen „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“ überraschend in Aussicht gestellt wurde.
Diese Bundesbeteiligung birgt zwangsläufig das Risiko des „moral hazard“. Die Begünstigten könnten die in den letzten Jahren verbesserte Haushaltsdisziplin wieder auflockern und nicht betroffene Kommunen fragen sich, welchen Nutzen eine langfristig nachhaltige Haushaltspolitik tatsächlich hat. Jede Hilfe müsste daher mit unangenehmen Auflagen verbunden sein. Das Risiko von Fehlanreizen und des Belohnens früherer Fehler trifft jedoch weniger die Kommunen als deren Länder. Hier liegt für den Bund eine Sollbruchstelle. Sie lässt sich über entsprechende landesindividuelle Verträge, fiskalische Zielindikatoren und Sanktionen lösen.
Ein Abbau der Kassenkredite bedeutet jedoch noch immer nicht, dass der Ausgleich der laufenden Haushalte gesichert wäre, denn in Anbetracht der minimalen Zinssätze ginge mit einer Umschuldung keine wesentliche Entlastung einher. Im Gegenteil kann eine solche Fondslösung über die jährlichen Annuitäten kurzfristig sogar eine Mehrbelastung zum Status quo bedeuten. Die „Baustellen“ – Kosten der Unterkunft nach SGB II und kommunaler Finanzausgleich – bleiben für Bund und Länder erhalten.
(Sozial-)schwache Städte fallen weiter zurück
Das Bild einer „wachsenden Schere“ in den finanziellen Verhältnissen der Städte hat sich in den vergangenen Jahren festgesetzt. Bei allen Indikatoren lassen sich gravierende Differenzen zwischen „starken“ und „schwachen“ Städten ausmachen, die im bundesweiten Aggregat verloren gehen. Um die Lage der schwachen Kommunen und deren Rückstand zu bebildern, nimmt der Kommunale Finanzreport 2019 unter anderem einen Vergleich zwischen den zehn kreisfreien Städten mit der höchsten und geringsten SGB-II-Quote vor (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3
Vergleich starke und schwache Städte
Anmerkung: Verglichen werden die Durchschnitte der jeweils zehn kreisfreien Städte mit der niedrigsten und höchsten SGB-II-Quote 2017.
Quellen: eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt und Bundesagentur für Arbeit.
Die (sozial-)schwachen Städte erzielen Defizite statt Überschüsse, weisen niedrigere Gewerbesteuereinnahmen, Investitionen und Rücklagen aus, müssen mit höheren Kosten für SGB II und astronomischen Kassenkreditbeständen wirtschaften. Ein zweiter Aspekt, der aus den Zahlen indirekt hervortritt, liegt in der geringen Krisenresilienz der schwachen Städte. Die relative Stabilisierung in Bezug auf den Finanzierungssaldo war nur dank außergewöhnlicher Konjunktur und Hilfen des Bundes möglich. Beide Effekte laufen aus.
Fazit des Kommunalen Finanzreports
Die Konjunktur hat über stark steigende Einnahmen manche Probleme in den Hintergrund treten lassen. Die Verteilung der Gemeindesteuern und der Sozialausgaben ebenso wie der Kassenkredite sind jedoch nicht gelöst. Sie werden bei einer konjunkturellen Normalisierung schnell wieder brisant. Darüber hinaus tritt einmal mehr die gravierende Disparität der Finanzverhältnisse hervor, die über Steuersätze und Investitionen zum Motor ihrer selbst wird. Selbst wenn über einen weiteren Akt föderaler Solidarität die Probleme bei Sozialausgaben und Kassenkrediten gemindert würden, blieben den schwachen Städten die eigentlichen Ursachen ihrer misslichen Lage, die Sozial- und Wirtschaftsstruktur, erhalten. Hier reichen finanzielle Zuwendungen als Lösungsansatz nicht aus.
- 1 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Kommunaler Finanzreport 2019, Gütersloh 2019.