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Die Corona-bedingten flächendeckenden Schulschließungen stellen das Schulsystem vor ungeahnte Herausforderungen. Dabei ist es extrem wichtig, dass die Schulschließungen nicht zu einem kompletten Lernstopp führen. Es kommt auf die erzielten Lernergebnisse an, denn die bestimmen, ob die SchülerInnen gut für die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet sind. Das Jahr 2020 darf nicht als das verlorene Jahr in die Bildungsbiografie der betroffenen Kinder und Jugendlichen eingehen.

In der Vergangenheit gab es eine Reihe von Fällen, in denen Streiks zu wochen- oder sogar monatelangen flächendeckenden Schulschließungen geführt haben und deren Auswirkungen wissenschaftlich detailliert untersucht wurden. Zum Beispiel wurden die Schulen im wallonischen Teil Belgiens 1990 für mehrere Monate geschlossen. Man hat die Entwicklung der betroffenen SchülerInnen mit denen im flämischen Teil Belgiens verglichen, der nicht von den streikbedingten Schulschließungen betroffen war. Die Schulschließungen haben zu erhöhten Klassenwiederholungen und langfristig zu niedrigeren Bildungsabschlüssen, auch im Bereich der höheren Bildung, geführt. Ähnliche Ergebnisse hat man auch für streikbedingte Schulschließungen in Kanada und Argentinien gefunden, in Form geringerer Lernzuwächse der SchülerInnen und später geringerer Einkommen am Arbeitsmarkt.

Wir sollten das Thema also nicht zu leicht nehmen. Sicherlich ist ein dreiwöchiger Unterrichtsausfall noch keine Katastrophe. Aber es lohnt sich, jetzt produktive Lösungen aufzubauen. Die Kinder können zuhause nicht genauso gut lernen wie in der Schule. Sonst wären Schulen ja überhaupt nicht nötig. Aber wir müssen jetzt versuchen, das Beste daraus zu machen – und das Schlimmste zu verhindern. Im Laufe der nächsten Tage und Wochen müssen wir uns auf die Situation einstellen und sie möglichst sinnvoll nutzen. Die Schulen und Lehrkräfte müssen den SchülerInnen Materialien und Aufgaben an die Hand geben, damit sie am Ball bleiben können und durch entsprechende Rückmeldepflichten sicherstellen, dass die SchülerInnen sich mit dem Lernstoff beschäftigen. Die große Gefahr besteht darin, dass durch den Unterrichts­entfall nicht nur weniger Unterrichtsstoff vermittelt wird, sondern dass die Kinder und Jugendlichen die unbetreute Zeit mit Dingen wie Computerspielen oder irreführenden Informationen in sozialen Medien verbringen. Auch die psychischen Belastungen sind für Kinder und Familien immens, wenn sie ihre Zeit wochenlang zu Hause verbringen und keine Interaktion mit MitschülerInnen haben. Der „Lagerkoller“ wird schnell einsetzen, alle werden gereizt sein. Hier sind vor allem die Eltern gefragt, indem sie etwa klar strukturierte Tagesabläufe festlegen, die den Kindern helfen.

Für die Kommunikation zwischen Lehrkräften und SchülerInnen in beide Richtungen sind digitale Plattformen am besten geeignet. Aber wo diese nicht entsprechend verfügbar sind oder ihre Nutzung nicht entsprechend eingespielt ist, müssen andere Wege gefunden werden. Wichtig und noch nicht weit genug umgesetzt ist vor allem die umgekehrte Richtung: Die Lehrkräfte müssen über Rückmeldungen sicherstellen, dass alle SchülerInnen die Aufgaben auch tatsächlich machen, und bei Unklarheiten für Klärungen bereitstehen. Videoformate können den monotonen Alltag des Selbststudiums zu Hause auflockern. Warum sollten Lehrkräfte nicht kurze Erklärvideos bei Youtube einstellen oder auf entsprechende Videos verweisen? Die LehrerInnen wissen am besten, mit welchen Vorgehensweisen sie ihre SchülerInnen erreichen und motivieren. Die derzeitige Situation wird sicherlich neue Lehr-Lern-Formate und viele positive Vorbild-Beispiele hervorbringen. Vielerorts geschieht das in vorbildlicher Weise, und daraus können wir hinzulernen. Andererseits ist leider die Zahl der SchülerInnen, bei denen derzeit kein Lernen stattfindet, auch nicht gering.

Eine besondere Gefahr besteht darin, dass nicht nur das Kompetenzniveau insgesamt leidet, sondern auch die Ungleichheit in der Vorbereitung auf die weitere schulische Entwicklung zunimmt. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Wissensstände und schulischen Kompetenzen vieler Kinder und Jugendlicher in den Schulferien deutlich zurückgehen. Das Phänomen ist unter dem Namen „Summer Melt“ – Sommer-Schmelze – bekannt. Allerdings gibt es hier deutliche Unterschiede: Während der Rückgang bei Kindern aus benachteiligten Verhältnissen besonders stark ausfällt, lernen Kinder aus bildungsnahen Schichten in den Ferien sogar noch hinzu. Damit die Kompetenzentwicklung in der Phase der Schulschließungen nicht genauso auseinandergeht und die Chancengerechtigkeit zusätzlich leidet, müssen die Schulen und Lehrkräfte alles daransetzen, insbesondere lernschwächeren SchülerInnen und solchen aus benachteiligten Verhältnissen die Lerninhalte weiterhin zu vermitteln.

© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2618-2

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