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Während der Freihandel in vielen Teilen der Welt unter Beschuss steht, bildet sich in Asien mit dem vor wenigen Wochen unterzeichneten RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) die größte Freihandelszone der Welt. Die Gespräche wurden von den ASEAN-Staaten (Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) angestoßen. Nach mehr als neun Jahren Verhandlungsdauer konnten sich die ASEAN-Staaten mit China, Japan, Südkorea sowie Australien und Neuseeland auf das Abkommen verständigen. Die geplante Freihandelszone umfasst somit 15 Mitgliedstaaten, auf die 30 % der Weltbevölkerung, 30 % der Weltwirtschaftsleistung und 28 % des Welthandels entfallen. Auf den ersten Blick scheint das Abkommen keine großen Vorteile für die Mitgliedstaaten zu bringen. Anders als bei den meisten anderen Handelsabkommen sind die tarifären und nichttarifären Barrieren zwischen den Partnern bereits weitgehend abgebaut: mit Ausnahme von Japan und China sowie Japan und Südkorea existieren zwischen allen 15 Mitgliedstaaten Handelsabkommen. Der durchschnittliche Zollsatz auf Handel innerhalb des RCEP-Raums betrug 2017 lediglich 1,6 %.

Allerdings ist die Harmonisierung der Ursprungsregeln eine wichtige Errungenschaft des Abkommens. Auch wenn die Handelshemmnisse für bilateralen Handel gering sind, stellen die bis dato geltenden Einzelverträge eine Herausforderung für Exporteure dar. Für jedes der Handelsabkommen gelten andere bürokratische Regeln (Ursprungsregeln), die eingehalten werden müssen, um den präferenziellen Marktzugang zu erhalten. Exporteure müssen einen Ursprungsnachweis liefern, der die „heimische Produktion“ belegt. So müssen chinesische Automobilexporteure belegen, dass mindestens 40 % der Produktion entweder in China oder einem der ASEAN-Länder erfolgt ist, um zollfrei nach Laos exportieren zu dürfen; wird dieser Nachweis nicht erbracht, fällt ein Zoll von 20 % an. Für Automobilexporte in andere Zielländer, mit denen China ein Handelsabkommen abgeschlossen hat, gelten ähnliche Regeln. Beispielsweise dürfen für chinesische Exporte nach Australien nur Vorleistungen aus China oder aus Australien verwendet werden, um den Anteil von 40 % heimischer Produktion zu erreichen. Das ist kostspielig und ineffizient, insbesondere für Exporteure mit komplexen Wertschöpfungsketten, die sich über mehrere asiatische Länder erstrecken. RCEP konsolidiert und harmonisiert die Ursprungsregeln der bestehenden Verträge. So dürfen in Zukunft bei der Berechnung der heimischen Wertschöpfung Vorleistungen aus allen 15 Mitgliedstaaten verwendet werden. Deshalb ist durch RCEP eine noch stärkere wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedsländern, insbesondere durch den Ausbau bereits bestehender Lieferketten, zu erwarten – trotz magerer Zollreduktionen.

Auch europäische Unternehmen, die in der Region tätig sind, profitieren von resilienteren Lieferketten. Des Weiteren ist mit einer Harmonisierung von Standards über alle 15 RCEP-Mitgliedsländer hinweg zu rechnen. Diese Vereinheitlichung erleichtert europäischen Exporteuren die Geschäfte mit Asien. Dennoch wird Europa durch Handelsumlenkungseffekte, die durch den neuen Mega-Deal entstehen, insgesamt verlieren: Wenn der Handel zwischen den asiatischen Ländern ansteigt, fällt die Nachfrage nach Waren aus dem Westen. Das RCEP-Abkommen ist die chinesische Antwort auf das gescheiterte TPP (Trans-Pacific Partnership). China nutzte die Chance und stieß in das entstandene Machtvakuum.

Nun sind die USA und Europa unter Zugzwang. Da die Verhandlungen bereits abgeschlossen wurden, wäre es für Biden ein Leichtes das TPP wiederzubeleben. Auch die EU sollte die handelspolitischen Beziehungen mit den asiatischen Partnern intensivieren. Zwar wurde mit Japan, Südkorea und Singapur bereits erfolgreich ein Handelsabkommen abgeschlossen, die Verhandlungen der EU mit Australien und Neuseeland bzw. mit den ASEAN-Staaten gehen aber nur langsam voran. Mit China wird seit mehreren Jahren über ein Investitionsabkommen verhandelt, ein Handelsabkommen ist ein Wunsch in weiter Ferne. Der transatlantische Schulterschluss zwischen den USA und der EU würde das geopolitische Gleichgewicht wiederherstellen. Mit einem tiefgreifenden und modernen Handelsabkommen, das den Rahmen für handelspolitische Zukunftsthemen wie den Dienstleistungshandel, den Umwelt- und Investitionsschutz oder auch Big Data und andere Innovationen absteckt, könnte der Führungsanspruch Chinas zurückgewiesen werden. Allerdings ist es mehr als fraglich, ob mit einem solchen Abkommen in naher Zukunft zu rechnen ist. Zum einen hat der designierte Präsident Biden mit innenpolitischen Themen alle Hände voll zu tun, zum anderen sind die Positionen zwischen der EU und den USA recht festgefahren, und Kompromisse zu finden, ist nicht leicht – doch im Interesse der westlichen Länder wäre ein Abkommen allemal.

© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2791-3