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Die Corona-Krise bringt fast täglich neue Erkenntnisse hervor. Eine Erkenntnis ist, dass die meisten Politiker, viele Medien und auch ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland Flickenteppiche verabscheuen. Maßnahmen zur Eindämmung der Krise müssen zwischen allen politischen Ebenen abgestimmt werden, um einheitliche Regeln zu gewährleisten. Gelingt dies nicht, wird den politisch Handelnden schnell empört vorgeworfen, sie schüfen einen ebensolchen Flickenteppich. Bemerkenswert ist, dass diese Empörung von so Vielen geteilt wird, obwohl bisher niemand eine hinreichende Begründung genannt hat, warum Flickenteppiche verabscheuungswürdig sein sollen. Offensichtlich gibt es einen breiten Konsens, dass bundeseinheitliche Regeln grundsätzlich gut und vielfältige und differierende Regeln in den Bundesländern oder Kreisen grundsätzlich schlecht sind. Daher verwundert es nicht, dass die politischen Entscheidungsträger im Zuge der Lockerung der Corona-Beschränkungen großen Aufwand betrieben haben, um einen bundesweit möglichst einheitlichen Weg zu gehen.

Viele Ökonomen sind angesichts dieses weitgehend einheitlichen Tenors in der Minderheit, wenn sie auf die Vorteile von föderalistisch differenzierten Maßnahmen bei der Lockerung der Corona-Beschränkungen verweisen. Dabei gibt es für regional unterschiedliche Regeln grundsätzlich und insbesondere in der Corona-Krise gute Gründe. Das aus der fiskalischen Theorie des Föderalismus abgeleitete ökonomische Subsidiaritätsprinzip verdeutlicht, dass eine Verlagerung von Aufgaben von einer untergeordneten auf eine übergeordnete politische Ebene stets zu einer Vernachlässigung individueller Präferenzen und damit zu Wohlfahrtsverlusten führt. Werden alle öffentlichen Leistungen nur von einer zentralen Gebietskörperschaft angeboten, so ist die Höhe und die Art des Angebots stets ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Präferenzen verschiedener Gruppen. Die Nachfrage nach öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und Regeln dürfte sowohl zwischen den als auch innerhalb der Bundesländer nach Kreisen variieren. Eine Aufgabenverlagerung auf die Bundesebene hat stets zur Folge, dass viele Menschen nicht die öffentlichen Leistungen bekommen, die sie sich wünschen. Der Bundesebene sollten nach dem Subsidiaritätsprinzip nur dann Aufgaben übertragen werden, wenn Effizienzgewinne zu realisieren sind, welche die Wohlfahrtseffekte infolge der Vernachlässigung regionaler Präferenzen mehr als ausgleichen.

In der Corona-Krise variieren sowohl die Zahl der jemals Infizierten als auch das Ausmaß der von den Schließungen betroffenen wirtschaftlichen Aktivitäten stark zwischen den Bundesländern und Kreisen. Vor allem Bundesländer mit einem überdurchschnittlichen Anteil von konsumnahen Dienstleistungen, Restaurants, Beherbergungsstätten und einer ausgeprägten touristischen Infrastruktur dürften ein höheres Interesse an einer weitergehenden Öffnung haben als Bundesländer mit einem hohen Anteil an maschineller industrieller Fertigung. Folglich dürften auch die Präferenzen regional stark unterschiedlich und die Kosten einer Vernachlässigung dieser Präferenzen entsprechend hoch sein. Werden diese Präferenzen durch bundeseinheitliche Regelungen ignoriert, geht erheblicher Wohlstand verloren, und der Weg aus der Krise wird erschwert. Durch unterschiedliche regionale Corona-Regeln lassen sich Erfolgsmodelle leichter identifizieren und imitieren. Außerdem ist es weniger riskant, viele den regionalen Umständen angepasste Ausstiegsexperimente zu machen, als ein einziges Großexperiment, denn Fehlentscheidungen haben aufgrund der kleineren Gebietseinheiten geringere Folgen als Fehlschläge auf Bundesebene. Vor allem Regionen mit unterdurchschnittlichen Corona-Fallzahlen und besonders hohen wirtschaftlichen Kosten durch die Corona-Schließungen könnten bei den Öffnungen vorangehen. Die Feinsteuerung der erforderlichen virologischen und ökonomischen Maßnahmen wäre in kleineren Gebietskörperschaften deutlich effizienter. Solange es Reisebeschränkungen gibt, wird es trotz regionaler Unterschiede auch nicht zu seuchenpolitisch bedenklichem Tourismus von strengen in weniger strenge Regionen kommen.

Bundeseinheitliche Vorgaben könnten sich auf das Abstandsgebot, Zugangskontrollen und grundlegende Hygieneanforderungen beschränken. Eine Ausnahme gilt für die Industrie, in der es eine besondere Aufgabe sein wird, nationale und internationale Lieferketten wieder aufzubauen. Hier bietet ein national oder international abgestimmtes Vorgehen Größenvorteile und ermöglicht so Effizienzgewinne gegenüber einem regionalen Vorgehen. Aus Effizienzgründen spricht daher vieles dafür, das „Königreich“ bundeseinheitlicher Verordnungen gegen einen Flickenteppich aus kunterbunten regionalen Maßnahmen einzutauschen.

© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2641-3

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