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In der seit 2009 andauernden Niedrigzinsphase ging der Anteil der Kapitaleinkommen am Volkseinkommen zurück. Da sich der Anteil des Faktors Arbeit nicht wesentlich veränderte, gewann der Produktionsfaktor Boden an Bedeutung. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung spiegelt sich dies jedoch nicht wider, da der Boden dort nicht gesondert ausgewiesen wird. Mithilfe des Henry-George-Theorems wird versucht, eine Methode zu entwickeln, die den Anteil des Faktors Boden quantifiziert. Der explizite Ausweis des Bodeneinkommens in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung könnte dazu beitragen, die Rolle dieses vernachlässigten Faktors zu korrigieren.

In den letzten Jahren geriet der Produktionsfaktor Boden immer stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die steigenden Mieten in den Großstädten und der Anstieg der Immobilienpreise der letzten Jahre lassen darauf schließen, dass die steigende Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr befriedigt werden kann. Der Blick richtet sich dabei zunehmend auf den dem Wohnungsmarkt vorgelagerten Bodenmarkt. So bestand eine Aufgabe der von der Bundesregierung 2018 eingesetzten „Baulandkommission“ darin, auch Vorschläge für eine Verbesserung der Datengrundlage und eine Erhöhung der Transparenz auf den Bodenmärkten zu schaffen (Bundesministerium des Innern, 2019). Es wurde jedoch bemängelt, dass diese Aufgabe nicht befriedigend gelöst worden sei (Vogel, 2019, 35-36).

Schon die ökonomischen Klassiker führten eine entsprechende Debatte, wobei jedoch das Agrarland im Mittelpunkt stand. Mit Blick auf den landwirtschaftlichen Boden erwartete Ricardo (1821, 71-84), dass aufgrund des Wettbewerbs der Pächter nicht diese, sondern die Verpächter von der Bevölkerungszunahme und dem damit verbundenen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion profitieren. Die „Profitrate“ der Pächter würde hiernach beständig fallen. Auf lange Sicht wären die Bodeneigentümer die Gewinner, die einen immer stärker wachsenden Teil der landwirtschaftlichen Überschüsse auf Kosten der Pächter an sich ziehen würden. Ricardo sah also einen Interessengegensatz zwischen Pächtern und Grundeigentümern. Ist die Hypothese Ricardos veraltet und gilt zudem nur für die Landwirtschaft? Oder kann seine Hypothese auch auf bebautes Land der Gegenwart übertragen werden? Die Beantwortung dieser Frage betrifft unter anderem auch die Kontroverse um die Aussagen von Piketty (2014).

Die zeitreihenbezogene Analyse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) ist für eine empirische Untersuchung nur beschränkt nutzbringend. Im Rahmen der Aufbereitung der Verteilungsrechnung der VGR wird das Volkseinkommen in zwei Teile geteilt: das Arbeitnehmerentgelt sowie das Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Letzteres besteht aus kalkulatorischen Unternehmerlöhnen (vor allem in den Gewinnen aus Personenunternehmen), den „klassischen“ Kapitaleinkommen (wie Zinsen), Bodenrenten sowie die auf Boden- und Kapitalerträgen lastenden Risikoprämien. Die Bodenerträge befinden sich im Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (Eurostat, 2014) in den Pachteinkommen, verstecken sich aber weitgehend hinter den Unternehmensgewinnen und Zinserträgen (Löhr, 2013).

Die Hypothese lautet, dass die Kapitalerträge im Zuge der Niedrigzinsphase immer weiter zugunsten der Bodenerträge zurückgedrängt wurden und der von Ricardo behauptete Interessengegensatz zwischen Grundeigentum und Kapital so auch auf unsere Zeit und bebautes Land übertragbar ist. Um diese Hypothese zu prüfen, müssen die Kapitalerträge von den Bodenerträgen innerhalb der VGR separiert werden.

Zum theoretischen Hintergrund

Von zentraler Bedeutung für das Modell ist die Separation von privatem und staatlichem Sektor. Dabei werden die Nettokapitaleinkünfte ausschließlich dem privaten Sektor zugeordnet; die Inwertsetzung des Bodens wird hingegen primär als staatliche Leistung verstanden. Wirtschaftliche Betätigungen des Staates werden im Wesentlichen als kostendeckend angenommen; die staatlichen Investitionen schlagen sich somit nur in den Bodenerträgen, nicht aber in Kapitaleinkünften des Staates nieder (eine Modifikation dieser Annahme wäre möglich). Der Staatskonsum gliedert sich in Individual- und Kollektivkonsum. Beim Individualkonsum handelt es sich zum Großteil um meritorische Güter (z.B. Unterricht, Sport, Kultur) und um Konsum auf Grundlage von Sozialtransfers. Der Kollektivkonsum umfasst hingegen Leistungen, die der ganzen Bevölkerung (oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe) gleichzeitig zur Verfügung stehen. Seine Inanspruchnahme erfolgt in der Regel passiv und mindert nicht die für andere Personen zur Verfügung stehende Leistungsmenge (z. B. allgemeine öffentliche Verwaltung, öffentliche Ordnung und Sicherheit). Die Separation von privatem und staatlichem Sektor entspricht dem Henry-George-Theorem (HGT) (Arnott und Stiglitz, 1979; Foldvary, 2005, 115-116; zu den Zuordnungen für den Privatsektor Olah et al., 2020). Das HGT besagt, dass die Bodenerträge im Idealfall ausreichen, um die fixen Bereitstellungskosten der staatlichen Einrichtungen zu decken.

In Tabelle 1 wird die Verwendungs- und Verteilungsrechnung der VGR entsprechend dem HGT umgegliedert. Hierbei ist die Trennung von staatlichem und privatem Sektor entscheidend. Staatlicher Individualkonsum mit meritorischem Charakter CSI sowie die Löhne für die hierfür nötigen Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor WS sind im HGT nicht ausdrücklich vorgesehen und werden in Tabelle 1 als zusätzliche Kategorie eingeführt. Hierdurch verwischt jedoch die Trennlinie zwischen Staat und Privatsektor. Dabei wird das HGT auch dadurch durchbrochen, dass – vor allem aufgrund Sozialtransfers – der staatliche Individualkonsum CSI die Arbeitnehmerentgelte WS deutlich übersteigt. Die Differenz wird aus Abgaben T finanziert. Diese schmälern aber letztlich die Bodenerträge in ihrer Eigenschaft als Residuum (Gaffney 2009, 370-374: „all taxes come out of rent“).

Tabelle 1
Zuordnungen der VGR entsprechend dem Henry-George-Theorem
Charakter Verwendungsrechnung Verteilungsrechnung
  Position Abk. Position Abk.
Privat Private Netto­investitionen IPN Nettokapitaleinkommen QPN
Private Konsum­ausgaben CP Private Arbeitnehmerentgelte plus kalkulatorische Unternehmerlöhne WU WP + WU
Meritorisch/ Sozial­transfers Staatlicher Individual­konsum CSI Löhne und Gehälter Staat plus Beitrag zur Finanzierung von Einkommenstransfers T WS (+ T)
Staatlich Staatlicher Kollektiv­konsum CSK Bodenerträge abzüglich Beitrag zur Finanzierung der Einkommenstransfers T BN (- T)
Staatliche Netto­­investitionen ISN
Bestands­erhalt Ersatz­investitionen E Abschreibungen D
Sonstige Außenbeitrag A Produktions- und Import­abgaben minus Sub­ventionen, Primär­einkommen aus übriger Welt S
Brutto­inlandsprodukt

Quelle: eigene Darstellung.

Aus dem HGT ergeben sich weitere Konsequenzen: Die Bodenerträge sollen als Teil des Residuums betrachtet werden, das sich als Differenz aus Volkseinkommen sowie den Arbeits- und Kapitalerträgen ergibt. Dies lässt sich am besten anhand einer einzelwirtschaftlichen Betrachtung illustrieren. Dabei liegen Immobilien im Volleigentum zugrunde, die zugleich die wichtigsten volkswirtschaftlichen Vermögenswerte darstellen. Investoren ermitteln in der Regel den für den Boden maximal aufzubringenden Betrag anhand der Residualwertmethode: Von den (mit der Renditeforderung) diskontierten künftigen Cash Flows werden die Kosten der Bebauung (inklusive Zwischenfinanzierung) und die Kapitalkostenforderungen (Gewinnzuschlag) abgezogen. Der Restwert (Differenz zwischen den Discounted Cash Flows und den Herstellungs- bzw. Kapitalkosten) entspricht der Zahlungsbereitschaft für den Bodenwert. Stellt man auf die jeweilige Periode ab, ist die Diskontierung nicht mehr erforderlich.

In seiner Eigenschaft als Residualgröße ist der Bodenertrag ein Kernbestandteil des Gewinns aus Immobilieninvestitionen. Finanzierungsseitig wird bei einer „gesunden“ Immobilienfinanzierung der Bodenanteil dominant mit Eigenkapital, der Gebäudeanteil mit Fremdkapital finanziert. Im statistischen Durchschnitt entspricht der Bodenwert ebenfalls dem anfänglich geforderten Eigenfinanzierungsanteil (ca. 30 %; Destatis 2019a, Tab. S1 + S11; BBSR 2014, 13, Abb. 7). Dies ergibt auch betriebswirtschaftlich Sinn:

  • Unbebaute Grundstücke stellen eine Realoption dar. Vor allem der Zeitpunkt der Ausübung (Bebauung) ist unsicher. Ein solider Fremdkapitalgeber wird sich ohne Weiteres kaum auf die Finanzierung einer solchen Option einlassen (Geltner et al. 2007, 719 – 755).
  • Investitionen in Gebäude generieren Abschreibungen, die zur Kredittilgung genutzt werden können. Der Boden ist hingegen ein nicht abnutzbares Wirtschaftsgut, auf den keine Normalabschreibungen entfallen – genauso wenig, wie das Eigenkapital Tilgungen benötigt.

Ist die fixe Zinsbelastung dem Gebäude zuzurechnen, kann bezüglich des Eigenkapitalanteils ein Leverage-Effekt erzeugt werden, mit dem ein entsprechendes Risiko einhergeht. Korrespondiert der Bodenanteil in einer Bilanzschichtenbetrachtung mit dem Eigenkapitalanteil, ist er somit aktivseitig der wesentliche Risikoträger. Auch die im HGT angelegte Verbindung zwischen Verwendungs- und Verteilungsrechnung erschließt sich intuitiv aus der einzelwirtschaftlichen Perspektive. Die Aktiva eines Unternehmens zeigen, in welche Verwendungen das eingesetzte Geld floss; die Passiva indizieren zusammen mit der Gewinn- und Verlustrechnung, wem die aktivseitig erwirtschafteten Erträge zustehen (ähnlich der Verteilungsrechnung der VGR).

Um die Bodenerträge näherungsweise zu bestimmen, kann nicht einfach ein durchschnittlicher Liegenschaftszinssatz1 auf die vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen Bodenwerte angelegt werden. Erstens wird ein solcher Liegenschaftszinssatz für den Durchschnitt der Immobilien nicht ermittelt. Zweitens handelt es sich um eine modellabhängige Größe, die allenfalls als grobe Näherung für einen internen Zinsfuß verwendet werden kann. Drittens ist der Liegenschaftszinssatz auf den Gesamtwert der Immobilien bezogen, sodass die auf dem Grundstück und dem Gebäude liegenden unterschiedlich hohen Risiken nicht abgebildet werden. Daher wird zur Ermittlung der Bodenerträge auf das nachfolgend dargestellte Modell zurückgegriffen.

Methode und Modell

Gemäß Tabelle 1 gilt Ausgangsgleichung (1) für die Verwendungs- und Verteilungsseite des Bruttoinlandsprodukts2:

(CP+ CSI + CSK) + (IPB + ISB) + A = WP + WU + WS + QPN + BN + S + D (1)

Dabei stellt die linke Seite die Verwendungsseite, die rechte die Verteilungsseite dar. Es handelt sich um eine Betrachtung vor direkten Steuern. Nach einer Umformung ergibt sich nach Abschreibung folgende Gleichung:

(CP+ CSI + CSK) + (IPN + ISN ) + (A - S) = (WP + WS) + (WU + QPN + BN) (2)

Auf der rechten Seite sind neben den Arbeitnehmerentgelten (WP + WS ) die Unternehmens- und Vermögenseinkommen (V = WU + QPN + BN ) aufgeschlüsselt. Nun werden die Kapitalerträge (Privatsektor) von den Bodenerträgen (öffentlicher Sektor) entsprechend dem HGT getrennt. Dabei wird der Saldo aus Außenbeitrag und Gütersteuern, Subventionen und Primäreinkommen (A - S) mangels detaillierterer Statistik vereinfachend dem privaten Sektor zugerechnet. Dieser erwirtschaftet den größten Teil des Außenbeitrags und wird auch größtenteils durch Gütersteuern etc. belastet. Ist (A - S) < 0, mindert dies also die Kapital- und nicht die Bodeneinkommen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in die Verwendungsrechnung die Auswirkungen der Sekundärverteilung (vor allem staatliche Einkommenstransfers) einfließen; bei der Verteilungsrechnung jedoch nicht. Die entstehende Deckungslücke beim staatlichen Individualkonsum (CSI - WS) wird aus den Ausgaben T finanziert. Von T ausgenommen sind Abgaben, die an anderer Stelle schon berücksichtigt wurden (wie Lohnnebenkosten sowie Produktions- und Importabgaben). Für die Nettokapitaleinkommen ergibt sich nach entsprechender Umformung

(IPN + CP - WP - WU) + (A - S) = QPN (3)

Die Nettokapitaleinkommen werden in diesem Modell ausschließlich durch den privaten Sektor erwirtschaftet. Die Nettobodenerträge (vor Steuern) werden hingegen durch den staatlichen Sektor generiert (Primärverteilung):

(CSI - WS ) + (CSK + ISN ) = T + (CSK + ISN ) = BN (4)

Alternativ können die Nettobodenerträge auch als Teil des Residuums aus dem Unternehmens- und Vermögenseinkommen (V) berechnet werden, nachdem das Kapitaleinkommen gemäß Gleichung (3) bestimmt wurde.

BN = V - WU - QPN (5)

Ergebnisse und Interpretation

Den Verlauf der Nettokapital- und Nettobodenerträge von 1991 bis 2018 zeigt Abbildung 1. Obwohl der Boom im Vorfeld der Finanzkrise 2008/2009 maßgeblich vom US-amerikanischen Bodenmarkt ausging, wurden die entsprechenden Gewinne gemäß dem Inlandsprinzip dem Faktor Kapital zugerechnet. Die Bodenerträge liegen oberhalb der Kapitalerträge, was auf die enthaltene Risikoprämie zurückgeführt werden könnte. Für den Trend der Kapitalerträge bilden die kalkulatorischen Unternehmerlöhne einen guten Anhaltspunkt. Die Bodenerträge als Teil des Residuums – anders als in der VGR ersichtlich – scheinen den gewichtigsten Teil der Unternehmens- und Vermögenseinkünfte auszumachen. Dieses Bild wird gestützt, wenn unter Berücksichtigung der Wertzuwächse3 auf die Renditen Bezug genommen wird (Abbildung 2). Auch die Bodenrenditen liegen (durch die Risikoprämie) fast durchweg oberhalb der Kapitalrenditen. Nach einer zwischenzeitigen Talfahrt stiegen – mit Einsetzen der Politik des billigen Geldes der EZB – beide Renditegrößen wieder an. In der Tendenz entwickelten sich die Bodenerträge nach Steuern und die Kapitalerträge nach Steuern jedoch schon seit der Wiedervereinigung auseinander (Trendkurven).

Abbildung 1
Komponenten der Unternehmens- und Vermögenseinkommen
Komponenten der Unternehmens- und Vermögenseinkommen

Quelle: Berechnungen auf Basis des Statistischen Bundesamtes (Destatis 2019a, 2019b, 2019c). Auf Anfrage werden die Daten zur Verfügung gestellt.

Abbildung 2
Boden- und Kapitalrenditen vor Steuern mit Wertzuwächsen
Boden- und Kapitalrenditen vor Steuern mit Wertzuwächsen

Quelle: Berechnungen auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis 2019a, 2019b, 2019c).

Reliabilität der gemessenen Bodenerträge

Bei der Reliabilität geht es um die formale Genauigkeit der Messung. Bezüglich der Reliabilität kann gegen das vorgeschlagene Messverfahren eingewendet werden, dass es theoretisch voraussetzungsvoll ist. Allerdings sind die zugrunde liegenden Theorien miteinander kompatibel bzw. bauen aufeinander auf. Umso wichtiger ist es, dass das Messergebnis sowohl mit Blick auf die Implikationen der zugrundeliegenden Theorien als auch hinsichtlich von modellexternen Drittdaten konsistent ist. Dies wird nachfolgend bezüglich folgender Indizien untersucht: Entwicklung von Bodenerträgen und Bodenwerten, Kapitalrendite und Wachstum, Volatität sowie Sekundärverteilung.

  • Die Bodenwerte ergeben sich aus den abdiskontierten künftigen Bodenerträgen. In Abbildung 3 werden einerseits die Bodenwerte für bebautes Land (aus gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen) und andererseits die Bodenerträge vor Steuern auf den Ausgangszeitpunkt 2000 indiziert. Die Daten sind aufgrund statistischer Brüche und anfänglicher Probleme bei den Gutachterausschüssen für die 1990er Jahre nur von bedingter Qualität und mussten angepasst werden. Es ergibt sich von 1991 bis 2018 zwischen dem Index der in den Vermögensbilanzen ausgewiesenen Bodenwerten und dem Index der Bodenerträge eine hohe Korrelation. Zudem liegt für 2000 bis 2018 zwischen dem Index der Bodenerträge und dem ergänzend herangezogenen Baulandpreisindex (Destatis, 2012, 2020) ebenfalls eine hohe Korrelation vor. Allerdings hebt nach 2013 der Bodenwert, offenbar bedingt durch den aufgrund des niedrigen Zinses hervorgerufenen Anlagenotstand, zunehmend von der Entwicklung der Bodenerträge ab.
  • Die Messung der Bodenerträge hängt davon ab, dass zuvor die Kapitalerträge zutreffend errechnet wurden. Deren Ermittlung sollte mit der Goldenen Regel der Akkumulation (Allais-Phelps-Theorem) korrespondieren, die einen Zusammenhang zwischen den Kapitalrenditen und der wirtschaftlichen Wachstumsrate postuliert (Allais, 1998; Phelps, 1961; Huth, 2001). Abbildung 2 illustriert, dass dies tendenziell der Fall ist. Zu berücksichtigen ist, dass in die Kapitalrendite eine Risikoprämie einfließt, von der zu abstrahieren wäre.
  • Die Volatilität der Vor-Steuer-Renditen (unter Berücksichtigung der Wertzuwächse) für Boden und Kapital ergibt einerseits höhere Boden- als Kapitalrenditen; andererseits sind die Bodenrenditen auch deutlich volatiler. Die einfache Standardabweichung für die Vor-Steuer-Bodenrendite beträgt 3,1 % bzw. 2,2 % für die Vor-Steuer-Kapitalrendite, die Trendstandardabweichung 2,2 % bzw. 0,8 % (Abbildung 2). Bezüglich der Bodenrenditen ist zudem zu bedenken, dass die Bodenwerte durch die Gutachterausschüsse eine Glättung erfahren haben dürften, was die Volatilität der Bodenrenditen erhöht.
  • Tabelle 1 zeigt, dass Einkommenstransfers T aus den Bodenerträgen erforderlich sind, wenn der staatliche Individualkonsum CSI nicht den im öffentlichen Sektor gezahlten Löhnen und Gehältern WS entspricht. Im Rahmen der Sekundärverteilung sind also die Kapitalerträge um den Einkommenstransfer aus den Bodenerträgen zu erhöhen und die Bodenerträge entsprechend zu reduzieren. Dieser Effekt lässt sich zwar bestimmen; ein Abgleich mit Drittdaten ist aber schwierig, da 1. die Zuordnung zu staatlichem Individual- und Kollektivkonsum sowie staatlichen Investitionen durchaus umstritten ist und 2. der Einkommenstransfer aus den Bodenerträgen nur einen Mindestbetrag für die auf den Bodenerträgen liegenden inzidentellen steuerlichen Belastung darstellt. Diese ist aber nicht nur für Boden, sondern auch für Kapital unbekannt.
Abbildung 3
Bodenwerte und Bodenerträge vor Steuern
Bodenwerte und Bodenerträge vor Steuern

Quelle: Berechnungen auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis 2019a, 2019b, 2019c).

Validität der Befunde

Schwerer als die Frage nach der Reliabilität dürfte die Frage nach der Validität wiegen: Misst das Konzept, was gemessen werden soll? Dies sollten die Bodenerträge sein. Allerdings wurde der Begriff Boden bislang bewusst unscharf gefasst. Charakteristisch für die gemessenen Erträge ist, dass sie aus grundsätzlich unvermehrbaren Vermögenswerten stammen und Differentialrenten sowie Residualeinkommen darstellen. Zudem kann der Boden auch als eine Realoption verstanden werden (Geltner et al., 2007, 719-755). All dies trifft aber z. B. auch auf Verfahrenspatente zu, deren Erträge üblicherweise dem Kapital zugeordnet werden. Entsprechend kann die dargestellte Methodik nur Boden als Sammelbegriff für eine weiter abgegrenzte Assetklasse mit den entsprechenden Eigenschaften erfassen. Die ermittelten Bodenerträge dürften daher tendenziell zu hoch ausgewiesen sein, wenn man sie auf die klassische, enge und physisch orientierte Definition von Boden bezieht. Weitere Forschungsanstrengungen müssten sich daher darauf richten, wie die Abgrenzung von Boden im engeren Sinne erfolgen kann und wie die betreffenden Erträge gegebenenfalls separiert werden können. Stellt man allerdings die Frage nach der Transformation des Kapitalismus in eine Rentenökonomie (Hypothese), ist der vorliegende weite Definitionsbereich durchaus zielführend.

Die Bodenerträge enthalten sowohl Erträge aus bebauten Grundstücken (Siedlungsflächen) als auch aus land- und forstwirtschaftlichen Flächen. Eine Separierung wäre hier allein aufgrund der unterschiedlichen Risikoprämien wünschenswert. Dabei wäre auch zu diskutieren, ob neben dem Produktionsfaktor Boden im Sinne von Standorten nicht auch ein weiterer Produktionsfaktor Natur in die VGR eingeführt werden sollte – und ob land- und forstwirtschaftliche Flächen nicht besser hierunter subsumiert werden sollten (Tideman, 2017). Bei städtischen Flächen geht es primär um Raumnutzung, bei Naturressourcen um die physische Nutzung. Der Wert von städtischen Flächen steigt in der Regel mit der Intensität ihrer Nutzung, derjenige von wirtschaftlich genutzten Naturressourcen sinkt hingegen ceteris paribus mit zunehmender Nutzung (Entropie), z. B. bei Kiesgruben, Steinbrüchen oder Gasvorkommen.

Versteht man unter Bodenrente den Ertragsvorteil einer konkreten Fläche gegenüber dem Grenzboden, müsste diese ohne Risikokomponente ermittelt werden. Bodenrenten sind leistungslose Einkünfte, die sich aus den Vorteilen des Standorts bei Lage, Nutzungsintensität und Qualität ergeben. Die Übernahme von Risikokosten ist hingegen nicht wertbildend, sofern diese marktgerecht entgolten werden. Auch eventuelle verteilungspolitische Diskussionen sollten sich primär auf den risikolosen Teil der Bodenerträge beziehen. Gleiches gilt für Äquivalenzüberlegungen (z. B. mit Blick auf die Grundsteuer). Folgt man der vorgeschlagenen Differenzierung, könnte zur Ermittlung der Bodenrenten ein risikofreier Opportunitätskostensatz auf die Bodenwerte angelegt werden.4 Die Ermittlung eines solchen Satzes ist aber nicht trivial. Folgt man Keynes (1983, 191 und 302), ist denkbar, dass dem Boden ein Eigenzinssatz zukommt, der sich vom Kapitalmarktzinssatz wegen der expansiven Politik der EZB teils gelöst hat. Versuche zur empirischen Bestimmung einer solchen Mindestrendite liegen aber bislang nicht vor.

Schlussbetrachtung

Beobachtungen sind immer theoriegeleitet. Dies gilt auch für die Darstellung der VGR, in welcher der Produktionsfaktor Boden bislang keinen Platz gefunden hat. Die vorliegende, auf dem Henry-George-Theorem basierende Darstellung gibt ein neues, überraschendes Bild von der Bedeutung der Bodenerträge. Aus dieser Perspektive sind die Bodenerträge keinesfalls zu vernachlässigen. Abbildung 1 zeigt eine Scherenentwicklung zwischen Boden- und Kapitalerträgen. Seit 1991 hat sich die primäre Verteilungsposition der Arbeitnehmer per Saldo trotz Schwankungen nicht wesentlich verbessert, wie die Lohnquote zeigt (BMF, 2019). Die Kapitalerträge verloren insbesondere durch die Niedrigzinspolitik infolge der Finanzkrise während der letzten zehn Jahre relativ an Bedeutung. Der Gewinner scheint der dritte Produktionsfaktor zu sein: Boden. Die zunehmenden Bodenerträge befinden sich in engem Gleichlauf mit den Bodenwerten. Deren absolute und relative Bedeutung wuchs im Zeitverlauf beständig an. So hat sich die aus den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen ableitbare Relation von aggregierten Bodenwerten zum gesamten Sachvermögen der Volkswirtschaft von seinem Minimum von 24 % (1995) auf 31,4 % (2018) erhöht. Weil aber die Risikoprämien nicht wertbildend sind, dürfte der Anstieg der Bodenwerte dominant auf einen höheren risikolosen Teil der Bodenerträge zurückzuführen sein. Der wichtigste Grund dürfte die gestiegene Nachfrage sein, die auf ein grundsätzlich unelastisches Bodenangebot stieß. Dieser Befund stimmt auch mit dem von Stiglitz (2015) und Rognlie (2015) überein, mit dem sie die Thesen von Piketty (2014) erschütterten. Abbildung 1 indiziert allerdings, dass diese Entwicklung nicht erst seit dem „whatever it takes“ von Mario Draghi 2012 einsetzte. Jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass im Zuge der Sekundärverteilung die Kapitaleinkommen gegenüber den Bodeneinkommen aufholten.

Wenngleich die vorgeschlagene Methodik der Weiterentwicklung bedarf und der Anteil der wertbildenden risikolosen Bodenrenten auf Grundlage dieser Methodik nicht eindeutig quantifiziert werden kann, wird die eingangs formulierte Hypothese durch die Befunde vorläufig gestützt. Die Aufschlüsselung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen hätte Auswirkungen für verschiedene Politikbereiche. So wäre die Mietenexplosion primär als eine Explosion der Bodenerträge zu verstehen; in der Wohnungspolitik wäre der Fokus der politischen Maßnahmen stärker auf den vorgelagerten Boden-, anstatt auf den Wohnungsmarkt zu richten. In der verteilungspolitischen Diskussion wäre die Eignung einer Vermögensteuer zu hinterfragen: Sie würde primär das Kapital belasten, das sich aber verteilungspolitisch auf der Verliererseite befindet. Generell wird das herrschende Paradigma der Abgabenpolitik herausgefordert, nach dem vor allem Arbeit, Kapital und der Verbrauch belastet werden. Stattdessen bietet sich eine Verlagerung der Abgabenlast auf den Boden und andere rententragende Assets an; Stiglitz (2014, 8) spricht hier vom „verallgemeinerten Henry-George-Prinzip“.

  • 1 Der Liegenschaftszinssatz (§ 14 Abs. 3 ImmoWertV) wird von den Gutachterausschüssen aus tatsächlichen Kauffällen (Volleigentum) vor dem Hintergrund marktüblicher Ertragserwartungen aus dem Ertragswertverfahren (§ 17 ImmoWertV) heraus „rückwärts“ abgeleitet .
  • 2 Der Index B steht für „brutto“, N für „netto“ nach Abschreibungen.
  • 3 Aufgrund der Datenlage musste unterstellt werden, dass die Wertsteigerungen des Kapitals den Nettoinvestitionen entsprechen.
  • 4 Es wird unterstellt, dass die vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen Bodenwerte der Realität einigermaßen entsprechen. Allerdings dürften die Bodenwerte von den Gutachterausschüssen vor allem in großen Städten zu konservativ eingeschätzt worden sein, wenngleich in jüngerer Zeit Korrekturmaßnahmen zu verzeichnen sind.

Literatur

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Title:Land, the Forgotten Factor of Production

Abstract:During the low-interest rate phase that followed the financial crisis of 2008/2009, the share of capital income decreased. Land as a production factor made noticeable gains especially given that the distribution position of labour did not significantly improve. However, this is not reflected in the national accounts, as land is not shown separately in the official statistics of the distribution of the national income. Based on the Henry George theorem, the article attempts to show a method to quantify the income share of land in macroeconomic terms. The explicit reporting of the land income in the national accounts could contribute to the revision of the role of this hitherto neglected factor of production.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2877-6